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Olympia von Clèves

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LXXXVIII.
Der seidene Rock und der Sammetrock

Und nun erlaube man uns, den vortrefflichen Abbé zu verlassen, der uns, weich gelagert im Bette seines Freundes, des Geistlichen der Kapelle Notre-Dame-de-Lorette, nichts mehr zu befürchten gibt, um unsern, zwei Neuvermählten zu folgen, welche, wie man bemerken konnte, unsere Lieblingshelden sind.

Ihr doppeltes Dasein ist fortan in eines verschmolzen. Sie sind jung, sie fühlen sich stark, sie haben Mittel, um vier Jahre zu leben, und es müsste eine furchtbare und sehr unerwartete Katastrophe eintreten, um sie zu trennen.

Ach! das Unglück ist wie der Tod unsichtbar: man errät es erst, wenn es uns berührt, am Schmerz!

Olympia ließ gerade nach Hause fahren; das war eine Entfernung von ein paar Schritten.

Auf ihren Befehl hatte die Kammerfrau alle ihre Kleider und all ihr Weißzeug in Bereitschaft gesetzt, . Das war ein Haufen, der das Schlafzimmer füllte. Olympia hatte kaum an die Schwierigkeit gedacht, mit einem solchen Gepäcke zu reisen, als Banniére auch schon das Mittel gefunden, diese Verlegenheit zu vermeiden.

»Man wird,« sagte er, »aus Allem dem eine ungeheuere Kiste machen, die wir nach Lyon adressieren. während wir frei und ohne Gepäcke unser Haus suchen und die Ankunft unserer Effekten erwarten.«

»So helfen Sie mir,« erwiderte Olympia, »denn Sie haben Recht.«

Und Banniére fing an mit Olympia in den Koffern Alles aufzuhäufen, was das Vermögen dieser Haushaltung bildete.

Während sie sich freudig und eifrig hiermit beschäftigten, lief die Kammerfrau herbei und bedeutete ihrer Gebieterin, daß sie ihr etwas zu sagen habe.

»Nun! so kommen Sie! rief Olympia.

Die Kammerfrau näherte sich wirklich und sprach ihrer Gebieterin leise ins Ohr.

Olympia errötete. Banniére sah sie erröten errötete selbst und wandte die Augen ab.

Acht der arme Banniére, er glaubte zu erraten, seine Gegenwart sei schon ein Zwang für seine Frau. Olympia dachte einen Augenblick nach.

»Was haben Sie, Olympia?« fragte Banniére mehr noch mit Zärtlichkeit, als mit ängstlicher Eifersucht.

»Es begegnet mir etwas Unangenehmes,« erwiderte Olympia.

»Ah! dann sprechen Sie geschwinde.«

»Herr von Mailly schickt mir einen Boten.«

»Herr von Mailly?«

»Ja; er ist heute Nacht nach Wien abgereist und vor seiner Abreise . . .«

»Schreibt er Ihnen?«

»Ich glaube.«

»Oh!« machte Banniére.

»Soll ich ihn empfangen?« fragte Olympia mit ganz natürlichem Tone.

»Wie es Ihnen beliebt, Olympia.«

»Das heißt nicht antworten.«

»Sie sind unumschränkte Gebieterin.«

»Sie verstehen mich nicht,« sagte Olympia leicht gereizt. »Ich frage Sie nicht, ab Sie mir erlauben, daß ich den Boten empfange; ich frage, ab es schicklich sei, daß ich ihn empfange, ja aber nein?«

»Sie sind zartfühlender und unterrichteter in diesen Dingen, als ich. liebe Olympia,« antwortete Banniére,

dessen Herz lebhafter schlug, als er es selbst gewollt hätte, und dessen Stimme, so sehr er sich auch anstrengte, vor Eifersucht zitterte.

»Holen Sie diesen Boten und lassen Sie ihn hier eintreten,« sagte Olympia zu der Kammerfrau.

Diese ging sogleich mit der Freude ab, welche die Dienenden empfinden, wenn es ihnen gelungen ist, ihre Herrschaft auf die eine oder die andere Art in Verlegenheit zu setzen.

Fünf Minuten nachher trat der Bote ein.

Er hielt einen ziemlich großen und viereckig zusammengefalteten Brief in der Hand.

»Für Fräulein Olympia von Clèves, vom Herrn Grafen von Mailly,« sagte er.

Dann, da er in diesem Augenblick den jungen Mann erblickte, der erbleichend dastand, fügte er bei:

»Oder für Herrn Banniére.«

Wonach er sich ehrfurchtsvoll verbeugte und sich umwandte, ohne die geringste Verlegenheit zu bezogen, er, der doch merklich die neue Haushaltung so sehr gestört hatte.

Olympia hatte den Brief in Empfang genommen und hielt, ihn in ihrer Hand. Sie hieß durch einen Wink die Kammerfrau weggehen und blieb allein mit Banniére.

Sie reichte ihrem Gatten den Brief und sagte:

»Dieser Brief gehört Ihnen, wie alle diejenigen, welche ich fortan Empfangen werde.«

»Nein,« antwortete Banniére, zugleich voll Freude und voll Traurigkeit; »nein, Ihnen ist er übergeben worden, lesen Sie.«

»Warum sollten Sie nicht lesen?«

»Weil ich zum Voraus Alles weiß, was in diesem Brief steht.«

»Sie wissen es?«

»Ich errate es.«

»Sie?«

«Allerdings; es ist nicht schwierig, für mich besonders, zu erraten, was Ihnen ein Mailly schreiben kann, der Sie liebt und der Sie verliert.«

»Der Brief ist aber so gut an Sie gerichtet, als an mich, wie der Bote versichert hat.««

»Ja, doch ich weiß auch, was man mir schreiben kann.«

Olympia ergriff seine beiden Hände und sprach zärtlich:

»Banniére, soll schon in den ersten Stunden unserer Ehe ein Brief, der mir zukommt, ohne daß ich es will, ohne daß ich es weiß, Ihren Geist in Unruhe versetzen? Auf, lesen Sie, es ist vielleicht nicht das, was Sie vermuten,«

»Glauben Sie, es sei eine Drohung?« fragte Banniére, indem er die Hand nach dem Briefe ausstreckte und die Stirne faltete.

Doch nun war es Olympia, die den Brief an sich zog.

»Nein,« sagte Sie mutig, »glauben Sie mir, Banniére, der Mann, der diesen Brief geschrieben hat, ist unfähig zu einer Feigheit.«

»Sie wissen, was in seinem Herzen ist,« versetzte Banniére mit Bitterkeit.

»Ja.«

»Dann müssen Sie auch wissen, was in seinem Briefe steht, und es ist unnötig, daß wir ihn lesen.«

»Ja,« sprach Olympia,«es ist unnötig, daß wir ihn lesen, besonders in diesem Augenblick. Wir werden ihn später lesen, dort, wenn er in Wien, an den Ufern der Donau ist, während wir in unseren, kleinen Paläste in Lyon, an den Ufern der Saone sind.«

Und sie schlang einen Arm um den Hals ihres Mannes und schob in die Tasche seines Rockes den Brief, den er beharrlich zurückwies.

Das Lächeln, das Opfer seiner Frau entwaffneten vollends Banniére und erheiterten wieder sein Herz.

»Pfui der Eifersucht!« rief er; »ich habe die schönste, die zärtlichste und redlichste der Frauen.«

.Und sogar die verliebteste, mein Mann.«

»Nur,« fuhr Banniére fort, »nur bringen wir diese Frau rasch in Sicherheit, und da ich ihre Briefe nicht lesen will, machen wir es so, daß sie keine empfängt.«

Und mit immer größerer Freudigkeit rief Banniére:

»Gepackt! Gepackt!«

Wonach er wieder mit Olympia die Kleidungsstücke in die große Kiste zu packen anfing.

«Und der Fiacre,« fragte Olympia, »was ist ans ihm geworden?«

»Er wartet noch.«

»Behalten Sie Ihn denn?«

»Er wird uns führen, bis seine Pferde nicht mehr gehen können.«

»Und dann?«

»Dann werden wir irgendwo sein und überlegen, was wir zu tun haben. Das Wesentliche für mich und ich hoffe auch für Sie, Olympia, ist, daß wir abreisen, Paris verlassen.«

»Sehr gut! Doch um bei Nacht zu reisen, mein lieber Banniére, sind Sie ein wenig gar zu leicht gekleidet.«

»Ich war noch viel leichter gekleidet, als ich, Ihnen nachlaufend, hier ankam.«

»Gleichviel!«

»Ah!« sagte Banniére lachend, »nun verachtet die Frau schon das Hochzeitkleid ihres Mannes.«

»Gott behüte mich hiervor, mein lieber Banniére, und meine Achtung vor demselben ist so groß, daß ich eine Reliquie daraus machen will.«

Sie rief der Kammerfrau.

Mademoiselle Claire trat ein.

»Oeffnen Sie die Kiste von Citronenholz.« sagte Olympia, »und bringen Sie mir den bewussten Sammetrock.«

»Ein Mannsrock?« fragte Banniére.

»Ja, mein Herr, ein Mannsrock,« antwortete lächelnd Olympia.

Das Gesicht von Banniére verdüsterte sich wieder.

»Olympia,« sprach er traurig, »die Zeit ist vorüber, wo der Jesuiten-Noviz die Kleider des Herrn Grafen von Mailly anziehen konnte.«

»Schweigen Sie, grobes Herz,« erwiderte Olympia, während Sie den Sammetrock Banniére reichte; »schauen Sie diesen Rock an, erkennen Sie ihn und erröten Sie vor Scham.«

Banniére hielt den Rock an die Lichter.

»In der Tat,« rief er freudig, »ich kenne diesen Rock.«

«Es ist der Sammetrock, den Sie bestellt hatten, und den man Ihnen an demselben Tage brachte, an welchem Sie in Lyon, aus Befehl der Jesuiten, verhaftet wurden; diesen Rock, den Sie nur angezogen, um ihn zu probieren, habe ich aufbewahrt; jeden Tag betrachtete ich ich ihn, jeden Abend küsste ich ihn. Ich habe in seine Taschen die Parfums eingeschlossen, die ich liebte; ah! dieser Rock war, nebst der Erinnerung, ungefähr Alles, was uns von unseren Tagen der Liebe und des Glückes blieb; es war gleichsam ein balsamiertes Andenken von der Zeit, welche nicht mehr bestand, ein Andenken, das seinen Wohlgeruch in meinem Hause und in meinem Herzen verbreitete.«

Banniére stieß einen Freudenschrei aus, streifte seinen seidenen Rock rasch ab, zog den Sammetrock an und warf sich in die Arme von Olympia, während, wenig zugänglich für sentimentale Szenen, Mademoiselle Claire, mit allem Phlegma, den alten Rock sorgfältig zusammenlegte und sodann in der großen Kiste unter den Effekten von Olympia vergrub.

Als diese Rührung aufgehört hatte, war die Kiste voll; es schlug drei Uhr, die Fiacrepferde scharrten, sie warteten seit zwei und einer halben Stunde vor der Thür, und der Kutscher machte einen so gewaltigen Lärmen, als nur immer möglich, da er glaubte, man habe ihn vergessen.

Olympia und Banniére hüllten sich in denselben Mantel und nahmen die Schlüssel des Koffers, den der Fiacre auf seinen Kutschenhimmel stellte und nach einer großen Frachtanstalt der Rue Montmartre führte.

Banniére ließ ihn einschreiben und bezahlte die ersten Kosten; dann, nachdem er mit dem Fiacrekutscher über den Preis für zwei Tagereisen, jede zu zwölf Livres, übereingekommen war, verabschiedeten die zwei Glücklichen Mademoiselle Claire, indem sie ihr einen Lohn einhändigten, mit welchem sie zufrieden zu sein schien, und ehe der Tag gekommen war, fuhren Sie durch die Banniére von Fontainebleau und schlürften mit unendlicher Wollust die kalten Dünste des Flusses und die Ausströmungen des Thales von Gentilly ein, welches damals etwas minder schmutzig, als heute.

 

Der Kutscher, der ruhig seine zwei kleinen Meilen in der Stunde zurücklegte und glücklich, so gute Kunden gefunden zu haben, auf seinem Bocke sang, fragte sich, warum es ihm mit ein wenig Diplomatie nicht gelingen sollte, diese jungen Eheleute an das Ende der Welt um zwölf Livres täglich zu führen.

LXXXIX.
Das Häuschen an der Saone

Leider ist nichts eventueller, als die Berechnung, n dieser Welt, selbst diejenigen, welche ans ihren Böcken die Fiacrekutscher machen.

Olympia war seit dem vorhergehenden Tage zu sparsam geworden, um den wackeren Mann, der auf sie und Banniére spekulierte, in seiner Spekulation zu unterstützen.

So gut sie in diesem Fiacre an der Seite von Banniére war, so bedachte sie doch, daß man nie, einen in den andern gerechnet, mehr als zwölf Meilen im Tage für zwölf Livres machen würde.

Sie bedachte, daß man zwölf Tage brauchen würde, um nach Lyon zu kommen, und daß man während dieser zwölf Tage die Pferde ein wenig und den Kutscher viel füttern müsste.

Daß der Kutscher zwölf Tage brauchen würde, um zurückzukehren, und daß man natürlich die Rückfahrt bezahlen müsste, wie man die Hinfahrt bezahlt hätte.

Olympia teilte auch sogleich am Abend, als man in Fontainebleau ankam, die Reflexionen, die sie gemacht hatte, Banniére mit, und kraft dieser Reflexionen, welche er vollkommen billigte, erhielt der Kutscher den Preis für seine zwei Tagereisen und wurde entlassen.

Olympia kam nun mit einem Fuhrmann überein, der dem Lyoner Wagen für das Gepäcke folgte. Er fügte ein kleines Cabriolet seinen Fourgons bei; das nötigte, im Schritt zu fahren; aber der Wagen ging selbst im Schritte.

Die Post allein lies in jener seligen Zeit; doch Olympia und Banniére waren die vernünftigsten Eheleute der Erde geworden, sie fanden sich nicht reich genug, um mit der Post zu fahren.

Man begnügte sich also ganz munter mit dem Cabriolet.

Um fünf Uhr am andern Morgen hatten Beide darin ihre Plätze eingenommen, und man begab sich aus den Weg.

Hinter ledernen Vorhängen eingeschlossen, wenn es kalt und düster war, am Rande der Straße fahrend, wo sich der Weg schön und malerisch zeigte, mit gutem Appetit speisend, in reinlichen Gasthöfen schlafend, brauchten sie zehn Tage, um die Reise zu machen, und, abgesehen von der Ermüdung, war nie eine Reise so heiter und so reizend in ihrer Einförmigkeit.

Die zwei jungen Eheleute hatten sich auch von der Zeit an, wo sie sich nicht mehr gesehen, so viele Dinge zu erzählen! Die Liebe ist so geschwätzig und so gefällig im Anhören; der Arm von Olympia war so markig, wenn er auf dem von Banniére ruhte; diese Reise war ein so schwaches Bild von dem Wege, den sie durchlaufen hatten, ehe sie an das Ziel ihrer Jugend und an das Ende ihres Glückes kamen.

Und wie unterhielt man sich vom guten, vom vortrefflichen, vom würdigen Champmeslé, wie wussten diese zwei ihm Verpflichteten, bis zur Begeisterung Dankbaren die Schwäche dieser zarten Natur, die Zartheiten dieses edlen Herzens zu analysieren! wie dankten sie Gott, daß er auf ihren Weg den Schatz geschickt, welchen zu finden sie das Glück gehabt hatten.

Champmeslé hatte sehr Recht.

Die Rechtmäßigkeit des Glückes verleiht etwas Reines und Edles den irdischen Freuden.

Sie ist für das Gewissen ein so süßer Beistand, daß es, nunmehr entschlummert, seine Reinheit wieder annimmt und, um Rat befragt, den genauen und unbeugsamen Eindruck von Recht und Unrecht gibt, wie ein Probirstein das Gold und das Kupfer schätzt.

So daß viele Urteile, welche falsch geführt hatten, den rechten Weg einschlagen, so daß man anfingt, die Menschen unter einem andern Lichte zu betrachten, und daß man auf eine energische Art die so oft verwischte Linse unterscheidet, welche das Gut des Andern vom persönlichen Gute trennt.

Alle diese Phasen durchwandernd, hatte das Gespräch oft Herrn von Mailly berührt, als ein Mensch von Geist und als ein tief verliebter Mensch begriff Banniére die Notwendigkeit, auf einmal der Unregelmäßigkeit ihrer gegenseitigen Vergangenheit überdrüssig zu werden.

Anfangs erstaunt, sah Olympia bald ein, was im Herzen ihres Geliebten vorging, und half sie ihrem Gatten sich von dem nagenden Gast zu befreien, den man den bitteren eifersüchtigen Geist nennt.

Das war etwas Leichtes: sie brauchte nur ihr Herz reden zu lassen.

Sie erklärte ihr Leben mit dem Grafen; sie schilderte ihn so, wie er war, schwach, enthusiastisch, verirrt aus dem düsteren Wege, der sich zwischen der Hofehre und der menschlichen Ehre ausbreitet. Sie stellte ihn als unglücklich dar, wie er für die Gegenwart war; es gelang ihr endlich, Banniére über die Zukunft dieses Mannes zu rühren, dem um glücklich zu sein nichts fehlte, als das Glück.

Banniére empfand die lebhafteste Befriedigung, die einem Liebenden zu empfinden gegeben ist, das heißt, er erfreute sich eines sehr kräftigen Beweises einer Bevorzugung, gewährt durch eine geliebte Frau vor einem an vielen Dingen über dem Liebenden erhobenen Nebenbuhler.

Er fühlte sich, in Folge dieser mutigen Offenherzigkeit seiner Frau, geneigt, ewig Herrn von Mailly zu beklagen, statt ihn zu beneiden, wie er es bis dahin gethan hatte.

Von diesem Augenblick an schien es ihm, als entflöge dieses Ungeheuer, das, ein unbarmherziger Alp, auf dem Herzen der Liebenden lastet, die Eifersucht mit einem kläglichen Stöhnen, um anderswo eine andere Beute zu suchen.

Diese gute Stimmung seines erleichterten Herzens führte ihn auf den Boten von Herrn von Mailly zurück.

»Es ist vielleicht ärgerlich, daß wir nicht gelesen haben, was er uns in der ersten Verzweiflung über unsere Wiedervereinigung schreibt,« sagte Banniére; »vielleicht verlangt er von uns zurück, was er uns gegeben hatte. Es wäre schlimm, sein Gut zu behalten.«

»Sein Gut!« rief Olympia. »Ah! seien Sie unbesorgt, mein Freund; abgesehen davon, daß Herr von Mailly von Natur großmütig ist, hatte er nichts von mir zurückzufordern. Ich habe für ihn das Geld ausgegeben, das er mir für mich gab. Sie kennen mich, Banniére, ich bin nicht geizig, und Ich lege mehr Wert auf das, was ich gebe, als aus das, was.ich Empfange. Die Freigebigkeiten von Herrn von Mailly haben mich nicht reicher gemacht, als ich war, da Sie mit mir vom Theater lebten. Nur habe ich in Folge dieser Freigebigkeiten nicht das Geld verbraucht, welches mir das Theater eintrug. Ich bin nicht genötigt gewesen, die Mobilien zu verkaufen, die ich in Lyon hatte und die immer noch dort sind. Darum haben wir heute zweihundert Louis d'or.«

»Also,« sagte Banniére, »die Meubles des Hauses der Grange-Bateliére. . .«

»Bleiben in diesem Hause,« erwiderte Olympia. »Die großen Juwelen, mit denen ich nach dem Willen von Herrn von Mailly geschmückt sein sollte, wovon ich seine Freunde empfing, bleiben in ihren Kästchen. Ich habe Alles dies wie einen Wert betrachtet, den von vermietet, aber nicht verschenkt, dessen Nießbrauch die Geliebte hat, während das Eigentum dem Gebenden bleibt. Alle diese Dinge weiß Herr von Mailly ganz wohl, und wenn ich etwas zu befürchten habe, so ist es, daß er mir schenkt, statt von mir zurückzuverlangen. Sie haben diesen Brief befühlt: enthielt er ein Bündel?«

»Ich habe nichts gefühlt, was die Dicke eines gewöhnlichen Briefes überschritten hätte.«

»Man kann eine Schenkung auf einem einfachen Blatt machen. Wo ist der Brief?«

»Mein Gott! ich habe ihn in meinem alten Rocke gelassen.«

»Und Claire hat den Rock mit dem Übrigen in den Koffer geworfen.«

«Nun! so mag er darin bleiben,« sagte Banniére.

»Übrigens werden wir das wie unsere anderen Effekten in Lyon wiederfinden, und wir werden den Brief mit einander lesen, nicht wahr, mein Freund?« sprach Olympia mit sanftem Tone. »Enthält er Glückwünsche, so nehmen wir sie für uns Beide, enthält er, was ich befürchte, ein Geschenk, so danke ich in aller Demut Herrn von Mailly dafür, ohne sein Zartgefühl zu verletzen. Sie sollen meinen Brief lesen, und ich werde zurückgeben.«

»Sie sind ein Engel an Geist und Tugend, meine liebe Olympia.«

»Ich fange an Vergnügen an der Erfüllung meiner Pflicht zu finden. Lassen Sie uns rasch nach Lyon gehen.«

»Ja, rasch, unter der Bedingung, daß es das Cabriolet uns erlaubt, liebe Olympia.«

Das Cabriolet ging nicht rasch, doch durch fortwährendes Rollen kam es am Ende an Ort und Stelle.

Als aber Banniére die Höhen von Fourviéres und Lyon und alle die Häuser, die ihren Rauch empor wirbelten, und die großen Netze von Perlmutter und Silber erblickte, welche die gekreuzten Arme des Flusses und des Stromes, der Saone und der Rhone sind, gab er einen schweren Seufzer von sich.

Olympia wandte sich erstaunt um und fragte:

»Was haben Sie denn?«

Banniére zuckte leicht die Achseln und erwiderte:

»Nichts.«

»Doch! Sie sind verdüstert, und das ist plötzlich bei Ihnen gekommen. Sagen Sie mir, was Sie ergriffen hat.«

»Ich liebe Lyon nicht, ich habe nie diesen Haufen von schwarzen Häusern geliebt.«

»Sie werden das unsere lieben.«

»Wir sind dort unglücklich gewesen!«

»Ich spreche nicht von diesem; von diesem nehmen wir nur die Meubles, und wir werden sie sogar verkaufen, wenn Sie wollen.«

»Warum haben Sie Lyon gewählt, teure Olympia, Lyon, wo ich so viel gelitten?«

»Weil Lyon groß genug ist, daß man sich darin verbirgt.«

»Haben wir es so sehr nötig, uns zu verbergen?«

«Mir schien, das sei eine verabredete Sache. Sprechen Sie, woher kommen diese Zögerungen nach einem so wohl gemachten Plane?»

»Ich weiß nicht, aber meine Füße haben an dem Orte, wo wir sind, Wurzel gefasst. Ich betrachte diese Stadt, sie kommt mir wie ein Schlund vor. Diese Wasser, die man bewundert, bringen auf mich die Wirkung hervor, als hätten sie Etwas oder Jemand zu verschlingen. Ich liebe Lyon nicht.«

»Erklären Sie sich.«

»Ich liebe Lyon nicht, das die Catalane bewohnte, das der Abbé d'Hoirac bewohnte, das die Coiffeuse, unsere Feindin, bewohnte. Ich liebe Lyon nicht, das Gefängnisse, einen Official, eine Kaserne, was weiß ich? hat. Hören Sie, meine liebe Freundin, wenn wir nicht nach Lyon gingen, um dort zu wohnen, ich glaube, wir würden wohl daran tun.«

»Oh!« versetzte Olympia mit einem Lächeln, »Sie machen auf mich den Eindruck eines abergläubischen Menschen. Sehen Sie doch diese schöne Sonne, sehen Sie doch diesen Gürtel von Bäumen und grünen Abhängen, sehen Sie doch diese Fahrzeuge, welche dieses blaue Wasser mit Gold beschuppend hingleiten! Kommen Sie an das Ende dieser kleinen Insel, hinter den Häusern, schauen Sie; sehen Sie eine Gruppe von Bäumen längs einem weißen Wege?«

»Ja.«

»Und von der Saono? Sehen Sie diese Ruhe: ein Fischer auf dem Ufer, Kinder, welche am Rande des Wassers spielen.«

»Das ist wahr.«

»Dort ist das Häuschen, welches wir bewohnen wollen. Schauen Sie, wie es sich vom geräuschvollen Mittelpunkte entfernt, in welchem wir vor unserem Abgange lebten. Nie werden die vergangenen Geräusche wieder zu uns kommen. Dieser Teil der Stadt schläft unablässig unter seinen Kastanienbäumen und seinen Linden. Stellen Sie sich auch den Winter vor, das heißt einen Schneeteppich, der dieses verödete Quartier wattiert. Stellen Sie sich die kleine Lampe vor, wie sie hinter den Vorhängen und den entblätterten Bäumen brennt gleich einem Glücksstern, und die Brücke, welche zum Thore der Stadt führt? Wir haben die Promenaden, wir haben die reine Luft; nun da Sie dies Alles an»geschaut haben, gehen wir nicht nach Lyon, wenn Sie nicht wollen.,

»Gehen wir dahin, da Sie es wollen,« erwiderte Banniére, einen letzten Seufzer in seine Brust zurückdrängend; »Sie können mich nur zur Freude und zum Glücke führen.«

Und sie gingen gegen die Stadt hinab.

Zwei Stunden nachher hatten sie den Fuhrmann bezahlt, ihre Kleider und ihren Magen erfrischt; sie lagerten in einem Gasthaus, bis sie genug ausgeruht haben würden, um das Haus zu suchen. Olympia war zu mutig. um sehr lange zu ruhen.

Am andern Morgen, als Banniére noch schlief, schlüpfte Olympia aus dem Gasthaus.

Hundertmal während ihres Aufenthaltes in Lyon, wenn sie allein spazieren ging und über das tadelhafte Benehmen von Banniére, von dem sie sich verlassen sah, weinte, hatte sie dieses vereinzelte Haus bemerkt, dessen grüne Läden und schönes Angesicht ihr immer gefallen hatten.

 

Nie hatte sie Leute am Fenster gesehen; im Sommer hatte sie sich gesagt, die Eigentümer wohnen auf dem Lande; im Winter hatte sie sich gesagt, wegen der Kälte und der Nebel halten sich die Eigentümer wohl eingeschlossen.

Sie ging also gerade aus das kleine Haus zu, entschlossen, sich zu erkundigen und die Bewohner durch den Köder eines Nutzens zu bestimmen, ihr ihre Rechte abzutreten. Olympia hatte nie geglaubt, es sei etwas unmöglich für eine schöne und freundliche Frau, welche sich die Mühe geben wolle, zu bitten.

Sie freute sich in der Hoffnung, zurückkehren zu können und Banniére mitzuteilen, die Sache sei abgemacht, ihn am Arm zu nehmen und ihn in den Besitz der Wohnung zu setzen.

Eine Stunde eines langsamen Spazierganges führte sie an das Ziel ihrer Reise.

Sie klopfte mit einem etwas bewegten Herzen an die Thür längs dem Fluss.

Man antwortete einige Zeit nicht. Sie verdoppelte ihr Klopfen, und bald hörte man das Geräusch von Tritten, welche den Sand auf den Wegen im Garten krachen machten.

Die Thür öffnete sich indessen nicht, und es schien, so groß waren die Vorsichtsmaßregeln, als horchte man jenseits der Thür, oder als suchte man zu sehen.

Doch Olympia täuschte sich über den ersten Punkt. Man konnte sehr bequem erfahren, mit wem man es zu tun hatte, da an der Thür eines von den eisernen Gitterchen angebracht war, durch welche in Zeiten der Unruhen oder der Bürgerkriege die guten Bürgersleute der Provinz und sogar die von Paris schauten, ob der Besuch der eines Feindes oder der eines Freundes sei.

Man schaute, und das war das Ganze.

Olympia erblickte das Gesicht einer Magd, das sich mit dem eisernen Gitter umrahmte.

»Was will Madame?« wurde sie gefragt.

»Meine gute Jungfer, ist dieses Haus nicht zu vermieten?« erwiderte Olympia.

»Nein, Madame.«

»Mir schien, ich habe das Gegenteil gehört,« sagte Olympia sehr in ihren Hoffnungen getäuscht.

»Nie, Madame,« antwortete die Magd.

Und sie schickte sich an, wieder zu schließen.

»Verzeihen Sie,« rief Olympia, »noch eine Frage, mein Kind.«

»Sprechen Sie.«

»Von wem wird das Haus bewohnt?«

»Ei!« erwiderte die Magd, »ich weiß es nicht.«

»Ich habe nur gute Absichten,« sprach Olympia, Indem sie durch das Gitter einen Thaler gegen die Magd streckte, um sie besser zu stimmen. »Hören Sie mich an, ich lauere weder auf Jemand, noch folge ich Jemand; ich habe große Lust, dieses Haus für, mich zu mieten, und man würde mir einen ausgezeichneten Dienst leisten, wenn man es mir abtreten wollte.«

»Madame, wenn aber derjenige, welcher es bewohnt, einen großen Wert darauf legt?»

»Ah! ich weiß Alles, was man mir sagen wird; doch wenn es möglich ist, den Eigentümer zu sprechen, so werde ich Gründe finden, um ihn zu überzeugen. Ich bin eine Frau, ich bin nicht gefährlich. Ich wiederhole, ist es nicht möglich, daß ich zugelassen werde, um meine Motive geltend zu machen? Ich sage Ihnen, meine Gute, daß ich, wenn Sie mich begünstigen, und ich kann Ihre Herrschaft überzeugen, einen Louis d'or meinem Thaler beifüge.«

Geblendet, lächelte die Magd dem reizenden Gesicht von Olympia zu und antwortete:

»Madame, der Eigentümer dieses Hauses bewohnt dasselbe nicht. Mein Herr ist nur Mietmann und kommt auch nur von Zeit zu Zeit hierher.«

»Ist er in diesem Augenblick hier?«

»Ja, zum Glück.«

»Zum Glück! Sie hoffen also?«

»Ei! es ist möglich, daß er, der die schönen Augen liebt, sich durch die Ihrigen überreden lässt. Erlauben Sie mir, ihn in Kenntnis zu setzen, er wird kommen, Sie werden mit einander reden.«

»Gehen Sie.« sagte Olympia.

Die Magd lief in der Richtung des Hauses weg. Sie kam nach drei Minuten zurück und brachte einen Mann mit sich, der sie kichernd fragte:

»Ist die Dame, wegen der Du mich gestört hast, Babette, wenigstens sehr hübsch?«

Olympia bebte beim Tone dieser Stimme und wich instinktartig zurück; doch es war zu spät.

Das Gesicht des Abbé d'Hoirac drückte sich an das eiserne Gitter.

Er erkannte Olympia und stieß einen Schrei des Erstaunens und der Freude aus.

Erschrocken, entfloh Olympia aus Leibeskräften, indes der Abbé fluchend und schwörend die Thür zu öffnen suchte, um seine entwichene Beute wieder zu erwischen. Während aber die Magd den Schlüssel im Hause geholt hatte, war Olympia verschwunden, und als mau die Thür geöffnet, war der Abbé zu kurzsichtig, um ihre Spur leicht wiederzufinden.