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XLI
Rochefort

Am 3. Juli, an demselben Tage, wo der Feind in Paris einzog, traf der Kaiser in Rochefort ein. Aus der ganzen Reise war Napoleon traurig, aber ruhig. Er sprach wenig: die paar Worte, die ihm entschlüpften, bezeichneten die Richtung seines Gedankens: wie die Magnetnadel beharrlich den Norden sucht, so wandte sich dieser Gedanke hartnäckig immer Frankreich zu: doch von seiner Frau, von seinem Sohne kein Wort.

Nur, da er von Zeit zu Zeit eine Prise aus der Tabaksdose des Generals Becker nahm, bemerkte er, daß diese Dose mit dem Porträt von Marie Louise geschmückt war, er glaubte sich zu täuschen und bückte sich.

Der General begriff, und reichte die Dose dem Kaiser.

Dieser nahm sie, schaute sie einen Augenblick an, und gab sie zurück, ohne ein Wort vernehmen zu lassen.

Napoleon stieg in der Marinepräfectur ab. Eine letzte Hoffnung, – wir sagen mehr, – eine letzte Ueberzeugung blieb ihm: er werde von der provisorischen Regierung zurückgerufen werden.

Einige Stunden, nachdem er sein Quartier in der Marinepräfectur genommen hatte, kam ein Courier an und brachte einen Brief von der Regierungs-Commission: er war an den General Becker adressiert.

Der Kaiser warf einen raschen Blick aus das Siegel, erkannte es und schien mit Ungeduld daraus zu warten, daß der General diesen Brief öffne. Der General begriff die Ungeduld des Kaisers und öffnete ihn.

Mittlerweile wechselte Napoleon einen Blick mit Herrn Sarranti, der den Courier eingeführt hatte. Im Blicke des Corsen standen sichtbar die Worte geschrieben: »Ich muß Sie nothwendig sprechen,« doch der Geist Napoleons war anderswo. Obgleich er im Blicke seines Landsmannes gelesen hatte, wandte sich doch sein Geist der Depesche zu.

Der General hatte schon Zeit gehabt, ihn zu lesen, und da er das Verlangen des Kaisers, ihn ebenfalls zu lesen wahrnahm, so reichte er ihm denselben stillschweigend.

Man wird beurtheilen, ob er geeignet war, die Hoffnungen von demjenigen zu bestätigen, der, schon geächtet, Gefangener sein sollte.

Es folgt hier der Text dieser Depesche.

»Herr General Becker!

»Die Regierungscommission hat Ihnen Instructionen in Betreff der Abreise aus Frankreich von Napoleon Bonaparte gegeben.

»Ich zweifle nicht an Ihrem Eifer, den Erfolg Ihres Auftrags zu sichern; in der Absicht, Sie dabei, so viel als von mir abhängt, zu erleichtern, befehle ich den in la Rochelle und Rochefort kommandierenden Generalen, Ihnen bewaffneten Beistand zu gewähren und mit ihren Mitteln die Maßregeln zu unterstützen, die Sie zu Vollführung der Befehle der Regierung zu ergreifen für geeignet erachten werden.

»Empfangen Sie u.s.w. »Für den Kriegsminister. »Der Staatsrath Generalsecretär.

»Baron Marchand.«

Also, falls Napoleon zögern sollte, dem Befehle, der ihn aus Frankreich jagte, zu gehorchen, hatte der General Becker fortan das Mittel, ihn beim Kragen zu packen, und ihn mit Gewalt gehen zu machen.

Napoleon ließ seinen Kopf aus seine Brust sinken.

Es vergingen einige Minuten: er schien in eine tiefe Träumerei versunken.

Als er das Haupt wieder erhob, war der General Becker weggegangen, um der Commission zu antworten. Nur Sarranti stand vor ihm.

»Nun, was willst Du noch von mir?« fragte ihn der Kaiser mit einer Bewegung der Ungeduld.

»In Malmaison wollte ich Frankreich retten, Sire: hier will ich Sie retten.«

Der Kaiser zuckte die Achseln: er schien völlig unter seinem Geschicke gebeugt zu sein: dieser letzte Brief hatte seine letzten Hoffnungen gebrochen.

»Mich retten?« erwiderte er. »Wir werden hiervon in den Vereinigten Staaten sprechen.«

»Ja, doch da Sie nie nach den Vereinigten Staaten kommen werden, Sire, so lassen Sie uns hier davon sprechen, wenn Sie rechtzeitig sprechen wollen.«

»Wie, ich werde nie nach den Vereinigten Staaten kommen? Was wird mich davon abhalten?«

»Das englische Geschwader, das in zwei Stunden den Hafen von Rochefort blockieren wird.«

»Wer hat Dir diese Nachricht gegeben?«

»Der Capitän einer Brigg, der so eben in Rhede zurückgekehrt ist.«

»Kann ich diesen Capitän sprechen?«

»Er wartet, daß ihm Eure Majestät die Ehre erweise, ihn zu empfangen.«

»Und wo wartet er?«

»Dort, Sire,« erwiderte Sarranti.

Und er deutete aus die Thüre seines Zimmers.

»Er trete ein,« sprach der Kaiser.

»Wünscht Eure Majestät nicht zuvor lange und ruhig mit ihm zu reden?«

»Bin ich nicht schon Gefangener?« fragte Napoleon mit Bitterkeit.

»Nach der Nachricht, die Ihnen mitgeteilt worden ist, wird es Niemand erstaunlich finden, daß Eure Majestät sich eingeschlossen hat.«

»Schiebe den Riegel vor und laß Deinen Capitän eintreten.«

Sarranti gehorchte.

Sobald die Thüre mit dem Riegel geschlossen, führte er denjenigen ein, dessen Besuch er gemeldet hatte.

Es war ein Mann von sechsundvierzig bis achtundvierzig Jahren, als einfacher Seemann gekleidet, er trug keine der Insignien des Grades, unter welchem er angekündigt worden war.

»Nun,« fragte der Kaiser Sarranti, der sich wegzugehen anschickte, »wo ist denn Dein Capitän?«

»Ich bin es, Sire,« antwortete derjenige, welcher so eben eingetreten war.

»Warum tragen Sie nicht die Uniform der Marineoffiziere?«

»Weil ich kein Offizier von der Marine bin, Sire.«

»Was sind Sie denn?«

»Ich bin ein Corsar.«

Napoleon warf aus diesen Mann einen Blick, der nicht von einer gewissen Verachtung frei war: als er aber aus sein Gesicht kam, verweilte dieser Blick glänzend und starr daraus.

»Ah! ah!« sagte er, »es ist nicht das erste Mal, daß ich Sie sehe.«

»Nein, Sire, das dritte Mal.«

»Das erste Mal . . . ?«

Der Kaiser suchte einen Augenblick in seinem Gedächtniß.

»Das erste Mal . . . « erwiderte der Seemann, um das abnehmende Gedächtniß des großen Mannes zu unterstützen.

»Nein, lassen Sie mich suchen,« unterbrach Napoleon; »Sie gehören zu meinen guten Erinnerungen, und ich liebe es, mich mit meinen alten Freunden zusammenzufinden. Das erste Mal, als ich Sie sah, war es im Jahre 1800; ich wollte Sie zum Schiffs-Capitän machen, Sie schlugen es aus!«

»Das ist wahr, Sire, ich habe immer meine Freiheit Allem vorgezogen.«

»Das zweite Mal war es bei meiner Rückkehr von der Insel Elba; ich hatte einen Ausruf an den Patriotismus Frankreichs ergehen lassen: Sie kamen und boten mir drei Millionen an, ich nahm sie an.«

»Das heißt, gegen Geld, von dem ich nicht wußte, was ich damit thun sollte, gaben Sie mir Canal-Actien und Anweisungen auf Holzschläge.«

»Nun sehe ich Sie zum dritten Male wieder, und, wie immer, in einem äußersten Augenblicke. Was wollen Sie diesmal von mir, Capitän Pierre Herbel.«

Der Capitän bebte vor Freude; der Kaiser erinnerte sich aller Umstände, erinnerte sich sogar seines Namens.

»Was ich will? Ich will es versuchen, Sie zu retten.«

»Vor Allem sagen Sie mir, welche Gefahr mich bedroht.«

»Die, von den Engländern gefangen genommen zu werden.«

»Was mir Sarranti sagte, ist also wahr? der Hafen von Rochefort ist blockiert?«

»Noch nicht, Sire; doch in einer Stunde wird er es sein.«

Der Kaiser blieb einen Moment nachdenkend. »Jeden Augenblick erwarte ich Geleitsbriefe,« sagte er.

Herbel schüttelte den Kopf.

»Sie glauben nicht, daß ich sie bekomme?«

»Nein, Sire.«

»Was ist denn, nach Ihrer Meinung, die Absicht der verbündeten Souverains.«

»Die, Sie zum Gefangenen zu machen, Sire.«

»Ich habe sie aber auch in meiner Hand gehalten, und ich habe sie wieder freigelassen und ihnen ihre Throne zurückgegeben.«

»Sie haben vielleicht Unrecht gehabt, Sire.«

»Und kommen Sie nur, um mich von der Gefahr zu unterrichten?«

»Ich komme, um mein Leben zur Verfügung Eurer Majestät zu stellen, wenn ihr mein Leben nützen kann.«

Der Kaiser schaute diesen Mann an, der sich mit so viel Einfachheit ausdrückte, daß man nicht bezweifeln konnte, er sei bereit zu thun, was er versprach.

»Ich hielt Sie für einen Republikaner,« sagte Napoleon.

»Ich bin es in der That, Sire.«

»Warum sehen Sie denn nicht in mir einen Feind?«

»Weil ich vor Allem Patriot bin. Ah! ja, ich bedaure, und zwar aus tiefstem Herzen, daß Sie nicht, wie Washington, der Nation das Depot ihrer Freiheiten unversehrt zurückgegeben; haben Sie aber Frankreich nicht frei gemacht, so haben Sie es wenigstens groß gemacht, darum sage ich Ihnen: »»Glücklich und auf dem Gipfel des Ruhmes hätten Sie mich nicht wiedergesehen, Sire.««

»Ja, und nun, da ich unglücklich bin, und den Gipfel des Mißgeschickes erreicht habe, kommen Sie, nachdem Sie mir Ihr Vermögen angeboten, um mir Ihr Leben anzubieten. Geben Sie mir die Hand, Capitän Herbel; ich habe Ihnen nur noch meinen Dank für Ihre Ergebenheit auszusprechen.«

»Nehmen Sie dieselbe an, Sire?«

»Ja; doch was wollen Sie mir anbieten?«

»Drei Dinge, Sire. Wollen Sie nach Paris marschieren? Das Vendee-Heer unter den Befehlen des Generals Lamarque, die Gironde – Armee unter den Befehlen des Generals Clausel sind zu Ihrer Verfügung. Nichts kann leichter sein, als die provisorische Regierung als Verräther zu decretiren und gegen sie an der Spitze von fünfundzwanzig taufend Soldaten und hunderttausend fanatisierten Bauern zu marschieren.«

»Das wäre eine zweite Rückkehr von der Insel Elba, und ich will nicht wieder anfangen. Und dann bin ich müde, mein Herr; und wünsche auszuruhen und zu sehen, was, wenn ich nicht mehr da bin, die Welt an meinen Platz stellen wird. Gehen wir zu dem zweiten über, was Sie mir angeboten haben.«

»Sire, ein Mann, für den ich stehe, wie für mich selbst, Pierre Berthaud, mein Second, hat eine Corvette an der Mündung der Seudre; Sie steigen zu Pferde, Sie reiten durch die Salzsümpfe, Sie werfen sich in eine Feluke, Sie fahren durch die Passe de Maumasson hinaus, Sie vermeiden die Engländer, und Sie treffen in See mit dem amerikanischen Schiffe der Adler zusammen. Sie sehen, der Name ist ein gutes Vorzeichen.«

 

»Das heißt fliehen, mein Herr, fliehen wie ein Schuldiger, der entweicht, und nicht aus Frankreich weggehen wie ein Kaiser, der vom Throne steigt! . . . Ihr drittes Mittel?«

»Das dritte ist das gewagteste, doch ich stehe dafür.«

»Lassen Sie hören.«

»Zwei französische Fregatten, der Saul und die Medusa, welche unter der Protection der Batterien der Insel Aix vor Anker liegen, sind von der französischen Regierung Eurer Majestät zur Verfügung gestellt?«

»Ja, doch wenn der Hafen blockirt ist?«

»Wollen Sie, Sire . . . Ich kenne die zwei Commandanten dieser zwei Fregatten, zwei der bravsten Offiziere: der Capitän Philibert und der Capitän Bonet.«

»Nun?«

»Wählen Sie dasjenige von den beiden Schiffen, das Sie besteigen wollen. Die Medusa, zum Beispiel, ist die beste Schnellseglerin. Die Blockade besteht aus zwei Schiffen, dem Bellerophon von vierundsechzig, und dem Superbe, von achtzig Kanonen. Ich werde mich an den Bellerophon mit meiner Brigg anhängen: der Capitän Philibert wird sich an den Superbe mit dem Saul anhängen: sie brauchen wohl eine Stunde, bis sie uns in den Grund gebohrt haben! Während dieser Zeit passieren Sie mit der Medusa, und diesmal nicht wie ein Flüchtling, sondern wie ein Sieger unter einem Triumphbogen von Flammen.«

»Und ich werde mir den Verlust von zwei Schiffen und zwei Equipagen zum Vorwurfe zu machen haben, mein Herr! Nie!«

Der Capitän Herbei schaute Napoleon mit Erstaunen an.

»Und die Beresina, Sire! und Leipzig, Sire! und Waterloo, Sire!«

»Das war für Frankreich: und für Frankreich hatte ich das Recht, das Blut der Franzosen zu vergießen. Diesmal wäre es für mich, und zwar für mich allein.«

Napoleon schüttelte den Kopf.

Alsdann wiederholte er noch fester als das erste Mal das Wort:

»Nie!«

Am 13. Mai schrieb er an den Prinz-Regenten den bekannten Brief, der so unselig geschichtlich geworden ist:

»Königliche Hoheit!

»Den Factionen, welche mein Land Heilen, und der Feindschaft der Großmächte Europas preisgegeben , habe ich meine politische Laufbahn vollbracht, und ich will mich, wie Themistokles, an den Herd des britischen Volkes setzen. Ich stelle mich unter den Schutz seiner Gesetze, welche ich von Eurer Hoheit reclamire, als den des mächtigsten, des beharrlichsten und des edelmüthigsten von meinen Feinden.

»Napoleon.«

Am anderen Tage, den 15. Juli, begab sich Napoleon an Bord des Bellerophon.

Am 15. October landete er in St. Helena.

Als er den Fuß aus die verfluchte Insel setzte, stützte er sich aus den Arm von Herrn Sarranti, und er flüsterte ihm ins Ohr:

»Oh! daß ich den Vorschlag des Capitäns Herbei nicht angenommen habe!«

XLII
Die Vision

Der Rest der Geschichte des Capitäns Herbel ist leicht zu begreifen und kurz zu erzählen.

Wie Alles, was an der Rückkehr von 1815 Theil genommen hatte, wurde Pierre Herbel verfolgt.

Erschoß man ihn nicht wie Ney und Labedoyère, so war dies so, weil er den Bourbonen keinen Eid geleistet hatte, und weil man wahrhaftig nicht gewußt hatte, worauf man den Proceß hätte gründen sollen. Doch die Canalactien, die ihm der Kaiser gegen sein Haares Geld gegeben, verloren ihren ganzen Werth; die Anweisungen auf Holzschläge wurden nicht anerkannt; die Schöne Therese wurde als Schmugglerschiff in Beschlag genommen und confiscirt; der Banquier endlich, bei dem der Rest vom Vermögen des Capitäns war, fand sich, da er sich durch die politischen Ereignisse zu Grunde gerichtet sah, genöthigt, seine Bilanz niederzulegen, und gab zehn Procent.

Von seinem ganzen ungeheuren Vermögen vermochte Pierre Herbel nur etwa fünfzigtausend Franken und einen kleinen Pachthof zu retten.

Pierre Berthaud war glücklicher oder vielmehr geschickter gewesen als er: von der Reaktion von 1814 unterrichtet, hatte er die von 1813 nicht, erwarten wollen; er ging mit seiner Corvette, auf der er zusammengebracht hatte, was er besaß, fort.

Was war aber aus ihm und seiner Mannschaft geworden? Niemand wußte es, und man erfuhr nichts von ihm. Man nahm an, das Schiff sei bei einem Sturme mit Mann und Maus untergegangen, und da am Ende, wenn sich dies so zugetragen, Pierre Berthaud den Tod eines Seemanns gestorben war, so hatte Therese für ihn gebetet, Pierre Herbel Messen für ihn lesen lassen, und der Eine und der Andere von ihm hatte zu seinem Täufling als von einem Goldherzen, und von einem zweiten Vater für ihn, wenn er je wiederkäme, gesprochen, dann hatten, wie der einen Augenblick durch den Gießbach, der sich darein wirst, oder durch die Lawine, die darein fällt, beunruhigte Fluß, die Dinge des Lebens wieder ihren Laus genommen, und nach drei Jahren, wenn man von Pierre Berthaud sprach, sagte Herbei mit einem Seufzer: »Armer Pierre!« Therese wischte eine Thräne ab und murmelte ein Gebet, und das Kind fragte: »Das war mein Pathe, nicht wahr, Papa? Ich liebe meinen Pathen sehr!«

Und Alles war abgethan.

Überdies hatte Pierre Herbel als Philosoph seinen persönlichen Ruin ertragen. Auf die Quote des väterlichen Vermögens beschränkt, hätte er nicht mehr gehabt, als er hatte, wenn er eben so viel gehabt hätte.

Bei der Rückkehr seines Bruders nach Frankreich machte er diesem den Vorschlag, seinen Pachthof zu verkaufen und den Rest seines Vermögens mit ihm zu theilen.

Der General Herbel schlug es aus, indem er seinen Bruder als Piraten behandelte. Sodann bekam er seinerseits einen ungeheuren Antheil an der den Emigranten bewilligten Entschädigungsmilliarde, bot Pierre keine Theilung mit ihm an, – Pierre würde das nicht getheilt haben, selbst wenn er es ihm angeboten hätte, – und jeder Bruder fuhr fort, den andern auf seine Weise zu lieben, das heißt der Capitän von ganzem Herzen, der General mit einem Theile seines Geistes.

Was den Knaben betrifft, so weiß man schon ungefähr, wie er erzogen wurde.

Er wuchs heran.

Man schickte ihn nach Paris: er wurde in einem der besten Colléges der Hauptstadt untergebracht. Der Vater und die Mutter, welche alle Tage von ihrem kleinen Vermögen nahmen, um den Sohn zu erziehen, verließen St. Malo aus Sparsamkeit und lebten auf ihrem Pachthose mit zwölf bis vierzehnhundert Franken Einkommen: die Erziehung von Petrus verschlang das Uebrige.

Im Jahre 1820 eröffnete der Capitän Herbel,– der damals erst fünfzig Jahre alt war und vor Langeweile, das Gras um seinen Pachthof wachsen zu sehen, starb, – der Capitän Herbel eröffnete eines Tags seiner Frau, ein Rheder von Havre habe ihm Vorschläge in Betreff einer Reise nach West-Indien gemacht.

Er war entschlossen abzugehen und an dem Unternehmen Theil zu nehmen, um es zu versuchen, das Vermögen von Pierre zu verdoppeln.

Der Antheil, den der Capitän nahm, betrug dreißigtausend Franken.

Doch die Tage des Glückes waren vorüber! Von einem ungeheuren Sturme im Golf von Mexico überfallen, wurde sein Dreimaster aus die Alacranas geworfen, – Felsbänke, welche noch viel erschrecklicher als die Scylla des Alterthums, – das Schiff versank, der Capitän und die besten Schwimmer der Mannschaft erreichten die Korallenspitzen, welche aus dem Wasser hervorragten, klammerten sich daran an und wurden nach Verlauf von drei Tagen, sterbend vor Hunger und gelähmt vor Müdigkeit, von einem spanischen Schiffe aufgenommen.

Herbel hatte nur noch nach Hause zurückzukehren; der spanische Capitän, der nach der Havannah segelte, brachte ihn auch nach diesem Hafen, wo er ihn an Bord eines zur Rückkehr nach Frankreich segelfertigen Schisses gab.

Unser alter Corsar kam in der That zurück, jedoch so traurig, den Kopf so gebeugt, daß Niemand glauben konnte, der Schiffbruch seines Dreimasters schlage dergestalt einen Mann danieder, der alle Wechselfälle des Glücks und des Unglücks erschöpft hatte.

Nein, das war es nicht, und was es war, das wagte er nicht zu sagen.

Während der letzten Nacht, die er an diesen Felsen angeklammert, die Kräfte gelähmt, den Magen leer, den Kopf verwirrt durch das gräßliche Tosen der See, die sich um ihn her an den Riffen brach, zubrachte, hatte Herbel das, was ein ungläubiger Geist das Delirium, ein gläubiger Geist eine Vision genannt haben würde.

Gegen Mitternacht, – der Capitän wußte besser als irgend Jemand aus der großen Uhr zu lesen, die man den Himmel nennt, – gegen Mitternacht verschleierte sich der Mond, und die Atmosphäre war folglich verdunkelt: da schien es dem alten Seemanne, es ziehe ein Geräusch über seinem Haupte hin, wie ein Schlagen von Flügeln, und eine Stimme sagte zu den Wellen:

»Besänftigt Euch!«

Das war die Stimme der Meergeister.

Sodann, wie man in der Phantasmagorie von fern eine Gestalt sieht, welche, Anfangs unmerkbar, immer größer wird, bis sie ihren natürlichen Wuchs erreicht, sah der Capitän aus den Wellen hingleitend die verschleierte Gestalt einer Frau auf sich zukommen, welche vor ihm stehen blieb. Ein Schauer durchlief seinen ganzen Körper: in dieser Frau, ganz verschleiert, wie sie war, erkannte der Capitän vollkommen Therese.

Überdies, wäre ihm der geringste Zweifel geblieben, dieser Zweifel würde bald verschwunden sein.

Als die Frau zu ihm gelangt war, hob sie den Schleier auf.

Der Capitän stieß einen Schrei aus und wollte den Schatten anreden; doch dieser legte seine Fingerspitzen auf seine bleichen Lippen, als wollte er ihm Stillschweigen gebieten, und murmelte mit einer so schwachen Stimme, daß der Capitän begriff, das sei nicht die Stimme eines lebenden Wesens:

»Komm, geschwinde, Pierre! ich erwarte Dich, um zu sterben!«

Hernach, als hätte die Gestalt, nachdem sie gesprochen, plötzlich die magische Gewalt, die sie über dem Wasser hielt, verloren, sank sie langsam nieder, wobei sie das Wasser zuerst bis an den Knöcheln, dann bis an den Knieen, dann bis am Gürtel, dann bis am Halse hatte; dann endlich sank der Kopf wie das Uebrige unter, und die Vision verschwand . . . Die geebneten Wellen erhoben sich aufs Neue, ein durchdringender Regen fiel auf den vereisten Leib des Capitäns, und Alles kehrte in die gewöhnliche Dunkelheit zurück.

Herbel befragte seine Gefährten, doch seine Gefährten, die ganz nur mit ihren Leiden und Gefahren beschäftigt waren, hatten nichts von dem, was vorgefallen, gesehen, – oder vielmehr das, was sich zugetragen, hatte sich für den Capitän allein zugetragen.

Uebrigens hätte man glauben sollen, diese Erscheinung habe ihm alle seine Kräfte wiedergegeben. Es schien ihm, er könne nicht sterben, bevor er Therese wiedergesehen, da Therese seiner harrte, um selbst zu sterben.

Wir haben gesagt, am andern Tage seien die Schiffbrüchigen von einem spanischen Schisse entdeckt und von diesem ausgenommen worden: wir haben aber auch gesagt, wie sehr, so wie sie sich Frankreich näherten, die Vision, nicht in den Augen, sondern in der Erinnerung des Capitäns, deutlicher, klarer, reeller geworden sei.

Er landete endlich in St. Malo, von wo er seit achtundzwanzig Monaten abwesend war.

Die erste befreundete Gestalt, die er im Hasen traf, wandte sich von ihm ab.

Er lief aus denjenigen, welcher ihn fliehen zu wollen schien, zu.

»Therese ist also sehr krank?« fragte ihn der Capitän.

»Ah!« erwiderte der Angeredete, sich umwendend, »Sie wissen das?«

»Ja,« antwortete Herbei: »doch sie ist also sehr krank?«

»Hören Sie, Sie sind ein Mann, nicht wahr?«

Der Capitän erbleichte.

»Nun wohl, gestern sagte man, sie sei todt.«

»Das ist unmöglich!« rief Herbel.

»Wie! unmöglich?« fragte derjenige, welcher ihm diese Auskunft gab.

»Ja, sie hat mir gesagt, sie werde auf mich warten, um zu sterben.«

Derjenige, welcher mit dem Capitän gesprochen hatte, glaubte, er sei ein Narr geworden; doch er hatte nicht Zeit, ihn über dieses neue Unglück zu befragen, denn Pierre, als er einen andern von seinen Freunden erblickte, welcher nach der Promenade reitend vorüberkam, lief auf ihn zu und bat ihn, ihm sein Pferd zu leihen, was dieser sogleich that, erschrocken über seine Blässe und seine verstörten Gesichtszüge; wonach sich der Capitän in den Sattel schwang, im Galopp weg ritt und nach fünf Minuten die Thüre des Schlafzimmers seiner. Frau öffnete.

Die arme Therese saß in ihrem Bette und schien zu warten. Petrus stand keuchend bei ihrem Kopfkissen. Seit einer Stunde glaubte er, seine Mutter delirire: das Auge starr, hatte sie beständig nach der Seite von St. Malo geschaut, und nach und nach gesagt:

 

»Nun landet Dein Vater . . . nun erkundigt sich Dein Vater nach uns . . . nun steigt Dein Vater zu Pferde . . . nun kommt Dein Vater an.«

Und in der That, als die Sterbende diese Worte sprach, hörte man den Galopp eines Pferdes, die Thüre öffnete sich, der Capitän erschien.

Diese zwei so zärtlich verbundenen Herzen, diese zwei Leiber, welche selbst der Tod zu trennen zögerte, hatten sich nichts zu sagen, sie hatten nur in einer letzten Umarmung in einander zu verschmelzen.

Die Umarmung war lang und schmerzlich, und als der Capitän seine Arme löste, war Therese todt.

Das Kind nahm im väterlichen Herzen den Platz seiner Mutter ein.

Dann forderte das Grab den Leichnam, Paris forderte den Knaben, und der Capitän blieb allein.

Von diesem Augenblicke an lebte Pierre Herbei traurig und einsam aus seinem Pachthose, mit den Erinnerungen an seine Vergangenheit des Ruhms, der Abenteuer, der Leiden und des Glückes.

Von dieser ganzen Vergangenheit blieb ihm nur Petrus: Petrus konnte auch verlangen, was er wollte, aus der Stelle erhielt Petrus, was er verlangt hatte. – Petrus, ein verzogenes Kind in der vollen Bedeutung des Wortes: Petrus, in dem zugleich, für den Capitän Herbel, der Sohn und die Mutter lebten, Petrus hatte sich nie regelmäßig die Rechnung von seinem kleinen Vermögen gemacht.

Drei Jahre lang hatte er übrigens nichts von seinem Vater zu verlangen gehabt: einen Namen unterstützend, der ans Licht zu treten anfing, hatte die Arbeit reichlich alle seine Bedürfnisse bestritten.

Plötzlich aber hatte sich der Horizont des jungen Mannes um seine ganze Liebe für die schöne und aristokratische Regina vergrößert: seine Bedürfnisse hatten sich verdoppelt, verdreifacht: ganz im Gegentheile und im umgekehrten Verhältnisse hatte die Arbeit abgenommen.

Vor Allem hatte Petrus sich geschämt, Lectionen zu geben, und er hatte daraus verzichtet: sodann hatte es ihm demüthigend geschienen, seine Gemälde an den Fenstern der Bilderhändler auszustellen: die Liebhaber könnten wohl zu ihm kommen, die Bilderhändler könnten sich wohl bemühen.

Statt daß diese Einnahmen gemacht wurden, waren die Ausgaben furchtbar geworden.

Man hat ein Muster von der Art gesehen, wie Petrus lebte, mit Wagen, Pferden, Livréebedienten, seltenen Blumen, Voliere, Atelier voll von Meubles von Flandern, chinesischen Potichen, böhmischem Glaswerk.

Petrus hatte die Quelle nicht vergessen, aus der er früher schöpfte, und er war dahin zurückgekehrt. Die Quelle war reich: es war das Herz eines Vaters.

Dreimal seit sechs Monaten hatte Petrus wachsende Summen verlangt: zweitausend Franken das erste Mal, fünftausend das zweite Mal, zehntausend das dritte Mal. Er hatte immer erhalten, was er verlangt.

Den Gewissensbiß im Herzen, die Schamröthe aus der Stirne, aber besiegt von der unwiderstehlichen Liebe, die ihn unter sich bog, hatte er sich endlich ein viertes Mal an seinen Vater gewandt.

Diesmal hatte die Antwort ein wenig aus sich warten lassen: dies kam davon her, daß, nachdem er an den General Herbei den Brief geschrieben, der die Scene motiviert hatte, von welcher wir Rechenschaft zu geben versucht haben, der Capitän die Antwort selbst brachte.

Man erinnert sich der Lection, die der General seinem Neffen in dem Augenblicke gegeben hatte, wo der Capitän Herbel die Türe eintrat, nachdem er den Bedienten die Treppe hinabgeworfen hatte.

In diesem Momente nehmen wir unsere Erzählung wieder aus, nach einer Unterbrechung, deren Länge nichts zur Entschuldigung hat, als den Wunsch, den wir hegten, dem Leser eine Idee von diesem würdigen, vortrefflichen Manne zu geben, der uns unter einem andern Anblicke als seinem wahren erschienen wäre, hätten wir ihn nur beleuchtet gelassen durch das Licht der Substantive, die der General seinem Namen beifügte, und der Epithete, mit welcher diese Substantive zu verschönern er nie versäumte.

Aber so weitschweifig wir auch gewesen sind, so bemerken wir doch Eines: daß, während wir das moralische Portrait des Capitäns Pierre Herbel gezeichnet haben, sein physisches Portrait völlig von uns vernachlässigt worden ist.

Beeilen wir uns, dieses Vergessen wieder gut zu machen.