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LXIX
Rom

Unsere Leser werden uns wohl – wenigstens hoffen wir dieß – für einige Augenblicke die Erklärung, welche zwischen Petrus und Regina stattfinden wird, vertagen lassen, um einem Helden dieser Geschichte, welchen wir seit lange verlassen haben, und an welchem sie, wie uns dünkt, einiges Interesse nehmen, auf seiner Pilgerreise zu folgen.

Da es uns unmöglich ist, ihm aus seinem langen Wege über die Alpen und die Apenninnen zu folgen, so nehmen wir an, das sechs Wochen verflossen sind, seit Bruder Dominique auf dem Wege von Fontainebleau Abschied von Salvator genommen; daß er seit acht Tagen in Rom angekommen ist; daß, sei es durch Zufall, sei es in Folge zuvor getroffener Vorsichtsmaßregeln, er sich vergeblich bemüht, zum Papst Leo Xll zu gelangen, und daß er in der Verzweiflung darüber entschlossen ist, seine Zuflucht zu dem Briefe zu nehmen, den ihm Salvator zu diesem Ende mitgegeben.

Der Leser wird deshalb mit uns den Hof des Pallazzo Colonna auf der Via dei Santi Apostoli betreten; er wird mit uns al Piano nobile, das heißt in den ersten Stock steigen; er wird, Dank dem Privilegium, das der Romenschreiber hat, überall einzudringen, durch die Flügel einer selbstgeöffneten Thüre schleichen und befindet sich nun in dem Cabinet des französischen Gesandten.

Das Cabinet ist einfach, grün tapeziert, mit Damastvorhängen und Meublen von demselben Stoff und derselben Farbe.

Die einzige Zierde, die sich in diesem Cabinete, ehemals einem der bildereichsten von Rom, befindet ist ein Portrait des Königs von Frankreich, Carl X.

Rings im Zimmer umher an die Wände gelehnt befanden sich verstümmelte Säulenstücke ein Frauenarm, ein Männertorso, welche bei den neueren Ausgrabungen im Boden gefunden worden; neben ihnen ein ungeheurer griechischer Marmorblock und gegenüber von dem Arbeitstisch ein Grabmodell.

Dieses Grab von sehr einfacher Form überragt eine Büste Poussins.

Das Basrelief stellt die arcadischen Schäfer dar.

Unter dem Basrelief liest man folgende Inschrift.

F. R. de Ch.A Nicolas Poussin.Pour la Gloire des arts et l’Honneurde la France.

An dem Arbeitstisch sitzt ein Mann und schreibt eine Depesche mit langer und leserlicher Schrift.

Dieser Mann ist ungefähr sechzig Jahre alt; seine breite und vorstehende Stirne wird von einigen grauen Haaren beschattet; seine schwarzen Augenbraunen bergen ein Auge, des Blicke wie Blitze schleudert; die Nase ist dünn und lang; der Mund dünn und fein; das Kinn schön gezeichnet; die von der Sonne auf den langen Reisen gebräunten Wangen sind mit leichten Blatternarben gebrandmarkt: das Ensemble der Physiognomie ist zu gleicher Zeit stolz und sanft; Alles deutet auf einen Mann von hoher Intelligenz, rascher Uebersicht und schnell fertigem Entschlusse; Dichter oder Soldat, gehört er zur alten französischen Race, zur kriegerischen Race.

Dieser Mann ist Niemand anders, als der Dichter, welcher »René«, »Atala«, die »Märtyrer« geschrieben; er ist der Staatsmann, der das Pamphlet: »Bonaparte und die Baurbonen« herausgegeben, der die berühmte Ordonnanz vom 8. September in der Broschüre: »Von der Monarchie nach der Charte« kritisiert: es ist der Minister, der im Jahre 1823 Spanien den Krieg erklärt, der Diplomat, der Frankreich hintereinander in Berlin und London repräsentiert; es ist der Vicomte Francois René de Chateaubriand, Gesandter in Rom.

Sein Adel ist alt, wie Frankreich.

Bis zum dreizehnten Jahrhundert hatten seine Ahnen im Wappen ein gelbes Feld mit Pfauenfedern: als jedoch in der Schlacht bei Mansurah Geoffrey, der vierte des Namens, welcher vor dem h. Ludwig die Fahne Frankreichs trug, sich eher in seine Fahne gehüllt, als daß er sie den Sarazenen ausgeliefert und mehrere Wunden erhalten, welche zu gleicher Zeit die Standarte und das Fleisch zerrissen, ertheilte der h. Ludwig diesem das Privilegium, das Wappen mit Mäulern zu schmücken, aus denen zahllose goldene Lilien hervorsahen, und die Devise darum zu setzen:

»Mein Blut hat das Banner von Frankreich gefärbt.«

Dieser Mann ist der Grand Seigneur und Dichter par excelence; die Vorsehung hat ihn auf den Weg der Monarchie gestellt, wie jenen Propheten, von dem der Geschichtsschreiber Josephus spricht, der sieben Tage um die Mauern von Jerusalem ging und beständig rief: »Jerusalem, Fluch über Dich!« und am siebenten Tage rief: »Fluch über mich!« da ein Stein, der von den Mauern sich losmachte, ihn zerschmetterte.

Die Monarchie haßt ihn, wie Alles, was gerecht ist und die Wahrheit sagt: auch hat sie ihn von sich entfernt, indem sie sich die Miene gibt, seine Hingebung zu belohnen. Man hat auf den Künstler speculirt: man hat ihm die Gesandtschaft in Rom angeboten: er konnte seiner Liebhaberei zu den Ruinen nicht widerstehen und so ist er Gesandter in Rom.

Was thut er in Rom? -

Er verfolgt mit den Blicken das Leben Leo’s XII, das am Erlöschen ist.

Er schreibt an Madame Recamier, die Beatrie dieses zweiten Dante, die Leonore dieses zweiten Petrarca; er bereitet ein Monument für Poussin vor, dessen Basrelief Desprez und dessen Büste Lemoyne machen wird; endlich stellt er in seinen verlorenen Augenblicken Nachgrabungen in Torre Vergata an, nicht mit dem Gelde der Regierung, sondern wohl verstanden mit seinem eigenen, und die Trümmer von Alterthümern, die man in seinem Zimmer findet, sind die Resultate dieser Nachgrabungen.

Man findet ihn glücklich, wie ein Kind: am Tage vorher hat er in dieser Lotterie der Todten, wie er es nennt, einen ziemlich bedeutenden Block von griechischem Marmor gewonnen, aus dem er eine Poussinbüste meißeln lassen kann.

in diesem Augenblick der Freude öffnet sich die Thüre, er sieht auf und fragt den Huissier, der die Thüre hütet:

»Was gibt es, Gaetano?«

»Excellenz,« antwortete der Huissier, »es ist ein französischer Mönch, der zu Fuß den Weg von Paris nach Rom gemacht, und der mit Ihnen, wie er, sagt, in einer höchst wichtigen Angelegenheit sprechen möchte.«

»Ein Mönch!« wiederholte der Gesandte erstaunt, »und von welchem Orden?«

»Dominicaner.«

»Lassen Sie ihn eintreten.«

Er stand augenblicklich auf.

Er hatte, wie alle großen Herzen, wie alle großen Dichter, den tiefsten Respekt vor heiligen Dingen und Menschen.

Man konnte jetzt sehen, daß er von kleiner Gestalt, daß sein Kopf etwas zu groß für seinen Körper war, und daß er wie alle Abkömmlinge kriegerischer Geschlechter, deren Vorfahren zu viel den Helm getragen, den Kopf etwas zu tief in den Schultern sitzen hatte.

Der Mensch fand ihn, als er auf der Thür erschien, bereits stehend.

Die beiden Männer brauchten nur einen Blick auszutauschen, um sich zu kennen aber sagen wir vielmehr, am sich wieder zu erkennen.

Gewisse Herzen und gewisse Geister sind von derselben Familie; überall, wo sie sich begegnen, erkennen sie sich: sie haben sich allerdings nie gesehen, aber die Seelen, die sich wie gesehen, werden sie sich im Himmel nicht erkennen?

Der Aeltere von Beiden streckte die Hände aus.

Der Jüngere verbeugte sich.

Dann sagte der Aeltere zu dem Jüngeren mit dem Gefühl des tiefsten Respektes:

»Treten Sie ein, mein Vater.«

Bruder Dominique trat ein.

Der Gesandte gab dem Huissier ein Zeichen, daß er die Thüre schließe und sie durch Niemanden stören lasse.

Der Mönch zog aus seiner Tasche einen Brief und gab ihn Herrn von Chateaubriand, der kaum den Blick darauf geworfen, als er seine eigene Handschrift erkannte.

»Ein Brief von mir?« sagte er.

Ich habe keine bessere Einführung bei Eurer Excellenz gefunden,« antwortete der Mönch.

»An meinen Freund Valgeneuse! . . . Wie kommt dieser Brief in Ihre Hände, mein Vater?«

»Ich habe ihn von seinem Sohne, Excellenz.«

»Von seinem Sohne?« rief der Gesandte; »von Conrad?«

Der Mönch machte ein bejahendes Zeichen mit dem Kopf.

»Der arme junge Mann,« sagte der Greis melancholisch; »ich kannte ihn jung, schön, voll Hoffnungen; er starb sehr unglücklich, sehr traurig.«

»Wie alle Andern glauben Sie, daß er todt ist, Excellenz; Ihnen jedoch, dem Freunde seines Vaters kann ich sagen: Er ist nicht todt; er lebt und legt seinen Respekt zu Ihren Füßen.«

Der Gesandte sah den Mönch mit bestürzter Miene an.

Er zweifelte, daß der letztere bei gesunder Vernunft sei.

Der Mönch begriff den Zweifel, der in dem Geiste seines Mitunterredners aufstieg.

Er lächelte traurig.

»Ich bin kein Narr,« sagte er; »fürchten Sie nichts und vor Allem zweifeln Sie nicht: Sie, der Mann, der in alle Geheimnisse eingeweiht ist, Sie müssen wissen, daß die Wahrheit über alle Geheimnisse geht.«

»Conrad lebt?«

»Ja.«

»Und was thut er?"

»Das ist nicht mein Geheimnis, es ist das Seine, Excellenz.«

»Was er auch thun mag, es ist etwas Bedeutendes; ich habe ihn gekannt, er besaß ein großes Herz. Nun aber sagen-Sie mir, wie und weßhalb hat er Ihnen diesen Brief gegeben: Was verlangen Sie? Verfügen Sie über mich.«

»Und Eure Excellenz stellt sich mir zur Verfügung, ohne zu wissen, mit wem sie spricht, ohne zu fragen, was ich bin.«

Sie sind ein Mensch, also mein Bruder, Sie sind ein Priester, also kommen Sie von Gott; ich brauche nicht mehr zu Wissen.«

»Ja, aber ich muß Ihnen Alles sagen: es ist möglich dass meine Berührung für den, der mich berührt, unheilvoll werden kann.«

»Mein Vater, erinnern Sie sich des Eid: der heilige Martin, in die Lumpen eines armen Aussätzigen gehüllt, rief ihn aus einem Graben an und sagte: »Herr Ritter, habt Mitleid mit einem armen Aussätzigen, der in diesen Graben gefallen, aus dem er nicht heraus kann, gebt ihm Eure Hand: sie läuft keine Gefahr dabei, da sie einen Eisenhandschuh trägt.« Der Cid stieg vom Pferde, näherte sich dem Graben und sagte, den Handschuh ausziehend: »Mit Gottes Hilfe werde ich Dir die bloße Hand geben.« Und er gab ihm die nackte Hand und der arme Aussätzige verwandelte sich in einen Heiligen, der ihn zum ewigen Leben führte. Hier ist meine Hand Vater, wenn man nicht will, daß ich der Gefahr trotze, muß man nicht sagen: Hier ist die Gefahr.«

 

Der Mönch behielt seine Hand in seinem langen Aermel versteckt.

»Excellenz, sagte er, »ich bin der Sohn eines Mannes, dessen Name ohne Zweifel bis zu Ihnen gedrungen ist.«

»Nennen Sie den Namen.«

»Ich bin der Sohn von . . . Sarranti, der vor zwei Monaten vom Assisenhof der Seine zum Tode verurtheilt wurde.«

Der Gesandte trat unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Man kann zum Tode verurtheilt und unschuldig sein.«

»Wegen Diebstahls und Meuchelmordes! murmelte der Gesandte.

»Erinnern Sie sich Calas, erinnern Sie sich Lefurques; seien Sie nicht strenger, oder vielmehr seien Sie nicht ungläubiger, als der König Carl X.«

»König Carl X?«

»Ja; als ich zu ihm eilte, als ich mich zu seinen Füßen warf, als ich zu ihm sagte: »Sire, ich bedarf drei Monate, um die Unschuld meines Vaters zu beweisen,« antwortete er mir: »Sie haben drei Monate; nicht ein Haar soll vor Ablauf der drei Monate dem Haupte Ihres Vaters fallen.« Und ich wanderte fort und stehe nun vor Eurer Excellenz, zu der ich sage: »Bei meinem Schwur, bei der Heiligkeit meines Bundes, bei dem Blute unseres Herrn Jesu Christi, das er für und vergossen, schwöre ich Eurer Excellenz, daß mein Vater unschuldig ist und daß der Beweise der Unschuld hier ist.«

»Der Mönch schlug sich auf die Brust.

»Sie haben hier auf ihrem Herzen den Beweis der Unschuld Ihres Vaters und Sie veröffentlichen ihn nicht?« rief der Dichter.

Der Mönch schüttelte den Kopf.

»Ich kann nicht,« sagte er.

»Was hindert Sie?«

»Meine Pflicht, das Kleid, das ich trage: das eiserne Siegel des Gelübdes ist durch die Hand des Unglücks wieder auf meine Lippen gelegt.«

»Dann muß man den heiligen Vater aufsuchen, den Papst, Seine Heiligkeit Leo XII um eine Audienz bitten. Der h. Petrus, dessen Nachfolger er ist, hat von Christus selbst das Recht erhalten, zu binden und zu lösen.

»Nun,« rief der junge Mönch , und eine plötzliche Freude erhellte seine Stirne, »das ist es ja, was ich in Rom suche; deßhalb bin ich hier bei Ihnen, in Ihrem Pallaste; ich will es Ihnen sagen: Seit acht Tagen mehrt man die Hindernisse unter meinen Füßen, man verweigert mir den Eintritt in den Vatikan; und doch verfließt die Zeit; das Messer hängt über dem Kopfe meines Vaters; jede Minute nähert es sich mehr; mächtige Feinde wollen seinen Tod! Ich hatte mir vorgenommen, erst im äußersten Falle zu Eurer Excellenz meine Zuflucht zu nehmen: aber dieser Augenblick ist gekommen; hier bin ich zu Ihren Füßen, wie ich zu den Füßen des Königs lag, den Sie vertreten ich muß Seine Heiligkeit so bald als möglich sehen, denn was ich auch thun mag, ist sonst zu spät.«

»In einer halben Stunde, mein Bruder, werden Sie zu den Füßen Seiner Heiligkeit sein.«

Der Gesandte läutete.

Der Huissier erschien wieder.

»Man spanne meinen Wagen an,« sagte er, »und helfe mir in meinem Zimmer beim Ankleiden.«

Dann sich nach dem Mönche umwendend, sagte er:

»Ich will..meine Gesandtenuniform anziehen; erwarten Sie mich, mein Vater, in Ihrer Rüstung.«

Zehn Minuten später fuhren der Mönch und der Gesandte über die Pia Passeio und Engelsbrücke nach dem St. Peterplatze.

LXX
Der Nachfolger des h. Petrus

Leo XII., Annibale della Genga, geboren bei Spoleto am 17. August 1760, zum Papste gewählt am 28. September 1823, – saß auf dem päpstlichen Throne seit beinahe fünf Jahren.

Er war an dem Tage, von welchem wir jetzt sprechen, ein Greis von achtundsechzig Jahren, groß, schmächtig, ernst und heiter zu gleicher Zeit: er hielt sich gewöhnlich in einem armseligen Kabinete, das beinahe ohne Meuble war , auf, und lebte, mit seiner Katze, seiner treuen Gefährtin, von etwas Polenta; er wußte, daß er sehr krank war, und sah sich mit beinahe heiterer Resignation dem Tode entgegen gehen; denn er hatte schon zweiundzwanzigmal die letzte Oelung erhalten, das heißt war schon zweiundzwanzigmal in Todesgefahr gewesen und befand sich ganz in der Stimmung wie Benedikt XIII seinen Sarg unter sein Bett stellen zu lassen.

Annibale della Genga war auf die Hinweisung seines Collegen, den Cardinal Severoli, hin, der nachdem er durch die Ausschließung Oestreichs beseitigt war, ihn als seinen Ersatzmann bezeichnete zum Papst erwählt worden.

In dem Augenblicke, als vierunddreißig Stimmen ihn zum Papste machten, und die Cardinäle, die ihn ernannt, ihre Glückwünsche an ihn richteten, hob er seinen Purpurmantel in die Höhe, und den Wählern der Conclave seine geschwollenen Füße zeigend rief er:

»Wie könnt Ihr glauben, daß ich meine Zustimmung geben werde, mich mit der Last beladen zu lassen , die Ihr mir auferlegen wollt? Sie ist zu schwer für mich! Was soll aus der Kirche inmitten dieses wirren Treibens werden, wenn ihre Leitung in die Hände eines kranken, sterbenden Papstes gelegt wird?«

Gerade diese Eigenschaft des Kranken und Sterbenden erhob Leo XII auf den päpstlichen Stuhl.

Man wählt einen neuen Papst nur unter der Bedingung, daß er bald möglichst sterbe, und noch keiner der zweihundertvierundfünfzig Nachfolger des h. Petrus hatte das Alter des Fürsten der Apostel, das heißt, ein fünfundzwanzigjähriges Pontificat erreicht.

»Non videbis annos Petri!« das ist das Sprichwort oder die Prophezeiung, mit der man die Wahl jedes neuen Papstes begrüßt.

Indem er den Namen Leo XII annahm, schien Annibale della Genga die doppelte Verpflichtung rasch zu sterben, übernommen zu haben.

Der Florentiner Leo XI, 1605 erwählt, hatte nur siebenundzwanzig Tage regiert.

Und doch schien dieser gebrechliche Mensch mit den geschwollenen Füßen einen Augenblick. Aus den Händen des heiligen Paulus das Schwert der Kirche erhalten zu haben.

Er machte der Räuberei einen furchtbaren Krieg, indem er alle-Bauern eines Dorfes aufhob, um sie in seine Vaterstadt Spoleto zu transportieren. Diese Bauern waren angeklagt, Verbindungen mit den Banditen zu unterhalten und selbst ein wenig Banditen zu sein. Von diesem Augenblicke an hörte man nicht mehr von ihnen sprechen, als bis sie nach Botany-Bay transportiert waren.

Aus anderen Rücksichten hielt er sehr streng auf Religionsübungen, indem er die Schauspiele und andere Unterhaltungen während des Jubeljahres verbot.

Er hatte eine Wüste aus Rom gemacht.

Die Römer in der Stadt haben nur eine Einkommesquelle das Vermiethen ihrer Häuser.

Die Römer in den Bergen haben nur einen Handel: ihre Verbindung mit den Banditen.

Daher kam es, daß der Papst Leo XII, da er die Römer von Rom und die Römer von den Bergen zu gleicher Zeit ruiniert hatte, von den Bewohnern der Stadt und der Berge zugleich verflucht wurde.

Bei seinem Tode wären zwei Bewohner von Ostia, welche das Verbrechen begangen, ihre Sympathie für den Verstorbenen zu zeigen, beinahe gesteinigt worden.

In seiner Jugend, wo er noch nicht der Kirche angehörte und il Marchesino – der kleine Marquis – genannt wurde, war ihm von einem Astrologen prophezeiht worden, dass er einst Papst werden würde.

In Folge dieser Prophezeiung ließ ihn seine Familie in den Orden eintreten.

Welchen Ereigniß hatte zu der Prophezeihung Anlaß gegeben?

Ein ziemlich seltsames Ereigniß, das nur ein ein wirklich mit dem Doppelgesicht begabten Menschen die Zukunft enthüllen konnte.

Als er noch im Collegium zu Spoleto war, veranstalteten die Schüler ohne Wissen ihrer Lehrer eine Prozession, indem sie die Statue der Madonna auf einer Bahre trugen.

Tier kleine Marquis de la Genga, – seine Ahnen, hatten Titel und Güter von Leo X erhalten, – der kleine Marquis de la Genga, welcher der schönste von allen Knaben war, mußte die Rolle der Madonna übernehmen.

Plötzlich hört man einen Professor kommen; die Schüler, welche ihre Bahre trugen, ergriffen die Flucht, die Jungfrau gleitet von ihren Schultern und fällt zur Erde, ohne indessen von der für sie improvisierten Sänfte zu stürzen.

Ein Zauberer prophezeit auf dies, daß der Knabe, der von den Schultern seiner Kameraden gefallen, indem er die Rolle der Madonna spielte, einst Papst werden würde.

Fünfzig Jahre später, als der Zauberer längst todt war, erfüllte sich die Prophezeiung.

Diese Schönheit, welche dem Knaben die Ehre eingetragen, die Rolle der Jungfrau zu spielen, hatte die Seele des Priesters mehr als einmal in Gefahr gebracht.«

Man sprach von zwei großen Leidenschaften, die sein Leben geläutert, vorausgesetzt, daß sie es einst besudelt: die eine für eine edle Römerin, die andere eine vornehme Bairin.

Als man ihm den Besuch des französischen Gesandten meldete, war er mit der Jagd auf kleine Vogel im Garten des Vatican beschäftigt.

Die Jagd war die einzige Leidenschaft – der h. Vater gestand das selbst – die Jagd war die einzige Leidenschaft, die er nicht überwinden konnte. Die Zelanti machten ihm ein Verbrechen aus diesem Vergnügen.

Leo XII war für Herrn v. Chateaubriant sehr eingenommen.

Als man ihm den Besuch des französischen Gesandten meldete, beeilte er sich die einläufige Flinte, mit der er jagte, seinem Kammerdiener zu geben, und begab sich mit dem Befehle, daß man den berühmten Fremden unverzüglich bei ihm einführe, nach seinem Kabinet.

Man führte den Gesandten und seinen Klienten durch einen schwarzen Corridor nach dem Gemache Seiner Heiligkeit.

Als sie auf der Schwelle erschienen, hatte sich der Papst bereite gesetzt und wartete. Er stand auf und ging dem Dichter entgegen; Der Poet setzte nach dem gewöhnlichen Ceremoniel und des hohen Ranges nicht achtend, den er selbst einnahm, ein Knie auf die Erde.

Leo XII aber hob ihn rasch auf, indem er durchaus nicht duldete, dass er in dieser demüthigen Stellung bliebe, nahm ihn bei der Hand und führte ihn zu einem Fauteuil.

Mit Dominique war es jedoch nicht der gleiche Fall.

Der Papst ließ ihn ruhig niederknien und den Rand seiner Kleider küssen.

Als der Papst sich umwandte, sah er Herrn von Chateaubriant immer noch stehen und gab ihm von neuem ein Zeichen, daß er sich setzen solle.

Dieser aber sagte:

»Allerheiligster Vater, gestatten Eure Heiligkeit, daß ich nicht nur stehen bleibe, sondern mich sogar entferne. Ich habe Ihnen diesen jungen Mann gebracht, der das Leben seines Vaters von Ihnen erstehen will. Er hat vierhundert Meilen hierher gemacht, er wird vierhundert Meilen nach Hause machen. Er kam voll Hoffnung und je nachdem Sie ja oder nein sagen, wird er in Freude oder in Thränen scheiden.«

Dann sich nach dem jungen Manne umwendend, der noch immer auf den Knieen lag, sagte-er:

»Habt Muth, mein Sohns ich lasse Euch mit dem allein, der so hoch über den Königen steht, als die Könige über dem armen Bettler, welcher uns an der Thüre des Vatican um ein Almosen bat.«

»Kehren Sie also nach der Gesandtschaft zurück,« fragte der junge Mann, beinahe erschrocken, ganz auf seine eignen Kräfte angewiesen zu sein, »und werde ich Sie nicht wiedersehen?«

»O doch,« sagte der Beschützer des Bruder Dominique lächelnd; »ich fühle ein zu lebhaftes Interesse für Euch, um mich so zu entfernen. Ich erwarte Euch mit der Erlaubnis Seiner Heiligkeit in den Stanzen. Fürchtet nicht, mich zu lange Zeitwarten zu lassen, ich werde sie vor den Werken dessen vergessen, der sie überwunden hat.«

Der Papst bot ihm die Hand, und trotz seines Wiederstrebens, küßte sie ihm der Gesandte.

Dann ging er weg, indem er die höchste und die niederste geistliche Stufe mit einander allein ließ.

Den Papst und den Mönch.

Moses wurde nicht blasser und zitterte nicht mehr, als er, von den Sonnenstrahlen der göttlichen Herrlichkeit geblendet, auf dem Sinai stand, denn der Bruder Dominique, als er sich mit Leo XII allein sah.

Je weiter er gekommen, um den zu suchen, der das Leben seines Vaters in der Hand hielt, desto mehr war sein Herz voll Angst und Zweifel als er am Ziele stand.

Der Papst brauchte nur einen Blick auf den schönen. Mönch zu werfen, um zu sehen, daß er einer Ohnmacht nahe war.

Er bot ihm die Hand.

»Muth, mein Sohn!« sagte er zu ihm; »welchen Fehler, welche Sünde, welches Verbrechen Du auch begangen haben magst, das Mitleid Gottes ist größer, als jede menschliche Bosheit.«

»Ich bin ein Sünder, denn ich bin ein Mensch, heiliger Vater,« antwortete der Dominicaner; »aber wenn ich auch nicht ohne Sünde bin, so hoffe ich doch ohne Fehler zu sein, und bin gewiß, daß ich noch kein Verbrechen begangen.«

 

»Allerdings glaube ich, daß Dein berühmter Gönner mir sagte,. mein Sohn daß Du für Deinen Vater zu bitten gekommen.«

»Ja, Eure Heiligkeit, allerdings komme ich wegen meines Vaters zu Ihnen.«

»Wo ist. Dein Vater?«

»In Frankreich, in Paris.«

»Was ist mit ihm?«

»Er ist durch die Gerechtigkeit oder vielmehr durch die Schändlichkeit der Menschen verurtheilt, er erwartet den Tod.«

»Mein Sohn, wir wollen uns nicht zu Anklägern unsrer Richter machen; Gott wird sie ohne Anklage richten.«

»Aber, mein Vater ist unschuldig und mein Vater soll sterben.«

»Der König von Frankreich ist ein frommer Fürst, mein Sohn; warum hast Du Dich nicht an ihn gewandt.«

»Ich habe mich an ihn gewandt, und er hat für mich gethan, was in seiner Macht lag: Er hat das Messer der Gerechtigkeit auf drei Monate in die Scheide gesteckt, so lange, als ich brauchte, um von Paris nach Rom und von Rom nach Paris zu kommen.«

»Und was willst Du hier in Rom?«

»Sie sehen es, heiliger Vater, mich zu Ihren Füßen werfen.«

»Ich halte das zeitliche Leben der Unterthanen Carls X nicht in meiner Hand, meine Macht erstreckt sich blos auf das geistliche Leben.«

»Ich verlange keine Gnade, heiliger Vater, nur Gerechtigkeit.«

»Wessen ist Dein Vater angeklagt, mein Sohn?«

»Des Diebstahls und Meuchelmords.«.

»Und Du sagst, daß er an beiden Verbrechen unschuldig ist.«

»Ich kenne den Dieb und kenne den Meuchelmörder.«

»Aber warum enthüllst Du dieses furchtbare Geheimniß nicht«

»Es ist nicht, mein Geheimniß: es ist Gottes Geheimniß, es ist das Geheimniß des Beichtstuhls.«

Und schluchzend schlug Dominique, zu den Füßen des h. Vaters sich niederwerfend, den Boden mit seiner Stirne.

Leo XII betrachtete den jungen Mann mit dem Ausdrucke tiefen Mitleids.

»Und Du wolltest mir sagen, mein Sohn? . . . «

»Ich wollte Sie fragen, heiliger Vater, Sie den Bischof von Rom, den Stellvertreter Christi, den Diener Gottes, ich wollte Sie fragen: »Soll ich meinen Vater sterben lassen, während ich hier, auf meiner Brust, in meiner Hand, zu Ihren Füßen den Beweis seiner Unschuld habe?«

Und der Mönch legte vor die Füße des päpstlichen Herrschers in einer Enveloppe und gesiegelt, die Beichte des Herrn Gérard, von der Hand des Herrn Gérard, und unterzeichnet von Herrn Gérard.

Dann noch immer auf den Knieen, die beiden Hände nach dem Manuscript ausgestreckt, mit bitten-dem Blicke, Thränen in den Augen, und mit zitternden Lippen erwartete der Mönch die Antwort seines Richters.«

»Du sagtest, mein Sohn,« machte Leo XII mitbewegter Stimme »daß dies Bekenntnis; in Deine Hände übergeben wurde.«

»Von dem Schuldigen selbst, heiligster Vater.«

»Unter welcher Bedingung?«

Der Mönch stieß einen Seufzer aus.

»Unter welcher Bedingung?« wiederholte Leo XII.

»Unter der, es erst nach seinem Tode zu veröffentlichen.«

»Nun, so erwarte seinen Tod, mein Sohn.«

»Aber mein Vater . . . mein Vater.«

Der päpstliche Herrscher schwieg.

»Mein Vater wird sterben,« schluchzte der Mönch, »und mein Vater ist unschuldig!«

»Mein Sohn,« antwortete der Papst, mit langsamer, aber fester Stimme, »mein Sohn, eher soll ein Unschuldiger, eher zehn Unschuldige, eher die Welt zu Grunde gehen, als ein Dogma vernichtet werden!«

Dominique stand mit der Verzweiflung in der Seele, aber wunderbarer Weise mit ruhigem Gesichte auf.

Seine Lippen, von dem Lächeln der Verachtung zusammengezogen, tranken seine beiden letzten Thränen.

Seine Augen trockneten, wie wenn man ein glühendes Eisen an ihnen vorüber bewegte.

»Gut, heiliger Vater,« sagte er, »ich sehe, daß ich in dieser Welt nichts mehr, als von mir zu hoffen habe.«

»Du täuschest Dich, mein Sohn,« sagte der Papst- »denn ich will Dir sagen: »Du wirst das Bekenntniß des Schuldigen nicht veröffentlichen und doch wird Dein Vater leben.«

»Leben wir in den Zeiten der Wunder, heiliger Vater? denn ich sehe, daß jetzt nur noch ein Wunder mich retten kann.«

»Du täuschest Dich, mein-Sohn; denn ohne daß Du mir etwas enthüllst – das Geheimniß der Beichte ist heilig für Mich, wie für jeden Andern, – ohne daß Du mir etwas enthüllst, kann ich an den König von Frankreich schreiben, daß Dein Vater unschuldig ist, dass ich es weiß, – wenn es eine Lüge ist, werde ich sie auf mich nehmen, und ich hoffe, Gott vergibt sie mir – und daß ich ihn um Gnade bitte.«

»Um Gnade? Sie haben kein anderes Wort gefunden, heiliger Vater, und es gibt wirklich kein anderes Wart als Gnade? aber man übt Gnade nur gegen Schuldige; mein Vater ist unschuldig und für die Unschuldigen gibt es keine Gnade. Mein Vater wird also sterben.«

Und der Mönch verbeugte sich respectvoll vor dem Stellvertreter Christi.

»Noch nicht,« rief Leo XII; »gehe noch nicht, mein Sohn, überlege die Sache.«

Aber Dominique ließ sich auf die Kniee nieder und sagte:

»Eine einzige Gunst, heiliger Vater, Ihren Segen!«

»O gerne, mein Sohn!« rief Leo XII.

Und er streckte die Hände aus.

»Ihren Segen in articulo mortis,« murmelte der Mönch.

»Was gedenkst Du denn zu thun, mein Sohn?« fragte er.

»Das, heiliger Vater, ist mein Geheimniß, ein noch tieferes, noch schlimmeres, noch furchtbareres Geheimniß, als die Beichte.«

Lea XII ließ seine Hände sinken.

»Ich.kann den nicht segnen, der mich verläßt,« sagte er, »mit einem Geheimniß, das er dem Vicar Christi nicht anvertrauen kann.«

»Dann bitte ich Sie nicht um Ihren Segen, heiliger Vater, sondern um Ihre Fürbitte.«

»Geh’, mein Sohn, sie soll Dir nicht fehlen.«

Der Mönch verbeugte sich und ging festen Schrittes, er, der mit zitterndem Schritte eingetreten war.

Dem päpstlichen Herrscher versagte die Kraft, er sank in seinen hölzernen Stuhl und murmelte:

»O mein Gott, wache über diesem Kinde; denn es gehört zum Geschlechte derer, aus welchen man ehedem die Märtyrer machte.«