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La San Felice Band 11

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Vierzehntes Capitel.
Liquidation

Am nächsten Tage trat der Schließer um sieben Uhr Morgens in das Gefängniß der beiden Verurtheilten.

Der junge Mann schlief noch, sein Vater aber hatte einen Bleistift in der Hand, ein Blatt Papier auf den Knien und rechnete.

Die Escorte, welche dies beiden Verurtheilten nach der Medinastraße bringen sollte, wartete.

Der alte Mann warf einen Blick auf seinen Sohn.

»Komm,« sagte er zu ihm, »steh auf, André. Du bist von jeher etwas träg gewesen, mein Sohn. Du mußt Dir das abgewöhnen.«

»Ja,« antwortete André, indem er die Augen aufschlug und seinem Vater guten Morgen wünschte. »Ich zweifle nur, daß Gott mir dazu Zeit lassen wird.«

»Als Du noch klein warst,« hob der alte Backer mit wehmüthigem Tone wieder an, »konntest Du, obschon deine Mutter Dich geweckt und dann zwei- oder dreimal gerufen hatte, Dich immer noch nicht entschließen dein Bett zu verlassen. Oft sah ich mich genöthigt, selbst hinaufzugehen und Dich mit Gewalt aus dem Bette zu treiben.«

»Ich verspreche Dir, Väterchen,« sagte der junge Mann, indem er sich erhob und sich anzukleiden begann, »ich verspreche Dir, daß ich, wenn ich übermorgen erwache, sofort ausstehen werde.«

Der alte Mann erhob sich seinerseits und sagte mit einem Seufzer:

»Deine arme Mutter, Sie hat wohl daran gethan, zu sterben.«

André ging auf seinen Vater zu und umarmte ihn zärtlich, ohne ein Wort zu sagen.

Der alte Simon sah ihn an.

»So jung!« murmelte er. »Doch, was hilfst!«

Nach Verlauf von zehn Minuten waren die beiden Gefangenen angekleidet.

André pochte an der Thür seines Gefängnisses. Der Schließer trat wieder ein.

»Ah,« sagte er, »Sie sind fertig. Kommen Sie, unsere Escorte erwartet Sie.«

Simon und André Backer nahmen Platz in der Mitte eines Dutzends Gerichtsdiener, welche beauftragt waren, sie nach ihrem Bankhause zu führen, welches sich wie wir wiederholt bemerkt, in der Medinastraße befand.

Die Entfernung von dem Castello Nouvo bis zu diesem Hause war sehr gering. Nur wenige neugierige Blicke verweilten auf den Gefangenen, welche nach wenigen Minuten die Thür ihres Bankhauses erreicht hatten.

Es war kaum acht Uhr Morgens. Die Thür war noch verschlossen, denn dir Commis fanden sich gewöhnlich erst um neun Uhr ein.

Der Sergeant, welcher die Escorte commandirte, zog die Klingel. Der Kammerdiener des alten Backer kam, um zu öffnen, stieß einen lauten Schrei aus und war im ersten Augenblick nahe daran, sich seinem Herrn in die Arme zu werfen. Es war ein alter deutschen Diener, der noch ganz jung mit ihm von Frankfurt nach Neapel gekommen war.

»O mein theuerer Herr!« rief er. »Sind Sie es?« Meine armen Augen, welche Ihre Abwesenheit so bitterlich beweint, haben also das Glück Sie wiederzusehen?«

»Ja, lieber Fritz, ja. Geht Alles gut im Hause ?« fragte Simon.

»Warum sollte in Ihrer Abwesenheit nicht Alles eben: so gut gehen wie in Ihrer Gegenwart? Gott sei Dank, hier kennt Jeder seine Pflicht. Um neun Uhr Morgens sind alle Angestellten auf ihren Posten und jeder thut gewissenhaft, was ihm obliegt. Nur ich habe unglücklicherweise faule Zeit, dennoch aber bürste ich täglich Ihre Kleider, zweimal wöchentlich zähle ich Ihre Wäsche, alle Sonntage ziehe ich die Uhren auf und tröste so gut ich kann, Ihren Hund Cäsar, welcher seit Ihrem Weggange kaum etwas frißt und nur heult und winselt.«

»Wir wollen hineingehen, Väterchen,« sagte André. »Diese Herren werden ungeduldig und das Volk beginnt sich zu sammeln.«

»Ja, wir wollen hineingehen,« sagte der alte Backer.

Man ließ eine Schildwache an der Thür, zwei in dem Vorzimmer und zerstreute die anderen im Corridor. Ueberdies war, wie dies bei solchen Häusern gewöhnlich ist, das Erdgeschoß vergittert. Die beiden Gefangenen hatten daher, indem sie nach Hause zurückkehrten, blos das Gefängniß gewechselt.

André Backer lenkte seine Schritte nach der Casse und öffnete, da der Cassirer noch nicht da war, dieselbe mit seinem Hauptschlüssel, während Simon Backer in seinem Cabinet Platz nahm, welches seit seiner Verhaftung nicht geöffnet worden.

Man stellte Schildwachen an beide Thüren.

»Ah!« rief der alte Backer mit einem Seufzer des Behagens, als er wieder in dem Sessel Platz nahm, in welchem er fünfunddreißig Jahre lang gesessen.

Dann setzte er hinzu:

»Fritz, öffne den Verbindungsladen.«

Fritz gehorchte und öffnete einen Laden in der Wand zwischen dem Cabinet und dem Cassenzimmer, so daß Vater und Sohn, ohne ihre Bureaux zu verlassen, mit einander sprechen, einander hören und einander sehen konnten.

Kaum hatte der alte Backer sich gesetzt, als mit lautem Freudengeheul ein großer Pudel, seine zerrissene Kette hinter sich herschleppend, in das Cabinet hereingestürzt und auf ihn zugesprungen kam, als ob er ihn erwürgen wolle. Das arme Thier hatte seinen Herrn gewittert und kam wie Fritz, um ihn willkommen zu heißen.

Die beiden Backer begannen ihre Correspondenz vorzunehmen. Alle nicht recommandirten Briefe waren von dem ersten Buchhalter geöffnet, diejenigen aber, auf welchen seine besondere Bemerkung oder das Wort eigenhändig stand, auf die Seite gelegt worden.

Diese Briefe waren es, welche man den Gefangenen nicht hatte mittheilen können, weil jeder Verkehr mit Ihnen untersagt war, so daß sie dieselben jetzt auf ihrem Bureau vorfanden.

Auf der großen Stutzuhr aus der Zeit Ludwigs des Vierzehnten, welche Simon Backers Cabinet schmückte, schlug es neun Uhr, als mit seiner gewohnten Pünktlichkeit der Cassirer sich einfand.

Es war ebenso wie der Kammerdiener ein Deutscher Namens Klagmann. Mit großem Befremden hatte er gesehen, daß Schildwachen an der Thür und in dem Corridor standen. Er hatte sie befragt, aber keine Antwort von ihnen erhalten, denn sie waren Sklaven ihrer Instruktion.

Indessen, da Befehl gegeben war, alle Bediensteten des Hauses frei aus- und eingehen zu lassen, so gelangte er ohne Schwierigkeit in sein Cassenzimmer.

Sein Erstaunen war groß, als er auf seinem Platze und auf seinem Stuhle sitzend seinen jungen Principal André Backer fand und durch das Wandfenster hindurch den alten Backer in seinem Cabinet und auf seinem gewohnten Platze sitzen sah.

Abgesehen von den Schildwachen an der Thür und in den Corridors war sonst nichts verändert.

André beantwortete herzlich, obschon dabei immer den Abstand zwischen Principal und Untergebenen beobachtend, die freudigen Kundgebungen des Cassirers, welcher sich beeilte durch das Wandfenster hindurch dem Vater dieselben Complimente zu machen, welche er soeben dem Sohne gemacht.

»Wo ist der Oberbuchhalter?« fragte André den Cassirer.

Dieser zog seine Uhr.

»Es ist neun Uhr fünf Minuten, Herr André,« antwortete er dann. Ich wollte darauf wetten, daß Herr Sperling in diesem Augenblicke um die Ecke der Sankt-Bartolomeo-Straße biegt Sie wissen, daß er stets zwischen neun Uhr fünf und sieben Minuten hier ist.«

In der That hatte der Cassirer kaum ausgeredet, so hörte man in dem Zimmer die Stimme des Oberbuchhalters welcher sich seinerseits erkundigte.

»Sperling! Sperling!« rief Andre dem Ankommenden entgegen; »kommen Sie, mein Freund; wir haben keine Zeit zu verlieren.«

Sperling trat immer mehr erstaunend, aber ohne daß er gewagt hätte Fragen zu thun, in das Cabinet des Chefs des Hauses.

»Mein lieber Sperling,« sagte Simon Backer, als er ihn erblickte, während Klagemann, weitere Befehle erwartend, im Cassenzimmer stehen blieb. »Mein lieber Sperling, ich brauche Sie wohl nicht erst zu fragen, ob unsere Bücher vollständig nachgetragen sind?«

»Sie sind es bis auf den gestrigen Tag,« antwortete Sperling.

»Dann haben Sie wohl einen Status?«

»Ja, gestern Nachmittags vier Uhr habe ich einen solchen aufgestellt.«

»Und wie lautet derselbe?«

»Auf einen Ueberschuß von 1.170.000 Ducati.«

»Hörst Du, André?« fragte der Vater den Sohn.

»Ja, Väterchen, eine Million und hundertundsiebzigtausend Ducati. Stimmt dies mit den Effecten, die Sie in Casse haben, überein, Klagmann?«

»Ja, Herr André; wir haben gestern revidiert.«

»Und heute Morgen wollen wir noch einmal revidieren, wenn es Ihnen recht ist.«

»Es soll augenblicklich geschehen.«

Und während Sperling, auf die Revision der Casse wartend, leise mit Simon Backer sprach, öffnete Klagmann einen eisernen Schrank mit dreifachem Schloß, nahm eine Mappe heraus, die wiederum verschlossen war. Er öffnete dieselbe und legte sie vor André auf den Tisch.

»Wieviel enthält dieses Partefeuille?« fragte der junge Mann.

»635.412 Ducati in Tratten auf London, Wien und Frankfurt.«

André zählte nach und fand die Rechnung richtig.

»Väterchen,« sagte er, »ich habe die 635.412 Ducati in Tratten.«

Dann wendete er sich zu Klagmann und fragte:

»Wie viel haben Sie in Casse?«

»425.604 Ducati, Herr André.«

»Hörst du, Väterchen,« fragte der junge Mann.

»Jawohl, André. Ich meinerseits bin eben mit der Generalbilanz der Bücher beschäftigt. Die Passives belaufen sich auf l.455.612 Ducati und die Activen auf 1.650.000 Ducati, so daß wir mit Hinzurechnung noch einiger anderen Werthobjecte im Betrage von l.065.087 Ducati ein Bruttoguthaben von 2.715.087 Ducati haben. Sieh einmal nach, ob dies Alles so richtig ist. Während Du mit Klagmann die Bilanz durchgehst , werde ich meinerseits mit Sperling revidieren.«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thür des Cabinets und Fritz meldete, ehe noch die Uhr die elfte Stunde ausgeschlagen, mit seiner gewohnten Pünktlichkeit, daß das Frühstück aufgetragen sei.

»Hast Du Hunger, André,« fragte der alte Backer.

»Nicht viel,« antwortete André. »Indeß, da man, wenn es um und um kommt, doch essen muß, so wollen wir essen.«

 

Mit diesen Worten erhob er sich, traf mit seinem Vater in dem Corridor zusammen und beide lenkten ihre Schritte noch dem Speisezimmer, während zwei Schildwachen ihnen folgten.

Sämtliche Angestellte waren zwischen neun und neun ein Viertel Uhr angekommen, nur Spronio nicht.

Sie hatten nicht gewagt in das Cassenzimmer oder in das Cabinet zu kommen, um den beiden Gefangenen ihre Ehrerbietung zu bezeigen; wohl aber erwarteten sie dieselben unterwegs, theils an der Thür ihres Bureaus, theils an der des Speisezimmers.

Da man wußte, unter welchen Bedingungen die beiden Gefangenen in das Bankhaus zurückgekehrt waren, so lag ein dichter Schleier der Wehmuth auf den Gesichtern Aller ausgebreitet.

Zwei oder drei der Comptoiristen wendeten sich ab – sie weinten.

Der Vater und der Sohn traten, nachdem sie einen Augenblick unter ihren Leuten verweilt hatten, in das Speisezimmer.

Die Schildwochen blieben an der Thür, aber innerhalb des Zimmers, stehen. Sie hatten Befehl, die beiden Verurtheilten nicht aus den Augen lassen.

Der Tisch war serviert wie gewöhnlich und Fritz stand hinter dem Stuhle seines alten Herrn.

»Wenn wir mit unserer Inventar fertig sind, so dürfen wir auch alle diese alten Diener nicht vergessen,« sagte Simon Backer.

»O, sei unbesorgt, Väterchen,« antwortete André. »Zum Glück sind wir reich genug, und brauchen unsere Dankbarkeit nicht zu zwingen, an diesen Leuten Ersparnisse zu machen.«

Das Frühstück war kurz und ging schweigsam vorüber. Beim Ende desselben war André in Folge einer alten deutschen Sitte gewohnt, auf die Gesundheit seines Vaters zu trinken.

»Fritz,« sagte er zu dem alten Diener, »geht in den Keller und holt eine halbe Flasche Tokayer vom Jahre1672. Es ist dies der älteste und beste. Ich habe eine Gesundheit auszubringen.«

Simon sah seinen Sohn an.

Fritz gehorchte, ohne eine nähere Erklärung zu verlangen, und kam bald darauf mit der halben Flasche Tokayer m der Hand zurück.

André füllte sein Glas und das seines Vaters. Dann befahl er Fritz ein drittes Glas zu bringen, füllte dasselbe ebenfalls und bot es dem alten Diener.

»Freund,« sagte er zu ihm, »seit länger als dreißig Jahren bist Du in unserem Hause und folglich kein Diener mehr, sondern ein Freund. Trinke daher mit uns ein Glas alten Wein auf die Gesundheit deines alten Herrn, und möge trotz der Menschen und ihres Verdammungsurtheils, Gott ihm auf Kosten des meinigen ein noch langes und ehrenvolles Leben schenken.«

»Was sagst Du? Was thust Du, mein Sohn?« rief der alte Backer.

»Meine Pflicht als Sohn,« antwortete Andre lächelnd. »Gott erhörte Abraham als derselbe für Isaak betete; vielleicht erhört er auch Isaak, wenn dieser für Abraham betet.«

Simon setzte mit zitternder Hand sein Glas an den Mund und leerte es in drei Absätzen.

André setzte das seinige mit fester Hand an die Lippen und leerte es auf einen Zug.

Fritz versuchte mehrmals das seinige zu trinken, aber er kam damit nicht zu Stande. Es war ihm, als müßte er daran ersticken.

André füllte mit dem Reste der halben Flasche die beiden Gläser, welche Simon und er soeben geleert, reichte sie den beiden Soldaten und sagte:

»Trinkt auch Ihr, ebenso wie ich getan, auf die Gesundheit der Person, welche Euch die theuerste ist.«

Die beiden Soldaten tranken, indem sie jeder einen Namen aussprachen.

»Wohlan, André,« sagte der alte Banquier; »an die Arbeit, mein Freund.«

Dann setzte er zu Fritz gewendet hinzu: »Du wirst Dich nach Spronio erkundigen. Ich fürchte, daß ihm ein Unglück zugestoßen sei.«

Die beiden Gefangenen kehrten nun in ihr Bureau zurück und die Arbeit ward fortgesetzt.

»Wir waren mit unserem Guthaben beschäftigt, nicht wahr, Väterchen?« fragte André.

»Ja, und dasselbe belief sich auf 2,715.087 Ducati Brutto,« antwortete Simon.

»Wohlan, unsere Passiven bestehen in l.125.412 Ducati, die wir in London, Wien und Frankfurt schulden.«

»Gut ich werde notieren.«

»275.000 Ducati der Chevalière San Felice.«

Der junge Mann konnte diesen Namen nicht aussprechen, ohne daß sich ihm auf grausame Weise das Herz zusammenschnürte.

Ein Seufzer des Vaters antwortete der zitternden Stimme des Sohnes.

»Es ist notiert,« sagte er.

»27.000 Ducati Seiner Majestät dem König Ferdinand, den Gott noch lange erhalte , von der Anleihe Nelson.«

»Notiert,« wiederholte Simon.

»28.200 Ducati ohne Namen.«

»Ich weiß was das ist,« bemerkte Simon. »Als der Fürst von Tarsia von dem Viscount Prokurator Vanni verfolgt ward, deponirte er bei mir diese Summe. Er ist plötzlich gestorben und ohne Zeit gehabt zu haben seiner Familie von dem Depositum, welches er mir gemacht etwas zu sagen. Du wirst deshalb einige Worte an seinen Sohn schreiben und Klagmann wird ihm heute nach diese 28.200 Ducati auszahlen.«

Es trat ein Augenblick des Schweigens ein, Während dessen André den Befehl seines Vaters ausführte.

Als er den Brief geschrieben, übergab er denselben Klagmann mit den Worten:

»Sie werden diesen Brief zu dem Fürsten von Tarsia tragen und ihm sagen, daß er zu jeder Stunde sich an unserer Casse einfinden kann. Man wird ihm sein Guthaben sofort auszahlen.«

»Weiter?« fragte Simon.

»Weiter sind wir nichts schuldig,Väterchen. Du kannst nun addieren.«

Simon addierte und fand, daß das Haus Backer eine Summe von 1.455.612 Ducati, das heißt 4.922.548 Frs. schuldete.

Eine sichtbare Befriedigung malte sich in den Zügen des alten Bankiers. Seit der Festnahme der beiden Chefs des Hauses hatte sich unter den Gläubigern ein gewisser panischer Schrecken verbreitet. Jeder hatte sich beeilt, sein ihm zukommendes Guthaben zurückzuverlangen, so daß die Auszahlungen in weniger als zwei Monaten über dreizehn Millionen betragen hatten.

Was aber jedes andere Haus gestürzt haben würde, hatte das Haus Backer nicht einmal erschüttert.

»Lieber Sperling,« sagte Simon zu dem Oberbuchhalter, »um die Passiven zu decken, werden Sie sofort auf die betreffenden Summen die nöthige Anzahl von Tratten ausstellen. Wenn Sie dieselben fertig haben, so wird André sie unterzeichnen.«

Der Oberbuchhalter entfernte sich, um den ihm ertheilten Auftrag zu vollziehen.

»Soll ich diesen Brief sogleich zu dem Fürsten von Tarsia tragen?« fragte Klagmann.

»Ja, gehen Sie und kommen Sie sobald als möglich wieder. Unterwegs aber suchen Sie etwas über Spronio zu erfahren.«

Vater und Sohn waren nun allein, der Vater in seinem Cabinet, der Sohn in dem Cassenzimmer.

»Es wäre,« hob Andre an »auch meiner Ansicht gut, Väterchen, wenn wir ein Circulär erließen, in welchem wir die Liquidation unseres Geschäftes zur allgemeinen Kenntniß bringen.«

»Eben wollte ich Dir es sagen, mein Sohn. Setze das Circulär auf. Man wird dann so viel Abschriften davon machen, als nöthig sind , oder noch besser , wir wollen es drucken lassen, damit Du nur einmal zu unterzeichnen brauchst.«

»Dadurch würde allerdings viel Zeit erspart werden, und Da hast Recht, Väterchen, wir haben deren nicht mehr viel übrig.«

Und Andre entwarf das folgende Circulär:

»Die Chefs des Hauses Simon und André Backer zu Neapel haben die Ehre, den Personen, mit welchen sie in Geschäftsverbindung stehen, und besonders denen, welche vielleicht eine Forderung an sie haben, mitzutheilen, daß in Folge der Verurtheilung der Chefs des Hauses zum Tode das genannte Haus seine Liquidation von morgen den 13. Mai an, dem Tage ihrer Hinrichtung, beginnen wird.

»Die Dauer der Liquidation ist auf einen Monat festgesetzt. Man wird bei offenem Bureau zahlen.«

Nachdem André Backer dieses Circulär niedergeschrieben, las er es seinem Vater vor und fragte ihn, ob er etwas abgeändert oder hinzugesetzt zu sehen wünschte.

»Es gibt weiter nichts hinzuzufügen als die Unterschrift,« antwortete der Vater kurz.

Andre Backer unterzeichnete.

Simon Backer zog die Klingel. Ein Laufbursche öffnete die Thür des Cabinets.

»Geh’ hinüber zu meinem Sohn,« sagte Simon, »trage das Circulär, welches er Dir geben wird, in die Druckerei und sage, daß es so schnell als möglich gesetzt werden müsse.«

Die beiden Verurtheilten waren wieder miteinander allein.

»Väterchen,« sagte Andre, »wir haben einen reinen Ueberschuß von 1.259.475 Ducati. Was gedenkst Du damit zu machen? Habe die Güte, mir deine Befehle zu ertheilen, und ich werde dieselben ausführen.«

»Lieber Sohn,« sagte der Vater, »wie mir scheint, müssen wir vor allen Dingen an diejenigen denken, welche uns in der Zeit des Glückes gut gedient haben und die uns während des Unglücks treu geblieben sind. Du sagtest, wir wären reich genug, um an unserer Dankbarkeit nichts zu sparen zu brauchen. Wie würdest Du dies unseren Leuten beweisen?«

»Nun, Väterchen, ganz einfach dadurch, daß sie ihren Gehalt auch in Zukunft und zwar so lange sie leben, ausgezahlt erhielten.«

»Ich möchte noch mehr thun, André. Wir haben hier achtzehn Leute im Hause, theils Comptoiristen, theils Diener. Die Gesamtsumme ihres Gehalts vom größten bis zum kleinsten beläuft sich auf zehntausend Ducati. Zehntausend Ducati repräsentieren ein Capital von zweihunderttausend Ducati und nach Abzug derselben würde uns immer noch die bedeutende Summe von 1.059.475 Ducati bleiben. Meine Meinung ist daher, daß nach Beendigung unserer Liquidation welche einen Monat dauern kann, jeder unser Comptoiristen oder Diener nicht die Zinsen, sondern das Capital seines Gehalts ausgezahlt erhält. Ist dies auch deine Meinung?«

»Mein Vater, Du bist die wahrhafte Menschenliebe, ich dagegen nur der Schatten derselben. Nur möchte ich noch Folgendes hinzufügen. In Revolutionszeiten wie die, worin wir leben, kann niemand für den nächstfolgenden Tag stehen. Beim Ausbruch einer Emeute kann unser Haus geplündert, in Brand gesteckt oder was weiß ich sonst werden. Wir haben einen Cassenbestand von vierhunderttausend Ducati. Bezahlen wir daher noch heute unseren Leuten das Vermächtniß, welches sie erst nach unserem Tode erhalten sollten. Dann werden sie uns segnen und für uns beten, und an dem Punkte, wo wir jetzt stehen, ist dies das Beste, was uns noch beschieden sein kann.«

»Ja, dem soll so sein. Ertheile Klagmann Vollmacht, noch heute die zweihunderttausend Ducati auszuzahlen. Für den Monat, welchen die Leute noch zu arbeiten genöthigt sind, soll ihr Gehalt überdies verdoppelt werden.«

»Die Vollmacht ist unterzeichnet, Väterchen.«

»Jetzt, lieber Sohn, will ich bemerken, daß jeder von , eins in seinem Herzen gewisse Erinnerungen trügt, die, wenn auch geheim, doch deswegen nicht weniger heilig sind. Diese Erinnerungen legen Verbindlichkeiten auf. Jünger als ich, muß Du deren mehr haben als ich, der ich schon einen Theil dieser Erinnerungen erlöschen gesehen. Von den 1.059.475 Ducati, welche uns bleiben, nehme ich hunderttausend Ducati und überlasse Dir zweihunderttausend. Jeder von uns wird, ohne dem Andern Rechenschaft zu geben, mit dieser Summe machen, was ihm gut dünkt.«

»Ich danke Dir, Väterchen. Dann bleiben uns also noch 759.475 Ducati.«

»Willst Du, daß wir hunderttausend Ducati jeder der drei Wohlthätigkeitsanstalten in Neapel, dem Findelhause, dem Hospital für Unheilbare und dem Armenhause, vermachen?«

»Ja, thue dies, Väterchen. Es bleiben dann noch 459.475 Ducati.«

»Deren natürlicher Erbe unser Cousin, Moses Backer in Frankfurt, ist.«

»Dieser aber ist reicher als wir, Väterchen, und er wird sich schämen, ein solches Erbtheil von seiner Familie anzunehmen.«

»Nun, was sollten wir dann nach deiner Meinung mit dieser Summe beginnen?«

»Väterchen, wenn es sich um Philosophie und Humanität handelt, so habe ich Dir keinen Rath zu geben. Es wird ein blutiger Kampf stattfinden und es werden, ehe Neapel genommen ist, auf der einen wie auf der andern Seite viele Menschen fallen. Hassest Du unsere Feinde, Väterchen?«

»Ich hasse Niemanden mehr, mein Sohn.«

»Es ist dies eine der heilsamen Wirkungen des heranrückenden Todes,« sagte André mit halber Stimme und wie mit sich selbst sprechend. Dann setzte er laut hinzu:

»Wohlan, Väterchen, was wurdest Du dazu sagen, wenn ich die noch übrigbleibende Summe, nach Abzug der Liquidationskosten, den Witwen und Waisen der in dem Bürgerkriege Gefallenen vermochte, mögen dieselben angehören, welcher Partei sie wollen?«

Der alte Bankier erhob sich, ohne zu antworten, ging aus seinem Cabinete in das seines Sohnes und umarmte diesen weinend.

»Und wen wirst Du mit dies er Vertheilung beauftragen? Hast Du mir vielleicht Jemanden zu diesem Zwecke vorzuschlagen, mein Vater?«

»Nein, mein Sohn. Und Du?«

»Ich kenne allerdings einen Engel, eine Heilige, welcher ich dieses Liebeswerk in die Hände legen möchte. Ich meine die Chevalière San Felice.«

 

»Die, welche uns denuncirt hat?«

»Väterchen, ich habe viel darüber nachgedacht. Ich habe während langer Nächte mein Herz und meinen Gewissen zu Hilfe gerufen, um die Lösung dieses furchtbaren Rätsels zu finden. Mein Vater, ich bin fest überzeugt, daß Luisa unschuldig ist.«

»Es sei,« antwortete der alte Simon. »Wenn sie nicht schuldig ist, so ist die Wahl, welche Du triffst, ihrer würdig. Ist sie dagegen schuldig, so müssen wir ihr verzeihen.«

Diesmal war es der Sohn, der sich in die Arme des Vaters warf und ihn an sein Herz drückte.

»Wohlan,« sagte der alte Simon, »dann wären mit unserer Liquidation fertig. Die Sache war nicht so schwierig, als ich geglaubt hatte.«

Zwei Stunden später waren sämtliche von Simon und André Backer getroffenen Dispositionen im Hause bekannt. Comptoiristen und Diener hatten das Capital ihrer Gehalte und Löhne bekommen und die die Verurtheilten kehrten in das Gefängniß zurück, welches sie nur wieder verlassen sollten, um, von Lobsprüchen und Segnungen geleitet, zum Richtplatz zu wandern.

Was Spronio betraf, so hatte man endlich erfahren, was aus ihm geworden war.

Die Diener der republikanischen Regierung waren des Nachts in seine Wohnung gedrungen, um ihn festzunehmen. Er war jedoch durch ein Fenster entsprungen und hatte sich wahrscheinlich zu dem Cardinal nach Nola geflüchtet.

– Ende den elften Theiles -