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Ritter von Harmental

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»Ach, das nicht, mein lieber Papa, das nicht, ich verdiene keinen besseren Mann als Herrn Bonifaz, aber – –«

»Nun was denn aber?«

»Aber ich werde mich niemals verheirathen!«

»Wie, Du wolltest Dich nie verheirathen?«

»Warum sollte ich das auch? Sind wir nicht so ganz glücklich mit einander?«

»Glücklich, das will ich meinen, wenigstens was mich betrifft,« rief Buvat.

»Nun,« fuhr Bathilde mit ihrem Engelslächeln fort, »wenn wir glücklich sind, warum wollen wir es nicht bleiben? Man muß den Himmel nicht versuchen!«

»Komm her, komm her, mein liebes Kind, und umarme mich, rief hocherfreut Buvat, »ist es mir doch als hättest Du mir den Montmartre von der Brust genommen.«

»Sie wünschten also diese Heirath nicht, mein lieber Vater?« fragte Bathilde, indem sie mit ihren Rosenlippen die Stirn des wackern Mannes berührte.

»Ich sie wünschen!« rief Buvat erstaunt.

»Weshalb schlugen Sie sie mir denn vor?«

»Weil, wie Du weißt, ich nicht Dein Vater bin – weil, wie Du weißt, ich kein Recht über Dich habe – weil, wie Du weißt, Du frei über Deine Hand verfügen kannst.«

»Also habe ich völlige Freiheit! Habe ich das? wohlan so schlage ich den Antrag aus!« entgegnete Bathilde fröhlich.«

»Gottlob, gottlob!« rief Buvat, in die Hände klatschend, »wie aber soll ich das der Madame Denis vorbringen?«

»Wie? – Sagen sie ihr, ich say noch zu jung – ich hätte keine Lust zu heirathen – ich wollte ewig bei Ihnen bleiben.«

»Jetzt, Bathilde, laß uns zu Tisch gehen,« sprach Buvat, »vielleicht kommt mir während der Mahlzeit ein guter Gedanke. Seltsam, mein Appetit ist plötzlich zurückgekehrt. So eben lag es mir noch wie eine Last im Magen.«

Buvat speiste und trank mit gutem Behagen, aber – der gute Gedanke blieb dennoch aus, und er sah sich endlich genöthigt, der Madame Denis geradezu zu erklären, daß seine Pflegetochter sich zwar durch den Antrag sehr geehrt fühle, daß sie sich aber noch nicht verheirathen wolle.

Diese unerwartete Antwort machte, daß der Madame Denis die Arme am Leibe niedersanken; sie hatte nicht im Traume gewähnt, daß eine arme – Waise wie Bathilde einen jungen Mann wie ihren Sohn ausschlagen könne. Sie nahm daher die Weigerung Buvats sehr kalt auf und erwiderte mit schlecht verhehlter Bitterkeit: »daß Jeder ja einen freien Willen haben, und daß Bathilde ihretwegen in Gottes Namen, eine alte Jungfer werden könne.«

Ihr mütterlicher Stolz aber war so schwer verletzt, daß sie den Verläumdungen, die man ihr früher hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Buvat und Bathilde zugeflüstert hatte, jetzt ein bereitwilliges Ohr lieh. Ja sie ging so gar noch weiter: sie hielt es nach dieser abschläglichen kränkenden Antwort, der Würde ihres Sohnes nicht mehr angemessen, noch länger das Zimmer zu bewohnen, was er Bathilden gegenüber inne hatte. Sie wies ihm daher ein nach dem Garten hinausgehendes, weit besseres und bequemeres Zimmer an, und hing das Dachstübchen zur Miethe aus.

Dies Alles war die Ursache, weshalb Herr Bonifaz, dem Helden dieser unserer Geschichte, den freundschaftlichen Rath ertheilte, sich vor Bathilden und ihrer Mirza in Acht zu nehmen.

VI.
Jugendliche Liebe

Das Zimmer des Herrn Bonifaz blieb drei bis vier Monate leer. Endlich gewahrte Bathilde das Fenster wieder geöffnet, und in demselben eine ihr unbekannte Gestalt; es war die Harmentals.

Man sah in der Rue du temps perdu nur wenig solche Gesichter, wie das des Chevaliers. Auch blieb dasselbe von Bathilde, die hinter ihrem Vorhange sehen konnte ohne selbst gesehen zu werden, keineswegs unbeachtet. Und wirklich besaßen die Züge unsers Helden etwas so Feines, Ausgezeichnetes, was den Blicken eines Mädchens wie Bathilde nicht entgehen konnte. Die Kleidung des Chevaliers, so durch: aus einfach sie auch war, zeigte bei ihm doch eine gewisse Eleganz; auch waren einige Aufträge, welche Bathilde ihn ertheilen hörte, mit jenem gewissen bestimmten Tone gegeben worden, der die Gewohnheit des Befehlens beurkundet.

Bathilde hatte daher sofort begriffen, daß der junge Mann vor ihren Augen, über den früheren Bewohner des Dachstübchens weit erhaben say, auch fühlte sie mit dem Instincte der Leute comme il faut, daß er ihrem eigenen Stande angehöre. An demselben Tage schon hatte der Chevalier sein Clavier probiert; bei dem ersten Tone desselben hatte Bathilde aufgehorcht, während Harmental, der nicht wußte, daß er gehört wurde, mit einem Geschmack und einer Freiheit phantasirte, die einen Dilettanten ersten Ranges verriethen. Bathilde war aufgestanden und hatte sich leise dem Fenster genähert, um auch keine Note zu verlieren; denn ein solcher musikalischer Genuß war in der Rue du temps perdu etwas bisher Unerhörtes.

Am folgenden Tage war es Bathilde, welche daran dachte, daß es schon ewig lange Zeit her say, seit sie musiziert habe; sie setzte sich ans Clavier. Anfangs zitterte sie ganz gewaltig, obgleich sie durchaus nicht wußte weshalb; da sie aber eine treffliche Musikerin war, so legte sich ihr Zittern bald und sie exekutierte auf wahrhaft bewunderungswürdige Weise die Piece, welche den Chevalier so sehr entzückte.

Wir haben bereits erzählt, wie Harmental am folgenden Tage Buvat bemerkte, und durch ihn erfuhr, daß eine reizende Nachbarin sich Bathilde nenne.

Am darauf folgenden Morgen war es Bathilde, welche, um sich eines Sonnenstrahls zu erfreuen, am Fenster stand; sie gewahrte, wie die Augen unters Chevaliers feurig auf sie gerichtet waren; sie erblickte wieder das schöne jugendliche Gesicht, dem aber das vorhabende Project einen Anflug von schwermüthigem Ernst gegeben hatte; dieser mit Jugend so unvereinbare Ernst fiel ihr auf. Der schöne junge Mann mußte also Kummer haben, da er so traurig war. Welch’ einen Kummer aber konnte er haben? Aus allem diesen geht hervor, daß von dem zweiten Tage an das reizende Mädchen sich schon ungemein mit dem Chevalier zu beschäftigen begann.

Das verhinderte aber Bathilde nicht, ihr Fenster zu schließen; hinter ihrem Vorhange aber bemerkte sie, daß das schöne Gesicht ihres Nachbars noch trauriger ward; und ein Instinct sagte ihr, daß sie dem jungen Manne wehe gethan habe; ohne es zu wollen, trat sie zum Clavier; geschah es vielleicht, weil sie fühlte, daß die Musik die beste Trösterin in Herzensleiden say?

Abends hatte sich Harmental seinerseits ans Clavier gesetzt und nun war es Bathilde, die dem Gesange mit ganzer Seele horchte, der mitten in der verschwiegenen Nacht in melodienreichen Tönen, die Gefühle der Liebe schilderte. Leider aber war er in seiner musikalischen Beschäftigung durch seinen Nachbar im dritten Stockwerke unterbrochen worden. Der erste Schritt aber war gethan; es bestand bereits zwischen den beiden jungen Leuten ein Berührungspunkt, schon redeten sie zu einander die Sprache des Herzens, die gefährlichste von allen.

Auch fühlte wirklich am nächsten Morgen das anmuthige Mädchen, welches, beiläufig gesagt, die ganze Nacht von Musik und auch ein wenig von dem Musiker geträumt hatte, daß etwas Seltsames, ihr bisher Unbekanntes in ihr vorging. So sehr sie sich zum Fenster hingezogen fühlte, hielt sie doch dasselbe geschlossen, und das hatte bei dem Chevalier die üble Laune erzeugt, mit der er mit dem Abbé zu dem Frühstück der Madame Denis hinabstieg

Hocherfreut über die Kunde, daß die reizende Nachbarin weder die Gattin, noch die Geliebte, noch die Tochter Buvats say, war er, wie wir wissen, wieder hinaufgeeilt und hatte sich durch Stückchen Zucker mit der kleinen Mirza in Verbindung gesetzt. Als Bathilde erschien, hatte er mit Bescheidenheit sein Fenster geschlossen, nicht aber ohne daß er sie gegrüßt hatte, und daß sein Gruß von ihr erwidert, und zwar erröthend erwidert worden.

Am folgenden Morgen gewahrte die liebliche Bathilde, wie der Chevalier ein Fenster öffnete und ohne daß sie die Ursache errathen konnte, ein ponceaurothes Band außerhalb desselben befestigte; die außerordentliche Aufregung in dem Gesicht des Chevalier war ihr dabei keineswegs entgangen. Seine Aufregung war begreiflich: die Befestigung des roth Bandes war vielleicht sein erster Schritt zum Schafott. Eine halbe Stunde darauf hatte sich hinter Harmental eine Gestalt gezeigt, welche Bathilde gänzlich unbekannt war, die aber durchaus nichts Beruhigendes hatte. Dies war der Capitain Roquefinette auch hatte die besorgte Nachbarin nicht ohne einige Unruhe bemerkt, daß Harmental seit dem Eintritt des Unbekannten mit dem langen Degen, das Fenster sorgsam geschlossen hatte.

Der Chevalier hatte, wie man leicht denken kann, eine lange Unterredung mit dem Capitain, in dem er ihm die Anstalten für die Unternehmung des Abends auseinandersetzen mußte. Das Fenster ihr Nachbars war demnach so lange geschlossen geblieben, daß Bathilde sich überzeugt hielt, er say ausgegangen und der Meinung war, sie könne ungefährdet das ihrige öffnen.

Kaum aber war dies geschehen, als sich auch plötzlich das Fenster gegenüber aufthat. Zum Glück für Bathilde war sie gerade in den Theil ihres Zimmers zurückgetreten, in den die Blicke des Chevaliers nicht dringen konnten. Sie beschloß jetzt dort zu bleiben und setzte sich mit ihrer Arbeit an das zweite geschlossene Fenster.

Die kleine Mirza aber, welche weniger Scrupeln hatte, als ihre Gebieterin, hatte den freundlichen Zuckerspender kaum erblickt, als sie auch sofort ans Fenster eilte und die Vorderpfötchen auf den Rand legte. Diese Freundlichkeit ward, wie man denken kann, durch mehrere Stücke Zucker vergolten; das dritte Stückchen aber war zum großen Erstaunen Bathildens mit einem Blättchen Papier umwickelt.

Dies Blättchen Papier beunruhigte Bathilde mehr als Mirza, denn das Hündchen hatte schnell den Zucker aus der Hülle gezogen und verspeist, worauf es seinen Posten am Fenster wieder einnahm. Jetzt aber war kein Chevalier mehr da, er hatte ein Fenster geschlossen.

 

Bathilde befand sich in einer großen Verlegenheit. Sie hatte auf den ersten Blick gesehen, daß das Blättchen mit einigen Zeilen beschrieben war, und so freigebig und freundlich sich auch der Nachbar gegen Mirza gezeigt hatte, so konnte er doch nicht an diese geschrieben haben, das Billet war also an Bathilde gerichtet.

Was aber mit dem Briefchen anfangen? Das Blättchen ungelesen zu zerreißen, das war allerdings sehr würdig und verständig. Wenn es nun aber ein unbedeutendes, längst beschriebenes Papier wäre, dann war ein solches Verfahren lächerlich; auch hieß es dann einer Sache Bedeutung geben, die an und für sich keine hatte. Bathilde beschloß daher, das Blättchen ruhig liegen zu lassen, und keine weitere Notiz davon zu nehmen; sie steckte hinter ihrem Vorhange, wie Harmental ohne Zweifel hinter dem seinigen.

Nach Verlauf einer Stunde, von der, wir müssen es der Wahrheit gemäß gestehen, Bathilde wenigstens dreiviertel in Betrachtung des Billetchens verbracht hatte, trat Nanette ein. Ohne ihren Platz zu ändern, gebot ihre Herrin, das Fenster zu schließen, sie that es, erblickte aber beim Zurücktreten das Papner.

»Was ist denn das?« fragte die gute Frau, indem sie sich anschickte das Blättchen aufzuheben.

»Es ist nichts von Bedeutung, erwiederte Bathilde, vergessend, daß Nanette nicht lesen konnte, »ich muß es aus der Tasche haben fallen lassen, und nicht ohne Selbstüberwindung fügte sie hinzu: wirf es nur in’s Feuer.

»Wenn es denn doch aber etwas Gutes wäre, rief Nanette, »so sehen Sie es doch nur erst an, Mademoiselle,« und so sprechend reichte Nanette ihrer Gebieterin das Blatt hin, und zwar so, daß die Schrift sich oben befand.

Diese Versuchung war zu stark, um ihr zu widerstehen. Bathilde warf auf das Papier einen Blick, den sie so gleichgültig als möglich zu machen sich bestrebte, und las wie folgt:

»Man sagt mir, Sie wären eine Waise. Auch ich habe keine Aeltern mehr, und so sind wir also Geschwister vor Gott! Diesen Abend begebe ich mich in große Gefahr, aber ich würde hoffen sie glücklich zu bestehen, könnte ich glauben, daß meine Schwester Bathilde beten würde für ihren Bruder Raoul

»Du hattest Recht Nanette,« sprach das liebliche Mädchen mit bewegter Stimme, indem sie das Blatt aus Bathildens Hand nahm, und in die Tasche steckte, »das Papier ist wichtiger als ich glaubte.«

Als Nanette sich aus dem Zimmer entfernt hatte, zog Bathilde das Blatt wieder hervor und las es noch einmal. Es war ganz unmöglich, mit wenigen Worten mehr zu sagen! Das Billet war so überlegt abgefaßt, und mit einer solchen Gewandtheit eingerichtet, der Ausdruck. » Schwester und Bruder« war mit so vieler Klugheit gewählt, daß Bathilde hätte sie in diesem Augenblicke ihrem Nachbar gegenübergestanden, statt zu erröthen ohne Zweifel ihm die Hand gereicht und zu ihm gesagt haben würde: »Sey ruhig, Bruder, Deine Schwester wird für Dich beten.«

Was aber auf Bathildens Seele weit gefährlicher wirkte, als jede Liebeserklärung zu thun vermocht hätte, das war der Gedanke an die Gefahr, der ihr Nachbar ausgesetzt war. Sie gedachte des rothen Bandes, des Erscheinens der auffallenden Gestalt des Capitains und muthmaßte, daß jene Gefahr mit diesem Letztern in irgend einer Verbindung stehen müsse. Von welcher Art aber diese Gefahr say, darüber erschöpfte sie sich vergeblich in Vermuthungen. Anfangs dachte sie an ein Duell; für einen Mann aber, wie ihr Nachbar schien, war ein Duell keine Gefahr, für die er das Gebet und die Fürbitte eines Weibes wünscht! Ueberdem war die bezeichnete Stunde nicht diejenige, in welcher ein Zweikampf stattzufinden pflegt. Bathilde sann also und sann, und beschäftigte sich auf diese Weise unablässig mit dem Chevalier. Und wenn dieser darauf gerechnet hatte, so muß man eingestehen, daß seine Rechnung richtig war.

Der ganze Tag verging, ohne daß Bathilde den Nachbar erschaute, sei es nun daß er sich absichtlich ihren Blicken entzog, oder daß er beschäftigt war, genug, ein Fenster blieb fest verschlossen. Auch fand Buvat, als er wie gewöhnlich um vier Uhr zehn Minuten heimkehrte, das junge Mädchen so sehr auf geregt, daß er sie mehrfach fragte, was ihr fehle. Bathilde erwiderte nur durch eines jener bezaubernden Lächeln, die auf ihrem Pflegevater stets die Wirkung äußerten, daß er alsdann an nichts mehr dachte, als daran sie zu betrachten.

Nach dem Mittagsmahl erschien der Bediente des Herrn von Cheaulieur, welcher Buvat ersuche ließ, diesen Abend bei ihm zuzubringen, weil er mehrere Poesieen gefertigt habe, von denen er Abschrifte wünsche. Der Abbé de Cheaulieur war einer de besten Kunden Buvats, den er selbst oft besuchte er hatte die liebliche Bathilde sehr in Affection genommen, denn ob er gleich blind zu werden begann so konnte er doch ihre lieblichen Züge noch recht gut unterscheiden. Zwar sah er sie nur durch einen Nebel, dies aber hatte veranlaßt, daß er in seiner sechzigjährigen Galanterie dem reizenden Mädchen bemerkte, es erfreue ihn, daß er sie so erschaue, denn er erblickte sie wie die Engel in den Wolken.

Buvat begab sich demnach zu ihm, und Bathilde wußte es dem guten Abbé Dank, daß er ihr einen einsamen Abend verschaffte. Der arme Buvat verließ seine stille Behausung, ohne zu ahnen, da man in derselben heute zum erstenmal eine Abwesenheit wünschte.

Buvat schlenderte eines Weges langsam dahin, und als er in der Nähe des Palais Royal anlangte und um einen Straßenfänger eine Gruppe Männer und Weiber versammelt sah, schloß er sich denselben an. Als die Sammlung endlich begann, begab er sich hinweg, nicht etwa um dem armen Gassensänger aus bösem Herzen den verdienten Lohn zu entziehen, sondern weil er kein Geld bei sich hatte, denn um nicht zu Ausgaben verlockt zu werden, hatte er die alte Gewohnheit, kein Geld bei sich zu tragen.

Er begab sich also, wie wir bereits wissen, durch die Barriere des Sergens nach der Rue Mazarin, wo der Abbé de Cheaulieur wohnte.

Dieser empfing ihn höchst freundlich und zwang ihn, nach vielen Complimenten von Seiten Buvats, sich neben ihn an den mit vielen Papieren bedeckten Tisch zu setzen. Es ist wahr, daß sich Buvat anfangs nur ganz auf den Rand seines Stuhles setzte, nach und nach aber faßte er Muth und rückte sich zurecht, so daß er endlich wie alle andern ehrlichen Leute dasaß.

Er mußte nunmehr dreißig bis vierzig Gedichte ordnen oder abschreiben, und da der Abbé sich dabei nicht langweilte und der ehrliche Buvat sich nicht langweilen durfte, so schlug es elf Uhr, als endlich die Arbeit beendet sei. Buvat erschrak, daß es schon so spät war, packte die Papiere zusammen, kürzte den Abschied so viel als möglich, nahm Hut und Stock und eilte von dannen.

Zum Unglück schien der Mond nicht, und de Himmel war dicht mit Wolken bedeckt.

Bis zur Rue des bons Enfans ging alles gut, doch hier bekam für ihn die Sache einen andern Anstrich. Der Anblick der schmalen dunklen, nur durch das spärliche Licht zweier Laternen erleuchteten Gasse schon, war für unsern ehrlichen Buvat keineswegs ermuthigend. Er schritt indeß langsam und zitternd weiter; vor dem Hause No. 25 angelangt, gewahrte er nun gar die beiden dunklen Gestalten und seine Schritte hemmend, schrak er jetzt mächtig zusammen. Hier war es, wo Harmental einen Nachbar gegen über erkannte und ihn gegen Roquefinette beschützte. Buvat ließ sich, wie wir wissen, die ihm gewordene Warnung nicht zweimal sagen, sondern rannte Angsterfüllt von dannen, und hemmte seine Schritte nicht eher, als bis er sein Häuschen erreicht hatte und dies hinter ihm geschlossen und verriegelt war. Seine Füße zitterten dergestalt, daß er nur mit großer Anstrengung die Treppe hinauf gelangen konnte.

Was Bathilde betraf, so war sie, so wie der Abend heranrückte, immer unruhiger und unruhiger geworden. Bis sieben Uhr brannte Licht im Zimmer ihres Nachbars, von der Zeit an war es verschwunden. Seitdem hatte sie die Stunden nur auf zweierlei Weise zugebracht, sie fand entweder am Fenster um zu sehen, ob ihr Nachbar noch nicht heimgekehrt say, oder sie knieete vor ihrem Crucifix und sprach dort ihr gewöhnliches Abendgebet. So hörte sie neun, zehn, elf und elf ein halb Uhr schlagen; so vernahm sie nach und nach, wie das Geräusch in den Gassen verstummte ; der Schlaf schien sich auf die ganze Stadt herab zu senken, und dennoch verkündete ihr noch nichts, ob derjenige, der sich ihr Bruder genannt, der ihm drohenden Gefahr entzogen worden.

Sie befand sich in ihrem Zimmer ohne Licht, damit Niemand bemerke, daß sie noch nicht zur Ruhe gegangen say. Schon war sie zum zehnten Male vor ihrem Crucifixe niedergeknieet, da öffnete sich plötzlich die Thür und sie gewahrte bei dem Schein des Wachslichts, welches derselbe in der Hand trug und bei der Pförtnerin angezündet hatte, die bleichen angstvollen Züge ihres Pflegevaters, woraus sie auf der Stelle schloß, daß ihm etwas Besonderes begegnet seyn müsse.

Von Angst erfaßt, fragte sie, was ihm fehl aber es war kein leichtes Geschäft, aus Buvat die Ursache seines Schreckens herauszubringen. Seine Zunge war im Verhältniß eben so gelähmt als seine Füße zitterten.

Als er sich indeß in seinen bequemen Armstuhl niedergelassen, mehrmals tief Athem geschöpft, den Schweiß von der Stirn gewischt, und oft furchtsam nach der Thür geblickt hatte, um sich zu überzeugen, ob die furchtbaren Gäste aus der Rue des bons Enfans ihn nicht vielleicht gar bis in das Zimmer seiner Pflegetochter verfolgten, erzählte er endlich derselben, wie er in der obengenannten Straße von einer großen Räuberbande überfallen worden say, deren Lieutenant ein riesiger Kerl von mehr als sechs Fuß, sich so eben angeschickt habe, ihm die Gurgel abzuschneiden, als der Räuberhauptmann noch zu rechter Zeit erschienen say, um ihn zu retten.

Bathilde horchte seiner Erzählung mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, theils weil sie die Gefahr, worin ihr Wohlthäter, den sie liebte, geschwebt, mit Entsetzen erfüllte, theils weil nichts, was sich in dieser Nacht ereignete, ihr gleichgültig war. Seltsam in der That, sie konnte den Gedanken nicht unterdrücken, daß ihr Nachbar gegenüber mit dem, was dem ehrlichen Buvat begegnete, in Verbindung stehen könne, und sie fragte daher forschend, wie der Mann ausgesehen, der ihn gerettet habe.

Buvat erwiderte, daß er ihm gerade gegenüber gestanden, und ihn angeblickt habe, daß es ein schöner junger Mann von ungefähr 28 Jahren gewesen say, den ein dunkler Mantel dicht umhüllt habe; jedoch habe er, als dieser zurückgeschlagen worden, um ihm anzudeuten, daß er weiter eilen solle, bemerkt, daß der junge Räuberhauptmann an einer Seite einen Degen, und in seinem Gürtel ein Paar Pistolen getragen habe.

Von den verschiedenartigsten Gefühlen bestürmt, bat Bathilde ihren Pflegevater, sich zur Ruhe zu legen, und dieser fand den Rath für passend und suchte sein Lager, nicht ohne auf dem Wege dahin noch einige Male hingehorcht zu haben, ob die Räuber aus der Rue des bons Enfans nicht etwa gar in der Nähe wären.

So wie sie sich allein befand und gehört hatte, wie der ehrliche Buvat sein Zimmer verschloß, eilte sie wieder ans Fenster. Sie zitterte fast eben so sehr als der ehrliche Schreiblehrer.

Es verging so wieder eine Stunde. Endlich stieß sie plötzlich einen Freudenruf aus; durch die Scheiben des Fensters drüben gewahrte sie, wie sich in dem Zimmer gegenüber die Thür öffnete, und wie ihr Nachbar mit einem brennenden Wachslichtchen in der Hand in derselben erschien. Ihre Ahnung hatte sie nicht getäuscht. Der Lebensretter Buvats war kein Anderer als ihr Nachbar, denn er trug nicht nur den dunklen weiten Mantel, sondern auch, wie es sich zeigte, als er denselben rasch von sich geworfen hatte, einen Degen an einer Seite und in seinem Gürtel zwei Pistolen. Es war kein Zweifel mehr, alles traf mit dem Signalement Buvats zusammen.

Harmental legte die Pistolen auf seinen Nachttisch, schnallte den Degen von einer Seite, trat dann zum Fenster, öffnete dasselbe und richtete auf das seiner Nachbarin einen so durchdringenden Blick, daß diese vergessend, daß sie in der Dunkelheit nicht gesehen werden könne, rasch einige Schritte zurücktrat und den Vorhang zuzog, uneingedenk, daß die herrschende Finsterniß sie schon genug am verhüllte.

So fand sie zehn Minuten lang, ihre Hand auf das Herz gedrückt, gleichsam als wolle sie das Pochen desselben hemmen. Dann zog sie ihren Vorhang leise wieder zurück. Jetzt aber war das Fenster gegenüber ebenfalls geschlossen und der Vorhang zugezogen und sie gewahrte nichts als den Schatten des Nachbars, der sich hinter demselben mit raschen Schritten im Zimmer auf und nieder bewegte.