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Die Rothe stieg Ludovic zur Stirne, als wäre er bei einer schlechten Handlung ertappt worden.

Er fühlte die Nothwendigkeit, das Mädchen anzureden, und dennoch zögerte seine Zunge.

»Haben Sie gut geschlafen, Rose?« fragte er.

»Sie!« wiederholte das Kind.

»Sie sagen Sie zu mir, Herr Ludovic?«

Ludovic schlug die Augen nieder.

»Warum sagen Sie Sie zu mir?« fuhr das Kind fort, das in seiner Niedrigkeit daran gewöhnt war, daß es Jedermann duzte.

Alsdann fügte Rose-de-Noël wie sich befragend bei:

»Bin ich in meinem Schlafe unartig gewesen?«

»Sie, liebes Kind?« rief Ludovic, dessen Augen sich mit Thränen füllten.

»Sie . . . abermals!« wiederholte Rose-de-Noël. »Warum duzen Sie mich denn nicht mehr, Herr Ludovic?«

Ludovic schaute sie an, ohne ihr zu antworten.

»Mir scheint, man ist gegen mich aufgebracht, wenn man mich nicht mehr duzt,« fügte Rose-de-Noël bei. »Sind Sie mir böse?«

»Nein, ich schwöre Ihnen!« rief Ludovic.

»Immer Sie! Sicherlich habe ich Ihnen einen Kummer bereitet, den Sie mir nicht sagen wollen!«

»Ah! nein, nein, nichts, liebe kleine Rose!«

»Gut! . . . Das ist schon besser. Fahren Sie fort.«

Ludovic suchte seinem Gesichte ein wenig Ernst zu geben.

»Hören Sie, liebes Kind,« sagte er.

Rose-de-Noël machte eine reizende kleine Mundverziehung, als sie das Wort: hören Sie vernahm, das ihr irgend einen unbestimmten Aerger weissagte, dessen Ursache zu nennen sie sehr in Verlegenheit gewesen wäre.

Ludovic fuhr fort:

»Sie sind kein Kind mehr, Rose . . . «

»Ich?« unterbrach das Mädchen mit Erstaunen.

»Oder Sie werden es in ein paar Monaten nicht mehr sein. In ein paar Monaten werden Sie eine große Person sein, der Jedermann Respekt schuldig ist. Nun wohl, Rose, es ist nicht respectvoll von einem jungen Manne meines Alters, so vertraulich mit einem Mädchen von dem Ihrigen zu sprechen, wie ich dies zu thun pflege.«

Das Kind schaute Ludovic aus eine zugleich so naive und so ausdrucksvolle Weise an, daß Ludovic genöthigt war, die Augen niederzuschlagen.

Dieser Blick bezeichnete klar: »Ich glaube in der That, Sie haben einen Grund, mich nicht mehr zu duzen; doch ist es der wahre Grund, der, den sie mir angegeben haben? Ich bezweifle es.«

Ludovic begriff vollkommen den Blick von Rose-de-Noël; er begriff ihn so gut, daß er zum zweiten Male die Augen niederschlug, sehr verlegen über die Art, wie er sich herausziehen sollte, würde Rose-de-Noël eine mehr positive Erklärung in Betreff dieser Veränderung in der Form ihrer Beziehung verlangen.

Doch sie, die ihn anschaute, während er die Augen niederschlug, fühlte etwas Unbekanntes in ihrem Herzen: es war ein Druck, jedoch ein Druck voll Weichheit und Glück.

Da geschah etwas Seltsames: Rose-de-Noël, indem sie ganz leise die Worte an ihn richtete, die sie gern ganz laut zu ihm gesprochen hätte, bemerkte, daß, während Ludovic, der sie immer geduzt, sie nicht mehr duzte, sie, die immer Sie mit der Stimme zu ihm sagte, mit dem Herzen Du zu ihm sagte: und nun war es an Rose-de-Noël, zu zittern, zu schweigen und ebenfalls zu erröthen.

Sie drückte ihren Kopf in ihr Kissen und zog über ihre Augen eine von den Gazen, in die sie sich in ihren pittoresken Toiletten zu hüllen pflegte.

Ludovic schaute ihr mit Besorgniß zu.

»Ich habe sie betrübt,« sagte er zu sich selbst, »und nun weint sie.«

Er stand sodann auf, machte sich die, von dem unschuldigen Kinde unbegriffene, allzu große Zartheit zum Vorwurfe, näherte sich dem Bette, neigte sich aus das Kopfkissen, und sagte mit seinem sanftesten Tone:

»Rose, meine liebe Rose!«

Aus diesen Ruf, der bis in die Tiefe des Herzens vom Kinde wiederklang, wandte sie sich so rasch um, daß sich ihr glühender Athem mit dem Athem von Ludovic vermengte.

Dieser wollte sich wieder erheben; doch ohne daß sich Rose-de-Noël Rechenschaft von dieser ganz instinctartigen Bewegung gab, schmiegten sich ihre Arme um den Hals von Ludovic, und während sie mit ihren Lippen leicht die glühenden Lippen des jungen. Mannes berührte, murmelte sie als Erwiederung auf die Worte: »Rose, meine liebe Rose!«

»Ludovic, mein lieber Ludovic!«

Dann gaben Beide einen Schrei von sich, Rose-de-Noël stieß den jungen Mann von sich, der junge Mann warf sich heftig rückwärts., In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre.

Es war Babolin, der zurückkehrend schrie:

»Sage Rose-de-Noël, Babylas war durchgegangen, doch die Brocante ist seiner wieder habhaft geworden, und das wird einen schönen Tanz abgeben.«

In der That, das klägliche Geschrei von Babylas, das bis zum Entresol von Rose-de-Noël emporstieg, bestätigte das bekannte Sprichwort: »Wen der Herr lieb hat, den züchtigt er.«

XXIX
Der Commandeur Triptolème von Melun, Kammerherr des Königs

An demselben Tage, ungefähr drei Viertelstunden, nachdem Herr Jackal und Gibassier sich an der Ecke der Rue de la Vieille – Estrapade verlassen hatten,– Gibassier, um Caramelle bei der Barbette zu holen, Herr Jackal, um in seinen Wagen zu steigen, war der ehrliche Herr Gérard in seinem Schlosse Vanvres beschäftigt, die Zeitungen zu lesen; da trat derselbe Kammerdiener, welcher in dem Augenblicke, wo man am Leben seines Herrn verzweifelte, einen Priester im Bas-Meudon suchte und den Bruder Dominique zurückbrachte, derselbe Kammerdiener, sagen wir, trat ein und erwiderte auf die von seinem Herrn auf die verdrießlichste Art ausgesprochenen Worte: »Warum stören Sie mich? wieder ein Bettler?« mit der majestätischsten Stimme:

»Seine Excellenz der Herr Commandeur Triptolème von Melun, Kammerherr des Königs.«

Herr Gérard wurde carmoisinroth vor Stolz, stand rasch auf, und suchte mit dem Blicke die Tiefen des Corridors zu durchdringen, um von so fern, als es ihm möglich wäre, die erhabene Person zu entdecken, die man ihm mit so viel Emphase meldete.

Im Halbschatten erschien in der That ein Mann von hoher Gestalt, schlank, mit blonden Haaren oder vielmehr mit blonder, gekräuselter Perrücke, eine kurze Hose, den Degen fast waagerecht, einen Frack à la francaise, das Spitzenjabot im Winde und eine Ordensschnalle im Knopfloche tragend.

»Lassen Sie ihn eintreten!« rief Herr Gérard,

Der Bediente verschwand, und Seine Excellenz der Commandeur Triptolème von Melun, Kammerherr des Königs, trat in den Salon ein,

»Kommen Sie, Herr Commandeur! kommen Sie!« sagte Herr Gérard.

Der Commandeur machte zwei Schritte, blieb stehen, schüttelte leicht den Kopf mit dem linken Auge blinzelnd, und offenbarte in allen seinen Bewegungen, – sogar in der Art, wie er, um Herrn Gérard besser zu sehen, seine goldene Brille aus seine Stirne emporschob, – jene erhabene Impertinenz und jene hoffärtige Miene, die das Privilegium der Edelleute von vornehmem Hause sind.

Während dieser Zeit wartete Herr Gérard, gekrümmt wie ein Fragezeichen, daß es dem Unbekannten gefiele, ihm die Ursache seines Besuches zu erklären.

Der Commandeur ließ sich herab, Herrn Gérard durch einen Wink zu bedeuten, er möge den Kopf wieder ausrichten; wonach der ehrliche Philanthrop nach einem Fauteuil stürzte, das er bis hinter den Besuch zog; dieser brauchte sich also nur zu setzen, was er that, indem er Herrn Gérard einlud, seinem Beispiele zu folgen.

Als die zwei Personen einander gegenüber saßen, zog der Commandeur, ohne ein Wort zu sagen, seine Tabaksdose aus seiner Tasche, schöpfte, vergessend, Herrn Gérard zu fragen, ob er schnupfe, eine Prise daraus und schlürfte sie wollüstig.

Alsdann senkte er seine Brille wieder aus seine Nase, schaute Herrn Gérard an und sagte:

»Mein Herr, ich komme im Auftrage Seiner Majestät.«

Herr Gérard verbeugte sich so, daß sein Kopf zwischen seinen Knieen verschwand.

»Seiner Majestät?« stammelte er.

Da sagte der Commandeur mit hartem, hoffärtigem Tone:

»Der König schickt mich, um Ihnen zum Ausgange Ihres Processes Glück zu wünschen.«

»Der König erweist mir tausend und tausendmal zu viel Ehre!« rief Herr Gérard. »Doch wie kommt es, daß der König . . . «

Und er schaute den Commandeur Triptolème von Melun mit einem Physiognomie-Ausdrucke an, in welchem man sich unmöglich täuschen konnte.

»Der König ist der Vater aller seiner Untertanen,« antwortete der Commandeur. »Er interessiert sich für Alles, was leidet, und bekannt mit den zahllosen Schmerzen, von denen Ihr Herz seit dem Verluste Ihrer beiden Neffen ergriffen war, richtet Seine Majestät durch meine Stimme ihre Glückwünsche und ihre Beileidsbezeugungen an Sie. Ich halte es für überflüssig, zu bemerken, mein Herr, daß ich den Gefühlen Seiner Majestät meine eigenen beifüge.«

»Das ist zu viel Güte, Herr Commandeur!« erwiderte bescheiden Herr Gérard, »und ich weiß nicht, ob ich ganz würdig bin . . . «

»Ob Sie würdig sind, Herr Gérard!« rief der Gouverneur. »Sie haben die Demuth, zu fragen, ob Sie würdig sind? Wahrhaftig, Sie erfüllen mich mit Erstaunen! Wie, ein Mann, der so viel gelitten hat, wie Sie, gearbeitet wie Sie, die Wohlthätigkeit geübt, wie Sie, ein Mann dessen Name mit taufend Buchstaben an den Brunnen, an das Waschhaus, an die Kirche, auf jeden Pflasterstein dieses Dorfes geschrieben ist; ein Mann, dessen allgemeiner Ruf, Liebe zum Guten, Liebe und Wohlthätigkeit gegen seines Gleichen, Größe und Uneigennützigkeit gegen die ganze Welt bezeichnet, dieser Mann fragt, ob er die Huld des Königs verdiene? Ich wiederhole Ihnen, mein Herr, ich bin erstaunt über so viel Demuth; und das ist eine Tugend mehr, die man Ihren zahllosen Tugenden beizufügen hat!«

Herr Gérard hielt es nicht mehr aus: unter den Lobeserhebungen eines im Auftrage des Königs kommenden Mannes, blies er sich allmählich auf, um am Ende zu zerbersten, hätten diese Lobeserhebungen in derselben Progression fortgefahren. Die Worte: Huld des Königs hatten in seinem Ohre geklungen wie eine köstliche Musik, und er erschaute verworren in der Zukunft glänzende Belohnungen für seine Tugenden.

 

»Herr Commandeur,« antwortete er ganz beklommen, »ich thue gegen meines Gleichen nur, was jeder gute Christ thun soll. Lehrt uns nicht die Religion uns einander dienen, uns lieben, uns gegenseitig unterstützen?«

Der Commandeur hob seine Brille bis zum obersten Theile seiner Stirne empor und schaute Herrn Gérard mit seinen kleinen Augen starr an.

»Ei!« dachte er, während er ihn anschaute, »ich wäre in der That erstaunt gewesen, hätte sich nicht eine kleine Dose Jesuitismus unter dieser Philanthropie gefunden! . . . Wir wollen den Menschen bei seiner Schwäche fassen!«

Alsdann sprach er laut:

»Mein Herr, es ist also nichts, streng die Grundsätze beobachten, die uns die heilige Religion lehrt, und Seine Majestät, die den Titel Allerchristlichster König führt, und sich mit Recht der älteste Sohn unserer heiligen Mutter der Kirche zu sein rühmt, muß sie nicht die wahren Christen auszeichnen und belohnen?«

»Belohnen!« rief Herr Gérard mit einer Hast, die er bereute, sobald dieser Infinitiv losgelassen war.

»Ja, mein Herr,« antwortete der Commandeur, auf dessen Lippen sich ein seltsames Lächeln erschloß, »belohnen . . . Der König ist auch darauf bedacht gewesen, Sie zu belohnen.«

»Aber,« unterbrach lebhaft Herr Gérard, als wollte er seinen verfrühten Eifer sühnen, »trägt nicht die Pflicht in sich ihren Lohn, Herr Commandeur?«

»Allerdings, allerdings,« antwortete der Commandeur, und ich schätze Ihre Bemerkung nach Gebühr: ja, die Pflicht trägt in sich ihren, Lohn, und das ist die Belohnung des Biedermannes vor Gott, doch die Leute belohnen, die ihre Pflicht erfüllt haben, heißt das nicht sie der öffentlichen Dankbarkeit, der allgemeinen Bewunderung, der Liebe ihrer Mitbürger bezeichnen? heißt das nicht, sie als Beispiel denjenigen geben, welche zwischen dem guten und dem schlechten Wege zögern, denjenigen, welche weder gut noch schlecht sind, kurz den Halbrechtschaffenen? Dies, mein Herr, ist der Gedanke Seiner Majestät, und weigern Sie sich nicht entschieden, die Gnadenbezeugungen anzunehmen, mit denen Sie die Huld des Königs überhäufen will, so bin ich von ihm beauftragt, mich bei Ihnen nach dem zu erkundigen, was Ihnen am angenehmsten sein dürfte.«

Herr Gérard fühlte etwas wie eine Blendung vor seinen Augen hinziehen.

»Entschuldigen Sie, mein Herr,« sagte er, seine Worte unterbrechend, »ich war so wenig auf den Besuch gefaßt, mit welchem mich zu beehren Sie die

Gewogenheit haben, sowie aus die wahrhaft väterliche Sorge, mit der mich Seine Majestät in diesem Augenblicke umgibt, daß mein Kopf in Verwirrung geräth, und ich durchaus nichts Ihnen zu sagen finde, um Ihnen meine Dankbarkeit auszudrücken.«

»Die Dankbarkeit ist ganz aus unserer Seite, Herr Gérard,« erwiderte der Commandeur, »und ich müßte mich sehr täuschen, sollte Ihnen Seine Majestät nicht mündlich den Beweis hiervon geben.«

Der Commandeur wartete geduldig, bis er seine normale Stellung wieder angenommen hatte, und sagte sodann:

»Herr Gérard, gäbe ihnen der König auf die eine oder die andere Art den Auftrag, einen Mann von Ihrem Verdienste zu belohnen, welche Art von Belohnung würden Sie ihm zuerkennen? Antworten Sie offenherzig.«

»Ich gestehe, Herr Commandeur,« erwiderte Herr Gérard, mit den Augen das Band verschlingend, welches das Knopfloch des Kammerherrn schmückte, »ich gestehe, die Wahl würde mich in große Verlegenheit bringen.«

»Handelte es sich um Sie, dann begriffe ich es . . . doch nehmen Sie an, es handle sich um einen ganz Andern, um einen redlichen Mann, wie Sie, zum Beispiel, – wenn sich Ihres Gleichen unter dem Himmelszelte finden läßt!«

Der Commandeur sprach diese Worte mit einem Ausdrucke von Ironie, der Herrn Gérard beben machte; der würdige Philanthrop befragte mit den Augen das Gesicht des Kammerherrn; doch dieses Gesicht drückte ein solches Wohlwollen aus, daß der Zweifel, herrschte einen Augenblick der Zweifel im Geiste von Herrn Gérard, vor dieser wohlwollenden Miene verschwand.

»Ah!« sagte Herr Gérard bescheiden die Augen niederschlagend, »in diesem Falle scheint mir, Herr Commandeur . . . «

»Vollenden Sie.«

»Nun wohl,« fuhr Herr Gérard fort, seine Worte sondierend, als befürchtete er mehr zu sagen, als er wollte, und besonders mehr, als ein Edelmann wie der Commandeur Triptolème von Melun hören konnte, »mir scheint . . . das . . . Kreuz . . . der . . . Ehrenlegion . . . «

»Das Kreuz der Ehrenlegion? Aber sagen Sie es doch geschwinde, Herr Gérard! . . . Was Teufels hält Sie zurück? Das Kreuz der Ehrenlegion!«

»Ei! das wäre der Gegenstand meiner glühendsten Wünsche.«

»Wissen Sie, daß ich Sie übermäßig bescheiden finde, Herr Gérard!«

»Ah! mein Herr!«

»Allerdings! was ist ein Stückchen rothes Band am Knopfloche eines Mannes von Ihrem Schlage? Nun, mein lieber Herr Gérard, Sie haben ganz einfach für einen Andern die Belohnung bezeichnet, die Seine Majestät für Sie gewählt hatte.«

»Ist es möglich?« rief Herr Gérard, dessen Gesicht sich mit Blut unterlief, als wäre er auf dem Punkte gewesen, vom Schlage gerührt zu werden,

»Ja, mein Herr,« fuhr der Commandeur fort, »Seine Majestät bietet Ihnen das Kreuz der Ehrenlegion an, und sie hat mich beauftragt, nicht nur es Ihnen zu bringen, sondern es auch selbst an Ihrem Knopfloche zu befestigen, und nie, der König ist dessen sicher, wird eine Decoration aus dem Herzen eines redlicheren Mannes geglänzt hoben.«

»Ich werde darüber vor Freude sterben, Herr Commandeur!« rief Herr Gérard.

Herr Triptolème von Melun machte die Geberde eines Menschen, der in der Seitentasche seines Rockes stört, während Herr Gérard, ganz keuchend vor Freude, Stolz und Glück, sich anschickte, niederzuknieen, um die Umarmung zu empfangen.

Doch, statt aus seiner Tasche den so oft verkündigten und so sehr ersehnten Orden zu ziehen, kreuzte der Commandeur die Arme, schaute Herrn Gérard von oben herab an und sprach:

»Bei Gott! mein Herr ehrlicher Mann, Sie müssen ein heilloser Schuft sein!«

Herr Gérard fuhr, wie man leicht begreift, aus, als ob ihn eine Schlange in die Ferse gebissen hätte.

Doch ohne sich um seine erschrockene Miene zu bekümmern, fuhr der Andere fort:

»Schauen Sie mir ins Gesicht, Herr Gérard!«

Eben so tief erbleichend, als er erröthet war, versuchte es Herr Gérard, den Befehl des Kammerherrn auszuführen: doch seine Augen senkten sich unwillkürlich nieder,

»Was wollen Sie sagen?« stammelte er.

»Ich will sagen, daß Herr Sarranti unschuldig ist: daß Sie schuldig des Verbrechens sind, für das man ihn zum Tode verurtheilt bat: daß es dem König nie eingefallen ist, Ihnen das Kreuz anzubieten: daß ich nicht der Commondant Triptolème von Melun, Kammerherr, sondern Herr Jackal, Chef der geheimen Polizei bin! – Und nun, lieber Herr Gérard, lassen Sie uns als zwei gute Freunde mit einander plaudern, und hören Sie mich mit der größten Aufmerksamkeit, denn ich habe Ihnen eine Menge der wichtigsten Dinge zu sagen!«

XXX
Wo Herr Gérard sich beruhigt

Herr Gérard stieß einen Schreckensschrei aus. Von gelb und schlaf, wie sie waren, wurden seine Backen grün und hängend. Er ließ seinen Kopf aus seine Brust fallen, und that ganz leise den Wunsch, hundert Fuß unter der Erde zu sein.

»Wir sagen also,« fuhr Herr Jackal fort, »Herr Sarranti sei unschuldig, und Sie seien der einzige Strafbare.«

»Erbarmen! Herr Jackal!« rief an allen Gliedern zitternd Herr Gérard, indem er dem Polizeimanne zu Füßen fiel.

Herr Jackal schaute ihn einen Augenblick mit dem erhabenen Ekel an, den die Polizeileute, die Gendarmen und die Nachrichter in der Regel gegen die Feigen haben.

Alsdann, ohne ihm die Hand zu reichen, – denn man hätte glauben sollen, diesen Menschen berührend, befürchte Herr Jackal, sich zu beflecken, sagte er:

»Stehen Sie auf und seien Sie ohne Furcht. Ich komme nur hierher, um Sie zu retten.«

Herr Gérard schaute mit einer scheuen Miene empor. Seine Physiognomie bot eine seltsame Mischung von Hoffnung und Angst.

»Mich retten?« rief er.

»Sie retten . . . Es setzt Sie in Erstaunen, nicht wahr?« sagte Herr Jackal, »daß man sich damit beschäftigt, einen so elenden Menschen, wie Sie, zu retten? Ich will Sie beruhigen, Herr Gérard. Man rettet Sie nur, um einen ehrlichen Mann ins Verderben zu stürzen; man bedarf nicht Ihres Lebens, sondern seines Todes, und man kann ihn nur tödten, indem man Sie leben läßt!«

»Ah!« murmelte Herr Gérard; »ja, ja, ich glaube Sie zu verstehen.«

»Dann trachten Sie danach, daß Ihre Zähne nicht klappern, was Sie am Sprechen verhindert, und erzählen Sie mir die Geschichte in ihren kleinsten Einzelheiten.«,

»Warum dies?« fragte Herr Gérard.

»Ich könnte Ihnen nicht sagen, warum, doch Sie würden zu lügen suchen. Nun wohl, um die Spuren davon verschwinden zu machen.«

»Die Spuren! . . . es sind also Spuren vorhanden?« fragte Herr Gérard, seine kleinen Augen übermäßig aussperrend.

»Ich glaube wohl, daß vorhanden sind!«

»Aber welche?«

»Gut! welche! . . . Vor Allem Ihre Nichte . . . «

»Meine Nichte? sie ist also nicht todt?«

»Nein; Madame Gérard hat sie, wie es scheint, schlecht getödtet.«

»Meine Nichte! Sie sind sicher, daß sie lebt?«

»Ich komme so eben von ihr, und ich muß Ihnen gestehen, mein lieber Herr Gérard, daß Ihr Name und besonders der Ihrer Frau eine ziemlich bedauerliche Wirkung auf sie hervorgebracht hat.«

»Sie weiß also Alles?«

»Das ist wahrscheinlich, denn sie stößt Schreie der Verzweiflung nur beim Namen, ihrer guten Tante Orsola aus.«

»Orsola?« wiederholte Herr Gérard, schauernd wie unter einem elektrischen Schlage.

»Sehen Sie,« sagte Herr Jackal, »dieser Name macht auf Sie selbst eine gewisse Wirkung. Urtheilen Sie, welche er auf das arme Kind machen muß . . . Nun wohl, wie um jeden Preis dieses Kind, das jeden Augenblick sprechen kann, schweigen muß, ebenso müssen alle für Sie kompromittierenden Indicien erlöschen. Herr Gérard, ich bin Arzt, und zwar ziemlich guter Arzt, ich pflege die Mittel zu finden, wenn ich die Temperamente der Leute kenne, mit denen ich es zu thun habe. Erzählen Sie mir also diese traurige Geschichte in ihren kleinsten Einzelheiten: der mindeste, scheinbar gleichgültige, Umstand,kann, von Ihnen vergessen, unsern ganzen Plan zerstören. Sprechen Sie daher, wie wenn Sie einen Arzt oder einen Priester vor sich hätten.«

Herr Gérard besaß, wie alle Schlammthiere, im höchsten Grade den Instinkt der Selbsterhaltung. Ein beständiger Leser aller politischen Blätter, hatte er in den royalistischen Zeitungen die auf Befehl gegen Herrn Sarranti eingerückten fulminantesten Artikel gelesen. Von da an fühlte er sich von einer unsichtbaren Hand beschützt; er kämpfte wie jene, von Minerva begünstigten Kriegehäupter, unter ihrer Aegide. Herr Jackal bestärkte ihn in diesem Glauben.

Er begriff also, daß er dem Polizeimann gegenüber, der als Verbündeter zu ihm kam, kein Interesse hatte, zu schweigen, und jedes im Gegentheile zu gestehen. Dem zu Folge schickte er sich an, Alles zu erzählen, wie er es beim Abbé Dominique gethan hatte, – eine Rede seines Bruders bis zu dem Augenblicke, wo er, die Verhaftung von Herrn Sarranti erfahrend, sein Bekenntniß von seinem Beichtiger zurückgefordert hatte.

»Ah! nun bin ich dabei!« rief Herr Jackal; »ich begreife Alles.«

»Wie!« sagte erschrocken Herr Gérard, »Sie begreifen Alles? Als Sie hierher kamen, wußten Sie also nichts?«

»Nicht viel, ich gestehe es; doch das geht seinen geraden Weg.«

Und er stützte sich mit dem Ellenbogen auf den Arm seines Fauteuils, ließ sein Kinn auf seine Hand fallen, dachte einen Augenblick nach, und sein Gesicht nahm einen gewissen Ausdruck von Melancholie an, woran dieses Gesicht entfernt nicht gewöhnt war.

»Armer Teufel von einem Abbé,« murmelte er, »ich erkläre mir, warum er bei allen Göttern schwur, sein Vater sei unschuldig; ich verstehe, was er sagen wollte, als er von einem Beweise sprach, den er nicht zeigen konnte, und ich begreife, warum er nach Rom gereist ist.«

»Wie! er ist nach Rom gereist?« rief Herr Gérard, »der Abbé Dominique ist nach Rom gereist?«

»Ei! mein Gott, ja!«

»Und was will er in Rom machen?«

»Mein lieber Herr Gérard, es gibt nur einen Menschen, der den Abbé Dominique des Geheimnisses der Beichte entbinden kann.«

»Ja, der Papst.«

»Nun wohl, er will den Papst bitten, ihn dieses Geheimnisses zu entbinden.«

 

»Ah! mein Gott!«

»Um die Zeit zu haben, diese Reise zu machen, hat er beim König um einen Aufschub nachgesucht, der ihm auch gewährt worden ist.«

»Dann bin ich aber verloren,« rief Herr Gérard.

»Warum das?«

»Der Papst wird ihm seine Bitte bewilligen.«

Herr Jackal schüttelte den Kopf.

»Nein! Sie glauben nicht?«

»Ich bin dessen sicher, Herr Gérard.«

»Sie sind dessen sicher?«

»Ich kenne Seine Heiligkeit.«

»Sie haben die Ehre, den Papst zu kennen?«

»Wie die Polizei die Ehre hat, Alles zu kennen, Herr Gérard, wie sie die Ehre hat, zu wissen, daß Herr Sarranti unschuldig ist, und daß Sie schuldig sind.«

»Nun?«

»Ja, das ist ein jovialer und hartnäckiger Mönch, dem daran liegt, seine geistliche und weltliche Gewalt seinem Nachfolger zu hinterlassen, wie er sie von seinem Vorgänger empfangen hat. Er wird einen Vorwand finden, um seine Weigerung damit zu unterstützen, doch er wird es abschlagen.«

»Ab! Herr Jackal,« rief Herr Gérard, wieder in sein erstes Zittern verfallend, »wenn Sie sich täuschten . . . «

»Ich wiederhole Ihnen, mein lieber Herr Gérard, Ihre Rettung ist für mich nothwendig. Seien Sie also ohne Furcht, und setzen Sie Ihre philantropischen Werke wie gewöhnlich fort; nur erinnern Sie sich dessen, was ich Ihnen sagen werde: es kann morgen, übermorgen, heute, in einer Stunde, diese oder jene Person kommen, die Sie will sprechen machen, welche behaupten wird, sie sei ermächtigt, dies zu thun, welche Ihnen sagen wird, wie ich gesagt habe: »»Ich weiß Alles!«« antworten Sie ihr nichts, Herr Gérard; gestehen Sie ihr nicht eine von Ihren Jugendsünden; lachen Sie ihr ins Gesicht; sie wird nichts wissen. Wir sind im Ganzen Vier, die das Verbrechen kennen: Sie, ich, Ihre Nichte, der Abbé Dominique . . . «

Herr Gérard machte eine Bewegung; der Polizeimann hielt ihn zurück.

»Niemand außer uns darf es kennen,« fügte er bei; »seien Sie also auf Ihrer Hut und lassen Sie sich nicht überrumpeln. Leugnen Sie; leugnen Sie frech; leugnen Sie auf den Tod, und wäre es gegen den Staatsanwalt; läugnen Sie unter jeder Bedingung, ich werde Sie im Nothfalle unterstützen, das ist mein Handwerk!«

Es ist unmöglich, den Ausdruck wiederzugeben, mit dem Herr Jackal diese letzten Worte sprach.

Man hätte glauben sollen, er betrüge sich, wie er Herrn Gérard betrog.

»Mein Herr,« sagte hastig Herr Gérard, »wenn ich mich aber entfernen würde . . . was denken Sie hiervon?«

»Darum wollten Sie mich vorhin unterbrechen? Ich hatte es errathen.«

»Nun?«

»Nun, Sie würden eine Dummheit begehen.«

»Wenn ich ins Ausland ginge?«

»Sie, Frankreich verlassen, undankbarer Sohn! Sie, die Heerde der Armen verlassen, die Sie in diesem Dorfe nährten, schlechter Hirte! bedenken Sie das auch ernstlich? Mein lieber Herr Gérard, die Unglücklichen dieses Fleckens bedürfen Ihrer; ich selbst kann Ihrer bedürfen: ich gedenke an einem dieser Tage, oder vielmehr in einer dieser Nächte, eine Promenade im berühmten Schlosse Viry zu machen; ich suche in diesem Falle Reisegefährten, liebenswürdige Leute wie Sie, heiter wie Sie, tugendhaft wie Sie. Nun wohl, ich beabsichtige, Sie binnen Kurzem zu dieser kleinen Promenade einzuladen; ich mache mir ein Fest daraus, denn diese Partie wird, für mich wenigstens, eine wahre Vergnügungspartie sein. Nehmen Sie an, lieber Herr.«

»Ich stehe zu Befehle,« antwortete Herr Gérard mit leiser Stimme.

»Sie sind tausendmal gut,« sagte Herr Jackal.

Und er zog seine Tabaksdose aus seiner Tasche, schöpfte eine mächtige Prise daraus, und schlürfte sie mit Wollust.

Herr Gérard glaubte, es sei Alles beendigt, und stand, die Stirne bleich, aber ein Lächeln auf den Lippen, auf.

Er schickte sich an, Herrn Jackal die Geleitehonneurs zu machen, dieser aber, als er ihn anschaute und die Absicht bemerkte, sprach, den Kopf schüttelnd:

»Ah! nein, nein, Herr Gérard; ich bin erst bei der Hälfte von dem, was ich Ihnen zu sagen habe. Setzen Sie sich nieder und hören Sie mich an, mein lieber Herr Gérard.«