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Ritter von Harmental

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IV.
Ein alter Bekannter

Wir müssen jetzt etwas nähere Bekanntschaft mit einer Person machen, welche in unserer Erzählung eine bedeutende Rolle zu spielen hat, eine Person, die wir bisher nur flüchtig angedeutet haben. Wir meinen den ehrlichen Bürger, welcher als der Straßensänger seine Sammlung begann, seine Schritte nach der Barriere des Sergens lenkte, es war derselbe, welcher, als die beiden Verschwörer in der Rue des bons Enfans auf der Lauer standen, diese Straße der Länge nach durchschritt.

Auch werden wir uns wohl hüten, dem Scharfsinne unsers Lesers zu mißtrauen, und nicht überzeugt zu sein, daß er in dem armen Teufel, dem Harmental schnell zu Hilfe eilte, und von dannen half, sogleich den, seinem Dachstübchen gegenüber wohnenden Gartenanbauer mit der kleinen Terasse wiedererkannte.

Jetzt aber soll der geneigte Leser erfahren, was dieser arme Teufel in physischer, moralischer und geselliger Hinsicht eigentlich war.

Wenn man das Wenige nicht vergessen hat, was wir bis jetzt Gelegenheit hatten, über ihn zu berichten, so wird man sich erinnern, daß es ein Mann von 40 bis 45 Jahren war. Jedermann weiß übrigens daß der Pariser Bürger, ist er erst über die Vierzig hinaus, kein Alter mehr hat; das heißt, daß er von der Zeit an seine Toilette vernachlässigt, welches alsdann besonders für ihn nachtheilig ist, wenn er, wie unser Gartenanbauer auf äußere Vorzüge keine Ansprüche machen kann. Unser Bürger war ein kleiner Mann von fünf Fuß einen Zoll, wohlbeleibt, mit der Aussicht mit den vorrückenden Jahren an Corpulenz noch zuzunehmen. Was sein Gesicht betraf, so haben wir bereits berichtet, daß dasselbe auch nicht den kleinsten Ausdruck besaß, so daß selbst der scharfblickendste Physiognomiker auch nicht das Geringste aus demselben herausgelesen haben würde.

Diesem Original hatte die Vorsehung, die nie etwas halb thut, den characteristischen Namen Jean Buvat gegeben; da er aber eben so viel Gutherzigkeit als wenig Verstand besaß, ward er von Jedermann nur der gute ehrliche Buvat geheißen.

Von einer frühesten Kindheit an zeigte der kleine Jean, bei einem gänzlichen Widerwillen gegen alle Studien, einen ganz besondern Beruf für die Schönschreibekunst. Auch vervollkommnte er sich in der Freischule, wohin ihn täglich seine Mutter sandte, immer mehr und mehr in derselben. Hieraus ging nun hervor, daß der kleine Buvat für seine Trägheit im Uebrigen täglich Schläge, wegen seiner Fortschritte im Schönschreiben aber jährlich den Preis erhielt.

Dies veranlaßte seine Mutter, ihren Sohn der Schule gänzlich zu entziehen, und ihn sich ausschließlich der Calligraphie widmen zu lassen, worin er sich auch dermaaßen auszeichnete, daß er schon in seinem fünfzehnten Jahre Schüler und Schülerinnen erhielt, durch seinen Erwerb seiner Mutter letzten Lebenstage erleichtern, und nach ihrem Tode von einer Arbeit nach seiner Weise anständig leben konnte.

So erreichte er das sechsundzwanzigste Jahr, und in dieser Periode fand der gute und ehrliche Buvat Gelegenheit eine wahrhaft erhabene That zu vollbringen.

Es lebte damals im ersten Stockwerk des Hauses Nr. 6 in der Rue des Orties, in welchem Buvat bescheidenerweise ein Dachstübchen inne hatte, ein Ehepaar, welches die Bewunderung des ganzen Stadtviertels, wegen der großen Einigkeit auf sich zog, in welches es seine Tage verbrachte. Mann und Frau seinen in der That für einander geboren; der Erstere war ein Mann von vier bis fünfunddreißig Jahren, von südlichem Ursprunge und dunkler Gesichtsfarbe. Er nannte sich Albert du Rocher und war der Sohn eines vormaligen Cevennen-Häuptlings, der gleich seiner ganzen Familie zum Uebertritt zur katholischen Religion gezwungen worden war. Der Sohn trat, nachdem er von seinen Kenntnissen als Stallmeister gehörige Proben abgelegt hatte, in den Dienst des Herzogs von Chartres, den er auch an dessen nächstem Feldzuge begleitete.

Der große Tag von Nerwinden erschien. Der Herzog von Chartres bewies bei dieser Gelegenheit seinen alten Muth und sprengte den Seinigen mit einer solchen Kühnheit voran, daß er mehrmals allein in die Mitte der Feinde gerieth. Als dies das fünfte Mal der Fall war, hatte er niemand zum Seite als einen jungen Mann, dessen Gesicht er kaum kannte, das ihm aber das größte Vertrauen einflößte; und statt daher der Aufforderung eines feindlichen Brigadiers, sich zu ergeben, Folge zu leisten, hieb er denselben nieder. In demselben Augenblicke fielen zwei Schüsse, von denen einer dem Prinz den Hut raubte, die Kugel des Andern aber an dem Griff eines Degens abprallte. Kaum aber waren diese beiden Schüsse gefallen, als auch schon die, welche sie abgesandt, von dem Begleiter des Prinzen getödtet zu Boden stürzten, der eine durch einen Degenstoß, der zweite durch einen Pistolenschuß. Gleich darauf traf ein Schuß das Pferd des Prinzen, sein Begleiter sprang sogleich hinzu, und bot ihm das Seinige an; der Prinz wollte das Anerbieten zurückweisen, jener aber, stark wie er war, schlug ohne Weiteres den Arm um den Prinzen und hob ihn auf das Pferd. In diesem Augenblick sprengte Hilfe herbei, ohne welche der Prinz und sein Begleiter gefangen genommen oder getödtet worden wären. Beide waren unverwundet geblieben. Der Herzog von Chartres reichte jetzt seinem Begleiter die Hand und fragte ihn nach seinem Namen, denn er war noch zu kurze Zeit in seinem Dienste, so daß er sich desselben nicht erinnern konnte. Der junge Mann erwiderte daß er sich Albert du Rocher nenne, worauf ihn der Prinz den zu Hilfe Geeilten als seinen Lebensretter vorstellte.

Nach Beendigung des Feldzuges ernannte ihn der Prinz zu seinem ersten Stallmeister, und verheirathete ihn mit einer jungen Dame die der junge Mann liebte und für deren Mitgift er zu sorgen versprach. Leider konnte diese, da der Herzog von Chartres damals noch sehr jung war, nicht bedeutend sein; der Letztere aber versprach für die weitere Beförderung seines Lebensretters zu sorgen.

Die junge Dame stammte aus England. Ihr Mutter hatte Madame Henriette nach Frankreich begleitet, als diese mit Monsieur vermählt werden sollte. Nach der Vergiftung dieser Prinzessin hatte sie ein kleines Landhaus in der Nähe von St. Cloud gemiethet, wo sie einzig und allein der Erziehung ihrer kleinen Clarisse lebte, wozu sie die Pension verwandte, die ihr der Dauphin ausgesetzt hatte. Hier war es, wo bei den Reisen des Herzogs von Chartres, du Rocher die Bekanntschaft des jungen Mädchens machte, mit der, wie wir berichtet, der Herzog von Chartres im Jahre 1697 ihn verheirathete.

Dies war also das Ehepaar, welches im ersten Stockwerk des Hauses Nr. 6 Rue des Orties wohnte, in dem unser guter ehrliche Buvat ein bescheidenes Dachstübchen inne hatte. Sie besaßen einen kleinen Sohn, dessen Unterricht im Schreiben Herrn Buvat anvertraut wurde.

Der kleine Schüler machte schon recht hübsche Fortschritte, als er plötzlich von den Masern hinweggerafft wurde. Der Schmerz der Eltern war, wie man leicht begreifen kann, unbeschreiblich und Buvat nahm um so mehr den herzlichsten Antheil daran, da sein Schüler in einer Kunst die besten Fähigkeiten verrieth. Diese Theilnahme eines Fremden an ihrem Schmerze rührte das junge Ehepaar ungemein, und als der gute ehrliche Buvat eines Tages über die traurige Zukunft sprach, die sich einem Künstler seiner Art zeige, erbot sich du Rocher seinen Einfluß zu verwenden, um Buvat eine Stelle bei der Bibliothek zu verschaffen.

Buvat jubelte bei dem Gedanken ein öffentlicher Beamter zu werden und noch an demselben Tage, reichte er seine Bittschrift in der schönsten Handschrift ein; der erste Stallmeister unterstützte dieselbe und schon nach einem Monat ward Buvat bei der königlichen Bibliothek, in der Section der Handschriften, mit 900 Livres Gehalt jährlich, angestellt. Von diesem Tage an vergaß der gute, ehrliche Buvat, in dem Stolz, den ihm eine neue Stellung einflößte, seine Schüler und Schülerinnen. Er war glücklich wie ein Prinz, versicherte aber, trotz seiner veränderten Lage, seinen ofterwähnten Hausgenossen, daß er mit ihnen eine Ausnahme machen werde, und daß er, falls ihnen der Himmel ein zweites Kind schenken solle, demselben in der Schreibekunst Unterricht ertheilen würde. Gegen das Ende des Jahres 1702 schenkte Clarisse wirklich ihrem Gatten eine Tochter.

Dies machte im ganzen Hause eine große Freude. Buvat wußte sich vor Jubel nicht zu lassen; er lief Treppauf, Treppab, klatschte in die Hände und sang unablässig sein altes Lieblingslied: Laissez moi aller, u. s. w. An diesem Tage langte er seit seiner Anstellung, das heißt, seit zwei Jahren, auf einem Bureau zum Ersten male, statt präzise um zehn Uhr, erst um eine Viertelstunde nach zehn Uhr an.

Die kleine Bathilde war kaum acht Tage alt, als Buvat schon mit seinem Schreibeunterricht einen Anfang machen wollte; man müsse früh beginnen, meinte er, wenn man es in einer Sache zu etwas Großem bringen wolle. Man hatte die größte Mühe ihm zu beweisen, daß sie dazu wenigstens zwei bis drei Jahre alt sein müsse. Er ergab sich endlich, und begnügte sich bis dahin, Vorschriften für sie zu fertigen. Nach Verlauf von drei Jahren hatte er auch wirklich die Freude, die erste Feder feierlich zwischen Bathildens kleine Finger zu legen.

Zu Anfang des Jahres 1707 hatte der vormalige Herzog von Chartres, der durch den Tod Monsieurs nunmehr Herzog von Orleans geworden war, den Befehl erhalten dem Marschall Berwick eine Truppenabtheilung nach Spanien zuzuführen. Als erster Stallmeister mußte Albert du Rocher natürlich den Prinzen begleiten; ein Umstand der ihn zu jeder andern Zeit erfreut haben würde, ihn aber jetzt fast schmerzlich berührte, denn seine geliebte Gattin Clarisse kränkelte seit einiger Zeit, und der Arzt hatte ein bedenkliches Wort von Lungenkrankheit fallen lassen. Sei es nun, daß Clarisse ihren Zustand selbst fühlte, oder daß sie für das Leben ihres Gatten fürchtete, genug, sie gab sich einem Kummer hin, den ihr Gatte schmerzlich theilte. Die kleine Bathilde und unser Buvat weinten, weil sie weinen sahen.

 

Der Trennungstag erschien, es war der fünfte März. Trotz ihres Schmerzes hatte sich Clarisse selbst mit der Equipage ihres Gatten beschäftigt, sie war seiner Stellung bei dem Prinzen würdig. Der Herzog langte mit seinem Armeecorps in den ersten Tagen des Aprils in Catalonien an, und zog in Eilmärschen nach Aragonien. Er erfuhr daß der Marschall Berwick im Begriff stehe eine entscheidende Schlacht zu liefern und schickte Albert als Courier voraus an ihn ab, mit der Kunde, daß der Herzog von Orleans mit 10.000 Mann Hilfstruppen unterwegs sei und ihn ersuchen lasse, wo möglich die Schlacht bis zu einer Ankunft zu verschieben.

Albert machte sich auf den Weg. Durch die Schuld schlechter Führer aber, verirrte er sich in den Gebirgen und traf nur einen Tag vor der Armee ein, grade in dem Augenblick, als der Marschall in Begriff fand den Feind anzugreifen. Der Herzog von Berwick hielt bereits, von seinem Generalstabe umgeben, auf einer kleinen Anhöhe, von wo aus er die ganze Gegend übersehen konnte und Albert sprengte rasch zu ihm hin.

Er berichtete demselben, weshalb er gesandt worden. Als Erwiderung deutete der Marschall nur auf die bereitstehende Schlachtordnung, er ersuchte ihn zu seinem Gebieter zurückzukehren und ihm das was er gesehen, mitzutheilen. Albert aber war von dem Kriegsgetöse hingerissen und wollte sich so nicht wieder entfernen. Er bat um die Erlaubniß bleiben zu dürfen, um dem Herzoge wenigstens die Siegesnachricht überbringen zu können. Der Marschall willigte ein; und da in diesem Augenblick ein Dragonerangriff nothwendig schien, gebot er einem seiner Adjutanten, dem Obristen den Befehl dazu zu überbringen. Der junge Mann sprengte von dannen; noch aber war er nicht weit gelangt, als eine Kanonenkugel ihn tödtete. Albert ergriff diese Gelegenheit, sprengte fort um dem Obristen die Ordre zu überbringen, stellte sich dann statt zurückzukehren, in die vordersten Reihen der Dragoner und warf sich mit ihnen auf den Feind.

Der Marschall sah was sich zutrug, sah wie der junge Mann, den er an seiner Uniform erkennen konnte, bis zu der feindlichen Fahne vordrang, sah wie er den Träger derselben niederhieb und wie er mit der glorreichen Beute zurückkehrte. Bei dem Herzog angelangt, legte er die eroberte Fahne zu seinen Füßen, öffnete die Lippen um zu sprechen – statt der Worte aber entfloß seinem Munde nur ein Strom von Blut. Er schwankte und stürzte vom Pferde – eine Kugel hatte ihm die Brust durchbohrt. Entseelt lag er auf der Fahne die er erbeutet. –

Der Herzog von Orleans langte am folgenden Tage an; er beklagte den Tod Alberts wie man den Tod eines tapferen Mannes beklagt. Aber er war wie ein Held gefallen und was konnte ein französischer Edelmann mehr verlangen?

Clarisse empfing die Kunde von dem Tode ihres Gatten durch ein eigenhändiges Schreiben des Herzogs. Als Buvat wie gewöhnlich um ein Uhr Nachmittags von der Bibliothek zurückkehrte, benachrichtigte man ihn daß Clarisse nach ihm gefragt habe. Er eilte besorgt zu ihr, die Arme weinte nicht, sie klagte nicht, sie saß da, ohne Thränen, ohne Worte, in starrer Verzweiflung. Als er eintrat, reichte sie ihm schweigend den Brief hin.

Buvat der nicht ahnen konnte, was vorgefallen sein mochte, nahm den Brief und las mit lauter Stimme:

»Madame, Ihr Gemahl ist todt, gefallen für Frankreich und für mich! Weder Frankreich noch ich können Ihnen Ihren Gatten wiedergeben, aber denken Sie daran, daß wenn Sie je etwas wünschen und bedürfen, wir Beide Ihre Schuldner sind.«

Ihr wohlgeneigter

Philipp, Herzog von Orleans.

»Wie, was!« rief Buvat ganz bestürzt, »Herr Albert du Rocher todt, das kann ja gar nicht möglich sein.«

»Papa ist todt, Papa ist todt!« jammerte die kleine Bathilde, welche mit ihrer Puppe spielte und jetzt zu ihrer Mutter eilte. »Mama ist es wohl wahr daß Papa todt ist?«

»Ja, ja, mein theures Kind, es ist nur zu wahr, das Schreckliche!« jammerte Clarisse, welche jetzt auf einmal wieder Worte und Thränen fand; »Darum weine, weine, Du armes Kind, wenn Gott im Himmel. Deine Thränen sieht, wird er Barmherzigkeit mit Dir haben.«

Während sie diese Worte sprach, machte ein heftiger Blutstrom aus ihrem Munde ihrer gepreßten Brust Luft. Ihre Krankheit war bedeutend fortgeschritten, und der ehrliche Buvat sah jetzt ein, daß der Tod Alberts wahrscheinlich nicht das einzige Unglück sei, was die arme Bathilde betroffen.

Clarisse bezog bald darauf eine geringere, ihren jetzigen Umständen angemessene Wohnung im zweiten Stockwerk. Sie konnte sich anfangs nicht entschließen, als Bittstellerin bei dem Kriegsminister einzukommen; nach drei Monaten, als sie es endlich that, hatten die Einnahme von Requena und Saragossa die Affaire bei Almansa bereits vergessen lassen. Clarisse zeigte den Brief des Herzogs vor, der Secretair des Ministers sagte ihr, daß sie mittelst desselben alles erlangen könne, jedoch müsse sie die Rückkehr Sr. Hoheit abwarten. Clarisse entfernte sich mit schwerem Herzen. »Warten – warten!« wiederholte sie, Gott weiß, ob mir dazu die Zeit bleiben wird!

Als Folge hiervon schränkte sich Clarisse noch mehr ein; sie verließ ihre bisherige Wohnung und bezog ein Paar Zimmer im dritten Stockwerke. Die arme Frau hatte keine Einnahme gehabt, als das Gehalt ihres Gatten, die kleine Mitgift des Herzogs war durch die häusliche Einrichtung und durch Alberts Equipage darauf gegangen.

Man erwartete im Herbst die Rückkehr des Herzogs von Orleans, und Clarisse hoffte, daß sich nach derselben ihre Lage verbessern würde. Statt aber die Winterquartiere zu beziehen, wurde der Feldzug fortgesetzt und der Herzog schickte sich an, Lerida zu belagern.

Clarisse that jetzt neuerdings Schritte hinsichtlich ihrer Angelegenheit, jetzt aber hatte man den Namen ihres Gatten fast schon vergessen. Man vertröstete sie neuerdings auf die Zurückkunft des Herzogs und die arme Clarisse mußte sich wieder in Geduld fassen.

Sie verkaufte jetzt fast ihre sämmtlichen Möbeln, bezog ein Dachstübchen dem Buvats gegenüber und behielt nichts als ein Bett, einen Tisch, einige Stühle und Bathildens Wiege.

Der gute ehrliche Buvat hatte durch groß Ordnung sich einiges Geld erspart, aber er wagt es nicht, es der armen Wittwe anzubieten. Zwanzig Mal faßte er sich ein Herz und begab sich zu ihm mit einem Päckchen Gold, das sein ganzes Vermögen nämlich fünfzig bis sechzig Louisd’ors enthielt, jedesmal aber kehrte er wieder zurück, nachdem er das Röllchen nur halb aus der Tasche gezogen hatte. Eines Tages aber, da er auf der Treppe, als er nach seinem Bureau gehen wollte, dem Hauseigenthümer begegnete welcher die vierteljährliche Runde machte, um sein Miethe einzukassiren, bat er den Hausherrn, überzeugt sein Besuch würde seine Nachbarin in Verlegenheit setzen, bei ihm einzutreten. Er erklärte diesem daß Madame du Rocher ihm das Geld für ihr Miethe eingehändigt und ihn beauftragt habe, dieselbe für sie zu berichtigen. Diese edle Handlung lastet auf dem ehrlichen Buvat wie ein Verbrechen, und es vergingen mehrere Tage, ohne daß er es wagte vor seiner Nachbarin zu erscheinen, die er als er wieder zu ihr eintrat, über ein Ausbleiben, das sie für Gleichgültigkeit nahm, sehr betrübt fand. Sie hatte sich in diesen wenigen Tagen ungemein verändert, so daß Buvat sie kopfschüttelnd und mit Thränen in den Augen verließ, und sich zum erstenmal zu Bette legte, ohne sein Lieblingslied: Laissez moi aller, Laissez moi jouer u. s. w. zu trällern.

Der Frühling erschien. Statt daß aber der Herzog von Orleans zurückkehrte, erfuhr man, daß er sich anschicke Tortosa belagern zu wollen. Dies war der letzte Schlag, welcher die arme Clarisse treffen sollte, ihre letzten Kräfte schwanden, sie ward bettlägerig.

Clarissens Lage war entsetzlich. Sie täuschte sich nicht über ihren Zustand, sie fühlte ihren Tod nahen, und wußte nicht, wem sie ihr theures Kind übergeben solle. Ihr Gatte hatte nur entfernte Verwandte, deren Hilfe sie weder in Anspruch nehmen wollte, noch konnte. Von ihrer eigenen Familie kannte die Niemand, auch fehlte es ihr an Zeit in dieser Rücksicht Erkundigungen einzuziehen, denn der Tod rückte rasch heran.

Einst, in der Nacht, nachdem Buvat Clarisse Abends im heftigen Fieber verlassen hatte, hörte er dieselbe so laut stöhnen, daß er aufsprang und sich anzog um ihr Beistand zu leisten. Vor ihrer Thür angelangt aber, wagte er weder einzutreten noch anzuklopfen. Clarisse weinte und betete mit lauter Stimme. In diesem Augenblick erwachte die kleine Bathilde und rief ihre Mutter. Clarisse hemmte ihre Thränen, hob ihr Kind aus der neben ihr stehenden Wiege und nahm es zu sich. Sie ließ ihr Töchterchen beten, und rief dazwischen weinend: »Ew’ger Gott, erhöre das Gebet meines armen Kindes!«

Diese nächtliche Scene, das unschuldige Kind und die sterbende Mutter, hatte so etwas Feierliches und Ergreifendes, daß der ehrliche Buvat auf seine Knieen niedersank, und ganz leise das dem Allmächtigen gelobte, was er laut der armen Wittwe nicht anzubieten wagte: daß er nämlich »nach dem Tode der Mutter, der Vater der verlassenen Waise sein wolle. Gott vernahm die Gebete und erhörte sie.

Als Buvat am andern Morgen in Clarissens Zimmer trat, hat er, was er bisher noch nie gethan, er hob die kleine Bathilde in seine Arme, drückte ihr liebliches Köpfchen an ein dickes Gesicht, und sprach zu ihr mit leiser Stimme: »Sei ruhig, mein liebes Kind, es giebt noch gute Menschen auf der Erde! Das kleine Mädchen schlang jetzt einerseits seine Arme um ihn. Da nun Buvat Thränen in seinen Augen spürte, und er gehört hatte, daß man in Gegenwart von Kranken nicht weinen dürfe, um sie nicht zu ängstigen, kämpfte er seine Bewegung nieder, zog seine Uhr aus der Tasche und sprach: »der Tausend, schon dreiviertel auf Zehn, ich muß fort, adieu Madame du Rocher!«

Auf der Treppe begegnete er dem Arzte, und befragte ihn über die Kranke. »In drei Tagen schon wird es mit ihr vorbei sein,« lautete die Antwort. Als er um vier Uhr wieder zurückkehrte, fand er das ganze Haus in Bewegung. Der Zustand der Kranken hatte sich plötzlich so sehr verschlimmert, daß der Arzt geboten hatte ihr das heilige Abendmahl zu reichen; und wirklich fand der arme Buvat, als er angsterfüllt in das Zimmer trat, vor dem Bette der Sterbenden, die man fast schon für eine Leiche halten konnte, den Geistlichen der ihr das Sacrament spendete, umgeben von vielen Nachbarinnen, welche zu jener Zeit diesen Ceremonien beizuwohnen pflegten. Die kleine Bathilde hockte in einem Winkel und wußte nicht, was sie aus allem diesen machen solle. So wie das kleine Mädchen Buvat erkannte, eilte sie ihm entgegen, gleichsam als suche sie Schutz bei dem einzigen befreundeten Wesen das sie in der ganzen Versammlung kannte; er nahm sie in seine Arme und knieete mit ihr nieder, neben dem Lager der Sterbenden.

In diesem Augenblick senkte Clarisse ihr bisher zum Himmel emporgeschlagenes Auge. Ohne Zweifel hatte sie zu dem Ewigen gefleht, daß er ihrem theuren Kinde einen Beschützer schenken möge. Sie gewahrte ihre Bathilde in den Armen des einzigen Freundes, den sie hienieden hatte. Mit dem forschenden Blick einer geängsteten Mutter, schauete sie in das ihr ergebene Herz und las darin. Alles was dasselbe ihr zu offenbaren nicht gewagt hatte. Sie richtete sich empor, blickte Buvat an und stieß einen Ruf der Freude aus, den Gottes Engel nur verstanden; und sank dann, gleichsam als hätte diese Anstrengung ihre letzten Kräfte erschöpft, ohnmächtig auf ihr Kissen zurück.

Die religiöse Ceremonie war beendigt, der Priester entfernte sich, und die Nachbarinnen folgten. Buvat wandte sich an eine derselben mit der Frage, ob sich unter ihren Bekannten nicht eine Krankenwärterin befinde, und die Frau erklärte sich dazu selbst bereit.

Clarisse lag noch immer in Ohnmacht da. Die Wärterin wusch ihre Schläfe mit Essig. Buvat zog sich zurück. Der kleinen Bathilde hatte man gesagt, daß ihre Mutter schlafe. Das arme Kind kannte noch nicht den Unterschied zwischen Tod und Schlaf, und war wieder in seinen Winkel zurückgekehrt, wo es mit einer Puppe spielte.

Nach einer Stunde kehrte der ehrliche Buvat zurück, um sich nach der Kranken umzuschauen. Sie war aus ihrer Ohnmacht erwacht, ihre Augen waren geöffnet aber sie sprach nicht. Sie erkannte ihn indeß noch, denn kaum erblickte sie ihn, als sie ihre Hände zum Gebete faltete. Dann schien es als suche sie etwas unter ihrem Kissen. Die Anstrengung aber war für sie zu stark, denn sie sank kraftlos wieder zurück.

Am folgenden Morgen stand es um die Kranke noch schlimmer, denn obgleich ihre Augen geöffnet waren, schien sie doch Niemand zu kennen, als ihre kleine Tochter, die man neben sie auf das Bett gelegt hatte und deren Händchen sie festhielt, so als fürchte sie daß ihr dasselbe entrissen werde. Das Kind lag regungslos und ganz still da, so als wisse es, daß dies die letzte mütterliche Liebkosung sei. Als sie ihren Freund Buvat erblickte, flüsterte fiel indeß: »die Mama schläft, die Mama schläft!«

 

Er fragte die Wärterin ob die Kranke auch etwas bedürfe, jene schüttelte verneinend mit dem Kopf. Buvat wäre gern geblieben, denn er sah ein, daß die Kranke nur noch kurze Zeit zu leben habe, aber nichts in der Welt war im Stande ihn von seinem Bureau abzuhalten. Er begab sich also auf die Bibliothek, war aber so traurig und zerstreut, daß der König diesmal nicht viel durch seine Gegenwart gewann; seine Collegen bemerkten auch, daß es noch nicht vier Uhr geschlagen hatte, als Buvat die Ueberarmel von blauer Leinwand, welche die Rockärmel beschützten, bei Seite legte, die er so wie er das Bureau betrat, überzuziehen pflegte. So wie die Glocke vier schlug, nahm er seinen Hut und begab sich hinweg.

Buvats trübe Ahnung bestätigte sich. Als er das Haus erreicht hatte, fragte er die Pförtnerin wie es um Clarisse stehe, »Gott Lob und Dank, die hat ausgelitten,« lautete die Antwort.

»So ist sie also todt?« fragte der ehrliche Buvat zusammenschaudernd.

»Sie starb vor ungefähr dreiviertel Stunden, erwiderte die Pförtnerin, indem sie gleichgültig das Lied weiter sang, in welchem Buvats angstvolle Frage sie unterbrochen hatte.

Buvat stieg langsam die Treppe hinauf; Stufe nach Stufe, und hemmte jeden Augenblick seine Schritte um sich die Thränen in den Augen zu trocknen. Auf dem obersten Flur angelangt, war er genöthigt, sich an die Mauer zu lehnen weil er fühlte, daß ihm seine Füße den Dienst versagten. Der Anblick einer Leiche hat für jedermann etwas Schauerliches und Furchtbares, was auf den Lebenden nur selten seinen Eindruck verfehlt. Er konnte sich anfangs nicht überwinden weiter zu schreiten, da vernahm die jammernde Stimme der kleinen Bathilde und wollte die Thür öffnen, die aber war verschlossen.

Er eilte die Stiege wieder hinab und fragte nach dem Schlüssel. »Der Hausherr hat ihn hier niedergelegt,« sprach dieselbe, nachdem er die Möbel der Todten aus dem Zimmer hinwegschaffen ließ.«

»Wie, die Möbeln sind schon hinweggeschafft? rief Buvat entsetzt. »Und die Wärterin?«

»Hat sich sogleich entfernt, als die Kranke tod war, ihr Geschäft war ja vollendet.«

Buvat vernahm alles was sich zugetragen, nahm den Schlüssel und eilte jetzt so schnell die Treppe hinauf als er vorhin langsam hinangestiegen war. Seine Hand zitterte so heftig, daß er das Schlüsselloch nicht finden konnte. Endlich gelang ihm und die Thür öffnete sich.

Clarissens Leiche lag ausgestreckt auf dem Bode auf dem Stroh ihres Bettes. Alle Möbeln war fort. Ein armseliges Tuch war über sie gebreitet aber die kleine Bathilde hatte eine Ecke zurückgeschlagen, um das Antlitz ihrer Mutter zu suchen.

»Ach lieber, lieber Freund!« rief freudig das Kind als Buvat eintrat, »wecke mir doch die Mama auf, sie schläft gar zu lange, wecke sie auf, ich bitte Dich!«

Buvat, tief bewegt von dem Anblick führte das Kind das ihm entgegengeeilt war, zu der Leiche zurück, »Umarme Deine Mutter zum Letztenmale, Du armes Kind,« sprach er.

Das Kind gehorchte.

»Jetzt, Bathilde, jetzt lassen sie schlafen, der liebe Gott wird sie dermaleinst wieder erwecken!« sprach er.

Und er nahm das Kind in seine Arme, und trug es in sein Zimmer. Er legte es in sein eignes Bett, denn man hatte selbst die Wiege der Kleinen fortgeschleppt; und als es auf demselben sanft eingeschlummert war, begab er sich zu den Behörden um für das Begräbniß zu sorgen. Als er zurückkehrte, übergab ihm die Pförtnerin ein Papier, welches die Wärterin unter dem Kissen der Entschlafenen gefunden hatte.

Buvat schlug das Papier auseinander – es war der Brief des Herzogs von Orleans und Bathilde einzige Erbschaft.