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»Meine Herren, der Schauer des Auditoriums ist bezeichnend; es ist ein verächtlicher Tadel von der Menge dem Verbrecher zugeworfen, und die strengste Verurtheilung wird für ihn nicht grausamer sein, als dieses Lächeln der Verachtung . . . «

Ein Gemurre empfing diese Verdrehung der Meinung des Auditoriums.

»Meine Herren,« sprach der Präsident, sich an das Auditorium wendend, »erinnern Sie sich, daß das Stillschweigen die erste Pflicht des Publikums ist.«

Das Publikum, das die größte Ehrfurcht für die unparteiische Stimme des Präsidenten hatte, trug seiner Ermahnung sogleich Rechnung, und die Stille war alsbald wiederhergestellt.

Ein Lächeln auf den Lippen, die Stirne hoch und ruhig, hielt Herr Sarranti seine Hand in der des schönen Mönches; und dieser, der sich frommer Weise schon unter dem Spruche beugte, den sein Vater nicht vermeiden konnte, erinnerte an jene heiligen Sebastian, deren Typus die spanischen Maler uns vermacht haben, und die, den Leib von Pfeilen durchbohrt, die erhabenste Milde, die engelischste Resignation athmen.

Wir werden dem Staatsanwalte nicht weiter in seinem Plaidoyer folgen; wir sagen nur, daß er, sobald einmal der Gegenstand in Angriff genommen war, so lange als er konnte die aus den Anschuldigungen der Zeugen von Herrn Gérard hervorgehenden Ansichten gleichsam ausmalte, und dabei alle abgedroschene Mittel, alle classische Blumen der Rhetorik des Justizpalastes erschöpfte. Er schloß endlich sein Plaidoyer, indem er auf die Anwendung der Artikel 293, 296, 302 und 304 des Strafcodex antrug.

Ein Gemurmel des Schmerzes und ein Schauer des Schreckens durchliefen die ganze Menge; die Erregung hatte den höchsten Grad erreicht.

Der Präsident fragte Herrn Sarranti:

»Angeklagter, haben Sie etwas zu sagen?«

»Nicht einmal, daß ich unschuldig bin, dergestalt verachte ich die gegen mich erhobene Anklage,« antwortete Herr Sarranti.

»Und Sie, Maitre Emanuel Richard, haben Sie etwas zu Gunsten Ihres Clienten vorzubringen?«

»Nein, mein Herr,« antwortete der Advocat.

»Dann sind die Debatten geschlossen,« sagte der Präsident.

Es fand im ganzen Auditorium eine ungeheure Bewegung der Theilnahme, gefolgt von einer tiefen Stille, statt.

Das Resumé des Präsidenten trennte allein den Angeklagten vom Spruche. Es war vier Uhr Morgens. Man begriff, das Resumé werde kurz sein, und an der Art, wie der ehrenwerthe Herr Präsident die Debatten geleitet hatte, erkannte man, er werde unparteiisch sein.

Sobald er den Mund aufthat, hatten die Huissiers auch nicht nöthig, Stillschweigen aufzuerlegen: die Menge schwieg von selbst.

»Meine Herren Geschworenen,« sprach der Präsident mit einer Stimme, aus der er die Aufregung zu verbannen nicht im Stande gewesen war, »ich habe so eben die Debatten geschlossen, deren Länge zugleich peinlich für Ihr Herz, ermüdend für Ihren Geist ist.

»Ermüdend für Ihren Geist: denn sie dauern seit sechzig Stunden.

»Peinlich für Ihr Herz: denn wer wäre nicht bewegt, wenn er als klagende Partei einen Greis sieht, ein Muster der Tugend und der Menschenliebe, die Ehre seiner Mitbürger, und ihm gegenüber, von ihm eines dreifachen Verbrechens angeklagt, einen Mann, den seine Erziehung dazu berief, eine ehrenhafte und sogar glänzende Laufbahn zu verfolgen, und der durch seine Stimme und durch die seines Sohnes, eines würdigen Mönches, gegen die dreifache Anklage, deren Gegenstand er ist, protestiert.

»Mein Herren Geschworenen, Sie sind noch wie ich unter dem Eindrucke der Plaidoyers, die Sie gehört haben. Wir müssen uns also Gewalt anthun, in die Tiefe von uns selbst hinabsteigen, uns mit Ruhe in diesem feierlichen Augenblicke sammeln, und mit kaltem Blute das Ganze dieser langen Debatten wiederaufnehmen.«

Dieser Eingang brachte eine tiefe Bewegung im Gemüthe der Zuhörer hervor, und die Menge folgte, stumm und keuchend, mit einer glühenden Aufmerksamkeit der Analyse des Präsidenten.

Nachdem er mit gewissenhafter Treue alle Mittel der Anklage hatte die Revue passieren lassen, nachdem er hervorgehoben, was der Mangel der Vertheidigung Nachtheiliges für den Angeklagten hatte, schloß der ehrenwerthe Gerichtsbeamte seine Rede mit folgenden Worten:

»Meine Herren Geschworenen, ich habe vor Ihnen so gewissenhaft und so rasch, als es mir möglich war, das Ganze der Sache auseinandergesetzt. Es kommt nun Ihnen, es kommt Ihrem hohen Scharfsinne, Ihrer erhabenen Weisheit zu, das Gerechte vom Ungerechten zu unterscheiden und zu beschließen.

»Während Sie diese Prüfung vollführen, werden Sie jeden Augenblick erschüttert sein durch die tiefen, heftigen Gemüthsbewegungen, welche das Herz des redlichen Mannes in dem Augenblicke ergreifen, wo er ein Urtheil über seines Gleichen fällen und eine entsetzliche Wahrheit verkündigen soll; doch es wird Ihnen weder an der Erleuchtung, noch am Muthe fehlen, und was auch Ihr Urtheil sein mag, es wird der souverainen Gerechtigkeit entfließen, besonders wenn Sie zum Führer den einzigen unfehlbaren Führer nehmen: das Gewissen!

»Im Vertrauen auf dieses Gewissen, an dem sich alle Leidenschaften gebrochen haben, – denn es ist taub für Worte, taub für die Freundschaft, taub für den Haß, – bekleidet Sie das Gesetz mit Ihren furchtbaren Functionen, überträgt Ihnen die Gesellschaft ihre Vollmachten, und beauftragt Sie mit ihren gewichtigsten und theuersten Interessen. Die Familien mögen, Ihnen wie Gott selbst vertrauend, sich unter Ihren Schutz stellen, und die Angeklagten, welche das Gefühl ihrer Unschuld haben, mögen in Ihre Hände ihr Leben mit voller Sicherheit legen und Sie, ohne zu zittern, als Richter annehmen.«

Dieses scharfe, präcise, kurze Resumé, das vom ersten bis zum letzten Worte das Gepräge der gewissenhaftesten Unparteilichkeit an sich trug, wurde beständig mit der religiösesten Stille angehört.

Kaum hatte der Präsident zu sprechen aufgehört, als sich das ganze Auditorium aus innerem Antriebe wie ein einziger Mensch erhob und die lebhaftesten Zeichen von Billigung von sich gab, in die sich der laute Beifall der Advocaten mischte.

Herr Gérard hatte den Präsidenten, die Blässe der Angst auf der Stirne, angehört: er fühlte, daß in der Seele des gerechten Mannes, der gesprochen hatte, nicht die Anklage, sondern der Zweifel war.

Es war beinahe vier Uhr, als sich die Jury in den Berathungssaal zurückzog.

Man führte den Angeklagten weg, und, – unerhörtes Factum in den gerichtlichen Annalen! – nicht eine von den seit dem Morgen anwesenden Personen dachte daran, ihren Platz zu verlassen, welche Zeit auch die Beratschlagung sich verlängern sollte.

Es war also von diesem Augenblicke an im Saale ein ungeheures, äußerst belebtes Gespräch, das sich über die verschiedenen Umstände der Debatten entwickelte, während sich zugleich eine entsetzliche Bangigkeit aller Herzen bemächtigte.

Herr Gérard hatte gefragt, ob er sich entfernen könne. Seine Kraft reichte aus, um die Todesstrafe beantragen zu hören: sie ging aber nicht so weit, daß er diese Strafe aussprechen zu hören vermochte.

Er stand auf, um wegzugehen.

Die Menge war, wie gesagt, sehr gedrängt, und dennoch bildete sich sogleich eine Passage auf seinem Wege: Jeder trat auf die Seite, als wollte er einem unreinen oder garstigen Thiere Platz machen: der Zerlumpteste, der Aermste, der Schmutzigste der Zuhörer hätte sich durch die Berührung dieses Menschen befleckt geglaubt.

Gegen halb fünf Uhr hörte man den Ton einer Klingel.

Vom Inneren des Saales ausgegangen, theilte sich ein Schauer beim Klange dieses Glöckchens nach außen mit. Sogleich, wie eine steigende Fluth, schlug die Woge den Saal, und Jeder beeilte sich, sich niederzusetzen. Doch das war eine vergebliche Aufregung: der Ches der Jury ließ ein Actenstück vom Processe verlangen.

Indessen drangen die ersten Strahlen eines bleichen, grauen Tages durch die Fenster ein und singen an das Licht der Kerzen und der Lampen zu vermischen. Das war die Stunde, wo die stärksten Organisationen die Müdigkeit fühlen: es war die Stunde, wo die heitersten Geister die Traurigkeit begreifen: es war die Stunde, wo man friert.

Gegen sechs Uhr wurde das Glöckchen aufs Neue hörbar.

Diesmal konnte keine Täuschung mehr stattfinden: es war wohl die Freisprechung oder das Todesurtheil, was nach einer zweistündigen Berathung verkündigt werden sollte.

Eine elektrische Bewegung theilte sich der ganzen Versammlung mit, deren Schauer man, so zu sagen, aus der Oberfläche sah. Die Stille trat wie durch einen Zauber bei diesem eine Secunde vorher so geräuschvollen und so bewegten Auditorium wieder ein.

Die Verbindungsthüre zwischen dem Audienzsaale und dem Berathungssaale öffnete sich, die Mitglieder der Jury erschienen, und Jeder strengte sich an, zum Voraus aus ihrem Gesichte den Spruch, der verkündigt werden sollte, zu lesen: die Züge von einigen derselben deuteten die lebhafteste Gemüthsbewegung an.

Der Gerichtshof kam einige Augenblicke nachher.

Der Ches der Jury trat vor, und, die Hand aus der Brust, aber mit schwacher Stimme, begann er die Lesung des Wahrspruches.

Fünf Fragen waren der Entscheidung der Jury unterworfen worden.

Sie waren also abgefaßt:

»1. Ist Herr Sarranti schuldig, mit Vorbedacht einen Mord an Orsola begangen zu haben?

»2. Ist dieses Verbrechen anderen hiernach specificirten Verbrechen vorangegangen?

»3. War der Zweck desselben, die Vollbringung dieser Verbrechen zu erleichtern oder vorzubereiten?

»4. Hat Herr Sarranti am Tage des 19. August oder in der Nacht vom 19. aus den 20. einen Diebstahl mit Einbruch in der Wohnung von Herrn Gérard begangen?

»5. Hat er die zwei Neffen des genannten Herrn Gérard verschwinden gemacht?«

Es trat eine Pause von einem Augenblicke ein.

Keine Feder vermöchte die Bangigkeit dieses Augenblicks wiederzugeben, der, obgleich schnell wie der Gedanke, dem Abbé Dominique, welcher mit dem Advocaten bei der leeren Bank des Angeklagten geblieben war, ein Jahrhundert scheinen mußte.

 

Der Chef der Jury sprach folgende Worte:

»Bei meiner Ehre und bei meinem Gewissen, vor Gott und vor den Menschen ist die Erklärung der Jury:

»»Ja, mit Stimmenmehrheit bei allen Fragen, der Angeklagte ist schuldig!««

Aller Augen waren auf Dominique geheftet: er stand wie die Anderen.

Durch die graue Atmosphäre des Morgens sah man seine Blässe sich in Leichenfarbe verwandeln; er schloß die Augen und hielt sich am Geländer fest, um nicht zu fallen.

Das ganze Auditorium erstickte einen Seufzer des Schmerzes.

Es wurde der Befehl gegeben, den Angeklagten hereinzuführen.

Aller Augen wandten sich nach der kleinen Thüre.

Herr Sarranti erschien wieder. Dominique reichte ihm die Hand und sprach nur die Worte:

»Mein Vater!«

Doch er hörte den Todesspruch an, wie er die Anklageacte gehört hatte, – ohne ein Zeichen von Aufregung von sich zu geben.

Weniger unempfindlich, stieß Dominique eine Art von Seufzer aus, schaute mit glühendem Auge den Platz an, den Herr Gérard inne gehabt hatte, und zog mit einer krampfhaften Bewegung eine Papierrolle aus seiner Tasche: dann schob er mit einer äußersten Anstrengung diese Rolle wieder in seinen Rock zurück.

Während des kurzen Augenblicks, der so viele verschiedenartige Empfindungen in sich schloß, beantragte der Herr Staatsanwalt mit einer mehr erschütterten Stimme, als man von einem Manne hätte erwarten sollen, der diesen strengen Spruch hervorgerufen hatte, gegen Herrn Sarranti die Anwendung der Artikel 293, 296, 302 und 304 des Strafcodex.

Der Hof begann die Berathung.

Das Gerücht verbreitete sich nun im Saale, wenn Herr Sarranti ein paar Secunden im Saale wiederzuerscheinen gesäumt habe, so sei dies der Fall gewesen, weil er, während man seinen Todesspruch ausgearbeitet, tief eingeschlafen sei. Zugleich sagte man, der Wahrspruch der Schuldhaftigkeit habe nur die streng nothwendige Majorität für sich gehabt.

Nach einer Berathung von fünf Minuten setzte sich der Hof wieder, und der Präsident verkündigte mit tiefer Bewegung und einer erstickten Stimme den Spruch, der Herrn Sarranti zur Todesstrafe verurtheilte.

Dann sagte er, sich an Herrn Sarranti wendend, der ruhig und unempfindlich gehört hatte:

»Angeklagter Sarranti, Sie haben drei Tage, um ein Cassationsgesuch einzureichen.«

Sarranti verbeugte sich.

»Ich danke, Herr Präsident,« erwiderte er; »doch es ist nicht meine Absicht, dies zu thun.«

Dominique schien bei diesen Worten mit Gewalt aus seiner Betäubung gerissen zu werden.

»Doch, doch, meine Herren,« rief er, »mein Vater wird um Cassation nachsuchen, denn er ist unschuldig.«

»Mein Herr,« sagte der Präsident, »das Gesetz verbietet, solche Worte auszusprechen, wenn das Urtheil verkündigt ist.«

»Dem Advocaten des Angeklagten, Herr Präsident, doch nicht seinem Sohne,« rief Emanuel. »Wehe dem Sohne, der nicht immer an die Unschuld seines Vaters glaubt!«

Der Präsident schien einer Ohnmacht nahe.

»Mein Herr,« sagte er zu Sarranti, dem er diesen Titel gegen alle Gewohnheit gab, »haben Sie eine Bitte an den Hof zu richten?«

»Ich bitte, frei meinen Sohn sehen zu dürfen, der sich hoffentlich nicht weigern wird, mir als Priester aus dem Schaffot beizustehen.«

»Oh! mein Vater, mein Vater,« rief Dominique, »Sie werden es nie besteigen, das schwöre ich Ihnen!«

Mit leiser Stimme fügte er dann bei:

»Und wenn es Jemand besteigt, so werde ich es sein.«

II
Die Liebenden der Rue Macon

Wir haben gesagt, welche Wirkung der Urtheilspruch im Inneren des Saales hervorbrachte: die Wirkung war außen nicht minder groß.

Kaum waren die Worte: »Zur Todesstrafe!« von den Lippen des Präsidenten gefallen, da war es wie ein langer Seufzer, wie ein ungeheurer Angstschrei, der, vom Innern des Sitzungssaales ausgegangen, durch die Brust von Tausenden bis aus dem Platze des Chatelet wiederhallte und die Zuschauer schauern machte, als ob die Sturmglocke, welche vor der Revolution die viereckige Tour de l’Horloge enthielt, – wie sie es im Chore mit der Glocke von Saint-Germain-l’Auxerrois in der Nacht vom 24. August 1572 that, – das Signal zu Metzeleien einer neuen St. Bartholomäus-Nacht geben würde.

Diese ganze Menge zog sich düster und traurig zurück: sie verlief sich langsam und niedergeschlagen, das Herz gepreßt von dem entsetzlichen Urtheile, das gesprochen worden war.

Jeder, der unwissend hinsichtlich dessen, was vorging, diese so bestürzte Menge gesehen hätte: Jeder, der diesem stillen Abgange, dieser stummen Desertion beigewohnt hätte, würde kein anderes Motiv für diesen langsamen, düsteren Rückzug gesunden haben, als eine außerordentliche Katastrophe, wie der Ausbruch eines Vulcans, die Ankunft der Pest, oder die ersten Gerüchte von einem Bürgerkrieg.

Doch auch derjenige, welcher, nachdem er die ganze Nacht diesen entsetzlichen Debatten beigewohnt, derjenige, welcher in diesem ungeheuren Saale beim zitternden Scheine der, vor den ersten Strahlen des Tages erbleichenden, Lampen und Kerzen hatte das Todesurtheil aussprechen hören und diese drohende Menge sich verlaufen sehen, plötzlich, ohne Uebergang, in das reizende Nest, das Salvator und Fragola bewohnten, versetzt worden wäre, würde einen sehr süßen Eindruck empfunden haben, ein Gefühl ähnlich dem, das die frische Luft eines Maimorgens dem Liederlichen, der die Nacht bei einer Orgie zugebracht hat, geben muß.

Er hätte vor Allem das kleine Speisezimmer gesehen, dessen vier Füllungen mit Bildern von Pompeji geschmückt waren; sodann Salvator und Fragola auf jeder Seite eines lackierten Tisches sitzend, auf welchem ein Theeservice in weißem Porzellan von glänzender Feinheit, wenn auch nicht von großem Werthe stand.

Mit dem ersten Blicke hätte man sogleich zwei Verliebte, oder zwei Liebende erkannt, – oder vielmehr zwei Geschöpfe, die sich lieben.

Aber, fand nicht etwa ein Streit zwischen ihnen statt, was nach der Art, wie das reizende Kind den jungen Mann anschaute, unmöglich schien, – so würde man begriffen haben, daß eine sorgenvolle, melancholische Träumerei über dem Haupte und dem Herzen von Beiden schwebte.

Und in der That, das unschuldige Gesicht von Fragola, das eine in der Aprilsonne sich öffnende Frühlingsblume zu sein schien, trug unter dem keuschen, zärtlichen aus ihren Geliebten gehefteten Blicke das Gepräge einer Gemüthsbewegung so tief, daß sie beinahe an den Schmerz grenzte, an sich, und dies, während an ihrer Seite Salvator einem so großen Kummer preisgegeben schien, daß es ihm nicht einmal einfiel, das Mädchen zu trösten.

Und diese Traurigkeit war sehr natürlich aus beiden Seiten.

Die ganze Nacht abwesend, war Salvator seit einer halben Stunde nach Hause zurückgekommen, und er hatte Fragola in ihren tief erregenden Einzelheiten alle Abenteuer dieser Nacht erzählt: die Erscheinung von Camille von Rozan bei Frau von Marande, die Ohnmacht von Carmelite, und das Todesurtheil von Herrn Sarranti.

Das Herz von Fragola schauerte mehr als einmal, während sie diese grauenvolle Erzählung hörte, deren Einzelheiten fast eben so traurig in den vergoldeten Salons des Banquier, als im düsteren Saale des Assisenhofes. In der That, war der Leib von Herrn Sarranti durch den Präsidenten des Gerichtes zum Tode verurtheilt worden, war das Herz von Carmelite nicht auch zum Tode verurtheilt durch den Tod von Colombau?

Den Kopf aus die Brust geneigt, träumte sie.

Den Kopf auf seine Hände gestützt, meditierte er: denn es öffnete sich ein ganzer Horizont vor ihm.

Er erinnerte sich jener Nacht, wo er mit Roland über die Mauern des Schlosses Viry gestiegen war: er erinnerte sich des Laufes von Roland durch die Wiesen, durch den Wald, welcher Laus am Fuße der Eiche sein Ziel gesunden hatte: er erinnerte sich endlich der Wuth, mit der der Hund die Erde aufgekratzt hatte, und des entsetzlichen Eindrucks, der ihn, Salvator, ergriffen, als das Ende seiner gekrümmten Finger die seidenen Haare des Kindes berührte.

Welchen Zusammenhang konnte dieser unter einer Eiche begrabene Leichnam mit der Sache von Herrn Sarranti haben? Wäre es, statt ein Beweis zu seinen Gunsten zu sein, vielmehr ein Beweis gegen ihn? . . . Und dann Mina, hieß das nicht sie ins Verderben stürzen?

Oh! wenn Gott die Gnade haben wollte, einen Strahl seines Lichtes in das Gehirn von Salvator herabsteigen zu lassen!

Vielleicht auch durch Rose-de-Noël . . .

Hieß es aber nicht das nervöse Kind tödten, es auf das blutige Kapitel seiner Kindheit zurückbringen?

Welche Mission hatte er übrigens erhalten, in allen diesen finsteren Tiefen zu wühlen?

Und dennoch, – hatte er nicht den Namen Salvator angenommen, und schien nicht Gott in seine Hand den Faden zu legen, mittelst dessen er sich in diesem Labyrinthe von Verbrechen ausfinden konnte?

Er würde Dominique aufsuchen, – war er nicht verbunden gegen diesen Priester, dem er das Leben verdankte? – Er würde zu seiner Verfügung alle diese Halbscheine von Wahrheit stellen, welche wie Blitze blenden müßten.

Sobald dieser Entschluß gefaßt war, stand er auf, um ihn in Ausführung zu bringen, als das Geräusch der Klingel ertönte.

Roland, der, bei seinem Herrn liegend, langsam seinen verständigen Kopf emporgehoben hatte, richtete sich auf seinen Pfoten auf, als er den Ton des Glöckchens hörte.

»Wer kommt, Roland?« fragte Salvator. »Ist es ein Freund?«

Der Hund hörte seinen Herrn, und, als hätte er ihn verstanden, ging er langsam auf die Thüre mit dem Schwanze wedelnd zu, was ein untrügliches Zeichen von Sympathie war.

Salvator lächelte und öffnete die Thüre.

Dominique erschien bleich, traurig und ernst auf der Schwelle.

Salvator gab einen Freudenschrei von sich.

»Seien Sie willkommen in meinem armen Hause! Ich dachte an Sie; ich war im Begriffe, zu Ihnen zu gehen.«

»Ich danke,« sagte der Priester; »Sie sehen, daß ich Ihnen die Mühe des Weges erspart habe.«

Fragola war aufgestanden beim Anblicke dieses schönen Mönches, den sie nur ein einziges Mal, beim Bette von Carmelite, gesehen hatte.

Dominique schickte sich an, zu sprechen. Salvator machte eine Geberde der Bitte, daß der Mönch, statt zu sprechen, höre.

Der Mönch drückte seine halbgeöffneten Lippen wieder zusammen und hörte.

»Fragola,« sagte Salvator, »theures Kind meines Herzens, komm hierher!«

Das Mädchen näherte sich und stützte ihren Arm auf den Arm ihres Geliebten.

»Fragola,« fuhr Salvator fort, »glaubst Du, daß mein Leben seit sieben Jahren von einigem Nutzen für die Menschen gewesen ist, glaubst Du, daß ich einiges Gute auf Erden gethan habe, so kniee vor diesem Märtyrer nieder, küsse den Saum seines Kleides und danke ihm; denn ihm verdanke ich es, daß ich nicht seit sieben Jahren eine Leiche bin!«

»Oh! mein Vater!« rief Fragola, sich auf die Kniee werfend.

Dominique reichte ihr die Hand und sprach:

»Stehen Sie auf, mein Kind; danken Sie Gott: Gott allein gibt und nimmt das Leben.«

»Es war also der Abbé Dominique, der in Saint-Roche an dem Tage predigte, wo Du Dich tödten wolltest?« fragte Fragola.

»Ich hatte die geladene Pistole in meiner Tasche; mein Entschluß war gefaßt; noch eine Stunde, und ich sollte zu existiren aufhören. Das Wort dieses Mannes hat mich vom Rande des Abgrundes zurückgehalten: ich habe gelebt.«

»Und Sie danken Gott, daß Sie leben?«

»Oh! ja, von ganzer Seele!« erwiderte Salvator, Fragola anschauend. »Darum sagte ich Ihnen: »»Mein Vater, welche Sache Sie auch wünschen mögen, und sollte Ihnen diese Sache unmöglich scheinen, zu welcher Stunde des Tages oder der Nacht es sein mag, ehe Sie an eine andere Thüre klopfen, klopfen Sie an die meine!««

»Und Sie sehen, ich bin gekommen!«

»Was wünschen Sie, daß ich thun soll? Befehlen Sie!«

»Halten Sie meinen Vater für unschuldig?«

»Ja, bei meiner Seele, das ist meine Ueberzeugung; und ich kann Ihnen vielleicht den Beweis seiner Unschuld erlangen helfen.«

»Ich habe ihn!« antwortete der Mönch.

»Hoffen Sie Ihren Vater zu retten?«

»Ich bin dessen sicher!«

»Bedürfen Sie der Mitwirkung meines Armes oder meines Verstandes?«

»Niemand außer mir selbst kann mir bei Verfolgung meines Werkes helfen.«

»Was verlangen Sie dann von mir?«

»Etwas, was mir unmöglich scheint, daß ich es durch Ihre Vermittlung erlange; doch Sie hießen mich zu Ihnen kommen, um welcher Sache willen es auch sein möge, und ich hätte nicht kommend zum Verräther an meiner Pflicht zu werden geglaubt.«

 

»Sagen Sie mir Ihren Wunsch.«

»Ich muß heute, spätestens morgen eine Audienz beim König erhalten . . . Sie sehen, mein Freund, daß das unmöglich ist . . . wenigstens durch Sie.«

Salvator wandte sich lächelnd gegen Fragola um und sagte:

»Taube, fliege aus der Arche und komm nur mit dem Oelzweige zurück.«

Fragola ging, ohne zu antworten, in das Nebenzimmer, setzte einen Hut mit einem Schleier auf, warf auf ihre Schultern eine Mantille von englischem Stoffe, kam wieder zurück, reichte Salvator ihre Stirne zum Kusse und entfernte sich.

»Setzen Sie sich, mein Vater,« sagte der junge Mann. »In einer Stunde werden Sie Ihre Audienz für heute oder für morgen spätestens haben.«

Der Priester setzte sich und schaute Salvator mit einem Erstaunen an, das an die Betäubung grenzte.

»Aber wer sind Sie denn,« fragte er Salvator, »Sie, der Sie unter einem so demüthigen Anscheine über eine so große Macht verfügen?«

»Mein Vater,« antwortete Salvator, »ich bin wie Sie: ich muß allein auf dem Wege gehen, den ich mir vorgezeichnet habe; erzähle ich aber je einem Menschen mein Leben, so verspreche ich Ihnen, daß Sie es sein werden.«