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Urbi et Orbi

Während die Condottieri, die Wächter der alten Straße von der Casa Rotondo bis zum Thurme der Frangipani, sich mit einer Mischung von Neugierde und Schrecken fragten, ohne jedoch die Frage lösen zu können, wer der Mann sei, der alle Sprachen mit derselben Leichtigkeit spreche, als ob jede die seinige wäre; der die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte kenne, als ob er in allen Jahrhunderten gelebt hätte; der das Lager der vergrabenen Schätze so genau wisse, als oh von seiner Hand die Inschrift der Steine wäre, welche dieselben bedecken; der den Deckel eines mit eisernen Klammern festgehaltenen und mit römischem Cement bekleideten Grabes aufhebe, wie er es mit dem Deckel einer Kiste gethan hätte; der nach der Scheibe mit dem Bogen von Riesen schieße und auf dreihundert Schritte auf einen Schild die Figur des Kreuzes zeichne; der endlich unverwundbar mitten durch einen Hagel von Pfeilen einer ganzen Garnison gehe und, nachdem er vorbeigekommen, nur einfach seinen Mantel und seinen Leibrock schüttle, wanderte er, der geheimnißvolle Reisende, durch die Straßen von Rom, als ob er längst mit diesen Straßen vertraut gewesen wäre.

Nachdem er durch die Porta San Sebastiano eingetreten war, hatte er die Straße durch Ketten versperrt gefunden; diese Ketten gingen unten vom Triumphbogen von Drusus ans, welcher seltener Weise nach dem Tode des Helden, dem er Ehre anthun sollte, erbaut worden war; oben auf diesem Bogen, der die Siege des Vaters von Germanicus und Claudius über die Germanen bestätigte, hatten die Frangipani einen Thurm gebaut, und um die Reisenden durchziehen zu lassen, forderten sie einen Wegezoll, den sie mit den Mönchen von St. Gregor theilten; doch in Berücksichtigung der Feierlichkeit des Tages und besonders, weil ihnen der Pilger sagte, er sei schon von den Orsini, den Gaëtani und den Frangipani der Via Appia angehalten worden, ließen ihn die Frangipani des Triumphbogens von Drusus durch.

Einen Augenblick nachher traf er zu seiner Rechten die auf demselben Platze, wo das Wunder der Auferstehung von Napoleone Orsini stattgefunden, errichtete Kapelle; er ließ zu seiner Linken die Termen von Caracalla und gelangte in die Straße des großen Circus, welche auf beiden Seiten von den Ruinen des ungeheuren Gebäudes eingefaßt und damals noch von dem Triumphgewölbe beschattet war.

In diesem Circus gaben Cäsar und Pompejus ihre berühmten Thierjagden und ihre unvergleichlichen Gladiatorengefechte, blutige Feste, bei denen man an einem Tage dreihundert Löwen tödtete, mörderische Feierlichkeiten, wobei sich in einem einzigen Kampfe fünfhundert Gladiatoren umbrachten.

Der Reisende ging weiter.

Als er aus dem Circus hinaus trat, ließ er zu seiner Rechten die riesigen Trümmer des kaiserlichen Palastes; ferner zu seiner Linken den Tempel der Vesta; dann streifte er mit dem Ende seines Mantels an dem ganz frisch von Bildnershand geschmückten Hause von Colazzo Rienzi hin, das zu jener Zeit ein aus der geduldigen Arbeit der Chinesen hervorgegangenes Elfenbeinwerk zu sein scheinen mußte. Indem er immer weiter ging, kam er am Theater von Marcellus, einer der Festen der Savelli, vorüber; dann schlug er den Weg durch die Straße ein, welche am Theater von Pompejus, – dem Merkpunkte der Orsini in der Mitte von Rom, – hinlaufend, sich unmittelbar durch die Vallicella nach der Basilica von Constantin zog.

Je mehr man sich dem alten heiligen Gebäude näherte, das der gegenwärtigen Kirche um zwölf Jahrhunderte voranging, desto weniger war in den Straßen durchzukommen, wegen der hemmenden Zusammenschaarung, welche die Tausende von Gläubigen veranlaßten, die nicht nur von der Umgegend von Rom und den meisten Städten Italiens, sondern auch von allen Punkten der Welt herbeigeeilt waren, um den großen Segen zu empfangen. Nichtsdestoweniger fand unser Pilger da, wo jeder andere Reisende abzuhalten genöthigt gewesen wäre, Mittel, seines Weges zu gehen; wo Niemand hätte durchkommen können, wußte sich der Unbekannte Bahn zu brechen.

Er kam so bis in die Mitte des St. Peters-Platzes und drang in den großen Hof, ein mit allen Basiliken verbundenes Atrium, ein, welchen Hof man das Paradies nannte, und in dessen Mitte sich ein Springbrunnen erhob. Hier, und als er bis in die erste Reihe der Menge, die diesen Hof füllte, vorgedrungen war, blieb er endlich stehen. Das war gerade der Ort, wo sich einst der Eingang zum Circus von Nero befand, – ein unseliger Circus, in welchem so viele Christen umgekommen, von dem so viele Märtyrer zum Himmel aufgestiegen sind.

Vor dem Reisenden ragte endlich die Basilica mit ihren fünf Thüren empor.

Die erste nannte man die Thüre des Gerichts: das war die, durch welche die Todten kamen.

Die zweite hieß die Thüre von Ravenna: sie war in der That von der Colonie der Ravennesen geschenkt worden, welche am Fuße des Janiculus wohnten, und die man die Leute der Flotte nannte, weil sie die ganze Schifffahrt auf der Tiber betrieben.

Die dritte hieß die mittlere Thüre: ein Geschenk von Honorius I. und Leo IV, war sie einst von Silber gewesen, doch sie verschwand bei der Plünderung durch die Saracenen und wurde von Eugen IV. in Bronze wiederhergestellt.

Die vierte hieß die römische Thüre: sie hatte an ihrem Gibel verschiedene der Kirche geschenkte Ervoto, Ketten von Häfen, Schlösser von Citadellen, Fahnen, Schilde und sogar Rüstungen.

Die fünfte endlich hieß die heilige Thüre oder die Jubiläumsthüre, durch welche man nur alle fünfzig Jahre eintrat.

Nur die drei mittleren Thüren waren offen.

Durch diese drei Thüren sah man das Innere der Basilica, welche nach den ursprünglichen Formen fünf Reihen von Säulen mit ihren Kapellen rechts und links, dem Chor im Hintergrunde und in der Mitte des Chors die Vorstellung des heiligen Grabes, beleuchtet von fünfhundert siebenundsechzig brennenden Lampen, bot.

Die Cardinäle kamen zu zwei und zwei aus dem Hintergrunde der Basilica hervor; sie hatten in der Hand die Kerze und die Mitra, in der sie ihr rothes Käppchen aus Ehrfurcht vor dem heiligen Sacramente verbargen, das der Papst zu Fuße mit bloßem Haupte und unter einem von acht Bischöfen getragenen Prachthimmel einher schreitend, trug.

Als der Papst am Altar vorüberkam, stellte er das heilige Sacrament darauf und ging weiter gegen die Treppe, welche zu der ganz mit Damast ausgeschlagenen Loge des Segens führte.

In Erwartung des Papstes war die Loge des Segens leer.

Der Papst und sein Gefolge verschwanden; sie hatten die Treppe betreten.

Man hörte die Choristen das Pange lingua, diese schöne von Theodosius im Jahre 838 componirte Hymne, singen.

In diesem Augenblick sah man nicht nur im Hofe der Basilica, nicht nur auf dem St. Peters-Platze, sondern auch in den nach diesem Platze wie Strahlen eines Sternes auslaufenden Straßen ein Meer von Gläubigen, eine ungeheure Fluth, eine stürmische Woge, welche in einer einmüthigen Anstrengung mit solcher Gewalt gegen die Basilica hinanstieg, daß selbst die Hand Gottes sie festzustellen unvermögend zu sein schien.

Plötzlich öffnete sich die Loge des Segens.

Der Ocean blieb wie versteinert stehen; eine tiefe Stille trat unter diesen menschlichen Wogen ein; dreimal hunderttausend Christen beugten zu gleicher Zeit die Kniee.

Fünf Minuten vorher hätte man den in den Wolken hallenden Donner nicht vorüberziehen hören. Nun hörte man den Flug einer Taube, welche über den Platz flatterte und sich auf den spitzigen Giebel der Basilica setzte.

Papst Paul II, erschien, getragen auf einem Lehnstuhle, mit der Mitra auf dem Haupte, beschirmt von dem immer noch durch die acht Bischöfe unterstützten Himmel in der Loge des Segens.

Ein Cardinal kniete vor ihm nieder und reichte ihm ein Buch.

Ein anderer näherte sich, in der Hand eine angezündete Kerze haltend, von der Linken.

Da begann der Papst aus dem Buche zu lesen, und obgleich er seine Stimme nicht anstrengte, hörte man doch folgende Worte, welche vom Himmel herab zu kommen schienen:

»Die heiligen Apostel Peter und Paul, zu deren Macht und Ansehen wir alles Vertrauen haben, verwenden sich für uns in Person beim Throne Gottes.

»Amen!

»In Rücksicht auf die Gebete und die Verdienste der seligen Maria, welche immer Jungfrau, des seligen Erzengels Michael, des seligen Johannes des Täufers, der heiligen Apostel Peter und Paul und aller Heiligen erbarme sich der allmächtige Gott Eurer, und nach Erlassung Eurer Sünden führe Euch Jesus Christus zum ewigen Leben ein!

»Amen!

»Mögen Euch die Vergebung und Erlassung aller Eurer Sünden, die Zeit, eine gute und fruchtbare Buße zu thun, ein immer demüthiges und immer für die Reue bereites Herz, die Beharrlichkeit in den guten Werken vom allgütigen und allbarmherzigen Herrn bewilligt werden!

»Amen!

»Und der Segen des allmächtigen Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes steige auf Euch herab und bleibe auf Euch von Ewigkeit zu Ewigkeit.

»Amen!«

Als er diese letzten Worte sprach, stand der Papst auf, und während er den Namen von jeder der Personen der heiligen Dreieinigkeit nannte, machte er ein Kreuz über das Volk.

Sodann bei den Worten: »steige auf Euch herab und bleibe auf Euch von Ewigkeit zu Ewigkeit,« erhob er die Hände zum Himmel, zog sie wieder an seine Brust zurück und setzte sich.

Sogleich verlas ein Cardinal den den Anwesenden bewilligten vollen Ablaß und warf die Schrift auf den Platz hinab.

Dieses Pergament war das Trachten der dreimal-hunderttausend vor der Basilica des heiligen Peter versammelten Personen, es war nicht eine da, die nicht zehn Jahre von ihrem Leben gegeben hätte, um die vom Zufall, oder vielmehr vom Herrn begünstigte zu sein, welcher es gelänge, sich dieses mit der Unterschrift des heiligen Vaters versehenen Blattes zu bemächtigen.

 

Das Pergament flatterte eine Zeit lang nach dem Belieben des Windes, und während alle Hände sich ausstreckten, um es zu ergreifen, fiel es zu den Knieen des Pilgers nieder.

Er brauchte nur eine Bewegung zu machen, um sich desselben zu bemächtigen.

Ohne Zweifel wagte er es nicht.

Einer von seinen Nachbarn hob es auf, ohne daß er es ihm streitig zu machen suchte; man hätte glauben sollen, von diesem Segen, von dieser Erlassung der Sünden sei er allein ausgeschlossen.

In dem Augenblick, wo das Pergament den Händen des Cardinals entfiel, donnerten zu gleicher Zeit alle Kanonen der Engelsburg; die Glocken der Basilica und die der anderen Kirchen von Rom wurden geläutet und sandten ihre Klänge durch die Lüfte; der Ton von dreihundert musikalischen Instrumenten stieg endlich zum Himmel empor, begleitet von Ausrufungen der Freude und des Dankes der ganzen christlichen Welt, von der jede Stadt als Zeichen ihres Vasallenthums ihre Deputation nach der heiligen Stadt geschickt zu haben schien.

Allein unter allen diesen Menschen, welche ihre Stimmen zum Ruhme Gottes erschallen ließen, blieb der Reisende stumm, stand auf, trat in die Kirche ein, ging am Weihkessel vorüber, ohne das Weihwasser anzurühren, am Altar, ohne das Zeichen des Kreuzes zu machen, am Großpönitentiar, ohne niederzuknieen, und kam in die Kapelle der Pilger.

Es ist Gebrauch, daß am grünen Donnerstag der Papst, wenn er aus der Loge des Segens herabkommt, dreizehn Pilgern die Füße wascht; diese dreizehn Pilger sind während der heiligen drei Tage die Gäste des Papstes und werden von ihm bewirthet.

Zwölf saßen schon auf ihren Sitzen und warteten, der dreizehnte war leer; der Reisende setzte sich darauf.

Kaum hatte er seinen Platz eingenommen, als der Papst, immer auf seinem Stuhle getragen, hereinkam.

Hier erst stieg Seine Heiligkeit herab und trat in das ein, was man den Saal der Ornamente nennt, wo er seinen weißen Chorrock, die Mitra von Goldgaze und das Formale ablegte, und wo ihm der Cardinal-Dechant die veilchenblaue Stola, den Mantel von rothem Atlaß, das Formale von vergoldetem Silber anzog und die Mitra von Silbergaze aufsetzte.

Nachdem dieser Wechsel stattgefunden hatte, kehrte der Papst wieder in die Kapelle zurück und setzte sich auf den für ihn bereit siebenden Thron ohne Baldachin mit zwei Tabonrets für die zwei Cardinäle, und zwei angezündeten Kerzen, eine auf jeder Seite des Thrones.

Zu gleicher Zeit ließ er den Weihrauch durch den Cardinal-Priester in das Rauchfaß schütten und gab den Segen dem Cardinal-Dechant, der das für diese Ceremonie vorgeschriebene Evangelium singen sollte.

Der Cardinal-Dechant sang das Evangelium, wonach der Unterdiaconus das heilige Buch dem Papste zu küssen gab, während der Cardinal-Dechant das Rauchfaß nahm, ihn dreimal beräucherte und die Cantoren den Vers: »Mandatum novum de vobis« anstimmten.

Während dieser Zeit stand der Papst auf; der Cardinal-Dechant nahm ihm seinen Chorrock ab und näherte sich dem ersten Pilger, d.h. demjenigen, welcher am weitesten vom Reisenden entfernt war; zwei Kämmerer folgten ihm, sie trugen in zwei Becken der eine dreizehn Handtücher, der andere dreizehn Blumensträuße.

Der Schatzmeister kam nach ihnen im Chorrock und im Chorhemde; er trug eine Börse von goldgesticktem carmesinrothem Sammet, in welcher dreizehn Medaillen von Gold und dreizehn von Silber waren.

Der Reisende verfolgte alle diese Einzelheiten mit einer sichtbaren Angst; es war leicht einzusehen, daß er einer fruchtbaren Krise nahte.

Die Ceremonie begann, an die von Jesus, als er die Füße der Apostel wusch, erinnernd; sobald der Papst mit einem Pilger fertig war, ging er zu einem andern über und kam folglich dem Reisenden immer näher; dann nahm die Blässe von diesem zu und die Angst, die seinen ganzen Körper in krampfhaften Bewegungen zittern machte, wurde immer tiefer. Endlich kam der Papst zu ihm; der Unterdiacon bückte sich, um die Schnüre seiner Sandalen zu lösen; doch in diesem Augenblick zog der Pilger seinen Fuß zurück, stürzte vor dem Statthalter Christi aus seine Kniee nieder und rief:

»O Heiliger! dreimal Heiliger! ich bin nicht würdig, daß Ihr mich berührt!«

Paul II. war aus diesen Ausbruch nicht gefaßt; er wich beinahe erschrocken zurück und sagte: »Was wünscht Ihr denn von mir, mein Sohn?«

»O heiliger Vater!« erwiederte der Pilger, indem er mit seiner Stirne die Platte berührte, »ich wünsche in Demuth, Ihr möget die Beichte eines unglücklichen Sünders anhören . . . die Beichte des größten und unwürdigsten Sünders von denen, welche Ihr je angehört, des größten und unwürdigsten von denjenigen, welche Ihr je hören werdet!«

Der Papst schaute einen Augenblick zögernd diesen zu seinen Füßen liegenden Mann an; dann, da an dem Schluchzen, das seiner Brust entströmte, an seinem düsteren Worte, an seiner verzweifelten Geberde leicht das Gefühl eines tiefen Schmerzes zu erkennen war, sprach er:

»Es ist gut, mein Sohn; da Ihr zu den dreizehn Pilgern gehört, so seid Ihr mein Gast; erwartet mich also in meinem venetianischen Palaste; sobald der Dienst des Tages beendigt ist, komme ich zu Euch; ich werde Eure Beichte hören, und wenn es möglich ist, Eurem Herzen die Ruhe wiederzugeben, so hofft: die Ruhe soll Euch wiedergegeben werden.«

Der Unbekannte ergriff mit beiden Händen den Saum des Rockes vom heiligen Vater, küßte ihn demüthig und zugleich inbrünstig, stand wieder aus, nahm seinen Stock, den er in eine Ecke gestellt hatte, und entfernte sich aus der Kapelle, gefolgt von den erstaunten Blicken des Papstes, der Kardinäle, der Prälaten und der zwölf Pilger, die sich fragten, wer dieser Fremde sei, der sich einen Augenblick unter sie gesetzt, und welches so unerläßliche Verbrechen er begangen, daß er genöthigt gewesen, sich an den Papst selbst zu wenden, um Absolution zu erlangen.

Der Verfluchte

Erbaut von Paul II. nach den Zeichnungen von Giuliano Majano, mit den Trümmern des Colisseum und auf der Stelle der alten Septa Julia, war der venetianische Palast erst vor zwei Jahren vollendet worden. Er erhob sich damals, wo die Paläste Braccioli, Pansili, Altieri und Buonaparte noch nicht erbaut waren, auf einem ungeheuren Platze, auf welchem, als er zum Pontificat gelangte, Paul II., Cäsar nachahmend, dem ganzen römischen Volke ein großes Mahl gab; zwanzigtausend Gedecke wurden hierbei fünf Tage hindurch fünfmal täglich gewechselt, und man berechnete zu hundertundfünfzigtausend die Zahl der Gäste, welche an diesem Riesenimbiß Theil nahmen.

Paul II, der damals zweiundfünfzig bis dreiundfünfzig Jahre zählen mochte, war, nachdem er einer der schönsten Männer Italiens gewesen, so schön, daß er darauf verzichtete, sich den Namen Formoso beizulegen, den er sich Anfangs gegeben, aus Furcht, die Wahl dieses Namens könnte ihm den Flecken der Hoffart ankleben machen, Paul II, sagen wir, war einer der prunkvollsten Fürsten der Welt geblieben; er betete die Juwelen an, sammelte Diamanten, Smaragde und Rubine und spielte unablässig mit Edelsteinen, die er wie eine Cascade von einer Hand in die andere rollen ließ.

In diesen prächtigen Palast, der heute der Sitz der österreichischen Gesandtschaft ist, hatte er den Reisenden beschieden, und dieser wartete in seinem Cabinet auf ihn.

Er brauchte nicht lange zu warten; Paul II. hatte die alterthümliche Tracht des Fremden, den tief ausgeprägten Charakter seiner Physiognomie, die beinahe wüthende Heftigkeit seiner Reue wahrgenommen, und alle diese Umstände mit einander flößten ihm eine große Begierde ein, sich mit diesem Manne wieder zusammenzufinden.

Als der Reisende, vom Papste gesandt, im Palaste erschien, erkannten die Diener von Paul II, in ihm einen von den dreizehn Pilgern, welche die Gäste des Papstes während der heiligen Woche sein sollten. Demzufolge wollten sie, nach den Befehlen, die sie zum Voraus erhalten, dem Unbekannten ein Mahl bestehend aus Fischen, magerem Wildpret und getrockneten Früchten vorsetzen; doch der Reisende nahm, wie er es in Casa Rotondo gethan, nur ein Stück Brod und ein Glas Wasser an, was er stehend aß und trank.

So fand ihn Paul II., als er in sein Cabinet eintrat.

Wie kam es nun, daß dieser Mann, den wir bis jetzt so stark, so mächtig, so Herr seiner selbst gesehen, zitterte beim Geräusche der Tritte, die sich dem Cabinet näherten? Wie kam es ferner, daß, als diese Thüre sich öffnete und er erkannt hatte, es sei der heilige Vater, welcher zu ihm eintrete, ein solcher Schauer seinen ganzen Leib durchlief, daß er, um nicht in Ohumacht zu fallen, genöthigt war, sich auf einen im Bereiche seiner Hand stehenden Lehnstuhl zu stützen?

Paul II. heftete auf ihn sein großes schwarzes Auge, und bei dem zweifelhaften Scheine von zwei Kerzen, dem einzigen Lichte, welches das Kabinet erhellte, bemerkte er seine beinahe leichenartige Blässe.

Der Unbekannte stand im Halbschatten, gekleidet in seinen grauen Leibrock und gehüllt in seinen blauen Mantel, der in der Dunkelheit verschwand, so daß nur sein Gesicht allein erschaubar, und dieses erschien noch blässer, als es vielleicht in Wirklichkeit unter der Umrahmung seines Bartes und seiner schwarzen Haare war.

Jeder Andere, als Papst Paul II., würde sich ohne Zweifel besonnen haben, ob er mit diesem Menschen allein bleiben sollte, doch, ein verwegener Geist, ein unerschrockenes Herz, begriff Paul, daß er etwas Unermeßbares als Schmerz, wenn nicht als Reue, vor sich hatte, und daß dieser Sünder, der von so fern gekommen, um ihm eine Schuld zu gestehen, die nur von ihm vergeben werden könne, nothwendig einer von jenen großen Verbrechern sein müsse, wie sie uns nur das Alterthum vermacht hat, einer von jenen Bevorzugten des himmlischen Zornes, die man Prometheus, Oedipus oder Orestes nennt.

Jede gemeine Furcht von sich stoßend, ging also Paul II gerade aus den Fremden zu und sagte zu ihm mit einer Stimme voll Sanftmuth und Freundlichkeit:

»Mein Sohn, ich habe Euch den Beistand meiner Vermittlung beim Herrn versprochen, und ich bringe ihn Euch.«

Der Unbekannte antwortete nur durch einen Seufzer.

»Wie groß auch das Verbrechen sein mag, das Ihr begangen, wie groß auch der Fehler sein mag, den Ihr gemacht habt, die Barmherzigkeit Gottes ist noch größer . . . Bekennet dieses Verbrechen, gestehet diesen Fehler, und Gott wird Euch verzeihen!«

»Mein Vater,« erwiederte der Unbekannte mit dumpfer Stimme, »hat Gott Satan verziehen?«

»Satan hatte sich gegen Gott empört, Satan war der Feind des Menschengeschlechts, Satan war die Persönlichung des Bösen aus Erden. Ueberdies hat Satan nicht bereut, und Ihr bereut.«

»Ja,« murmelte der Unbekannte, »demüthig, aufrichtig, tief!«

»Sprecht Ihr mit dem Herzen und den Lippen zugleich, so ist die Hälfte des Weges zur Barmherzigkeit Gottes gemacht, und Ihr braucht nur zu vollenden . . . Sagt mir nun, wer Ihr seid, woher Ihr kommt, und was Ihr verlangt.«

Der Unbekannte stieß einen neuen Seufzer aus, legte seine beiden Hände an sein Gesicht und entzog es so gänzlich den Blicken seines Richters, indem er ein Netz aus seinen Fingern bildete, welche er krampfhaft aus seinen Augen und seiner Stirne kreuzte.

»Was ich will?« versetzte er; »oh! ich fühle es wohl, ich will das Unmögliche: Verzeihung . . . Woher ich komme? Kann ich es Euch sagen, da ich die ganze Zeit von einem Ende der Welt zum andern umherirre? Ich komme vom Norden, ich komme vom Süden, ich komme vom Osten, ich komme vom Westen, ich komme von überall her! Wer ich bin? . . .«

Er zögerte einen Augenblick, als entspänne sich ein furchtbarer Kampf in seinem Innern.

Dann sprach er mit einem Ausdruck und einer Geberde der Verzweiflung:

»Schaut.«

Und er hob mit beiden Händen sein langes schwarzes Haupthaar aus, entblößte seine Stirne und ließ vor den erschrockenen Augen des heiligen Vaters das Flammenzeichen glänzen, das der Engel des himmlischen Zornes der Stirne der Verfluchten aufdrückt.

Dann machte er einen Schritt gegen den Papst, um in den Lichtkreis zurückzukehren, aus dem er geflohen war, und sagte:

»Erkennt Ihr mich nun?«

»Oh!« rief Paul II., unwillkürlich den Finger gegen das verhängnißvolle Zeichen ausstreckend, »bist Du denn Kain?«

»Gefiele es Gott, daß ich Kain gewesen wäre!. . . Kain war nicht unsterblich: er wurde von seinem Neffen Lamech getödtet. . . Selig sind diejenigen, welche sterben können!«

»Du kannst also nicht sterben?« fragte der Papst zurückweichend.

»Nein, zu meinem Unglück! nein, zu meiner Verzweiflung! nein, zu meiner Verdammniß! . . . Es ist meine Strafe, daß ich nicht sterben kann! . . . Oh! dieser Gott, der mich verfolgt, dieser Gott, der mich verurtheilt hat, dieser Gott, der sich rächt, weiß doch, ob ich Alles gethan habe, was ich hierfür thun konnte!«

 

Nun war es der Papst, der sein Gesicht in seinen Händen verbarg.

»Unglücklicher!« rief er, »vergissest Du, daß der Selbstmord das einzige Verbrechen ist, das keine Verzeihung findet, weil es das einzige ist, welches man zu bereuen nicht Zeit hat?«

»Oh!« sagte der Unbekannte, »Ihr auch, Ihr beurtheilt mich auch nach dem Maße der andern Menschen, mich, der ich kein Mensch bin, da ich dem menschlichen Gesetze, dem Keiner entgeht, dem Tode, entgehe! . . . Nein, ich bin, wie Enkelados, ein schlecht erschlagener Titan, ich rühre mit jeder meiner Bewegungen, mit jedem Athemzuge eine ganze Welt von Schmerzen auf! Ich hatte einen Vater, eine Mutter, ein Weib, Kinder; ich habe Alles dies und auch die Kinder meiner Kinder sterben sehen, und ich konnte nicht sterben! Rom, die Riesin, ist in Trümmer zerfallen: ich habe mich zu den Füßen der Riesin gelegt, als sie zusammenstürzte, und ich bin bestaubt, aber unversehrt aus ihren Ruinen hervorgegangen. Von den Spitzen der höchsten Berge, welche um ihre Flanken einen Wolkengürtel schlingen, da, wo die Charybdis braust, wo die Scylla tost, habe ich mich in das Meer gestürzt. Ich bin bis in die Tiefe der wirbelnden Abgründe hinabgestiegen, und mitten durch die Haifische mit den kupfernen Floßsedern, mitten durch die Kaimans mit den stählernen Schuppen hat mich das Meer zurückgestoßen und wie das Wrack eines gestrandeten Schiffes auf das Ufer geworfen. Man sagte mir, der Vesuv sei ein Höllenschlund; ich sprang in den Vesuv in dem Augenblick, wo die Lava brodelte, in dem Augenblick, wo der Vulkan seine tiefsten Eingeweide zum Himmel emporschleuderte; der Krater war für mich, was ein Sandlager oder ein Moosbett gewesen wäre; er hat mich mit seiner Asche ausgespieen, mit seiner Lava hinausgerollt, und ich befand mich wieder unter den Blumen der Wiesen und unter dem Schatten der balsamisch duftenden Orangenbäume von Sorrento! Ein indianischer Wald gerieth in Brand, einer von jenen Wäldern von Boababs, von denen ein einziger einen Wald bildet; ich unternahm es, ihn zu durchwandern, in der Hoffnung, nie mehr hinaus zu kommen; jeder Baum war eine Feuersäule, hatte Feueräste, schüttelte Feuerhaare; ich brauchte drei Tage und drei Nächte, um den ungeheuren Brand zu durchschreiten, und auf der einen Seite eintretend, ging ich auf der andern Seite hinaus, ohne daß die Flamme ein einziges von meinen Haaren versengt hatte! Ich wußte, daß es auf der Insel Java einen Baum gibt, dessen Schatten und Saft tödtlich sind; ein Mensch, der unter diesem Schatten im schnellsten Galopp vorüberreitet, fällt todt nieder: ich legte mich unter den Schatten dieses Baumes, ich streckte mich zwischen zwei Leichnamen aus, ich entschlief, wachte wieder auf und zog weiter! Auf den Seen der der Welt zu dieser Stunde noch unbekannten Inseln Oceaniens, wo in ihrem Zenith die Sonne ihre Strahlen in einem lauen Wasser bricht und auf den Blättern von riesigen Nenuphars ganze Familien von Schlangen funkeln läßt, welche zu Tausenden um einander gerollt sind; da, wo man nur doppelt, dreifach verschlungene Knoten von Gold, Azur und Smaragd erblickt, da, wo man nur blitzende Auen, entstammte Rachen und Zungen mit ihren dreifachen Pfeilen sieht, da, wo man nur das Aneinanderreiben von klebrigen Schaalen, das Pfeifen von verpestetem Athem hört, ließ ich mich auf die Oberfläche des Wassers fallen, schlug das Gras mit meinen Fäusten und mit meinen Füßen, nahm handvollweise Medusenhaare, kämpfte mit der schwarzen Schlange des Caps, mit der Natter des Nils, mit der Viper von Ceylon; doch weder die Viper von Ceylon, noch die Natter des Nils, noch die schwarze Schlange des Caps vermochten etwas gegen mich! In einer Nacht durchzog ich die Wüste; ich sah mit der Geschwindigkeit des Samums in der durchsichtigen Finsterniß der Tropenländer etwas wie einen Sandwirbel, begleitet von einem Geräusche, das sich unmöglich beschreiben läßt, auf mich zukommen: eine Giraffe hatte die Kühle in einer von jenen schlammigen Lagunen gesucht, wo die Löwen schlafen; ein schlafender Löwe war aufgewacht und hatte, mitten aus dem Schilfrohre hervor aus die Schultern der Giraffe springend, seine eisernen Klauen in die Muskeln ihres Halses eingedrückt; das Riesenroß ergriff die Flucht, wüthend vor Schmerz, wahnsinnig vor Schrecken, und trug den Reiter mit der langen Mähne fort, der seine lebende Beute zernagte . . . Ueberall, wo die flüchtige Gruppe vorbeikam, zog sie Tiger, Panther, Leoparden, Hyänen, Schakale, Luchse, diese auf Beute ausgehenden nächtlichen Jäger, an sich; alle stürzten auf den Fährten fort, je nach ihrer Schnelligkeit oder ihrem Muthe, brüllten, heulten, kläfften, die Tiger zuerst, dann die Panther, dann die Leoparden, dann die Schakale, dann die Luchse, alle mit der Schnauze aus der Erde, um die Spur des Blutes nicht zu verlieren; zehn Schritte von mir rollte der Wirbel nieder: die Giraffe hatte nicht mehr die Kraft, ihre entsetzliche Bürde zu tragen; sie streckte ihren langen Hals gegen mich aus, röchelte schwach und verschied . . . Da machte ich dem Löwen seine Beute streitig; ich stürzte mitten unter die Tiger, die Panther, die Leoparden, die Hyänen, die Schakale und die Luchse, heulte, brüllte, kläffte wie sie . . . Der Tag kam. Ich war allein, keuchend, lag aber ohne Wunde auf der Leiche der Giraffe! Alle diese Ungeheuer, welche einen Hercules, einen Antheus zerrissen hätten, waren die einen in ihre Schilfrohre, die andern in ihre Jungles, diese in ihre Wälder, jene in ihre Höhlen zurückgekehrt; Klauen und Zähne hatten sich an mir abgestumpft . . Ah! willst Du mir nicht vergeben, mein Gott, so laß mich sterben! sterben! sterben! Das ist Alles was ich von Dir verlange!«

»Aber,« versetzte der Papst, der diesen langen Schrei der Verzweiflung, den erschrecklichsten, den tiefsten, den schmerzlichsten, der je an sein Ohr gedrungen, ohne ihn zu unterbrechen, angehört hatte, »wenn Du nicht Kain bist, wer bist Du denn? . . .«

Und er hielt inne, als wäre er erschrocken über das, was er sagen wollte.

»Ich bin,« erwiederte der Unbekannte mit traurigem Tone, »ich bin derjenige, welcher kein Mitleid hatte mit dem großen Schmerze. Ich bin derjenige, welcher dem unter der Last seines Kreuzes erliegenden Gottmenschen eine Minute der Ruhe auf der steinernen Bank vor seiner Thüre verweigerte. Ich bin derjenige, welcher den Märtyrer gegen seine Schädelstätte zurückstieß . . . Ich bin derjenige, welcher gesagt hat:

»Gehe,« und der zur Sühnung dieses Wortes immer gehen muß. Ich bin der verfluchte Mensch! Ich bin der ewige Jude.«

Und als der Papst unwillkürlich einen Schritt rückwärts machte, rief er, indem er ihn an seiner langen weißen Levite zurückhielt:

»Höret mich an! höret mich an, heiliger Vater! Und wenn Ihr wissen werdet, was ich während der fünfzehn Jahrhunderte, die ich gelebt, gelitten habe, bekommt Ihr vielleicht Mitleid mit mir und willigt ein der Vermittler zwischen dem Schuldigen und dem Richter, zwischen dem Verbrechen und der Verzeihung zu sein!«

Der Papst konnte dieser tiefen Bitte nicht widerstehen; er setzte sich, stützte einen Ellenbogen auf einen Tisch, ließ seinen Kopf auf seine Hand fallen und hörte.

Der Jude schleppte sich auf seinen Knieen bis zu ihm und fing an.

Nun erlaube uns der Leser, daß wir uns an die Stelle desjenigen, welcher spricht, setzen, und er gewähre uns seine geduldige Aufmerksamkeit für die riesige Erzählung, die sich durch fünfzehn Jahrhunderte entrollen soll.

Diesmal ist es nicht die Geschichte eines Menschen, was wir erzählen: es ist die Geschichte der Menschheit.