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Ludovic keuchte.

»Das ist alles!«

Und sie hustete noch einmal.

»Geh jetzt zurück, gehe zurück,« sagte Ludovic, »wir werden später wieder davon sprechen . . . Ja, ja, Du erinnerst Dich an mich, liebe Rose; ja, wie Du so eben sagtest, wir haben schon einmal gelebt, ehe wir das Licht der Welt erblickten.«

Und Ludovic sprang von dem Eckstein herab.

»Ich liebe Dich!« rief ihm Rose zu, indem sie das Fenster schloß.

»Ich liebe Dich,« gab ihr Ludovic so laut zurück, daß diese drei reizenden Worte noch durch das halb geschlossene Fenster dringen konnten. »O!« sagte er dann bei sich, »wie seltsam! Das ist wohl ein creolisches Lied, was sie mir da gesungen. Woher kam denn das arme Kind, als die Brocante es auflas? . . . Morgen gleich werde ich Salvator darüber befragen.

»Es müßte mich Alles täuschen, wenn Salvator nicht mehr von Rose-de-Noël wüßte, als er davon sagt.«

In diesem Augenblick schlug es drei Uhr und ein leichter weißlicher Lichtstreifen, der sich im Osten zeigte, verkündete, daß der Tag nicht mehr zu erscheinen zögern werde.

»Schlafe wohl, liebes Kind meines Herzens,« sagte Ludovic. »Bis morgen!«

Und wie wenn Rose-de-Noël diese Worte gehört und sie in ihrem Herzen ein Echo fänden, öffnete sich das Fenster wieder und das Kind rief Ludovic zu:

»Bis morgen!«

LI
Der Boulevard des Invalides

Die Scene, welche zur gleichen Stunde auf dem Boulevard des Invalides, Hotel de la Mothe-Houdan, vor sich ging, obgleich im Grunde mit den beiden Scenen, welche wir so eben erzählt, durchaus ähnlich, war doch in der Form verschieden.

Bei Rose-de-Noël war die Liebe noch in der Knospe.

Bei Regina öffnete sie den Kelch.

Bei Frau von Marande war sie in voller Blüthe.

Welches ist der köstlichste Moment der Liebe? Mein ganzes Leben habe ich dieses Räthsel gesucht, ohne es finden zu können. Ist es die Stunde, wo sie entsteht? ist es die Stunde, wo sie wächst? ist es die Stunde, wo sie, nahe am Stillestehen, als duftende und süße Frucht in das goldene Kleid der Reise fällt?

Welches ist der Augenblick, wo die Sonne ihre schönsten Strahlen hat? Ist es im Morgenrothe? Ist es im Mittagsglanze? Ist es um die Stunde, wo sie, zum Untergang sich neigend, den Rand ihrer purpurnen Scheibe in die lauen Wogen des Meeres taucht?

O! ein Anderer möge das sagen, ein Anderer möge es aussprechen, ein Anderer möge entscheiden, wir würden zu sehr fürchten, uns über eine so wichtige Frage zu täuschen.

Dies ist denn auch der Grund, weßhalb wir nicht zu sagen wissen, wer von Jean Robert, Ludovic oder Petrus der Glücklichste und wer die süßesten Freuden der Liebe bot, Frau von Marande, Rose-de-Noël oder Regina.

Damit man jedes beneide und vergleiche, wollen wir sagen, welche Worte, welche Blicke, welches Lächeln der Trunkenheit die beiden Liebenden, oder vielmehr die beiden Verliebten . . . finden wir ein Wort, lieber Leser, finden wir ein Wort, schöne Leserin, um meinen Gedanken zu malen: die beiden Verliebten? nein, die beiden Liebenden? – welche Worte, welche Blicke, welches Lächeln der Trunkenheit die beiden Liebenden in dieser hellen und glänzenden Nacht austauschten.

Petrus war gegen halb ein Uhr vor dem Gitter des Hotels angekommen.

Nachdem er ein Langes und Breites sieben bis acht Touren auf dem Boulevard des Invalides gemacht, um zu sehen, ob ihn Niemand beobachte, duckte er sich an der Ecke, welche die rechtwinklige Mauerwand bildete, in welche das Gitter eingefügt war.

Er stand dort ungefähr seit zehn Minuten, die Augen mit einem gewissen düsteren Ausdruck auf die geschlossenen Sommerläden geheftet, durch die er kein Licht gewahrte; er begann zu zittern, daß Regina nicht zum Rendezvous kommen könne, als er ein kleines hm! hm! ganz leise aussprechen hörte, was auf die Anwesenheit einer zweiten Person auf der andern Seite der Mauer deutete.

Petrus antwortete mit einem ähnlichen hm! hm!

Und wie wenn diese beiden einsilbigen Worte dieselbe Zauberkraft gehabt, wie das Wort Sesam, öffnete sich die kleine, zehn Schritte von dem Gitter entfernte Thür auf geheimnißvolle Weise, ohne daß man selbst die Hand bemerkte, die sie aufzog.

Während dieser Zeit hatte sich Petrus an der Mauer von dem Gitter nach der Thüre hingeschlichen.

»Sind Sie es, meine gute Nanon?« fragte Petrus leise, als er mit seinen verliebten Augen durch die Dunkelheit der finsteren Lindenallee, welche bis zur Thüre führte, jene alte Frau bemerkte, die jeder andere, als er, für ein Phantom gehalten haben würde.

»Ich bin es,« antwortete Nanon im gleichen Tone; denn es war wirklich die gute alte Amme Regina’s.

O, die Ammen! von der Amme der Phädra bis herab zu der Giulietta’s, von der Amme Giulietta’s bis zu der Regina’s!

»Und die Prinzessin?« fragte Petrus.

»Sie ist hier.«

»Sie erwartet uns?«

»Ja.«

»Aber es ist weder Licht an dem Fenster ihres Zimmers, noch ihres Gewächshauses.«

»Sie ist am Rondel des Gartens.«

Nein, sie war nicht mehr dort, sie war am Ende der Allee, wo sie wie eine weiße Vision erschien.

Petrus flog ihr entgegen.

Zwei Worte vermischten sich zwischen vier Lippen.

»Liebe Regina!«

»Lieber Petrus!«

»Sie hatten mich also gehört?«

»Ich hatte Sie vermuthet.«

»Regina!«

»Petrus!«

Man hätte es für das Echo des ersten Kusses halten können, der sich wiederholte.

Dann zog Regina Petrus lebhaft fort.

»Nach dem Rondel,« sagte sie.

»Wo Sie wollen, meine Liebe.«

Und die beiden jungen Leute, schnellfüßig, wie Hippomenes und Atalante, schweigsam wie die Sylphen und Undinen, die, ohne sie zu krümmen, über die hohen Gräser des Blumenthals hinschweben, kamen in einem Augenblicke nach dem Theile des Gartens, welchen man das Rondel nannte.

Das Rondel, in welchem Petrus und Regina sich niederließen, war das süßeste Liebesnest, das man sich denken konnte: scheinbar von allen Seiten durch Hagebuchen umschlossen, wie das Rondel eines wahrhaften Labyrinthes, begriff man nicht, wo ein Eingang sein sollte, und war man drinnen, wie man wieder herauskommen sollte: die Bäume, die schon unten am Stamme sehr nahe bei einander standen, waren an ihren Gipfeln so unentwirrbar mit ihren Zweigen verschlungen, daß man es für die Maschen eines Gestrickes von grüner Seide halten konnte, was den beiden Liebenden, die sich darunter befanden, das Aussehen zweier in einem ungeheuren Netze gefangenen Schmetterlinge gab.

Und doch waren die Blätter nicht so eng verwoben, daß die Strahlen der Sterne nicht hätten hindurchdringen können: aber mit welcher Schüchternheit schienen sie sich durch diese Blätter zu stehlen, mit welch’ unendlicher Vorsicht schienen sie die Smaragde aus den goldenen Sand zu streuen.

In diesem Rondel war es noch dunkler, als anderwärts.

Regina war köstlich gekleidet, ganz weiß, wie eine Braut.

Es war eine Soiree im Hotel, aber Regina hatte Zeit gefunden, ihre Salontoilette mit einem großen Pudermantel von gesticktem Battist mit weiten Aermeln zu vertauschen, der ihre prachtvollen Arme sehen ließ: nur um Petrus nicht warten zu lassen, hatte sie ihre Juwelen anbehalten.

Ihr Hals war mit einer Schnur seiner Perlen umgeben, die wie eben so viele Tropfen hart gewordener Milch erschienen: zwei Diamanten, jeder von der Größe einer Erbse, glänzten in ihren Ohren: ein Strom von Brillanten war in ihre Haare ergossen und Bracelets von Smaragd, Rubin, Saphir, in allen Formen, Ketten, Blumen und Schlangen umwanden ihre Arme.

Sie war entzückend schön! Von glänzender und seiner Weiße wie der Mond und rings, wie dieser, von Sternen umgeben!

Als Petrus anhalten, aufathmen, stehen konnte, war er ganz geblendet. Niemand weniger, als dieser junge Mann, der Maler, Dichter und Liebender zugleich war, konnte sich Rechenschaft von dem Feengemälde geben, das er vor Augen hatte: dies leuchtende und schauernde Gehölz, dieser moosige, von Veilchen und Leuchtwürmern durchzogene Boden, von welchen die Einen ihren Duft, die Anderen ihr Licht ausstrahlten! aus einem nahen Zweige eine Nachtigall, welche ihr nächtliches Lied sang und ihren Rosenkranz melodischer Töne abperlte, und sie, Regina! sie! aus seinen Arm gestützt! berauschend und berauscht! Der Mittelpunkt dieses reizenden Gemäldes! Eine Statue von rosa Alabaster! . . . ’

Man wird zugeben, daß dies mehr war, als es brauchte, um einen Gleichgültigen verliebt und einen Verliebten verrückt zu machen; es war ein voller, echter Sommernachtstraum, – ein Traum der Liebe und des Glückes.

Petrus gab sich all diesen Berauschungen hin.

Aber wie schrecklich für den armen Petrus! mitten unter diesen Berauschungen war auch die des Reichthums.

Gewiß wäre Regina ohne Perlen, ohne Diamanten, ohne Rubine, ohne Smaragde, ohne Saphir immer noch schön gewesen, denn sie wäre Frau geblieben; aber war es bei ihrem Namen Regina genug für sie, Frau zu sein, mußte sie nicht auch ein wenig Königin sein?

Leider! war es das, was sich Petrus zugleich , vor Liebe und Kummer seufzend sagte: er erinnerte sich des Geständnisses, das er seiner Geliebten zu machen hatte.

Er öffnete den Mund, um ihr Alles zu sagen; aber es war ihm, als ob noch viele andere Worte, als die dieses demüthigenden Geständnisses auf seinen Lippen schwebten, auf der Schwelle seines Herzens sich drängten.

»Später! später!« murmelte er leise.

Und als Regina sich auf eine Moosbank setzte, legte er sich zu ihren Füßen, ihre Hände küssend und zwischen den Juwelen, welche ihre Arme bedeckten, nach einem Platze suchend, auf den er seine Lippen pressen könnte.

Regina sah wohl, daß alle diese Bracelets Petrus genierten.

»Entschuldigen Sie mich, mein Freund,« sagte sie, »ich bin gekommen wie ich war. Ich wollte Sie nicht warten lassen: und dann hatte ich Eile, Sie zu sehen. Helfen Sie mir, mich dieser Juwelen entledigen.«

 

Dann drückte sie ein Schloß nach dem andern an ihren Bracelets aus und ließ alle diese in Gold gefaßten Rubinen, Smaragde und Saphire wie einen Funkenregen um sich her fallen.

Petrus wollte sie ausheben.

»O, lassen Sie das, lassen Sie das!« sagte sie mit jener aristokratischen Sorglosigkeit des Reichthums, »das ist Nanons Sache. Sieh, mein vielgeliebter Petrus, da sind meine Arme und meine Hände: sie gehören jetzt ganz Dir: keine Ketten mehr, nicht mal goldene: keine Fesseln mehr, nicht mal diamantene!«

Was sollte man daraus sagen? Niederknien und anbeten.

Petrus überließ sich, wie der Indier, der süßen Träumerei, der stummen Betrachtung der Schönheit, einer Trunkenheit, die der des Hadschidschs glich.

Nach einem stummen Augenblicke, während welches sein Blick in den von Regina versunken und seine Seele in der Seele des jungen Mädchens wieder auszuleben schien, rief er in leidenschaftlicher Begeisterung:

»O meine geliebte Regina! Gott kann mich jetzt zu sich rufen, denn ich habe die Hände und die Lippen jener unbekannten Blume berührt, welche man das menschliche’ Glück nennt, und ich habe gelebt. Nie, selbst in den kühnsten Hoffnungen nicht, hatte« mein süßester Traum mir einen kleinen Theil der Freuden gegönnt, die Sie wie eine wohlthätige Göttin über mich ausstreuen. Ich liebe Sie, Regina, über jeden Ausdruck, über Zeit und Leben hinaus, und die Ewigkeit scheint mir kaum zu genügen, um Ihnen zu wiederholen: Ich liebe Dich, Regina, ich liebe Dich!«

Die junge Frau ließ von selbst ihre Hand auf seine Lippen fallen.

Regina saß, wie gesagt, und Petrus lag zu ihren Füßen; aber die Hand Regina’s küssend, erhob er sich halb; den Arm um ihren Hals schlingend, erhob er sich ganz.

So kam es, daß er aufrecht stand und sie saß.

Auf diese Weise beherrschte er sie mit der ganzen Größe seines Wuchses.

Nun trat ihm der Gedanke an seine Armuth wieder vor die Seele und er stieß einen Seufzer aus.

Regina zitterte: sie verstand wohl, daß dies ein Seufzer des Schmerzes und nicht der Liebe sei.

»Was haben Sie denn, mein Freund?« fragte sie mit einem gewissen Schrecken,

»Ich? Nichts!« sagte Petrus, den Kopf schüttelnd.

»Gewiß,« sagte Regina, »Sie sind traurig, Petrus; sprechen Sie, ich will es.«

»Ich hatte schweren Kummer, meine Freundin.«

»Sie.«

»Ja.«

»Wann?«

»In letzter Zeit.«

»Und Sie haben mir nichts davon gesagt, Petrus? Nun, was ist Ihnen denn geschehen? Sprechen Sie, sprechen Sie!«

Und Regina erhob den Kopf, um Petrus besser zu sehen.

Seine schönen Augen waren voll Liebe und glänzten wie die in ihrem Haare zerstreuten Diamanten. Wenn nichts dagewesen, als die Augen Reginas, so hätte Petrus vielleicht gesprochen.

Aber es waren auch Diamanten da.

Die Diamanten blendeten ihn.

O! war es nicht wirklich ein grausames Geständniß, das darin bestand, dieser großen Dame, die ebenso reich als schön, zu enthüllen, daß sie einen armen Teufel von Maler zum Geliebten habe, dessen Meubles man in vier bis fünf Tagen im Aufstreich verkaufe?

Und dann dieser arme Teufel von Maler, war er bei dem Geständniß seiner Armuth gegenüber der reichen Frau nicht gezwungen, zu gleicher Zeit seiner makellosen Freundin zu gestehen, daß er ein schlechter Sohn habe sein müssen?

Diesmal noch fehlte ihm der Muth.

»Böse,« sagte er, »ist es nicht ein tiefer Kummer, Paris verlassen und sechs Tage leben zu müssen, ohne Sie zu sehen?«

Regina zog ihn an sich, indem sie ihm die Stirne darbot.

Petrus preßte seine Lippen mit einem Zittern der Freude daraus, das seine Gesichtszüge erhellte.

In diesem Augenblicke berührte das aussteigende Licht des Mondes gerade die Stirne von Petrus.

Als sie ihn durch dieses doppelte Licht so glänzend beleuchtet sah, konnte Regina einen Schrei der Bewunderung nicht zurückhalten.

»Sie sagen mir bisweilen, Petrus, daß ich schön sei.«

Der junge Mann unterbrach sie.

»Ich sage es Ihnen immer, Regina!« rief er: »wenn nicht mit meinen Lippen, so doch mit meinem Herzen.«

»Nun, lassen Sie mich Ihnen einmal sagen, daß Sie schön sind!«

»Wie?« jagte Petrus erstaunt.

»Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß Sie schön sind und daß ich Sie liebe, mein edler van Dyk. Ich sah gestern im Louvre das Portrait des großen Malers, dessen Talent Ihnen Gott gegeben und dessen Namen ich Ihnen gebe. Als ich mich erinnerte, in Genua die Liebesgeschichte van Dyks mit der Gräfin von Brignolles erzählen gehört zu haben, war ich im Begriffe, Ihnen zu sagen . . . – sieh, wie sich das glücklich trifft, mein Petrus, daß ich Dich in jenem Momente nicht traf! – ich war im Begriffe, Dir zu sagen: Ich gehöre Ihnen, wie sie ihm gehörte, denn Sie sind schön wie er, und ich liebe Dich gewiß noch mehr, als sie ihn liebte!«

Petrus stieß einen Freudenschrei aus.

Dann ließ er sich neben ihr nieder, umschlang ihre Hüfte und zog sie sanft an sich.

Regina bog sich wie ein Palmbaum unter dem Abendwind, und ihr Haupt aus Petrus’ Brust senkend, hörte sie lächelnd die rascheren Schläge des Herzens, deren jeder ihr sagte: »Regina, ich liebe Dich!«

Es war wirklich eine reizende Gruppe, diese schönen jungen Leute, so eng umschlungen, und der Engel des Glückes hätte sie sollen in dieser Ekstase versteinern.

Das Wort erstarb aus ihren Lippen. Was hatten sie sich zu sagen? Der Athem von Petrus liebkoste die Haare der jungen Frau und ließ sie erzittern, wie eine Sinnpflanze unter dem Hauche eines Vogels.

Sie hatte die Augen geschlossen und genoß im Innern die unaussprechlichen Freuden, welche die Religion die Sterblichen hoffen läßt, wenn sie in einer andern Welt unter dem Blicke des Herrn erwachen werden.

Eine Stunde verstoß aus solche Weise in diese: berauschenden Lethargie: Jedes genoß seinerseits das Glück, das es dem Andern gab, und sog es wollüstig schweigend ein, wie wenn ein zu lautes Aussprechen eines solchen Glückes die Sterne, die es beleuchteten, eifersüchtig machen müßte.

Aber weder das Eine noch das Andere entging dem Einfluß der liebevollen Umarmung: ihr Athem wurde gepreßter, ihr Blick feuchter: ihr Hauch schien eine Klage: ihr Blut schien wie eine ansteigende Fluth das Herz überschwemmt zu haben und schlug in den Arterien ihrer Stirne.

Regina wachte plötzlich wie ein Kind aus, das sich einem bösen Traume entreißt, und an allen Gliedern zitternd, während die Lippen an denen des jungen Mannes beinahe klebten, murmelte sie:

»Geh . . . geh . . . verlasse mich, Petrus!«

»Schon!« sagte der junge Mann, »schon! . . . Warum Dich verlassen, mein Gott?«

»Ich sagte Dir, Du sollst gehen, Inniggeliebter: geh . . . geh!«

»Droht uns eine Gefahr, angebeteter Engel?«

»Ja, eine große, eine furchtbare!«

Petrus erhob sich und sah um sich.

Regina ließ ihn wieder sich setzen und sagte mit einem Lächeln, das dem Schreck nicht fremd ist:

»Nein, die Gefahr ist nicht, wo Du sie suchst, mein Freund.«

»Wo ist sie denn?« fragte Petrus.

»Sie ist in uns, sie ist in unsern Herzen, sie ist auf unsern Lippen, sie ist in dem Drucke Deiner Arme, in den Ketten der meinen . . . Habe Mitleid mit mir, Petrus . . . ich liebe Dich zu sehr!«

»Regina! Regina!« rief Petrus, indem er den Kopf des jungen Mädchens zwischen seine Hände preßte und sie leidenschaftlich küßte.

Der Druck dauerte unbeschreiblich lange. In diesem feurigen und doch reinen Kuß, wie der von zwei Engeln, vermischten sich ihre Seelen. Ein Stern schoß vom Himmel und schien einige Schritte von ihnen zu fallen.

Regina riß sich mit einer letzten Anstrengung aus den Armen des jungen Mannes.

»Fallen wir nicht vom Himmel wie er, mein inniggeliebter Petrus,« sagte Regina, indem sie ihn mit ihren beiden in Thränen der Liebe getauchten Augen ansah.

Petrus nahm sie bei der Hand, zog sie an sich und hauchte ihr einen Kuß auf die Stirne, der nicht reiner unter den Lippen eines Bruders hätte sein können.

»Im Angesichte Gottes, der uns sieht,« sagte er, »im Angesichte der Sterne, die seine Augen sind, gebe ich Dir diesen Kuß als Zeichen der höchsten Achtung und der tiefsten Ehrfurcht.«

»Danke, mein Freund,« sagte Regina. »Deine Stirne.«

Petrus gehorchte, und die junge Frau gab ihm den Kuß zurück, den sie so eben von ihm empfangen.

In diesem Moment schlug es Drei und Nanon erschien.

»In einer halben Stunde wird es Tag sein,« sagte sie.

»Du siehst, Nanon,« machte Regina, »wir sagen uns Lebewohl.«

Sie trennten sich.

Aber in dem Augenblicke, als ihre Hände sich loslassen wollten, hielt Regina Petrus’ Hand.

»Freund,« sagte sie, »morgen, hoffe ich, wirst Du einen Brief von mir erhalten.«

»Ich hoffe dasselbe,« sagte der junge Mann.

»Aber einen guten Brief.«

»Alle Deine Briefe sind gut, Regina, mir ist der letzte immer der Beste.«

»Dieser wird der Beste der Besten sein.«

»O mein Gott! ich bin so glücklich, daß ich mich beinahe fürchte.«

»Habe keine Furcht und sei glücklich!« sagte Regina.

»Was wirst Du mir denn in diesem Briefe sagen, meine innig geliebte Freundin?«

»O habe Geduld und warte: müssen wir uns nicht Glück für die Tage aufbewahren, wo wir uns nicht mehr sehen?«

»Dank, Regina: Du bist ein Engel.«

»Auf Wiedersehen, Freund!«

»Auf ewig? nicht wahr?«

»Geht,« machte Nanon, »wie ich sagte, da bricht der Tag an.«

Petrus senkte den Kopf und ging weg, den Blick beständig nach der jungen, Frau gewandt.

Was sagte Nanon und was sprach sie vom Tage?

In diesem Momente bedeckte sich der Himmel in den Augen der Liebenden mit einem Schleier, die Nachtigall hörte auf zu singen, die Sterne verschwanden am Himmel, und der ganze für sie geschaffene Feenzauber schien mit ihrem letzten Kuß verschwunden.

LII
Die Rue de Jerusalem

Salvator hatte, als er die drei jungen Leute verließ, gesagt: »Ich will Herrn Sarranti zu retten suchen, den man in acht Tagen hinrichtet.«

Nachdem er die drei jungen Leute hatte Jeden seines Weges gehen lassen, eilte er nach der Rue d’Enfer, ging durch die Rue de la Harpe und über den Pont St. Michel, dann an dem Quai hin und beinahe im selben Momente, in dem jeder seiner Freunde zu seinem Rendez-vous kam, stand er vor dem Hotel der Präfectur.

Wie das erste Mal hielt der Concierge Salvator an und fragte ihn:

»Wohin gehen Sie?«

Wie das erste Mal nannte sich Salvator.

»Verzeihung, mein Herr,« sagte der Concierge, »ich hatte Sie nicht erkannt.«

Salvator ging vorüber.

Dann ging er über den Hof, trat unter dem Bogen ein, stieg in das zweite Stockwerk und kam in das Vorzimmer, wo sich der Huissier des Dienstbureaus befand.

»Herr Jackal?« fragte Salvator.

»Er erwartet Sie,« antwortete der Huissier, indem er die Thüre zum Cabinet des Herrn Jackal öffnete.

Salvator trat ein und gewahrte den Polizeichef in der Tiefe eines Voltaire-Fauteuil begraben.

Als Herr Jackal den jungen Mann erscheinen sah, erhob er sich und ging ihm lebhaft entgegen.

»Sie sehen, daß ich Sie erwartete, lieber Herr Salvator,« sagte er zu ihm.

»Ich danke Ihnen, mein Herr,« sagte Salvator nach seiner Gewohnheit mit ziemlich viel Stolz und Verachtung.

»Haben Sie mir nicht gesagt,« fragte ihn Jackal, »daß es sich ganz einfach um eine kleine Expedition in der Umgegend von Paris handle?«

»Allerdings,« antwortete Salvator.

»Lassen Sie satteln,« sagte Herr Jackal zu dem Huissier.

Dieser ging.

»Setzen Sie sich, lieber Herr Salvator,« sagte Jackal, indem er dem jungen Mann einen Sitz anwies. »In fünf Minuten können wir gehen. Ich hatte Ordre gegeben, die Pferde aufgezäumt in Bereitschaft zu halten.«

Salvator setzte sich, aber nicht aus den Stuhl, den ihm Herr Jackal angewiesen, sondern aus einen andern entfernteren.

Man hätte glauben können, der junge Mann mit dem reinen Instincte meide die Berührung mit dem Leithunde der Polizei.

Herr Jackal bemerkte diese Bewegung, zeigte aber nur durch eine leichte Bewegung der Augbrauen, daß er sie bemerkt.

Dann zog er seine Tabaksdose aus der Tasche, setzte seiner Nase tüchtig mit Tabak zu und sagte, indem er sich in seinen Fauteuil zurücklehnte und die Brille abnahm:

»Wissen Sie, woran ich dachte, als Sie eintraten, lieber Herr Salvator?«

»Nein, mein Herr, ich habe keine Ahnungsgabe, auch ist es nicht mein Beruf.«

»Nun wohl, ich fragte mich, woher Sie diese Macht der Liebe zur Menschheit haben mögen?«

»Aus meinem Gewissen, mein Herr,« antwortete Salvator, »und ich habe immer vor Allem, selbst vor den Versen des Virgil, jenen Vers des carthagischen Dichters bewundert, der ihn vielleicht nur gemacht, weil er ein Sclave war:

 

Homo sum et nil humani a me alienum puto.28

»Ja, ja,« sagte Herr Jackal, »ich kenne den Vers: er ist von Terenz, nicht wahr?«

Salvator machte ein Zeichen der Bejahung mit dem Kopfe.

Herr Jackal fuhr fort:

»Wahrhaftig, mein lieber Herr Salvator,« sagte er, »wenn das Wort Philantrop noch nicht existierte, man müßte es für Sie schaffen. Der glaubwürdigste Journalist der Welt—wenn ein Journalist je glaubwürdig war – würde morgen schreiben, daß Sie mich um Mitternacht ausgesucht, um mich mit einer guten Handlung zu verbinden, die man ihm nicht glaubte: noch mehr, man würde bei Ihnen irgend ein Interesse bei dieser uninteressierten Handlung voraussetzen. Ihre politischen Freunde würden nicht ermangeln, Sie zu desavouiren, und ganz laut zu schreien, Sie seien an die bonapartistische Partei verkauft: denn sich so daraus zu pikiren, diesem Herrn Sarranti das Leben zu retten, der aus der andern Welt kommt, den Sie vielleicht nie gesehen, als in dem Augenblicke, da er aus der Place de l’Assomption verhaftet wurde! diese Beharrlichkeit, mit der Sie einem Gerichtshose beweisen wollen, daß er sich absolut getäuscht hat und daß er einen Unschuldigen verurtheilte, heißt das nicht, würden Ihre politischen Freunde sagen, den eclatantesten Beweis des Bonapartismus geben?«

»Einen Unschuldigen retten, Herr Jackal, beißt einen Beweis von Rechtlichkeit geben. Ein Unschuldiger gehört keiner Partei an oder vielmehr er gehört zur Partei Gottes.«

»Ja, ja, gewiß, und das ist klar und genügend für mich, der ich Sie von langer Zeit her kenne und der seit alten Zeiten weiß, daß Sie, wie man sagt, ein Freidenker sind. Ja, ich weiß, daß man schlecht ankäme, wollte man so fest gewurzelte Meinungen angreifen. Man wird es deßhalb auch bleiben lassen. Aber, wenn es Jemand unternähme, wenn man Sie zu verleumden suchte? . . . «

»Das wäre verlorene Mühe, mein Herr: Niemand würde es glauben.«

»Ich war in Ihrem Alter,« sagte Herr Jackal mit einer leichten Tinte von Melancholie; »ich hatte über Meinesgleichen dieselbe Ansicht, die Sie davon haben. Ich habe es seitdem bitter bereut und habe wie Mephistopheles gerufen – Sie haben Ihre Citation gemacht, lieber Herr Salvator, erlauben Sie, daß ich die meinige mache – ich habe wie Mephistopheles gerufen: »»Glaube unser einem. Dieses Ganze ist nur für einen Gott gemacht! Es findet sich in einem ewigen Glanze, uns hat er in die Finsternis gebracht . . . ««

»Gut,« sagte Salvator, »ich werde Ihnen wie der Doctor Faust antworten: »»Allein ich will!««

»Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang!« fuhr Herr Jackal fort, die Citation zu Ende führend.

»Was wollen Sie?« antwortete Salvator, »der Himmel hat mich so geschaffen. Die einen sind von Natur zum Bösen getrieben; ich dagegen fühle mich durch einen natürlichen Instinct, durch eine unwiderstehliche Macht zum Guten getrieben. Damit will ich Ihnen sagen, mein Herr Jackal, daß alle Philosophen, die pedantischsten und die geschwätzigsten, wenn sie sich mit einander verbänden, mich nicht von meinem Vorsatz abzubringen vermöchten.«

»O Tugend! Tugend!« murmelte Herr Jackal mit einer Art Entmuthigung, indem er traurig den Kopf schüttelte.

Salvator glaubte, daß der Augenblick gekommen sei, dem Gespräche eine andere Wendung zu geben. Seiner Ansicht nach entwürdigte Herr Jackal melancholisch die Melancholie.

»Da Sie mir die Ehre erzeigt, mich zu empfangen, Herr Jackal,« sagte er, »so erlauben Sie mir, mit wenigen Worten Sie au den Zweck meiner Expedition zu erinnern, die ich Ihnen vorgestern vorgeschlagen.«

»Ich höre, lieber Herr Salvator,« antwortete Herr Jackal.

Aber kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als der Huissier die Thüre wieder öffnete und meldete, daß der Wagen angespannt sei.

Herr Jackal erhob sich.

»Wir können aus dem Wege plaudern, lieber Herr Salvator,« sagte er und nahm seinen Hut, indem er dem jungen Mann ein Zeichen machte, daß er vorangehen möge.

Salvator verbeugte sich und ging.

Als sie in den Hof gekommen waren, setzte Herr Jackal, nachdem er den jungen Mann in den Wagen hatte steigen lassen, den Fuß aus den Tritt und fragte:

»Wohin gehen wir?«

»Aus den Weg von Fontainebleau nach der Cour-de-France.«

Herr Jackal wiederholte den Befehl.

»Jedoch durch die Rue Macon,« fügte der junge Mann hinzu.

»Durch die Rue Macon?« fragte Herr Jackal.

»Ja, bei mir vorüber, wir haben dort einen Reisegefährten mitzunehmen.«

»Teufel, wenn ich das gewußt,« rief Herr Jackal, »so hätte ich die Berline statt des Coupe befohlen.«

»O,« sagte Salvator, »seien Sie ruhig, er wird Sie nicht genieren.«

»Rue Macon, Nr. 4,« sagte Herr Jackal.

Der Wagen fuhr ab.

Einige Secunden später hielt er vor der Thüre des Herrn Salvator.

Salvator trat ein, indem er die Gangthüre mit seinem Schlüssel öffnete.

Kaum hatte er den Fuß auf die erste Stufe der Wendeltreppe gesetzt, als das obere Ende sich erhellte.

Fragola erschien mit einem Lichte in der Hand und gleich einem Sterne, den man von der Tiefe eines Brunnens erblickt.

»Bist Du es, Salvator?« sagte sie.

»Ja, Liebe.«

»Kehrst Du zurück?«

»Nein, ich werde erst Morgen um acht Uhr nach Hause kommen.«

Fragola stieß einen Seufzer aus.

Salvator ahnte diesen Seufzer mehr als daß er ihn hörte.

»Fürchte Nichts,« sagte er, »es hat keine Gefahr.

»Nimm immerhin Roland mit.«

»Ich kam, ihn zu holen.«

Und Salvator rief Roland.

Als ob er nichts, als diesen Ruf gehört, kam der Hund die Treppe herabgesprungen und legte die beiden Tatzen aus den Hals seines Herrn.

»Und ich?« fragte Fragola traurig.

»Komm!« sagte Salvator.

Wir haben so eben das junge Mädchen einem Sterne verglichen.

Ein Stern, der am Himmel hingleitet, und in einigen Secunden den Raum von einem Horizonte zum andern durchmißt, gleitet nicht schneller daran hin, als Fragola an der Rampe der Treppe hinab.

Sie lag in dem Arme des jungen Mannes.

Dort beschwichtigten sie das ruhige Lächeln und das glänzende Auge Salvators.

»Bis Morgen, oder vielmehr heute um acht Uhr,« sagte sie.

»Bis heute um acht Uhr.«

»Geh, mein Salvator,« sagte sie, »Gott ist mit Dir.«

Und sie folgte dem jungen Manne mit den Augen, bis die Thüre geschlossen war.

Salvator nahm seinen Platz bei Herrn Jackal wieder ein und rief zum Kutschenschlag hinaus:

»Folge mir.«

Und als wenn Roland wüßte, wohin es ginge, folgte er nicht nur, sondern sprang sogar in der Richtung der Barrière Fontainebleau voraus.

28Ich bin ein Mensch und achte nichts Menschliches mir fremd.