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Zweites Kapitel.
Das Evangelium der Kindheit

Dieser Mann war der junge galiläische Meister Jesus von Nazareth.

Man erlaube uns, in den Tagen, die wir zunächst durchlaufen wollen, von Christus zu sprechen, als ob Niemand vor uns von ihm gesprochen hätte, diese heilige Geschichte auszunehmen, als ob Niemand sie geschrieben hätte. Ach! so Wenige haben sie gelesen und so vieler Menschen Gedächtnis hat sie vergessen.

Den Leuten, welche seine göttliche Natur nicht kannten, erschien Jesus von Nazareth unter der Form eines Mannes von dreißig bis dreiunddreißig Jahren, von etwas mehr als mittlerem Wüchse und mager, wie Alle diejenigen, welche, der Menschheit mit Liebe zugethan, lange von ihr geträumt, über sie nachgedacht, für sie gelitten haben.

Er hatte ein längliches, bleiches Gesicht, blaue Augen, eine gerade Nase, einen etwas großen, aber sanften, lieblichen, schwermüthigen, wundervoll geformten Mund; seine blonden, nach der Weise der Galiläer, d.h. mitten auf dem Kopfe, getheilten Haare, fielen in Wellen aus seine Schultern herab; ein Bart endlich von leicht rother Farbe, der seine goldenen Reflexe von den Strahlen der Sonne des Morgenlandes zu entlehnen schien, verlängerte noch sein Gesicht, dessen Züge die Gewohnheit der Beschauung alle zum Himmel emporrichtete.

Er war bekleidet, – und Niemand hatte ihn seit seiner Kindheit meiner andern Tracht gesehen, – mit einem langen, gewobenen Rocke ohne Naht, der in bewunderungswürdigen Falten an seinem Leibe herabfiel und unter seinen langen, weiten Aermeln seine vollkommen weißen und zarten Hände sehen ließ, und mit einem himmelblauen Mantel, den er mit der höchsten Einfachheit und einer unendlichen Unmuth drapirte. Er hatte als Fußbekleidung bis über die Knöchel geschnürte Sandalen, und seinen Kopf, den er immer bloß und hoch trug, beschirmte er nur in den heißen Stunden des Tages durch seinen blauen Mantel.

Diesem Ganzen entfloß etwas Ungreifbares, etwas wie ein Balsam und ein Licht vereinigt und in einander zerschmolzen, etwas, was zugleich glänzte und duftete, die augenblickliche Gegenwart eines höheren Wesens mitten unter den Menschen und unter der Form eines Menschen offenbarend.

Es waren besonders die Kinder und die Frauen, deren zartere und nervösere Organisation leichter der Wirkung der magnetischen Ausflüsse gewisser bevorzugter Organisationen unterliegt, – es waren, sage ich, besonders die Frauen und die Kinder, welche mehr als alle andere Menschen diese unter ihrer irdischen Hülle verborgene Göttlichkeit zu erkennen schienen. In der That, kaum nahte Jesus, als selbst die kleinsten Kinder auf ihn zuliefen, und wenn Jesus entweder durch die Straßen von Jerusalem oder durch die von Capernaum oder Samaria, oder sogar am Rande der Wege ging, verneigten sich beinahe alle Frauen, auf eine geheimnisvolle Weise angetrieben, ihre Kniee zu beugen.

Es ist wahr, man erzählte über den jungen galiläischen Meister, – so nannte man gewöhnlich Jesus, – eine Menge von wunderbaren Legenden, Geschichten und Traditionen, die überall, wohin er seine Schritte lenkte, ihm vorangingen, ihn begleiteten, ihm nachfolgten wie eine Legion von Engeln, welche, Blumen vor ihm, um ihn und hinter ihm streuend, ihn in den Augen der Menschen mit einem beinahe göttlichen Blendwerk erscheinen ließen.

Man sagte, seine glückliche Mutter. – denn bis zu dieser Zeit hatte die Mutter von Jesus den Namen die glückliche verdient, – man sagte, seine glückliche Mutter sei dem königlichen Geschlechte von David, dem Sohne von Isai, entsprossen; Joachim und Anna, ihr Vater und ihre Mutter, haben, nachdem sie zwanzig Jahre mit einander gelebt, ohne ein Kind zu bekommen, das Gelübde gethan, wenn sie endlich diese lang ersehnte Frucht ihrer Verbindung erhalten, das Kind dem Dienste des Herrn zu weihen, – und es sei ihnen dann eine Tochter geboren worden, der sie den sanften Namen Mariam, d.h. Stern des Meeres, gegeben.

Aus diesem Namen Mariam haben wir Maria gemacht.

Demzufolge sei die junge Maria, welche die Geschicke der Menschheit in sich trug, von ihren Eltern im Tempel niedergelegt und unter den jungen Mädchen, ihren Gespielinnen, aufgezogen worden, die heiligen Bücher lesend, den Lein spinnend und Kleider für die Leviten webend, bis zum Alter von vierzehn Jahren, in welchem Alter die Kostschülerinnen des Tempels ihren Eltern zurückgegeben wurden; doch mit vierzehn Jahren habe sich die junge Maria geweigert, den Tempel zu verlassen, weil ihre Eltern, wie sie gesagt, sie, indem sie sie dem Herrn geweiht, demselben ganz geweiht haben; dadurch, daß er dieses Mädchen gegen die Gewohnheiten des Tempels behalten sollte, in Verlegenheit gesetzt, habe der Oberpriester den Herrn um Ruth gefragt, und der Herr habe geantwortet, das Mädchen müsse einen Gatten von der Hand des Hohenpriesters selbst empfangen, damit in Erfüllung gehe die Weissagung von Jesaias:

»Es wird eine Jungfrau hervorgehen aus der Wurzel von Isai, und aus dieser Wurzel wird sich«heben eine Blume, auf die sich unter der Gestalt einer Taube der Geist des Herrn wird niederlassen.«

Joseph, ein Greis aus dem Hause Davids, war der auserwählte Mann; sein Name und der der jungen Maria wurden eingetragen in die Trauungsbücher in einer feierlichen Versammlung, wonach er, ohne daß eine Annäherung zwischen den Gatten stattgefunden hatte, nach Bethlehem und sie nach Nazareth reiste.

Kaum war nun die Jungfrau nach dem väterlichen Hause zurückgekehrt, als sich, wie man erzählte, Folgendes ereignete: Eines Abends, da sie vor ihrem Betpulte kniete und betend blieb durch die Abenddämmerung, bis die Schatten der Nacht gekommen waren und ihre Augen sich sanft schlossen, während ihr Kopf auf ihren beiden gefalteten Händen ruhte, fühlte sie sich plötzlich wie von einem Wohlgeruche umhüllt, und es verbreitete sich ein so gewaltiges Licht in ihrem Zimmer, daß sie dieses Licht durch ihre geschlossenen Augenlider sah.

Sogleich erhob sie das Haupt, schaute umher und erblickte einen Engel des Herrn, der, die Stirne von einer Flammenglorie umflossen, eine Lilie in der Hand haltend, auf einer von den Reflexen des Himmelt noch ganz vergoldeten Wolke schwebte.

Das war der Bote Gottes, der die Zelle der Jungfrau erleuchtete und mit Wohlgerüchen erfüllte. Eine Andere als die junge Maria hätte bange gehabt, doch sie hatte schon so oft Engel in ihren Träumen gesehen, daß sie lächelte und mit dem Gedanken, wenn nicht mit den Lippen fragte: »Schöner Engel des Herrn, was willst Du von mir?«

Und er lächelte ebenfalls und antwortete ihrem Gedanken, den er gelesen:

»Gegrüßet seilt Du, Maria, Du bist voll der Gnaden! Ich bin Gabriel, der Bote des Allerhöchsten, und ich komme, um Dir zu verkündigen, daß der Herr mit Dir ist, und daß Du gebenedeit bist unter allen Weibern und über allen Weibern.«

Die Jungfrau wollte antworten, doch es fehlte ihr die Sprache: diese unmittelbare Verbindung ihrer Schwäche mit der Kraft des Herrn verursachte ihr einen gewissen Schrecken.

Ihren Gedanken begreifend, sprach dann der Engel:

»O Jungfrau, fürchte Dich nicht. Du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. Dieser Sohn wird groß sein, o Jungfrau, denn er wird gebieten vom Meere bis zum Meere und von der Mündung der Flüsse bis zu den Enden der Welt; er wird ein Sohn des Höchsten genannt werden, obgleich auf der Erde geboren, und der Herr wird ihm den Stuhl seines Vaters David geben; und er wird ein König sein über das Haus Jakobs ewiglich, und seines Königreichs wird kein Ende sein, und er wird sein der König der Könige, der Herr der Herren durch alle Jahrhunderte.«

Da erröthete die Jungfrau, ohne zu antworten, denn was sie dachte, wagte sie nicht, zu dem Engel zu sagen, und sie dachte Folgendes:

»Wie soll ich als, Jungfrau Mutter werden?

Der Engel lächelte abermals und erwiederte auf ihren Gedanken:

»O glückselige Maria, glaube nicht, Du werdest empfangen auf menschliche Weise: Du wirst empfangen als Jungfrau, Du wirst gebären als Jungfrau, denn der heilige Geist wird über Dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird Dich überschatten; darum auch das Heilige, das von Dir geboren wird, wird Gottes Sohn genannt werden.«

Und die Jungfrau schlug die Augen auf, streckte die Arme zum Himmel empor und sprach die einzigen Worte, durch welche sie dem heiligen Mysterium ein Geschenk mit sich machte:

»Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie Du gesagt hast.«

Und der Engel schied von ihr, und das Licht verschwand, die Jungfrau versank wie eingeschlafen in eine himmlische Extase und erhob sich wieder als Mutter.

Und zu gleicher Zeit war der Engel Joseph in Bethlehem erschienen, damit er erfahre, daß seine Frau, obgleich sie den Sohn Gottes in ihrem Schooße trage, immer rein und unbefleckt sei.

Man höre, was man sich noch weiter erzählte.

Gegen das Ende des neunten Monats der Schwangerschaft von Maria, im Jahre 369 der Aera von Alexander, wurde ein Edict des Kaisers Cäsar Augustus verkündigt, welches eine allgemeine Zählung in seinem Reiche gebot und jeden Mann aufforderte, sich in seiner Geburtsstadt mit seiner Frau und seinen Kindern einschreiben zu lassen.

In Folge dieses Edicts war Joseph genöthigt, Nazareth zu verlassen, wohin er sich nach der Erscheinung des Engels mit seiner Frau begeben hatte, und diese mit sich führend brach er gen Bethlehem auf, doch auf dem Wege nach der Stadt wurde Maria von den Geburtswehen befallen, so daß sie in eine Höhle eintrat, welche als Krippe diente, während Joseph nach Jerusalem ging, um Hilfe zu suchen.

Als sie sich in der Hohle befand, suchte die Jungfrau eine Stütze; ein verdorrter Palmbaum, der mit seinem Stamme bis zum Gewölbe emporragte und seine Wurzeln in der Erde geschlagen hatte, bildete eine Art von Pfeiler.

Mittlerweile suchte Joseph eine Frau, welche Maria beistehen könnte.

 

Plötzlich stand er stille, als ob seine Füße an die Erde genagelt wären Eine seltsame Erscheinung ging in der Natur vor.

Seine erste Bewegung war gewesen, daß er die Augen zum Himmel aufgeschlagen; der Himmel war verdunkelt und die Vögel, welche die Luft durchschnitten, waren in ihrem Fluge aufgehalten.

Da senkte er die Augen und schaute um sich her.

Zu seiner Rechten, ganz nahe bei dem Orte, wo er sich befand, saßen Arbeiter und nahmen ihr Mahl zu sich. Doch seltsam! derjenige, welcher die Hand nach der Schüssel ausstreckte, blieb mit ausgestreckter Hand, derjenige, welcher im Essen begriffen war, aß nicht, derjenige, welcher etwas an den Mund führte, blieb mit offenem Munde, und Alle hatten ihren Blick nach dem Himmel gerichtet.

Zu seiner Rechten weidete eine Herde Lämmer; doch die ganze Herde stand stille, und die Lämmer fraßen nicht, und der Hirte, der seinen Stab erhoben hatte, um sie wegen ihrer Unbeweglichkeit zu züchtigen, blieb selbst unbeweglich und mit erhobenem Stabe.

Vor ihm stoß ein Nach, an welchem Ziegen und ein Bock ihren Durst löschen wollten; der Bach war in seinem Laufe festgehalten, und der Bock und die Ziegen waren nahe daran, das Wasser zu berühren und zu trinken; doch sie berührten das Wasser nicht, doch sie tranken nicht.

Und selbst der Mond stand stille und selbst die Erde drehte sich nicht mehr.

Gerade in diesem Augenblicke gebar Maria den Heiland, und die ganze Schöpfung keuchte in der Erwartung dieses Ereignisses! Dann zog etwas wie ein großer Seufzer der Freude durch die Natur, und die Welt athmete.

In demselben Augenblick stieg eine Frau vom Berge herab, ging auf Joseph zu und fragte:

»Bin ich es nicht, die Du suchst?«

»Ich suche Jemand, der meiner Frau Maria, welche in dieser Stunde in Geburtswehen ist, beistehen könnte,« erwiederte Joseph.

»Dann führe mich zu ihr,« sagte die Unbekannte. »Ich heiße Gelome und bin Hebamme.«

Beide schlugen sogleich den Weg nach der Höhle ein.

Die Höhle war erleuchtet und mit Wohlgerüchen erfüllt, und mitten unter diesem Lichte, das keinen Herd hatte, sahen sie Maria und den Neugebornen ganz glänzend; das Kind trank an der Brust seiner Mutter.

Der verdorrte Palmbaum war wieder grün geworden: frische, kräftige Schößlinge liefen von seinem Stamme aus, während ungeheure Palmen, welche in ein paar Minuten gewachsen waren, seinen Gipfel beschatteten.

Joseph und die alte Frau blieben ganz erstaunt auf der Schwelle stehen.

Da fragte die Alte Maria: »Weib, bist Du die Mutter dieses Kindes?«

»Ja,« antwortete Maria.

»Dann bist Du nicht gleich den andern Töchtern Evas,« sagte die Alte.

»So wie es unter den Kindern kein Kind gibt, das gleich ist meinem Sohne, so ist seine Mutter ohne Gleichen unter den Weibern,« sprach Maria.

»Doch dieser Palmbaum, der verdorrt war und wieder grün geworden ist?« fragte die Alte.

»Im Augenblicke der Niederkunft habe ich ihn genommen und zwischen meinen Armen gepreßt.«

Da sprach Joseph:

»Dein Kind, o Maria, ist wohl der von der Schrift vorhergesagte Messias, und er wird heißen Jesus, das ist Heiland.«

Und wenn Joseph noch gezweifelt hätte, so würde er keinen Zweifel mehr gehabt haben, denn es erschienen an der Thüre der Höhle drei Hirten, und als Joseph sie fragte:

»Hirten, was führt Euch hierher?«

Da antwortete Einer der Hirten:

Wir heißen Misrael, Stephan und Cyriacus; wir hüteten unsere Herden auf dem Berge, als ein Engel des Himmels von einem Sterne herabkam und zu uns sprach: »»Euch ist heute der Heiland geboren worden in der Stadt Davids! Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend. Gehet hin und betet es an.«« In welcher Richtung sollen wir gehen? fragten wir dann ganz zitternd. »»Folgt diesem Sterne,«« sprach der Engel, »»er wird Euch führen.«« Der Stern fing an zu gehen, und wir folgten ihm den Weg entlang Blumen pflückend. Nun sind wir hier. Wo ist der Heiland, daß wir ihn anbeten?«

Die Jungfrau zeigte ihnen den kleinen Jesus, der in einer Krippe lag, und sie streuten Blumen um ihn her und beteten ihn an.

Eine Stunde nachher erschienen drei Könige ebenfalls an der Thüre der Höhle mit einem großen Gefolge von Dienern, die mit Geschenken beladen waren und von Kameelen und Maulthieren, welche kostbare Stoffe und Myrrhen trugen.

Joseph fragte sie, was sie wünschen.

Wir sind drei weise Könige des Morgenlands: wir heißen Caspar, Melchior und Balthasar. Ein Stern ist uns vor einem Monat erschienen und eine Stimme hat zu uns gesprochen: »»Folget diesem Sterne, es ist der, welcher Euch führen soll zur Wiege des von Zoroaster verkündigten Heilands.«« Da sind wir Aufgebrochen, und als wir durch Jerusalem kamen, da besuchten wir König Herodes den Großen und sagten zu ihm: »»Wir kommen vom Morgenlande, um anzubeten den König der Juden, welcher geboren worden ist. Wo ist er?«« »»Ich weiß es nicht,«»antwortete König Herodes. »»Ihr habt also keinen Führer?«« »»Doch!«« Und wir zeigten ihm den Stern. »»Nun, so folget dem Sterne,«« sprach er, »»und wenn Ihr wieder durch Jerusalem kommt, unterlaßt es nicht, mir zu sagen, wo der König der Juden ist, damit ich ihn auch anbete,«« Hier sind wir nun. Wo ist der Heiland, damit wir ihn anbeten?«

Da nahm die Jungfrau den Jesusknaben und zeigte ihnen denselben.

Sogleich knieten die drei Weisen vor ihm nieder, küßten seine Hände und seine Füße und beteten ihn an, wie es die Hirten gethan; dann, wie die Hirten den Jesusknaben mit Blumen von den Fluren umgeben hatten, umgaben sie ihn mit Gefäßen von Gold und Silber, mit Rauchfässern, Dreisüßen und Kelchen.

Und die Hirten betrachteten traurig diese Anbetung und sprachen unter sich:

»Das sind die drei Könige, welche reiche Geschenke bringen, und sie werden machen, daß man uns arme Hirten vergißt, die wir nur Blumen gebracht haben.«

Doch in demselben Augenblicke und als hätte er ihre Gedanken errathen, stieß Jesus mit dem Fuße ein Prächtiges Becken zurück, hob ein Maßliebchen von den Feldern aus und küßte es.

Seit jener Zeit haben die Maßlieben welche einst ganz weiß waren, rosenfarbig eingefaßte Blätter und einen goldenen Staubfaden.

Und glücklich, daß der Jesusknabe eine Blume des Feldes den goldenen und silbernen Gefäßen, den Dreifüßen, den Kelchen und Rauchfässern vorgezogen hatte, kehrten die Hirten aus ihren Berg zurück und sangen das Lob des Herrn.

Und freudig und stolz, daß sie die Hände und die Füße des Heilands der Welt geküßt, kehrten die Weisen auch zurück, doch nicht nach Jerusalem, wie sie Herodes geheißen hatte, denn der Stern, der sie führte, nahm einen andern Weg.

Und als sie dies sah, rief die alte Frau:

»Ich danke Dir, o mein Gott, Gott Israels, daß meine Augen die Geburt des Heilands der Welt gesehen haben!«

Man erzählte auch Folgendes:

Als Herodes der Große die Weisen nicht zurückkommen sah, versammelte er die Priester und die Schriftgelehrten und sprach zu ihnen:

»Eure Schriften verkündigen, es soll Euch ein Heiland geboren werden. Wo wird dieser Heiland geboren werden?«

Die Priester und die Schriftgelehrten antworteten einstimmig: In der Stadt Bethlehem in Judäa. Darum wurde sie genannt von Abraham Bethlehem, d.h. das Brodhaus; darum wurde sie mit dem Namen der Frau von Caleb genannt Ephrata, d.h.die Fruchtbarkett; darum wurde sie außer Bethlehem und Ephrata, auch genannt die Stadt Davids

Mittlerweile erfuhr Herodes auch, der Jesusknabe sei im Tempel vorgestellt worden, und der Oberpriester Simeon, der beinahe hundert Jahre zählte, habe, als er gesehen, daß er glänzte von Licht in den Armen der Jungfrau, und daß die Engel einen Kreis um ihn bildeten, Jesus verherrlicht und ausgerufen:

O mein Gott! ich kann nun sterben, da erfüllt ist das Wort des Psalmisten:

»»Ich werde ihn mit Tagen segnen, ich werde ihm zeigen den Herrn, den ich geschickt habe, und wenn er ihn gesehen, wird er sterben, den Herrn verherrlichend.««

Und nachdem er diesen Vers des Psalmisten gesprochen, fiel Simeon in der That rückwärts und starb.

Von da an unterlag es für Herodes keinem Zweifel mehr, daß dieses Kind wirklich der Messias war, und da er, an die Sache der Römer verkauft, befürchtere, dieser Heiland könnte ein anderer Judas Maccabäus werden, der die Freiheit von Israel durch den Krieg retten würde, so fing er an in seinem Geiste auf die Ermordung der unschuldigen Kinder zu sinnen.

Da erschien der Engel des Herrn dem Joseph im Traume und sprach: »Stehe auf und nimm das Kindlein und seine Mutter mit Dir und fliehe nach Äegypten.«

So daß beim ersten Hahnenschrei Joseph aufstand und sich, nachdem er die Jungfrau und den Jesusknaben geweckt hatte, auf den Weg begab.

Am Tage nach seiner Abreise ließ Herodes alle Kinder unter zwei Jahren ermorden.

Da geschah es, daß, wie Jeremias vorhergesagt hatte, eine gewaltige Stimme in Rama, Geschrei und Wehklagen ausstoßend, gehört wurde; das war die Stimme von Rachel, die ihre Söhne beweinte, und sie wollte nicht getröstet werden, weil sie nicht mehr waren! Und als die Mörder mit dem Schwerte in der Hand überallhin liefen, um die Kinder zu tödten, da gingen, wie man erzählt, zwei Soldaten drohend auf die Jungfrau und Joseph zu, daß sie am ganzen Leibe zu zittern ansingen; da sie sich aber an einen ungeheuren Maulbeerfeigenbaum anlehnten, als die Mörder nur Noch fünfzig Schritte von ihnen entfernt waren, öffnete sich dieser Baum und entzog, indem er sich wieder vor der heiligen Familie schloß, diese Aller Augen.

Als sodann die Soldaten, eines unnützen Nachsuchens müde, sich entfernt hatten, öffnete sich der Baum abermals, und die heilige Familie zog ihres Weges.

Nur blieb seit jener Zeit der Maulbeerfeigenbaum offen.

Man kam in eine große Stadt und machte Halt auf der Schwelle einer in der Nähe eines Götzentempels liegenden Herberge; doch kaum hatte sich die heilige, Familie in einer kleinen Stube dieser Herberge niedergelassen, als man einen gewaltigen Lärmen vernahm; die Einwohner der Stadt liefen ganz bestürzt und die Arme zum Himmel erhebend in den Straßen umher und gaben Ausrufungen des Schreckens und der Verzweiflung von sich.

In dem Augenblicke nämlich, wo Jesus durch das Thor der Stadt ging, war der Götze des Tempels von seinem Fußgestelle gefallen und in tausend Stücke zerbrochen, und dasselbe hatte sich mit allen anderen Götzen der Stadt ereignet.

So hatte sich gerechtfertigt das Wort von Jesaias:

»Der Herr wird einziehen in Aegypten, und die Götzen werden erschüttert werden vor seinem Antlitz.«

Als er aber dieses Geschrei hörte, als er diesen Schrecken sah, befürchtete Joseph für Maria und den Jesusknaben; er stieg mit ihnen die Treppe hinab, sattelte den Esel und entfernte sich durch eine Hinterthüre, ohne daß er Zeit hatte, Mundvorrath für den Tag mitzunehmen.

So daß man, als es Mittag geworden, und die Jungfrau großen Hunger und großen Durst bekam, genöthigt war, sich unter einen Maulbeerfeigenbaum zu setzen; diesem Maulbeerfeigenbaume gegenüber war eine Gruppe von Dattelbäumen, welche ganz mit Früchten beladen, und die Jungfrau sprach:

»Oh! wie gern würde ich von diesen Früchten essen! Wäre es denn nicht möglich, davon zu bekommen?«

Joseph schüttelte traurig den Kopf und erwiederte:

»Siehst Du nicht, daß ich sie nicht nur nicht mit meiner Hand erreichen kann, sondern daß ich nicht einmal im Staude wäre, meinen Stock bis zu ihnen hinauf zu werfen.«

Da sprach aber der Jesusknabe:

»Palme neige dich und bringe deine Früchte meiner sanften Mutter.«

Die Palme neigte sich, und die Jungfrau konnte Früchte davon pflücken, so lange sie wollte; wonach der Baum sich wieder erhob, bedeckt mit mehr Früchten, als er zuvor gehabt.

Und während die Jungfrau Datteln pflückte, hatte der Jesusknabe, den sie aus die Erde gesetzt, mit seinem Finger zwischen den Wurzeln des Maulbeerfeigenbaumes ein Loch in den Sand gemacht, so daß die Jungfrau, als sie, nachdem sie gegessen, sagte: »Ich habe Durst,« sich nur zu bücken brauchte, denn aus dem Loche, das mit seinem Finger der kleine Jesusknabe gemacht, sprang eine Quelle von reinem Wasser hervor.

Am Abend, in dem Augenblick, wo sie sich wieder auf den Weg begaben, wandte sich Jesus gegen die Palme und sprach:

»Palme, ich danke dir, und zum Zeugniß meines Dankes befehle ich, daß einer von deinen Zweigen durch meine Engel soll getragen werden und gepflanzt in das Paradies meines Vaters, und als Zeichen meines Segens gestatte ich dir, daß soll gesagt werden zu allen denjenigen, welche durch den Glauben gesiegt haben: »Ihr habt Euch errungen die Palme des Sieges!«

 

Und in demselben Augenblick erschien ein Engel, nahm einen Palmzweig und stieg mit ihm in den höchsten Himmel hinaus.

Joseph, die Jungfrau und der Jesusknabe kamen zu einem Theile der Wüste, der von Räubern verheert wurde. Plötzlich erblickten sie zwei, welche unsern von ihren eingeschlafenen Kameraden Schildwache standen. Diese zwei Räuber hießen Dimas und Vestas.

Der Erste sprach zum Zweiten, welcher die drei Flüchtlinge anhalten wollte:

»Ich bitte Dich, laß diese Reisenden ihres Weges ziehen, ohne ihnen etwas zu sagen oder zu thun, und ich gebe Dir vierzig Drachmen, die ich bei mir habe, und Du sollst auch meinen Gürtel als Pfand erhalten, daß ich Dir noch weitere vierzig bei der ersten Gelegenheit gebe.«

Und zu gleicher Zeit gab er ihm die vierzig Drachmen und bat ihn, ihre Kameraden nicht aufzuwecken.

Als Maria diesen Räuber so geneigt sah, ihr einen Dienst zu leisten, sprach sie zu ihm:

»Gott unterstütze Dich mit seiner rechten Hand, und er bewillige Dir die Erlassung Deiner Sünden.«

Und der kleine Knabe sprach zu Maria:

»O meine Mutter, gedenke dessen, was ich Dir in diesem Augenblicke sage: in dreißig Jahren werden mich die Juden kreuzigen, und diese zwei Räuber werden zu meinen Seiten ans Kreuz genagelt werden, – Dimas zu meiner Rechten und Gestas zu meiner Linken. – Und an diesem Tage wird Dimas, der gute Schächer, mir ins Paradies vorangehen.«

Und seine Mutter erwiederte ihm:

»Gott wende von Dir solche Dinge ab, o mein theures Kind,«

Denn obgleich Maria nicht recht verstand, was Jesus sagen wollte, erfüllte sich doch ihr Mutterherz mit einem tiefen Schrecken bei dieser Weissagung.

Der böse Schächer nahm die vierzig Drachmen und den Gürtel seines Kameraden und ließ die Flüchtlinge weiter ziehen.

Am andern Tage bei der Vereinigung von zwei Straßen, begegneten sie einem großen Löwen. Joseph und Maria bekamen Angst, und der Esel weigerte sich, weiter zu gehen.

Da wandte sich Jesus an das wilde Thier und sprach:

»Großer Löwe, ich weiß, was du hier machst: du gedenkst einen Stier zu fressen; dieser Stier aber gehört einem armen Manne, dessen einzige Habe er ist.

. . . Gehe eher dorthin, und du wirst ein Kameel treffen, das so eben gestorben ist.«

Der Löwe gehorchte, ging an den bezeichneten Ort, fand das Kameel und verzehrte es.

Und als sie weiter zogen, sagte Joseph, der zu Fuße ging und unter der Hitze litt:

»Herr Jesus, so es Dir gefällt, wollen wir einschlagen den Weg nach dem Meere, um ausruhen zu können in den Städten, welche am Ufer liegen.«

Jesus antwortete:

»Sei ohne Furcht, Joseph. Ich will den Weg so abkürzen, daß wir in ein paar Stunden vollbringen, wozu man sonst dreißig Tage braucht.«

Und während der Knabe noch sprach, erblickten sie die Berge und die Städte von Aegypten, Man erzählte noch viele andere Dinge vom Aufenthalte des Jesusknaben in Memphis, wo er drei Jahre wohnte, und unter Anderem, die Jungfrau habe die Gewohnheit gehabt, ihren Sohn in einer Quelle zu waschen, und in Folge hiervon habe das Wasser dieser Quelle die Kraft besessen, Aussätzige, welche sich ebenfalls darin gewaschen, zu heilen.

lind diese Quelle hatte einen solchen Ruf, daß eines Tags ein Mann aus dem Lande, welcher einen ganzen Garten mit Bäumen bepflanzt, von denen man den Balsam erntet, da er sah, daß diese Bäume unfruchtbar waren und hartnäckig nichts erzeugten, ganz in Verzweiflung zu sich selbst sagte:

Ich will doch sehen, ob meine Bäume, wenn ich sie mit dem Wasser begieße, in welchem sich Isa ibn Mariam gebadet hat, tragen werden?

Und er begoß sie mit dem Wasser, und,in demselben Jahre lieferten die Bäume eine Ernte, welche dreimal so stark als die gewöhnliche Ernte.

Nach einem dreijährigen Aufenthalte in Memphis erschien der Engel Joseph abermals und sprach zu ihm:

»Du kannst nun zurückkehren nach Judäa, denn Herodes ist gestorben, und es muß in Erfüllung gehen das Wort von Jesaias: »»Ich habe meinen Sohn von Aegypten kommen lassen.««

Da verließ Joseph Memphis und kehrte nach Judäa und Nazareth zurück, damit in Erfüllung gehe das andere Wort desselben Propheten: »»Er wird genannt werden der Nazaräner.««

Als er nach Nazareth zurückgekommen war, verrichtete der göttliche Knabe nach der Sage noch zahlreiche Wunder.

»So spielte, wie man sich erzählte, Jesus am Sabbath mit anderen Kindern bei einem Bache, dessen Wasser sie ablenkten, um daraus kleine Fischteiche zu bilden, und Jesus hatte am Rande des seinigen aus Thonerde zwölf kleine Vögel gemacht, welche aussahen, als tränken sie. Da kam ein Jude vorüber und sprach zu ihm: »Wie kannst Du so den Sabbath entheiligen, daß Du ein Werk machst mit Deinen Fingern?«

Da erwiederte der Jesusknabe:

»Ich arbeite nicht, ich schöpfe!«

Und er streckte die Hände aus und rief:

»Vögel, flieget und singet.«

Sogleich entflogen die Vögel unter Gezwitscher, und diejenigen, welche die Sprache der Vögel verstehen, versichern, ihr Gesang sei nichts Anderes als ein Loblied aus den Herrn.

An einem andern Tage spielten Jesus und mehrere Kinder aus der Terrasse eines Hauses, und da sie spielend einander stießen, so geschah es, daß eines von den Kindern vom Dache herabfiel und todt war.

Da entflohen alle Kinder mit Ausnahme von Jesus, der bei dem Todten blieb.

Sogleich liefen die Eltern von diesem herbei, packten Jesus und riefen:

»Du hast unser Kind vom Dache herabgestürzt.«

Und als Jesus leugnete, schrieen sie Rache verlangend noch stärker:

»Unser Kind ist todt, und dieser hat es getödtet!«

Da erwiederte Jesus:

»Ich begreife Euren Schmerz, doch dieser Schmerz soll Euch nicht dergestalt verblenden, das, Ihr mich eines Verbrechens bezichtigt, welches ich nicht begangen, und für das Ihr keinen Beweis habt; fragen wir lieber dieses Kind, daß es selbst die Wahrheit an den Tag bringe.«

Und er stellte sich zum Haupte des Kindes und fragte: .

»Zenin! Zenin! wer hat Dich vom Dache gestürzt?«

Und der Todte erhob sich auf seinen Ellenbogen und antwortete:

»Herr, nicht Du bist die Ursache meines Falles; es ist ein Anderer von unseren Gespielen, der mich vom Dache herabgestürzt hat.«

Und nachdem der Knabe diese Worte gesprochen, fiel er wieder todt zurück.

Da begleiteten alle die, welche gegenwärtig waren, Jesus bis zum Hause von Joseph und priesen und verherrlichten ihn.

Wieder an einem Tage kam Jesus, der mit den andern Knaben spielte und lief, an der Werkstätte eines Färbers Namens Salem vorüber. In dieser Werkstätte war eine große Anzahl von Stoffen, verschiedenen Bürgern der Stadt gehörig, welche Salem zu färben sich anschickte. Jesus trat in die Werkstätte des Färbers ein, nahm alle Stoffe und warf sie in einen Kessel.

Da wandte sich Salem, der alle diese Stoffe für verloren hielt, um, fing an Jesus Vorwürfe zu machen und rief: »Was hast Du gethan, o Sohn Mariä? Du hast Schaden angerichtet mir und meinen Mitbürgern: Jeder wollte eine andere Farbe, und Du hast die Stoffe geworfen in einen Kessel, der sie färben wird alle mit derselben Farbe.«

Jesus aber antwortete:

Verlange für jeden Stoff die Farbe, die Du haben willst.«

Und er zog die Stoffe aus dem Kessel, und jeder war gefärbt mit der Farbe, welche Salem wünschte.

Joseph nahm seine Maße, ging nach Hause und arbeitete an seinem Zimmerwerk; doch ohne Zweifel waren die Maße ungenau, und als er nach Verlauf von zwei Jahren seine Arbeit beendigt hatte, fand es sich, daß das Zimmerwerk um eine halbe Elle zu kurz war; sobald der König dies sah, gerieth er sehr in Zorn gegen Joseph und bedrohte ihn dergestalt, daß dieser ganz erschrocken in seine Werkstätte kam, alle Speise zurückwies und nahe daran war, nüchtern zu Bette zu gehen.

Als Jesus diese große Traurigkeit sah, fragte er ihn:

»Was hast Du, Vater?«

»Ich habe meine Maße schlecht genommen, das Werk, an welchem ich zwei Jahre gearbeitet, ist verdorben, und, was noch schlimmer, der König ist sehr zornig gegen mich.«

Jesus aber versetzte lächelnd:

»Erhole Dich von Deiner Angst und laß den Muth nicht sinken . . . Nimm den Thron auf einer Seite, ich werde ihn ans der andern nehmen, und wir ziehen ihn Beide an uns, bis er das verlangte Maß hat.«