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XL
Malmaison

Es kam 1815.

Man war am 6. Juli; Waterloo rauchte noch am Horizont.

Am 21. Juni, Morgens um sechs Uhr, war Napoleon nach dem Elysee zurückgekehrt; am 22. unterzeichnete er folgende Erklärung:

»Franzosen!

»Als ich den Krieg begann, um die Unabhängigkeit der Nation zu behaupten, zählte ich auf das Zusammenwirken aller Anstrengungen, aller Willenskräfte und den Beistand aller nationalen Autoritäten, Ich hatte Grund, auf glücklichen Erfolg zu hoffen, und trotzte allen Erklärungen der Mächte gegen mich. Die Umstände scheinen sich geändert zu haben: ich biete mich als Opfer dem Hasse der Feinde Frankreichs. Möchten sie aufrichtig sein in ihren Erklärungen und immer nur gegen meine Person feindlich gesinnt gewesen sein! Mein politisches Leben ist beendigt, und ich proclamire meinen Sohn, unter dem Titel Napoleon II., zum Kaiser der Franzosen, Die gegenwärtigen Minister werden provisorisch den Regierungsconseil bilden. Das Interesse, das ich für meinen Sohn hege, verbindet mich, die Kammern einzuladen, ohne Verzug die Regentschaft durch da? Gesetz zu organisieren. Vereinigt Euch Alle für das öffentliche Wohl und um eine unabhängige Nation zu bleiben.

Gegeben im Palais de l’Elysée, am 22. Juli 1815.

Napoleon.«

Vier Tage, nachdem er diese Erklärung unterzeichnet hatte, am 26. Juni erhielt Napoleon – wie man sieht, fast als Antwort auf seine Entsagung – folgenden Beschluß:

»Die Regierungs-Commission beschließt, wie folgt:

»Art. 1. Der Marine-Minister wird Befehle geben, daß zwei Fregatten vom Hafen von Rochefort ausgerüstet werden, um Napoleon Bonaparte nach den Vereinigten Staaten zu transportieren.

»Art. 2. Es wird ihm, bis zum Punkte der Einschiffung, wenn er es wünschte, eine genügende Escorte, unter den Befehlen des Generals Becker gegeben werden, die zu seiner Sicherheit bevollmächtigt ist.

»Art. 3. Der General-Director der Posten wird seinerseits alle auf den Dienst der Relais bezüglichen Befehle ertheilen.

»Art. 4. Der Marine-Minister wird Befehle erlassen, um die Rückkehr der Fregatten sogleich nach dem Ausschiffen zu sichern.

»Art. 5. Die Fregatten werden die Rhede von Rochefort nicht verlassen, ehe die verlangten Geleitsbriefe angelangt sind.

»Art. 6. Die Minister der Marine, des Krieges und der Finanzen sind, Jeder in dem, was ihn betrifft, mit dem Vollzuge gegenwärtigen Beschlusses beauftragt.

»Unterzeichnet: Herzog von Otranto, Graf Grenier, Graf Carnot, Baron Quinette, Caulincourt, Herzog von Vicenza

Kraft einer neuen Entschließung des Gouvernements, ermächtigte am andern Tage der Herzog von Otranto den Kaiser, gegen motivierte Quittung zu empfangen: einen Silberservice von zwölf Gedecken; den Porcellanservice, genannt die Hauptquartiere; sechs Services von zwölf Gedecken von Leinendamast; sechs Services von Officeleinwand; zwölf Paar Tücher von erster Wahl; zwölf Paar Servicetücher; sechs Dutzend Zimmerservietten; zwei Reisewagen; drei Sättel und Zäume eines Generaloffiziers; drei Piqueursättel und Zäume; vierhundert Bände aus der Bibliothek von Rambouillet zu nehmen; verschiedene Landkarten; endlich hunderttausend Franken für die allgemeinen Reisekosten. – Das war das letzte Trousseau des Kaisers.

An demselben Tage, gegen vier Uhr Abends, erhielt der General Graf Becker, der mit der Bewachung desjenigen, welchen man schon nicht mehr Napoleon Bonaparte nannte, beauftragt war, vom Marschall Kriegsminister, Fürsten von Eckmühl, folgenden Brief; der Letztere nannte wenigstens noch seinen ehemaligen Herrn Kaiser und Majestät; das machte ihn aber, wie man sehen wird, zu nichts verbindlich, und dann weiß man, was die Macht der Gewohnheit ist.

»Herr General!

»Ich habe die Ehre, Ihnen beifolgend einen Beschluß zu übersenden, welchen die Regierungs-Commission dem Kaiser Napoleon zu eröffnen Sie beauftragt, wobei Sie Seiner Majestät bemerken wollen, die Umstände seien so gebieterisch geworden, daß sie sich ganz nothwendig zur Abreise entschließen müsse, um sich nach der Insel Aix zu begeben.

»Dieser Beschluß ist sowohl im Interesse der Person des Kaisers als des Staates, der ihm theuer sein muß, gefaßt worden.

»Sollte der Kaiser bei der Notifikation, die Sie ihm von diesem Beschlusse machen werden, keine Entschließung fassen, so würden Sie die thätigste Überwachung üben, sowohl, daß sich Seine Majestät nicht aus Malmaison entfernen kann, als auch um jedem Versuche gegen seine Person zuvorzukommen. Sie werden sodann alle Zugänge bewachen, welche gegen Malmaison von allen Seiten münden. Ich schreibe dem Inspecteur der Gendarmerie und dem Commandanten des Platzes Paris, daß sie zu Ihrer Verfügung die Gendarmerie und die Truppen stellen, die Sie verlangen dürften.

»Ich wiederhole Ihnen, Herr General, daß dieser Beschluß ganz für das Interesse des Staats und für die persönliche Sicherheit des Kaisers gefaßt worden ist. Seine rasche Ausführung ist unerläßlich; das Schicksal Seiner Majestät und ihrer Familie hängt davon ab.

»Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, General daß alle diese Maßregeln so geheim als nur immer möglich genommen werden müssen.

»Der Marschall Kriegsminister Fürst von Eck Mühl.«

Eine Stunde nachher empfing derselbe General Becker vom Herzog von Otranto folgenden weiteren Brief, der ihm durch den Kriegsminister zugesandt wurde:

»Herr General,

»Die Commission erinnert Sie an die Instructionen, die Ihnen vor einer Stunde zugesandt worden sind. Sie müssen den Beschluß vollziehen lassen, so wie ihn die Commission gestern gefaßt hat, und wonach Napoleon auf der Rhede der Insel Aix bis zur Ankunft seiner Pässe bleiben wird.

»Es ist für das Wohl des Staates, der ihm nicht gleichgültig zu sein vermöchte, von Wichtigkeit, daß er dort bleibt, bis sein Schicksal und das seiner Familie auf eine definitive Art geregelt worden sind. Man wird alle Mittel anwenden, damit diese Unterhandlung zu seiner Zufriedenheit ausfällt.

»Die französische Ehre ist dabei betheiligt; mittlerweile aber muß man alle Vorsichtsmaßregeln für die persönliche Sicherheit von Napoleon, und damit er den ihm momentan angewiesenen Aufenthaltsort nicht verläßt, nehmen.

»Herzog von Otranto

Schon am 25. hatte der Kaiser, von der Regierungscommission aufgefordert, das Elysee verlassen und sich nach Malmaison zurückgezogen, das noch voll von der Erinnerung an Josephine.

Trotz des Briefes vom Herzog von Otranto und den dringlichen Ermahnungen der provisorischen Regierung konnte sich Napoleon nicht entschließen, abzureisen. Am 28. Juni dictirte er folgenden Brief dem Grafen Becker. – Wohlverstanden, obgleich vom Kaiser dictirt, übernahm doch der Graf Becker die Verantwortlichkeit davon. Er war an den Kriegsminister adressiert.

»Monseigneur,

»Nachdem sie vom Beschlusse der Regierung, ihre Abreise nach Rochefort betreffend, Kenntniß genommen, hat Seine Majestät der Kaiser mich beauftragt, Eurer Durchlaucht zu eröffnen, sie verzichte auf diese Reise, in Betracht daß sie, da die Communicationen nicht frei seien, keine genügende Garantie für die Sicherheit ihrer Person finde.

»An diesem Bestimmungsorte ankommend, betrachtet sich überdies der Kaiser als Gefangener, da seine Abreise von der Insel Aix der Ankunft der Pässe untergeordnet ist, die man ihm ohne Zweifel verweigern wird, um sich nach America zu begeben.

»In Folge dieser Interpretation ist der Kaiser entschlossen, seinen Spruch in Malmaison zu empfangen, und bis über sein Loos vom Herzog von Wellington, dem die Regierung diese Resignation mittheilen mag, statuiert worden ist, wird Napoleon in Malmaison bleiben, überzeugt, man werde nichts gegen ihn unternehmen, was nicht der Nation und der Regierung würdig ist.

»Graf Becker

Eine solche Antwort mußte strenge Maßregeln herbeiführen.

Im Verlaufe des Tages kam eine Depesche, man glaubte Anfangs, es handle sich um die Abreise des Kaisers, Napoleon öffnete sie und las wie folgt:

Befehl des Kriegsministers an den General Becker.

Paris den 28. Juni 1815.

»Herr General,

»Sie werden einen Theil der Garde, die sich in Rueil befindet, unter Ihre Befehle nehmen und die Brücke von Chatou in Brand stecken und völlig zerstören.

»Ich lasse gleichfalls von den Truppen, welche in Courbenoir sind, die Brücke von Bezons zerstören.

»Ich schicke einen meiner Adjutanten für diese Operation dahin.

»Ich werde auch Truppen nach Saint-Germain absenden, mittlerweile bleiben Sie jedoch auf dieser Straße.

»Der Offizier, der Ihnen diesen Brief bringt, ist beauftragt, mir selbst die Meldung über den Vollzug dieses Befehles zurückzubringen.«

Der General Becker erwartete die Entschließung des Kaisers.

Der Kaiser gab ihm mit der größten Ruhe den Brief zurück.

»Was gebietet Seine Majestät?« fragte der Graf Becker.

»Lassen Sie den Befehl, den man Ihnen gegeben, vollziehen.«

Der General Becker ließ den Befehl auf der Stelle vollziehen.

Am Abend berief man den General nach Paris: er ging um acht Uhr ab.

Napoleon wollte nicht vor der Rückkehr des Generals zu Bette gehen. Er wünschte zu wissen, was zwischen diesem und dem Kriegsminister vorgegangen war.

Um elf Uhr kam der General zurück.

Der Kaiser ließ ihn sogleich zu sich rufen.

»Nun,« fragte er ihn, sobald er ihn erblickte, »was trägt sich in Paris zu?«

 

»Seltsame Dinge, Sire, welche Eure Majestät kaum glauben wird.«

»Sie irren sich, General: seit 1814 bin ich von der Ungläubigkeit geheilt. Sagen Sie also, was Sie gesehen haben.«

»Gesehen! ja, Sire, man sollte glauben. Eure Majestät habe die Divinitationsgabe. Als ich in das Hotel des Ministers kam, begegnete ich einer Person, welche vom Fürsten wegging, und der ich Anfangs keine große Aufmerksamkeit schenkte.«

»Und wer war diese Person?« sagte Napoleon ungeduldig.

»Der Fürst war besorgt, es mir selbst mitzutheilen. »»Haben Sie den Mann erkannt, der mich so eben verläßt?«« fragte er. »»Ich habe nicht auf ihn Acht gegeben,«« antwortete ich. »»Nun, es ist Herr von Vitrolles, Agent von Ludwig XVIII.««

Napoleon konnte ein leichtes Beben nicht bewältigen.

Der General Becker fuhr fort:

»»Nun wohl, mein lieber General,«« sagte der Kriegsminister zu mir, »»es ist Herr von Vitrolles, Agent von Ludwig XVIII.; er kommt im Auftrage Seiner Majestät (Ludwig XVIII. war wieder Majestät geworden), um mir Vorschläge zu unterbreiten, die ich für das Land ganz annehmbar gefunden habe; so daß ich, wenn die meinigen gebilligt werden, morgen die Tribune besteige, um das Gemälde unserer Lage zu entwerfen, und die Notwendigkeit fühlbar zu machen, Projecte anzunehmen, die ich für die Sache der Nation, ersprießlich erachte.««

»Also,« murmelte Napoleon, »die Sache der Nation ist nun die Rückkehr der Bourbonen . . . Und Sie haben nichts hierauf geantwortet, General?«

»Doch, Sire: »»Herr Marschall,«« erwiderte ich, »»ich kann Ihnen mein Erstaunen, Sie einen Entschluß fassen zu sehen, der über das Schicksal des Reiches zu Gunsten einer zweiten Restauration bestimmen muß, nicht verbergen: hüten Sie sich, sich eine solche Verantwortlichkeit aufzubürden. Es gibt vielleicht noch Mittel, um den Feind zurückzutreiben, und die Meinung der Kammer scheint mir, nach ihrem Votum für Napoleon II., der Rückkehr der Bourbonen nicht günstig.««

»Nun,« fragte lebhaft der Kaiser, »was hat er geantwortet?«

»Nichts, Sire; er kehrte in sein Cabinet zurück und ließ mir einen neuen Befehl zum Abgange zustellen.«

Der General brachte in der That einen Befehl, in welchem gesagt war, wenn Napoleon nach vierundzwanzig Stunden abzugehen säume, stehe man nicht mehr für seine Person.

Doch der Kaiser blieb wie unempfindlich für diesen Befehl.

Er, der sich über nichts mehr wundern sollte, wunderte sich doch noch über Eines: daß die Rückkehr der Bourbonen mit Herrn von Vitrolles durch den Fürsten von Eckmühl unterhandelt wurde, der seine, Napoleons, Rückkehr negocirt hatte; durch denselben Mann, den ihm nach der Insel Elba Herr Fleury von Chaboulon geschickt hatte, um seine Aufmerksamkeit auf den Zustand der Dinge zu lenken und ihm zu sagen, Frankreich sei für ihn offen und erwarte ihn.

Und in der That, als die Kunde von der Landung kam, war der ehemalige Chef des Generalstabs von Napoleon dergestalt kompromittiert, daß er sich eine Zuflucht von Herrn Pasquier erbat, dem Oberwundarzte der Invaliden, den er beim Heere gekannt hatte, und auf dessen Ergebenheit er, wie er wußte, rechnen durste.

Napoleon täuschte sich: es gab also noch andere Dinge, die ihn in Erstaunen setzen konnten.

Er ertheilte den Befehl zu seiner Abreise für den andern Tag.

Während man aber die Anstalten zur Abreise des Kaisers traf, trug sich eine Scene zu, deren Folgen ernster werden konnten.

Einer von denjenigen, welche mit dem tiefsten Schmerze Napoleon unschlüssig, unter der Hand Gottes, Anfangs im Elysee, sodann in Malmaison hatten sich zerarbeiten sehen, war unser alter Freund Sarranti, der in diesem Augenblicke seine beharrliche Ergebenheit für den Kaiser unter Schloß und Riegel büßt und vielleicht mit seinem Leben bezahlen wird.

Seit der Rückkehr von Napoleon hatte er nicht aufgehört, seinem ehemaligen General ehrerbietigst zu bemerken, mit einem Lande wie Frankreich sei nie etwas verloren: die Marschälle seien vergeßlich, die Minister seien undankbar, der Senat sei schändlich: doch das Volk, doch die Armee bleiben treu.

Man müsse Alles fern von sich werfen, wiederholte Herr Sarranti, und bei diesem großen Zweikampfe an das Volk und das Heer appellieren.

Am 29. Juni Morgens trat nun ein Ereigniß ein, das dem herben, unbeugsamen Rathgeber vollkommen Recht zu geben schien.

Gegen sechs Uhr Morgens wurden alle Geächteten von Malmaison, – diejenigen, welche dieses Schloß bewohnten, waren schon geächtet, – alle Geächteten von Malmaison wurden durch das wüthende Geschrei: »Es lebe Napoleon! Nieder mit den Bourbonen! Nieder mit den Verräthern!« aufgeweckt.

Jeder fragte sich, was dieses Geschrei besagen wolle, das man nicht mehr gehört hatte seit dem Tage, wo unter den Fenstern des Elysee zwei Regimenter Garde-Tirailleurs, Freiwillige aus den Arbeitern des Faubourg Saint-Antoine, im Garten defilirt hatten, – mit gewaltigem Geschrei verlangend, daß sich der Kaiser an ihre Spitze stelle und sie gegen den Feind führe.

Herr Sarranti allein schien mit dem, was vorging, vertraut zu sein. Er stand ganz angekleidet in dem Zimmer, das vor dem des Kaisers kam.

Ehe dieser nur gerufen hatte, um sich zu erkundigen, was für ein Lärm dies sei, trat er ein.


Seine ersten Blicke richteten sich auf das Bett: das Bett war leer. Der Kaiser war in der an das Zimmer anstoßenden Bibliothek; am Fenster sitzend, las er Montaigne.

Als er Tritte hörte, fragte er, ohne daß er sich umwandte:

»Was gibt es?«

»Sire,« sagte eine ihm bekannte Stimme, »hören Sie?«

»Was?«

»Die Rufe: »»Es lebe der Kaiser! Nieder mit den Bourbonen! Nieder mit den Verräthern!««

Der Kaiser lächelte traurig.

»Nun und dann, mein lieber Herr Sarranti?« fragte er.

»Sire, es ist die Division Broyer, welche von der Vendee zurückkommt und vor den Gittern des Schlosses Halt gemacht hat.«

»Hernach?« sprach der Kaiser mit demselben Tone, mit derselben Ruhe oder vielmehr mit derselben Gleichgültigkeit.

»Hernach, Sire? . . . Diese Braven wollen nicht weiter gehen; sie haben erklärt, man müsse ihnen ihren Kaiser zurückgeben, oder sie werden, wenn ihre Chefs nicht ihre Dolmetscher bei Ihnen sein wollen, selbst Eure Majestät holen und Sie an ihre Spitze stellen.«

»Hernach?« fragte Napoleon.

Sarranti unterdrückte einen Seufzer; er kannte den Kaiser: das war nicht Gleichgültigkeit, das war Entmuthigung.

»Sire,« erwiderte Sarranti, »der General Broyer ist da und bittet um Erlaubnis, eintreten zu dürfen, um Eurer Majestät den Wunsch Ihrer Soldaten zu, Füßen zu legen.«

»Er trete ein!« erwiderte der Kaiser, während er aufstand und sein Buch offen auf das Fenster legte wie ein Mensch, der eine Lectüre, die ihn interessiert, nur unterbricht.

Der General Broyer trat ein.

»Sire,« sagte er, indem er sich ehrfurchtsvoll vor Napoleon verbeugte, »meine Division und ich, wir kommen, um uns Eurer Majestät zu Befehlen zu stellen.«

»Sie kommen zu spät, General!«

»Das ist nicht unsere Schuld, Sire’, in der Hoffnung, rechtzeitig anzukommen, um Paris zu vertheidigen, haben wir zehn, zwölf und sogar fünfzehn Meilen im Tage gemacht.«

»General,« sprach Napoleon, »ich habe abgedankt.«

»Als Kaiser, Sire: nicht als General.«

Ein Blitz zuckte in den Augen von Napoleon.

»Ich habe ihnen meinen Degen angeboten, und sie haben ihn ausgeschlagen,« sagte er.

»Sie haben ihn ausgeschlagen . . . Wer dies, Sire? Entschuldigen Sie mich, wenn ich Eure Majestät frage.«

»Lucian, mein Bruder.«

»Sire, der Prinz Lucian, Ihr Bruder, hat nicht vergessen, daß er am 1. Brumaire Präsident des Rathes der Fünfhundert war.«

»Sire,« sprach beharrlich Herr Sarranti, »merken Sie wohl auf, die Stimme dieser zehntausend Mann, welche unter Ihren Fenstern stehen und rufen: »»Es lebe der Kaiser!«« das ist des Volkes Stimme, es ist die letzte Anstrengung Frankreichs; es ist mehr, es ist die letzte Gunst des Glückes . . . Sire, im Namen Frankreichs, im Namen Ihres Ruhmes . . . «

»Frankreich ist undankbar,« murmelte Napoleon.

»Keine Blasphemie, Sire! eine Mutter ist nie undankbar.«

»Mein Sohn ist in Wien!«

»Eure Majestät weiß den Weg dahin.«

»Mein Ruhm ist gestorben auf den Ebenen von Waterloo.«

»Sire, erinnern Sie sich dessen, was Sie in Italien im Jahre 1796 sagten: »»Die Republik ist wie die Sonne; ein Blinder oder ein Narr, der ihre Helle leugnen würde!««

»Sire, bedenken Sie, daß ich hier zehntausend Mann frischer, begeisterter Truppen habe, welche noch nicht gefochten,« fügte der General Broyer bei.

Der Kaiser blieb einen Augenblick nachdenkend und sagte dann:

»Lassen Sie meinen Bruder Jerome rufen.«

Einen Augenblick nachher trat der Jüngste der Brüder des Kaisers ein, der Einzige, der ihm treu geblieben war, der, von der Liste der Souverains gestrichen, als Soldat gestritten hatte, – noch bleich von zwei Wunden, die er, die eine bei Quatre-Baas, die andere beim Pachthofe von Hougoumont erhalten, und von den Strapazen, die er, den Rückzug des Heeres unterstützend, ausgestanden.

Der Kaiser reichte ihm die Hand: dann sagte er ungestüm und ohne Eingang:

»Jerome, was hast Du in die Hände des Marschalls Soult übergeben?«

»Das erste, zweite und sechste Corps, Sire.«

»Reorganisiert?«

»Vollständig.«

»Wie viel Mann?«

»Achtunddreißig bis vierzig tausend Mann.«

»Und Sie sagen, General? . . . « fuhr der Kaiser sich an Broyer wendend fort.

»Zehntausend Mann.«

»Und zweiundvierzigtausend in die Hände des Marschalls Grouchy: zweiundvierzigtausend Mann frische Truppen,« fügte Jerome bei.

»Versucher!« murmelte Napoleon.

»Sire! Sire!« rief Sarranti, die Hände faltend, »Sie sind auf dem Wege Ihres Heiles. Vorwärts! vorwärts!«

»Es ist gut, ich danke Dir, Jerome: entferne Dich nicht, ich werde Deiner vielleicht bedürfen. – General, erwarten Sie meine Befehle in Rueil. – Du, Sarranti, setze Dich an den Tisch und schreibe.«

Der Exkönig und der General gingen, sich verbeugend, ab, Beide das Herz voller Hoffnung.

Herr Sarranti blieb allein beim Kaiser.

Er saß schon mit der Feder in der Hand und wartete.

»Schreib!« sagte Napoleon.

Sodann, zerstreut:

»An die Regierungscommission.«

»Sire,« rief Sarranti, indem er die Feder von sich warf, »an diese Leute schreibe ich nicht.«

»Wie, Du schreibst nicht an diese Leute?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Weil alle diese Leute persönliche Feinde Eurer Majestät sind.«

»Sie haben Alles von mir.«

»Ein Grund mehr, Sire; es gibt Wohlthaten, welche so groß, daß man sie nur mit Undank lohnen kann.«

»Schreib, sage ich Dir.«

Herr Sarranti stand auf, verbeugte sich, und legte die Feder, die er wieder aufgehoben, auf den Tisch.

»Nun?« fragte der Kaiser.

»Sire, wir sind nicht mehr in den Zeiten, wo sich die Besiegten durch einen Sklaven tödten ließen; an die Regierungscommission schreiben heißt Sie so sicher tödten, als ob ich Ihnen ein Messer in die Brust stieße.«

Sodann, da der Kaiser nicht antwortete, sagte Sarranti:

»Sire! Sire! man muß das Schwert ergreifen und nicht die Feder; man muß an die Nation appellieren, und nicht an Menschen, die, ich wiederhole es, Ihre Feinde sind: sie mögen erfahren, daß Sie die Feinde in dem Augenblicke schlagen, wo sie Eure Majestät aus der Straße nach Rochefort glauben werden.«

Der Kaiser kannte seinen Landsmann, er wußte, nichts würde ihn sich beugen machen, nicht einmal ein Befehl von ihm.

»Es ist gut,« sagte er, »schicken Sie mir den General Becker.«

Sarranti ging ab: der General Becker trat ein.

»General,« sprach Napoleon, »ich theile Ihnen mit, daß ich meine Abreise um einige Stunden verschoben habe, um Sie nach Paris zu schicken, wo Sie der Regierung neue Vorschläge vorlegen sollen.«

»Neue Vorschläge, Sire?« fragte der General erstaunt.

»Ja,« erwiderte der Kaiser, »ich verlange das Commando des Heeres im Namen von Napoleon II. wieder zu übernehmen.«

»Sire, darf ich Ihnen ehrerbietigst bemerken, daß eine solche Botschaft besser von einem Offizier des kaiserlichen Hauses vollzogen würde, als von einem Mitgliede der Kammer und einem Commissär der Regierung, dessen Instructionen sich aus die Begleitung Eurer Majestät beschränken.«

»General,« erwiderte der Kaiser, »ich hege alles Vertrauen zu Ihrer Redlichkeit, und darum beauftrage ich Sie mit dieser Sendung, im Vorzuge vor jedem Andern.«

»Sire, da meine Ergebenheit Eurer Majestät nützlich sein kann,« antwortete der General, »so zögere ich nicht, ihr zu gehorchen; doch ich wünschte geschriebene Instructionen zu haben.«

 

»Setzen Sie sich hierher, General, und schreiben Sie.«

Der Kaiser dictirte und der General Becker schrieb:

An die Regierungscommission.

»Meine Herren.

»Die Lage Frankreichs, die Wünsche der Patrioten und endlich der Ruf der Soldaten fordern meine Gegenwart, um Frankreich zu retten. Nicht mehr als Kaiser verlange ich das Commando, sondern als General.

»Achtzigtausend Mann sammeln sich unter Paris: das sind dreißigtausend mehr, als ich je unter der Hand gehabt habe beim Feldzuge von 1814, und dennoch habe ich damals gegen die drei großen Heere von Rußland, Oesterreich und Preußen gestritten, und Frankreich wäre siegreich aus dem Kampfe hervorgegangen ohne die Capitulation von Paris; es sind endlich fünfundvierzigtausend Mann mehr, als ich hatte, da ich die Alpen überstieg und Italien eroberte.

»Ich verpfände mein Soldatenwort, daß ich, nachdem ich den Feind zurückgeschlagen, mich nach den Vereinigten Staaten begebe, um mein Geschick in Erfüllung gehen zu lassen.

»Napoleon.«

Der General Becker versuchte nicht die geringste Bemerkung mehr: als Soldat sah er ein, daß Alles dies möglich war.

Er ging ab.

Napoleon wartete mit Bangigkeit: es war vielleicht das erste Mal, daß seine Gesichtsmuskeln die Erregung seiner Seele verriethen.

Mit der Thätigkeit seines ungeheuren Genies hatte er Alles wieder hergestellt, Alles wieder ausgebaut: er dictirte einen, wenn nicht ruhmwürdigen, doch wenigstens ehrenhaften Frieden: er verließ Frankreich nicht als Flüchtling, sondern als ein Retter.

Zwei Stunden lang liebkoste er diesen strahlenden Traum.

Sein Auge leuchtete in die Allee, durch welche der General zurückkommen mußte: sein Ohr horchte aus jedes Geräusch. Von Zeit zu Zeit verweilte sein Blick mit Wohlgefallen aus seinem Degen, der quer aus den Armen eines Lehnstuhles lag: er begriff endlich, daß dies sein wahres Scepter war.

Alles ließ sich also noch gut machen, die Ankunft von Blücher, die Abwesenheit von Grouchy der große Traum von 1814 von einer Schlacht, welche unter den Mauern von Paris die feindliche Armee vernichten werde, dieser große Traum konnte sich verwirklichen. Ohne Zweifel würden es diese Männer, an die er sich wandte, verstehen wie er: wie er würden sie in eine Seite der Wagschale die Ehre Frankreichs, in die andere seine Erniedrigung werfen, und sie würden nicht zögern.

Etwas wie ein Blitz zuckte vor den Augen des geblendeten Kaisers hin: das war der Reflex der Sonne in den Scheiben eines Wagens.

Der Wagen hielt an: ein Mann stieg aus: es war der General Becker.

Napoleon strich mit einer Hand über seine Stirne, drückte die andere aus seine Brust. Mußte er nicht wieder von Marmor werden?

Der General trat ein.

»Nun?« fragte lebhaft der Kaiser.

Der General Becker verbeugte sich, ohne zu antworten und überreichte ihm ein Papier.

»Nun?« wiederholte der Kaiser, der das Papier mit einer maschinenmäßigen Miene nahm.

»Sire,« erwiderte der General Becker, »indem ich mich Eurer Majestät mit der Betrübniß nähere, die sie aus meinem Gesichte lesen kann, glaube ich ihr genug fühlbar zu machen, daß mir meine Mission nicht geglückt ist.«

Der Kaiser entfaltete langsam das Papier und las:

»Die provisorische Regierung kann die Vorschläge nicht annehmen, die ihr der General Bonaparte macht, und hat ihm nur noch einen Rath zu geben: den, ohne Verzug abzureisen, in Betracht, daß die Preußen gegen Versailles marschieren.

»Herzog von Otranto.«

Der Kaiser las diese Zeilen, ohne daß eine einzige Fiber seines Gesichtes die Erregung seines Innern verrieth: dann sprach er mit vollkommen ruhiger Stimme:

»Geben Sie Befehle für diese Abreise, General, und wenn sie vollzogen sind, melden Sie es mir.«

An demselben Tage, und als es fünf Uhr Nachmittags schlug, verließ der Kaiser Malmaison.

Am Fußtritte seines Wagens fand er Sarranti wieder, der ihm als Stütze den Arm bot, welcher sich einbog.

»Ah!« fragte Napoleon, indem er die Hand aus diesen Arm legte, »hat man den General Brayer benachrichtigt, er könnte seinen Marsch nach Paris fortsetzen?«

»Nein, Sire,« erwiderte Sarranti, »und es ist noch Zeit . . . «

Napoleon schüttelte den Kopf.

»Ah! Sire,« murmelte der Corse, »Sie haben kein Vertrauen mehr zu Frankreich.«

»Doch,« erwiderte Napoleon, »aber ich habe kein Vertrauen mehr zu meinem Genie.«

Und er stieg in den Wagen, dessen Schlag sich hinter ihm schloß.

Die Pferde gingen im Galopp ab.

Es handelte sich darum, in Versailles vor den Preußen anzukommen.