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Ritter von Harmental

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Wirklich erstickte Madame Denis fast vor Schaam und Verdruß, von einer ihrer Töchter dergestalt sprechen zu hören in Gegenwart eines jungen Mannes, in Betreff dessen sie schon Projekte für die Zukunft entworfen hatte. Sie war nahe daran in Ohnmacht zu sinken.

Es giebt indessen nichts, woran die Männer weniger glauben als die Ohnmachten der Weiber, und dennoch giebt es nichts, wodurch sie leichter gefangen werden. Uebrigens, ob er daran glaubte oder nicht, Harmental war zu höflich um nicht seiner Wirthin bei dieser Gelegenheit einen Beweis seiner Theilnahme zu geben. Er öffnete seine Arme um sie aufzufangen, und kaum bemerkte das Madame Denis, als sie sich auch in die schutzgewährenden Stützen sinken ließ, und sich in den Armen des Chevalier complet ihrer Ohnmacht hingab.

»Einen Lehnstuhl, Abbé, einen Lehnstuhl,« rief Harmental, während Bonifaz die Zeit benutzte, mit den noch übrigen Bonbons und Näschereien eine Taschen zu füllen.

Der Abbé schob einen Lehnstuhl hin, mit der Langsamkeit eines Mannes, der an dergleichen Erscheinungen gewohnt ist, und den die Folgen derselben nicht beunruhigen. Man setzte Madame Denis hinein und rieb ihr Schläfe und Hände, sie aber schien noch immer nicht geneigt, wieder zum Leben zu erwachen; plötzlich aber, als man es am wenigsten erwartete, sprang sie wie von einer Feder aufgeschnellt, auf ihre Füße und stieß einen lauten Schrei aus. Harmental glaubte, daß ein Nervenanfall ihrer Schwäche folgte und erschrak wirklich.

»Es ist nichts, es ist gar nichts!« beruhigte Bonifaz, ich habe ihr die Caraffe Wasser über den Rücken gegossen. Ja, ja, ich bin es,« fuhr er zu Madame Denis gewandt fort, welche wüthende Blicke auf ihn schleuderte, »ich, ich habe Sie zu sich selbst gebracht, Mama, erkennen Sie mich nicht, ich bin es ja, ich, Ihr kleiner Bonifaz, der Sie von Herzen liebt.«

»Madame,« sprach Harmental, »ich bin in der That trostlos über Alles was sich zugetragen.«

»Ach, mein Herr!« erwiderte Madame Denis in Thränen ausbrechend, »ich bin sehr unglücklich!«

»Ach, weinen Sie doch nicht Mama, Sie sind schon naß genug,« sprach Bonifaz, »wechseln Sie lieber das Hemd, es ist nichts ungesunder als nasse Wäsche auf dem Körper zu behalten.«

»Er hat Recht, bemerkte der Abbé Brigaud, »ich glaube. Sie würden gut thun, seinem Rathe zu folgen.«

»Wenn ich meine Bitte mit der des Abbé vereinigen dürfte,« nahm Harmental das Wort, »so möchte ich Sie ersuchen, sich um meinentwillen nicht zu genieren. Ueberdem ist der Augenblick gekommen, wo wir uns von Ihnen verabschieden müssen.«

»So leben Sie wohl, meine Herrn,« sprach Madame Denis, indem sie eine Verbeugung machte, welcher das von oben über ihren Rücken gegossene und jetzt sich unterhalb wieder hinwegbegebende Wasser viel von ihrer Majestät raubte.

»Adieu Mama!« rief Bonifaz, indem er mit der Zuversicht eines verzogenen Kindes seinen Arm um Madame Denis schlang. »Haben Sie nichts an Herrn Jouy zu bestellen?«

»Adieu, Du Taugenichts!», entgegnete die Mutter halb noch zornig, halb aber schon wieder freundlich gestimmt, »adieu, und führe Dich gut auf!«

Und der dritte Schreiber des Herrn Jouy eilte den Gästen seiner Mutter nach, welche sich schon auf dem Flur befanden.« Was hast Du denn da mit meiner Tasche zu schaffen?« fragte der Abbé Brigaud.«

»Ei, ich untersuche nur, ob sich nicht darin ein kleiner Thaler für Ihren guten Freund Bonifaz befindet?« erwiderte der Sohn der Madame Denis.

»Da hast Du einen großen Thaler,« lachte der Abbé, »nun geh’ Deiner Wege und laß uns allein.«

»Papa Brigaud, rief Bonifaz, »Sie besitzen das Herz eines Cardinals, und wenn der König. Sie nur zum Erzbischof macht, stiehlt er Ihnen die Hälfte von dem was Ihnen zukommt. Adieu, Herr Raoul, fuhr er zu Harmental gewandt, mit einer Vertraulichkeit fort, als ob er ihn schon zehn Jahre lang gekannt hätte. »Wie gesagt, hüten Sie sich vor Demoiselle Bathilde, wenn Sie anders Ihr Herz bewahren wollen.« Er war mit einigen Sprüngen zur Thür hinaus. Der Abbé Brigaud folgte ihm langsam, nachdem er mit dem Chevalier verabredet hatte, daß sie sich Abends. Acht Uhr wieder treffen wollten; worauf Harmental wieder zu seinem Dachstübchen hinanstieg.

II.
Das rothe Band

Was den Geist des Chevaliers von Harmental beschäftigte, war keineswegs die Entwickelung des Dramas, in dem er eine so bedeutende Rolle übernommen hatte und die heranzurücken schien. Die Vorsicht des Abbé war zu loben, der ihn in ein Haus gebracht hatte, welches er seit einer Reihe von Jahren fast täglich zu besuchen pflegte, so daß selbst sein häufiges Kommen jetzt nicht auffallen konnte. Auch gedachte er nicht mehr weder an die pomphafte Redeweise der Madame Denis, noch an die falschen Töne Emiliens, noch an Athenais schnarrende Altstimme, noch an die Eulenspiegel streiche des jungen Bonifaz, er dachte nur an die arme Bathilde, deren guter Name so eben bei seiner Wirthin gemißhandelt worden war.

Unsere geneigten Leser würden sich indeß sehr täuschen, wenn sie glauben sollten, daß die furchtbare Anklage des Herrn Bonifaz auch nur im geringsten die ihm selbst noch unerklärlichen Gefühle hätte schwächen können, die der Chevalier für das junge Mädchen bereits empfand. Harmental hielt sich überzeugt, daß zwischen seinen beiden Vis-á-vis kein Liebesverhältnis stattfinden; könne und Eigennutz konnte hier eben so wenig im Spiele sein, da ihre Lage wenn auch nicht grade Armuth, doch große Beschränktheit der Vermögensumstände beurkundete.

Der Chevalier hielt daher den Gedanken fest, daß die reizende Bathilde weder die Gattin noch die Tochter dieses ordinairen Nachbars sein konnte, dessen prosaische Erscheinung jedesmal die Liebe unterdrückt hatte, die seine Brust für Sie zu nähren begann. Wenn sie aber keins von diesen Dreien war, so ruhte auf ihrer Geburt ein Geheimniß, und sie war alsdann nicht das was sie zu sein schien. Jetzt erklärte sich ihm Alles. Diese edle Schönheit, diese anmuthvolle Grazie, diese vollendete Erziehung, hörten auf für ihn ein Räthel zu sein, Bathilde war ohne Zweifel weit über die Stellung erhaben, die sie in diesem Augenblick einzunehmen genöthigt war; es hatte in dem Schicksale dieses jungen Mädchens eine jener Umwälzungen stattgefunden, die wie die Erdbeben die Städte, die Verhältnisse der Menschen über den Haufen werfen. In ihrem Leben mußte sich etwas zugetragen haben, was sie zwang zu der niedrigen Sphäre hinabzusteigen, in welcher sie jetzt vegetierte.

Weit entfernt also, dem freundschaftlichen Rathe zu folgen, den ihm Herr Bonifaz gegeben, war das Erste was Harmental that, als er sein Dachstübchen wieder betreten hatte, an das Fenster zu eilen und sich umzuschauen, wie es bei seiner reizenden Nachbarin aussähe. Das Fenster gegenüber stand weit geöffnet.

Hätte man unterm Helden vor acht Tagen gesagt, daß ein offenstehendes Fenster sein Herz lauter pochen machen würde, er würde laut aufgelacht haben, und dennoch war dem also, denn er war genöthigt, seine Hand auf die Brust zu legen, um das Wogen derselben zu hemmen; während er seine Stellung so nahm, daß er beobachten konnte, ohne selbst bemerkt zu werden.

Nach wenigen Augenblicken aber überzeugte er sich, daß das Zimmer leer sein mußte, denn dessen schlanke und behende junge Bewohnerin würde gewiß schon zehnmal vor seinen Augen hin und hergeschlüpft sein, wäre sie nicht abwesend gewesen. Harmental öffnete jetzt auch sein Fenster, und alles bestätigte ihn in einer Vermuthung; es war selbst zu bemerken, daß die sorgsame und aufräumende Hand der alten Aufwärterin das Zimmer geordnet hatte, denn das Clavier war hermetisch verschlossen, die Noten welche früher zerstreut umherlagen, waren aufgehäuft, kurz alles war sauber geordnet. Was übrigens die Vermuthung des Chevaliers zur Gewißheit steigerte, war der Umstand: daß das Hündchen, welches eingeschlafen gewesen war, durch das Oeffnen des Fensters Harmentals, plötzlich geweckt wurde und bellend emporsprang um sich umzuschauen, wer es in seiner Ruhe gestört habe.

Da durch die Aussagen des Herrn Bonifaz, der Chevalier wußte, daß dies Hündchen sich Mirza nannte, und da man, wenn man eine Festung erobern will, nichts vernachlässigen darf, und ein vertrautes Verhältniß mit Jemand innerhalb derselben, oft weit wirksamer ist, als die furchtbarsten Kriegsmaschienen, so beschloß er, sich zuerst mit dem Hündchen in Verbindung zu setzen, und rief mit der sanftesten, einschmeichelndsten Stimme: »Mirza! Mirza!«

Die niedliche Mirza, welche sich wieder gemächlich auf das Fensterkissen gelagert hatte, fuhr bei diesem Rufe staunend auf; und in der That mußte es dem Thierchen auffallen, daß ein wild fremder Mann es so ungeniert bei einem Taufnamen nannte. Auch blickte es den Rufer unruhig an und knurrte ein wenig.

Harmental erinnerte sich, daß der Marquis von Uxelles, dadurch, daß er das Lieblingshündchen der Demoiselle Chaoin mit gebratenen Kaninchenköpfen fütterte, den Marschallstab erlangt hatte, und er zweifelte daher nicht, durch ein ähnliches Verführungsmittel den Zorn zu beschwichtigen, mit dem Demoiselle Mirza seiner ersten Huldigung begegnet war. Er näherte sich daher seiner Zuckerdose und trällerte dabei vor sich hin:

Des chiens admirez la puissance:

A la cour leur crédit et bon;

Et jamais Marechal de france

Na mieux merité le baton.

Dann trat er wieder zu seinem Fenster, mit zwei ziemlich großen Stücken Zucker bewaffnet.

Unser Held hatte sich nicht geirrt, kaum hatte er ihr mit geschickter Hand einen Theil der verlockenden Süßigkeit zugeworfen, als sie auch sofort die ihr gewordene Spende beschnüffelte, sie alsdann zwischen die Zähne nahm, und mit der Langsamkeit eines Feinschmeckers verspeiste. Nachdem diese Operation beendigt worden war, gab sie durch ein leises Schnalzen mit ihrer rosigen Zunge zu erkennen, daß sie trotz der scheinbaren Gleichgültigkeit, welche sie ohne Zweifel als Folge der ihr gewordenen Erziehung gezeigt hatte, die Aufmerksamkeit zu würdigen wußte, die ihr ihr Nachbar so unerwartet erwiesen. Auch legte sich Mirza nicht wieder zum Schlafen nieder, sondern setzte sich gähnend auf ihre Hinterpfötchen und wedelte dabei mit dem Schwänzchen, gleichsam als wolle sie zu erkennen geben, daß sie bereit sei noch mehr solche Artigkeiten in Empfang zu nehmen.

 

Harmental verstand ihre Meinung ganz vollkommen, und warf ihr unverzüglich ein zweites Stück Zucker zu, jedoch diesmal absichtlich so, daß es über die Fensterbank weg ins Zimmer fiel; es sollte dies eine Probe sein, ob die Trägheit oder die Gourmandiese bei Mirza vorherrsche, denn danach wollte der Chevalier seine Operationen einrichten. Mirza schien einen Augenblick lang unschlüssig, endlich aber trug wirklich die Gourmandie den Sieg davon und sie sprang hinab das Stück Zucker zu suchen, welches unter das Clavier gerollt war. In diesem Augenblick fiel ein drittes Stück ins Fenster und Mirza eilte von dem zweiten Stück zum dritten, wie vom ersten zum zweiten geeilt war. Hier aber beschränkte der Chevalier für diesmal seine Freigebigkeit, er glaubte bereits genug gegeben zu haben, um auch wieder etwas zu empfangen; er begnügte sich also noch einmal, aber in einem etwas bestimmteren Tone als früher »Mirza! Mirza!« zu rufen, wobei er dem Hündchen die Stücken Zucker sehen ließ, die sich noch in seiner Hand befanden.

Ohne den Chevalier wie früher unruhig, oder gar verächtlich anzublicken, erhob sich Mirza jetzt auf ihren Hinterpfötchen, legte die Vorderpfötchen auf den Fensterrand, und guckte den Chevalier mit den Blicken eines alten Bekannten an. Es war gelungen, Mirza war gewonnen!

Der Chevalier machte die Bemerkung, daß er, um dieses Resultat zu erreichen, grade so viel Zeit gebraucht habe, als nöthig sei, um eine Kammerjungfer mit Gold, oder eine Herzogin mit Diamanten zu verführen.

Jetzt war es an ihm den Spröden zu spielen, und zu Mirza zu reden, damit sie sich an seine Stimme gewöhne. Diese seine Operation glückte so sehr, daß die niedliche Mirza, da Harmental fortfuhr hin und wieder Stückchen Zucker zu spenden, sich ganz und gar in diese Unterhaltung mit ihrem Nachbar vertiefte und keineswegs wie am vergangenen Tage die Annäherung ihrer Gebieterin bemerkend und verkündend, noch ruhig im Fenster saß und mit dem Chevalier liebäugelte, als jene ins Zimmer trat. Natürlich forschten Bathildens Blicke sofort nach der Ursache des veränderten Betragens ihres Hündchens. Ihre Augen begegneten denen des Chevaliers, Bathilde erröthete; Harmental verbeugte sich und Bathilde, ohne recht zu wissen was sie that, erwiderte die Begrüßung.

Das reizende Mädchen wollte jetzt das Fenster schließen, aber ein richtiger Tact hielt sie davon zurück; sie fühlte, daß das der Sache. Wichtigkeit verleihen und daß es scheinen würde, als wolle sie sich gegen einen Angriff in Vertheidigungsstand setzen, und sie begnügte sich daher ruhig in den Theil des Zimmers zu treten, in welchen Harmentals Blicke nicht dringen konnten. Als sie nach einigen Augenblicken sich wieder hervorwagte, überzeugte sie sich daß ihr Nachbar gegenüber ein Fenster geschlossen hatte. Bathilde begriff diese Bescheidenheit und wußte ihm dafür Dank.

Und wirklich hatte unser Held einen Meisterstreich ausgeführt. In der noch so wenig vorgerückten Situation, in welcher sich Harmental zu seiner Nachbarin befand und bei der großen Nähe der beiden Fenster, konnten unmöglich beide geöffnet bleiben, und wenn er das seine hätte offen stehen lassen, so würde sie natürlich das ihre verschlossen haben; und wie hermetisch wußte sie dies zu bewerkstelligen! Jetzt aber konnte er sie hinter seinem Vorhange beobachten und das war eine große Zerstreuung für einen jungen Mann, der wie er jetzt zu der strengsten Zurückgezogenheit verurtheilt war. Er war in seinen Operationen schon um ein Bedeutendes vorgerückt, er hatte Bathilde gegrüßt und sie hatte seinen Gruß erwidert. Sie fanden also jetzt nicht mehr gänzlich fremd einander gegenüber. Es hatte sich zwischen ihnen eine Art von Bekanntschaft angeknüpft, um diese aber weiter zu führen, mußte man nichts übereilen, wollte man nicht das Gewonnene wieder verlieren. Es war besser Bathilde glauben zu lassen, daß der Zufall hier allein im Spiele gewesen sei. Bathilde glaubte es vielleicht nicht, aber, ohne sich etwas zu vergeben, konnte sie thun als ob sie es glaube. Hieraus entstand nunmehr daß Bathilde ihr Fenster offen ließ, und da sie das ihres Nachbars geschlossen sah, sich an dem ihrigen mit einem Buche in der Hand niederließ.

Was die kleine Mirza betraf, so sprang diese auf das Tabouret zu den Füßen ihrer Herrin, welches ihr überhaupt zur Lagerstätte diente; statt aber wie sonst die Füßchen auf den Knien ihrer Herrin ruhen zu lassen, stellte sie sie jetzt auf die Fensterbank und kuckte hinüber nach dem freundlichen Nachbar, der ihr den Zucker mit so freigebiger Hand gespendet hatte.

Der Chevalier setzte sich nun in die Mitte seines Zimmers, nahm seine Zeichenmaterialien zur Hand und skizzierte mittelst einer kleinen, im Vorhang befindlichen Oeffnung, das anmuthige Bild was er vor Augen hatte.

Leider waren grade die Tage sehr kurz, das wenige Licht welches durch die Wolken und den Regen herableuchtete, begann zu schwinden, und Bathilde schloß ihr Fenster, jedoch nicht ohne daß zuvor in Harmentals Zeichnung ihr reizendes Köpfchen und zwar mit der täuschendsten Aehnlichkeit vollendet worden war.

Als es völlig dunkel geworden war stellte sich der Abbé Brigaud wieder ein. Der Chevalier und der Abbé hüllten sich dicht in ihre Mäntel und schritten dem Palais Royal zu, wo sie, wie der geneigte Leser sich erinnern wird, das Terrain recognosciren wollten.

Das Haus, welches Frau von Sabran bezogen hatte, seitdem Herr von Sabran Maitre d’hotel des Regenten geworden war, lag zwischen dem Hotel de la Roche Guyon und dem Durchgange der früher Passage du Paláis Royal genannt wurde, weil er der Einzige war, der von der Rue des bons Enfans nach der Rue Valois führte. Dieser Durchgang, welcher seitdem seinen Namen verändert hat, und jetzt Passage du Lycée genannt wird, ward damals wie alle übrigen Gitterthore des Gartens verschlossen, das heißt pünktlich elf Uhr Abends, hieraus geht hervor, daß diejenigen, welche sich in einem Hause der Rue des bons Enfans befanden, wenn anders dasselbe keinen zweiten Ausgang in die Rue Valois hatte, nach elf Uhr genöthigt waren, wollten sie sich nach dem Palais Royal begeben, einen großen Umweg zu machen und entweder la Rue neuve des petits Champs oder den Cours des Fontaines zu passieren.

Dies war der Fall mit dem Hause der Frau von Sabran. Es war ein allerliebstes kleines Hotel, gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts, das heißt vor ungefähr 20 bis 25 Jahren, erbaut. Es bestand nur aus einem Rez de Chaussée, und aus einem einzigen Stockwerk, über dem sich eine steinerne Gallerie befand, mit Dachzimmern für die Dienerschaft. Längs den Fenstern des ersten Stockwerks dehnte sich ein Balkon hin. Die beiden Facaden des Hauses waren übrigens ganz gleich, da jedoch die Rue Valois um acht bis zehn Fuß tiefer liegt als die Rue des bons Enfans, so war vor den Fenstern des Rez de Chaussée eine Terasse angebracht, die man zu einem kleinen Garten umgeschaffen hatte, in welchem im Sommer die köstlichsten Blumen prangten, welche aber keineswegs mit der Straße in Verbindung stand. Der einzige Ein- und Ausgang dieses Hauses befand sich also, wie wir es bereits bemerkt haben, in der Rue des bons Enfans.

Das war Alles, was unsere Verschwörer nur wünschen konnten. Befand sich der Regent erst einmal bei der Frau von Sabran, war er, was möglich war, zu Fuße gekommen, und blieb er dort, was höchst wahrscheinlich war, bis nach elf Uhr, so war er wie in einer Mausefalle gefangen, denn er mußte durchaus dort wieder heraus, wo er hineingegangen war, und nichts war daher ausführbarer, als ein coup de main, wie der in der Rue des bons Enfans beabsichtigte, in der einsamsten und dunkelsten Umgegend des Palais Royal.

Ueberdies war diese Straße damals, wie auch jetzt, von verdächtigen Häusern umgeben, welche im Allgemeinen von ziemlich schlechter Gesellschaft besucht wurden, so daß man hundert gegen eins wetten konnte, ein Hilfsgeschrei in derselben, würde gänzlich unbeachtet bleiben, und wenn dann endlich auch die Schaarwächter anlangen sollten, so stand bei der Langsamkeit dieser Miliz mit Recht zu erwarten, daß solches erst geschehen würde, wenn der Plan bereits in Ausführung gebracht worden.

Nachdem das Terrain gehörig recognoscirt, die Disposition getroffen, und die Nummer des Hauses, es war Nummer 25, bemerkt worden war, trennten sich Harmental und der Abbé Brigaud, der Letztere um sich in das Arsenal zu begeben und die Herzogin von Maine von Allem zu unterrichten, unser Chevalier aber, um in sein Dachstübchen, Rue du Temps Perdu zurückzukehren.

Wie am vorigen Abend, war auch heute die Wohnung Bathildens erleuchtet; dies Mal aber, zeichnete das junge Mädchen nicht, sondern war mit einer Handarbeit beschäftigt; erst um ein Uhr Morgens löschte sie ihr Licht aus. Was den Bewohner des Dachstübchens mit der Terasse betraf, so war derselbe schon lange vor Harmentals Zurückkunft, wieder in seine luftige Behausung hinaufgestiegen.

Der Chevalier erfreute sich keines angenehmen Schlafes, in seiner Lage ist das höchst begreiflich. Gegen Morgen indeß trug eine Ermüdung den Sieg davon; und er erwachte erst, als er sich ziemlich derb beim Arme geschüttelt fühlte. Ohne Zweifel hatte der Chevalier einen bösen Traum, und wähnte das Rütteln sei eine Fortsetzung desselben; denn noch halb schlafend griff er schnell nach den Pistolen, die auf seinem Nachttische lagen.

»Ruhig, ruhig, junger Herr, rief der Abbé Brigaud, »alle Wetter, wie geschwinde. Sie bei der Hand sind. Machen Sie doch die Augen auf, erkennen Sie mich nicht?«

»Ei, Sie sind’s, erwiderte Harmental lächelnd, »Sie haben wohlgethan, mir meinen Arm zu halten, ich träumte, daß man mich arretieren wollte.«

»Ein gutes Zeichen, das,« versetzte der Abbé, Sie wissen, daß von einem Traume stets das Gegentheil eintrifft, es wird also Alles nach Wunsch gehen.«

»Giebt es etwas Neues?« fragte Harmental.

»Und wenn dies der Fall wäre, wie würden Sie die Kunde aufnehmen?«

»Ich würde sie mit Freuden begrüßen, rief der Chevalier. »Hat man einmal eine solche Sache übernommen, bringt man sie gern so schnell als möglich zu Ende.«

»Wohlan,« versetzte Brigaud, indem er ein Papier aus der Tasche zog und es Harmental überreichte, »lesen Sie!«

Harmental nahm das Blatt, entfaltete es so ruhig, als ob es die gleichgültigste Nachricht enthalten hätte, und las wie folgt:

Rapport vom 27. März, 2 Uhr Morgens.

»Gestern Abend um 10 Uhr, hat der Regent einen Courier von London empfangen, der ihm auf morgen die Ankunft des Abbé Dubois meldete. Zufällig speisete der Regent bei Madame, und so konnte ihm, trotz der vorgerückten Stunde die Depesche übergeben werden. Einige Augenblicke früher hatte Mademoiselle de Chartes ihren Vater um die Erlaubniß ersucht, in der Abtei de Chelles ihre Andacht verrichten zu dürfen, und man war übereingekommen, daß der Regent sie dort hinbringen solle bei dem Empfange der Depesche aber, ward dieser Plan abgeändert, und der Herr Regent befahl, das Conseil auf heute 12 Uhr zusammen zu berufen.

Um 3 Uhr wird der Regent dem Könige in den Tuilerien seine Aufwartung machen; er hat denselben um ein Gespräch unter vier Augen ersuchen lassen; denn er fängt an, sich bei dem Eigensinn des Herrn Maréchal de Villeroy zu langweilen, welcher verlangt, daß er bei den Zusammenkünften des Königs mit dem Regenten, stets zugegen sein müsse. Das Gerücht sagt, daß wenn dieser Eigensinn fortdauern würde, es dem Marschall schlecht bekommen könne.

Um 8 Uhr werden der Herr Regent mit dem Chevalier von Simiane und dem Chevalier von Ravanne bei der Frau von Sabran supiren.

»Ha, ha,« rief Harmental, und wiederholte mit Nachdruck die beiden letzten Zeilen.

»Nun, was sagen Sie dazu?« fragte der Abbé.

Der Chevalier sprang aus seinem Bette, warf seinen Schlafrock über, zog aus einem Schubfach ein ponceau rothes Band hervor, nahm Hammer und Nagel, öffnete das Fenster, nicht ohne einen Seitenblick auf das seiner Nachbarin zu werfen, und befestigte außerhalb desselben das Band an die Mauer.

»Was zum Henker soll das heißen?«, fragte der Abbé.

»Das soll heißen,« erwiderte der Chevalier, »daß Sie die Frau Herzogin von Maine benachrichtigen können, wie ich hoffe, schon an diesem Abend mein Versprechen zu erfüllen. Und jetzt fort mit Ihnen, lieber Abbé, kehren Sie erst nach zwei Stunden zurück, denn ich erwarte Jemand, und Ihre Gegenwart möchte genieren.«

Der Abbé ließ sich diesen Wink nicht wiederholen, er nahm seinen Hut, drückte dem Chevalier die Hand, und eilte von dannen.

 

Nach 20 Minuten trat der Capitain Roquefinette in’s Zimmer.