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Olympia von Clèves

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XCII.

Das Urteil

Als Olympia wieder zu sich kam, war es spät; Alles war verschwunden, nur zwei Frauen, die sie an eine Bank unter einem Baum angelehnt halten, bewachten sie und sagten ihr sanfte Worte, denn die Frauen unter sich begreifen das Unglück und wissen die Unglücklichen zu trösten.



Sie erinnerte sich, sie stieß einen Schrei aus, sie fragte, wo sie sei und was man mit Banniére gemacht habe.



Diese Frauen verstanden nicht recht das, was vorgefallen war; sie erzählten, die Dragoner haben, auf Befehl des Kommandanten, die Menge zerstreut, während Andere in das Innere der Kaserne einen mit einem schwarzen Sammetrocke bekleideten Mann geführt.



Olympia fühlte, daß ein grässliches Drama für sie beginnen sollte, daß man Banniére vielleicht seiner Freiheit berauben und, um ein Beispiel zu statuieren oder einen Groll zu befriedigen, mit aller Strenge gegen den jungen Mann verfahren würde.



Sie erschaute rasch in dieser Sache einen Verrat des Abbé d'Hoirac.



An wen sich wenden?. . . wo Beistand, das nötige Ansehen finden, um Unterhandlungen anzuknüpfen?



Welcher Mann in dieser Stadt würde seinen uneigennützigen Arm der unglücklichen Frau leihen?



Olympia zögerte nicht. Sie erinnerte sich dessen, was Champmeslé von seinem Besuche bei den Jesuiten und davon gesagt hatte, daß er die Nacht bei ihnen zubringen werde.



Sie musste einen Beschützer in Champmeslé finden.



Sie erhob sich unter den Frauen, denen sie tausendmal dankte, und ließ sich aus der Stelle das Haus der Jesuiten bezeichnen.



Champmeslé, nachdem er den vom Orden vorgeschriebenen Förmlichkeiten Genüge geleistet, hatte die Erlaubnis erhalten, in einer kleinen Zelle zu Nacht zu speisen und zu schlafen.



Er verzehrte seine magere Portion und tröstete sich über sein Elend, indem er an das Gute dachte, das er gethan, als ihn die, von Olympia in Bewegung gesetzte Glocke beben machte.



Sein Geist war so eng mit denjenigen verbunden, welche er so eben verlassen hatte, daß er ohne irgend einen Übergang, dieses neue Geräusch etwas, was von ihnen kam, zuschreiben konnte.



Man benachrichtigte ihn, eine Frau wolle ihn durchaus wegen einer Beichte sprechen.



Das war das Mittel, dessen sich Olympia mit ihrer gewöhnlichen Geistesgegenwart bedient hatte, um zu Champmeslé zu dringen.



In höchstem Maße erstaunt, eilte er fort und empfing Olympia, in Tränen und beinahe ohnmächtig, in seinen Armen.



»Oh! zu Hilfe!« rief sie.



»Was gibt es, liebe Frau?«



»Sie haben ihn.mir entführt.«



»Wen?«.



»Meinen Mann!«



»Wer hat ihn entführt?«



»Die Dragoner.«



»Ist sie verrückt?« fragte sich Champmeslé, der zu gleicher Zeit, auf diese Hypothese, Olympia einfach fragte, ob Banniére sie nicht begleitet habe.



»Ich sage Ihnen ja,« rief sie schmerzlich, »sie haben mich von ihm getrennt. Er hatte sich auf meinen Rat anwerben lassen, um den Verfolgungen des Officials zu entgehen; Herr von Mailly hatte ihn in seinem Regimente. Banniére ist entwichen; man hat ihn gefunden; man nimmt ihn wieder.«



»Ho! Ho!« sprach Champmeslé, »das ist ein ernster Fall.«



»Mein Gott!«



»Erschrecken Sie nicht zu sehr, die Sache steht vielleicht nicht so verzweifelt schlimm.«



»Was soll ich tun?«



»Ich weiß es nicht.«



Der brave Mann verlor den Kopf. Er war Schauspieler gewesen, er war Priester, aber er war nie Soldat gewesen«,



»Sprechen Sie,« sagte Olympia, »die Zeit drängt.«



.»Das ist wahr. Doch was lässt sich tun? . . . Erzählen Sie mir ein wenig die einzelnen Umstände.«



Olympia erzählte Alles, was der Leser soeben erfahren hat.



»In der Tat,« sprach Champmeslé, »der nach Bisam riechende Abbé trat auf mich zu und fragte mich:



»»Kennen Sie diese Dame nicht?««



»Und Sie haben mich genannt?«



»Gewiss.«



»Oh! mein Gott! ich bin also Schuld am Verderben meine? Mannes!«



»Nein, nein; hören Sie, ich habe Lust, den Rector von hier um Rath zu fragen.«



»Hüten Sie sich wohl! Banniére ist Noviz gewesen; als solcher muss er schlimme Erinnerungen bei den Jesuiten zurückgelassen haben; sie führen vielleicht etwas gegen ihn im Schilde.«



»Nun, sie mögen etwas gegen ihn im Schilde führen, doch sie werden ihn wenigstens nicht tödten!«



»Was wollen Sie damit sagen?»rief Olympia erschrocken. »Welches Wort haben Sie da ausgesprochen! Sie werden ihn nicht tödten! Aber die Anderen werden ihn also tödten?«



»Ich habe das nicht gesagt.«



»Erklären Sie sich in des Himmels Namen! Was kann man Banniére tun wollen?«



»Ah! meine Freundin,« erwiderte Champmeslé sehr bekümmert, daß er so unklug gesprochen hatte, »ich weiß es nicht; doch wenn wir in die Kaserne gehen, werden wir es erfahren.«



»Gehen wir in die Kaserne! Vorwärts!«



Und sie ergriff den Arm von Champmeslé und zog ihn wie eine Tolle gegen die Thür fort.



»Einen Augenblick Geduld, Madame, ich bin hin nicht frei; um auszugehen, muss ich mein

Exeat

 verlangen »



»Was ist das?«



»Ein vom Rektor unterzeichnetes Papier, ein Paß was Sie wollen, doch es ist durchaus notwendig. damit mich der Pförtner hinausgehen läßt.«



Er musste in der Tat das

Exeat

 verlangen und die Sache dem Rektor erzählen, welcher zu Champmeslé sagte:



»Wahrhaftig, mein Bruder, Sie haben sehr weltliche Verbindungen, Sie sind kaum eine Stunde unter uns, und schon haben Sie mit einer Frau auszugehen.«



»Ei! mein Vater, die Menschenfreundlichkeit!« »Mein Bruder, die Menschenfreundlichkeit ist nicht immer ein Grund, die Regel zu übertreten.«



»Aber die Zelt drängt!«



»Mein Bruder, gehen Sie aus, bedenken Sie Indessen, daß wir jeder Familie und jeder Freundschaft auf Erden entbunden sind, gerade, damit wir die Dinge nicht zu tun haben, welche Sie heute Abend tun.«



Champmeslé hörte nicht mehr; er ergriff hastig das verlangte

Exeat

, ließ Olympia, welche vor Ungeduld an den Händen zu nagen anfing, vor sich hinausgehen und führte sie nach der Kaserne.



Hier bedurfte es anderer, viel schwierigerer Unterhandlungen.



Um bei den Jesuiten hinauszugehen, musste man ein Verbot durch ein

Exeat

 aufheben, um bei den Dragonern einzutreten, musste man ein Verbot durch Bitten überwältigen.



Der Dragoner von der Wache war unbeugsam.



Olympia, während Champmeslé parlamentirte und die Schildwache mit seiner Logik angriff, schlüpfte unter dem Carabiner des Reiters durch und lief wie eine Tolle nach den Wohnungen, welche sie im Innern erleuchtet sah.



Eine große Helle glänzte in einem Saale, den viele Dragoner von der Treppe bis zu den Thüren belagerten.



Niemand ließ sie durch; die Schildwache hatte Lärm gemacht.



Sie wollte mit dem Kommandanten sprechen, man sagte ihr, er sei beschäftigt.



Sie wollte schreien, sich empören, man erklärte ihr, man werde sie binden, knebeln, oder hinauswerfen.



Die Brutalität erschreckte sie weniger, als das Ausschließen. Sie kehrte indessen zu Champmeslé zurück, der sich endlich, von Offizier zu Offizier, Bahn gebrochen hatte.



Olympia hatte eine Eingebung: Sie erinnerte sich, daß mehrere von den Offizieren, und darunter der Kommandant selbst, mit ihr in Avignon, bei der ersten Abreise von Herrn von Mailly nach Paris vor seiner Verheiratung, zu Nacht gespeist hatten.



Sie verlangte eine Feder, Tinte, ließ sich von Champmeslé helfen und schrieb an den Kommandanten.



Der Brief hatte den von ihr erwarteten Erfolg: der Kommandant wollte sie Empfangen.



Bei den ersten Worten, die sie sagte, rief er:



»Ah! Madame, Sie sind es also, die ich so glücklich gesehen habe?«



»Ich werde abermals glücklich sein, mein Herr, wenn Sie mir meinen Gatten zurückgeben,« erwiderte Olympia.



»Ihr Gatte! Banniére ist wirklich Ihr Gatte?«



»Dieser würdige Geistliche hier hat uns getraut.«



»Ah! mein Gott!« murmelte der Kommandant.



Und er verbarg sein Gesicht in seinen Händen.



»Mein Herr, was haben Sie denn?« fragte Olympia. »Was gibt es denn? Verbergen Sie mir nichts.«



»Ach!«



»Ich bin kein schwaches, einfältiges Weib; ich liebe Banniére so sehr, daß die Ungewißheit in Betreff seiner ein tödtlicher Schlag, die Unsicherheit über seine Lage die Folter vor dem Tode für mich wäre.«



»Sie besitzen Mut,« sprach der Offizier, .aber vielleicht nicht genug, um Alles zu ertragen, was Sie zu leiden haben werden.«



Olympia erbleichte. Sie näherte sich Champmeslé, als wollte sie aus seinem Arme die Stütze suchen, der sie bedurfte.



»Madame,« fuhr der Kommandant fort, »befolgen Sie meinen Rath, zwingen Sie die Natur nicht zu mehr Entschlossenheit und Festigkeit, als sie hat. Nehmen Sie die Hand des Herrn Abbé an und verlassen Sie uns.«



»Sie verlassen! Und Banniére?«



Diese Worte wurden mit einem Ausdrucke gesprochen, der keine Erwiderung oder Erörterung zuließ; der Offizier sah einen Blitz in ihren Augen glänzen, den nichts auslöschen oder in seinem Ausbruch zurückhalten konnte.



»Mein Herr,« fuhr Olympia fort, zugleich ermutigt und wieder zur Fassung gebracht durch das Stillschweigen des Offiziers, »erinnern Sie sich wohl, daß ich mit Banniére für das Leben, für das Leben, hören Sie wohl? bis zum Tode verbunden worden bin, und nicht eine Sekunde haben die Menschen das Recht, das zu trennen, was Gott vereinigt hat; im Namen des Gottes, der uns hört, beschwöre ich Sie, mich mit meinem Gatten wiederzuvereinigen.«



»Verlangen Sie alles Andere von mir, Madame aber was dies betrifft. . .«



»Wie! hat denn Banniére ein Verbrechen begangen? Ist Banniére außer der menschlichen Gesellschaft?«



»Banniére, Madame, ist ein Deserteur.«



»Nun, die Deserteurs, was tut man ihnen?«



»Ah! Madame. .



»Sprechen Sie doch!«



»Nein. Madame, nein!«

 



»Oh!« rief Olympia mit einer Verzweiflung, welche an den Wahnsinn grenzte, »mein Gatte! ich will meinen Gatten sehen l«



Der Offizier wollte sich abermals weigern.



Champmeslé näherte sich ihm und sagte:



»Mein Herr, ich kenne den Charakter dieser Frau, Sie werden sie in Verzweiflung bringen; hat sie einmal die Herrschaft verloren, die sie gewöhnlich über ihre Vernunft übt, so werden Sie erschrecken über ihre Gewalttätigkeiten. Bewilligen Sie ihr, was sie von Ihnen verlangt.«



Der Offizier nahm Olympia bei der Hand und ließ sie in das Gebäude eintreten.



Sie gingen ungefähr zwei Minuten, durchschritten Säle und stiegen Stufen hinaus, bis sie endlich in einem großen Hofe, der voll von sehr geschäftigen Soldaten, angelangt waren.



Der Kommandant, welcher Olympia beständig bei der Hand hielt, wandte sich an einen von diesen Soldaten und fragte:



»Ist der Rat versammelt?«



»Ja, mein Kommandant.«



»Mein Herr,« sprach der Offizier zu Champmeslé, »ich stelle Madame unter Ihre Obhut. Ihr,« fügte er drei Dragoner bezeichnend bei, »ich vertraue Euch diese zwei Personen an. Führt sie in das an den Saal des Rates anstoßende Zimmer.«



»Sieht man dort meinen Mann!« fragte Olympia.



»Nein, Madame, in diesem Augenblick nicht; doch hernach werden Sie ihn sehen.«



»Hernach!i« rief Olympia »Nach was? Oh! Diese Männer erschrecken mich mit ihren Unheil weissagenden Verschweigungen! Sogleich will ich ihn sehen!«



»Mein Herr!« sprach Champmeslé stehen, weil er eine schmerzliche Krise vorher sah.



»Dragoner,«« sagte der Commandant, »führt diese zwei Personen auf die kleine Tribüne und lasst sie nicht aus den Augen.«



»Madame, " fügte er bei, indem er sich verbeugt, »ich wiederhole, Sie haben es gewollt. Erinnern Sie sich, daß ich widerstanden habe. Erinnern Sie sich daß ich Ihren Wunsch erfüllend, der Furcht, Ihnen durch meine Weigerung mehr Leid zuzufügen als Ihnen meine Einwilligung sogleich verursachen wird, nachgegeben habe.«



Und er ging hastig hinaus.



Die Dragoner führten Olympia, zitternd, bleich, eiskalt mit Champmeslé, der ganz schauerte, in den Saal des Rates selbst.



Da begann für diese Unglücklichen das Schauspiel. Welches liebenden Herzen in dieser Welt zu erdulden gegeben ist.



Im Saale, einem alten Bau mit Pilastern, welche durch den Gebrauch und die willkürliche Verstümmlung gebrochen waren, befanden sich auf einer Estrade ungefähr zwanzig Offiziere beim Scheine von Kerzen, welche Soldaten hielten.



De« Kommandant nahm Platz an der langen Tafel, die auf der Estrade stand und an der der Major, für den Oberstlieutenant oder den abwesenden Obersten funktionierend, präsidierte.



Die Dunkelheit füllte die Ecken dieses Saales und schien in schwarzen Dünsten von der Höhe der höckerigen Gewölbe herabzufallen.



Der Major rief die Offiziere mit dem Namen aus und schrieb die anwesenden ein.



Dann sprach er mit bewegter Stimme:



»Man führe den Schuldigen vor.«,



Eine Thür wurde links von der Estrade geöffnet; zwei Dragoner, mit dem Säbel in der Faust, führten Banniére, schwarz gekleidet und bleich wie ein Wachsbild, vor.



«Angeklagter,« sagte der Major, »Sie heißen Banniére?«



»Ja, mein Herr.«



»Nennen Sie mich Major. Ich bin nicht Herr für Sie, ich bin Ihr Major.«



Banniére schwieg.



»Sie anerkennen Ihre Unterschrift unter dieser freiwilligen Kapitulation?«



»Ja.«



»Sie gestehen zu, von zwei hier anwesenden Unterofficieren Empfangen zu haben:



1: Ein Pferd?«



»Ja.«



»2. Eine Uniform.«



»Ja.«



»3. Einen Säbel und eine Pistole im Holster?«



»Ich glaube, ja.«



»Diese Gegenstände haben Sie verkauft?«



»Ich habe sie gegen bürgerliche Kleider vertauscht.«



»Warum sind Sie entwichen?«



»Ich habe nie gedacht, ich sei ein Soldat des Königs; meine Anwerbung war unterzeichnet worden, um mich dem Gefängnisse des Officials zu entziehen, wo man mich, als aus dem Noviciat der Jesuiten entwichen, festhielt.«



»Das war ein Grund mehr, die Bedingungen Ihrer Anwerbung zu achten. Wie dem sein mag, Sie sind entwichen. Die Tatsache wird durch Ihre materielle Abwesenheit bekräftigt.«



Banniére schwieg.



»Meine Herren,« sprach der Major, sich an die Offiziere wendend, »ist die Bekräftigung genügend für Sie, und scheint Ihnen die Identität erwiesen?«



»Ja,« antworteten einstimmig die Offiziere.



»Nun wohl!« sagte der Major, »wir wenden auf den flüchtigen Banniére, Dragoner vom Regimente Mailly die Im Artikel 8 der königlichen Ordonnanz enthaltene Strafe an und befehlen, daß diese Strafe im Augenblick vollziehbar sein soll.«



Nach diesen Worten stand er auf; die Offiziere ahmten ihm nach, ein großer Tumult erhob sich in dem weiten Saale, der in der Finsternis Offiziere, Soldaten und Verurteilten zu verschlingen schien



Champmeslé blieb wie an die Stange genagelt, die ihm als Stützpunkt diente.



Erstarrt, als ob sie schon todt wäre, fragte Olympia:



»Nun! die Strafe, . . . welche Strafe?«



»Bei Gott!« sagte einer von den Dragonern. Doch der gute Champmeslé trat ihm dergestalt auf den Stiefel, daß er in seinem begonnenen Satze anhielt.



Mittlerweile kam der Commandant herbei, und als er Olympia noch dastehen sah, sprach er mit sanftem Tone:



»Madame, wenn Sie dem armen Banniére ein paar Worte sagen wollen, so kommen Sie.«



Sie ging oder flog vielmehr dem Offiziere nach, bis er sie in den kleinen, an den größeren anstoßenden Saal geführt hatte, wo der Verurteilte mit gefalteten Händen und irrem Blicke, wie ein Mensch im Delirium, oder wie ein in eine Beschauung versunkener Träumer, wartete.



Olympia stürzte aus diese teure Beute zu, umschlang sie mit ihren Armen und erwärmte ihren Gatten wieder an ihrem Herzen.



»Ah!« rief dieser, »Olympia! teure Olympia!«



Und er blieb.in derselben Unbeweglichkeit, welche noch viel erschrecklicher, als der Schmerz.



Sie wurde selbst von Angst ergriffen.



»Mut!« murmelte er.



»Warum Mut? Bin ich nicht da?«



»Auf wie lange bist Du da?«



»Für immer. Oh! man wird uns nicht trennen.«



»Ich bin nun sehr weit vorgerückt!« sprach er, als ob seine Worte aus einem Marmormunde kämen. »Du wirst mit mir sterben, ein schönes Glück!«



Und er akzentuierte diese grässlichen Worte mit einem scharfen, krampfhaften Lachen.



»Sterben!« sagte sie, »Du? ich? sterben!«



»Allerdings!«



Sie schaute Champmeslé an, der seine beiden Hände aus die Schultern von Banniére hielt.



»Stirbt man, weil man desertiert ist, Herr von Champmeslé?«



»Bei Gott!« erwiderte Banniére mit demselben Tone, mit dem es der Dragoner zu sagen angefangen, als ihn Champmeslé zurückgehalten hatte.



Olympia fuhr mit der Hand über die Stirne und sammelte alle ihre Gedanken.



»Herr von Mailly wird Dich retten.« sagte sie, »ist er nicht der Oberste von diesem Regiment? Du bist gerettet.«



Sie klopfte heftig an die Thür, welche sogleich geöffnet wurde. Im Gange war der Offizier, ihr Beschützer, mit einigen Anderen; sie hatte nicht nötig, zu ihm zu gehen, er lief auf sie zu.



»Mein Herr,« sagte sie, »nunmehr weiß ich Alles; lassen Sie mich mit dem Major sprechen.«



»Gern, Madame; ich habe ihm so eben Ihre schmerzliche Geschichte erzählt; er läßt den Greffier das Protokoll über diese Sitzung abfassen. Treten Sie hier ein.«



Olympia erblickte in seinem Kabinett den Major, welcher an einem Tische stand und diktierte.



Sie warf sich mit einer solchen Eilfertigkeit auf die Knie, daß der Major erstaunt und verwirrt war.



»Mein Herr,« rief sie, »die Wahrheit! Wo ist Herr von Mailly? Hat Herr von Mailly tun lassen, was, Sie gethan haben?«



»Madame,« antwortete der Major, »dieser Brief ist gestern Abend vom Herrn Grafen von Mailly, unserem Obersten, angekommen.«



Er reichte Olympia ein Papier, dessen Schrift sie rasch erkannte.



»Mein Herr,«

 las sie,

»ich reise nach Wien ab; meine Gesandtschaft wird vielleicht ein oder zwei Jahre dauern; seien Sie für mein Regiment mehr als je besorgt, vervollständigen Sie die Cadres vom Dienste und Empfangen Sie die neuen Offiziere, die ich Ihnen schicke; wachen Sie darüber, daß alle Deserteurs festgenommen und unmittelbar, nach dem Befehle des Königs, exekutiert werden. Ich mache Sie verantwortlich für die geringste Übertretung meiner Befehle, für den kleinsten Verzug in ihrer Vollstreckung.



»Unterz.: Graf von Mailly.«

»Sie sehen, Madame,« sagte der Major.



»Wo ist der Herr Graf?«



»Nach Wien abgereist!«



»Oh! ich werde wohl erfahren . . .«



Sie hielt inne.



»Sie sehen, Madame, Alles ist unmöglich.«



»Ich werde nach Wien reisen.«



»Ach! Madame, Sie können nicht in zwei Stunden nach Wien reisen.«



»Nein, aber in acht Tagen.«



»Wir Haben Ihnen aber nur vier Stunden zu geben.



»Unmöglich!« rief sie. »Sie werden Banniére nicht ohne Aufschub ermorden!«



»Hier ist der Befehl von unserem Obersten geschrieben, Madame.«



»Im Namen der Menschlichkeit, mein Herr!«



»Der Befehl. Madame.«



»Mein Herr, ich flehe Sie aus den Knien an; ich schleppe mich zu Ihren Füßen.«



»Madame, Sie zerreißen mir das Herz durch das Unvermögen, Sie zu erhören, in dem ich mich befinde.«



»Mein Herr, lassen Sie mir die Zeit, daß ich mit dem König spreche, die Zeit, daß ich an den König schreibe!«



»Madame, wir haben nur vier Stunden,« erwiderte der Major, der schon vor einer Verlängerung dieser entsetzlichen Szene zurückwich.



Olympia schaute wie irrsinnig umher und schlug sich an die Brust, als wollte sie einige überredende Akzente herausspringen machen.



Der Major verbeugte sich und ging hinaus.



Olympia blieb allein mit dem Offizier, der sein Gesicht in seinen Händen verbarg.



»Geschwinde,« sagte sie, »geschwinde, gehen wir zu meinem Mann.«



Und sie wandte sich um und murmelte, ich weiß nicht welche Gebete, die der Himmel selbst nicht, zu hören schien.




XCIII.

Zwei brave Herzen

Seit einer Stunde war das Leben von Olympia von Clèves und von Banniére so gegangen, daß weder die Eine noch der Andere dem wahnsinnigen Laufe ihres Unglückes hatten folgen können.



Als sie sich einander gegenüber fanden, der Eine gebrochen durch seine Verhaftung, die Andere vernichtet, seitdem sie die volle Wahrheit erfahren, hatten sie nicht die Kraft mehr, zu sprechen: sie konnten kaum »ehe denken.



Champmeslé suchte, in ihrer Mitte, den Faden seiner Ideen wieder anzuknüpfen und konnte nicht dazu gelangen.



»Nun?« sagte Banniére endlich.



»Ich weiß nicht,« antwortete sie.



»Ich bin unter einem unglücklichen Sterne geboren,« sprach Banniére: »ich habe mein ganzes Leben das Glück, das mir Gott gewährte, zu nichte gemacht.«



»Oh! nein, nein, Du täuschest Dich, Banniére,« erwiderte Olympia mit einer erschrecklichen Kaltblütigkeit, »der böse Stern, das bin ich; der böse Genius, das bin ich. Wer hat Dich veranlasst, zum Theater zu gehen? Ich. Wer hat Dir den Hang zum Vergnügen und zum Verschwenden eingeflößt? Ich. Wer hat Dir das schlimme, verkehrte Beispiel gegeben? Ich. Wer hat im Glauben, Dich zu retten, gemacht, daß Du Dich hast anwerben lassen? Ich. Wer hat Dich, genötigt, in die Stadt Lyon einzutreten, die Du fliehen wolltest? Ich, ich, ich! immer ich. Wenn Du mich nicht verfluchst, gib wohl Acht, Banniére! Gott wird nie genug strafen haben, um mich zu züchtigen.«



Diese Worte wurden mit einer solchen Überzeugung und einem solchen Gefühle ausgesprochen, daß Champmeslé schauerte.



Banniére geriet nicht darüber in Bewegung.



Er schaute Olympia zärtlich, traurig, tief an.



»Das ist wahr,« sagte er; »doch neben dem Schlimmen, das Du mir gethan, erscheint das Glück, welches Du mir geschenkt hast. Klage Dich nicht an: ich falle unter meinem Verhängnis!«



Dann schüttelte er den Kopf und fügte bei:



»Auf, auf, man muss ein Mann sein. Treten wir aus dieser Bestürzung hervor, prüfen wir die Hilfsmittel, wenn es gibt; fassen wir den Tod in's Auge, wenn er unvermeidlich ist.«



Olympia erhob ihre gebeugte Stirne; diese Worte der Festigkeit fanden in ihr ein edles Echo.



»Von Seiten der Offiziere nichts zu hoffen,« sagte sie.



»Aufschub?«



»Man hat ihn verweigert.«



»Der Rekurs an den Obersten?«



»Der Oberste ist in Wien.«



»Man würde nicht die Erlaubnis erhalten, zum König zu gehen?«



»Nein.«



»Wohl an,« sprach Banniére seufzend, indes er eine neue Stärke in dieser Gewissheit, daß sein Tod unvermeidlich, schöpfte, »wohl an, ich sehe, daß mir nichts übrig bleibt, als zu sterben; doch man kann wenigstens den Augenblick vielleicht um ein paar Stunden verschieben.«

 



Als er diese Worte sprach, öffnete sich die Thür.



Es war der Offizier, ein trauriger Freund von Olympia.



»Entschuldigen Sie, Herr Banniére,« sagte er, »der Zufall hat mich Ihre letzten Worte hören lassen. Ich bringe Ihnen einen Aufschub vom Major bis zu Tagesanbruch. Es ist halb elf Uhr, Sie haben Frist bis um fünf Uhr.«



»Mein Herr,« sagte Banniére zu dem jungen Manne, »wäre es mir erlaubt, mit dem Major zu sprechen?«



»Ja, gewiß. Ich mache mich für ihn verbindlich, und er wird sich hierher begeben, wenn Sie es wünschen.



»Nein, mein Herr, ich verlange das nicht; ich müsste es sehr bedauern, wenn ich ihn bemühen würde; wollen Sie mich zu Ihm führen lassen.«



»Sogleich,« erwiderte der Offizier.



Und er ging hinaus und erteilte den nötigen Befehl einem Piquet von drei Mann, welche Banniére in das Kabinett des Majors führten.



Olympia war maschinenmäßig aufgestanden, um Banniére zu folgen, aber Banniére hatte ihr ein Zeichen mit der Hand, begleitet von einem traurigen Lächeln, gemacht, und sie war wieder auf ihre Bank neben Champmeslé, eine Hand in der Hand des würdigen Priesters, gesunken.



Der Major, den wir einen Augenblick mit Olympia haben sprechen sehen, war ein guter, dicker Herr, beauftragt, das Regiment in der strengen Disziplin und Ordnung zu erhalten, welche Catinat und Turenne bei den Heeren des Königs eingeführt hatten.



Er liebte das Leben, er begriff, daß man daran halten musste, und ließ nur einen Fall zu, in welchem man aufhören konnte, seinen Verlust zu beklagen: dies war der Fall, wo ein Befehl, ein Kommando den Lebenden nötigte, in den Tod zu gehen.



Er glaubte, Banniére komme, um Wehklagen, an ihn zu richten, und er wartete, das Auge aus den Boden geheftet, die Stirne gefaltet, den Schnurrbart starr.



Er war sehr entschlossen, sich nicht durchbrechen zu lassen, von welcher Seite man ihn auch angreifen würde.



»Mein Herr,« sagte Banniére zu ihm, »ich bitte Sie, lassen Sie mich Ihnen meint Lage erklären. Ich bin ein wackerer Mensch, von guter Familie, und liebe meine Frau im höchsten Grade; es scheint, ich habe den Tod verdient, obgleich ich es, unter uns gesagt, ganz und gar nicht glaube, doch das Gesetz ist da.«



»Und die Ordonnanz des Königs, mein Herr,« sprach der Major.



«Und die Ordonnanz des Königs, gut,« fuhr Banniére« fort; »ich verbeuge mich also vor dem Gesetze und der Ordonnanz und schwöre Ihnen, mein Herr, daß Sie keine von mir ausgehende Unannehmlichkeit haben werden.«



Der Major hob erstaunt den Kopf empor und schaute Banniére in's Gesicht.



Banniére war bleich, aber ruhig und erhaben schön unter dieser Blässe und Ruhe.



Banniére fuhr fort:



»Sie haben mir ankündigen lassen, Sie bewilligen mir Frist bis morgen früh um fünf Uhr; ich gestehe, das ist sehr wenig, und ich komme zu Ihnen, nicht um die Hauptsache zu Nichte zu machen, indem mir das Urteil unwiderruflich gefällt zu sein scheint, sondern um ein wenig um die Bedingungen zu feilschen.«



»Ah! das ist gut gesprochen,« sagte der Major, lächelnd mit aller guten Laune eines Mannes, der Tränen, Widerstand oder Schwäche befürchtete, und statt dessen eine nicht nur unerwartete, sondern beinahe heitere Entschlossenheit findet. »Das steht Ihnen also an?«



»Ich sage nicht, daß ich froh darüber bin, Herr Major. Und sagte ich es, so würden Sie mir sicherlich kein Wort glauben. Aber ich überzeuge mich, daß Sie ein wackerer und würdiger Edelmann sind. Ich sehe Ihre Augen, welche der Spiegel einer redlichen Seele und eines edlen Herzens, so daß ich nie glauben werde, Sie können ein Vergnügen daran haben, mein Blut aus Laune zu vergießen. Sie trinken keines; Sie lieben mehr den guten Champagner oder Burgunder.«



»Was Sie da sagen, ist wahr wie das Evangelium, Herr Banniére, ich bin in Verzweiflung über das, was Ihnen widerfährt; aber. . .«



»Aber in der Hauptsache ist nichts abzuwenden.«



»Auf mein Gewissen, nein, Herr Banniére.«



»Nicht der kleinste Rekurs an irgend Jemand?«



»An wen wollen Sie rekurrieren?«



»Wir haben Freunde.«



»Rekurs, das ist Aufschub. Ich mache Sie zum Richter über die Grenze; hier in der Brief des Obersten.«



Er reichte diesen Brief Banniére, der ihn aufmerksam las und dann wieder zurückgab.



»Hier ist nun die Ordonnanz des Königs über die Deserteurs.«



Banniére nahm sie.



»Lesen Sie, lesen Sie laut; um sie zu vollziehen, ist es für mich Bedürfnis, laut wiederholen zu hören, was sie enthält.«



Banniére las mit einer belebten Stimme, während ihn der Major aufmerksam anschaute:



»Es wird mit dem Tode bestraft jeder Soldat von der Landarmee oder Seearmee, der ohne Urlaub drei Tage hinter einander von den von seinem Regiment, seinem Corps oder der Equipage, wozu er gehört, occupirten Orten verschwunden ist.«



»Ja,« sagte Banniére, »der Artikel ist positiv.«



Und er gab die Ordonnanz den. Major zurück, wie er ihm den Brief des Obersten gegeben hatte.



»Nein, nein,« sagte der Major, »fahren Sie fort; es liegt mir daran, Ihnen zu beweisen. Herr Banniére, daß mir mein Benehmen scharf vorgeschrieben und daß ich weniger streng bin als das Gesetz.



Banniére fuhr fort?



»Der Deserteur, welcher ergriffen, erkannt wird, dessen Identität bestätigt, dessen Vergehen erwiesen ist, wird unmittelbar erschossen, ohne irgend einen Aufschub oder irgend eine Frist, als die, welche für die Ankunft des Beistandes der Religion notwendig ist.«



»Unmittelbar,« wiederholte der Major.



»Ja, unmittelbar.«



»Ohne Aufschub oder Frist.«



»Erlauben Sie mir, mein Herr,« sagte Banniére mit einer vollkommenen Höflichkeit, »mir scheint, nach den Worten ohne Aufschub oder Frist sehe ich ein paar Worte, deren Erörterung wohl der Mühe wert ist.«



»Welche Worte?« fragte der Major.



»Ohne irgend einen Aufschub oder irgend eine Frist,

als die, welche für die Ankunft des Beistand des der Religion notwendig ist



Und er schaute den Major an.



»Nun?« fragte dieser.



»Lassen wir ihm ein wenig Zeit, um anzukommen, diesem Beistände der Religion.«,



»Aber, mein lieber Herr Banniére,« erwiderte der Major, »Sie haben sich dieses Hilfsmittels selbst beraubt: Sie kommen ganz gar gekocht hier an, und Ihre Frau hat Ihnen einen Priester gebracht.«



»Den Abbé Champmeslé, das ist wahr,« sagte Banniére. »Teufel! Teufel!«



»Sie sehen, daß Ihre Sache in allen Punkten in der Ordnung ist.«



»Das ist, bei meiner Treue, wahr.«



»Und die Ihnen gewährte Frist bis morgen früh um fünf Uhr ist eine ganz besondere Gunst.



»Ich bin Ihnen hierfür dankbar. Doch was würde geschehen, wenn Sie mir, statt der sechs Stunden, die Sie mir gegeben, vierundzwanzig bewilligten?«



»Es würde geschehen, daß ich kassiert werden könnte, was, ich weiß es wohl, gegen das Leben eines Menschen nichts ist, und was ich gern annähme, wenn das nicht eine Übertretung, einen Ungehorsam, eine Indisciplin, der ich mich nie schuldig gemacht habe und nie schuldig machen werde, konstituieren würde.«



«Ich schweige Herr Major.«



»Glauben Sie mir, daß ich Sie von ganzer Seite beklage und daß, wäre ich Oberster des Regiments, statt Major zu sein, die Dinge anders gehen würden.«



»Das ist viel Güte. . . Nun also, da es unnütz wäre, hierauf zu beharren . . .«



Banniére unterbrach sich, um die Antwort zu erwarten.



»Völlig unnütz,« sagte der Major.



»So komme ich zu der kleinen Bitte, die ich an Sie richten wollte, »fuhr Banniére fort. »



Sprechen Sie?«



»Alle unsere Punkte sind abgemacht, bis auf einen einzigen.«



»Welchen meinen Sie.«



»Sie bewilligen mir Frist bis morgen um fünf Uhr.«



»Zugestanden.«



»Wo dies?«



»Ei! hier, wie mir scheint.«



»Hier, in dieser Kaserne?«



»Gewiss.«



»Nun, Sie werden mir erlauben, Ihnen zu sagen, daß dies ein wenig hart ist.«



»Wohin des Teufels soll ich Sie denn schicken? aus die Felder hinaus?«



»Geduld, mein Herr, und wollen Sie mich bis zum Ende anhören; Sie werden dann einsehen, d