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XLIII
Der Sansculotte

Der Capitän Pierre Herbel, genannt der Sansculotte, war damals siebenundfünfzig Jahr alt.

Es war ein Mann von kleinem Wuchse, mit breiten Schultern, eisernen Armen, mit viereckigem Kopfe, dicht besetzt mit straubigen, krausen Haaren, von einem einst rothen, zu dieser Stunde ergrauenden Blond: ein bretanischer Hercules mit einem Worte.

Seine Augenbrauen, von einer dunkleren Farbe als seine Haupthaare, waren nicht weiß geworden und gaben seinem Gesichte eine erschreckliche Härte: seine durchsichtig himmelblauen Augen aber, sein aus weißen Zähnen sich leicht öffnender Mund, offenbarten zugleich eine vollkommene Güte, eine unendliche Sanftmuth.

Er war lebhaft, ungestüm, wie wir ihn an Bord, in den Tuilerien, bei seinem Eintritt bei seinem Sohne gesehen haben: doch unter diesem ungestümen, lebhaften Wesen verbarg sich das empfindsamste Herz, die mitleidigste Seele der Schöpfung.

Seit langer Zeit gewohnt, den Menschen in Lagen zu befehlen, wo die Gefahr keine Schwäche gestattete, drückte sein Gesicht die Gewohnheit des Commandirens und große Willensenergie aus. In der That, als ob er immer an Bord der Schönen Therese gewesen wäre, hatte er in seinem Dorfe, trotz des Verlustes seines Vermögens, das Geheimniß bewahrt, sich gehorchen zu machen, und zwar nicht allein von den Bauern, welche Thür an Thür mit ihm wohnten, sondern auch von den reichsten Herren seiner Nachbarn.

Durch den europäischen Frieden gezwungen, im Müßiggang an seinen Fäusten zu nagen, hatte der Capitän, in Ermangelung des Kampfes mit den Menschen, den Thieren den Krieg erklärt: dieser Uebung seine ganze verzehrende Thätigkeit widmend, wurde er ein leidenschaftlicher Jagdliebhaber, und mit dem Bedauern, daß er es nicht mit Thieren zu thun hatte, bei denen es der Mühe werth war, – wie Elephanten, Rhinozerosse, Löwen, Tiger und Leoparden, warf er sich, gleichsam sich schämend, daß er gegen so schwache Thiere kämpfte, aus die Wölfe und die Wildschweine.

Wittwer von Therese, entfernt von Petrus, brachte es der Capitän Herbel dahin, daß er zwei Drittel des Jahres aus zehn bis zwölf Meilen in der Runde in den Wäldern und aus den Heiden, seine Flinte aus der Schulter, seine zwei Hunde voran, umherlief.

Zuweilen blieb er eine Woche, zehn Tage, vierzehn Tage vom Dorfe abwesend, und gab nur Kunde von sich durch die Wildpretkarren, welche er dahin schickte, und die meistens an die dürftigsten Familien adressiert waren: so daß der Capitän, der die Armen nicht mehr mit seinem Almosen nähren konnte, sie mit seiner Flinte nährte.

Der Capitän war also, viel mehr als Nimrod, ein echter Jäger vor dem Herrn.

Nur hatte diese hartnäckige Jagd manchmal ihre Unannehmlichkeiten.

Es ist dem Leser nicht unbekannt, daß, beim gesetzlichen Lause der Dinge, der absoluteste Jäger in der Regel seine Flinte vom Monat Februar bis zum Monat September an den Kamin hängt. Nicht so war es bei der Flinte des Capitäns: sein Leclerc, – er hatte aus den Werkstätten des berühmten Waffenschmiedes dieses Namens hervorgehende Läufe gewählt, – sein Leclerc ruhte nie, und man hörte immer seinen wohlbekannten Knall in einem oder dem andern Winkel des Departements.

Es ist wahr, da alle Feldhüter, Waldschützen und Gendarmen dieses Departements wußten, in welcher Absicht der Capitän jagte, und welchen Gebrauch er vom Produkte seiner Jagd machte, es ist wahr, sagen wir, daß alle Feldhüter, Waldschützen und Gendarmen, sobald sie den Knall aus einer Seite hörten, aus die andere gingen. Nur in dem Falle also, wo der Capitän zu vermessen zugleich den Schnurrbart des Wildes und den des Jagdeigenthümers versengt hatte, entschloß sich der öffentliche Agent, Klage zu erheben und den Delinquenten vor die Gerichte zu führen.

Und dabei geschah es noch, daß die Tribunale, so streng sie bei Jagdvergehen unter der Restauration waren, wenn sie erfuhren, das Vergehen sei vom Sansculotte Herbel begangen worden, die Strafe milderten, was auch die Meinung der Richter sein mochte, und es erhob sich die Buße nie über das Minimum. So daß mit hundert Franken Buße im Jahre der Capitän über zweitausend Franken Almosen gab, sich selbst ernährte und herrliche Federwildkörbe seinem Sohne Petrus schickte, – der sie regelmäßig mit denjenigen von seinen Collegen theilte, welche Küchenstücke malten, was beweisen würde, daß die Wilderei, wie die Tugend, immer ihren Lohn findet.

In Betreff alles Uebrigen war der Capitän ein wahrer Seemann geblieben. Er wußte nicht nur nichts von den Dingen der Stadt, sondern auch nichts von den Dingen der Welt.

Die Vereinzelung, in der der Seemann verloren inmitten der Einsamkeit des Oceans lebt, die Größe des Schauspiels, das er beständig vor den Augen hat, die Leichtigkeit, mit der er jeden Moment um sein Leben spielt, die Sorglosigkeit, mit der er den Tod erwartet, – das Leben des Seemanns und sodann das des Jägers hatten ihn so völlig von dem Verkehr mit den Menschen bewahrt, daß er, mit Ausnahme der Engländer, die ihm, ohne daß er wußte, warum, seine natürlichen Feinde dünkten, für alle seines Gleichen, – was sich bestreiten läßt, und was wir zuerst bestreiten werden, – eine jungfräuliche Sympathie und Freundschaft hegte.

Die einzige Spalte dieses Herzens, das zugleich von Granit und von Gold, war der Schmerz, verursacht durch den Tod seiner Frau, der armen Therese, eines reizenden Körpers, einer heitern Seele, einer stillen Ergebenheit.

Als er, den Fuß in das Atelier setzend, und nachdem er Petrus umarmt hatte, diesen anschaute, wie ein Vater seinen Sohn anschaut, entstürzten zwei große Thränen seinen Augen, und er sagte, während er dem General die Hand reichte:

»So wie Du ihn siehst, Bruder, nun, so ist er ganz das Ebenbild seiner armen Mutter.«

»Das ist möglich,« antwortete der General, »doch Du müßtest Dich erinnern, alter Pirat, der Du bist, daß ich nie die Ehre gehabt habe, seine Frau Mutter zu kennen.«

»Es ist wahr,« erwiderte der Capitän mit einer sanften Stimme voller Thränen, wie jedesmal, wenn er von seiner Frau sprach; »sie ist 1823 gestorben, und wir waren noch nicht versöhnt.«

»Ah!« rief der General, »und Du glaubst also, wir seien versöhnt?«

Der Capitän lächelte.

»Mir scheint,« sagte er, »daß, wenn zwei Brüder sich umarmt haben, wie wir es gethan, nach mehr als dreiunddreißig Jahren Abwesenheit . . . «

»Das beweist nichts, Meister Pierre; ah! Du glaubst, ich versöhne mich mit einem Banditen Deiner Art! Ich gebe ihm die Hand, gut! ich umarme ihn, gut! im Grunde des Herzens ist aber eine Stimme, welche spricht: »»Ich verzeihe Dir nicht, Sansculotte! ich verzeihe Dir nicht, Corsar! ich verzeihe Dir nicht, Seeräuber!««

Der Capitän schaute seinen Bruder lächelnd an, denn er wußte wohl, daß im Grunde der General eine aufrichtige Freundschaft für ihn hegte.

Sodann, als der Brummer geendigt hatte, sagte Pierre:

»Bah! ich verzeihe Dir wohl, daß Du gegen Frankreich gedient hast.«

»Gut!« entgegnete der General, »als ob Frankreich je die Bürgerin Republik oder Herr Bonaparte gewesen wäre; ich habe gegen 93 und gegen 1805 gedient, verstehst Du, Wildschütz? und nicht gegen Frankreich.«

»Was willst Du, Bruder?« erwiderte treuherzig der Capitän, »ich glaubte immer, das sei dasselbe.«

»Und wie es mein Vater immer geglaubt hat,« sagte Petrus, »so wird er es immer glauben; ob Sie nun immer das Gegentheil geglaubt haben, mein Oheim, und es immer glauben werden, ich glaube, man müßte das Gespräch auf einen andern Gegenstand bringen.«

»Ah! ja,« sprach der General, »auf wie lange gedenkst Du uns die Ehre Deines Besuches zu gönnen?«

»Ach! mein lieber Courtenay, auf sehr kurze Zeit.«

Auf den Namen Courtenay verzichtend, hatte doch Pierre Herbel denselben fortwährend seinem Bruder, als dem Aeltesten der Familie, gegeben.

»Wie, auf sehr kurze Zeit?« sagten einstimmig der General und Petrus.

»Ich gedenke noch heute wieder abzureisen, meine Kinder,« antwortete der Capitän.

»Heute, mein Vater?«

»Ah! bist Du denn entschieden ein Narr, alter Pirat!« rief der General; »Du willst im Augenblicke Deiner Ankunft wieder abreisen?«

»Meine Abreise ist der Unterredung untergeordnet, die ich mit Petrus haben werde,« sagte der Capitän.

»Ja, und einer mit den Wildschützen des Departements Ille und Vilaine verabredeten Jagdpartie.«

»Nein, mein Bruder, ich habe dort einen Freund, welcher im Sterben liegt, einen alten Freund, der behauptet, er werde schlecht sterben, wenn ich ihm nicht die Augen schließe.«

»Ah! dieser ist Dir vielleicht auch erschienen,« fragte der General mit seinem gewöhnlichen Skepticismus, »wie Deine Therese?«

»Mein Oheim!« sagte Petrus, dazwischentretend.

»Ja, ich weiß, mein Bruder glaubt an Gott und an die Geister. Aber, Du alter Seewolf, der Du bist, es ist ein Glück, daß, wenn es einen Gott gibt, dieser Gott nicht alle Deine abscheulichen Räubereien hat verüben sehen: sonst gäbe es weder in dieser, noch in der andern Welt einen Heiligen für Dich.«

»Wäre dies so,« erwiderte sanft und den Kopf schüttelnd der Capitän, »das wäre ein Unglück für meinen armen Freund Surcous, und ein Grund mehr, daß ich so schnell als möglich zu ihm zurückkehren würde.«

»Ah! Surcous stirbt!« rief der General.

»Ach! ja,« antwortete Pierre Herbel.

»Bei meiner Treue! da wird ein tüchtiger Bandit weniger sein!«

Pierre schaute den General traurig an.

»Nun,« fragte der General, ganz durchdrungen von diesem Blicke, »was hast Du mich anzuschauen?«

Der Capitän schüttelte den Kopf mit einem Seufzer.

»Sprich, sprich,« beharrte der General; »ich liebe die Leute nicht, welche schweigen, wenn man ihnen sagt, sie sollen sprechen; woran denkst Du? läßt sich das sagen?«

»Ich denke, wenn ich sterbe, werde das Alles sein, was mein Bruder von mir sagt!«

 

»Wer? was? was sagte ich?«

»»Ah! bei meiner Treue!«« wiederholte der Capitän, eine Thräne abwischend, »»da ist ein tüchtiger Bandit weniger!««

»Mein Vater! mein Vater!« murmelte Petrus.

Alsdann sich an den General wendend, sagte er.

»Mein Oheim, Sie schalten mich vorhin, und Sie hatten Recht; würde ich Sie ebenfalls schelten, hätte ich Unrecht? sprechen Sie!«

Der General unterdrückte einen kleinen Husten, der ihm immer entschlüpfte, wenn er in Verlegenheit war und nicht wußte, was er antworten sollte.

»Laß hören, steht es so schlimm mit Deinem Surcous? Bei Gott! ich weiß wohl, daß er Gutes hatte, und daß er ein Braver war, eine Art von Jean Benot, und daß er nur darin gefehlt hat, daß er nicht einer andern Sache diente.«

»Er hat der Sache des Volkes gedient, mein Bruder, der Sache Frankreichs.«

»Die Sache des Volkes! die Sache Frankreichs! haben sie gesagt Frankreich, haben sie gesagt das Volk, so glauben diese verdammten Sansculottes, Alles gesagt zu haben: frage Deinen Sohn Petrus, den Herrn Aristokraten, der Lakaien mit seiner Livree und Wappen an seinem Wagen hat, ob es in Frankreich nichts Anderes gebe, als das Volk.«

Petrus erröthete bis ins Weiße der Augen.

Der Capitän wandte an seinen Sohn einen sanften fragenden Blick.

Petrus schwieg.

»Ah! er wird Dir Alles dies erzählen, wenn Ihr nur zu zwei seid, und ohne Zweifel wirst Du noch finden, er habe Recht.«

Der Capitän schüttelte den Kopf.

»Ich habe nur ihn als Kind, Courtenay,« sagte er, »und das ist ganz das Ebenbild seiner Mutter.«

Das war abermals eine von den Antworten, auf die der General nichts zu erwidern wußte.

Er hustete.

Während er jedoch hustete, fragte er:

»Ich sagte also, ob es so schlecht bei Deinem Freunde Surcous stehe, daß Dich das abhalte, mit Petrus bei mir zu Mittag zu speisen?«

»Sehr schlecht, mein Freund,« erwiderte traurig der Capitän.

»Dann ist es etwas Anderes,« sprach der General, indem er ausstand: »ich lasse Dich mit Deinem Sohne allein, denn ich bin der Erste, der Dir sagt: Ihr habt nicht wenig schmutzige Wäsche in der Familie zu waschen: bleibst Du und willst Du bei mir speisen, so bist Du willkommen: reisest Du ab, und ich sehe Dich nicht wieder, glückliche Reise!«

»Ich befürchte, Du siehst mich nicht wieder, Bruder,« sagte Pierre Herbei.

»Nun wohl also, umarme mich, alter Bösewicht!«

Und er öffnete seinem Bruder beide Arme: der würdige Capitän stürzte sich darein, mit einer tiefen Zärtlichkeit, gemischt mit der Ehrfurcht, die er immer für seinen älteren Bruder bewahrt hatte.

Sodann, als wollte er einer Rührungsscene entgehen, eine Art von Erregung, welche wenig in seinen Gewohnheiten und besonders in seinen Sympathien lag, entriß sich der General mit Gewalt den Armen seines Bruders und warf Petrus die letzten Worte zu:

»Heute Abend oder morgen werde ich Sie wiedersehen, nicht wahr, mein Herr Neffe?«

Und er eilte nach der Treppe, die er mit der Leichtigkeit eines zwanzigjährigen jungen Mannes hinabstieg und murmelte dabei:

»Teufelsmensch! werde ich ihn denn nie wiederfinden können, ohne wahrzunehmen, daß mir eine Thräne im Grunde des Auges bleibt!«

XLIV
Der Vater und der Sohn

Kaum hatte sich die Thüre hinter dem General geschlossen, als Pierre Herbel zum zweiten Male die Arme gegen seinen Sohn ausstreckte: während dieser seinen Vater an sein Herz drückte, zog er ihn nach einem Sopha fort, aus den er ihn neben sich sitzen ließ.

Dann, als ob er dem Eindrucke der seinem Bruder entschlüpften letzten Worte gehorchte, ließ der Capitän einen Moment seine Augen aus den Herrlichkeiten des Ateliers umherlaufen, aus dem Tapetenwerk mit königlichen Personen, aus den alten Truhen der Renaissance, aus den griechischen Pistolen mit silbernem Knopfe, aus den arabischen Flinten mit Korallenincrustatiouen, aus den Dolchen mit Vermeilscheiden, aus dem böhmischen Glaswerk, aus dem alten flämischen Silberzeug.

Die Prüfung war kurz, und das Auge des Capitäns hatte nichts von seinem durchsichtigen heitern Lächeln verloren, als er es wieder aus seinen Sohn richtete.

Petrus dagegen schämte sich dieses Luxus, der einen scharfen Contrast mit den kahlen Mauern des Pachthofes Plancoët bildete, und schlug die Augen nieder.

»Nun, mein Kind,« fragte der Vater mit dem Tone sanften Vorwurfs, »ist das Alles, was Du mir sagst?«

»Oh, mein Vater, verzeihen Sie mir,« erwiderte Petrus, »ich mache es mir zum Vorwurfe, daß ich Sie veranlaßt habe, das Bett eines sterbenden Freundes zu verlassen, um zu mir zu kommen, der ich warten konnte.«

»Das ist es nicht, erinnere Dich wohl, mein Kind, was Du mir in Deinem Briefe sagtest.«

»Es ist wahr, mein Vater, entschuldigen Sie mich; ich sagte Ihnen, ich brauche Geld doch ich sagte nicht: »»Verlassen Sie Alles, um es mir selbst zu bringen;«« ich sagte Ihnen nicht . . . «

»Du sagtest mir nicht?«… wiederholte der Capitän.

»Nichts, nichts, mein Vater,« rief Petrus, indem er ihn umarmte: »Sie haben wohl daran gethan, zu kommen, und ich bin glücklich, Sie zu sehen.«

»Und dann, Petrus,« fuhr der Vater mit einer durch die Umarmung seines Sohnes leicht erwärmten Stimme fort, »meine Gegenwart war nothwendig, ich hatte im Ernste mit Dir zu reden.«

Petrus fühlte sich behaglicher.

»Ah! ich höre, mein Vater,« sagte er, »Sie können nicht für mich thun, was ich von Ihnen verlange, und Sie wollten mir das selbst sagen. Sprechen wir nicht mehr hiervon, ich war ein Narr, ich hatte Unrecht. Mein Oheim hat es mir vor Ihrer Ankunft begreiflich gemacht, und ich begreife es noch besser, seitdem ich Sie sehe.«

Der Capitän schüttelte den Kopf mit seinem guten väterlichen Lächeln.

»Nein,« sagte er, »Du begreifst mich nicht.«

Dann zog er ein Portefeuille aus der Tasche, legte es aus den Tisch und fügte bei:

»Deine zehntausend Franken sind da.« Petrus war niedergeschmettert durch diese unerschöpfliche Güte.

»Oh! mein Vater,« rief er, »nie, nie!«

»Warum nicht?«

»Weil ich überlegt habe, mein Vater.«

»Du hast überlegt, Petrus? was?«

»Folgendes, mein Vater: daß ich seit sechs Monaten Ihre Güte mißbrauche; daß Sie seit sechs Monaten mehr thun, als Sie thun können; daß ich seit sechs Monaten Ihr Ruin bin.«

»Armes Kind, Du ruinierst mich . . . das ist nicht schwer.«

»Ah! Sie sehen wohl, mein Vater.«

»Nicht Du ruinierst mich, mein armer Petrus; ich habe Dich ruiniert.«

»Mein Vater!«

»Ja wohl!« sagte der Capitän mit einer schwermüthigen Rückkehr zur Vergangenheit; ich hatte ein königliches Vermögen für Dich angehäuft, oder vielmehr dieses Vermögen hatte sich ganz von selbst angehäuft, denn ich habe nie recht gewußt, was Geld war; Du erinnerst Dich, wie dieses Vermögen zusammengestürzt ist.«

»Ja, mein Vater, und ich bin stolz auf unsere Armuth, wenn ich bedenke, auf welche Art wir darein gerathen sind.«

»Laß mir die Gerechtigkeit widerfahren, daß ich, trotz dieser Armuth nie etwas gespart habe, handelte es sich um Deine Erziehung, um Dein Glück . . . «

Petrus unterbrach seinen Vater.

»Und sogar um meine Launen, mein Vater!«

»Was willst Du! vor Allem lag mir daran, Dich glücklich zu sehen, mein Kind. Was würde ich Deiner Mutter geantwortet haben, hätte sie mich, mir entgegen kommend, gefragt: »»Und unser Sohn!««

Petrus sank zu den Knieen des Capitäns nieder und brach in ein Schluchzen aus.

»Ah!« sagte Pierre Herbel, »weinst Du, so werde ich nicht mehr wissen, was ich Dir zu sagen habe!«

»Mein Vater!« rief Petrus.

»Uebrigens werde ich Dir, was ich Dir zu sagen hatte, ebenso gut auch bei einer andern Reise sagen.«

»Nein, nein, sogleich, mein Vater . . . «

»Hier, mein Kind,« sagte der Capitän, indem er aufstand, um Petrus zu entgehen, »hier ist das Geld, das Du brauchst. Nicht wahr, Du wirst mich bei meinem Bruder entschuldigen? Du wirst ihm sagen, ich habe gefürchtet, zu spät zu kommen, und ich sei mit derselben Diligence, die mich gebracht, wieder abgereist.«

»Setzen Sie sich, mein Vater; die Diligence geht erst Abends um sieben Uhr ab, und es ist zwei Uhr; Sie haben also noch fünf Stunden vor sich!«

»Du glaubst?« erwiderte der Capitän, ohne genau zu wissen, was er antwortete.

Und maschinenmäßig zog er aus seinem Hosentäschchen eine silberne Uhr mit stählerner Kette, die von seinem Vater herstammte.

Petrus nahm die Uhr und küßte sie. Wie oft hatte er nicht, ganz klein, mit dem naiven Erstaunen der Kindheit, die Bewegung dieser Erbuhr gehört!

Er schämte sich der goldenen Kette, die er am Halse hatte, der Uhr mit dem Wappen in Diamanten, die an dieser Kette hing, und die er in seiner Westentasche trug.

»Oh! oh! theure Uhr!« murmelte Petrus, während er die alte silberne Uhr seines Vaters küßte.

Der Capitän begriff nicht.

»Willst Du sie?« fragte er.

»Oh!« rief Petrus, »die Uhr, welche die Stunde Ihrer Kämpfe, die Stunde Ihrer Siege bezeichnet hat, welche, den Bewegungen Ihres Herzens ähnlich, nie schneller geschlagen im Augenblicke der Gefahr, als in den Tagen der Ruhe, ich bin ihrer nicht würdig. Oh! nein, mein Vater, nie! nie!«

»Du vergissest zwei andere Stunden, welche sie auch bezeichnet hat, Petrus, und die die einzigen Data meines Lebens sind, deren ich mich erinnere: die Stunde Deiner Geburt; die Stunde des Todes Deiner Mutter.«

»Es gibt eine dritte Stunde, die sie für mich und für Sie von heute an bezeichnen wird, mein Vater: das ist die Stunde, wo ich meinen Undank erkannt und Sie um Verzeihung gebeten habe.«

»Um Verzeihung, worüber, mein Freund?««

»Mein Vater, gestehen Sie, daß es Sie die größten Opfer gekostet hat, um mir diese zehntausend Franken zu bringen.«

»Ich habe den Pachthof verkauft, das ist das Ganze; und das hat mich aufgehalten.«

»Sie haben den Pachthof verkauft!« rief Petrus vernichtet.

»Ja . . . Siehst Du, er war zu groß für mich allein. Wäre Deine arme Mutter nicht gestorben, oder Du hättest bei mir gewohnt, dann, wäre es wohl nicht geschehen.«

»Oh! den Pachthof, der von meiner Mutter kam, Sie haben ihn verkauft?«

»Gerade weil er von Deiner Mutter kam, Petrus: das war Dein Gut.«

»Mein Vater!« rief Petrus.

»Ich habe das meinige wie ein Narr verschleudert . . . Darum war ich also gekommen. Petrus, Du wirst das begreifen, ich alter Egoist, der ich bin, habe den Pachthof um fünfundzwanzigtausend Franken verkauft.«

»Er war aber fünfzigtausend Franken werth.«

»Du vergissest, daß ich schon fünfundzwanzigtausend Franken darauf entlehnt hatte, um sie Dir zu schicken.«

Petrus verbarg seinen Kopf in seinen Händen.

»Nun denn, ich bin gekommen, um Dich zu fragen, ob Du mir die anderen fünfzehntausend lassen könntest?«

Petrus schaute seinen Vater mit einer erschrockenen Miene an.

»Nur für den Augenblick,« sagte der Capitän, »wohlverstanden, wenn Du sie später brauchst, so hast Du das Recht, sie zurückzufordern.«

Petrus erhob das Haupt.

»Fahren Sie fort, mein Vater!«

Und leise murmelte er: ,

»Das ist meine Strafe.«

»Höre also meinen Plan,« fuhr der Capitän fort; »ich werde eine kleine Hütte mitten im Walde pachten oder kaufen; Du kennst mein Leben, Petrus ich bin ein alter Jäger; ich kann meine Gewehre und meinen Hund nicht mehr entbehren, Petrus; ich werde vom Morgen bis zum Abend jagen. Welch ein Unglück, daß Du kein Jäger bist! Du hättest mich besucht, wir hätten mit einander gejagt.«

»Oh! seien Sie ruhig, mein Vater, ich werde kommen, ich werde kommen.«

»Wahrhaftig?«

»Ich verspreche es Ihnen.«

»Nun wohl, ein Grund mehr. Siehst Du, es gibt für mich zwei Dinge auf der Jagd: einmal das Vergnügen, zu jagen; sodann hast Du keine Idee, welche Menge von Menschen ich mit meiner Flinte ernähre.«

»Ah! mein Vater, wie gut sind Sie,« rief Petrus. Und die Hände und die Augen zum Himmel erhebend fügte er halblaut bei: »Wie groß sind Sie!«

»Warte doch,« sagte der Capitän; »denn ich komme zu dem Augenblicke, wo ich auf Dich gerechnet habe.«

»Sprechen Sie, mein Vater, sprechen Sie.«

»Ich bin siebenundfünfzig Jahre alt, mein Auge ist noch klar, der Arm noch fest, das Knie noch solid; doch man steigt rasch die Seite des Berges hinab, wo ich bin. In einem Jahre, in zwei Jahren, in zehn Jahren kann sich das Auge trüben, der Arm kann schwach werden, das Bein straucheln; dann wirst Du an einem schönen Morgen einen alten, armen guten Mann zu Dir kommen sehen, der zu Dir sagt: »»Ich bin es, Petrus, ich tauge zu nichts mehr. Hast Du einen Winkel in Deinem Hause, wohin Du Deinen alten Vater legen kannst? Er hat immer fern von dem gelebt, was er liebte, er möchte gern nicht sterben, wie er gelebt hat.««

 

»Oh! mein Vater, Vater,« rief schluchzend Petrus, »ist der Pachthof wirklich verkauft?«

»Vorgestern morgen, ja, mein Freund.«

»Aber an wen, mein Gott?«

»Herr Peyrat, der Notar, hat es mir nicht gesagt! Du begreifst, woran mir lag, war, das Geld zu bekommen: ich nahm die zehntausend Franken, die Du brauchtest, und hier bin ich.«

»Mein Vater,« sagte Petrus sich erhebend, »ich muß wissen, an wen Sie den Pachthof meiner Mutter verkauft haben.«

In diesem Augenblicke öffnete sich die Thüre des Ateliers, und der Diener von Petrus erschien, noch ganz zaghaft, mit einem Briefe in der Hand.

»Oh! laß mich in Ruhe!« rief Petrus, indem er ihm den Brief aus der Hand riß: »ich bin für Niemand zu Hause.«

Als er aber diesen Brief aus den Tisch werfen wollte, bemerkte er, daß die Adresse den Stempel von St. Malo hatte.

Er glaubte einen Augenblick, der Brief sei für seinen Vater.

Doch er sah die Aufschrift: .

»An den Herrn Vicomte Petrus Herbelvon Courtenay.«

Er öffnete rasch den Brief.

Er war von dem Notar, bei welchem der Verkauf des Pachthofes stattgefunden hatte.

Petrus schüttelte den Kopf, als wollte er den Flammenkreis, der ihn umgab, auslöschen und las:

»Herr Vicomte!

»Ihr Vater, der bei mir nach und nach Anlehen im Betrage von fünfundzwanzigtausend Franken gemacht hat, ist vor drei Tagen bei mir erschienen, um an mich seinen Pachthof zu verkaufen, aus dem schon diese Summe von fünfundzwanzigtausend Franken als Hypothek lastete.

»Diese fünfundzwanzigtausend Franken, wie die ersten, sagte er mir, seien für Sie bestimmt.

»Es ist mir der Gedanke gekommen, – entschuldigen Sie mich, Herr Vicomte, – Sie wissen vielleicht nichts von den Opfern, die Ihr Vater für Sie bringt, und daß dieses letzte Opfer ihn völlig zu Grunde richtete.

»Ich glaubte meiner Ehre angemessen, als Notar Ihrer Familie und als Freund Ihres Vaters seit dreißig Jahren, Zwei Dinge zu thun: einmal ihm die fünfundzwanzigtausend Franken zu übergeben, die er verlangte, indem ich einen Verkauf, der nicht besteht, vorschützen würde: zweitens Sie von dem Zustande des Verfalles des Vermögens Ihres Vaters zu unterrichten, fest überzeugt, Sie wissen nichts davon, und sobald Sie es erfahren, werden Sie, statt zur völligen Vernichtung dieses Vermögens beizutragen, sich anstrengen, es wiederherzustellen. »Behalten Sie die fünfundzwanzigtausend Franken; so muß sich der Verkauf realisieren.

»War aber das Bedürfniß, das Sie in Betreff dieser fünfundzwanzigtausend Franken haben, nur eines von den Bedürfnissen, die man verschieben oder sogar ganz beseitigen kann, und Sie sind im Stande, durch eines oder das andere Mittel diese fünfundzwanzigtausend Franken innerhalb acht Tagen wieder in meine Hände zurückgehen zu lassen, so bliebe Ihr Herr Vater Eigenthümer des Pachthofes, und Sie würden ihm, wie ich glaube, einen ungeheuren Kummer ersparen.

»Ich weiß nicht, wie Sie mein Verlangen qualifizieren werden, doch ich denke, es ist das eines redlichen Mannes und eines Freundes.

»Empfangen Sie u.s.w.

»Peyrat, »Notar in St. Malo.«

Das Ganze war begleitet von einem der komplizierten Namenszüge, wie sie vor fünfundzwanzig Jahren die Provinznotare machten.

Petrus athmete auf und drückte den Brief des würdigen Notars an seine Lippen, der ihn sicherlich nicht für diese Ehre bestimmt glaubte.

»Mein Vater,« sagte er, »ich reise heute Abend mit Ihnen nach St. Malo ab.«

Der Capitän stieß einen Freudenschrei aus; doch sogleich überlegend fragte er mit einer gewissen Bangigkeit:

»Was willst Du in St. Malo machen?«

»Nichts . . . Sie zurückbegleiten, mein Vater. Als ich Sie sah, glaubte ich, Sie werden einige Tage bei mir zubringen. Das ist Ihnen unmöglich: nun will ich einige Tage bei Ihnen zubringen.«

Und, in der That, an demselben Abend, nachdem er zwei Briefe geschrieben, den einen an Regina, den andern an Salvator, nachdem er seinen Vater zum Mittagessen geführt hatte, – nicht Zum General, dessen Vorwürfe oder Sarkasmen sein empfindliches Herz verwundet hätten, sondern in einen Restaurant, wo Beide an einem kleinen Tische ein Mahl voll Innigkeit und Zärtlichkeit machten, stieg Petrus mit seinem Vater in den Wagen von St. Malo und verließ Paris sehr fest in dem Entschlusse, den er gefaßt.