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Der Vesuv und seine Opfer

Aus den
neuesten Feuilletons des Journals
Le Siècle,
ins Deutsche übersetzt von Georg Lotz
Hamburg 1843
Verlag von G. Bödeker

Ein furchtbarer Ausbruch des Vesuvs gab zu einer wunderbaren Begebenheit Veranlassung, welche mir während meines Aufenthalts in Neapel erzählt wurde.

An dem Abhange des Vesuvs, nahe bei der Quelle eines Armes des Gebetes, erhob sich eine jener reisenden Villen, wie man sie auf den Gemälden Leopold Roberts erblickt. Es war ein elegantes viereckiges Gebäude, größer als ein gewöhnliches Haus, aber weniger imposant als ein Palast, versehen mit einem auf Säulen ruhenden Portico, einem terassenförmigen Dache, grünen Jalousieen, blumengeschmückten Geländen, und einem Garten, in welchem Orangen, Rosen und Granatbäume prangten.

Während des ganzen Tages blieb diese Villa, wie es in Neapel Gebrauch ist, einsam und verschlossen; wenn aber der Abend erschien, und mit ihm die erfrischende Meereskühle, wurden die Jalousieen langsam geöffnet, um die erquickende Luft herein zu lassen; und dann konnten diejenigen, welche an dieser Behausung vorüber kamen, durch die geöffneten Fenster Gemächer mit vergoldeten Mobilien und reichen Teppichen gewahren, in welchen Arm in Arm sich einander mit liebevollen Blicken betrachtend, ein schöner junger Mann und eine junge Dame auf- und ab schlenderten. Dieses waren der Herr dieses kleinen Feenpalastes, Graf Odoardo Giordani und seine junge Gemahlin Lia.

Obgleich diese beiden jungen Leute sich schon seit längerer Zeit liebten, waren dennoch seit ihrer Verbindung erst sechs Monate vergangen; ihre Verheiratung sollte in dem Augenblick stattfinden, als die neopolitanische Revolution ausbrach; der Graf Odoardo aber, den Geburt und Grundsätze an die königliche Sache fesselten, war dem Könige Ferdinand durch Sizilien gefolgt und er als Ehren-Cavalier der Königin sieben oder acht Monate in Palermo geblieben; als aber der Cardinal Russo seine Expedition nach Calabrien ins Werk richtete, hatte Graf Odoardo bei seiner Gebieterin um die Erlaubnis nachgesucht, ihn begleiten zu dürfen; und als ihm dieses zugestanden worden, folgte er ihm auf seinem Triumphzuge nach Neapel. Er war mit ihm in die Hauptstadt eingezogen, hatte dort seine Lia treu wiedergefunden, und sich mit ihr vermählt, da ihrer Verbindung kein Hinderniß im Wege stand. Dem Blutvergießen enteilend, welches die Stadt in Verzweiflung setzte, hatte er seine junge Gemahlin nach dem Paradiese geführt, das zu schildern ich versucht habe, und das sie jetzt seit sechs Monaten miteinander bewohnten. Der Graf wäre jetzt unstreitig der Glücklichste der Sterblichen gewesen, hätte sich nicht eine Begebenheit ereignet, die seine Seele ungemein trübte.

Alle Mitglieder seiner Familie hatten den Haß nicht geteilt, den er gegen die Franzosen hegte, und der ihn bei ihrer Annäherung Neapel verlassen ließ. Der Graf hatte eine jüngere Schwester, welche sich Therese nannte, es war ein junges liebliches Mädchen, die wie eine Lilie im Schatten des Klosters dahinwelkte. Der Sitte der neopolitanschen Familien zufolge war die Zukunft und die Liebe dieses jungen liebenswürdigen Geschöpfes dem Vortheile ihres älteren Bruders geopfert worden. Noch bevor die arme Therese die Welt kennen lernte; hatte das Gitter des Klosters sie von derselben getrennt, und als ihr Vater starb und ihr älterer Bruder, den sie anbetete, freier Herr seiner Handlungen geworden war, war ihr Gelübde schon seit drei Jahren ausgesprochen.

Das erste Wort, welches Graf Odoardo an seine Schwester richtete, als er sie zum ersten Mal nach dem Tode ihres Vaters wieder sah, war das Anerbieten, ihr von dem heiligen Vater die Aufhebung jenes Gelübdes zu verschaffen, das sie ausgesprochen hatte ohne die Schwere desselben zu kennen. Für das arme Mädchen aber, das die Welt bisher nur durch ihren Schleier geschaut hatte, dessen Herz keine andere Liebe kannte, als die welche sie dem Heiland gelobt hatte, hatte das Klosterleben seinen Zauber und seine Reize; sie dankte also dem Bruder für sein Anerbieten, versicherte ihn aber, daß sie sich glücklich fühle und jede Veränderung fürchte, die ihrer Lebensweise eine andere Richtung als die, in der sie bisher gewandelt geben würde.

Der junge Graf, welcher zu lieben begann, und wußte, welchen Wandel die Liebe im Leben hervorbringt; zog sich zurück, indem er Gott bat, daß seine Schwester den einmal gefaßten Entschluß nicht bereuen möge.

Einige Monate vergingen, da ereigneten sich die Begebenheiten die wir erzählen wollen: der Graf Odoardo zog sich wieder nach Sicilien zurück, wie wir es bereits berichtet haben und überließ die junge Carmeliterin der Sorge des Allmächtigen.

Die Franzosen zogen in Neapel ein; und die partenopeeische Republik ward proklamiert. Eine der ersten Handlungen der neuen Regierung war dieselbe, mit der ihre ältere Schwester die ihrige begonnen hatte, sie bestand darin, die Pforten aller Klöster zu öffnen und zu erklären, daß die erzwungenen Gelübde null und nichtig wären.

Da aber dieses Dekret nicht hinreichend war, besonders die Frauen zu bestimmen, die Stadt zu verlassen, in welcher sie bisher gewohnt hatten, und wo sie zu sterben hofften, folgte bald ein zweiter Bescheid, welcher alle religiösen Orden für gänzlich aufgehoben erklärte.

Die armen Tauben waren also gezwungen, ihren Taubenschlag zu verlassen. Therese begab sich zu ihrer Tante, welche sie wie ihre Tochter aufnahm; das Haus der Marquise Livello (so nannte sich diese Tante) war indes nicht geeignet, der jungen vormaligen Novizin die Ruhe zu gewähren, nach der sie verlangte. Die Marquise deren aristokratische Stellung sowie Reichthum und Geburt, sie an die Familie Bourbon fesselte, hatte befürchtet, daß diese ihre allgemein bekannte Gesinnung sie compromittieren könne, und sie hatte sich daher beeilt, den General Championet und die bedeutendsten Befehlshaber der französischen Armee bei sich zu empfangen.

Unter den Offizieren befand sich ein junger Obrist von vier und zwanzig Jahren. In jener Zeit konnte man noch jung zum Obristenrange gelangen. Der von dem hier die Rede ist, hatte sich durch seinen kühnen Muth emporgeschwungen. Kaum sah er Therese, als er sich in sie verliebte, kaum hatte sie ihn erblickt, als sie begriff, daß es noch ein anderes Glück in der Welt gab, als die Einsamkeit und die Stille des Klosters.

Die beiden jungen Leute liebten sich, der Eine mit der Phantasie eines Franzosen, die Andere mit dem Herzen einer Italienerin. Beide sahen indes bald ein, daß diese Liebe nur unglücklich sein könne. Wie konnte die Schwester eines ausgewanderten Royalisten einen republikanischen Obristen heirathen? —

Die beiden jungen Leute liebten sich indeß darum nicht weniger, ja vielleicht liebten sie sich gerade deshalb noch mehr. So vergingen ihnen drei Monate wie eins einziger Tag; dann erhielt die französische Armee jene verhängnisvolle Ordre des Rückzuges, die ein so großes Unglück anrichten sollte, und die beiden Liebenden aus ihren goldenen Träumen aufschreckte. Es viel ihnen nicht ein, sich zu trennen: die Lieben der beiden jungen Leute war allzu feurig, als daß sie einem solchen Gedanken hätte Raum geben können. Sich von einander trennen, hieße sterben, und Beide fühlten sich so glücklich, daß sie noch große Lust hatten, zu leben.

In Italien ist es leicht, einer Liebe die kirchliche Weihe zu verschaffen; die Liebenden begeben sich zu einem Priester, erklären ihm, daß sie mit einander verheirathet zu werden wünschen, beichten, empfangen die Absolution, knieen vor dem Altar nieder, hören die Messe mit an und sind vermählt.

Der Obrist schlug Theresen eine Verheirathung dieser Art vor, Therese willigte ein. Man kam überein, daß die Letztere in der Nacht vor dem Abzuge der französischen Armee das Haus ihrer Tante insgeheim verlassen solle, worauf die Liebenden in der auf dem Mercato Ruopo gelegenen Kirche die priesterliche Weihe empfangen wollten.

Alles ging, wie man es verabredet hatte, bis auf einen Umstand. Die beiden Liebenden stellten sich dem Geistlichen vor, welcher ihnen erklärte, daß er vollkommen geneigt sei, ihre Verbindung einzusegnen, sobald er ihre Beichte vernommen haben würde. Es war nichts dagegen einzuwenden, der Gebrauch verlangte es, der Obrist erklärte sich bereit, und knieete an der einen Seite des Beichtstuhles nieder, während das junge Mädchen auf der anderen Seite ihre Kniee beugte. Der Obrist empfing von dem Geistlichen ohne Weiteres die Absolution.

Gegen alle Erwartung aber war dieses nicht der Fall bei der armen Therese. Der Priester verzieh ihr zwar ihre Liebe, so wie ihre Flucht aus dem Hause der Tante, weil diese Flucht zur Absicht hatte, ihren Geliebten zu folgen; als aber das junge Mädchen ihm beichtete, daß sie vormals eine Nonne gewesen, und daß sie dem Kloster entflohen sei, als das Dekret alle religiösen Orden auslöschte, erhob sich der Priester, erklärte, daß Therese zwar in den Augen der Menschen, aber doch nicht in denen Gottes freigesprochen sei, und weigerte sich dem zufolge, die Verbindung der beiden Liebenden einzusegnen. Therese flehte, der Obrist drohte; aber der Priester blieb unbeweglich. Der Obrist hatte die größte Lust, ihm seinen Degen durch den Leib zu rennen, aber er bedachte, daß er dadurch doch nicht vermählt sein würde, und so trug er Therese auf seinen Armen fort, und tröstete sie mit der Versicherung, daß dieses nur eine kurze Verzögerung sei, und daß sie, kaum in Frankreich angelangt, einen weniger gewissenhaften Priester finden würden.

Therese liebte; sie glaubte und willigte ein, ihrem Geliebten zu folgen. Am folgenden Morgen fand die Marquise von Livello einen Brief, welcher sie von der Flucht ihrer Nichte benachrichtigte. Diese Kunde verursachte ihr großen Schmerz; dieser aber ward nicht bloß durch das verschwinden Theresens herbeigeführt. Wir haben die politischen Besorgnisse der Marquise erwähnt. Dieselben hatten sie veranlaßt, als Freunde die Franzosen zu empfangen, welche sie haßte. Sie sah eine royalistische Revision voraus, schon war sie den Bourbons verantwortlich für die Gemeinschaft mit den Patrioten; was würde nun erst gar daraus werden, wenn man erfuhr, daß ihre Nichte, die ihre Sorge anvertraut worden war, die Schwester des Grafen Odoardo, das heißt, eines der eifrigsten Anhänger des Königs Ferdinand, von Neapel mit einem republikanischen Obristen entflohen sei? Die Marquise hielt sich demnach schon für verloren, für eingekerkert, für guillotiniert, oder wenigstens für verbannt.

 

Ihr Entschluß war indeß augenblicklich gefaßt. Sie erzählte, daß die Gesundheit ihrer Nichte seit einiger bedeutend gelitten habe, und daß sie, überzeugt, daß die Luft von Neapel ihr nachtheilig sey, sich nach Livorno zurückgezogen habe.

Noch am selben Abend reiste die Tante in einem verschlossenen Wagen b, so als ob Therese sich bei ihr befinde, und am folgenden Tage langte sie an ihrem Schlosse an, welches in dem Distrikt Bari an dem Flüßchen Ofonto gelegen war.

Es war eine finstere, einsame Burg, welche vollkommen für die Ausführung ihres Planes geeignet war. Nach Verlauf eines Monats verbreitete sich in Neapel das Gerücht, daß Therese an der Auszehrung gestorben sey. Ein Certificat eines alten, der Familie der Marquise seit fünfzig Jahren attachierten Priesters, ließ rücksichtlich dieser Begebenheit keinen Zweifel übrig. Überdies, wer konnte argwöhnen, daß das ganze eine Lüge sey? man wußte, daß die Marquise ihre Nichte anbetete, und sie hatte laut verkündet, daß dieselbe ihre alleinige Erbin sein sollte. Die Marquise hatte die Gerüchte mit um so größerer Sicherheit verbreitet, da Therese sie in einem Briefe benachrichtigt hatte, daß sie sie niemals wiedersehen werde,

Der Graf Odoardo war in Verzweiflung, Lia und seine Schwester waren Alles, was ihm in der Welt übrig geblieben war; zum-Glück blieb ihm noch Lia.

Wir haben erzählt, wie Odoardo, als er sich mit dem Cardinal Russo nach Neapel begab, Lia liebender als je zuvor wieder fand, wir haben berichtet, wie sie verbunden wurden, und wie sie sich von Neapel zurückgezogen hatten, um einzig und allein nur ihrer Liebe zu leben. Sie bewohnten jene reizende Villa, die wir geschildert haben, welche an einem Abhange des Vesuvs lag, und von deren Fenstern man zu gleicher Zeit den Vulcan, das Meer, Neapel und das ganze reizende Thal erblickte, das sich nach Acerra hindehnt.

Die beiden jungen« Gatten empfingen nur wenig Gesellschaft. Das Glück liebt die Ruhe und sucht die Einsamkeit. Ueberdies hatte die Gräfin gleich in den ersten Tagen nach ihrer Vermählung den Besuch einer Freundin erhalten, welche ihr nicht blos zu ihrer Verheirathung, sondern auch zu dem Triumphe Glück wünschte, den sie über eine Nebenbuhlerin davon getragen habe. Ohne zu wissen, was diese letzten Worte, zu bedeuten hatten, erblaßte Lia; sie fragte; von welcher Nebenbuhlerin die Rede sey. Die geschwätzige Freundin beeilte sich darauf ihr zu erzählen, daß man am Hofe von Palermo unablässig von der Liebe gesprochen habe, welche der Graf der schönen Lyonna, der Günstlingin Carolinens, einflößte; eine Liebe, welche die Freunde Lia’s mit Besorgnissen erfüllten; dieselben aber waren unbegründet gewesen. Der neue Rinaldo hatte die Fesseln der neuen Armida, die er eine Zeitlang getragen; von sich abgeschüttelt, und war zu seiner ersten Geliebten verliebter als je zurückgekehrt.

Lia hatte dieser Erzählung mit einem Lächeln auf den Lippen, aber mit dem Tode im Herzen gehorcht. Die geschwätzige Freundin war darauf nach Neapel zurückgekehrt, nachdem sie in der Brust der jungen Gattin den Stachel der Eifersucht zurückgelassen hatte.

Kaum hatte sich die Thür hinter ihr geschlossen, als Lia in Thränen ausbrach. Fast zu gleicher Zeit öffnete sich eine andere Thür und der Graf trat zu ihr ein. Lia versuchte ihm ihre Thränen unter einem Lächeln zu verbergen, als sie aber sprechen wollte, erstickte der Schmerz ihre Stimme, und statt der zärtlichen Worte, die sie aussprechen wollte, preßte sie nur tiefe Seufzer heraus.

Ihr Kummer zeigte sich plötzlich, als daß der Graf nicht nach der Ursache hätte forschen sollen; Lia’s Herz dagegen war zu voll, als daß sie ein solches Geheimnis lange hätte verborgen halten können: der Schmerz brach in ganzer Heftigkeit aus, ohne Vorwürfe, aber nicht ohne Bitterkeit.

Odoardo lächelte. Dem Berichte der geschwätzigen Freundin lag einige Wahrheit zu Grunde. Die schöne Emma Lyonna hatte wirklich den Grafen ausgezeichnet, zu ihrem großen Erstaunen aber wurden ihre Aufmerksamkeiten nur durch feine Höflichkeiten des kalten Weltmannes erwidert. —

Da bot sich dem Grafen Odoardo die Gelegenheit dar, Sicilien mit dem Cardinal Russo zu verlassen, und er hatte sich beeilt, dieselbe zu ergreifen. Odoardo erzählte dies alles seiner Gattin mit dem Ausdruck der Wahrheit, und Lia, durch sein Lächeln beruhigt, begann die ganze Sache zu vergessen, das heißt, sie dachte nur daran, wenn sie sich allein befand. —

Eines Morgens, als Odoardo die Villa verlassen hatte, um auf die Jagd zu gehen, gewahrte Lia als sie im Zimmer ihres Gatten auf und abschritt, auf dem Tisch vier oder fünf Briefe, welche der Bediente so eben aus der Stadt mitgebracht hatte; sie richtete unwillkürlich den Blick darauf; in der Adresse eines der Briefe erkannte sie eine weibliche Handschrift. Lia schrak zusammen. Sie kannte zu sehr ihre Pflicht, als daß sie es hätte wagen sollen, das Schreiben zu erbrechen; aber sie konnte den Vorsatz nicht unterdrücken, den Eindruck zu beobachten, den die Entsiegelung dieses Briefes auf den Gatten hervorbringen würde. So wie sie seine Rückkehr vernahm, begab sie sich demnach in ein Cabinet, von wo aus sie alles beobachten konnte.

Der Graf trat herein, und da er seine Gemahlin nicht erblickte, rief er sie. Antworten hieße sich verrathen, und Lia schwieg daher. Odoardo begab sich demnach wieder auf sein Zimmer, welches an das seiner Gemahlin grenzte, stellte seine Jagdflinte in einen Winkel, warf die Waidmannstasche bei Seite, näherte sich alsdann dem Tische und überflog gleichgültig die Briefe; kaum aber hatte er das Schreiben mit der weiblichen Handschrift bemerkt, als er einen Schrei ausstieß und dasselbe eifrig erfaßte; Der Anblick der Handschrift hatte einen solchen Eindruck auf den Grafen hervorgebracht, daß er um nicht umzusinken, genöthigt war, sich auf den Tisch zu stützen. In dieser Stellung verharrte er mehrere Augenblicke, den Brief betrachtend, so als glaube er seinen Augen nicht trauen zu können. Endlich brach er zitternd das Siegel; suchte nach der Unterschrift, richtete starr seinen Blick auf dieselbe, verschlang alsdann den Inhalt des Schreibens und bedenke dasselbe mit Küssen. So stand er nachdenkend da, wie Jemand, der über etwas berathschlagt. Endlich nachdem er den Brief noch einige Male gelesen hatte, legte er ihn sorgsam wieder zusammen, blickte behutsam um sich, so als ob er fürchte beobachtet zu werden und barg alsdann das Schreiben an seine Brust.

Dieser Brief war ein Brief Theresens. Bei dem Anblick der Handschrift derjenigen, die er für todt hielt, war Odoardo von Erstaunen überrascht worden, hatte er geglaubt, daß sein Auge ihn täusche. Er hatte den Brief in der größten Aufregung geöffnet. Jetzt ward ihm Alles klar. Der junge Obrist war in der Schlacht bei Genola getödtet worden und Therese befand sich verlassen und allein in einem fremden Lande. Als Gemahlin des Obristen würde sie sich nach Frankreich begeben haben, stolz auf den Namen, den sie trug; die eheliche Verbindung aber hatte noch nicht statt gehabt: sie hatte nur das Recht ihren Geliebten zu beweinen, das war Alles. Da hatte sie an ihren Bruder gedacht, der sie so innig liebte; ihm allein vertraute sie ihre Lage an; sie beschwor ihm, ihr Geheimnis vor Jedermann verborgen zu halten, denn sie wollte durchaus in den Augen jedes jedes Anderen für todt gelten. Uebrigens langte sie selbst fast eben so schnell als ihr Brief an.

Ein Brief des Grafen, in welchem Therese ihn bat, seine Antwort Poste-restante zu adressieren, sollte sie benachrichtigen, wo sie einen Zufluchtsort finden könne. Zu größerer Sicherheit sollte das Schreiben des Grafen nicht ihre Adresse-tragen, sondern an Madame *** gerichtet werden. Therese empfahl ihrem-Bruder schließlich noch ein Mal die größte Verschwiegenheit an, selbst in Betreff seiner Gemahlin, deren Strenge sie fürchtete und deren Verachtung zu ertragen, sie sich außer Stande erklärte.

Odoardo sank in einen Sessel, und gab sich ganz seinem Erstaunen und seiner Freude hin. Wir wollen die Angst nicht beschreiben, welche die Gräfin während der letzten halben Stunde empfand. Zwanzig Mal war sie auf dem Punkt, plötzlich vor ihren Gemahl zu erscheinen und ihn mit Vorwürfen über seine Treulosigkeit zu überhäufen. Jedes Mal aber hatte sie sich an den Boden wie gefesselt gefühlt.

Sie eilte demnach durch eine Seitenthür in den Garten und hier gelang es ihr erst, ihre Gefühle einiger Maßen zu beschwichtigen.

Der Graf hatte sich gleichfalls in den Garten begeben. Beide trafen dort bald zusammen, Beide aber suchten ihre Empfindungen zu verbergen, der Eine seine Freude; die Andere ihren Schmerz.

Odoardo eilte seiner Gattin entgegen. Lia erwartete ihn. Er schloß sie mit einer fast krampfhaften Bewegung in seine Arme.

»Was fehlt Dir, was hast Du mein lieber Freund, « forschte die Gräfin.

»O, ich bin sehr glücklich, « erwiederte der Graf.

Lia war nahe daran; in Ohnmacht zu sinken.

Sie traten wieder in die Villa, um das Mittagsmahl einzunehmen. Nach Beendigung desselben, bei welchem der Graf mit seinen Gedanken selbst so sehr beschäftigt war, daß er die trübe Stimmung seiner Gemahlin nicht bemerkte, erhob er sich und nahm seinen Hut.

»Wohin willst Du?« fragte Lia zitternd.

Der Ton, in welchem diese Worte ausgesprochen wurden, hatte etwas so Seltsames, daß Odoardo Lia mit Erstaunen anblickte.

»Wohin ich gehe?« fragte er.

»Ja, ja, wohin gehst Du?« antwortete sie, mit einem weicheren Tone, indem sie zu lächeln sich zwingen wollte.

»Ich gehe nach Neapel. Was gibt es denn da zu staunen?« fragte Odoardo.

»Nicht das Geringste, aber Du hattest mir nicht gesagt, daß Du mich verlassen würdest.«

»Einer der Briefe, welche ich diesen Morgen empfing, zwingt mich zu diesem kleinen Ausfluge, « sprach der Graf, aber ich werde frühzeitig zurückkehren.«

»Es ist wohl eine recht wichtige Angelegenheit, die Dich nach Neapel ruft?«

»Eine Sache von der größten Wichtigkeit.«

»Kannst Du sie nicht bis auf morgen verschieben?«

»Das ist unmöglich.«

»In diesem Falle mußt Du allerdings hin?«

Lia sprach diese letzten Worte mit einem Nachdruck aus, daß der Graf sich ihr näherte und sie noch einmal in seine Arme schloß:

»Bist Du krank, mein Leben?« fragte er.

»Nicht im Geringsten, « antwortete Lia.

»Doch, doch, Dir fehlt etwas, « fuhr Odoardo fort.

»Ich sage Dir nein, « versetzte die Gräfin.

Aber sie sprach diese Worte mit einem so bitteren Lächeln, daß, ihr Gatte bemerkte, es müsse etwas ganz besonderes in ihrem Inneren vorgegangen seyn.

»Höre mich an, mein Leben, « begann er aufs Neue, »ich sehe, daß Du leidest.«

Ich sage Dir, Du irrest, « entgegnete Lia ausweichend, »mache Dich also nur ruhig auf den Weg und sey meinetwegen unbekümmert.«

»Wie könnte ich Dich nur auf einen Augenblick verlassen, wenn Du mir auf diese Weise Lebewohl sagst?«

»Wohl an, da Du es so verlangst, , Odoardo, « erwiederte Lia, sich zusammen nehmend, so gehe und kehre bald zurück. Lebewohl«

Unterdessen hatte man das Lieblingspferd des Grafen gesattelt, Odoardo schwang sich in den Sattel und sprengte von dannen, indem er Lia noch einen Abschiedsgruß zuwinkte. Als er fort war, eilte Lia in einen kleinen Pavillon, von wo aus man die nach Neapel führende Landstraße überschauen konnte.

Sie sah, wie Odoardo im vollen Galopp der Stadt Neapel zu sprengte.

Odoardo begab sich nach Neapel, um dort eine Wohnung für seine Schwester zu besorgen.

Anfangs wollte Odoardo seiner Schwester einen Palast miethen, aber er bedachte, daß das gegen die empfangene Instruktion handeln heiße, und daß es Besser sei, ihr eine kleine Wohnung in einem entlegenen Stadtviertel zu besorgen. Er fand, was er suchte, in der Straße Giacomo No. 11, im dritten Stockwerk, bei einer armen Frau, welche möblierte Zimmer vemietete. Er beorderte das Zimmer, welches er für Therese in Beschlag genommen hatte, mit seidenen Tapeten und einem Fußteppiche zu versehen; auch empfahl er der Hauswirthin, für ihre neue Mietherin die möglichste Sorge zu tragen. Die Wirthin fragte nach dem Namen der Letzteren, der Graf entgegnete, daß sie denselben nicht zu wissen brauche, daß ein junges hübsches Frauenzimmer anlangen und nach dem Grafen Giordani fragen würde, dieser sei das Zimmer bestimmt. Die Wirthin wechselte mit ihrer Schwester, einer garstigen alten Frau, bedeutungsvolle Blicke, welche der Graf nicht bemerkte. Dann kehrte er sofort nach der Villa, Giordani zurück, mit dem Vorsatze, seiner Schwester durch einen Bedienten seinen Brief zu senden, der sie von Allem unterrichten sollte.

 

Lia war in dem Pavillon so lange geblieben, bis sie ihren Gemahl aus den Augen verloren hatte. Alsdann erst hatte sie sich wieder auf ihr Zimmer begeben. ihr Herz war auf’s Schwerste belastet; sie konnte weder weinen noch jammern, es war ihr, als müsse sie jeden Augenblick ihren letzten Athemzug aushauchen. So vergingen zwei Stunden, da vernahm sie den Galopp eines Pferdes, es war Odoardo, welcher zurückkehrte: sie fühlte, daß sie außer Stande sei, ihm in diesem Augenblick entgegen zu treten, es war ihr; als hasse sie ihren Gatten eben so sehr, als sie ihn früher geliebt hatte. Sie verriegelte die Thür und warf sich auf ihr Lager. Bald darauf vernahm sie die Schritte des Grafen, welcher sich der Thür näherte, er versuchte es sie zu öffnen, aber die Thür widerstand. »Ich bin es, mein Leben, schläfst Du schon?« rief er.

Lia antwortete nicht.

»So antworte doch, « fuhr Odoardo fort.

Lia aber schwieg fortwährend.

Nunmehr vernahm sie die Schritte des Grafen, der sich entfernte. Gleich darauf aber H hörte sie seine Stimme wieder, er fragte ihn Kammerfrau, ob sie wisse, was ihrer Gebieterin fehle; die Zofe entgegnete, sie wisse, dass ihre Herrin sich auf ihr Zimmer zurückgezogen und wahrscheinlich von der drückenden Hitze ermüdet, sich zur Ruhe gelegt habe.

Und Lia hörte, wie sich Odoardo in sein Zimmer zurückzog, wo er sich an den Tisch setzte. Odoardo schrieb, während de Ausdruck der Freude auf seinem Antlitz zu schauen war.

»Er schreibt ihr, sprach Lia in sich hinein.«

Und von Eifersucht gepeinigt, fuhr sie fort, durch das Schlüsselloch zu lugen.

Der Graf beendigte seinen Brief versiegelte denselben, fügte die Adresse darauf, klingelte einem Bedienten, gebot ihm, ein Pferd zu satteln und das Schreiben nach Neapel zu bringen.

Es war der Brief, den Therese Poste-restante finden sollte. Der Bediente nahm das Schreiben und verließ das, Gemach. —

Die Gräfin eilte nunmehr rasch durch eine Seitenthür, welche auf den Corridor führte, und begab sich in den Garten, Grade als der Bediente aus dem Gitterthor des Parks sprengen wollte, trat ihm die Gräfin entgegen.

»Wohin reitet Ihr noch so spät, Guiseppe?« fragte sie.

»Ich muß dieses Schreiben des Herrn Grafen auf die Post bringen.« antwortete der Diener.

Und so sprechend hielt er den Brief der Gräfin hin. Lia warf einen raschen Blick auf die Aufschrift und las:

An Madame ***. Poste-restante in Neapel.

»Gut, « sprach sie, »reite nur weiter.«

Der Bediente sprengte im Galopp von dannen.

Jetzt war kein Zweifel mehr vorhanden, Odoardo harte an ein Frauenzimmer geschrieben, an ein Frauenzimmer, das seinen Namen unter *** verbarg, an ein Frauenzimmer, das also verborgen bleiben wollte. Wozu dies Geheimnißvolle, wenn nicht eine verbrecherische Intrigue darunter versteckt lag? Von diesem Augenblick an hatte die Gräfin ihren Entschluß gefaßt. Sie beschloß sich zu verstellen; ihren Gatten auf das Schärfste zu beobachten, um der Sache auf den Grund zu kommen; und mit einer Kraft, deren sie sich unfähig gehalten hatte, kehrte sie wieder in ihr Zimmer zurück, öffnete die Thür, die in das Gemach Odoardo’s führte und näherte sich Odoardo mit einem Lächeln auf den Lippen.

Am folgende Tage hatte der Graf ganz und gar das seltsame Betragen vergessen, welches er am vergangenen Abend an Lia bemerkt und das ihn einen Augenblick lang beunruhigt hatte. Lia schien heiterer und glücklicher, als je zuvor.

Es war ein Sonntag. Der Vormittag dieses Tages war von der Gräfin einer reichen Almosenspende gewidmet. Auch war von Morgens acht Uhr an die Villa mit Armen angefüllt.

Nach dem Frühstück nahm der Graf, der es gewohnt war das Werk dir Wohlthätigkeit seiner Gemahlin zu überlassen, seine Jagdflinte und seine Waidmannstasche, pfiff seinen Hund und schritt hinaus in das Gebirge.

Lia begab sich sofort auf den Pavillon; sie sah, wie Odoardo sich entfernte und den Weg nach Avellino einschlug. Diesmal also ging er nicht nach Neapel..

Sie athmete auf. Es war seit dem gestrigen Abend das erste Mal, das sie sich wieder allein befand.«

Nach einigen Augenblicken erschien ihre Kammerfrau mit der Nachricht, daß die Atmen ihm harten.

Lia stieg hinab, nahm eine Hand voll Carolinen und, näherte sich dem Vorhofe. Jeder empfing, seinen Theil und begab sich dankerfüllt hinweg.

Endlich war nur-noch eine alte Frau übrig, die sich auf einen Stein gesetzt, aber noch nichts verlangt und empfangen hatte, sie hatte ihr Haupt in ihre Hand gestützt, so als ob sie eingeschlafen wäre.

Lia rief sie zu sich, die Frau antwortete nicht. Lia nähme sich ihr, die Alte blieb unbeweglich; endlich berührte Lia ihre Schulter und sie hob nunmehr das Haupt.

»Da nehmt, gute Frau, « sprach die Gräfin, indem sie ihr ein Geldstück reichte, »nehmt dieses und betet für mich.«

»Ich verlange kein Almosen, « erwiderte die Alte, »ich bin eine Wahrsagerin.«

Lia betrachtete Diejenige jetzt, die sie für eine Bettlerin gehalten hatte und sah ihren Irrthum ein.

Die Kleidung derselben war die einer Bäuerin, aber keinesweges ärmlich; ihr Gesicht war ungemein ausdrucksvoll, und mit tiefen Furchen angefüllt. Ihre Züge zeigten die Unbeweglichkeit des Alters. Nur ihre Augen waren belebt und schienen das Innere des Herzens lesen zu können.

Lia erkannte in der Alten- eine jener Zigeunerinnen, welchen ihr wanderndes Leben einige Geheimnisse der Natur verrathen hat, und die auf die Unwissenheit und Neugier spekulieren. Lia hatte stets einen großen Widerwillen gegen diese vorgeblichen Zauberinnen gehegte und sie trat demnach einen Schritt zurück.

Ihr wollt also nicht, daß ich Euch wahrsage, «Signora?« fragte die Alte.

»Nein, « antwortete Lia, »denn Deine Wahrsagekunst könnte mir leicht etwas Dunkles enthüllen.«

»Den Menschen verlangt oft mehr darnach, das Böse kennen zu lernen, was ihm droht, als dass Gute, was er zu erwartete hat, « erwiderte die Alte.

»Ja, Du hast Recht, entgegnete Lia, »wenn ich an Deine Wissenschaft glauben könnte, würde ich keinen Anstand nehmen, Dich zu befragen.«

»Was wagt Ihr dabei?« fragte die Zigeunerin. »Bei-meinen ersten Worten schon werdet Ihr wissen, ob ich lüge.«

»Du kannst ja nicht wissen, worüber ich Kunde wünsche, « bemerkte Lia.

»Versucht es einmal, « nahen die Alte wieder das Wort.

»So sprich, was soll ich thun?« fragte Lia, indem sie sich der Wahrsagerin näherte.

»Gebt mir Eure Hand, « antwortete die Sybille.

Die Gräfin zog ihren Handschuh aus und reichte ihre kleine schneeweißes Hand der Alten hin, die sie in ihre welke Hand nahm.

»Jetzt sprecht, was wollt Ihr wissen?« fragte die Zigeunerin, nachdem sie die Lignamente der Hand der Gräfin so aufmerksam prüfte, als ob sie in einem Buche lese: »Was soll sich Euch wahrsagen, die Vergangenheit, die Gegenwart oder die Zukunft?«

Die Alte sprach diese Worte mit einem solchen Selbstvertrauen aus, daß Lia erbebte; sie war Italienerin, das heißt abergläubisch; sie hatte eine Amme aus Calabrien gehabt, die ihr viele abenteuerliche Wundergeschichten erzählt hatte.

Was ich wissen möchte, « versetzte Lia, indem sie ihren Tone den Anklang des Scherzes zu geben suchte, ich möchte etwas aus der Vergangenheit erfahren; ich werde dann sehen, was ich von Eurer Aussage in Hinsicht der Zukunft zu halten habe.«

»Ihr seid in Salerno geboren, « bemerkte die Zigeunerin, Ihr seid reich, Ihr seid von vornehmer Geburt, Ihr habt vor Kurzem erst Euer zwanzigstes Jahr zurückgelegt, und habt Euch neulich mit einem Manne verheirathet, von dem Ihr lange getrennt wart, und den Ihr von ganzer Seele lieb.«