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La San Felice

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»Sie schreien: Es lebe der König, Sire,« antwortete der Herzog mit einer gewohnten Ernsthaftigkeit. »Sie nennen Sie ihren Vater; sie nennen Sie den Retter Neapels.«

»Weißt Du das gewiß?«

Die Rufe verdoppelten sich.

»Nun,« sagte der König, »wenn diese Leutchen es einmal durchaus wollen –«

Und halb zum Wagenschlage heraustretend sagte er:

»Ja, meine Kinder, ja, ich bin es. Ja, es ist euer König, es ist euer Vater und wie Ihr sehr richtig sagt, ich komme zurück, um Neapel zu retten, oder mit Euch zu sterben.«

Dieses Versprechen verdoppelte den Enthusiasmus, welcher in förmlichen Wahnsinn ausartete.

»Pagliuccella,« schrie Michele, »lauf mit zehn Mann voraus! Fackeln! Fackeln! Lichter an die Fenster!«

»Es ist nicht nöthig, Kinder!« rief der König, den allzu helles Licht lästig war. »Es ist nicht nöthig. Wozu so viel Beleuchtung?«

»Damit das Volk sehe, daß Gott und der heilige Januarius ihm seinen König gesund und unversehrt wiedergegeben und ihn mitten unter den Gefahren geschützt haben, in welchen er geschwebt, indem er sich durch die Reihen der Franzosen hindurchgewagt, um in seine treue Stadt Neapel zurückzukehren,« rief Michele.

»Fackeln! Fackeln! Lichter an die Fenster!« schrieen Pagliuccella und seine Leute, während sie wie Besessene durch die Strada Carbonara rannten. »Der König kehrt zu uns zurück! Es lebe der König! Es lebe unser Vater! Es lebe der Retter von Neapel!«

»Ich glaube,« sagte der König zu Ascoli, »man muß den Leutchen den Willen thun! Lassen wir sie daher machen. Der Abbé Pronio ist aber ganz gewiß ein gescheiter Mann!«

Die Rufe Pagliuccellas und seiner Lazzaroni äußerten eine zauberhafte Wirkung. Mit Fackeln und Kerzen stürzte man in Massen aus den Häusern hervor, alle Fenster wurden beleuchtet, und als man in die Strada Foria gelangte, sah man sie ihrer ganzen Länge nach funkeln, wie Pia am Tage der Luminara.

Die Folge hiervon war, daß der Einzug des Königs, welcher unter dem Schweigen und mit der Schmach einer Niederlage zu geschehen gedroht, im Gegentheil den Glanz eines Sieges und den Jubelschall eines Triumphes gewann.

Auf der Höhe des Museo Borbonico konnte das Volk nicht länger mit ansehen, daß sein König von Pferden gezogen ward. Es spannte dieselben ab, sich selbst vor, und zog ihn weiter.

Als der Wagen des Königs mit seinem Gespann in die Toledostraße einbog, sah man, von der Infrascata herabkommend, einen zweiten Trupp sich an den Micheles des Narren anschließen.

Dieser zweite Trupp, der nicht weniger enthusiastisch und lärmend war als der erste, stand unter Führung des Frau Pacifico, der auf seinem Esel ritt und seinen Knüppel auf der Schulter trug wie Herkules seine Keule, und zählte nicht weniger als zwei- bis dreihundert Personen.

Man zog die Toledostraße entlang. Dieselbe rieselte buchstäblich vom Licht, während dieses ganze, mit brennenden Fackeln bewaffnete Volk einem phosphoreseirenden Meere glich.

Die Menge war so dicht, daß der Wagen kaum vorwärts konnte.

Niemals hatte ein Triumphator des Alterthums, nie hatte Paulus Aemilius, der Besieger des Perseus, nie hatte Pompejus, der Besieger des Mithridates, niemals hatte Cäsar, der Besieger der Gallier, ein Gefolge wie das welches diesen fliehenden König in seinen Palast zurückführte.

Die Königin fand, als sie durch öde, finstere Straßen hindurch in dem königlichen Palast anlangte, denselben stumm und beinahe vereinsamt.

Es dauerte jedoch nicht lange, so hörte sie ein dumpfes fernes Geräusch gleich dem Grollen eines heranziehenden Gewitters.

Zögernd trat sie auf den Balcon hinaus, denn sie hörte überdies in der Straße und auf dem Platze das Rennen des Volkes, ohne zu wissen, wohin es rannte.

Dann vernahm sie immer deutlicher das näherkommende Getöse und Rufen; sie sah jene Ströme von Licht, welche die Toledostraße herabkamen und sich auf den königlichen Palast zuwälzten.

Sie hielt dieselbe für die Lava einer Revolution. Sie erschrak, denn sie dachte an dem 5. und 6. October, den 21. Juni und den 10. August ihrer Schwester Antoinette.

Sie sprach schon von Flucht, Nelson bot ihr schon ein Asyl an Bord eines Schiffes, als man ihr meldete, es sei der König, den das Volk im Triumphe zurückführe.

Die Sache erschien ihr mehr als unglaublich; sie erschien ihr unmöglich. Sie zog Emma, Nelson, Sir William, Acton zu Rathe. Keine dieser Personen, selbst nicht Acton, dieser große Verächter der Menschheit, konnte sich diese Verirrung des moralischen Sinnes bei einem ganzen Volke erklären.

Man wußte aber nichts von der Proclamation Pronios, welche der König oder vielmehr der Cardinal durch ihren Verfasser hatte drucken und anschlagen lassen, ohne Jemanden etwas davon zu sagen, und der philosophische Mangel an Geistesgegenwart verhinderte die von uns eben genannten vornehmen Persönlichkeiten, zu bedenken, von welchen erbärmlichen kleinen Zufällen, wenn ein Thron erschüttert ist, die Wiederbefestigung oder der Sturz desselben abhängt.

Die endlich mit großer Mühe wieder beruhigte Königin eilte abermals auf den Balcon. Ihre Freunde folgten ihr.

Acton allein blieb zurück.

Das Volk verachtend, als Ausländer gehaßt und als Urheber alles Unglücks, welches dem Throne zustieß, betrachtet, vermied er es, sich dem Publicum zu zeigen, welches ihn beinahe stets mit Murren, ja zuweilen sogar mit Insulten empfing.

So lange er sich von Carolinen geliebt führte oder geliebt glaubte, hatte er dieser Impopularität. Trotz geboten; seitdem er aber fühlte, daß er für die Königin nichts weiter war als ein Gegenstand der Furcht und ein Werkzeug des Ehrgeizes, hatte er aufgehört, der öffentlichen Meinung zu trotzen, die ihm übrigens – diese Gerechtigkeit muß man ihm widerfahren lassen – höchst gleichgültig war.

Das Erscheinen der Königin auf dem Balcon ward nicht bemerkt, oder schien wenigstens keine Sensation hervorzurufen, obschon der Platz vor dem Schlosse dicht mit Menschen angefüllt war.

Alle Blicke, alle Rufe, alle Wallungen des Herzens galten dem Könige, der sich durch die Reihen der Franzosen hindurch gewagt, um zu seinem Volk zurückzukommen, und mit diesem zu sterben.

Die Königin befahl nun, den Herzog von Calabrien von der Ankunft seines Vaters zu benachrichtigen, da die Anwesenheit seiner Mutter nicht genügt hatte, ihn in die großen Gemächer zu locken.

Die Königin ließ außerdem alle übrigen königlichen Kinder herbeiholen, machte ihnen Platz auf dem Balkon und stellte sich hinter sie.

Das Erscheinen der königlichen Kinder auf dem Balcon ward von einigem Geschrei begrüßt, lenkte aber nicht die Aufmerksamkeit der Menge ab, welche fortwährend dem königlichen Zuge zugewendet blieb, dessen Spitze eben Santa Brighitta zu passiren begann.

Was Ferdinand betraf, so neigte er sich allmälig der Meinung des Cardinals Ruffo zu, den er immer mehr und mehr als einen guten Rathgeber anerkannte. Zehntausend Ducati für einen solchen Einzug war nicht theuer, besonders wenn man diesen Einzug mit dem verglich, den er erwartete und den sein königliches Gewissen, so wenig streng dasselbe auch war, ihn ahnen ließ.

Der König stieg aus dem Wagen. Nachdem das Volk ihn gezogen, wollte es ihn tragen. Es nahm ihn daher auf seine Arme und trug ihn die große Treppe hinauf bis an die Thür seiner Gemächer.

Die Menge war so zahlreich und das Gedränge so groß, daß der König von dem Herzog von Ascoli getrennt ward, auf welchen Niemand achtete und der mitten in dieser Menschenwoge verschwand.

Der König zeigte sich auf dem Balcon, reichte dem Prinzen Franz die Hand, küßte seine Kinder unter dem wahnsinnigen Jubelruf von hunderttausend Kehlen, und drängte die sämtlichen jungen Prinzen und Prinzessinnen zu einer einzigen Gruppe zusammen, welche er mit seinen Armen umschlang, indem er rief:

»Auch diese werden mit Euch sterben!«

Und das ganze Volk antwortete wie aus einem Munde:

»Für unsern König und seine Kinder lassen wir uns tödten bis auf den letzten Mann!«

Der König zog sein Taschentuch und that, als ob er sich eine Thräne trocknete.

Die Königin entfernte sich bleich und zitternd von dem Balcon und begab sich zu dem im Hintergrund des Zimmers stehenden Acton, welcher sich mit der Hand auf einen Tisch stützend diesem seltsamen Schauspiel mit seinem irländischen Phlegma zusah.

»Wir sind verloren,« sagte sie. »Der König wird hier bleiben.«

»Seien Sie unbesorgt, Madame,« entgegnete Acton, sich verneigend. »Ich mache mich anheischig, ihn wieder fort zubringen.«

Das Volk stand in der Toledostraße und auf dem sogenannten Riesengange noch lange, nachdem der König verschwunden war und man die Fenster geschlossen hatte.

Der König begab sich in seine Zimmer, ohne auch nur zu fragen, was aus Ascoli geworden sei, den man ohnmächtig, gequetscht, mit Füßen getreten und halb todt nach Hause getragen hatte.

Allerdings sehnte sich der König vor allen Dingen nach seinem Hund Jupiter, den er über sechs Wochen lang nicht gesehen.

Fünftes Capitel.
Geliebte und Gattin

Gewöhnliche Gemüther, deren Blick auf der Oberfläche der Dinge hingleitet, hatten vielleicht, als sie diese unerwartete, plötzliche und beinahe allgemeine Manifestation sahen, geglaubt, daß nichts auch nur vorübergehend einen Thron stürzen könne, welcher auf der breiten Basis eines ganzen Volkes ruhte.

Intelligentere Geister dagegen, welche sich nicht durch eitle Worte und durch diese beiden Neapolitanern so häufig vorkommenden äußeren Demonstrationen blenden ließen, sahen jenseits dieses, wie alle volksthümlichen Manifestationen, blinden Enthusiasmus die düstere Wahrheit, das heißt den König auf der Flucht, die neapolitanische Armee geschlagen, die Franzosen auf dem Marsche nach Neapel und die unvermeidlichen Folgen hiervon.

Eines der Häuser, wo die Nachricht von dem, was geschehen, anfangs die lebhafteste Sensation hervorgerufen, weil die dieses Haus bewohnenden zwei Individuen verschiedenen Richtungen angehörten und übrigens vollkommen unterrichtet waren, weil sie jedes, das eine in Bezug auf das Herz, das andere in Bezug auf die socialen Verhältnisse, an dem Ausgange dieser Ereignisse ein großes Intresse hatten, war das Haus, welches unsern Lesern unter dem Namen des Palmbaumhauses so wohl bekannt ist.

 

Luisa hatte Salvato Wort gehalten. Seit der Abreise des jungen Mannes, seitdem er jenes Zimmer verlassen, in welchem er, nachdem er sterbend hineingetragen worden, allmälig unter dem Auge und durch die Pflege der jungen Gattin des Chevalier wieder zum Leben zurückgekehrt war, hatte sie alle Augenblicke, welche die Abwesenheit ihres Gatten ihr freiließ, in diesem Zimmer zugebracht.

Luisa weinte nicht, Luisa beklagte sich nicht. Sie fühlte nicht einmal das Bedürfniß, mit Jemanden über Salvato zu sprechen.

Giovannina, welche sich über dieses Schweigen ihrer Herrin in Bezug auf den jungen Mann wunderte, hatte versucht, sie zum Reden zu bringen, aber es war ihr nicht gelungen. Sobald Salvato einmal fort und abwesend war, kam es Luisa vor, als dürfe sie nur noch mit Gott von ihm sprechen.

Die Reinheit dieser Liebe, so mächtig und gewaltig dieselbe auch war, hatte in ihr eine wehmüthige, heitere Ruhe zurückgelassen. Sie trat in das Zimmer, lächelte allen Geräthschaften desselben zu, begrüßte sie kopfnickend und zärtlich mit den Augen, setzte sich auf ihren gewohnten Platz, das heißt zu Häupten des Bettes, und träumte.

Diese Träume, in welchen die verflossenen zwei Monate Tag für Tag, Stunde für Stunde, Minute für Minute an ihren Augen vorübergingen, wo die Vergangenheit – Luisa hatte zwei Vergangenheiten, eine, welche sie vollständig vergessen, und eine, an welche sie unaufhörlich dachte – diese Träume, wo die Vergangenheit, sagen wir, sich wieder aufbaute, ohne daß es dabei einer Anstrengung des Gedächtnisses bedurft hätte, diese Träume gewährten ihr einen unendlichen Genuß.

Von Zeit zu Zeit, wenn ihre Erinnerungen bei der Stunde der Trennung angelangt waren, legte sie die Hand n die Lippen, wie um den einzigen und raschen Kuß, welchen Salvato beim Scheiden daran gedrückt, zu fixieren, und dann genoß sie noch einmal die ganze Wollust desselben.

Früher bedurfte ihre Einsamkeit der Arbeit oder der Lectüre. Jetzt ward Nadel, Bleistift, Musik, Alles vernachlässigt.

Waren ihre Freunde oder ihr Gatte zugegen, dann lebte Luisa mit einem Fuße in der Vergangenheit, mit dem andern in der Gegenwart. War sie allein, so versank sie vollständig in die Vergangenheit und lebte in dieser in künstliches Leben, welches weit süßer war als das wirkliche.

Kaum waren vier Tage vergangen, seitdem Salvato fort war, und diese vier Tage hatten einen unermeßlichen Platz in Luisas Leben eingenommen.

Ihr Raum bildete darin gleichsam einen ruhigen, einsamen und tiefen blauen See, welcher den Himmel wiederspiegelte. Wenn Salvatos Abwesenheit lange dauerte, so mußte dieser ideale See im Verhältniß zu der Dauer der Abwesenheit immer größer werden. Dauerte die Abwesenheit ewig, so mußte dieser See dann Luisas ganzes Leben mit Vergangenheit und Zukunft umfassen, die Hoffnung in die Zukunft, die Erinnerung in die Vergangenheit versenken und konnte zuletzt, wie das Meer, keine sichtbaren Ufer mehr haben.

In diesem Leben des Gedankens, welches das materielle Leben in den Hintergrund drängte, gewann, wie in einem Traum, Alles eine Form, die dem Traume glich, in welchen es versenkt war.

Auf diese Weise sah sie ohne Ungeduld jenen so sehnlich erwarteten Brief unter der Gestalt eines weißen Segels kommen, welches, erst ein unbemerkbarer Punkt am Horizont, allmälig größer ward und sich langsam, die blaue Flut mit seinem schneeigen Fittig streifend, den Gestade näherte, auf welchem sie ruhte.

Diese durch die Abreise Salvatos erweckte, durch die Hoffnung auf eine Rückkehr – eine Perle, welche das bestimmte Versprechen des jungen Mannes in Luisas Herz niedergelegt – gemilderte Melancholie war so süß, daß selbst der Chevalier, dessen ewige Güte durch ihren Anblick genährt zu werden schien, sie nicht bemerkte und folglich auch nicht nöthig hatte, seine junge Gattin nach der Ursache zu fragen.

Jene zärtliche und tiefe Freundschaft, halb Dankbarkeit, halb kindliche Zärtlichkeit, die sie für ihn hegte, ward durch diese Liebe, welche sie für einen Andern empfand, nicht beeinträchtigt.

Vielleicht war allerdings ihr Lächeln ein wenig matt, wenn sie auf der Terrasse des Hauses stand, um seine Rückkehr von der Bibliothek zu erwarten; vielleicht lag, wenn sie diese Rückkehr begrüßte, die Feuchtigkeit einer Thräne in ihrer Stimme; hätte aber der Chevalier etwas davon bemerken sollen, so hätte man ihn erst darauf aufmerksam machen müssen.

San Felice war daher der ruhige, glückliche Mann geblieben, welcher er von jeher gewesen.

Jedes von ihnen aber empfand eine andere Unruhe, als sie die Rückkehr des Königs nach Caserta vernahmen.

San Felice hatte, als er in den königlichen Palast kam, den Prinzen abwesend gefunden. Der Adjutant desselben war beauftragt, ihm zu sagen, Seine königliche Hohheit sei gegangen, einen Besuch bei dem König zu machen, welcher in der verwichenen Nacht in aller Eile von Rom zurückgekehrt sei.

Obschon dieses Ereigniß ihm als ein sehr ernstes und wichtiges erschien, so hatte er doch, da er nicht wußte, daß seine Gattin ein anderes Interesse als er daran hatte, den königlichen Palast keine Minute eher verlassen und war erst zu einer gewohnten Stunde nach Hause zurückgekehrt.

Hier angelangt, hatte er Luisa diese Rückkehr mehr als etwas Außerordentliches denn als etwas Beunruhigendes erzählt.

Luisa aber, welche durch die vertraulichen Mittheilungen Salvatos erfahren, daß eine Schlacht bevorstand, hatte sofort daran gedacht, daß die Rückkehr des Königs mit dieser Schlacht in Zusammenhang stehe und mit Sicherheit jene Vermuthung ausgesprochen, welche den Chevalier durch ihre Richtigkeit in Erstaunen gesetzt, die Vermuthung nämlich, daß, wenn der König zurückgekommen sei, wahrscheinlich ein Zusammenstoß zwischen den Franzosen und den Neapolitanern stattgefunden habe und daß die Franzosen die Sieger gewesen seien.

Indem Luisa aber diese Vermuthung, die für sie eine Gewißheit war, aussprach, bedurfte sie ihrer ganzen Selbstbeherrschung, um ihre Gemüthsbewegung nicht sehen zu lassen, denn die Franzosen hatten sicherlich nicht ohne Kampf gesiegt.

In diesem Kampfe mußte es eine größere oder geringere Anzahl von Todten und Verwundeten gegeben haben, und wer konnte ihr versichern, daß Salvato sich weder unter der Zahl der Verwundeten, noch unter der der Todten befand?

Unter dem ersten besten Vorwande zog Luisa sich in ihr Zimmer zurück und vor demselben Crucifix, welches ihr sterbender Vater umklammert gehalten, auf welches San Felice geschworen, den Willen des Fürsten Caramanico zu erfüllen, Luisa zu heiraten und sie glücklich zu machen, betete sie lange und inbrünstig, ohne ihrem Gebet einen Beweggrund zu geben und es Gott anheimstellend, diesen Beweggrund zu entdecken, wenn wirklich ein solcher vorhanden war.

Um fünf Uhr hörte San Felice lautes Gelärme auf der Straße. Er näherte sich dem Fenster, sah Leute nach allen Richtungen hineilen und Zettel an die Mauern kleben, welche jeder sich beeilte zu lesen.

Er ging auf die Straße hinunter, näherte sich einem der Anschlagzettel und las wie die Andern die unbegreifliche Proclamation.

Wie jeder forschende Geist ward er zunächst von dem Wunsche beseelt, die Lösung dieses politischen Räthels zu finden, und fragte deshalb Luisa, ob sie mit ihm bis in die Stadt gehen wolle, um Erkundigungen einzuziehen.

Sie lehnte dies ab und er ging daher allein.

Während seiner Abwesenheit kam Cirillo. Dieser wußte noch nichts davon, daß Salvato fort war.

Luisa erzählte ihm Alles – wie Nanno gekommen war und in ihrer bilderreichen Sprache unter der Form einer griechischen Legende Salvato zu verstehen gegeben hatte, daß die Franzosen im Begriff stünden zu kämpfen, und daß er mit ihnen kämpfen müsse.

Cirillo, der nicht mehr wußte als San Felice, war sehr unruhig, versicherte aber Luisa, daß Salvato, wenn ihm nicht ein Unglück zugestoßen sei, auf irgendeinem Wege seinen Freunden Nachricht von sich geben würde.

Zugleich versprach Cirillo, sobald er etwas erführe, es ihr sofort mitzutheilen.

Luisa sagte ihm nicht, daß sie in dieser Beziehung Hoffnung hatte, wenigstens eben so schnell unterrichtet zu werden als er.

Cirillo war schon lange fort, als San Felice zurückkam.

Er hatte den Triumphzug des Königs mit angesehen und zu dem Patriotismus der Neapolitaner die Achseln gezuckt. Die verwickelte und dunkle Seite der Proclamation war einem scharfsinnigen Geist nicht entgangen und sein Herz war nicht so naiv, daß es nicht an irgend einen Betrug geglaubt hätte.

Er bedauerte, Cirillo nicht gesehen zu haben, den er als Mensch liebte und als Arzt bewunderte.

Um elf Uhr zog er sich in sein Zimmer zurück und Luisa begab sich in das ihrige, oder vielmehr in das Salvatos, wie sie gewohnt gewesen zu thun, als er noch da war, und wie sie dies noch jetzt zu thun pflegte, wo er nicht mehr da war. Die Furcht hatte ihrer Liebe etwas Leidenschaftlicheres verliehen, als dieselbe sonst hatte. Sie kniete vor dem Bette nieder, weinte viel und drückte wiederholt ihre Lippen auf das Kissen, worauf das Haupt des verwundeten geruht.

Ein leichtes Geräusch bewog sie, sich umzudrehen Giovannina war ihr gefolgt. Sie richtete sich auf, den schämte sich, von dem jungen Mädchen überrascht zu werden.

Letztere entschuldigte sich, indem sie sagte:

»Ich hörte weinen, Signora, und ich glaubte, Sie dürften vielleicht meiner.«

Luisa begnügte sich, den Kopf zu schütteln. Sie enthielt sich zu sprechen, denn sie fürchtete, daß ihre von Thränen benetzten Worte mehr sagen würden, als sie beabsichtigte.

Am nächstfolgenden Tage war Luisa bleich und abgespannt. Sie erklärte dies mit dem Lärm, welchen das die ganze Nacht hindurch durch das Abfeuern von Petarden und Mortarelli gemacht.

Der Chevalier war eben mit seinem Frühstück fertig als ein Wagen an der Thür vorfuhr.

Giovannina öffnete und ließ den Secretär des Prinzen ein.

Der Prinz, welcher um zwölf Uhr dem Ministerrathe beiwohnen sollte, und ehe er sich dorthin begäbe, mit Felice zu sprechen wünschte, schickte ihm seinen Wagen und ließ ihn bitten, sich, ohne einen Augenblick Zeit zu verlieren bei ihm einzufinden.

Auf dem Perron stieß der Chevalier auf den Briefträger, welcher, da er die äußere Thür offen gefunden, hereingekommen war. Er hatte einen Brief in der Hand.

»Ist dieser Brief an mich?« fragte San Felice.

»Nein, Excellenz; er ist an Signora.«

»Wo kommt er her?«

»Von Portici.«

»Dann tragt ihn schnell hinein. Wahrscheinlich ist er von Signora‘s alter Gouvernante.«

Und San Felice setzte seinen Weg weiter fort und stieg in den Wagen, welcher im scharfen Trabe fortfuhr.

Luisa hatte das kurze Zwiegespräch zwischen dem Briefträger und ihrem Gatten gehört. Sie ging Ersterem entgegen und nahm ihm den Brief aus den Händen.

Dieser Brief war von unbekannter Hand geschrieben.

Sie öffnete ihn mechanisch, warf einen Blick auf die Unterschrift und stieß einen Schrei aus.

Der Brief war von Salvato.

Sie drückte ihn an ihr Herz und eilte, sich in ihr heiliges Zimmer einzuschließen. Es kam ihr vor, als wäre es eine Ruchlosigkeit, den ersten Brief, den sie von ihrem Freund erhielt, anderwärts zu lesen, als in diesem Zimmer.

»Von ihm!« murmelte sie, indem sie in den zu Häupten des Bettes stehenden Sessel sank. »Von ihm!«

Einen Augenblick lang war sie nicht im Stande zu lesen. Das Blut, welches nach dem Herzen zurückströmte und ins Gehirn emporstieg, machte ihre Schläfe pochen und umschleierte ihre Augen. Salvato schrieb vom Schlachtfelde:

»Danken Sie Gott, meine Vielgeliebte! Ich kam noch rechtzeitig zum Kampfe und bin dem Siege nicht fremd geblieben. Ihre frommen, jungfräulichen Gebete sind erhört worden. Gott hat, durch den schönsten seiner Engel angerufen, über mir und meiner Ehre gewacht.

»Nie war ein Sieg vollständiger, geliebte Luisa. Noch auf dem Schlachtfeld drückte mein theurer General mich an sein Herz und ernannte mich zum Brigadechef. Macks Armee ist verschwunden wie ein Rauch. Ich gehe jetzt nach Civita-Ducale, von wo aus ich Mittel finden werde, Ihnen diesen Brief zuzusenden. In der Verwirrung, welche eine Folge unseres Sieges und der Niederlage der Neapolitaner sein wird, ist es unmöglich, auf die Post zu rechnen. Ich liebe Sie mit einem zugleich von Liebe und Stolz geschwellten Herzen. Ich liebe Sie! Ich liebe Sie!«

 

»Civita-Ducale, zwei Uhr Morgens.

»Nun bin ich Ihnen schon um zehn Lieues näher. Wir, Hector Caraffa und ich, fanden einen Bauer, welcher sich dazu versteht, sich auf meinem Pferde, welches ich hier gelassen und wofür Sie Michele nochmals meinen Dank abstatten wollen, sofort auf den Weg zu machen. Er wird nicht eher Halt machen, als bis das Pferd unter ihm stürzt, und dann sofort ein anderes nehmen. Er übernimmt es, einen Brief an den unserer Freunde zu überbringen, bei welchem Hector in Portici sich versteckt hielt. Ihr Brief wird in den seinigen eingeschlossen sein und er wird Ihnen denselben zugehen lassen.

»Ich sage Ihnen das, damit Sie nicht erst nachforschen, auf welche Weise dieser Brief in Ihre Hände gelangt. Dies würde Ihre Gedanken einen Augenblick von mir abwenden. Nein, ich will, daß Sie sich ganz der Freude hingeben, mich zu lesen, ebenso wie ich mich ganz dem Glück hingebe, Ihnen zu schreiben.

»Unser Sieg ist so vollständig, daß ich nicht glaube, es werde von uns noch eine Schlacht zu liefern sein. Wir marschieren jetzt direkt auf Neapel, und wenn uns, wie dies wahrscheinlich ist, nichts aufhält, so kann ich Sie in acht oder höchstens zehn Tagen wiedersehen.

»Sie werden das Fenster, durch welches ich mein Asyl verlassen habe, offen lassen und ich werde durch dieses selbe Fenster dahin zurückkehren. Ich werde Sie in demselben Zimmer wiedersehen, wo ich so glücklich gewesen bin. Ich werde Ihnen dorthin das Leben zurückbringen, welches Sie mir dort gegeben.

»Ich werde keine Gelegenheit versäumen, Ihnen zu schreiben. Sollten Sie jedoch keinen Brief weiter von mir erhalten, so beunruhigen Sie sich deswegen nicht, denn meine Boten sind dann treulos gewesen, oder angehalten worden, oder umgekommen.

»O Neapel, mein theures Vaterland, meine zweite Liebe nach Ihnen! Neapel, Du wirst also frei werden!

»Ich will meinen Courier nicht länger aufhalten. Ich will Ihre Freude nicht verzögern. Ich bin zweimal glücklich – durch unser Glück und das Ihrige. Auf Wiedersehen, meine Angebetete! Ich liebe Sie! ich liebe Sie!

»Salvato.«

Luisa las den Brief des jungen Mannes zehnmal, ja zwanzigmal vielleicht. Sie hätte ihn unaufhörlich wieder gelesen, das Maß der Zeit fehlte ihr.

Plötzlich pochte Giovannina an die Thür.

»Der Herr Chevalier kommt zurück,« sagte sie.

Luisa stieß einen Schrei aus, küßte den Brief, verbarg ihn an ihrem Herzen, warf, indem sie das Zimmer verließ, einen Blick nach jenem andern Zimmer, durch dessen Fenster Salvato sie verlassen und durch welches er zu ihr zurückkehren sollte.

»Ja, ja,« murmelte sie dem Fenster zulächelnd.

Diese Liebe war so fruchtbar, daß sie allen leblosen, unempfindlichen Gegenständen, welche Luisa umgaben und auch Salvato umgeben hatten, ein gewisses Leben verlieh.

Luisa trat durch die eine Thür in den Salon, während ihr Gemahl durch die andere eintrat.

Der Chevalier war sichtlich zerstreut.

»Was fehlt Dir, mein Freund?« fragte Luisa, indem sie auf ihn zuging und ihn mit ihren durchsichtig feuchten Augen betrachtete. »Du bist traurig.«

»Nein, mein Kind,« antwortete der Chevalier, »traurig bin ich nicht, wohl aber unruhig.«

»Hast Du den Prinzen gesprochen?« fragte Luisa.

»Ja,« antwortete der Chevalier.

»Und hat deine Unruhe ihren Grund in der Unterredung, die Du mit Seiner Hoheit gehabt hast?«

Der Chevalier machte eine bejahende Kopfbewegung.

Luisa versuchte in seinen Gedanken zu lesen.

Der Chevalier setzte sich, faßte Luisa, die vor ihm stand, bei den Händen und betrachtete sie einerseits.

»Sprich, mein Freund,« sagte Luisa, in welcher eine bange Ahnung zu erwachen begann. »Ich höre Dich.«

»Die Lage, in welcher die königliche Familie sich befindet,« sagte der Chevalier, »ist wenigstens so ernst, als wir gestern Abends voraussahen. Es ist keine Hoffnung übrig, die Franzosen am Einzuge in Neapel zu hindern, und die königliche Familie hat daher den Entschluß gefaßt, sich nach Sicilien zurückzuziehen.«

Ohne zu wissen warum, fühlte Luisa, wie sich ihr das Herz zuschnürte.

Der Chevalier sah in Luisas Gesicht den Wiederschein dessen, was in seinem Herzen vorging. Seine Lippe zitterte, sein Auge schloß sich halb.

»Höre wohl, was ich Dir sagen will, mein Kind, begann er dann wieder in jenem mildväterlichen Tone, den er zuweilen Luisa gegenüber annahm. »Der Prinz sagte zu mir: Chevalier, Sie sind mein einziger Freund. Sie sind der einzige Mensch, mit welchem es mir wahrhaftes Vergnügen macht, zu plaudern. Die wenige gediegene Bildung, die ich besitze, verdanke ich Ihnen. Den wenigen Werth, der in mir wohnt, habe ich von Ihnen. Ein einziger Mensch kann mir die Verbannung erträglich machen, und dieser Mensch sind Sie, Chevalier. Ich bitte Sie daher, ich flehe Sie darum, wenn ich fort muß, so gehen Sie auch mit.«

Luisa fühlte, wie sie von einem Schauer durchrieselt ward.

»Und – was hast Du geantwortet, mein Freund?« fragte sie mit zitternder Stimme.

»Ich hatte Mitleid mit diesem königlichen Unglück, mit dieser Schwäche in der Größe, mit, diesem Fürsten ohne Freund in der Verbannung, mit diesem Thronerben ohne Diener, weil er vielleicht im Begriff steht, die Krone zu verlieren, und ich versprach, was von mir verlangt ward.«

Luisa zuckte zusammen. Dieses Zucken blieb von dem Chevalier, der noch ihre Hände festhielt, nicht unbemerkt.

»Aber,« hob er lebhaft wieder an, »verstehe wohl, Luisa. Mein Versprechen ist ein rein persönliches und bindet blos mich. Da Du dem Hofe, an welchem Du es verschmäht hast, deinen Platz einzunehmen, fern steht, so hast Du keinerlei Verbindlichkeit gegen irgend Jemand.«

»Glaubst Du, mein Freund?«

»Ja, ich glaube es. Es steht Dir, geliebtes Kind meines Herzens, frei, in Neapel zu bleiben, und dieses Haus, welches Du liebst, diesen Garten, in welchem Du als Kind gespielt und Dich herumgetummelt hat, diesen kleinen Winkel der Erde, wo Du siebzehnjährige Erinnerungen gesammelt, nicht zu verlassen. Denn es sind siebzehn Jahre, daß Du hier bist und daß Du die Freude meines Herdes ausmacht, obschon es mir ist, als wärest Du erst seit gestern da.«

Der Chevalier seufzte.

Luisa antwortete nichts und er fuhr fort:

»Die Herzogin Fusco, welche von der Königin verbannt worden, wird, sobald die Königin sich entfernt hat, ihrerseits zurückkommen. Hast Du dann eine solche Freundin zur Seite, so hege ich um deinetwillen nicht mehr Furcht, als ob Du bei deiner Mutter wärest. In vierzehn Tagen werden die Franzosen in Neapel sein, aber Du hast von den Franzosen nichts zu fürchten. Ich kenne sie, denn ich habe lange unter ihnen gelebt. Sie bringen meinem Vaterlande die Wohlthaten, von welchen ich gewünscht, daß es damit durch seine Souveräne beschenkt worden wäre – Freiheit und Aufklärung. Alle meine Freunde und folglich auch die deinigen sind Patrioten. Keine Revolution kann Dich beunruhigen, keine Verfolgung kann Dich erreichen.«

»Also, mein Freund,« fragte Luisa, »Du glaubst, daß ich ohne Dich glücklich leben kann?«

»Ein Ehemann wie ich, liebes Kind,« sagte San Felice mit einem Seufzer, »wird von einer Frau deines Alters nicht schwer vermißt.«

»Aber wenn ich auch zugeben will, daß ich ohne Dich leben könnte, wirst Du, mein Freund, ohne mich leben können?«

San Felice schlug die Augen nieder.

»Du fürchtest, daß dieses Haus, dieser Garten, dieser kleine Winkel Erde mir fehlen würden, fuhr Luisa fort, »aber wird Dir nicht meine Nähe fehlen? Wird unser seit siebzehn Jahren gemeinsames Leben, wenn es sich plötzlich löst, in Dir nicht etwas zerreißen, woran Du nicht blos gewöhnt bist, sondern was Dir auch unentbehrlich ist?«

San Felice gab keine Antwort.

»Gibst Du, wenn Du nicht den Prinzen verlassen willst, der doch nur dein Freund ist,« fuhr Luisa in gepreßtem Tone fort, »mir wohl einen Beweis von Achtung, wenn Du mir vorschlägt, Dich zu verlassen, Dich, der Du zugleich mein Vater und mein Freund bist, Dich, der Du Einsicht und Bildung meinem Geiste, Güte meinem Herzen und Gott meiner Seele eingepflanzt hast?«