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Olympia von Clèves

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Der Kaufmann wollte seinem Gefährten zu Hülse kommen, und in Ermangelung des schwimmenden Stockes, der ganz allein nach dem Dorfe ging, zog er ein Messer aus der Tasche; doch Banniére fuchtelte, und bei diesem Fuchteln versetzte er ihm einen heftigen Schlag mit dem flachen Säbel.

Der Kaufmann verlangte den Rest seiner Rechnung nicht; er entfloh im Gegenteil stöhnend.

Bleich und zitternd, schien der Marquis Wurzel gefasst zu haben; er dachte nicht einmal daran, seinen Degen zu ziehen.

»Auf, auf,« rief Banniére, »ergeben wir uns. Da wir uns nicht schlagen, so leeren wir die Taschen.«

Marion wohnte, ganz erschrocken und zugleich ganz entzückt, diesem Siege des Dragoners über den Kapitän bei; sie lächelte, sie schrie, sie stampfte.

Es ist unglaublich, wie sehr die Frau immer den Mann, den sie vom vorhergehenden Tage kennt, dem Manne, den sie seit langer Zeit kennt, vorzieht.

Will dies besagen, daß die Frau veränderlich sei, oder daß der Mann bei längerer Bekanntschaft nicht gewinne?

Aus das Äußerste gebracht durch die Schmähungen von Banniére und das Geschrei von Marion, nahm der Kapitän endlich den Degen in die Hand.

Doch diese zitternde Hand war sehr wenig fest; mit der starken Klinge seines Säbels band Banniére das Eisen und machte den Degen des Marquis in die Luft fliegen.

Der Marquis hielt sich für todt und fiel aus die Knie,

Banniére war aber barmherzigen Gemüths; er begnügte sich damit, daß er den Marquis mit dem flachen Säbel durchbläute; dann ging er zur Hauptsache, zur Untersuchung der Taschen, über.

Er mochte jedoch die unglücklichen Taschen immerhin um und umwenden, er fand von den sechzig Louis d'or, um die ihn der Marquis im Spiele betrogen, mit großer Mühe nur zwei bis drei.

»Ah!« rief Marion mit Schmerz, »wenn ich gewusst hätte, daß Sie hier suchten?«

»Nun?« fragte Banniére, während er, obwohl vergebens, den Kapitän zu durchstöbern fortfuhr.

»Ich hätte Ihnen gesagt, der Kaufmann habe die Kasse.«

»Ah!« rief Banniére voll Wut.

Dann, da er ein Junge war, der rasch seinen Entschluss faßte, sagte er:

»Laufen wir, laufen wir, wir werden ihn vielleicht einholen, ehe er im Wirtshaus ankommt.»

»Ja, laufen wir,« rief Marion, die auch ihren Entschluss gefasst hatte und gemeinschaftliche Sache mit Banniére machte; »laufen wir, wir werden ihn vielleicht einholen.«

Und Banniére, nachdem er dem Marquis noch ein Postskriptum von ein paar Hieben mit dem flachen Säbel gegeben hatte um das Maß gut zu machen, nahm wieder seinen Lauf nach dem Gasthaus.

Marion hing sich an seinen Arm und lief an seiner Seite, leicht wie Attalante.

Der Marquis war ganz betäubt vor Schmerz und Scham, da er Marion in diesem Grade glücklich und als Genossin eines Unbekannten sah.

Der Schrei, den er ausstieß, glich sehr einem Gebrülle. Er versuchte es, den Flüchtigen nachzulaufen, aber Banniére drehte sich um, und der Marquis blieb aus der Stelle.

Als Banniére dies sah, machte er einen Schritt gegen den Marquis.

Der Marquis gab Fersengeld und entfloh.

Banniére setzte seinen Lauf fort; er rechnete aus die kleinen Beine des Kaufmanns, um ihn einzuholen; doch die Angst hatte sie ihm verlängert, und Banniére konnte ihn nicht nur nicht wiedererwischen, sondern der Flüchtling hatte sogar, als Banniére nach dem Gasthaus kam, Zeit gehabt, das Haus rein zu machen.

Wie Bildoquet, hatte er seine Kasse gerettet.

Banniére lief in den Stall, in der Hoffnung, er habe wenigstens das Pferd vergessen.

Doch der Kaufmann besaß ein gutes Gedächtnis, und trotz seiner Mängel und Fehler hatte er dem Tier den Sattel aus den Rücken, den Zaum um den Hals gelegt, und war in starkem Galopp weg geritten.

Es blieb folglich Banniére durchaus nichts mehr, als zwei Louis d'or und Marion.

Der arme Junge geriet in eine große Verzweiflung, als er sich von diesem Missgeschick überzeugt hatte; aber sein Verlust war unwiederbringlich; er durste im Unglück nicht verzagen. Banniére rief den Wirt und fing an ihm seine Geschichte zu erzählen; eine Folge hiervon war, daß ihn der Wirt aus der Stelle sein Mittagsbrot und das der drei anderen Gäste bezahlen ließ, eine Forderung, in welche sich Banniére ohne viele Erörterungen fügte, da er durchaus nicht daraus bedacht war, Streitigkeiten mit den Behörden des Ortes zu haben.

Von den zwei Louis d'or blieben acht Thaler und Marion, Marlon, welche unter allen Umständen, und wenn Banniére Olympia vergessen gehabt hätte, ein genügender Trost gewesen wäre.

Bannlire hatte aber nur ein Herz für die Liebe; als er das schöne Kind ihn anschauend weinen und mit gefalteten Händen flehen sah, sagte er weich:

»Ah! meine Reizende, Sie haben es unglücklicher Weise mit einem an Herz und Börse zu Grunde gerichteten Manne zu tun. Nie werde ich Ihre Freundlichkeit vergessen, ich werde Sie aber auch nicht dadurch beleidigen, daß ich Ihnen weniger anbiete, als Sie wert sind. Hören Sie, sie sind schön genug, um zu wissen, was die Liebe ist. Nun denn! ich liebe wahnsinnig eine Frau, der Ich nachlaufe, die mich schon zweimal desertieren gemacht hat: das erste Mal von den Jesuiten, das zweite Mal von den Dragonern. Ich weiß wohl, daß Sie meinetwegen diesen schurkischen Marquis und eine Lebensstellung verlassen haben; vielleicht habe ich Ihnen aber, im Ganzen genommen, einen Dienst geleistet; er hätte sie eines Tags in Gefahr gesetzt, und Sie wären gehenkt oder wenigstens eingekerkert worden. Trennen wir uns also hier, wenn es Ihnen gefällig ist, meine liebe Marion.«

Marion stieß einen schweren Seufzer aus und schaute Banniére an.

»Wie!« sagte sie, »mitten in der Nacht, ohne Geld, ohne Zufluchtsort!«

Und sie sprach diese Worte mit einem so sanften Tone, das Banniére davon ganz bewegt war.

Er schaute sie an und schüttelte traurig den Kopf. Er fühlte, daß ihm die Tränen in die Augen treten mussten.

»Ich habe acht Thaler,« sagte er. »Hier sind sechs davon.«

»Aber da das Lager bezahlt ist,« versetzte Marion, »warum sollten wir nicht davon Gebrauch machen, mein Herr?«

Diese Frau war eine große Sirene und hatte in ihrer Stimme Klänge, welche den weisen Ulysses gerührt haben müssten, um so vielmehr Banniére, der nie die Prätention gehabt hatte, an Weisheit mit dem König von Ithaka zu wetteifern. Und dennoch sagt die Geschichte nicht, Banniére habe den Rat angenommen. Marion blieb allein im Gasthaus. Sie verdiente ein milderes Los, die arme Frau. Gewisse Frauen, wären sie zu rechter Zeit angekommen, würden die Engel eines Lebens gewesen sein, dessen ganzer Platz rein war, als ihre Liebe sich bot.

XL.
Banniére in Paris

Banniére, in chocoladefarbener Sammetjacke, in Hosen von Basin und in Pantoffeln, war, wie man leicht begreift, bestimmt, das größte Aussehen aus den Landstraßen zu erregen, wo er wanderte. Jeder blieb auch stehen, um ihn vorübergehen zu sehen, und verfolgte seinen Weg erst wieder, wenn Banniére fern war.

Banniére hielt die Leute auf, die ihn vorübergehen sahen, aber nichts hielt Banniére auf.

Es blieben Banniére nur noch drei Thaler, um eine Reise von hundert Meilen zu machen; wir sagen drei Thaler, weil ihn die arme Marion genötigt, drei von acht zu behalten, und weil sie durchaus nur fünf hatte nehmen wollen.

Und dabei hatte er noch streiten müssen. Vier Thaler von acht nehmen heiße schon viel nehmen, sagte sie. Banniére habe einen weiteren Weg zu machen, als sie. Und dann sei eine hübsche Frau ohne Geld nie so sehr in Verlegenheit, als ein Mann ohne Geld, und wäre dieser Mann für sich allein so schön, als Endymion und Avenis.

Nun wohl! mit diesen drei Thalern, – es ist unglaublich, doch ich habe Hoffnung, unser Leser wird es glauben, sobald ich es ihm sage, – wusste Banniére noch Ersparnisse zu machen und ein Paar Schuhe zu kaufen.

Die Pantoffeln der armen Marion hatten Alles gethan, was wackere Pantoffeln tun können: sie hatten zwanzig Meilen gehalten, wonach die Quartiere auf eine Seite und die Sohlen auf die andere gegangen waren.

Die Nahrung war das, was Banniére am wenigsten beunruhigte. Er lebte aus Kosten der Weinreben, der Nußbäume und der Haselstauden; dann, da zu jedem guten Mahle Gemüse gehört, zog er aus dem ersten dem besten Felde eine Rübe oder eine Zwiebel, worüber die Bauern oft ein gewaltiges Geschrei erhoben; wenn er aber den Bauern und besonders den Bäuerinnen sagte, es hungere ihn, und um zu essen, habe er diesen armseligen Diebstahl begangen, so endigte oft derjenige oder diejenige, welche mit dem Schreien angefangen hatte, damit, daß sie ihr Brot mit ihm teilte.

Er lebte so Gastfreundschaft in den Ställen und in den Speichern fordernd, und wenn man sie ihm verweigerte, unter dem freien Himmel, in einem Heuschober oder unter einem reich belaubten Baume schlafend.

Das war das einzige Mittel, welches Banniére gefunden hatte, um die Abenteuer zu vermeiden und der Liebe der Frauen zu entgehen.

Denn man musste das bemerken: sobald der Unglückliche sich zeigte, erregte er eine Leidenschaft.

»Ah!« sagte er, während er seine ländlichen Mahle verzehrte, »warum habe ich nicht, statt des Magnets, der die Herzen anzieht, den Magnet, der das Eisen anzieht; ich wäre schon reicher, als ich sein müsste, um Olympia loszukaufen, und sollte sie im Serail des Großsultan sein und dieser als Lösegeld für sie verlangen, was Amurat vom Herzog von Burgund für den Grafen von Nevers verlangt hat.«

Von Zeit zu Zeit belehrte sich Banniére, ohne es zu wollen. Das war eines von den Produkten der ursprünglichen Erziehung, welche Banniére im Jesuiten-Kloster erhalten hatte.

Nach acht Tagen eines rastlosen Marsches bemerkte Banniére, als er sich, wie Narcissus, im Spiegel einer klaren Quelle betrachtete, daß sein Bart sehr dem von Polyphem glich.

Der Reisende war genötigt, sich rasieren zu lassen.

 

Nachdem er sein frugales Frühstück mit mehreren Schlucken von einem durchsichtigen Wasser befeuchtet hatte, wanderte er nach dem ersten Dorfe, trat bei einem Barbier ein und ließ sich rasieren.

Dann, während man ihn rasierte, fragte Banniére, um etwas zu sagen:

»In welchem Dorfe bin ich, mein Freund?«

Der Barbier schnitt ihn und antwortete:

»Im Dorfe des Vertus, mein Herr.«

»Wie viel Meilen von Paris?« fragte Banniére, während er aus dem Augenwinkel, was schwierig ist, den Blutstropfen zu sehen suchte, der an seinem Kinn perlte.

»Zwei kleine Meilen, mein Herr.«

Der Barbier sagte zwei kleine Meilen, weil er, da er Banniére geschnitten hatte, diesem eine Entschädigung schuldig zu sein glaubte.

Banniére hüpfte vor Freude. Er war weit entfernt, sich so nahe bei Paris zu glauben, das er wegen des Morgennebels nicht hatte erblicken können.

Paris ist sehr schön für die reichen Leute, aber, sollte man uns auch als Parodorenmacher behandeln, wir werden behaupten, daß es noch viel schöner für die armen Leute ist. Doch besonders hat Paris unvergleichliche Schönheiten für den Menschen, der, wie Banniére, ein verwegener Fischer das Netz, in diesem grundlosen Meere auswirft, um darin eine Perle und einen Schatz zu finden.

Banniére hatte gerade einen Thaler, als er in die Hauptstadt eintrat; leider hatte er auch die Sammetjacke und die Basinhose. Für die nachdenkenden Geister wird es vielleicht interessant sein, zu erfahren, wie er sich eines solchen Putzes entledigte, und diejenigen, welche ihn haben sich ankleiden sehen, müssen wahrhaft besorgt sein, die Art zu sehen, wie er sich entkleidete.

Der Dragoner, man muss es sagen, wurde in den Vorstädten wenig bemerkt. Paris wimmelt von exzentrischen Erscheinungen. Vor Allem kam Banniére, wie gesagt, am Morgen an; am Morgen aber gehen viele arme Bedienstete des Königs oder Angestellte bei den Kaufleuten in Demut Proviant für das Frühstück holen und zeigen sich ohne Umstände ihren Mitbürgern in einem äußerst einfachen Auszug.

Alles ging also gut im Faubourg Saint-Marcel; doch der Dragoner war nicht sobald durch die Rue de la Harpe und über der Pont Saint-Michel in der Rue Saint, Denis eingedrungen, als er begriff, in welchem Grade eine anständige Kleidung notwendig wäre, um die Pläne auszuführen, die er in seinem Gehirne umher wälzte.

Sich anständig kleiden war aber die Sache von mindestens sechs Thalern, gerade so viel, als er Marion hatte lassen wollen, und das Doppelte von dem, was Marion ihm gelassen hatte.

Banniére konnte es also nicht machen, da er durchaus nur einen Thaler hatte.

Das hielt ihn nicht ab, an dem Haken eines Trödlers einen Rock von Berkan zu erschauen.

Bekanntlich heischt das Gesetz jedes Trödels, daß der Käufer eine Differenz bezahlt, mag er Gutes gegen Schlechtes, Mittelmäßiges gegen Schlechteres tauschen. Das war nun nicht der Fall. Die Jacke des Marquis de la Torra zählte unter dem Schlechteren, Doch Banniére war ein Glückskind. Banniére, der sich entschlossen hätte, einen Menschen zu tödten, um seine Verlassenschaft zu bekommen, Banniére hatte das Glück, sich gerade an eine Frau zu wenden.

Ganz der Negerin des Kapitän Pamphile entgegengesetzt, welche eine männliche Negerin war, war der Trödler von Banniére eine Trödlerin.

Banniére erschien sehr galant; das Theater hatte ihn an ein glänzendes Austreten gewöhnt. Die Händlerin mochte etwa dreißig Jahre alt sein, das heißt, sie war noch jung; die Händlerin war beinahe hübsch. Sie sah diesen schönen Jungen und lächelte Ihm zu.

Banniére setzte ihr sein Gesuch auseinander und bot ihr, halb lachend, halb bittend, seinen Thaler für den Rock von Berkan.

Die Trödlerin schaute Ihn abermals an, lächelte ihm abermals zu, nahm den Rock, ohne eine Bemerkung zu machen, von seinem Haken und reichte Ihn Banniére.

Banniére hatte aber in seiner Weisheit beschlossen, auf dieses Lächeln nicht Acht zu geben.

Banniére ging in die Hinterbude und kam nach zwei Secunden wieder heraus, mit der Befriedigung, sich in einem zarten Sommerkleid zu sehen, obgleich die Jahreszeit wie Banniére fortgeschritten war und, wie er Paris erreicht, den Herbst erreicht hatte; doch er hatte den Berkan gewählt, weil er sich leichter mit dem Basin vermählen ließ, als dies bei Tuch oder Sammet der Fall gewesen wäre.

Die Trödlerin lächelte Banniére zum dritten und letzten Male zu, Banniére ging jedoch trotz dieses Lächelns hinaus. Und er sprach also zu sich selbst:

»Ich habe nichts mehr, um zu essen, nicht einen Sou, nicht einen Denier, nicht einen Obol mehr, aber ich werde nicht mehr lächerlich sein. Bleibe ich nüchtern, was seltsam in einer Stadt wäre, welche achtmal hunderttausend Seelen nährt, desto schlimmer für meinen Magen, das geht ihn an; desto schlimmer besonders für meinen Geist, es bewiese, daß er nicht fruchtbar an Auskunftsmitteln ist.«

Dieser Monolog verhinderte Banniére nicht, von ganzem Herzen der anmutigen Trödlerin zu danken, die ihm mit ihrem freundlichen Auge folgte. Er wandte sich auch mehrere Male um, sowohl um sie mit der Gebärde zu becomplimentiren, als um zu sehen, ob die Vorübergehenden sich auch umwandten.

Niemand war aus Banniére aufmerksam, was ihn sehr erfreute, denn es diente ihm als Beweis, daß er grotesk zu sein aufgehört hatte.

Diese Seelenruhe erlaubte ihm, das Boulevard zu erreichen. Er setzte sich zwischen zwei Weichsteine, indem er sich aus jeden mit dem Ellenbogen stützte, wie er es in einem Lehnstuhl mit Armen gethan hätte, und beschäftigte sich damit, daß er die Hunde betrachtete, welche, glücklicher als er, ihr erstes Mahl verzehrten.

Es war aber etwas ganz Anderes, als die gescheiten Hunde, die er seinem Aussehen nach betrachtete, und das erste Mahl, das ihn zu beschäftigen schien, was das Auge von Banniére starr und seinen Geist wach erhielt: es war im Grunde die Sorge, zu wissen, wie er bei dem Zustande der Entblößung, in welchem er sich befand, die notwendigen Schritte, um Olympia aufzufinden, machen sollte.

»Sie ist mit Herrn von Mailly entflohen,« sagte er zu sich selbst; »Herr von Mailly hatte sie einst verlassen, um sich zu verheiraten; da Herr von Mailly eine Frau hat, so bot er Olympia sicherlich nicht in sein Haus geführt. Nein! doch er wird sie in ein kleines Haus einquartiert haben. Man müsste also wissen, wo die geheimen Häuser der Reichen sind.«

Da er nun einen Burschen erblickte, der ein duftendes Billettchen in der Hand hielt, so sagte er zu ihm:

»Mein Freund, wo findet man in Paris die Frauen, welche sich verirren?«

Der Auvergnat, es war Einer, lachte und ging, ohne zu antworten, seines Weges. Banniére schloß aus diesem Stillschweigen, die Frage sei zu geistreich oder zu dumm gewesen, und der Auvergnat habe sie nicht verstanden. Das entsprach der Wahrheit.

Dieser falsche Schritt brachte ein gewisses Misstrauen in den Geist von Banniére. »Wenn ich mich so verwirre,« sagte er, »so bin ich im Stande, nur Albernheiten zu machen. Ich weiß nicht, wie das zugeht, aber alle meine Initiativen ermangeln der Reise. Warum bin ich ein Dummkopf in Paris und hatte ich Geist in der Provinz? Weil ich Hunger und ein mageres Kleid habe; je mehr aber Stunden verlaufen, desto mehr werde ich Hunger haben; je mehr Tage verlaufen, desto magerer wird mein Kleid sein.

»Was machen ohne einen Sou?«

Diese letzte Frage, das ewige Problem der Armen und der Ehrgeizigen, stellte Banniére an sich, während er den Berkanrock auf seinen in seine Taschen vertieften Händen drapierte.

»Was machen ohne einen Sou?« wiederholte Banniére.

Dann gab er plötzlich einen Schrei von sich, und seine rechte Hand bewegte sich lebhaft in seiner Tasche.

O Glück! er hatte etwas Kaltes am Ende seiner Finger gefühlt, und er hatte die Berührung eines Geldstückes erkannt.

Befühlen, herausziehen, sehen, springen, Alles dies geschah in einer Sekunde.

Die Trödlerin hatte begriffen, wie sehr Banniére seines Thalers bedurfte, und ihn wieder in die Tasche des Berkanrockes gesteckt.

Banniére hatte also immer einen Thaler, Banniére war also fünf und zwanzigmal reicher, als der ewige Jude.

Er hatte zuerst den Gedanken, nach dem Magazine zurückzulaufen und der Trödlerin den Thaler wiederzugeben. Doch er bedachte, zu welchen Extremitäten ihn ein solcher Schritt führen konnte. Er beschloss daher, es zu unterlassen und ihr ganz einfach dadurch Ehre anzutun, daß er seine Ideen durch eine gesunde und reichliche Nahrung wiederherstelle.

Dem zu Folge trat er bei einem Garkoch der Rur du Ponceau ein.

XLI.
Wie Banniére bei dem Garkoch der Rue du Ponceau frühstückte, und von dem, was daraus erfolgte

Seit der sehr entfernten Zeit, wo diese Geschichte sich ereignet, geben sich die Menschen unseres Sandes, das beißt, des einzigen Landes, wo man isst, den Anschein, als äßen sie mehr, als man einst aß, und essen in Wirklichkeit viel weniger; hundert Traiteurs von heute sind vor dem Magen nicht so viel werth, als ein einziger Garkoch der Rue de la Huchette.

Die Bude des Garkochs von damals war eine Welt, etwas, wovon der Kosmos von Herrn von Humboldt allein einen Begriff geben kann. Der Garkoch, das war das vielfache Wesen; es war der Obsthändler, der Eßwaarenhändler, der Specereihändler, der Traiteur, der Pastetenbäcker. Er war Alles, den Weinhändler ausgenommen, der, gegen alle Garküche der Welt, seine Spezialität bewahrte. Von der Brühe seines Geflügels (wohl verstanden, wir sprechen vom Garkoch), von der Brühe seines Geflügels machte er ausgezeichnete Suppen; von seinem Geflügel gewisse Fricassées, deren Geheimnis die Garköche allein besaßen. Er hatte Salat, Eier und Wildpret von allen Arten und widmete sich sogar dem Backen von Fischen für gewisse Kunden.

Überdies ließ der Garkoch, wie wir erwähnt, ein Nebenbuhler des Pastetenbäckers, im Ofen viele Phantasiespeisen kochen, während der riesige Spieß, der sich ächzend vor seinem Kamin drehte, Schmalze hervorbrachte, welche in allen Küchen des Quartiers beliebt waren.

Ein Hungriger, wenn er bei einem von diesen Garköchen eintrat, konnte nicht weggehen, wie er eingetreten war, so bescheiden auch seine Börse sein mochte; er fand in dieser Arche gebratene Fleische, mit denen er sich voll Wonne sättigen konnte.

Von der gemeinen Lerche für drei Sous bis zur Poularde für drei Franken, von der demütigen Taube bis zum glänzenden, goldgelben Fasan bot der Garkoch den Konsumenten das ganze Tierreich.

Dampfende Kaninchen, Hasen mit gespickten Lenden, Nierenbraten, Schöpsenkeulen, Büge, Alles detaillierte der Garkoch, Zweifüßiges und Vierfüßiges, einen ganzen Ochsen, wenn man es verlangt hätte; überdies trug der Garkoch in die Stadt, und mit seiner Hülse machte man zu Hause um wenig, wenn man wollte, die reellsten und die köstlichsten Mahle.

Die natürliche Küche Ist seit dem Tage verschwunden, wo die Garköche unterlagen. Sie werden sich eines Tags wieder erheben, als eine Notwendigkeit der kommenden Gesellschaft, das wollen wir nicht bezweifeln.

Uns hat nie ein Homerischer Schmaus, nie pengius ferma von Virgil den Gaumen und den Geruchssinn so in den Tagen unserer großen Appetit gekitzelt, wie die dampfenden Braten, die wir in der Phantasie über der Bratpfanne des Garkochs im achtzehnten Jahrhundert sich haben drehen sehen,

Banniére trat also bei dem Garkoch ein.

Er wählte ein Huhn und einen Salat, was er sich in die nächste Schenke bringen ließ.

In dieser Schenke, eine Seltsamkeit, welche aus hundert und dreißig Jahre zurückgeht, in dieser Schenke verkaufte man Wein, ächten Wein, wahren Wein, Traubensaft.

Banniére bestellte zwei Dutzend Austern und zwei Flaschen Burgunder.

Durch eins Willensmacht, die sich in jedem gut organisierten Geiste wiederfindet, brach er sodann unmittelbar mit allem Kummer und setzte sich in eine Ecke, entschlossen als ein Mann von Herz, eine gewaltige Schlacht dem Vampyr, der sich Langweile, dem Dämon, der sich Schwermut nennt, diesen zwei ruchlosen Sühnen der Liebe und der Abwesenheit, zu liefern. Er aß.

Hier beteuern wir unsere Achtung vor dem Publikum und unsern Geschmack für die physischen und moralischen Delikatessen. Niemand liebt es so sehr, wie wir, einen Romanhelden auf jedem Schnitte zu vergolden. Aber wir müssen bekennen, daß der Magen von Banniére, sich empörend, die ganze Natur dieses Menschen verändert und seine Natur verändernd ihren Wert vermindert hatte.

Der Magen, wenn er unzufrieden ist, tödtet das Herz und das Gehirn. Es ist unnötig, beizufügen, daß er die Arme und die Beine unterdrückt.

Kaum hatte auch der Dragoner in seinen verdrießlichen Magen die frische Auster und den edlen Wein versenkt, kaum hatte die sanfte Wärme der Magensäfte gegen die Augen und um die Schläfe des Hungerigen zu wirbeln begonnen, als er aus der Stelle seine Lage durch prismatische Hoffnungen sah, die er seit vierzehn Tagen nicht kannte.

 

Man hätte glauben sollen, der Burgunder sei nichts Anderes, als die magische Flüssigkeit, welche die Thessalierin Kanidia um Mitternacht auf die Gräber goß, um die Gespenster herauskommen zu machen. Unter dem Einfluss dieses Weines wurde Banniére wiedergeboren, öffnete er die Augen wieder, sah er sogleich wieder das, was er am meisten aus der Welt zu sehen wünschte: Olympia, – In seiner Einbildungskraft, wohlverstanden. Olympia, Olympia wiedersehen, das war am Tag vorher etwas Unmögliches.

Wohl! heute war es die allereinfachste Sache. War Olympia nicht in Paris? War er, Banniére, nicht auch in Paris? Das Schwierigste war also geschehen, da Banniére, um sich Olympia zu nähern, mehr als den neun und neunzigsten Teil, der ihn von ihr trennte, zurückgelegt hatte.

Nun blieb noch Paris, das heißt, ein Labyrinth verwickelter als das von Dädalos.

Was war aber im Ganzen genommen Paris? Eine begrenzte Umschanzung, sieben Meilen im Umfang, folglich in seiner größten Ausdehnung drei und eine halbe Meile im Durchmesser.

Ein schöne Ausgabe für Beine, Kelche so eben hundert und dreißig Meilen gemacht hatten, und in Folge der Austern, des Burgunders, des Huhns und des Salats sich dessen schon nicht mehr erinnerten.

Man würde also Olympia wieder finden, wenn man sie überall mit Hilfe dieser ausgezeichneten Beine suchte.

Unter allen den vornehmen Herren, welche sich in diesem Augenblick in Paris befanden, konnte man nicht im Zweifel stehen. Olympia hatte sich selbst im Gefängnis von Lyon verrathen. Herr von Mailly war gekommen, um sie zu holen, Herr von Mailly führte sie weg. Olympia war also im kleinen Hause von Herrn von Mailly.

Wo war nun dieses kleine Haus? Das musste er zu erfahren suchen.

Nun! man würde es erfahren? Doch von wem?

Ei, bei Gott! von Herrn von Mailly selbst: Banniére würde Herrn von Mailly fragen, wo dieses kleine Haus sei, und gutwillig oder gezwungen würde er Olympia aus diesem kleinen Hause wegbringen.

Das war ein ganz einfacher Gedanke, der ihm aber noch nicht gekommen war, und, sagen wir es, ohne die Austern, den Salat und das Huhn und besonders den Burgunder nicht gekommen wäre.

Wie traurig ist es, gestehen zu müssen, daß das Moralische so tyrannisch dem Physischen unterworfen ist.

Man muss es aber doch zugestehen.

Gestehen wir es also und fahren wir fort.

Banniére, nachdem er seine zweite Flasche geleert und seinen Entschluss gefasst hatte, machte sich seine Rechnung und bemerkte, daß er einen Thaler weniger drei Sous schuldig war. Da er jedoch kein Bedürfnis mehr fühlte, so wurden ihm diese drei Sous überflüssig.

Er überließ sie also majestätisch dem Mädchen der Schenke, wo ihm seit einer Stunde so viel Mut gewachsen war.

Und nun war der Berkas zu warm, der Bafin zu reich; Banniére war zu sehr geputzt; er kleidete sich seit seinem Frühstück nur noch in seine lebhafte Jugend und in seine Liebe.

Die Nase Im Winde, die Faust aus der Hüfte, wandelte Banniére nun ganz natürlich nach dem Faubourg Saint-Germain, wo das Hotel de Nesle lag, das Herr von Mailly aller Wahrscheinlichkeit nach bewohnte.

Es existierte damals noch im zweibeinigen Geschlechte, genus homo, eine Gattung, die sich seitdem verloren hat, wie sich alle Curiositäten seit der Sündfluth verlieren, wie sich alle Monstruositäten vor ihr verloren haben.

Der Leser beruhige sich: es handelt sich hier weder um eine Dissertation über die Mastodons, noch um eine These über die Saurier; es handelt sich ganz einfach um eine kleine Abschweifung über die Schweizer14 der Hotels.

Diese Personen, welche wir in unserer Kindheit bewundert haben, die in ihrer Würde durch die Revolution von 1830, in ihrer Existenz durch die Revolution von 1848 betroffen worden sind, diese Personen herrschten damals despotisch über die Grenze, welche das Äußere vom Innern trennt, und sie bewaffneten sich bald mit der Hellebarde, bald mit der einfachen Verachtung, um die vom ersten Kammerdiener oder von der Lieblingskammerfrau erteilten Befehle zu vollziehen.

Es war eine von diesen helvetischen Doggen, an welche sich Banniére zuerst wandte; doch der Schweizer, der mit einem Blicke berechnete, was ein Rock von Berlan und eine Hose von Bafin kosten konnten, und die ganze Fahrniß aus drei Thaler anschlug, der Schweizer warf Banniére glorreich vor die Thür.

»Aber, Herr Schweizer,« sagte Banniére, »ich frage nach dem Herrn Grafen von Mailly.«

»Der Herr ist nicht hier,« erwiderte der Portier in seinem Schweizer Jargon.

Banniére überlegte und begriff, daß das große Hindernis gegen seinen Eintritt sein Rock von Berkan und seine Hose von Basin waren.

»Oh! seien Sie unbesorgt,« sprach er mit der ganzen Würde, die er aus seiner Herodes-Rolle hatte schöpfen können, »ich komme nicht, um Almosen von ihm zu fordern.«

»Gleichviel! gehen Sie!« versetzte der Schweizer, ein wenig erschüttert durch die Schärfe, mit der Banniére seine gesellschaftliche Stellung auseinandergesetzt hatte.

»Ich komme vom Regiment von Herrn von Mailly,« sprach Banniére beharrend, »und ich habe ihm Dinge von Wichtigkeit zu sagen. Nehmen Sie sich also in Acht, mich abzuweisen, denn Ihre Abweisung wird nicht aus mich, sondern aus Sie zurückfallen.«

Der Schweizer maß zum zweiten Male und mit noch mehr Aufmerksamkeit, als das erste Mal, die fünf bis sechs Ellen leichten Stoffes, welche unseren Helden kleideten.

»Vom Regiment?« erwiderte er unruhig, »Sie sagen, Sie kommen vom Regiment?«

»Ich komme davon!«

»Ho! Ho!«

»Sie betrachten meine Kleidung, nicht wahr?«

»Ja.«

»Wohl, merken Sie nicht darauf.«

»Ho! Ho!l«

»Ich bin ein Dragoner von Herrn von Mailly, und da es sich um ein Staatsgeheimniß handelt, so habe ich mich verkleidet, um auf dem Wege nicht aufgehalten zu werden.«

»Ah! Ah!« rief der Schweizer, beinahe überzeugt.

»Lassen Sie mich also passieren,« sagte Banniére. Und er machte eine Bewegung, um zwischen der Hellebarde und dem Körper des Riesen durchzuschlüpfen.

Der Schweizer zog die Hellebarde näher an seinen Leib und versperrte folglich Banniére den Durchgang.

»Nun?« rief Banniére.

»Der Herr Graf von Mailly ist wirklich nicht da,« sprach der Schweizer.

»Auf Ehre?« fragte Banniére.

»Auf Ehre! die Frau Gräfin ist allein da.«

Das war so. Aus dem Theater daran gewöhnt, In den Augen der mit ihm redenden Person zu lesen, erriet Banniére sogleich an der Ruhe seines Blickes, der würdige Helvetier sage die Wahrheit.

»Die Frau Gräfin,« dachte Banniére; »Teufel! das ist nicht meine Sache.«

Dann, nach einigem Überlegen, dachte er weiter:

»Doch am Ende wird mir die Frau Gräfin Auskunft über den Herrn Grafen geben.«

Und er wandte sich wieder gegen den Schweizer um und sagte:

«Das ist es gerade.«

»Was gerade?«

»Mit der Frau Gräfin will ich gerade sprechen.« erwiderte Banniére. Dabei hatte er eine so geschäftige Miene, daß der Schweizer nicht länger zauderte.

Er klingelte der Kammerfrau, für welche er in seiner Loge eine besondere Glocke hatte, und sagte ihr, so bald sie erschien, es sei ein Bote, der große Elle habe, von Lyon, wo das Regiment von Herrn von Mailly liege, angekommen und wünsche die Frau Gräfin zu sprechen.

So drang Banniére um zehn Morgens in das undurchdringliche Allerheiligste ein.

14Portiers.