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Joseph Balsamo Denkwürdigkeiten eines Arztes 1

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»Was wollen Sie? der erste Sklave ist der König. Ah! wenn die Herren Philosophen wüßten, was es heißt, König, und besonders König von Frankreich zu sein.«

»Bleiben Sie doch, Sire.«

»Oh! ich kann den Dauphin nicht warten lassen. Man behauptet schon, ich liebe nur meine Töchter.«

»Aber was soll ich Herrn von Choiseul sagen?«

»Sagen Sie ihm, er möge mich in meinen Gemächern aufsuchen, Gräfin.«

Und um jede Bemerkung kurz abzuschneiden, küßte er der vor Zorn zitternden Gräfin die Hand und verschwand in aller Hast, wie es seine Gewohnheit war, so oft er die Frucht einer durch sein Verschieben und seine bürgerliche Schlauheit gewonnenen Schlacht zu verlieren glaubte.

»Oh! er entgeht uns abermals,« rief die Gräfin und schlug vor Aerger ihre Hände zusammen.

Doch der König hörte diesen Ausruf nicht mehr. Die Thüre war bereits hinter ihm geschlossen, und er durchschritt das Vorzimmer mit den Worten:

»Treten Sie ein, meine Herren, treten Sie ein. Die Gräfin will Sie empfangen. Nur werden Sie dieselbe sehr traurig über den Unfall finden, der dem armen Jean begegnet ist.«

Die Höflinge schauten sich erstaunt an. Sie wußten nicht, welcher Unfall dem Vicomte widerfahren sein konnte. Viele hofften, er wäre todt.

Sie richteten ihre Gesichter nach den Umständen. Die Freudigsten machten sich zu den Traurigsten und sie traten ein.

XXV.
Die Salle des Pendules

In einem weiten Saale des Palastes von Versailles, den man die Salle des Pendules nennt, schritt ein junger Mann mit rosiger Gesichtsfarbe, sanften Augen und etwas gemeinem Gange, die Arme hängend, den Kopf gebeugt, auf und ab.

Auf seiner Brust funkelte, hervorgehoben durch den violetten Sammet seines Kleides, ein Stern von Diamanten, während das blaue Band auf seine Hüfte herabfiel und mit dem Kreuze, das es trug, eine mit Silber gestickte, weiße Atlaßweste zerknitterte.

Niemand hätte dieses zugleich ernste und gute, majestätische und lachende Profil zu mißkennen vermocht, das den charakteristischen Typus der Bourbonen der ersten Linie bildete und dessen zugleich lebhaftester und übertriebenster Ausdruck der junge Mann war, den wir unsern Lesern vor Augen fuhren; nur hätte man, wenn man die seit Ludwig XIV. und Anna von Oesterreich vielleicht entartende Fortpflanzung dieser edlen Gesichter sah, glauben sollen, derjenige, von welchem wir sprechen, könne seine Züge nicht an einen Erben übertragen, ohne eine gewisse Veränderung des ursprünglichen Typus, ohne daß sich die angeborene Schönheit dieses Typus, dessen letzte gute Probe er war, in ein Gesicht mit überladenen Zügen verwandelte, ohne endlich, daß die Zeichnung eine Caricatur würde.

Ludwig August, Herzog von Berry, Dauphin von Frankreich, nachmals Ludwig XVI., hatte eine längere und adlerartigere Nase, als die Männer seines Stammes, seine leicht gedrückte Stirne fiel noch mehr zurück als die von Ludwig XV. und das Doppelkinn seines Großvaters hatte sich bei ihm so stark ausgeprägt, daß das Kinn, ob gleich er damals noch mager war, bereits ungefähr ein Drittheil seines Gesichtes einnahm.

Dabei war sein Gang langsam und unbeholfen; wenn auch gutgewachsen, schien er doch in der Bewegung der Beine und Schultern gehemmt. Nur seine Arme und besonders seine Finger hatten die Thätigkeit, die Behendigkeit, die Kraft und so zu sagen jene Physiognomie, welche bei Andern auf die Stirne, auf den Mund und in die Augen geschrieben ist.

Der Dauphin ging also stillschweigend in dem Saale auf und ab, in welchem acht Jahre früher Ludwig XV. Frau von Pompadour den Spruch des Parlaments, der die Jesuiten aus dem Königreich verbannte, übergeben hatte, und während er auf- und abging, träumte er.

Endlich war er aber müde, zu warten, oder vielmehr an das zu denken, was ihn beschäftigte, und er betrachtete abwechselnd die Pendeluhren und belustigte sich wie Karl V. damit, daß er die stets unbesiegbaren Verschiedenheiten beobachtete, welche die regelmäßigsten Uhren unter sich beibehalten  . . . eine bizarre, aber scharf ausgedrückte Kundgebung der Ungleichheit der materiellen, von der Hand des Menschen geregelten oder nicht geregelten Dinge.

Er blieb bald vor der großen Uhr stehen, welche damals , wie heut zu Tage, ihren Standpunkt im Hintergrunde des Saales hatte und durch eine geschickte mechanische Zusammensetzung die Tage, die Monate, die Jahre, die Wandlungen des Mondes, den Lauf der Planeten, kurz Alles das bezeichnet, was diese andere noch viel überraschendere Maschine, die man den Menschen nennt, in der stufenweisen Bewegung ihres Lebens gegen den Tod interessirt.

Der Dauphin schaute als Liebhaber diese Pendeluhr an, die er stets bewundert, und neigte sich bald rechts, bald links, um dieses oder jenes Räderwerk zu untersuchen, dessen Zähne, so scharf wie feine Nadeln, in eine andere, noch feinere Feder eingriffen. Hatte er die Uhr von der Seite betrachtet, so fing er wieder an, sie von vorne zu beschauen und mit dem Auge dem Gange der raschen Nadel zu folgen, welche über die Sekunden glitt, wie jene Wasserfliegen, die über die Teiche und Brunnen mit ihren langen Füßen hinlaufen, ohne den flüchtigen Krystall, auf ’dem sie sich unablässig bewegen, nur im Geringsten zu runzeln.

Von dieser Betrachtung zur Erinnerung an die abgelaufene Zeit war es nicht weit. Es fiel dem Dauphin ein, daß er seit vielen Sekunden wartete. Allerdings war eine große Anzahl verlaufen, ohne daß er es gewagt hatte dem König sagen zu lassen, er warte. Plötzlich blieb der Zeiger, auf den der junge Prinz seine Augen geheftet hatte, stille stehen.

In demselben Augenblick unterbrachen die messingenen Räder wie durch einen Zauber ihren gemessenen Kreislauf, die stählernen Achsen ruhten, in ihren Rubinlöchern und ein tiefes Stillschweigen trat in dieser Maschine ein, in der kurz zuvor noch Lärmen und Bewegung stattgefunden. Keine Stöße, kein Schaukeln, kein Leben der Glöckchen, kein Lauf der Zeiger und der Räder mehr.

Die Maschine stand stille, die Pendeluhr war todt.

War irgend ein Sandkorn, so zart wie ein Atom, in den Zahn eines Rades gefallen, oder war es ganz einfach der Geist dieser wunderbaren Maschine, der, der ewigen Bewegung müde, nun ausruhte?

Bei dem Anblicke dieses plötzlichen Todes vergaß der Dauphin, warum er gekommen war und seit einiger Zeit wartete; er vergaß besonders, daß die Stunde nicht durch die Stöße eines sonoren Schwängels in die Ewigkeit geschleudert, oder auf dem Abhange der Zeit durch die Hemmung eines metallenen Gehwerks zurückgehalten wird, sondern vielmehr auf der ewigen Uhr, die den Welten vorhergegangen, und diese überleben muß, durch den ewigen und unveränderlichen Finger des Allmächtigen bezeichnet worden ist.

Er fing nun damit an, daß er die krystallene Thüre der Pagode öffnete, worin der Geist schlief, und streckte seinen Kopf in das Innere der Pendeluhr, um hier schärfer zu sehen.

Aber er wurde bei seiner Beobachtung von Ansang durch den großen Schwängel gehemmt.

Dann schlüpfte er zart mit seinen so gewandten Fingern durch die messingene Oeffnung und machte den Schwängel los.

Das war nicht genug; der Dauphin mochte immerhin nach allen Seiten schauen, die Ursache dieser Lethargie blieb seinen Augen unsichtbar.

Der Prinz dachte nun, der Uhrmacher des Schlosses habe die Pendeluhr aufzuziehen vergessen und diese sei auf eine natürliche Weise stehen geblieben. Er nahm den an dem Sockel hängenden Schlüssel und fing an, die Uhr mit der Geschicklichkeit eines geübten Mannes aufzuziehen. Aber nach Verlauf von drei Drehungen mußte er anhalten, was zum Beweis diente, daß der Mechanismus einem. unbekannten Anhalte unterworfen war, und das Werk functionirte, obgleich gespannt, nicht weiter.

Der Dauphin zog aus seiner Tasche ein kleines Radirmesser von Schildpatt mit stählerner Klinge und gab mit dem Ende dieser Klinge einem Rade den Impuls. Das Räderwerk knarrte nun eine Sekunde lang und blieb dann abermals stehen.

Die Krankheit der Pendeluhr wurde ernst.

Ludwig fing nun an mit der Spitze seines Radirmessers mehrere Stücke herauszuheben, deren Schrauben er sorgfältig auf einem Tischchen ausbreitete.

Sein Eifer riß ihn immer weiter fort und er zerlegte die complicirte Maschine und untersuchte ihre geheimsten, verborgensten Winkel.

Plötzlich stieß er einen Freudenschrei aus, er entdeckte, daß eine Druckschraube, in ihrer Spirale spielend, eine Feder losgelassen und das bewegende Rad angehalten hatte,

Er fing nun an, die Schraube festzumachen.

Dann steckte er, ein Rad in der linken Hand, sein Radirmesser in der rechten, den Kopf wieder in das Gehäuse,

So weit war er in seiner Arbeit, ganz in die Betrachtung des Mechanismus versunken, als die Thüre sich öffnete und eine Stimme ausrief:

»Der König!«

Doch Ludwig hörte nichts, als das melodische Ticktack, das unter seiner Hand geboren wurde, wie das Schlagen eines Herzens, welches ein geschickter Arzt dem Leben zurückgibt.

Der König schaute nach allen Seiten, ohne Anfangs den Dauphin zu gewahren, von dem man nur die Beine sehen konnte, denn sein Rumpf war in der Pendeluhr verborgen und der Kopf in der Oeffnung verloren.

Er näherte sich lächelnd und schlug seinen Enkel auf die Schulter,

»Was Teufels machst Du da?« fragte er ihn.

Ludwig zog sich hastig zurück, jedoch mit aller erforderlichen Vorsicht, um nichts an dem schönen Geräthe zu beschädigen, dessen Wiederherstellung er unternommen hatte.

»Sire, Eure Majestät sieht es,« sprach der junge Mann vor Scham erröthend, daß man ihn bei einer solchen Beschäftigung ertappt hatte, »ich belustigte mich in Erwartung Ihrer Ankunft.«

»Ja, mit der Mißhandlung meiner Pendeluhr. Eine schöne Belustigung!«

»Im Gegentheil, Sire, ich stellte sie wieder her. Das Hauptrad arbeitete nicht mehr, es war gehemmt durch die Schraube, welche Eure Majestät hier sieht. Ich befestige die Schraube und die Uhr geht nun wieder.«

 

»Aber Du wirst Dich dadurch, daß Du hineinschaust, blind machen. Nicht um alles Geld der Welt würde ich meinen Kopf in ein solches Wespennest stecken.«

»O nein, Sire. Ich verstehe die Sache. Die bewunderungswürdige Uhr, welche mir Eure Majestät an dem Tage, wo ich vierzehn Jahre alt wurde, geschenkt hat, lege ich aus einander, setze ich wieder zusammen und reinige ich gewöhnlich.«

»Es mag sein, doch laß Deine Mechanik für den Augenblick ruhen. Du willst mit mir sprechen?«

»Ich, Sire?« versetzte der junge Mann erröthend.

»Allerdings, da Du mir hast sagen lassen, Du erwartest mich.«

»Das ist wahr, Sire,« sprach der Dauphin und schlug die Augen nieder.

»Nun! was wolltest Du von mir, antworte? Wenn Du mir nichts zu sagen hast, so gehe ich nach Marly ab.«

Und schon suchte Ludwig XV., seiner Gewohnheit gemäß, zu entschlüpfen.

Der Dauphin legte sein Radirmesser und sein Räderwerk auf einen Lehnstuhl, was andeutete, daß er dem König wirklich etwas von Bedeutung zu sagen hatte, da er das wichtige Geschäft, in welchem er begriffen war, unterbrach.

»Brauchst Du Geld?« fragte rasch der König, »wenn dies der Fall ist, warte, ich werde Dir schicken.«

Und Ludwig XV. machte abermals einen Schritt gegen die Thüre.

»O nein, ich habe noch tausend Thaler von der Pension des laufenden Monats.«

»Was für ein Haushälter!« rief, der König, »wie gut hat ihn mir Herr de la Vauguyon erzogen. In der That, ich glaube er hat ihm alle Tugenden beigebracht, die ich nicht besitze.«

Der junge Mann machte eine heftige Anstrengung gegen sich selbst und sprach:

»Sire, ist die Frau Dauphine noch sehr fern?«

»Weißt Du das nicht so gut wie ich?«

»Ich?« fragte der Dauphin verlegen.

»Allerdings; man hat uns gestern das Reisebulletin vorgelesen; sie sollte letzten Montag durch Nancy kommen und muß nun ungefähr fünf und vierzig Lieues von Paris entfernt sein.«

»Sire,« fuhr der Dauphin fort, »findet Eure Majestät nicht, daß die Frau Dauphine sehr langsam reist?«

»Nein, nein,« sprach Ludwig XV., »ich finde im Gegentheil, daß sie für eine Frau, und in Betracht aller der Feste, der Empfangsfeierlichkeiten, sehr schnell reist; sie macht wenigstens zehn Lieues alle zwei Tage, einen in den andern gerechnet.«

»Sire, das ist sehr wenig,« versetzte schüchtern der Dauphin.

König Ludwig XV. ging von einem Erstaunen zum andern bei der Offenbarung dieser Ungeduld über, von der er keine Ahnung gehabt hatte.

»Ah bah!« machte er mit einem spöttischen Lächeln, »Du hast also große Eile?«

Der Dauphin erröthete noch mehr als zuvor und stammelte:

»Ich versichere Sie, Sire, es ist nicht der Grund, den Eure Majestät voraussetzt.«

»Desto schlimmer; ich wollte, es wäre dieser Grund. Was Teufels! Du bist sechzehn Jahre alt; man sagt, die Prinzessin sei hübsch, und es ist wohl erlaubt, ungeduldig zu werden. Sei ruhig, Deine Dauphine wird kommen«

»Sire, könnte man die Ceremonien auf dem Wege nicht etwas abkürzen?« fuhr der Dauphin fort.

»Unmöglich, Sie ist bereits ohne anzuhalten durch mehrere Städte gefahren, wo sie hätte verweilen sollen.«

»Das wird also ewig währen. Und dann glaube ich Eines, Sire,« äußerte der Dauphin schüchtern.

»Was glaubst Du? sprich, laß hören,«

»Ich glaube, daß der Dienst schlecht versehen wird, Sire.«

»Wie? welcher Dienst?«

»Der Reisedienst.«

»Gehe doch! ich habe dreißigtausend Pferde, dreißig Carrossen, sechzig Fourgons und ich weiß nicht wie viele Caissons auf den Weg geschickt; würde man Caissons, Fourgons, Carrossen und Pferde in einer Linie an einander stellen, so ginge es von Paris bis Straßburg. Wie kannst Du glauben, bei allen diesen Mitteln werde der Dienst schlecht versehen?«

»Wohl, Sire, trotz aller Güte Eurer Majestät habe ich beinahe die Gewißheit von dem, was ich sage; nur bediente ich mich vielleicht eines ungeeigneten Ausdrucks’ und hätte, statt zu sagen, der Dienst werde schlecht versehen, sagen sollen, der Dienst sei schlecht organisirt.«

Der König erhob bei diesen Worten das Haupt und heftete seine Augen auf die des Dauphin, er fing an zu begreifen, daß sich viele Dinge unter den wenigen Worten verbargen, welche Seine Königliche Hoheit ausgesprochen.

»Dreißigtausend Pferde,« wiederholte der König, »dreißig Carrossen, sechzig Fourgons, zwei Regimenter zu diesem Dienst verwendet.  . . . Ich frage Dich, mein Herr Gelehrter, hast Du je eine Dauphine in Frankreich mit einem solchen Geleite einziehen sehen?«

»Ich gestehe, Sire, die Sachen sind königlich gemacht, und so wie sie Eure Majestät zu machen weiß; doch hat Eure Majestät auch eingeschärft, daß diese Pferde, diese Carrossen, kurz dieses ganze Material einzig und allein im Dienste der Dauphine und ihres Gefolges verwendet werde?«

Der König schaute Ludwig zum dritten Male an; ein unbestimmter Verdacht regte sich in seinem Innern, eine kaum faßbare Erinnerung fing an seinen Geist zu erleuchten; zugleich durchzog eine verworrene Aehnlichkeit zwischen dem, was der Dauphin sagte, und etwas Unangenehmem, das er so eben erfahren, seinen Kopf.

»Was für eine Frage!« sprach der König; »sicherlich ist Alles dies für die Frau Dauphine, und deßhalb sage ich Dir, daß sie unfehlbar sehr schnell ankommen muß; doch warum schaust Du mich so an? Laß hören,« fügte er mit einem festen Tone bei, der dem Dauphin drohend erschien; »solltest Du Dich zufällig damit belustigen, meine Züge wie die Federn Deines Uhrwerks zu studiren?«

Der Dauphin, der eben den Mund öffnete, um zu sprechen, schwieg plötzlich bei dieser Anrede.

»Nun!« fuhr der König rasch fort, »es scheint mir Du hast mir nichts mehr zu sagen  . . . wie?  . . . Du bist zufrieden, nicht wahr? Deine Dauphine kommt, ihr Dienst wird vortrefflich versehen, Du bist reich wie Krösus durch Deine Privatkasse, das steht auf das Beste. Da Dich nun nichts mehr beunruhigt, so mache mir das Vergnügen und setze nur meine Pendeluhr wieder zusammen.«

Der Dauphin rührte sich nicht.

»Weißt Du wohl, daß ich Lust habe Dir das Amt des ersten Uhrmachers vom Schlosse zu geben, wohl verstanden mit einem Gehalt?« sagte lachend Ludwig XV.

Der Dauphin neigte das Haupt und nahm, eingeschüchtert durch den Blick des Königs, wieder von dem Lehnstuhle das Radirmesser und das Rad.

Ludwig XV. erreichte mittlerweile ganz sachte die Thüre.

»Was Teufels wollte er mit seinem schlecht versehenen Dienste sagen?« sprach der König, den Dauphin anschauend, zu sich selbst. »Gut, gut, abermals eine Scene vermieden; er ist unzufrieden.«

Gewöhnlich so geduldig, stampfte der Dauphin in der That mit dem Fuß auf den Boden.

»Das verschlimmert sich,« murmelte Ludwig XV. lachend, »ich habe offenbar nur Zeit, zu fliehen.«

Doch plötzlich fand er, als er die Thüre öffnete, auf der Schwelle Herrn von Choiseul, der sich tief verbeugte.

XXVI.
Der Hof des Königs Pétaud. 16

Ludwig XV. wich bei dem unerwarteten Anblick des neuen Schauspielers, der sich in die Scene mischte, um seinen Abgang zu verhindern, einen Schritt zurück.

»Ah! bei meiner Treue!« dachte er, »diesen hatte ich vergessen. Er sei willkommen, denn er wird für die Andern bezahlen  . . .«

»Ah! Sie hier!« rief er, »ich schickte nach Ihnen, Sie wissen das?«

»Ja, Sire,« antwortete kalt der Minister, »ich kleidete mich eben an, um mich zu Eurer Majestät zu begeben, als mir der Befehl zukam.«

»Gut. Ich habe über ernste Angelegenheiten mit Ihnen zu sprechen,« fing Ludwig XV. an, indem er die Stirne runzelte, um, wenn es möglich wäre, seinen Minister einzuschüchtern.

Zum Unglück für den König war Herr von Choiseul einer von den Männern, welche sich am allerwenigsten im Königreich einschüchtern ließen.

»Und ich auch, wenn es Eurer Majestät beliebt,« antwortete er sich verbeugend, »ich habe auch über sehr ernste Angelegenheiten zu sprechen.«

Zu gleicher Zeit wechselte er einen Blick mit dem Dauphin, der halb hinter seiner Pendeluhr verborgen war.

Der König blieb stehen.

»Ah! gut,« dachte er, »auch von dieser Seite bin ich in dem Dreieck gefangen, und nun ist es mir nicht mehr möglich, zu entkommen.«

»Sie müssen wissen,« sprach der König eiligst, um seinem Gegner den ersten Stoß beizubringen, »Sie müssen wissen, daß der arme Vicomte Jean beinahe ermordet worden wäre.«

»Das heißt, er hat einen Degenstich in den Vorderarm bekommen. Ich bin hier, um mit Eurer Majestät über dieses Ereigniß zu sprechen.«

»Ja, ich begreife, Sie eilten dem Gerücht voran.«

»Ich komme den Commentaren zuvor, Sire.«

»Sie kennen also diese Angelegenheit, mein Herr?« fragte der König mit bezeichnender Miene.

»Vollkommen.«

»Ah!« machte der König, »das habe ich bereits von guter Hand erfahren.«

Herr von Choiseul blieb unempfindlich.

Der Dauphin fuhr fort, eine Schraubenmutter zu befestigen, dabei horchte er aber mit gesenktem Kopfe und verlor kein Wort von der Unterredung.

»Ich will Ihnen nun sagen, wie sich die Sache zu« getragen hat,« sprach der König.

»Hält sich Eure Majestät für gut unterrichtet?« fragte Herr von Choiseul.

»Oh! was das betrifft  . . .«

»Wir hören, Sire.«

»Wir hören?« wiederholte der König.

»Allerdings, Monseigneur der Dauphin und ich.«

»Monseigneur der Dauphin?« wiederholte der König, dessen Augen von dem ehrfurchtsvollen Choiseul zu dem aufmerksamen Ludwig August übergingen, »und was hat der Herr Dauphin mit dieser Zänkerei gemein?«

»Sie berührt Monseigneur, weil die Frau Dauphine bei der Sache betheiligt ist,« fuhr Herr von Choiseul mit einer Verbeugung gegen den jungen Prinzen fort.

»Die Frau Dauphine ist betheiligt? rief der König schauernd.

»Allerdings; sollten Sie das nicht wissen, Sire? Dann wäre Eure Majestät schlecht unterrichtet.«

»Die Frau Dauphine und Jean Dubarry,« sprach der König, »das wird interressant. Lassen Sie hören, erklären Sie sich, Herr von Choiseul, verbergen Sie mir besonders nicht das Geringste, und hätte die Dauphine Dubarry den Degenstich gegeben!«

»Sire, nicht die Frau Dauphine,« erwiederte Choiseul mit gleicher Ruhe, »sondern einer von den Officieren ihrer Escorte.«

»Ah!« machte der König, der nun, wieder ernst wurde, »ein Officier, den sie kennen, nicht wahr, Herr von Choiseul?«

»Nein, Sire, ein Officier, den Eure Majestät kennen muß, wenn Eure Majestät sich aller ihrer guten Diener erinnert; ein Officier dessen Namen in der Person seine Vaters bei Philippsburg, Fontenoy, Mahon geklungen hat ein Taverney-Maison-Rouge.«

Der Dauphin schien diesen Namen mit der Luft des Saales einzuathmen, um ihn besser im Gedächtnis, zu behalten.

»Ein Maison-Rouge!« sagte Ludwig XV., »sicherlich kenne ich das. Ei! warum hat er sich gegen Jean geschlagen, den ich liebe? Vielleicht weil ich ihn liebe  . . . einfältige Eifersüchteleien, Anfänge von Unzufriedenheit, partielle Meuterei?«

»Sire, wird Eure Majestät die Gnade haben, zu hören?« versetzte Herr von Choiseul.

Ludwig XV. begriff, daß er kein anderes Mittel hatte, sich ans der Sache zu ziehen, als aufgebracht zu werden.

»Ich sage Ihnen, mein Herr, daß ich hierin den Keim einer Verschwörung gegen meine Ruhe, eine gegen meine Familie organisirte Verfolgung erblicke.«

»Ah! Sire,« entgegnete Herr von Choiseul, »verdient ein junger Mann deßhalb, weil er die Frau Dauphine, die Söhnerin Eurer Majestät vertheidigt, solche Vorwürfe?«

Der Dauphin richtete sich auf, kreuzte die Anne und sprach:

»Ich gestehe, ich bin dem jungen Manne dankbar, der sein Leben für eine Prinzessin ausgesetzt hat, welche in vierzehn Tagen meine Frau sein wird.«

»Sein Leben ausgesetzt! sein Leben ausgesetzt!« stammelte der König, »aus welcher Veranlassung? darf man wohl wissen, aus welcher Veranlassung?«

»Weil es dem Herrn Vicomte Jean Dubarry, der sehr schnell reiste, in den Kopf kam, die Pferde auf der Station zu nehmen, welche die Dauphine eben erreichen sollte, und zwar ohne Zweifel, um noch schneller zu fahren.«

Der König biß sich in die Lippen und wechselte die Farbe, er erblickte im Helldunkel wie ein drohendes Gespenst die Aehnlichkeit, die ihn kurz zuvor beunruhigt hatte.

 

»Es ist nicht möglich!, ich kenne die Sache, Sie sind schlecht unterrichtet, Herzog,« murmelte Ludwig XV., um Zeit zu gewinnen.

»Nein, Sire, ich bin nicht schlecht unterrichtet, und was ich Eurer Majestät zu sagen die Ehre gehabt habe, ist reine Wahrheit. Ja, der Herr Vicomte Jean Dubarry hat der Frau Dauphine die Beleidigung angethan, für sich die für ihren Dienst bestimmten Pferde zu nehmen, und er führte sie, nachdem er den Postmeister mißhandelt, bereits mit Gewalt fort, als der Herr Chevalier Philipp von Taverney, von Ihrer Königlichen Hoheit abgeschickt, ankam und nach mehreren höflichen und versöhnenden Aufforderungen  . . .«

»Oh! oh!« brummte der König.

»Und nach mehreren höflichen und versöhnenden Aufforderungen, ich wiederhole dies, Sire.«

»Ja, und ich verbürge mich dafür,« sprach der Dauphin.

»Sie wissen das auch?« versetzte der König von Erstaunen ergriffen.

»Vollkommen, Sire.«

Herr von Choiseul verbeugte sich strahlend und sprach: »Will Seine Hoheit fortfahren? Seine Majestät wird ohne Zweifel mehr Zutrauen zu dem Worte ihres erhabenen Sohnes haben, als zu dem meinigen.«

»Ja, Sire,« fuhr der Dauphin fort, ohne jedoch für die Wärme, mit der Herr von Choiseul die Erzherzogin vertheidigt hatte, alle Dankbarkeit an den Tag zu legen, welche der Minister zu erwarten berechtigt war. »Ja, Sire, ich wußte dies und war gekommen, um Euere Majestät davon in Kenntniß zu setzen, daß nicht allein Herr Dubarry die Frau Dauphine dadurch beleidigte, daß er ihrem Dienst in den Weg trat, sondern auch, daß er sich gewaltsam einem Officier meines Regiments wider setzte, der seine Pflicht that, indem er ihn wegen dieses Mangels an Schicklichkeit zurechtwies.«

Der König schüttelte den Kopf und erwiederte:

»Das müßte man wissen, das müßte man wissen.«

»Ich weiß es, Sire,« sprach mit sanftem Tone der Dauphin. »für mich gibt es keinen Zweifel mehr, Herr Dubarry hat den Degen in die Hand genommen.«

»Zuerst?« fragte Ludwig XV., glücklich, daß man ihm diese Chance geöffnet hatte, um den Streit auszugleichen.

Der Dauphin erröthete und schaute Herrn von Choiseul au, der dem Prinzen, als er ihn in Verlegenheit sah, schleunigst zu Hülfe kam.

»Kurz, Sire,« sagte er, »der Degen wurde von zwei Männern gekreuzt, von denen der eine die Dauphine verletzte , während der andere sie vertheidigte.«

»Ja, aber wer war der Angreifer?« fragte der König. »Ich kenne Jean, er ist sanft wie ein Lamm.«

»Der Angreifer ist, wenigstens wie ich glaube, derjenige, welcher Unrecht gehabt hat, Sire, sprach der Dauphin mit seiner gewöhnlichen Mäßigung.

»Das ist eine delikate Sache,« sagte Ludwig XV., »der Angreifer derjenige, welcher Unrecht gehabt hat  . . . derjenige, welcher Unrecht gehabt hat  . . . und wenn der Officier unverschämt war?«

»Unverschämt!« rief Herr von Choiseul, »unverschämt gegen einen Menschen, der mit Gewalt die für die Dauphine bestimmten Pferde wegführen wollte! Ist das möglich, Sire?«

Der Dauphin sagte nichts, aber er erbleichte.

Ludwig XV. sah diese zwei feindseligen Stellungen.

»Lebhaft, wollte ich sagen,« fügte er sich verbessernd bei.

»Und überdies,« versetzte Herr von Choiseul, der diesen Schritt rückwärts benützen wollte, um einen Schritt vorwärts zu machen, »und überdies weiß Seine Majestät wohl, daß ein eifriger Diener nicht Unrecht haben kann.«

»Ah ja! doch wie haben Sie dieses Ereigniß erfahren, mein Herr?« fragte der König den Dauphin, ohne Herrn von Choiseul aus dem Gesicht zu verlieren, dem diese ungestüme Aufforderung dergestalt in die Quere kam, daß man seine Verlegenheit leicht bemerken konnte, trotz der Mühe, die er sich gab, um sie zu verbergen.

»Durch einen Brief, Sire,« antwortete der Dauphin.

»Ein Brief, von wem?«

»Von irgend Jemand, der sich für die Frau Dauphine interessirt und es wahrscheinlich seltsam findet, daß man sie beleidigt.«

»Sieh da, abermals Mysterien, geheime Korrespondenzen, Commplotte,« rief der König, »Man fängt wieder an, sich zu verständigen, um mich zu plagen, wie zur Zeit von Frau von Pompadour.«

»Nein, nein, Sire,« versetzte Herr von Choiseul, »es ist eine ganz einfache Sache, ein Verbrechen beleidigter Majestät. Eine gute Bestrafung wird über den Schuldigen verhängt werden, und Alles ist vorbei.«

Bei dem Worte Bestrafung sah Ludwig XV. die Gräfin wüthend und schon schäumend sich erheben, er sah den Frieden des Haushalts, den er immer gesucht, ohne ihn je zu finden, entfliehen, und den inneren Krieg mit gekrümmten Nägeln und rothen, von Thränen geschwollenen Augen eintreten.

»Eine Bestrafung,« rief er, »ohne daß ich die Parteien angehört, ohne daß ich beurtheilen kann, auf welcher Seite das gute Recht ist! Ein Staatsstreich, ein geheimer Verhaftsbefehl! Oh! was für einen schönen Vorschlag machen Sie mir da, Herr Herzog, in welch eine herrliche Geschichte verwickeln Sie mich!«

»Aber, Sire, wer wird fortan die Frau Dauphine respectiren, wenn nicht ein strenges Beispiel an der Person des Ersten gegeben wird, der sie beleidigt hat?«

»Ganz gewiß!« fügte der Dauphin bei, »und das wäre ein Scandal, Sire.«

»Ein Beispiel, ein Scandal,« sprach der König.

»O! bei Gott, gebt ein Beispiel für jeden Scandal, der um uns her vorgebt, und ich werde mein Leben damit hinbringen, daß ich geheime Verhaftsbefehle unterzeichne; ich unterzeichne, Gott sei Dank, so schon genug.«

»Es muß sein, Sire,« sagte Herr von Choiseul.

»Sire, ich bitte Eure Majestät  . . .« rief der Dauphin.

»Wie, Sie finden ihn noch nicht hinreichend dadurch bestraft, daß er den Degenstich bekommen hat?«

»Nein, Sire, denn er konnte Herrn von Taverney verwunden.«

»Und was hätten Sie denn in diesem Fall verlangt?«

»Ich hätte seinen Kopf von Ihnen verlangt.«

»Aber man hat Herrn von Montgommery nichts Schlimmeres dafür gethan, daß er König Heinrich II. getödtet,« sprach Ludwig XV.

»Er tödtete den König aus Zufall, Sire, und Herr Jean Dubarry hat die Dauphine beleidigt mir der Absicht, sie zu beleidigen.«

»Und Sie, mein Herr,« sagte Ludwig XV., sich an den Dauphin wendend, »verlangen Sie auch den Kopf von Jean?«

»Nein, Sire, ich bin nicht für die Todesstrafe, Euere Majestät weiß es wohl« antwortete sanft der Dauphin, »Ich begnüge mich auch, die Verbannung von Ihnen zu fordern.«

Der König lachte.

»Die Verbannung wegen eines Wirthshausstreites? Sie sind streng, trotz ihrer philanthropischen Ideen. Es ist nicht zu leugnen, ehe Sie Philanthrop waren, waren Sie Mathematiker, und ein Mathematiker  . . .«

»Eure Majestät geruhe zu vollenden  . . .«

»Und ein Mathematiker würde das Weltall seiner Ziffer opfern.«

»Sire,« sprach der Dauphin, »ich bin Herrn Dubarry nicht persönlich böse.«

»Und wem sind Sie denn böse?«

»Dem Angreifer der Frau Dauphine.«

»Was für ein Muster von einem Ehegatten!« rief der König ironisch. »Zum Glück macht man mich nicht so leicht an dergleichen glauben. Ich sehe, wen man hier angreift, und sehe besonders, wie weit man mich mit allen diesen Uebertreibungen führen will.«

»Sire,« sagte Herr von Choiseul, »glauben Sie nicht, man übertreibe; das Publikum ist in der That entrüstet über so viel Frechheit.«

»Das Publikum! Ah! abermals ein Ungeheuer, das Sie sich machen, oder vielmehr, das Sie nur machen. Das Publikum, höre, ich es, wenn es mir durch die tausend Zungen seiner Libellisten und seiner Phamphletschreiber, seiner Liedermacher und seiner Kabalenschmiede sagt, man bestehle, man prelle, man verrathe mich? Ei! mein Gott, nein. Ich lasse sie sprechen und lache. Machen Sie es wie ich, schließen Sie das Ohr, und wenn es des Schreiens müde ist, Ihr Publikum, so wird es nicht mehr schreien. Gut! Sie bringen mir Ihren Unzufriedenheitsgruß. Ludwig macht mir die Grimasse eines Schmollenden. Wahrlich, es ist seltsam, daß man nicht für mich thun kann, was man für den letzten Privatmann thut; daß man mich nicht will nach meinem Gefallen leben, lassen; daß man unablässig haßt, was ich liebe; daß man ewig liebt, was ich hasse! Bin ich weise oder bin ich ein Narr? Bin ich der Herr, oder bin ich es nicht?«

Der Dauphin nahm sein Radirmesser und kehrte zu seiner Pendeluhr zurück.

Herr von Choiseul verbeugte sich auf dieselbe Weise wie das erste Mal.

»Gut! man antwortet mir nichts. Aber antworten Sie mir doch etwas, bei Gottes Tod! Sie wollen mich also vor Aerger sterben machen mit Ihren Redensarten und mit Ihrem Stillschweigen, mit Ihren kleinen Gehässigkeiten und mit Ihren kleinen Befürchtungen?«

»Ich hasse Herrn Dubarry nicht, Sire,« sprach der Dauphin lächelnd.

»Und ich fürchte ihn nicht,« sagte stolz Herr von Choiseul.

»Hört, Ihr seid alle schlimme Geister,« rief der König, der den Wüthenden zu spielen suchte, während er nur ärgerlich war. »Ihr wollt, daß ich mich zur Fabel von Europa mache, daß ich mich von meinem Vetter dem König von Preußen verspotten lasse, daß ich den Hof des Königs Pétaud von diesem Schufte Voltaire verwirkliche. Ei! nein, das werde ich nicht thun. Nein! Ihr werdet diese Freude nicht haben. Ich verstehe meine Ehre auf meine Weise und werde sie auf meine Weise wahren.«

16La cour du roi Pétaud, dieser Ausdruck bezeichnet im Allgemeinen einen Ort, ein Haus, wo Niemand weiß, wer Koch oder Kellner ist. Der Uebers.