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XXI
Herr von Valsigny

Während die Erörterung, deren Einzelheiten und Resultate wir später werden kennen lernen, sich um den Tisch mit dem grünen Teppich eröffnete, wo so oft die Geschicke Europas gespielt haben, – während Herr von Marande, gemeiner Voltigeur der 2. Legion, nach Hause zurückkehrend, ohne daß ihm den ganzen Tag ein Zeichen der Billigung oder der Mißbilligung entschlüpft war, an dem man seine politische Meinung hätte erkennen können, seine Uniform mit einer Eile auszog, welche seine geringe Sympathie für den Militärstand verrieth, und, als wäre er in seinem Innern nur mit dem großen Balle beschäftigt, den er geben sollte, selbst alle Anstalten zur Soirée leitete, – beeilten sich unsere jungen Leute, welche Salvator seit den letzten bei der Revue ausgetauschten Ermahnungen nicht gesehen hatten, wie Herr von Marande ihre Uniform abzulegen, und erkundigten sich bei Justin, als einer gemeinschaftlichen Quelle, was sie weiter unter den verschiedenen Eventualitäten, die sich bieten dürften, zu thun haben.

Justin erwartete selbst Salvator.

Der junge Mann kam gegen neun Uhr. Er hatte auch seine Uniform abgelegt und sein Commissionärs-Costume wieder angezogen. Man sah an seiner schweißbedeckten Stirne und an seiner keuchenden Brust, daß er die Zeit seit der Rückkehr von der Revue reichlich benützt hatte.

»Nun?« fragten einstimmig die vier jungen Leute, sobald sie ihn erblickten.

»Es ist Ministerconseil,« antwortete Salvator.

»Worüber ?«

»Ueber die Strafe, die man der guten Nationalgarde, welche nicht vernünftig gewesen ist, zuzuerkennen gedenkt.«

»Und wann wird man das Resultat des Conseil erfahren?«

»Sobald ein Resultat da sein wird.«

»Sie haben also Ihre Entrées in den Tuilerien?«

»Ich habe überall meine Entrées.«

»Teufel!i« rief Jean Robert, »ich bedaure, daß ich nicht warten kann: ich habe einen obligaten Ball.«

»Ich auch,« sagte Petrus.

»Bei Frau von Marande?« fragte Salvator.

»Ja,« antworteten die zwei jungen Leute ganz erstaunt. »Woher wissen Sie das?«

»Ich weiß Alles.«

»Doch morgen, bei Tagesanbruch, Neuigkeiten, nicht wahr?«

»Unnöthig! Sie werden heute Nacht erhalten.«

»Petrus und ich, wir gehen aber zu Frau von Marande . . . «

»Nun wohl, Sie werden sie bei Frau von Marande erhalten.«

»Wer wird sie uns geben?«

»Ich.«

»Wie! Sie gehen zu Frau von Marande?«

Salvator lächelte fein.

»Nicht zu Frau von Marande, sondern zu Herrn von Marande,« erwiderte er.

Dann sagte er mit demselben Lächeln, das eines der besonderen Merkmale seiner Physiognomie war:

»Es ist mein Banquier.«

»Ah! alle Wetter!« rief Ludovic,. »nun ärgere ich mich, daß ich die Einladung, die Du mir angeboten, Jean Robert, nicht angenommen habe.«

»Wenn es nicht so spät wäre!« versetzte der Letztere.

Und seine Uhr ziehend, fuhr er fort:

»Halb zehn Uhr: unmöglich!«

»Sie wünschen auf den Ball von Frau von Marande zu gehen?« fragte Salvator.

»Ja,« antwortete Ludovic; »ich hätte gern meine Freunde heute Nacht nicht verlassen mögen . . . Kann nicht jeden Augenblick etwas geschehen?«

»Wahrscheinlich wird nichts geschehen ,« sagte Salvator; »verlassen Sie aber darum Ihre Freunde doch nicht.«

»Ich muß sie wohl verlassen, da ich keine Einladung habe.«

Salvator ließ auf seinem Gesichte das Lächeln umherirren, das bei ihm Gewohnheit war.

»Bitten Sie unsern Dichter, Sie vorzustellen,« sagte er.

»Oh!« erwiderte lebhaft Jean Robert, »ich bin nicht frei genug im Hause.«

Und eine leichte Röthe zog über seine Wangen.

»Dann,« sprach Salvator, sich gegen Ludovic umwendend, »dann bitten Sie Herrn Jean Robert, Ihren Namen auf diese Karte zu setzen.«

Und er zog aus seiner Tasche eine gedruckte Karte, worauf die Worte standen:

»Herr und Frau von Marande haben die Ehre, Herrn . . . . zu der Soirée einzuladen, die sie in ihrem Hotel in der Rue d’Artois am Sonntag den 29. April geben werden. Man tanzt.

Paris den 20. April 1827.

Jean Robert schaute Salvator mit tiefem Erstaunen an.

»Ah!« sagte Salvator, »Sie befürchten, man könnte Ihre Handschrift erkennen? . . . Geben Sie mir eine Feder, Justin.«

Justin reichte Salvator eine Feder; dieser schrieb den Namen Ludovic auf die Karte, indem er seine feine, aristokratische Handschrift zwang, die Verhältnisse einer gewöhnlichen Handschrift anzunehmen: dann gab er die Karte dem jungen Doctor.

»Mein lieber Salvator,« fragte Jean Robert.

»Sie haben gesagt, Sie gehen nicht zu Frau von Marande, sondern zu Herrn von Marande.«

»Das habe ich wirklich gesagt-«

»Wie werden wir uns sehen?«

»Es ist wahr,« erwiderte Salvator, »denn Sie, Sie gehen zu Madame!«

»Ich gehe auf den Ball eines Freundes, und ich denke, man wird aus diesem Balle nicht von Politik sprechen.«

»Nein . . . doch um halb zwölf Uhr, wenn unsere arme Freundin Carmelite gesungen hat, wird man tanzen, und auf den Schlag zwölf Uhr wird man, am Ende der Galerie, welche ein Gewächshaus bildet, das Cabinet von Herrn von Marande öffnen; hier werden alle diejenigen eingelassen, welche die zwei Worte: Charte und Chartres sagen. Nicht wahr, sie sind nicht schwer zu behalten?«

»Nein.«

»So sind alle Dinge verabredet. Wenn Sie sich nun umkleiden und um halb elf Uhr im blauen Boudoir sein wollen, so ist keine Zeit zu verlieren.«

»Ich habe einen Platz für Einen in meinem Coupe,« sagte Petrus.

»Nimm Ludovic mit: Ihr seid Nachbarn; ich, ich werde meinerseits gehen.«

»Gut!«

»Um halb elf Uhr also im Boudoir von Madame, um Carmelite zu hören,« sagte Petrus, »und um Mitternacht im Cabinet des Herrn, um zu erfahren, was in den Tuilerien vorgefallen ist.«

Und die drei jungen Leute, nachdem sie Salvator und Justin die Hand gedrückt hatten, entfernten sich und ließen die zwei Carbonari beisammen.

Um elf Uhr waren, wie wir gesehen haben, Petrus, Jean Robert und Ludovic bei Frau von Marande versammelt und klatschten Carmelite Beifall; um halb zwölf Uhr, indeß Frau von Marande und Regina eifrigst um die ohnmächtige Carmelite besorgt waren, gaben sie Camille die von uns erwähnte Lection; um Mitternacht endlich, während Herr von Marande, der zurückgeblieben war, um sich nach Carmelite zu erkundigen, galanter Weise seiner Frau die Hand küßte und es sich von ihr als eine Gunst erbat, sie, sobald der Ball beendigt wäre, in ihrem Schlafzimmer begrüßen zu dürfen, traten sie, das verabredete Einlaßwort: Charte und Chartres sprechend, in das Cabinet des Banquier ein.

Hier waren versammelt alle Veteranen der Verschwörungen von Grenoble, von Belfort, von Saumur und von la Rochelle; alle die Menschen, welche ihren Kopf durch ein Wunder des Gleichgewichts auf ihren Schultern behalten hatten: die Lafayette, die Köchlin, die Paon, die Dermoncourt, die Carrel, die Guinard, die Arago, die Cavaignac, Jeder eine abgesonderte Meinung oder eine Meinungsnuance vertretend, Alle Männer von einer anerkannten Ehrenhaftigkeit.

Man aß Gefrorenes, man trank Punsch, und man sprach von Theater, Kunst und Literatur . . . Politik, – davor hütete man sich wohl!

Die drei jungen Leute traten mit einander ein und suchten mit den Augen Salvator.

Salvator war noch nicht angekommen.

Alle drei schloßen sich nun, je nach ihren Sympathien, an eine der Celebritäten an, welche da waren: Jean Robert an Lafayette, der für ihn eine beinahe väterliche Freundschaft hegte; Ludovic an Francois Arago, diesen schönen Kopf, dieses große Herz, diesen bezaubernden Geist; Petrus endlich an Herrn Vernet, dessen Bilder alle im Salon zurückgewiesen worden waren, und der bei sich eine Privatausstellung gemacht hatte, zu der ganz Paris strömte.

Das Cabinet von Herrn von Marande bot eine seltsame Musterkarte der Unzufriedenen aller Parteien. Alle diese Unzufriedenen, während sie, wie gesagt, von Dingen der Kunst, der Wissenschaft, des Krieges sprachen, wandten indessen den Kopf nach der Thüre, sobald ein Neuer ankam. Sie schienen Jemand zu erwarten.

Und sie erwarteten in der That den noch unbekannten Boten, der ihnen die Nachrichten aus dem Schlosse bringen sollte.

Endlich öffnete sich die Thüre, und ein junger Mann von ungefähr dreißig Jahren, mit vollkommener Eleganz gekleidet, trat ein.

Petrus, Jean-Robert und Ludovic unterdrückten einen Schrei des Erstaunens: dieser junge Mann war Salvator.

Der Ankommende suchte mit den Augen, erblickte Herrn von Marande, und ging auf ihn zu.

Herr von Marande reichte ihm die Hand.

»Sie kommen spät, Herr von Valsigny,« sagte der Banquier.

»Ja, mein Herr,« antwortete der junge Mann mit einer Stimme und mit Geberden, welche vollkommen verschieden von seiner gewöhnlichen Stimme und seinen gewöhnlichen Geberden, und ein Lorgnon an sein rechtes Auge haltend, als bedürfte er dieses Appendix, um Jean Robert, Petrus und Ludovic zu erkennen; »ja, es ist wahr, ich komme spät; doch ich wurde bei meiner Taute, einer alten Witwe, einer Freundin der Frau Herzogin von Angoulême, die mir Neuigkeiten aus dem Schlosse gab, zurückgehalten.«

Alle Anwesende verdoppelten ihre Aufmerksamkeit, Salvator wechselte einige Grüße mit den Personen, die sich um ihn drängten, wobei er in genauem Maße den Grad von Freundschaft, von Ehrfurcht oder Vertraulichkeit beobachtete, welchen der elegante Herr von Valsigny Jedem gewähren zu müssen glaubte.

»Neuigkeiten aus dem Schlosse?« wiederholte Herr von Marande; »es gibt also Neuigkeiten aus dem Schlosse.«

»Oh! Sie wissen nicht? . . . Ja, es hat Conseil stattgefunden.«

»Dies, mein lieber Herr von Valsigny,« erwiderte Herr Von Marande, »dies ist nichts Neues.«

 

»Dies kann aber machen und hat gemacht.«

»Wahrhaftig?«

»Ja.«

Man trat näher zusammen.

»Auf den Antrag der Herren von Villèle, von Corbière, von Peyronnet, von Damas, von Clermont-Tounerre; auf das Andrängen der Frau Dauphine, die der Ruf: »»Nieder mit den Jesuiten!«« tief verletzt hat; trotz der Opposition der Herren von Frayssinous und Chabrol, welche für die theilweise Verabschiedung stimmten, – ist die Nationalgarde aufgelöst!«

»Aufgelöst?«

»Von Grunde aus! So daß ich, der ich einen sehr schönen Grad hatte, – ich war Fourier,—nun ohne Amt bin und mich mit etwas Anderem beschäftigen muß!«

»Aufgelöst!« wiederholten die Zuhörer, als könnten sie nicht an diese Nachricht glauben.

»Das ist ja sehr ernst, was Sie da sagen, mein Herr!« rief der General Pajol.

»Finden Sie, General?«

»Allerdings . . . Das ist ganz einfach ein Staatsstreich!«

»Ja? . . . Nun wohl, Seine Majestät König Karl X. hat einen Staatsstreich gemacht.«

»Sie sind dessen, was Sie sagen, sicher?« fragte Lafayette.

»Ah! Herr Marquis, (Salvator nahm es nicht im Ernste, daß die Herren von Lafayette und von Montmorency ihre Titel in der Nacht vom 4. August 1789 Verbrannt hatten). Ah! Herr Marquis, ich würde nichts sagen, was nicht die strenge Wahrheit wäre.«

Sodann mit fester Stimme:

»Ich glaubte Ihnen genug bekannt zu sein, daß Sie nicht an meinem Worte zweifeln würden.«

Der Greis reichte dem jungen Manne die Hand.

Und er sagte lächelnd und leise: .

»Gewöhnen Sie sich doch ab, mich Marquis zu nennen.«

»Entschuldigen Sie,« erwiderte lachend Salvator, »Sie sind dergestalt Marquis für mich . . . «

»Nun wohl, es seit für Sie, der Sie ein Mann von Geist sind, werde ich bleiben, was Sie wollen; doch für die Anderen machen Sie mich nur zum General.«

Dann zur ursprünglichen Conversation zurückkehrend, fragte Lafayette:

»Und wann erläßt man diese schöne Ordonnanz?«

»Sie ist erlassen.«

»Wie, erlassen?« rief Herr von Marande; »und ich weiß es noch nicht!« .

»Sie werden es wahrscheinlich sogleich erfahren. Sie dürfen es Ihrem Neuigkeitengeber nicht verargen, daß er noch im Verzuge ist: ich habe eigene Mittel, durch die Mauern zu sehen, eine Art von hinkendem Teufel, der die Dächer aufhebt, daß ich in die Staatsconseils schaue.«

»Und durch die Mauern der Tuilerien schauend, haben Sie die Ordonnanz abfassen sehen?« fragte der Banquier.

»Mehr noch, ich habe sie über die Schulter von demjenigen, der die Feder hielt, gelesen. Oh! Es sind keine Phrasen . . . oder es ist vielmehr nur eine Phrase: »»Karl X., von Gottes Gnaden, u.s.w. auf den Bericht unseres Staatssecretärs, Ministers des Innern, u.s.w. ist die Nationalgarde von Paris aufgelöst.«« Das ist das Ganze.«

»Und diese Ordonnanz.«

»Ist an den Moniteur und an den Marschall Qudinot geschickt worden.«

»Und sie wird morgen im Moniteur stehen?«

»Sie steht schon darin; nur ist der Moniteur noch nicht erschienen.«

Die Anwesenden schauten sich an.

Salvator fuhr fort:

»Morgen oder vielmehr heute, – denn wir haben Mitternacht überschritten, – heute Morgen um sieben Uhr werden die Nationalgarden auf ihren Posten von der Königlichen Garde und den Linientruppen abgelöst werden.«

»Ja,« sprach eine Stimme, »bis die Nationalgarden auf ihren Posten die Linientruppen und die Königliche Garde wieder ablösen.«

»Das könnte wohl eines Tags geschehen,« erwiderte Salvator, dessen Auge einen Blitz schleuderte, »doch das wird nicht auf eine Ordonnanz von König Karl X. Geschehen.«

»Es ist eine unglaubliche Verblendung!« sagte Arago.

»Ah! Herr Arago,« rief Salvator, »Sie, ein Astronom, der Sie auf Stunde und Minute die Finsternisse vorhersehen können, sehen Sie nicht besser am Himmel des Königthums?«

»Was wollen Sie?« erwiderte der berühmte Gelehrte; »ich bin ein positiver Mensch und folglich voller Zweifel.«

»Das heißt, Sie wollen einen Beweis?« sagte Salvator; »gut! man wird Ihnen einen geben.«

Er zog aus seiner Tasche ein noch feuchtes kleines Papier.

»Sehen Sie,« sprach er, »hier ist ein Abdruck der Ordonnanz, welche im Moniteur stehen wird.

Ei! er ist ein wenig verwischt: er wurde ganz besonders für mich mit der Bürste abgezogen.«

Und er fügte mit einem Lächeln bei:

»Das hat mich ein wenig aufgehalten: ich wartete darauf.«

Hierauf gab er den Abdruck Arago, aus dessen Händen er in alle Hände überging; sodann, wie ein Schauspieler, der mit seinen Effekten haushälterisch umgeht, sagte Salvator , als er gesehen hatte, der Effekt des Abdrucks sei hervorgebracht:

»Das ist nicht Alles.«

»Wie! was gibt es denn noch?« fragten alle Stimmen.

»Der Herr Herzog von Doudeauville, Minister des königlichen Hauses, hat seine Entlassung genommen.«

»Ah!« sagte Lafayette, »ich wußte, daß er, seitdem dem Leichname seines Verwandten die Beschimpfung widerfahren ist, nur auf eine Gelegenheit wartete.«

»Nun wohl,« erwiderte Salvator, »bei der Nationalgarde hat sich die Gelegenheit geboten.«

»Und die Entlassung ist bewilligt worden?«

»Mit Eifer.«

»Vom König?«

»Der König ließ sich wohl ein wenig nöthigen; doch die Frau Herzogin von Angoulême bemerkte ihm, das sei ein ganz gefundener Platz für den Herrn Fürsten von Polignac.«

»Wie für den Herrn Fürsten von Polignac?«

»Für den Herrn Fürsten Anatole Jules von Polignac, 1804 zum Tode verurtheilt, durch die Vermittlung der Kaiserin Josephine gerettet, 1814 zum römischen Fürsten gemacht, 1816 zum Pair und 1823 zum Botschafter in London.«

»Da er aber Botschafter in London ist . . . «

»Ah! was liegt daran, General, man wird ihn zurückberufen.«

»Und Herr von Villèle,« fragte Herr von Marande, »er hat die Zurückberufung gebilligt?«.

»Er hat sich wohl ein wenig widersetzt,« antwortete Salvator, der mit einer Erstaunen erregenden Beharrlichkeit seine leichtsinnige Miene beibehielt; »denn er ist ein feiner Fuchs, dieser Herr von Villèle, wenigstens wie man sagt! In seiner Eigenschaft als feiner Fuchs nun begreift er, obschon nach den Worten von Barthélemy und Méry

Depuis Cing ans entiers, l’impassible Villèle Cimente sur le roc sa- fortune eternelle8.

er begreift, daß es keinen Felsen gibt, so stark er sein mag, den man nicht untergraben kann, – hiervon zeugt Hannibal, der nach Titus Livius die Kette der Alpen mit Essig durchbrochen hat, und er befürchtet, Herr von Polignac werde der Essig sein, der seinen Felsen in Staub verwandle.«

»Wie!« rief der General Pajol, »Herr von Polignac ins Ministerium!«

»Es bliebe uns, das Gesicht zu verhüllen!« fügte Dupont (de l’Eure) bei.

»Mein Herr,« erwiderte Salvator, »es bliebe uns im Gegentheile übrig, uns zu zeigen.«

Der junge Mann sprach diese Worte mit einem Ausdrücke, der so verschieden von dem war, welchen er bis dahin angenommen hatte, daß sich Aller Augen auf ihn hefteten.«

Da erst erkannten ihn seine drei Freunde; es war wohl ihr Salvator, und nicht mehr der Valsigny von Herrn von Marande.

In diesem Augenblicke trat ein Lackei ein und übergab dem Herrn des Hauses einen Brief.

»Pressant!« sprach er.

»Ich weiß, was es ist,« sagte der Banquier.

Und er nahm rasch den Brief, zog ihn aus einem Umschlage ohne Siegel und las folgende drei Zeilen von grober Hand geschrieben:

»Die Nationalgarde aufgelöst.

»Die Entlassung des Herzogs von Doudeauville angenommen.

»Herr von Polignac von London zurückberufen.«

»Wahrhaftig,« rief Salvator, »man sollte glauben, ich sei es, der Seine Königliche Hoheit Monseigneur den Herzog von Orleans unterrichte.«

Jedermann schauerte.

»Ei! wer sagt Ihnen denn, dieses Billet sei von Seiner Königlichen Hoheit?« fragte Herr von Marande.

»Ich habe seine Handschrift erkannt,« antwortete einfach Salvator.

»Seine Handschrift?«

»Ja , . . . darüber darf man sich nicht wundern, ich habe denselben Notar wie er: Herrn Baratteau.«

Man meldete, das Souper sei serviert.

Salvator ließ sein Lorgnon fallen und schaute seinen Hut an wie ein Mensch , der sich anschickt, wegzugehen.

»Sie bleiben nicht bei uns beim Souper, Herr von Valsigny ?« fragte Herr von Marande.

»Unmöglich, mein Herr, ich bedaure es sehr.«

»Warum denn?«

»Meine Nacht ist noch nicht beendigt, und ich werde sie vollends im Assisenhofe zubringen.«

»Im Assisenhofe? zu dieser Stunde?«

»Ja; man hat Eile, ein Ende mit einem armen Teufel zu machen, dessen Name Ihnen vielleicht nicht unbekannt ist.«

»Ah! Sarranti . . . dieser Elende, der zwei Kinder umgebracht und eine Summe von hunderttausend Thalern seinem Wohlthäter gestohlen hat,« sagte eine Stimme.

»Und der sich für einen Bonapartisten ausgibt,« sagte eine andere Stimme. »Ich hoffe wohl, er wird zum Tode verurtheilt werden.«

»Ah! zum Tode verurtheilt, – da können Sie sicher sein, mein Herr,« erwiderte Salvator.

»Und hingerichtet!«

»Ei! hingerichtet, das ist weniger sicher.«

»Wie! Sie glauben, Seine Majestät werde einen solchen Missethäter begnadigen ?«

»Nein; doch dieser Missethäter könnte unschuldig sein, und dann käme seine Begnadigung nicht vom König, sondern von Gott,« erwiderte Salvator.

»Und er sprach diese letzten Worte mit einem Ausdrucke, der ihn von Zeit zu Zeit für seine drei Freunde unter dem frivolen Anscheine, mit dem er sich bekleidet hatte, erkennbar machte.

»Meine Herren, sagte Herr von Marande, »Sie haben gehört? Das Abendbrod ist serviert.«

Während die Personen, an die sich Herr von Marande wandte, ihren Weg nach dem Speisesaale nahmen, näherten sich die drei jungen Leute Salvator.

»Sagen Sie mir, mein lieber Salvator,« fragte ihn Jean Robert, »wäre es möglich, daß wir Sie morgen zu sehen nöthig hätten . . . «

»Das ist wahrscheinlich.«

»Wo werden wir Sie dann finden?«

»Ei! an meinem gewöhnlichen Platze, in der Rue aux Fers, vor der Thüre meiner Schenke, an meinem Weichsteine; Sie vergessen immer, daß ich Commissionär bin, mein Lieber . . . Oh! die Dichters die Dichter!«

Und er ging ab durch die Thüre der entgegengesetzt, welche in den Speisesaal führte, ohne Zögern, wie ein Mensch, der mit allen Passagen des Hauses vertraut ist, und ließ seine drei Freunde in einem Erstaunen zurück, das an die Betäubung grenzte.

XXII
Das Taubennest

Unsere Leser erinnern sich vielleicht, daß mit einem Ausdrücke reizender Galanterie Herr von Marande, ehe er in sein Cabinet zurückkehrte, wo ihn die von Salvator mitgeteilten Neuigkeiten aus den Tuilerien erwarteten, seine Frau um Erlaubnis gebeten hatte, ihr nach dem Schlusse des Balles einen Besuch in ihrem Schlafzimmer machen zu dürfen.

Es ist Morgens um sechs Uhr; der Tag graut; die legten Wagen haben aufgehört, auf dem Pflaster des Hofes vom Hotel zu rasseln; die letzten Lichter erlöschen in den Gemächern; die ersten Geräusche von Paris erwachen. Frau von Marande hat sich seit einer Viertelstunde in ihr Schlafzimmer zurückgezogen; es sind fünf Minuten, daß Herr von Marande die letzten Worte mit einem Manne ausgetauscht hat, dessen militärische Haltung sich unter seinem bürgerlichen Kleide verräth.

Die letzten Worte waren:

»Seine Königliche Hoheit mag ruhig sein! sie weiß, daß sie auf mich zählen kann wie auf sich selbst . . . «

Hinter diesem Manne, der rasch in einem Wagen ohne Wappen, bespannt mit zwei kräftigen Rossen, die ein Kutscher ohne Livree führt, abgegangen und mit seiner Equipage an der Ecke der Rue Richelieu verschwunden ist, haben sich die Thore des Hotels geschlossen.

Unsere Leser mögen sich nun nicht zu viel um die eisernen und eichenen Scheidewände bekümmern, die sich zwischen sie und die Gebieter dieses glänzenden Hauses stellen, von dem wir einige Theile beleuchtet haben: unser Romandichter-Stab braucht sich nur zu erheben, und die bestgeschlossenen Thüren werden sich wieder vor uns öffnen. Benützen wir also dieses Privilegium und drehen wir mit dem Ende dieses Stabes die Thüre des Boudoir von Frau Lydie von Marande. Sesam, öffne dicht!

Sie sehen, die Thüre ist geöffnet in das reizende himmelblaue Cabinet, wo Sie vor ein paar Stunden Carmelite die Romanze von der Weide haben singen hören.

 

Sogleich werden wir vor Ihnen eine erschrecklichere Thüre zu öffnen haben, die des Assisenhofes; mit Ihrer Erlaubnis wollen wir aber , ehe wir den Fuß in diese Hölle des Verbrechens setzen, um einen Augenblick auszuruhen und Kräfte zu sammeln, in das Liebesparadies eintreten, welches man das Zimmer von Frau von Marande nennt.

Diesem Zimmer, um sich nicht in unmittelbarer Berührung mit dem Boudoir zu finden, ging eine Art von Vestibule vorher, das die Form eines ungeheuren Prachthimmels hatte; dieses Vestibule, das zugleich ein Badecabinet bildete, war vom Plafond mit farbigen Gläsern, arabische Zeichnungen bildend, beleuchtet ; seine Wände und sein Plafond, mit Ausnahme der Oeffnung, welche bestimmt war, ein Licht eindringen zu lassen, das nie über ein Halbdunkel gehen durfte, – waren mit einem ganz eigenthümlichen Stoffe, von einem neutralen, zwischen dem Perlgrau und dem Orangegelb schwebenden Tone, ausgeschlagen; das Gewebe schien aus jenen asiatischen Pflanzen gemacht, deren spinnbare Fäden die Indianer ausziehen, um den bei uns unter dem Namen Nankin bekannten Stoff daraus zu fabrizieren. Die Teppiche waren chinesische Matten, weich wie der geschmeidigste Stoff, und harmonierten in der Farbe bewunderungswürdig mit den Tapeten; die Meubles waren von chinesischem Lack mit einfachen Goldfädchen. Die Marmorarbeiten waren weiß wie Milch, und die Porzellangefässe, welche sie trugen, von jenem ganz eigenthümlichen zarten Türkisblau, durch das sich altes Sèvres auszeichnet.

Den Fuß in diesen süßen, geheimnißvoll durch eine am Plafond hängende Lampe von böhmischem Glase beleuchteten Winkel setzend, hätte man sich hundert Meilen von der Erde geglaubt, und es hätte einem geschienen, man reife in einer von den orangefarbigen, aus Azur und Gold gekneteten Wolken, mit denen Maril hat seine orientalischen Landschaften befranste.

Hatte man einmal diese Wolke erreicht, so war es ganz einfach, daß man in das Paradies eintrat, und es war in der That wohl das Paradies, dieses Zimmer, in das wir den Leser führen.

Sobald die Thüre geöffnet war, oder, um genauer zu sprechen, sobald der Thürvorhang aufgehoben war, – denn wenn es hier Thüren gab, so hatte sie die Kunst des Tapezirers unsichtbar gemacht, – sobald der Thürvorhang aufgehoben war, war der erste Gegenstand, der in die Augen fiel, die schöne Lydie, träumerisch in dem Bette ausgestreckt, das die rechte Seite des Zimmers einnahm, einen Ellenbogen in ein Kopfkissen vertieft, das von Gaze zu sein schien, und in der andern Hand einen kleinen Band Gedichte in Saffian haltend, ein Buch, das zu lesen sie vielleicht die größte Lust hatte, welches sie aber nicht las, so sehr schien sie von einem andern Gedanken, als dem der Lecture erfüllt zu sein.

Eine Lampe von chinesischem Porzellan brannte über einem Tischchen von Boule und beleuchtete durch eine Kugel von rothem böhmischem Glase die Betttücher mit einer rosenfarbigen Tinte ähnlich der, welche sich bei Sonnenaufgang über den jungfräulichen Schnee des Montblanc verbreitet.

Das ist es, was die Augen zuerst anzog; und wir werden es vielleicht sogleich versuchen, so keusch, als es uns möglich sein wird« den durch dieses bezaubernde Gemälde hervorgebrachten Eindruck wiederzugeben; vorher aber fühlen wir uns wie unwillkürlich hingerissen, die übrige Wohnung zu beschreiben.

Zuerst den Olymp; dann die Göttin, die ihn bewohnte.

Man stelle sich ein Zimmer vor, – oder vielmehr ein Taubennest, gerade groß genug, um zu schlafen, gerade hoch genug, um zu athmen. Es war am Plafond und an der Wand mit nacaratrothem Sammet tapeziert, der Reflexe von Granat, Karfunkel und Rubin an den Stellen hatte, die ihr Vorsprung ins Licht setzte.

Das Bett nahm fast die ganze Länge ein, und kaum hatte an jedem Ende des Bettes eine Etagere von Rosenholz beladen mit dem köstlichsten Tande von Sachsen, Sèvres und China Platz.

Dem Bette gegenüber war der Kamin, wie das übrige Zimmer ganz mit Sammet bekleidet; auf den beiden Seiten dieses Kamins standen zwei Causeuses, welche mit den Federn vom Halse eines Colibri überzogen zu sein schienen, und über jeder von diesen Causeuses ein Spiegel, dessen Rahmen vergoldete Maisblätter bildeten.

Setzen wir uns auf eine von diesen Causeuses und werfen wir einen Blick auf das Bett.

Das Bett war von nacaratrothem Sammet und ohne irgend eine Zierrat seine reiche Nuance trat nur durch die Umrahmung hervor, unter der es erschien; diese Umrahmung war ein Meisterwerk von Einfachheit, und man wunderte sich, daß es einen Tapezirer gab, der Dichter genug, oder einen Dichter, der Tapezirer genug, um zu einem solchen Resultate zu gelangen. Es bestand aus jenen großen Stücken orientalischen Stoffes, welche die arabischen Frauen Haiks nennen; diese Haiks waren von Seide mit abwechselnd blauen und weißen Streifen; ihre Fransen waren von demselben Gewebe.

An den zwei Extremitäten des Bettes fielen zwei Stücke von diesem Stoffe senkrecht, und konnten sich längs der Wand mittelst aus Gold und Seide geflochtener algerischer Vorhanghalter mit Ringen von Türkissen drapieren.

Der Fond des Bettes war ein ungeheurer Spiegel in einen Rahmen von Sammet dem Bette ähnlich gefaßt, und ruhend nicht auf der Wand, sondern aus einem dritten Haik. Beim oberen Niveau des Spiegels sprang der Stoff, in tausend Falten gelegt, hervor und verband sich in einem sanften Abhange mit einem großen goldenen Pfeile, um den er sich in zwei dicken Bouillens rollte.

Doch das Wunder des Zimmers war das, was der Spiegel dieses Bettes reflectirte, der offenbar bestimmt war, die Gränzen des Gemaches verschwinden zu machen.

Wir haben gesagt, dem Spiegel gegenüber sei der Kamin gewesen. Ueber diesem, mit jenen tausend köstlichen Kleinigkeiten, welche die Welt einer Frau bilden, beladenen Kantine dehnte sich ein Gewächshaus aus, von dem man nur durch ein Spiegelglas ohne Folie getrennt war, das im Nothfalle in die Wand zurücktreten und so das Zimmer der Frau mit dem Zimmer der Blumen in Verbindung setzen konnte. Mitten in diesem Gewächshause , ein Bassin überragend, in welchem chinesische Fische den allen Farben spielten, und wo sich Vögel von Purpur und Azur so groß wie Bienen tränkten, erhob sich eine Marmorstatue von Prodier.

Dieses kleine Gewächshaus war gewiß kaum von der Größe des Zimmers; doch durch ein Wunder den Anordnung erschien es wie ein herrlicher, ungeheurer Garten Indiens oder der Antillen, so durchschlangen einander die Tropenpflanzen, die es enthielt, als wollten sie den Blicken, die sich auf sie hefteten, das Schauspiel einer ganzen exotischen Flora geben.

Es war in der That ein ganzer Continent von zehn Quadratfuß, ein ganzes Taschen-Asien.

Der Baum, den man den König der Vegetabilien nennt, der Baum der Wissenschaft des Guten und des Bösen, der im irdischen Paradiese geborene Baum, – dessen Ursprung unbestreitbar ist, da das Blatt dazu gedient hat, die Blöße unserer ersten Voreltern zu bedecken, und da er aus diesem Grunde den Namen Adamsfeigenbaum erhalten hat, war repräsentiert durch seine fünf Hauptspecies: den Paradies-Bananenbaum, den Bananenbaum mit kurzen Früchten, den chinesischen Bananenbaum mit rosenfarbiger Sparte. Der Bananenbaum mit rother Sparte. Neben ihm wuchs die Heliconia, die sich ihm durch die Lange und die Breite der Blätter nähert; sodann die Ravelania von Madagascar, in Miniatur den berühmten Baum des Reisenden vertretend, wo der durstige Neger das frische Wasser findet, das ihm der ausgetrocknete Bach verweigert; die Strelitzia Regina, deren Blüthe der Kopf einer Schlange mit Griffel und Federkrone von Feuer zu sein scheint; das Blumenrohr von Ostindien, aus dem man in Delhi Gewebe so geschmeidig als der feinste Seidenstoff fabriziert; der Coftus, wegen seines Wohlgeruchs von den Alten bei allen religiösen Feierlichkeiten angewendet; der wohlriechende Baumschmarotzer von der Isle de la Réunion; der Zingiber von China, was nichts Anderes ist, als die Pflanze, die der Ingwer gibt; kurz, eine Sammlung im Auszuge der vegetabilischen Reichthümer der ganzen Welt.

Das Bassin und der Sockel der Statue waren verloren in Farnkraut mit Blättern gerändert wie mit dem Durchschlage und in Lykopoden, die mit dem Bürlapp der feinsten Teppiche von Smyrna und Constantinopel wetteifern konnten.

In Ermanglung der Sonne, welche erst in ein paar Stunden Königin des Horizonts sein wird, suchen sie nun durch diese Blätter, durch diese Blumen, durch diese Früchte die leuchtende Kugel, welche dem Gewölbe herabkommt und, ihre Strahlen durch ein leicht blau gefärbtes Wasser verbreitend, diesem Urwäldchen die reine melancholische Helle, die sanften, silbernen Reflexen des Mondes gibt.

Vom Bette aus gesehen, ist dieses kleine Gewächshaus ein anbetungswürdiges Schauspiel.

Die Person, welche im Bette lag und, auf den Ellenbogen gestützt, in der andern Hand ein Buch hielt, erhob auch, wie wir vorhin sagten, die Augen über ihr Buch und ließ ihre Blicke auf den lilliputischen Pfaden umherschweifen, welche da und dort das Licht in dem Zauberlande zog, das sie durch ein Spiegelglas wie durch einen Traum sah.

8Seit fünf vollen Jahren kittet der unempfindliche Villèle sein ewiges Glück an den Felsen.