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»Die Barmherzigkeit will, daß man den Verurtheilten vierundzwanzig Stunden bewilligt, damit sie sich zum Tode bereiten können.«

»Mit Verräthern habe ich kein Erbarmen, antwortete Nelson.«

»Nun, wenn die Stimme des Erbarmens schweigt, so muß man wenigstens noch die der Religion hören,« sagte Sir William.

Ohne aber dem Gesandten zu antworten, nahm Nelson ihm das niedergeschriebene Urtheil aus der Hand, reichte es dem Grafen von Thurn und sagte:

»Lassen Sie es vollstrecken.«

Elftes Capitel.
Die Hinrichtung

Wir haben es schon gesagt und wir wiederholen es, wir haben in dieser traurigen Erzählung, welche dem Andenken eines der größten Kriegsmänner, welche jemals gelebt, einen so dunklen Flecken aufdrückt, der Phantasie keinen Spielraum gestatten wollen, obschon es möglich wäre, daß durch irgend ein Mittel der Kunst wir auf unsere Leser einen noch tieferen Eindruck gemacht hätten, als durch die einfache Lectüre von amtlichen Urkunden.

Wir hätten aber dann eine zu schwere Verantwortlichkeit auf uns genommen, und da wir von dem Urtheil Nelson’s an die Nachwelt appellieren, da wir den Richter richten, so wollen wir, daß im Gegensatz zu dem ersten Urtheil, dieser Frucht des Zornes und des Hasses, die Berufung die ganze Ruhe und Feierlichkeit einer loyalen, ihres Erfolges sichern Sache habe.

Wir verzichten daher auf jene Hilfsmittel, die uns so oft ihre mächtige Mitwirkung geliehen, und halten uns an die englische Erzählung, welche natürlich Nelson günstig und Caracciolo feindselig sein muß.

Wir schreiben ab.

Während jener feierlichen Stunden, die zwischen dem Urtheilsspruch und der Vollstreckung desselben verflossen, ließ Caracciolo den Lieutenant Parkenson zweimal zu sich rufen und bat ihn zweimal, sich für ihn bei Nelson zu vermitteln.

Das erste Mal, um die Revision seines Urtheils zu erlangen; das zweite Mal, damit man ihm die Gnade gewähre, ihn zu erschießen, anstatt durch den Strang hinzurichten.

Sein Rang als Fürst gab ihm Anspruch auf einen Edelmannstod, sein Rang als Admiral auf einen Soldatentod.

Dem über ihn gefällten Urtheil gemäß aber sollte er den Tod der Räuber und Mörder, einen entehrenden Tod, sterben.

Nelson überschritt nicht blos seine Vollmacht, indem er einen Mann, der ihm im Range gleich, in socialer Beziehung aber über ihm stand, zum Tode verurtheilte, sondern er wählte auch eine Todesart, welche in Caracciolos Augen die Schrecken der Hinrichtung verdoppeln mußte.

Um diesem entehrenden Tode zu entgehen, zögerte Caracciolo nicht, sich zum Bitten zu erniedrigen.

»Ich bin alt,« sagte er zu dem Lieutenant Parkenson, »ich hinterlasse keine Familie, welche meinen Tod beweinte, und man wird nicht voraussehen, daß es mir in meinem Alter, und da ich ganz allein stehe, großen Schmerz macht, vorn Leben Abschied zu nehmen. Die Schmach aber, zu sterben wie ein Seeräuber, ist mir unerträglich und bricht mir, ich gestehe es, das Herz.«

Während der ganzen Zeit, welche die Abwesenheit des jungen Lieutenants dauerte, war Caracciolo sehr aufgeregt und unruhig.

Der junge Officier kam zurück. Es war augenscheinlich, daß er eine abschlägige Antwort brachte.

»Nun?« fragte Caracciolo lebhaft.

»Mylord Nelson’s Antwort,« sagte der junge Mann, »lautet Wort für Wort wie folgt: Caracciolo ist von Officieren seiner Nation unparteiisch gerichtet worden, und mir, der ich Ausländer bin, kommt es nicht zu, mich einzumischen, um Gnade zu üben.«

Caracciolo lächelte bitter.

»Also,« sagte er« »Mylord Nelson hat das Recht gehabt, sich einzumischen, um mich zum Strange verurtheilen zu lassen, aber er hat nicht das Recht sich einzumischen, um mich erschießen anstatt aufknüpfen zu lassen.«

Dann drehte er sich nach dem Boten herum und fuhr fort:

»Vielleicht, mein junger Freund, haben Sie Mylord nicht so inständig gebeten, wie Sie es hätten thun sollen.«

Parkenson traten die Thränen in die Augen.

»Fürst,« sagte er, »ich habe Mylord so inständig gebeten, daß er mich mit drohender Geberde fortschickte und zu mir sagte: Lieutenant, wenn ich Ihnen einen guten Rath geben soll, so ist es der, sich um Ihre eigenen Angelegenheiten zu bekümmern. Doch gleichviel,« fuhr Parkenson fort, »wenn Sie, Excellenz, mir noch irgend einen andern Auftrag zu ertheilen haben, so werde ich denselben gern ausführen, sollte ich deswegen auch in Ungnade fallen.«

Caracciolo lächelte, als er die Thränen des jungen Mannes sah, reichte ihm die Hand und entgegnete:

»Ich habe mich an Sie gewendet, weil Sie der jüngste Officier sind und weil in Ihrem Alter ein schlechtes Herz noch eine Seltenheit ist. Wohlan rathen Sie mir, glauben Sie, daß, wenn ich mich an Lady Hamilton wende, diese für mich bei Mylord Nelson etwas auswirkt?«

»Sie besitzt allerdings großen Einfluß aus Mylord,« sagte der junge Mann. »Wir wollen es versuchen.«

»Nun gut, gehen Sie denn zu ihr und tragen Sie ihr meine Bitte vor. Vielleicht habe ich mich in einer glücklichern Zeit eines Unrechts gegen sie schuldig gemacht. Sie möge dies vergessen, und wenn ich das Feuer, welches man gegen mich richten wird, commandire, werde ich sie noch mit meinem letzten Lebenshauche segnen.«

Parkenson ging auf das Deck, und als er sah« daß Lady Hamilton nicht auf demselben war, so versuchte er in ihre Cajüte zu gelangen.

Troß seiner Bitten aber blieb die Thür geschlossen.

Bei dieser Meldung sah Caracciolo ein, daß er alle Hoffnung aufgeben müsse, und da er seine Würde nicht tiefer erniedrigen wollte, so drückte er dem jungen Officier die Hand und beschloß kein Wort mehr zu sprechen.

Um ein Uhr traten zwei Matrosen bei ihm gleichzeitig mit dem Grafen von Thurn ein, der ihm meldete, daß er den »Donnerer« verlassen und sich an Bord der »Minerva« begeben müsse.

Caracciolo streckte die Hände aus.

»Die Hände dürfen nicht vorne, sondern müssen auf den Rücken gebunden werden,« sagte der Graf von Thurn.

Caracciolo legte die Hände auf den Rücken.

Man ließ von dem Strick, womit man ihm die Hände fesselte, ein langes Stück herabhängen, dessen äußerstes Ende einer der englischen Matrosen festhielt.

Ohne Zweifel fürchtete man, daß er, wenn man ihm die Hände freiließe, sich ins Meer stürze und der Hinrichtung durch den Selbstmord zuvorkäme.

Ja Folge der getroffenen Vorkehrung stand dies jedoch nun nicht mehr zu fürchten.

Gebunden und geknebelt wie der verworfenste Verbrecher verließ demgemäß Caracciolo, ein Admiral, ein Fürst, einer der ausgezeichnetsten Männer von Neapel, das Verdeck des »Donnerers«, welches er seiner ganzen Länge nach zwischen zwei Reihen Matrosen durchschritt.

Wenn aber der Schimpf so weit getrieben wird, so fällt er aus den zurück, von welchem er ausgeht, nicht aber auf den, der ihn erleidet.

Zwei kriegsmäßig bewaffnete Boote begleiteten rechts und links das, auf welchem Caracciolo sich befand.

Man legte an der »Minerva« an. Als er dieses schöne Schiff, auf welchem er geherrscht und welches ihm während der Ueberfahrt von Neapel nach Palermo mit so großer Unterwürfigkeit gehorcht hatte, in der Nähe wiedersah, stieß er einen Seufzer aus und zwei Thränen perlten in seinen Augen.

Er stieg die Backbordtreppe, das heißt die für untergeordnete Personen bestimmte, hinauf.

Die Officiere und Soldaten standen auf dem Deck aufgestellt. Die Schiffsglocke schlug halb zwei Uhr.

Der Caplan wartete.

Man fragte Caracciolo, ob er die ihm noch übrige Zeit zu einer frommen Conferenz mit dem Priester zu verwenden wünsche.

»Ist Don Severo immer noch Caplan der »Minerva«?« fragte er.

»Ja, Excellenz,« antwortete man ihm.

»In diesem Falle führt mich zu ihm.«

Man führte den Verurtheilten in die Cajüte des Priesters.

Der würdige Mann hatte in der Eile einen kleinen Altar errichtet.

»Ich glaube,« sagte er zu Caracciolo, »daß Sie in dieser feierlichen Stunde vielleicht den Wunsch hegten, das Abendmahl zu genießen.«

»Ich glaube nicht, daß meine Sünden groß genug sind, um nur durch die Communion abgewaschen werden zu können; wären sie aber auch noch größer, so scheint mir doch der entehrende Tod, den ich erleiden soll, eine vollkommen genügende Sühne zu sein.«

»Werden Sie sich also weigern, den geheiligten Leib unseres Herrn und Heilandes zu empfangen?« fragte der Priester.

»Nein, davor bewahre mich Gott!« antwortete Caracciolo, indem er niederkniete.

Der Priester sprach die heiligen Worte, durch welche die Hostie geweiht wird, und Caracciolo empfing dieselbe dann fromm und andächtig.

»Sie hatten Recht, mein Vater,« sagte er »ich fühle mich jetzt weit stärker und besonders weit ergebener als vorher.«

Die Uhr schlug nach der Reihe zwei Uhr, drei Uhr, vier Uhr, fünf Uhr.

Die Thür öffnete sich.

Caracciolo folgte dem Priester, und folgte, ohne ein Wort zu sprechen, der Mannschaft, welche ihn abholte.

Als er auf das Deck kam, sah er einen Matrosen, welcher weinte.

»Warum weinst Du?« fragte ihn Caracciolo.

Der Matrose zeigte ihm, ohne zu antworten, aber schluchzend, den Strick, den er in den Händen hielt.

»Da Niemand von meinen Freunden weiß, daß ich jetzt sterben werde,« sagte Caracciolo, »so beweint mich auch Niemand als Du, mein alter Kriegscamerad! Umarme mich daher im Namen meiner Familie und meiner Freunde.«

Dann wendete er sich nach der Richtung, in welcher der »Donnerer« lag, und sah auf der Campanje eine Gruppe von drei Personen, welche zusahen.

Die eine davon hatte ein Fernrohr in der Hand.

»Tretet ein wenig auf die Seite, meine Freunde,»« sagte Caracciolo zu den Matrosen, welche das Spalier bildeten. »Ihr benehmt Mylord Nelson die Aussicht.«

Die Matrosen traten auf die Seite.

Der Strang war über die große Raa geworfen, und hing über Caracciolo’s Kopf.

 

Der Graf von Thurn gab ein Zeichen.

Die Schlinge ward dem Admiral um den Hals gelegt und zwölf Mann zogen, das Tau anholend, den Körper des Verurtheilten etwa zehn Fuß in die Höhe.

Gleichzeitig ließ ein Knall sich hören und der Rauch eines Kanonenschusses stieg in das Takelwerk des Schiffes empor.

Mylord Nelson’s Befehle waren ausgeführt.

Obschon aber der englische Admiral die Hinrichtung in allen ihren Einzelheiten selbst mit angesehen, so begab sich doch, sobald der Kanonenschuß gelöst war, der Graf von Thurn in seine Cajüte und schrieb:

»Dem Admiral Mylord Nelson wird hiermit gemeldet, daß das gegen Francesco Caracciolo gefällte Urtheil auf die anbefohlene Weise vollstreckt ist.

»Am Bord der königlichen Fregatte »Minerva«, am 29. Juni l799.

»Graf von Thurn.«

Ein Boot ward sofort ausgesetzt, um dem Lord Nelson diese Meldung zu überbringen.

Nelson bedurfte derselben nicht, um zu wissen, daß Caracciolo todt war. Er hatte, wie wir bereits erwähnt, die Hinrichtung in allen ihren Einzelheiten mit angesehen, und übrigens konnte er, wenn er den Blick auf die »Minerva« heftete, die Leiche noch unter der Raa hin- und herbaumeln sehen.

Ehe daher noch das Boot mit der Meldung das Admiralschiff erreichte, hatte Nelson schon den folgenden Brief an Acton geschrieben:

»Excellenz!

»Ich habe nicht Zeit, Ihnen das Protokoll über den jenem Elenden Caracciolo gemachten Proceß zu übersenden.

»Ich kann Ihnen blos sagen, daß er diesen Morgen gerichtet worden ist und daß er sich dem über ihn gefällten gerechten Spruch unterworfen hat. Ich sende Euer Excellenz meine Zustimmung zu diesem Spruche, so wie ich dieselbe gegeben:

»Ich billige das gegen Francesco Caracciolo ausgesprochene Todesurtheil, welches heute Nachmittags fünf Uhr am Bord der Fregatte »Minerva« vollstreckt werden wird.

»Ich habe die Ehre 2c.

»Horatio Nelson.«

Noch denselben Tag und mit demselben Courier schrieb Sir William Hamilton den folgenden Brief, welcher beweist, mit welcher Hartnäckigkeit Nelson in Bezug auf den neapolitanischen Admiral die Instructionen des Königs und der Königin befolgte.

»An Bord des »Donnerers« 29. Juni 1799.

»Geehrter Herr!

»Kaum habe ich Zeit, Mylord Nelson’s Briefe hinzuzufügen, daß Caracciolo durch die Majorität des Kriegsgerichtes zum Tode verurtheilt worden und daß Mylord Nelson’s Befehl zufolge die Vollstreckung des Urtheils heute Nachmittag fünf Uhr an der großen Raa der »Minerva« stattfinden und die Leiche dann ins Meer geworfen werden wird. Graf Thurn machte bemerklich, daß es unter solchen Umständen gebräuchlich sei, dem Verurtheilten vierundzwanzig Stunden Zeit zu bewilligen, um für sein Seelenheil sorgen zu können. Mylord Nelson’s Befehle sind jedoch aufrecht erhalten worden, obschon ich Thurn’s Meinung unterstützte.

»Die übrigen Delinquenten befinden sich an Bord der von unserer ganzen Flotte umzingelten Tartanen nach zur Verfügung des Königs.

»Alles, was Lord Nelson gethan, ist ihm durch sein Gewissen und seine Ehre dictirt worden, und ich glaube, daß später seine Maßnahmen als die weisesten anerkannt werden, welche man überhaupt hätte treffen können. Mittlerweile aber sorgen Sie um Gotteswillen dafür, daß der König an Bord des »Donnerers« komme und seine königliche Flagge ausziehen lasse.

»Morgen werden wir den Angriff auf San Elmo eröffnen. Der Würfel ist gefallen. Gott wird der guten Sache den Sieg verleihen. An uns ist es, fest zu bleiben und auszuharren bis ans Ende.

»W. Hamilton.«

Man sieht, daß trotz seiner Ueberzeugung, daß Nelson’s Maßnahmen die besten gewesen seien, welche man hätte treffen können, Sir William Hamilton und diejenigen, deren Dolmetscher er ist, mit dem größten Ungestüm den König auf dem »Donnerer« zu sehen wünschen. Sie können es nicht erwarten, daß die Anwesenheit des Königs das furchtbare Drama heilige, welches soeben hier aufgeführt worden.

Das über Caracciolo gefällte Todesurtheil und die Vollstreckung desselben sind in Nelson’s Schiffstagebuch, welches wir, so weit die betreffende Stelle reicht, wörtlich abschreiben, folgendermaßen eingetragen. Man wird sehen, daß diese Notiz keinen großen Platz einnimmt.

»Sonnabend 29. Juni bei ruhigem Wetter, aber bewölktem Himmel sind das königliche Schiff der »Rainha« und die Brigg »Balloon« eingetroffen. Ein Kriegsgericht hat Francesco Caracciolo gerichtet, verurtheilt und an Bord der neapolitonischenFregatte »Minerva« aufknüpfenlassen

Und durch diese drei Zeilen ward der König Ferdinand beruhigt, die Königin Caroline zufriedengestellt, Emma Lyonna dem Fluch der Nachwelt anheimgegeben und Nelson entehrt.

Zwölftes Capitel.
Die Erscheinung

Caracciolo’s Hinrichtung verbreitete in Neapel gewaltige Bestürzung. Welcher Partei man auch angehören mochte, so erkannte man in dem Admiral einen Mann, der in Folge seiner Geburt und seines Genies zu den hervorragendsten gezählt werden mußte. Sein Lebenswandel war untadelhaft und rein von allen jenen moralischen Schmutzflecken gewesen, wovon das Leben eines Hofmannes selten frei ist.

Allerdings war Caracciolo nur in seinen Mußestunden Hofmann gewesen, und man hat gesehen, daß er in diesen Mußestunden das Königthum mit eben so viel Unerschrockenheit und Muth zu vertheidigen gesucht hatte, wie er später das Vaterland vertheidigte.

Diese Hinrichtung war besonders für die Gefangenen, unter deren Augen sie stattgefunden, ein furchtbares Schauspiel. Sie sahen darin ihr eigenes Urtheil, und als bei Sonnenuntergang dem Spruch gemäß der Strang durchschnitten worden und der Körper des Hingerichteten, auf welchen Aller Augen gerichtet waren, von den Kanonenkugeln, die man ihm an den Füßen befestigt, rasch in das Meer hinabgezogen ward, da erscholl ein furchtbarer Schrei aus dem Munde der Gefangenen auf allen Schiffen, rollte wie die Klage des Meergeistes über den Wasserspiegel hin und fand sein Echo selbst an den Wänden des »Donnerers«.

Der Cardinal wußte nichts von Allem, was an diesem furchtbaren Tage geschehen. Nicht blos Caracciolos Prozeß war ihm unbekannt, sondern auch seine Gefangennehmung.

Nelson hatte, wie man gesehen, Sorge getragen, den Gefangenen über Granatello transportieren zu lassen und ausdrücklich verboten, Ruffos Lager zu passieren, denn ganz gewiß hätte der Cardinal nicht gestattet, daß ein englischer Officier, mit welchem er übrigens seit einigen Tagen über einen so wichtigen Ehrenpunkt wie der der Verträge in vollständigem Meinungszwiespalt befand, Hand an einen neapolitanischen Fürsten, wäre dieser Fürst selbst sein Feind gewesen, geschweige denn an Caracciolo, lege, mit welchem er eine Art, wenn auch nicht Offensiv-« doch Defensivbündniß geschlossen.

Man erinnert sich, daß, als der Cardinal und der Fürst einander am Strande von Cotona verließen, sie sich gegenseitig versprochen hatten, einer den andern zu schützen, und zu jener Zeit, wo man, dafern man nicht mit prophetischem Geiste begabt war, über die Zukunft kein Urtheil hatte, kannte man ebenso gut glauben, daß es der Fürst sein würde, als Ruffo, welcher den Fürsten schützen würde.

Indessen, bei dem an Bord des »Donnerers« abgefeuerten Kanonenschuß und beim Anblick eines an der Raa hängenden Cadavers hatte man dem Cardinal ohne Zeitverlust gemeldet, daß ohne Zweifel eine Hinrichtung an Bord der Fregatte »Minerva« stattgefunden habe.

Einfach von Neugier getrieben; stieg der Cardinal auf die Terrasse seines Hauses. In der That sah er mit bloßem Auge eine Leiche, welche in der Luft hin- und herbaumelte, und ließ ein Fernrohr holen.

Caracciolo hatte aber, seitdem er sich von dem Cardinal getrennt, sich Haar und Bart wachsen lassen, was ihn, besonders in dieser Entfernung, für den Cardinal unkenntlich machte.

Überdies war Caracciolo, den man in der Kleidung, in welcher man ihn gefangengenommen, gehängt, als Bauer gekleidet.

Der Cardinal glaubte daher, dieser Cadaver sei der eines Spions, welcher sich habe erwischen lassen, und ohne sich weiter mit diesem Vorfall zu beschäftigen, wollte er wieder in sein Cabinet hinuntergehen, als er von der »Minerva« ein Boot abstoßen und direct auf seine Wohnung zusteuern sah.

Dies bewog ihn zu bleiben, wo er war.

So wie das Boot näher kam, gewann der Cardinal immer mehr die Ueberzeugung, daß er es sei, mit welchem der in dem Boot kommende Officier zu thun habe.

Dieser Officier trug die Uniform der neapolitanischen Marine, und obschon es dem Cardinal schwer geworden wäre, einen Namen zu diesem Gesichte zu finden, so war dieses ihm gleichwohl nicht ganz unbekannt.

Als das Boot sich dem Strande bis auf einige Schritte genähert hatte, verneigte der Officier, welcher seinerseits den Cardinal ebenfalls schon längst erkannt, sich ehrerbietig, und zeigte ihm den Brief, den er überbrachte.

Der Cardinal ging nun hinunter, und sah sich gleichzeitig mit dem Boten an der Thür seines Cabinets.

Der Bote verneigte sich und reichte dem Cardinal den Brief und sagte:

»An Ew. Eminenz von Sr. Excellenz dem Grafen von Thurn, Capitän der Fregatte »Minerva«.

»Sollen Sie Antwort mitbringen, mein Herr?« fragte der Cardinal.

»Nein, Eminenz,« antwortete der Officier.

Dann, nachdem er sich nochmals verbeugt, entfernte er sich wieder.

Der Cardinal stand ganz erstaunt mit dem Briefe in der Hand da. Die Schwäche seiner Augen zwang ihn, um denselben zu lesen, in sein Cabinet zurückzukehren. Er hätte den Officier zurückrufen und befragen können, dieser aber hatte, mit dem sichtbaren Wunsche, sich zu entfernen, geantwortet: »Es ist keine Antwort nöthig.« Deshalb ließ er ihn seinen Weg fortsetzen, kehrte in sein Cabinet zurück, nahm seine Brille zu Hilfe, öffnete den Brief und las:

»Bericht an Se. Eminenz den Cardinal Ruffo über die Verhaftung, Verurtheilung und den Tod Franresco Caracciolos.«

Dem Cardinale entschlüpfte unwillkürlich ein Ausruf, welcher aber mehr Erstaunen als Schmerz verrieth. Er las nochmals und dann fiel ihm plötzlich ein, daß jene Leiche, die er an der Spitze einer Raa baumeln gesehen, die des Admirals Caracciolo gewesen sein, könne.

»O,« murmelte er, indem er seinen Arm schlaff am Körper herabhängen ließ, »wie weit ist es mit uns gekommen, wenn die Engländer die neapolitanischen Fürsten im Hafen von Neapel aufknüpfen!«

Dann nach einem Augenblicke setzte er sich an sein Pult, hielt sich den Brief wieder vor die Augen und las:

»Eminenz!

»Ich muß Ew. Eminenz melden, daß ich heute Morgen vom Admiral Nelson Befehl erhielt, mich sofort in Begleitung von fünf Officieren meiner Mannschaft an Bord seines Schiffes zu verfügen. Ich gehorchte diesem Befehle sofort, und als ich an Bord des »Donnerers« kam, erhielt ich die schriftliche Aufforderung, auf diesem Schiffe ein Kriegsgericht zu bilden; um den der Rebellion gegen Se. Majestät unseren erhabenen Gebieter angeklagten Chevalier Don Francesco zu richten und einen Spruch über die seinem Verbrechen gebührende Strafe zu fällen.

»Dieser Aufforderung ward sofort genügt und in dem Officierraume des genannten Schiffes ein Kriegsgericht gebildet. Gleichzeitig ließ ich den Angeklagten vorführen. Vor allen Dingen ließ ich ihn von allen Officieren recognosciren, um ihnen die Überzeugung zu gewähren, daß es wirklich der Admiral sei. Dann ließ ich ihm die gegen ihn erhobenen Beschuldigungen vorlesen und fragte ihn, ob er etwas zu seiner Vertheidigung vorzubringen habe.

»Er beantwortete diese Frage mit ja, und nachdem ihm alle Freiheit, sich zu vertheidigen, gewährt worden, beschränkte seine Vertheidigung sich darauf, daß er läugnete der nichtswürdigen Republik freiwillig gedient zu haben, und daß er versicherte, er habe es nur gezwungen gethan und weil man ihm geradezu gedroht, ihn erschießen zu lassen.

»Ich richtete hierauf noch andere Fragen an ihn, und in Beantwortung derselben kannte er nicht läugnen, daß er zu Gunsten der sich so nennenden Republik gegen die Armeen Sr. Majestät gekämpft. Auch gestand er, den Angriff der Kanonenboote, welche sich dem Einzuge der königlichen Truppen in Neapel widersetzten, geleitet zu haben. Gleichzeitig erklärte er jedoch, er habe nicht gewußt, daß diese Truppen von dem Cardinal angeführt worden, sondern dieselben einfach als Insurgentenbanden betrachtet. Uebrigens gestand er, schriftliche Befehle zu dem Zweck ertheilt zu haben, den Marsch der königlichen Armee aufzuhalten.

»Als er endlich befragt ward, warum er, da er gegen seinen Willen gedient, nicht versucht habe, nach Procida zu flüchten, was für ihn gleichzeitig ein Mittel gewesen wäre, sich wieder der legitimen Regierung anzuschließen und sich der Rebellenregierung zu entziehen, antwortete er, er habe von diesem Mittel deshalb keinen Gebrauch gemacht, weil er gefürchtet habe, schlecht empfangen zu werden.

 

»Nachdem das Kriegsgericht über alle diese verschiedenen Punkte Aufklärung erlangt, verurtheilte es Francesco Caracciolo mit Stimmenmehrheit nicht blos zum Tode, sondern auch zu einem schimpflichen Tode. Dieser Urtheilsspruch ward Mylord Nelson vorgelegt, welcher die Verurtheilung billigte und befahl daß sie fünf Uhr Nachmittags in der Weise zur Vollstreckung komme, daß der Verurtheilte an das große Raa aufgeknüpft bis zum Sonnenuntergang hängen gelassen, dann abgeschnitten und ins Meer geworfen werde.

»Heute Mittag empfing ich diesen Befehl. Um halb zwei Uhr ward der Verurtheilte an Bord der »Minerva« transportiert, dem Caplan zur Vorbereitung auf den Tod übergeben und dann um fünf Uhr Abends das Urtheil dem erlassenen Befehle gemäß an ihm vollstreckt.

»Ich beeile mich, meiner Pflicht gemäß, Ihnen hiervon Mittheilung zu machen und habe mit der tiefen Verehrung, die ich Ihnen stets gewidmet, die Ehre zu sein Euer Eminenz gehorsamster Diener

Graf von Thurn.«

Ruffo las wie betäubt den letzten Satz zweimal. War diese Mittheilung wirklich die Erfüllung einer Pflicht oder einfach eine Beleidigung?

Jedenfalls war es eine Verhöhnung.

Ruffo sah eine Beleidigung darin.

In der That hatte er als Alterego des Königs, als Generalvicar allein im Königreiche beider Sicilien das Recht über Leben und Tod. Wie konnte es daher geschehen, daß dieser Eindringling, dieser Fremdling, dieser Engländer im Hafen von Neapel, unter seinen Augen, ohne Zweifel, um ihn zu verhöhnen und ihm Trotz zu bieten – nachdem er die Capitulation zerrissen, nachdem er mit Hilfe einer eines rechtschaffenen Soldaten unwürdigen Doppelzüngigkeit die Tartanen, in welchen sich die Gefangenen befanden, unter das Feuer der Schiffe führen lassen – einen neapolitanischen Fürsten, der an Geburt über ihm, an Würde ihm gleichstand, zum Tode und zwar zu einem schimpflichen Tode verurtheilte?

Wer hatte diesem improvisierten Richter dergleichen Vollmachten ertheilt? Auf jeden Fall, wenn diese Vollmachten einem Andern ertheilt worden waren so waren die des Cardinals null und nichtig.

Allerdings waren in Ischia ebenfalls Galgen errichtet worden, mit den Inseln aber hatte er, Ruffo, nichts zu thun. Die Inseln waren nicht wie Neapel von ihm, sondern von den Engländern wiedererobert worden.

Ferner bestand mit den Inseln kein Tractat. Ueberdies war Speciale, der Henker von Procida, ein von dem König gesendeter und beauftragter sicilischer Richter, welcher folglich im Namen des Königs gesetzmäßig verurtheilte.

Nelson aber, der Unterthan Seiner großbritannischen Majestät Georgs des Dritten, wie konnte dieser im Namen Seiner sicilischen Majestät Ferdinands des Ersten Todesurtheile vollstrecken lassen?

Ruffo ließ den Kopf in die Hand sinken. Einen Augenblick lang wirbelte und strudelte Alles, was wir soeben gesagt, in seinem Hirn; dann endlich war sein Entschluß gefaßt. Er ergriff eine Feder und schrieb an den König folgenden Brief:

»An Se. Majestät den König beider Sicilien.

»Sire!

»Das Werk der Wiedereinsetzung Ew. Majestät ist vollendet und ich preise den Herrn dafür.

»Dieses Werk ist aber nur mit vieler Mühe und großer Anstrengung zu Stande gebracht worden.

»Der Grund, welcher mich bewog, das Kreuz in die eine und den Degen in die andere Hand zu nehmen, ist nicht mehr vorhanden.

»Ich kann daher, oder vielmehr ich muß, wieder in jenes Dunkel zurückkehren, aus welchem ich nur mit der Ueberzeugung hervorgetreten bin, den Absichten Gottes zu dienen und in der Hoffnung, meinem König nützlich zu sein.

»Uebrigens macht die Erschöpfung meiner physischen und geistigen Kräfte mir dies zum Bedürfniß, selbst wenn mein Gewissen mir es nicht zur Pflicht machen würde.

»Ich habe daher die Ehre, Euer Majestät zu bitten, meine Entlassung anzunehmen zu geruhen.

»Ich habe die Ehre mit der tiefsten Ehrerbietung zu sein Ew. Majestät 2c. 2c.

»F. Cardinal Ruffo.«

Kaum war dieser Brief durch einen sichern Boten, welcher ermächtigt war, im Nothfalle das erste beste Boot zu requirieren, um sich nach Sicilien übersetzen zu lassen, nach Palermo abgesendet, als der Cardinal Nachricht von der Veröffentlichung der Note Nelsons erhielt, einer Bekanntmachung, in welcher der englische Admiral den Republikanern der Stadt vierundzwanzig und denen in der Umgegend der Hauptstadt achtundvierzig Stunden Frist bewilligte, um ihre Unterwerfung unter den König Ferdinand zu erklären.

Beim ersten Blick, den der Cardinal auf diese Bekanntmachung warf, erkannte er die, welche er sich Nelson gegenüber geweigert drucken zu lassen. Dieses Schriftstück trug, wie Alles, was aus der Feder des englischen Admirals floß, den Stempel der Gewaltthätigkeit und Brutalität.

Als der Cardinal diese Note las und sah, welche Machtvollkommenheit Nelson sich anmaßte, wünschte er sich um so mehr Glück dazu, seine Entlassung eingereicht zu haben.

Am 3. Juli empfing er jedoch von der Königin folgenden Brief, welcher ihm meldete, daß seine Entlassung abgelehnt sei.

»Ich habe, Eminenz, Ihren Brief vom 29. Juni empfangen und mit dem größten Interesse und der gespanntesten Aufmerksamkeit gelesen. Alles, was ich Ihnen über die Gefühle von Dankbarkeit, wovon mein Herz gegen Sie stets erfüllt sein wird, sagen könnte, würde immer noch weit hinter der Wahrheit zurückbleiben. Das, was Sie, Eminenz, mir sodann in Bezug auf Ihre Entlassung und Ihren Wunsch nach Ruhe sagen, weiß ich ebenfalls vollkommen zu würdigen. Mehr als irgend Jemand weiß ich, ein wie wünschenswerthes Gut die Ruhe ist und wie kostbar diese Ruhe wird, nachdem man unter den Aufregungen und den Beweisen von Undankbarkeit gelebt hat, die das Gute, welches man thut, leider nur zu oft im Gefolge hat.

»Sie, Eminenz, fühlen das Bedürfniß dieser Ruhe erst seit einigen Monaten, denken Sie sich daher, wie weit ermüdeter ich sein muß, die ich diesen Wunsch schon seit zweiundzwanzig Jahren hege! Nein, was Sie auch sagen mögen, Eminenz, so kann ich nicht zugeben, daß Sie an Schwäche des Geistes oder des Körpers leiden, denn wie groß auch Ihr Widerwille gegen die Geschäfte sein möge, so beweisen doch die bewunderungswürdigen Thaten,« welche Sie vollbracht, und die Reihe von Briefen, welche Sie mit so viel Scharfsinn und Talent an mich geschrieben, im Gegentheil die ganze Kraft Ihrer Fähigkeiten.

»Meine Pflicht ist daher, Eminenz, Ihre in einem Augenblick der Ermüdung gegebene verhängnißvolle Entlassung nicht anzunehmen, sondern im Gegentheile Ihren Eifer, Ihr Intelligenz, Ihren Muth anzuspornen, damit Sie das von Ihnen so glorreich unternommene Werk auch beenden und befestigen, und fortfahren die Ordnung in Neapel auf einer so sichern und so festen Basis herzustellen, daß aus dem furchtbaren Unglück, welches uns zugestoßen, ein Segen für die Zukunft hervorgehe, was ich aber nur von Ihrem thätigen Genie, Eminenz, erwarten kann.

»Der König geht morgen mit der geringen Anzahl von Truppen ab, welche er im Stande gewesen ist zusammenzubringen. Mündlich werden viele Dinge aufgeklärt werden, welche schriftlich dunkel blieben.

»Was mich betrifft, so thut es mir unendlich leid, den König nicht begleiten zu können. Welche Freude wäre es für mich gewesen, seinen Einzug in Neapel zu sehen. Den Beifallsjubel des ihm treugebliebenen Theils seines Volkes zu hören, wäre ein wohlthätiger Balsam für mein Herz, und würde den Schmerz für die grausame Wunde lindern, deren Heilung niemals geschehen kann.

»Tausend Rücksichten haben mich aber zurückgehalten, und ich bleibe hier, weinend und bittend, damit Gott den König bei diesem großen Unternehmen erleuchte und stärke. Viele von denen, welche den König begleiten, werden ihm in meinem Namen meine aufrichtige und tiefe Dankbarkeit ebenso wie meine aufrichtige Bewunderung der ganzen wunderbaren Operationen, welche Sie ausgeführt, zu erkennen geben.

»Dennoch aber bin ich zu aufrichtig, um Ihnen, Eminenz, nicht zu sagen, daß diese Capitulation mit den Rebellen mir in hohem Grade mißfallen hat, besonders nach dem, was ich Ihnen geschrieben und was ich Ihnen gesagt hatte. Ich schweige deshalb darüber, eben weil meine Aufrichtigkeit mir nicht erlaubt, Ihnen Complimente darüber zu machen. Jetzt jedoch ist Alles zum Besten beendet, und wie ich Ihnen schon gesagt, Eminenz mündlich wird sich Alles erklären und, wie ich hoffe, einen guten Abschluß finden, da ja Alles zum Wohle und zum größern Ruhm des Staates geschehen ist.