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Sechstes Kapitel.

Wehe, Jerusalem!

Das Gerücht von diesen Wundern hatte sich nicht nur in Jerusalem, sondern auch in der ganzen Umgegend verbreitet, und man lief herbei von allen Seiten, – von Gethsemane, von Anathot, von Bethel, von Silo, von Gabaon, von Emmaus, von Bethlehem, von Hebron und sogar von Samaria, um Lazarus zu sehen, zu berühren, und als sie gesehen und berührt hatten, zweifelten noch Viele an ihren Augen; diejenigen besonders, welche ihn zu Grabe begleitet hatten, wiederholten unablässig:



»Wir haben ihn sterben sehen! wir haben ihn beerdigen sehen!«



So groß aber die Freude über dieses Wunder unter dem Volke war, ebenso mächtig war die Bestürzung unter den Pharisäern, gegen die hauptsächlich Jesus predigte, und unter den Herodianern, welche, Alles dem Tetrarchen Herodes verdankend, der Alles den Römern verdankte, fortwährend befürchteten, ein neuer Judas Maccabäus werde die Juden vom Joche der Fremden befreien.



Dieses Joch war schmählich, aber golden.



Die Pharisäer sprachen:



»Mißtrauen wir diesem Menschen, der Wunder thut, die keiner von uns thun kann!«



Die Herodianer sprachen:



»Nimmt man diesen Menschen in Verhaft, so wird eine neue Empörung in Judäa ausbrechen, und die Römer werden kommen und die Stadt verwüsten.«



Doch nur die Reichen befürchteten: – wie Jesus gesagt hatte: sie besaßen nicht den Reichthum, der Reichthum besaß sie.



Von diesem Augenblicke an waren Pharisäer und Herodianer nur noch aus Eines bedacht; daraus, daß sie denjenigen wollten sterben lassen, den die Pharisäer einen Gotteslästerer, die Herodianer einen Meuterer nannten.



Sie hatten für sich den Oberpriester Caiphas, der ihnen den Tod des Schuldigen versprach.



Doch vergebens suchten sie Jesus in Jerusalem und in der Umgegend. Jesus war, wie gesagt, in Ephraim, an der Grenze der Wüste, wo er die Stunde seines Todes erwartete.



Die Stunde kam; das Osterfest war naht, und Jesus sprach:



»Laßt uns nach Jerusalem gehen!«



Er mußte wieder durch Samaria ziehen.



Nach Jerusalem gehen, um dort Ostern zu halten, hieß aber mehr als je sich zum Juden und Antisamariter erklären.



In der ersten Stadt, in die Jesus mit seinen Jüngern kam, verweigerte man ihm auch die Gastfreundschaft.



Als die Apostel dies sahen, sprachen sie, da sie die Schmach, die ihrem Meister angethan worden, nicht ertragen konnten:



»Herr, sollen wir dem himmlischen Feuer gebieten, herabzukommen und diese Stadt zu verzehren?«



Jesus lächelte, denn er sah, daß die Apostel seine Macht zu kennen und die ihrige zu messen ansingen, doch auf der Stelle verwies er es ihnen, daß sie sich hatten vom Zorne hinreißen lassen, und sprach:



»Es ist nicht mein Geist, der Euch dies eingegeben: der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um die Menschen zu verderben, sondern um sie zu erlösen!«



Sie zogen weiter gen Jerusalem.



Eine Meile von der Stadt hielt Jesus an und sprach:



»Dies Mal werden alle Dinge, die die Propheten geweissagt, in Erfüllung gehen. Höret, damit Jeder von Euch wisse, wohin er geht. Der Sohn des Menschen wird überliefert werden den Hohenpriestern, den Schriftgelehrten, den Alten; sie werden ihn zum Tode verurtheilen und den Heiden überantworten; sie werden ihn verspotten, sie werden ihm ins Gesicht speien, sie werden ihn geißeln, doch am dritten Tage wird er auferstehen.«



Und der Glaube an diese Auferstehung war unter gewissen Aposteln so groß, daß zwei von ihnen zu Jesus traten und zu ihm sprachen:



»Meister, wir wünschen, daß Du gewährest, um was wir Dich zu bitten haben.«



»Was wünschet Ihr, daß Euch derjenige gewähre, welcher sterben soll?«



»Gewähre uns,« erwiederten sie, »daß wir in unserer Herrlichkeit sitzen der Eine zu Deiner Rechten, der Andere zu Deiner Linken.«



»Eure Bitte ist gewährt, weil Ihr den Glauben habt,« sprach Christus.



Am Freitag, – acht Tage vor dem, aus welchem der Tod Christi den Charfreitag machen sollte, – kam man nach Bethania; die Jünger waren Jesus voran gegangen, und das Abendmahl harrte seiner bei eben dem Simon, bei welchem er schon einmal gegessen hatte.



Jeder setzte sich zu Tische, als man ankam; doch da die Weiber nicht essen konnten mit den Männern, setzte sich Magdalena, während Martha den Sorgen der Bedienung oblag, auf die Erde zu den Füßen des Herrn und verschlang jedes Wort, das aus seinem Munde kam.



So daß Martha sie fragte:



»Was machst Du da, Magdalena, daß Du so Deine Zeit verlierst, statt mir zu helfen?«



»Ich höre,« antwortete Magdalena.



Und als sie mit den Augen Jesus um Rath fragte, um zu wissen, ob sie aufstehen und ihrer Schwester helfen oder bei Jesus sitzen bleiben und hören sollte, da sprach Jesus: Bleibe, mein Kind, Du hast das bessere Theil erwählt.«



Magdalena hörte also beständig.



Am Ende des Mahles aber stand sie auf, ging hinaus, kam sogleich wieder zurück und brachte in einem alabasternen Gefäße ein Pfund köstliche Narde und salbte damit die Füße von Jesus, die sie sodann, wie das erste Mal, mit ihren Haaren trocknete.



Wonach sie das Gefäß, welches doppelt so viel werth war, als die Salbe, zerbrach und den Ueberrest der Salbe auf dem Haupte von Christus verbreitete.



Da sprach einer von seinen Jüngern, Judas, der sich einer Regung des Neides nicht erwehren konnte:



»Ist es nicht eine Sünde, eine solche Salbe so zu verschwenden und ein solches Gefäß zu zerbrechen? man hätte das um dreihundert Groschen verkaufen und diese dreihundert Groschen den Armen geben können!«



Jesus schaute Judas traurig an, denn er sah, was in seinem Herzen vorging, und daß er nicht zum Vortheile der Armen sprach, sondern für seine Hoffart.



Dann sagte Jesus mit einer Stimme, deren Ausdruck so schwermüthig war, daß Einigen die Thränen in die Augen traten:



»Judas, laß diese Frau im Frieden! Ein guter Gedanke leitet sie. Ihr habt allezeit Arme unter Euch und könnt sie immer erleichtern, mich aber habt Ihr nicht allezeit . . . Diese Salbe hatte sie behalten zu meinem Begräbniß, und sie hat meinen Leib zum Voraus balsamirt . . . Dank Dir, Magdalena.«



Diejenigen, welchen Jesus seinen Tod geweissagt, begriffen allein; Magdalena aber begriff nicht; sie schaute Jesus voll Bangigkeit an und fragte:



»Was sagst Du, Herr Jesus?«



»Warte, und Du wirst sehen; und Dir, das gelobe ich Dir, arme Sünderin, werde ich zuerst erscheinen zum Lohne für den großen Schmerz, den ich Dich lasse erdulden.«



»Ich verstehe nicht,« erwiederte Magdalena, »doch ich brauche Dich nicht zu verstehen, »a ich den Glauben an Dich habe, o Herr.«



Jesus brachte den Sabbath mit Martha, Magdalena und Lazarus zu; am Sonntag Morgen aber begab er sich auf den Weg. Die vielen Fremden, welche unablässig nach Bethania kamen, hatten das Gerücht von seinem Einzuge in Jerusalem verbreitet und die ganze Volksmenge vor die Thore getrieben.



Lazarus bot Jesus ein Roß an; Jesus aber antwortete:



»Das Roß ist das Sinnbild des Krieges, und ich komme nicht, um den Krieg, sondern um den Frieden zu bringen; auch harret meiner ein Thier im Dorfe Bethphage.«



Und er begab sich auf den Weg.



Als man in der Nähe von Bethphage war, rief er zwei von seinen Jüngern und sprach zu ihnen:



»Gehet in dieses Dorf, das vor Euch ist; Ihr werdet dort finden eine Eselin und ein Eselsfüllen: bringt sie mir.«



»Aber wenn der Eigenthümer sich widersetzt, daß wir sie wegführen?« fragte einer von denjenigen, welche Jesus absandte.



»Dann antwortet: der Herr bedarf ihrer; und er wird sie gehen lassen,« sagte Jesus.



Die zwei Jünger gingen voran und brachten nach kurzer Zeit die Eselin und das Eselsfüllen.



Die Apostel bedeckten das Eselsfüllen mit ihren Kleidern, und Jesus setzte sich darauf, während das übrige Volk den Messias verherrlichte, Jeder auf seine Weise, die Einen, indem sie ihre Mäntel unter seinen Füßen ausbreiteten, die Andern, indem sie Palmen von den Bäumen hieben, wieder Andere, indem sie Blumen pflückten und sie auf seinen Weg streuten; Alle aber riefen: Hosianna!



Als er bei einem Felsen angelangt war, der die Stadt beherrschte, blieb er stehen, schaute gen Jerusalem und sprach, Thränen vergießend:



»O Jerusalem, wenn du wenigstens an diesem Tage der Gnade, der dir gegeben ist, erkennetest den, der dir den Frieden bringt! Doch nein, du hast einen Schleier auf den Augen, o Jerusalem! blinde Stadt, der ich das Licht nicht zu geben vermag! Du wirst auch sehen die Unglückstage, wo dich die Feinde umgeben werden und einschließen von allen Seiten, wo sie dich werden nehmen und, nachdem sie dich genommen, der Erde gleich machen und vertilgen dich und deine Kinder. Und sind diese Tage gekommen, so wird von Dir nicht bleiben ein Stein auf dem andern, weil du die Zeit nicht erkannt, o, Jerusalem, wo Gott dich besuchet.«



Und von diesem Tage an nannte man Fels der

Weissagung

 den Felsen, wo Jesus diese Worte gesprochen.



Jesus ging weiter und schritt über die Brücke des Kidron; da aber kamen ihm Einige, die ihn erwarteten, entgegen und sprachen:



»Herr, wie wirst Du es machen, um in die Stadt einzugehen? Siehe, man hat die Thore hinter uns geschlossen.«



Und Jesus antwortete:



»Gehen wir immerhin! Der Mensch mag mich nicht kennen, aber das Holz, das Feuer kennen mich: das Thor, an dem ich erscheine, wird sich von selbst öffnen.«



Da trat er gerade auf das Goldene Thor zu, unter mehr als zehntausend Personen, welche sein Gefolge bildeten.



Und kaum war er noch zwanzig Schritte davon entfernt, als sich die vier Flügel von selbst öffneten, denn das Thor war doppelt, und man trat in die Stadt auf dieser Seite unter zwei, durch einen Pfeiler getrennten, Gewölben durchgehend ein.



Als das Volk die Thore sich von selbst öffnen sah, erhob es ein gewaltiges Geschrei der Freude und des Triumphes; denn das Volk triumphirte in der Person dieses Siegers, der als Reitthier das Symbol der Mäßigkeit und der Geduld genommen hatte.

 



Da wurden mehr als je die Palmen in den Lüften geschwungen, die Blumen auf die Straße gestreut, die Mäntel auf den Weg gelegt, mehr als je erscholl der Ruf:



»Ehre sei Gott in der Höhe! Gepriesen sei der, welcher kommt im Namen des Herrn!«



Und durch diese doppelte Oeffnung verbreitete sich die Menge, an deren Spitze Jesus ritt, in der Stadt. Christus machte den Weg um den Tempel, dann durch das östliche Thor, kam zwischen dem Theater und dem Palaste der Maccabäer durch, zog sich längs dem Berge Akra hin, vermied Zion, wo die Paläste von Annas und von Caiphas waren, und wo seine Gegenwart hätte Unruhen erregen können gelangte von der inneren Stadt in die zweite Stadt, von der zweiten Stadt nach Bezetha, und kehrte durch den Palast von Pilatus zum Tempel zurück.



Diejenigen, welche noch nichts von Jesus wußten, – und dies waren meistens in Jerusalem fremde Leute, – fragten mit Erstaunen:



»Wer ist denn dieser Mensch, dem alles Volk nachläuft und zuruft?«



Und diejenigen, welche ihn begleiteten, antworteten:



»Es ist Jesus, der Prophet von Nazareth in Galiläa.«



Da verdoppelten sich das Geschrei und das Zujauchzen: die jungen Leute liefen, die Greise schleppten sich, und die Kinder, selbst die kleinsten, – diese Kinder, welche Christus immer hatte zu sich kommen lassen, – schlossen sich den Männern, den Weibern, den Greisen an und riefen:



»Ehre sei dem Sohne Davids! Gesegnet sei derjenige, welcher kommt im Namen des Herrn! Gepriesen sei der König von Israel!«



Und fand sich in der Menge, welche Jesus nachlief, ein Blinder, so wurde der Blinde sehend; hatte ein Hinkender Mühe, ihm zu folgen, so ward der Hinkende geheilt; brachte man einen Lahmen vor seine Thüre, so stand der lahme auf; traf sich aus dem Wege Christi ein Stummer und rief ihm im Geiste zu, so löste sich seine Zunge.



Und zur Verwunderung von denjenigen, die ihn nie ein Wort hatten aussprechen hören, rief er so laut als die Anderen:



»Ehre sei dem Sohne Davids! Gesegnet sei der, welcher kommt im Namen des Herrn! Gepriesen sei der König von Israel!«



Und man sah mit Mühe die Hohenpriester, die Schriftgelehrten und die Pharisäer sich aus der Menge hinausarbeiten, und sie verhüllten sich mit ihren Mänteln das Gesicht, entfernten sich ganz bestürzt und sprachen:



»Oh! wir werden nichts gewinnen gegen diesen Menschen, denn er thut nun so viel Wunder, daß ihm alle Welt nachläuft.«



Und Einige hatten die Dreistigkeit, auf Jesus zuzugehen und zu ihm zu sagen:



»Mache doch, daß diese Kinder schweigen, die Dich loben, als ob Du ein Gott wärest.«



Jesus aber antwortete ihnen:



»Habt Ihr nicht gelesen im Propheten: . . . Er wird das Lob ziehen aus dem Munde der kleinen Kinder und der Säuglinge, und wenn die Kinder schweigen, werden die Steine finden eine Stimme und sich hörbar machen an ihrer Stelle.««



Man führte Jesus wieder in den Tempel, und als er in den zweiten Vorhof eingetreten war, gruppirten sich Alle um ihn und riefen ihm zu:



»Sprich, Meister, sprich, lehre uns; sage uns, was wir denken sollen von den Pharisäern und Schriftgelehrten?«



Und Jesus, der bis dahin seine Feinde anzugreifen und sogar, wenn sie ihn angriffen, sich zu vertheidigen gezögert hatte, antwortete:



»Es ist in der That gekommen die Zeit: höret also, da Ihr hören wollt! sehet also, da Ihr sehen wollt.«



Da gab er seiner Stimme den mächtigen Ton, den er anzunehmen mußte, wenn er vom Wohlwollen zur Drohung und von der Drohung zur Verfluchung überging, und fuhr fort:



»Ihr wollt wissen, was ich von den Pharisäern und den Schriftgelehrten denke? Nun wohl! ich will es Euch sagen.«



Es trat eine tiefe Stille im Volke ein: man sollte zu ihm von seinen Feinden reden.



»Die Schriftgelehrten und die Pharisäer,« sprach Jesus, »haben sich auf Moses Stuhl gesetzt: haltet nur ihre Vorschriften, befolget ihre Lehren, thut aber Alles, was sie Euch sagen, daß Ihr thun sollt, und nicht das, was sie thun, denn sie sagen und thun nicht, oder wenn sie thun, thun sie das Gegentheil von dem, was sie sagen . . . Sie binden schwere, unerträgliche Bürden auf und legen sie auf die Schultern ihrer Brüder, wollen dieselben aber nicht mit einem Finger anrühren; sie thun alle ihre Werke, um von den Menschen gesehen zu werden, und nicht, um von Gott gesehen zu werden; sie sitzen gern oben am Tische; sie nehmen den ersten Sitz in den Schulen ein und warten nicht, daß man ihnen sagt: setzet Euch dahin oder setzet Euch dorthin; sie haben es gern, daß man sie grünt auf den Straßen, und daß sie Herr genannt werden von denen, die nicht ihre Knechte sind. Oh! meine Brüder!« fuhr Christus fort, indem er sich an seine Jünger wandte, »fliehet dieses Beispiel! Laßt Euch nicht Herr nennen, denn Einer ist Euer Herr, Ihr aber seid alle seine Brüder, und soll keiner Vater heißen auf Erden, denn Ihr habt nur einen Vater, der im Himmel ist! Wer sich für den Größten hält unter Euch, soll Euer Diener sein; denn wer sich selbst erhöht, wird erniedriget, und wer sich selbst erniedriget, wird erhöht.«



So sprach Jesus noch lange in seiner tiefen Entrüstung gegen die Heuchler und falschen Priester.



Dann aber, als hätte ihn ein so langes Verfluchen zu sehr angegriffen, hielt Jesus inne und sank auf eine Bank.



Da trat ein Mensch auf Jesus zu und sagte zu ihm:



»Meister, der Du uns so viele Dinge gelehrt hast, lehre uns auch noch dieses: Soll man dem Kaiser den Zins bezahlen oder nicht?«



Jesus sah sogleich ein, daß dieser Mensch seine Frage nicht von sich selbst an ihn machte, sondern daß er an ihn abgeschickt war von seinen Gegnern und Verfolgern.



Denn wenn Jesus wirklich sagte: »Zahlet den Zins,« so war er der Feind des Volks, das der Tribut zu Grunde richtete; rieth er im Gegentheil, dem Kaiser den Zins nicht zu bezahlen, so erklärte sich Jesus zum Feinde des Kaisers, und empörte sich gegen diesen.



Jesus aber antwortete:



»Mein Freund, weise mir eine Münze.«



Und der Mensch zog aus seiner Tasche ein Geldstück und zeigte es Jesus.



Da fragte ihn Jesus:



»Weß ist das Bild dieser Münze?«



»Des Kaisers.»



»Nun wohl,« sprach Christus, »so gebet dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist.«



Und er stand auf und kehrte nach Bethania zurück.



Und so kam er alle Morgen herab, nachdem er die Nacht auf dem Oelberge, unter den Gräbern des Volks, zugebracht, wohin ihm, wie man sagte, die Engel des Herrn das Wort seines Vaters brachten.



Am letzten Tage war der Zudrang so groß, man rief so laut:



»Es lebe Jesus, der König der Juden!« daß die Pharisäer erschrocken zu Caiphas liefen, und daß Caiphas die Hohenpriester und die Alten des Volkes zu sich berief, um Rath zu halten.



Der Rath ging um elf Uhr Abends zu Ende.



Am Donnerstag kam Jesus nicht nach Jerusalem, sondern er sagte nur zu seinen zwei Jüngern Petrus und Johannes:



»Tretet heute Abend ein in die Stadt durch das Wasserthor, nehmt den Steig von Zion und geht gerade aus, bis Ihr einen Mann getroffen, der einen Krug voll Wasser auf seiner Schulter trägt; folgt diesem Manne, tretet mit ihm ein, wo er eintreten wird, und sagt zu dem Herrn dieses Hauses, Jesus von Nazareth richte an ihn folgende Worte: »»Meine Zeit ist nahe, ich will bei Dir Ostern halten mit meinen Jüngern.««




Siebentes Kapitel.

Mater amaritudinis plena

Das gewöhnliche Gefolge von Jesus bestand ans seinen Schülern, von denen wir schon gesprochen, und den Frauen, welche die Schrift die

heiligen Frauen

 nennt.



Die heiligen Frauen, das war vor Allem die Jungfrau Maria, welche seit der Hochzeit von Canaan ihren Sohn nicht mehr verlassen, und dieser hatte sie bei sich behalten, als ob er, wissend, wie wenig ihm auf dieser Welt noch Zeit blieb für die kindliche Liebe, nicht ein Theilchen von dieser Zeit hätte wollen verlieren; es war Maria Magdalena, die schöne Sünderin, welche Christus in seiner zarten Barmherzigkeit in die Nähe seiner Mutter gebracht hatte, um sie zu reinigen durch die Berührung mit derjenigen, welche nie gefehlt; es war Johanna, die Frau von Chusa, dem Intendanten des Hauses von Herodes; es war Maria, die Nichte der Jungfrau und Tochter von Cleophas; es war Martha, die Schwester von Magdalena und von Lazarus; es war Maria, die Mutter von Marcus, und noch einige Andere, deren Namen nicht zu uns gelangt sind.



Diese Frauengruppe erscheint vielleicht seltsam im Gefolge von Jesus, doch abgesehen davon, daß es bei den Juden gebräuchlich war, daß die Frauen, und besonders die Witwen, ihren Lehrern folgten, hatte das Wort Christi einen so milden, so zarten, so überzeugenden Ausdruck, seine Moral, welche voll von Mitleid, Liebe und Barmherzigkeit, ging so gut zum Herzen der Frauen, daß man sich nicht darüber wundern durfte, wenn sie demjenigen folgten, welcher die Tochter Jairi auferweckt, Magdalena vergeben und die Ehebrecherin gerettet hatte. Andererseits war in Jesus etwas so Schwermüthiges, so Liebliches, beinahe Weibliches, was seinem Geiste und seiner Rede einen unwiderstehlichen Reiz verlieh, – einen Reiz, der, wie wir schon gesagt, sich ganz besonders auf die Frauen ausübte, aber zugleich so gebietend auf ihr Gefühl wirkte, daß er eine Kraft göttlicher Keuschheit erweckte.



Die Anbetung von Magdalena allein für Christus hatte eine irdische Färbung behalten. Magdalena liebte in der That ihren göttlichen Erlöser mit dem Ungestüm ihrer Natur, alle ihre Liebesgefühle hatten sich in einem einzigen zusammengedrängt, und diese Liebe war unendlich, unermeßlich.



Oft verwies sie ihr Jesus mit einem Lächeln, mit einem Worte, mit einem Blicke, und dann stürzte die arme Sünderin Christus zu Füßen und vergoß, die Stirne im Staube, Thränen, von denen sie glaubte, es seien Thränen der Reue, während es nur Thränen der Liebe waren.



Und nach seiner sanften Mutter war es Magdalena, welche Jesus am meisten unter den frommen Frauen liebte, wie es Johannes war, den er am meisten unter seinen Jüngern liebte.



Unter dieser Umgebung kehrte Jesus nach Jerusalem zurück, und bei dem Getöse dieses großen Tages schenkte man ihm nicht mehr Aufmerksamkeit, als man Petrus und Johannes geschenkt hatte.



Als sie an die westliche Ecke der Festung gekommen waren, trennte sich das Gefolge von Jesus in zwei Gruppen: die eine, bestehend aus den heiligen Frauen unter Anführung der Jungfrau Maria, verlor sich in einem in den Schatten des Berges Zion getauchten kleinen Hause, wahrend die andere, welche Jesus und seine Jünger bildeten, in das Haus von Heli eintrat.



Jesus sollte das Lamm schlachten.



Man reichte ihm das Opfermesser, und während Johannes den Kopf des Thieres zurückdrückte, um die Halsader frei zu legen, sprach Jesus leise, indem er das Lamm anschaute:



»So werde ich an die Säule gebunden sein, denn ich bin, wie Johannes der Täufer gesagt hat, das wahre Lamm Gottes!«



Und das kleine Lamm blökte traurig.



Jesus seufzte: er schien einen großen Widerwillen gegen die Verwundung des armen Thieres zu empfinden; er that es indessen, jedoch rasch und mit tiefem Bedauern; dann wandte er sogleich die Augen ab; bald darauf, aber sprach er:



»Brüder, wahrlich ich sage Euch, das Opfer von Moses und das Bild des Osterlamms werden ihre Erfüllung finden, und nicht nur die Kinder Israels sondern auch die von allen Nationen sollen dies Mal wirklich aus dem Hause der Knechtschaft hervorgehen.«



Dann schaute Jesus umher, erforschte mit den Augen die Tiefen des Saales und fragte:



»Seid ihr alle versammelt?«



»Ja, alle,« antwortete Petrus.



»Mit Ausnahme von Judas,« sagte Johannes.



»Wer weiß, wo er ist?« sprach Jesus.



Die Jünger und die Apostel schauten einander fragend an.



Keiner von uns weiß es,« erwiederte Johannes.



»Er hat uns verlassen, ein wenig ehe Petrus und ich nach Jerusalem abgingen. Wir glaubten, da wir ihn nicht sahen, Du habest ihm einen Auftrag gegeben.«



»Nein,« versetzte Jesus traurig, »und zu dieser Stunde gehorcht er einem Andern als mir . . . Doch ich danke ihm, daß er mir läßt einen Augenblick, um von meiner Mutter Abschied zu nehmen. Vollendet also die Vorbereitungen zum Mahle; kommt Judas wieder, so werde ich hinter ihm eintreten.«



Jesus ging hinaus und wandte sich nach dem von uns bezeichneten kleinen Hause, wo die heiligen Frauen mit einander speisen sollten.



In der Hausflur traf Jesus Magdalena.



»Was machst Du da, mein Kind?« fragte er sie.



»Ich fühlte, daß Du kommest, o Herr,« antwortete Magdalena, »und ich ging Dir entgegen.«



Jesus reichte ihr seine Hand zum Kusse.

 



Sie ergriff diese göttliche Hand und drückte voll Leidenschaft ihre Lippen darauf.



»Magdalena!« sagte Jesus.



»Mein Herr?« versetzte die Sünderin erröthend.



»Wo ist meine Mutter?«



»Sie hat uns einen Augenblick verlassen und ist im Garten.«



»Es ist gut,« sprach Jesus; »ich gehe dahin.«



»Laß mich Dir den Weg zeigen, Meister,»rief Magdalena voraneilend.



»Ich kenne alle Wege,« sagte Jesus.



Magdalena blieb demüthig und traurig stehen.



Jesus schaute sie mit einem tiefen Mitleid an; dann sprach er mit einer Stimme so sanft wie der Seufzer einer Blume:



»Zeige mir den Weg.«



Magdalena gab einen Freudenschrei von sich und ging voran.



Jesus durchschritt den Saal, wo der Tisch durch die Sorge von Martha gedeckt war.



Die heiligen Frauen saßen und plauderten.



Sie standen auf, als sie Jesus sahen.



Die Jungfrau war, wie Magdalena gesagt hatte, nicht unter ihnen, Jesus, dem Magdalena voranschritt, ging weiter und trat in den Garten ein.



Dann konnte man die Pflanzen, die sich in der Finsternis! neigen, wie es die Vögel thun, die, um zu schlafen, den Kopf unter ihren Flügel stecken, sich wieder erheben sehen, denn sie meinten ohne Zweifel, es komme die Morgenröthe; da öffneten sich die Blumen, die sich bei Nacht zuthun, wie die Augen der Menschen, und verbreiteten ihre Wohlgerüche, die sie bis zum Anbruche des Tages in ihre Kelche eingeschlossen glaubten.



Jesus sah seine heilige Mutter, welche unter einem Terpentinbaum betete.



Er hielt Magdalena zurück und ging aus Maria mit einem so leichten Schritte zu, daß sie ihn nicht kommen hörte.



Jesus betrachtete einen Augenblick die Jungfrau mit einer tiefen Traurigkeit; dann sprach er mit j einer sanftesten Stimme:



»Meine Mutter!«



Maria schauerte bis in ihr Innerstes, wie an dem Tage, wo sie die Stimme des Engels gehört hatte.



»Oh! mein Sohn!« rief sie.



Und sie streckte ihre Arme gegen Jesus aus.



Jesus hob sie aus und führte sie zu einer Bank, aus welche die Jungfrau sich setzte oder vielmehr sank, ohne mit den Augen ihren göttlichen Sohn zu verlassen.



Belebt von einer unbestimmten Furcht, glänzend von mütterlicher Liebe, hatte das Antlitz der Jungfrau in diesem Augenblick etwas wahrhaft Himmlisches.



Gott hatte auch gestattet, daß sie zum Merkmal ihrer Reinheit jung und schön blieb. Sie schien kaum das Alter ihres Sohnes zu haben, und keine Frau Jerusalems, Judäas, der Welt konnte mit ihr in der Schönheit verglichen werden.



»O mein Sohn,« sagte sie, »Du hast also an mich gedacht?«



»Ich habe gesehen, was in Deinem Herzen vorgeht, meine Mutter,« sprach Jesus, »und hier bin ich.«



»Wenn Du gesehen hast, was in meinem Herzen vorgeht, so hast Du meine Bangigkeiten gesehen.«



»Ja, meine Mutter.«



»Du weißt, um was ich Gott bat?«



»Daß er mir den Gedanken eingebe, Jerusalem zu verlassen.«



»Oh! ja, mein geliebter Sohn, verlasse Jerusalem! Kehren wir nach Nazareth zurück! fliehen wir nach Aegypten, wenn es sein muß.«



»Meine Mutter,« sprach Jesus, indem er sanft die Hand der Jungfrau ergriff, »die Zeit ist gekommen, und ich darf nicht mehr fliehen die Gefahr, sondern ich muß ihr entgegen gehen.«



Ein Schauer durchlief den ganzen Leib der Jungfrau.



»Höre,« sagte sie: »Du hast oft, aber unbestimmt, von diesem Tage der Gefahr gesprochen, als Kind in Aegypten, als Jüngling in Jerusalem, als Mann an den Ufern des Sees Genezareth; oft hast Du in Deinen Reden an die Jünger die Worte: Opfer, Opferung, Martertod wiederholt, und so oft etwas Solches aus Deinem Munde kam, erbebte ich bis in die Tiefe der Seele; sagtest Du mir aber: »»Komm mit mir, meine Mutter,«« da war ich wieder beruhigt, denn ich dachte, wenn mein geliebtes Kind einer Todesgefahr preisgegeben sei, werde es nicht zu seiner Mutter sagen: »»Komm mit mir!««



»Doch, im Gegentheil, ich sagte zu Dir: »»Komm mit mir,«« weil ich, da ich Dich bald verlassen muß, keinen von den Augenblicken verlieren wollte, welche bei Dir zu bleiben mir gegönnt war.«



Das Gesicht der Jungfrau nahm die Farbe des weißen Mantels an, der ihren Kopf bedeckte.



»Mein Sohn,« sprach sie, »im Namen der Thränen der Glückseligkeit, die ich vergoß, als mir die Engel verkündigten, ich habe Dich in meinem Schooße empfangen; im Namen der himmlischen Freuden, die meine Seele überströmten, als ich Dich mir in der Grotte von Bethlehem bei Deiner Geburt zulächeln sah; im Namen des Stolzes, den ich empfand, als die Hirten und die Weisen kamen, um Dich in der Wiege anzubeten; im Namen des unbekannten Glückes, das mich erfüllte, als ich, nachdem ich Dich drei lange Tage verloren hatte, Dich im Tempel wiederfand, umgeben von Schriftgelehrten, deren Wissenschaft sich demüthigte vor dem göttlichen Wissen meines Kindes; im Namen des heiligen Geistes, der in Dir wohnt und aus Dir den Wohlthäter der Menschheit macht, versprich Deiner Mutter, daß sie Dir ins Grab vorangehen wird.«



»Meine Mutter,« sprach Jesus, »die Erde war noch ungestalt und wüste, die Finsterniß bedeckte noch den Abgrund, der Mann und die Frau waren nur im Gedanken des Schöpfers vorhanden, als in Uebereinstimmung mit mir und dem heiligen Geiste mein Vater beschloß, ein zweites Mal das Bild seiner Gottheit im gefallenen Menschen zu Fleisch werden zu lassen. Es sind aber mehr als viertausend Jahre verlaufen, während welcher, – Du weißt es, o mein Vater! Du weißt es, o Himmel! Ihr wißt es, Ihr Sterne und Ihr Sonnen, die Ihr gleichzeitig mit der Schöpfung! – während Welcher ich geseufzt habe nach meiner Erniedrigung, die die Menschen erlösen sollte. . . . Der so sehr ersehnte Tag, da ich Mensch werden sollte, ist endlich gekommen; seit dreiunddreißig Jahren preise ich darüber den Herrn. In der vergangenen Nacht nun auf dem Oelberge, wo ich betete und an den Schmerz dachte, den mein Tod Dir bereiten würde, meine Mutter, sagte ich zu Gott: »»O mein Vater, gibt es denn, um das Werk des ewigen, des heiligen Bundes zu erfüllen, kein anderes Mittel, als die Opferung Deines Sohnes?«« Und Gott antwortete mir: »»Ich strecke mein Haupt über das Weltall aus und meinen Arm über die Unendlichkeit, und ich habe geschworen, o mein Sohn, ich, der ich der Ewige bin, daß die Sünden der Welt sollen gesühnet werden durch Deinen Tod!««



Die Jungfrau stieß einen so schmerzlichen Seufzer aus, daß die Luft, die Pflanzen, die Blumen mit ihr zu seufzen schienen.



»Meine Mutter,« fuhr Jesus fort, »denke doch an die unendliche Herrlichkeit, die Deinem Sohne bewahret ist; bis jetzt haben sich die Menschen geopfert für einen Menschen, für ein Volk; Dein Sohn opfert sich für die ganze Menschheit.«



»Ich denke, daß mein Sohn sterben soll, und es ist mir unmöglich, etwas Anderes zu bedenken,« sagte die Jungfrau mit einem herzzerreißenden Schluchzen.



»Meine Mutter,« erwiederte Jesus, »es ist wahr, ich werde sterben, doch wie ein Gott stirbt, um in drei Tagen wieder zum ewigen Leben zu erstehen.«



Maria schüttelte den Kopf und sprach:



»Oh! als mir der Engel verkündigte, ich sei erkoren unter den Frauen, und ich sollte Mutter werden eines Gottes, da dankte ich dem Herrn, und ich glaubte. . . Höre, was ich glaubte: Du werdest geboren werden mit allen Eigenschaften der Gottheit; aus meinem Schooße hervorgegangen, werdest Du wachsen so schnell als der Gedanke; so groß als die Welt, welche Dir gehören müsse, werdest Du bedecken mit einem von Deinen Füßen das Meer, mit dem andern die Erde; Du werdest halten mit Deiner rechten Hand die Sonne, während Du mit Deiner linken Hand das Himmelsgewölbe stützest. Dann hätte ich Dich erkannt als einen Gott und geliebt wie einen Gott. Doch es ist nicht so gewesen: Du bist in die Welt gekommen ähnlich den andern Kindern; ähnlich den andern Kindern hast Du damit angefangen, daß Du Deiner Mutter zugelächelt; Du hast Dich an ihren Busen gehängt und bist groß geworden aus ihrem Schooße; dann bist Du, langsam die Jugend durchschreitend, zum Manne geworden, und statt Dich anzubeten, wie ein schwaches Geschöpf seinen Gott anbetet, habe ich Dich geliebt, wie ein zärtliche Mutter ihr Kind liebt.«



»Oh! ja, meine Mutter,« erwiederte Jesus, »und sei gesegnet für diese Liebe, durch die ich mich während dieser dreiunddreißig Jahre nicht ein einziges Mal nach dem Himmel sehnte, obgleich mehr als einmal, – vergib, meine Mutter, – meine Sendung als Erlöser der ganzen Welt mich zwang, wenn ich mit Dir sprach, die große Menschenfamilie über die besondere Familie zu stellen. Ich mußte das Beispiel geben denen, zu welchen ich sagte: