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Salvator

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Brasil fuhr mit einer solchen Energie und Regelmäßigkeit fort zu graben, daß man ihn eher für eine Maschine, als für ein Thier hätte halten sollen.

»Muth, mein guter Brasil!« sagte Salvator; »Du mußt Deine Kräfte bald erschöpft haben, aber Du bist auch bald am Ziele Deiner Mühen, Muth!«

Der Hund wandte den Kopf um und schien seinen Herrn mit dem Blicke zu danken.

Das Graben-dauerte noch einige Minuten, während welcher die Gäste mit offenem Munde und an sich gehaltenem Athem tiefes Stillschweigen beobachteten, und mit weit geöffneten Auge der seltsamen Scene folgten, welche vor ihren Augen zwischen dem Hunde und seinem Herrn den sie seht nicht mehr in solchem Grade für den Freund von Herrn Gérard hielten, als wofür er sich Anfangs ausgegeben.

Nach Verfluß von fünf Minuten stieß Brasil einen langen Seufzer aus und hörte auf zu kratzen, um mit seiner Schnauze laut schnaufend an einem Theil der Ausgrabung zu schnuppern.

»Es ist da, es ist da!« sagte Salvator heiter.

»Du hast ihn gefunden, nicht wahr, mein Hund?«

»Was hat er gefunden?« fragten die Umstehenden.

»Das Skelett,« sagte Salvator. Hierher Brasil! Das Uebrige geht die Menschen an; hierher,mein Hund!«

Der Hund sprang aus dem Loche und legte sich am Rand des Grabens nieder, indem er seinen Herrn mit einem Blicke ansah, als wollte er sagen: »Nun ist’s an Dir!«

»Salvator ging wirklich in die Grube hinab und griff mit seiner Hunden den tiefsten Punkt, indem er den Arzt herbeirief:

»Kommen Sie, mein Herr, und fühlen Sie,« sagte er.

Der Arzt stieg muthig zu Salvator hinab, während die andern Gäste, vollständig entnüchtert, sich bestürzt ansahen, und, die Hand ausstreckend, wie es sein Vorgänger gethan, fühlte er an der Spitze seiner Finger jenen weichen und seidenen Stoff, der Salvator hatte schauern machen, als Brasil zum ersten Male das Skelett des Kindes im Park von Viry entdeckt.

»O, o!« machte er, »das sind Haare.«

»Haare!« wiederholten alle Umstehenden.

»Ja, meine Herren,« sagte Salvator, »und wenn Sie Lichter holen wollen, könnten Sie sich überzeugen.«

Jeder stürzte nach dem Hause und kam, Dieser mit einem Candelaber, Jener mit einem Leuchter zurück.

Der Arzt und Brasil waren allein bei der Grube stehen geblieben. Salvator, welcher nach der kleinen Baracke gegangen, weder Gärtner seine Werkzeuge hatte, kam ehestens mit einem Spaten zurück.

Die Gäste standen um die Grube, welche durch fünfzig Lichter so hell wie am Tage beleuchtet war.

Man bemerkte an der Oberfläche der Erde eine blonde Haarlocke.

»Auf, auf!« sagte der Arzt, »man muß die Ausgrabung fortsetzen.«

»Das bin ich auch zu thun im Begriffe,« sagte Salvator. »Meine Herren, nehmen Sie eine Serviette, breiten Sie sie neben der Grube aus.

Man gehorchte.

Salvator stieg in die Grube hinab und mit derselben Vorsicht, wir möchten beinahe sagen, mit demselben Respekt, als wenn es sich um eine Leiche handelte, drückte er den Spaten in die Erde und brachte langsam den Kopf des Kindes, der auf seinem Kissen von Erde lag, zum Vorschein.

Ein Schauer durchlief die Zuschauer, als Salvator mit seinen weißen Handschuhen, die er nicht ausgezogen, den kleinen Kopf nahm und ihn auf die Serviette legte.

Dann ergriff er den Spaten wieder und machte sich auf’s Neue an die Arbeit.

Er brachte nach und nach, Stück um Stück, alle Ueberbleibsel des Kindes heraus, so daß er nach Verfluß eines Augenblickes auf der Serviette, während er sich der technischen Ausdrücke bediente und jedes Bein an seine Stelle that, das ganze Skelett zum Staunen aller Umstehenden, besonders aber zur Zufriedenheit des Arztes zusammensetzen konnte. Dieser sagte zu ihm:

»Habe ich die Ehre, mit einem Collegen zu sprechen?«

»Nein, mein Herr,« sagte Salvator, »ich habe nicht diese Ehre; ich bin ein einfacher Dilettant in der Anatomie.«

Dann sich nach den Zuschauern der Scene umwendend, sagte er:

»Meine Herren, Sie sind alle Zeugen, nicht wahr, daß ich in dieser Grube die Leiche eines Kindes gefunden?«

»Ich bin Zeuge,« sagte der Arzt, der die Zeugenschaft, die Salvator von allen reclamirte, zu monopolisiren schien; »und zwar das Skelett eines männlichen Kindes, das ungefähr acht- bis neun Jahr alt sein mußte.«

»Alle sind Zeugen?« wiederholte Salvator, indem er mit den Augen jeden der Zuschauer zu fragen schien.

»Ja, Alle, Alle,« wiederholten die Gäste, welche sich zum Voraus geschmeichelt fühlten, was auch erfolgen möchte, eine wichtige Rolle bei der Sache zu spielen.

»Und folglich wird Jeder sein Zeugniß vor Gericht ablegen, wenn es gefordert wird!« fuhr Salvator fort.

»Ja, ja,« wiederholte die Gesellschaft.

»Nur,« meinte der Huissier, »müßte man ein Protokoll aufnehmen.«

»Unnütz,« sagte Salvator, »es ist bereits geschehen.«

»Wie das?«

»Ich war so fest von dem überzeugt, was ich finden würde,« sagte Salvator, indem er aus seiner Tasche ein gestempeltes Papier zog, »daß ich es hier habe.«

Und er las in der That ein Protocoll in den Formen welche gewöhnlich bei solchen Aktenstücken üblich sind und in welchem sich Alles fand, selbst der genaue Nachweis des Ortes, wo das Skelett sich gefunden; was ein Beweis war, daß Salvator den Garten von Vanvres nicht zum ersten Male besuchte.

Nur eines fehlte, die Namen und Vornamen der Personen, welche der Ausgrabung beigewohnt.

Alle Zuschauer dieser Scene, deren Staunen von Viertelstunde zu Viertelstunde wuchs, hatten die Vorlesung des Protocolles angehört, indem sie mit befremdeten Blicken die seltsame Persönlichkeit betrachteten, die sie zu diesem phantastischen Drama herbeigerufen.

»Ein Tintenfaß,« verlangte Salvator von einem Diener, der ihn ebenso verblüfft, als die Andern ansah.

Der Diener beeilte sich zu gehorchen, als wenn er Salvator das Recht zu befehlen zuerkennen würde, und indem er sich eiligst entfernte, kam er einen Augenblick später mit Tinte und Feder zurück.

Alle unterzeichnetem.

Salvator nahm das Papier, steckte es in seine Tasche streichelte Brasil, band die vier Enden der Serviette, welche das Skelett des Kindes enthielt, zusammen und sagte, indem er die Gesellschaft grüßte:

»Meine Herren, ich erinnere Sie daran, daß man morgen Nachmittag um vier Uhr einen Unglücklichen hinrichten will; ich habe deshalb keine Zeit zu verlieren; nachdem ich Ihnen noch für Ihren gütigen Beistand gedankt, bitte ich Sie um die Erlaubnis, mich zurückziehen zu dürfen.«

»Verzeihung, mein Herr,« sagte der Notar, »Sie haben, glaube ich, ausgesprochen, daß der Name des Unglücklichen Sarranti gewesen.«

»Ich sagte das, ja, mein Herr, und ich wiederhole es jetzt mehr als je.«

»Aber,« fuhr der Notar fort, »war denn nicht der Name unseres Wirthes, Herrn Gérard’s vor zwei bis drei Monaten in diese traurige Geschichte verwickelt.«

»Allerdings,« machte Salvator; »ja mein Herr, er war darein vermittelt.«

»So daß man,« unterbrach ihn der Arzt, »ganz einfach annehmen könnte, Ihr Giraud sei . . . «

»Herr Gérard?«

»Ja!« machten die Umstehenden mit einer Bewegung des Kopfes.

»Nehmen Sie alles an, was Sie wollen, meine Herren,« sagte Salvator; »übrigens werden wir morgen nicht mehr bei der Annahme stehen bleiben, sondern die Gewißheit haben. Ich habe die Ehre, Mich Ihnen zu empfehlen. – Komm, Brasil!«

Und Salvator, gefolgt von seinem Hunde, entfernte sich rasch, indem er die Gäste des Herrn Gérard in einem schwer zu beschreibenden Zustande von Bestürzung zurückließ.

LXXX
Ode an die Freundschaft

Wir wollen nun ein wenig sehen, was Herr Gérard that, während in sei Park das bedeutungsvolle Ereigniß vor sich ging, das wir soeben berichteten.

Wir sahen ihn aus seinem Hause treten und verloren ihn seit dem Momente, da er die Treppe seines Perron hinaufsteigend, in dem Vestibule verschwand, nicht aus dem Blicke.

In dem Vestibule stand ein Mann von hohem Wuchse, in eine lange Levite gekleidet, mit einem über die Augen gedrückten Hute in bescheidener Zurückhaltung da.

Dieser Mann hatte die Discretion, sich nicht zu zeigen.

Herr Gérard ging gerade auf ihn zu.

Beim zweiten Schritte wußte er, mit wem er es zu thun hatte.

»Ah! Ah! Sie sind es, Gibassier!« machte er.

»Ich, in Person, ehrenwerther Herr Gérard beantwortete der Galeerensträfling.

»Und Sie kommen von . . . «

»Ja,« machte Gibassier. J

»Von . . . .?« wiederholte Herr Gérard, der nicht aufs Ungewisse hin gehen wollte.

»Von unsrem Chef,« sagte Gibassier, der bei allen seinen zarten Aufträgen vorsichtig zu Werke ging.

Das Wort Chef von diesem untergeordneten Subjecte ausgesprochen, machte den künftigen Deputirten lachen.

Er schwieg einen Augenblick, indem er sich auf die Lippen biß und fuhr fort:

»Also schickt er nach mir?«

»Er schickt mich, Sie zu holen, ja,« antwortete Gibassier.

»Und Sie wissen, weßhalb?«

»Ich weiß durchaus nichts.«

»Sollte er wegen . . . ?«

Er hielt inne.

»O, sprechen Sie dreist,« sagte Gibassier; »Sie wissen, ich bin, abgesehen von der Ehrbarkeit, Ihr anderes Ich.«

»Wäre es etwa wegen ’Herrn Sarranti’s?«

»Sie erinnern mich daran,«, sagte Gibassier; »das konnte wohl sein.«

Herr Gérard dämpfte nicht nur die Stimme, sondern seine Stimme nahm auch eine leichte Färbung von Aufregung an.

»Sollte etwa die Hinrichtung nicht morgen stattfinden?« fragte er.

»Ich glaube nicht; ich weiß aus sicherer Quelle, daß Herrn von Paris der Befehl ertheilt worden, sich morgen um drei bereit zu halten, und daß der Verurtheilte nach der Conciergerie geführt ist.«

Herr Gérard ließ sich einen Seufzer entschlüpfen, der sicherlich aus gepreßter Brust kam.

»Und,« fragte er noch, »es wäre nicht möglich, auf morgen früh zu verschieden, was wir heute Abend zu thun haben?«

 

»O,« machte Gibassier, »unmöglich.«

»Es ist also eine wichtige Sache?«

»Von der höchsten Wichtigkeit!«

Herr Gérard sah Gibassier in’s Weiße der Augen.

»Und Sie behaupten, nichts zu wissen?«

»Beim heiligen Gibassier, ich schwere es Ihnen."

»Dann ist es Zeit, meinen Hut zu, nehmen.«

»Holen Sie ihn, Herr Gérard, die Abende sind etwas kalt und man kann sich leicht erteilten.«

Herr Gérard nahm seinen Hut vom Hacken.

»Ich bin bereit,« sagte er.

»So wollen wir gehen,« machte Gibassier.

»An der Straßenthüre wartet ein Fiaker.«

Als er diesen Fiaker sah, der wie alle Fiaker das Aussehen seines Leichenwagens hatte, konnte Herr Gérard einen leichten Schauer nicht unterdrücken.

»Steigen Sie ein,«– sagte er zu Gibassier, »ich folge Ihnen.«

»Ich werde das um keinen Preis thun,« antwortete Gibassier.

Und der Galeerensträfling öffnete den Schlag und ließ Herrn Gérard in den Wagen steigen, wo er neben ihm Platz nahm, nachdem er mit dem Kutscher einige Worte gewechselt. Der Fiaker schlug in raschem Trab den Weg nach Paris ein da Gibassier es für gerathen hielt, den ihm von Salvator bezeichneten Weg zu ändern, weil er glaubte, daß es gleichgültig sei, wohin er Herrn Gérard führe, wenn er ihn nur von Hause fortfahre.

»Gut,« sagte Herr Gérard, etwas beschwichtigt durch den Gang der Thiere, vor sich hin, »wenn es auch eine wichtige Sache ist, so ist es doch wenigstens keine eilige.«

Und auf diese kluge Reflexion herrschte die tiefste Stille in dem Wagen und diese dauerte wenigstens während der nächsten Viertelstunde.

Gibassier unterbrach sie zuerst.

»Woran denken Sie denn so beharrlich, lieber Herr Gérard,« fragte er.

»Ich gestehe, Herr Gibassier,« antwortete der Philanthrop, »ich deute an den unbekannten Zweck dieses unerwarteten Besuchs.«

»Und das beunruhigt Sie?«

»Das beschäftigt mich wenigstens.«

»Sehen Sie! – Nun an Ihrem Platze würde mich das durchaus nicht beschäftigen, das schwöre ich Ihnen.«

»Warum?«

»O das ist ganz einfach, – bemerken Sie wohl, daß ich gesagt, an Ihrem Platze, nicht an dem meinen.«

»Ja, das weiß ich wohl; aber warum haben Sie gesagt, an meinem Platze?«

»Weil, wenn mein Gewissen rein wäre, wie das Ihre, ich mich der Gunst des Glückes so sehr würdig hielte, daß ich dem Schicksal gar nicht die Ehre anthun würde, seine Schläge zu fürchten.«

»Gewiß, gewiß!« murmelte Herr Gérard, indem er melancholisch den Kopf schüttelte, »aber das Glück macht so bizarre Sprünge, daß wenn man auch nichts fürchten, man sich doch auf sehr viel gefaßt machen muß.«

»Wahrhaftig, wenn Sie in den Zeiten des Thales gelebt, Griechenland würde statt sieben Weisen acht gehabt haben, lieber Herr Gérard, und Sie hätten den schönen Vers gemacht:

Auf jedes Schicksal ist der Weise vorbereitet

Bemerken Sie wohl ich sage vorbereitet, nicht ergeben – vorausgesetzt, daß Sie vorbereitet sind, scheinen Sie mir nicht ergeben. Ja, Sie haben Recht,« fuhr Gibassier in seinem feierlichsten und sentenziösesten Tone fort: »das Schicksal macht bizarre Sprünge; deßhalb stellten es die Alten, die nicht dumm waren, bisweilen auf einer Schlange sitzend dar, was so viel sagen will, als daß es über der Klugheit stehe. Und dennoch würde ich an Ihrer Stelle, ich wiederhole es, wenn ich auch meinen Geist frei schweifen ließe – ein so thätiger Geist wie der Ihre kann nicht ganz einschlafen – wenn ich, wie gesagt, meinen Geist schweifen ließe – würde ich mich nicht zu sehr beunruhigen. Was kann Ihnen geschehen? Sie haben das Glück gehabt, in früher Jugend Waise zu sein, weßhalb Sie nicht mehr die Aeltern zu verlieren oder durch sie kompromittiert zu werden fürchten dürfen; Sie sind nicht verheirathet, weßhalb Sie nicht zu fürchten brauchen, Ihre Frau zu verlieren oder durch sie getäuscht zu werden; – Sie sind Millionär und ein großer Theil Ihres Vermögens besteht in guten Fonds, weßhalb Sie nicht zu fürchten haben, daß ein Notar Sie ruiniert, oder ein Bankerottirer Sie ausplündere; – Sie sind gesund, das heißt körperlich; – Sie sind tugendhaft, daß heißt Sie besitzen die Gesundheit der Seele; Sie stehen in der Achtung Ihrer Mitbürger, die Sie zum Deputirten erwählen wollen; – Ihr Patent als Ritter der Ehrenlegionsordens, der Ihnen als dem Wohlthäter der Menschen zu Theil wird, liegt zur Unterzeichnung bereit; es ist ein Geheimniß, ich weiß es wohl, aber ich kann es ihnen im Vertrauen sagen; Sie stehen endlich bei Herrn Jackal so gut angeschrieben, daß er Sie zweimal in der Woche, so wichtig auch seine Beschäftigungen sein mögen, bei sich empfängt und mit Ihnen vertrauliche Verhandlung pflegt; Sie erhalten die gerechte Belohnung für fünfzig Jahre der Philantropie und der Rechtschaffenheit – Was fehlt Ihnen? Nun! was können Sie fürchten? Sprechen Sie.«

»Wer weiß!« seufzte Herr Gérard. »Der Unbekannte, lieber Herr Gibassier.«

»Sie bleiben also dabei; gut, sprechen wir nicht weiter daran; lassen Sie uns von etwas Anderem reden.«

Herr Gérard machte ein Zeichen, welchen sagen wollte: »Sprechen wir von dem was Sie wollen, nur sprechen Sie und ich werde schweigen.«

Gibassier nahen offenbar das Zeichen für ein zustimmendes, denn er fuhr fort.

»Ja, lassen Sie uns von etwas Heiterem sprechen; das wird nicht schwer sein, nicht wahr?«

»Nein.«

»Sie haben einige Freunde heute zum Diner bei sich, lieber Herr Gérard. Bemerken Sie, daß ich mir erlaube, Sie Lieber Herr Gérard zu nennen, weil Sie mich von; Zeit zu Zeit lieber Herr Gibassier nennen und weil Sie mir so eben noch diese Ehre erzeigten.

Herr Gérard verbeugte sich.

Gibassier netzte die Lippen mit der Zunge.

»Sie müssen ein sehr brillantes Diner gegeben haben, hm?«

»Ehrlich gesagt und ohne mich zu rühmen, ich glaube, daß es brillant war.«

»Ich bin dessen gewiß, wenn ich nach den Düften urtheilen darf, die aus der Küche im Vestibule aufstiegen, wo ich Sie einen Augenblick erwartete.«

»Ich habe mein Besten gethan,« antwortete Herr Gérard bescheiden.

»Und,« fuhr Gibassier fort, »Sie haben im Park auf dem Rasen gespeist?«

»Ja.«

»Das muß ein reizender Anblick gewesen sein, Sang man beim Diner?«

»Man brachte gerade das Dessert, als Sie kamen.«

»Ja, ja, so bin ich gerade mitten in dieses Gastmahl der Freundschaft wie eine Bombe, wie Banks in Macbeth, wie der Comthur im Don Juan gefallen.«

»Das ist wahr,« sagte Herr Gérard, indem er sich zum Lachen zwang.

»Aber,« versetzte Gibassier, »gestehen Sie, daß das ein wenig Ihr Fehler ist, lieber Herr Gérard.«

»Wie das?«

»Ohne Zweifel. Angenommen Sie hätten mir die Ehre erzeigt, mich mit Ihren andern Freunden zum Diner einzuladen, so ist tausend gegen eins zu wetten, lieber Herr Gérard, daß ich, von Anfang bei dem Diner anwesend,: nicht gekommen wäre, Sie zum Schlusse zu derangieren.«

»Glauben Sie, lieber Gibassier,« beeilte sich Herr Gérard zu erwidern, »daß ich mein Uebersehen lebhaft bedaure; aber ich versichere Sie, daß es unabsichtlich geschehen und daß es nun an Ihnen liegen wird, mich mein Versehen wieder gut machen zu lassen.«

»Wahrhaftig nein,« sagte Gibassier, indem er einen tiefen Kummer ausdrückte, »ich bin sehr ungehalten gegen Sie.«

»Gegen mich?«

»Ja, Sie haben mich tief in der Seele verwundet; und Sie wissen,« sagte Gibassier, indem er mit einer pathetischen Bewegung die Hand auf die Brust legte, »die Herzenswunden sind tödtlich. Ach!« fuhr er fort, indem er von der Trauer in die Klage überging, wie er von der Melancholie und die Trauer übergegangen war, »noch ein Glaube, der erlischt, noch eine Illusion, die sich verflüchtigt, noch ein schwarzes Blatt in das bereits so düstere Buch meines Lebens einzuzeichnen! O! Freundschaft! Flüchtige und unbeständige Freundschaft, welche Lord Byron so falsch die Liebe ohne Flügel genannt, wie viel Kummer hast du mir nicht schon bereitet, und wie viel wirst du mir noch bereiten. Er hatte recht in seinem Urtheil über dich, der aristokratische Rhabsode, der Verfasser des Monde comme il va, als, er; statt eine Ode auf das Lob der Freundschaft, zu machen, mit Bitterkeit rief: »Heute sind deine Altäre, o Göttin, nicht mehr mit den Opferflammen erhellt; die Hallen deiner Tempel erdröhnen nicht mehr von dem lauten Gesang deiner Gläubigen. Durch das Interesse von deiner alten Wohnung verbannt, irrst du jetzt allein, verlassen, das unglückliche Spielzeug der Bevölkerung der Höfe und aller feigen Sterblichen, umher, welche eine schmutzige Habgier beherrscht! Wer unter den durch ihren Reichthum, ihre Geburt, ihre Größe übermüthig Gewordenen achtet auf deine Stimme, wer hat Mitleid mit deinem Unglück, wer besucht deinen Tempel? Leider! Leider! ist der unglückliche Gibassier wie Portland, der Held des Gedichts, der Einzige, der noch Eintritt verlangt!«

Nach dieser pretentiösen , Citation, deren Pedanterie Herr Gibassier nicht würdigte, zog der ehemalige Galeerensträfling ein gelbes Tuch aus der Tasche und that, als ob er sich die Augen trocknete.

Der Philanthrop von Vanvres, der nicht begriff, und sagen wir es sogleich, der. nicht begreifen konnte, wohin die Phrasen seines Begleiters zielten, hielt ihn für wirklich gerührt, und begann ihn zu trösten zu suchen, indem er in seinen Trost die lebhaftesten Entschuldigungen mischte.

Dieser aber fuhr fort:

»Die moderne Welt muß sehr schlecht geworden sein, daß sie, während die alte Welt, abgesehen von Achilles und Patrollus, vier solcher Beispiele von Freundschaft aufzählt, welche aus den Menschen Halbgötter machte, nichts den Beispielen von Hercules und Pirithous, Orest und Pylades, Euripidicus und Nisus, Damon und Pythias , entgegenzustellen hat; o!wir sind wirklich am eisernen Zeitalter, lieber Herr Gérard.«

»Sie wollen sagen, mein Herr, daß wir an der Barrière d’Enfer angekommen seien,« sagte der Kutscher, der, nachdem er seinen Wagen angehalten, an den Schlag getreten und die letzten Worte Gibassiers gehört hatte.«

»Ah! wir sind an der Barrière d’Enfer?« sagte Gibassier, indem er die ganze Scales der Elegie herabstieg, um wieder in seinen natürlichen Ton zufallen; »ah! wir sind an der Barrière d’Enfer? Sieh, sieh, der Weg kam mir sehr kurz vor. Wie lange ist’s, seit wir weggefahren?«

Er zog seine Uhr heraus.

»Ein und eine Viertelstunde, wahrhaftig, wir sind da, Herr Gérard.«

»Aber,« fragte dieser mit Ungeduld, »wir sind ja nicht in der Rue de Jerusalem, wie mich dünkt.«

»Wer hat Ihnen denn gesagt, daß wir nach der Rue de Jerusalem gehen? Ich nicht,« machte Gibassier.

»Wo gehen wir dann hin?« fragte der Philantrop erstaunt.«

»Ich gehe an meine Geschäfte,« sagte der ehemalige Galeerensträfling, »und wenn Sie welche haben, so fordere ich Sie auf, an die Ihren zu gehen.«

»Aber mich,« sagte Herr Gérard bestürzt, »mich führt ja gar kein Geschäft nach Paris.«

»O, das ist fatal, denn wenn Sie zufällig heute etwas in der Hauptstadt zu thun gehabt, und das Geschäft in diesem Quartier gewesen wäre, so würden Sie sich an Ort und Stelle befunden haben.«

»Was soll des heißen, Meister Gibassier,« sagte Herr Gérard, indem er sich aufrichtete, »sollten Sie mich etwa zum Besten haben?«

»Es kommt mir wirklich so vor, Meister Gérard,« sagte der Galeerensträfling, indem er laut auflachte.

»So erwartet mich Herr Jackal also nicht!« rief Herr Gérard wüthend.

»Er erwartet Sie nicht nur nicht, sondern ich kann Ihnen sogar sagen, daß wenn Sie sich jetzt bei ihm einfinden, Sie sicher sein können, ihm eine angenehme Ueberraschung zu bereiten.«

»Das will soviel heißen, als, Sie haben mich mystifiziert, Meister Schuft!« sagte Herr Gérard, der seine ganze Unverschämtheit wieder bekam, seit die Gefahr verschwunden war.«

»Vollständig mystifiziert, sehr ehrenwerther Herr Gérard. Jetzt sind wir quitt, oder Auge um Auge, wie Sie wollen.«

»Aber ich habe Ihnen ja niemals etwas Schlimmes gethan, Gibassier,« rief Herr Gérard; weshalb thun Sie mir solchen Schabernack an?«

»Sie haben mir niemals etwas Schlimmes gethan?« rief Gibassier. »Er sagt, er habe mir niemals etwas Schlimmes gethan, der Undankbare!Und wovon sprechen wir, seit unserer Abfahrt von Vanvres, als von Deiner schwarzen Undankbarkeit? Wie, mein vergeßlicher Freund! Du gibst in Deiner Villa zu Vanvres einen gastronomisch-Politischen Rout, Du lädst zu einer Wahl- und Mahlgesellschaft Deine unbedeutendsten Bekannten ein, und Du sagst Deinem innigsten Freunden, Deinem Pirithous, Deinem Pylades, Deinem Eurydieus, Deinem Damon, Deinem andern Ich nicht ein Wort davon, kurz! Du vergissest ihn wie einen Nachtsack, Du zertrittst ihn unter Deinen Füßen, Du machst einen Spott aus seiner Aufopferung! Die Götter mögen Dir vergeben! Mir aber machte es Spaß, mich auf dieselbe Weise zu rächen, wie Du mich. Beleidigt; Du hast mich Deines Diners beraubt, ich beraubte Dich Deines Diners. Was sagst Du davon?«

 

Er schloß rasch den Schlag wieder.

»Ich habe den Kutscher auf vier Stunden genommen,« sagte er, »und da ich nicht will, das er Sie bestehle, sage ich Ihnen die Stunde: was den Preis betrifft, so sind es fünf Franken für die Stunde, solange es Ihnen gefällt, denselben zu behalten.«

»Wie!« rief Herr Gérard, der sich seiner ursprünglichen Sparsamkeit nie, ganz entschlagen konnte, »Sie zahlen nicht?«

»Nun!« sagte Gibassier, »wenn ich bezahlte, wo wäre da der Witz?«

Und indem er sich respectvoll verbeugte, fügte er hinzu:

»Auf Wiedersehen, ehrenwerther Herr Gérard.«

Und er verschwand.

Herr Gérard kannte sich von seiner Bestürzung noch immer nicht erholen.

»Wo soll ich Sie hinfahren? Sie wissen, man hat mich auf vier Stunden genommen und zwar für fünf Franken die Stunde, die letzte Rückfahrt mit eingerechnet.«

Herr Gérard war im Begriff, gegen den Kutscher loszufahren; aber es war ja nicht die Schuld dieses braven Mannes: man hatte ihn auf dem Platze genommen, den Preis mit ihm ausgemacht, er war auf Treu und Glauben gefahren.

Gibassier war somit der Einzige, an dem Herr Gérard sich rächen konnte.

»Nach Vanvres,« sagte er, »nein fünf Franken, mein Freund, das gibt man nicht umsonst.«

»Ah! wenn es Ihnen gefällig, mich hier für die Zeit zu bezahlen, die es dauern würde, so ist mir das ebenso lieb,« sagte der Kutscher.

Herr Gérard legte die Nase an das Kutschenfenster und betrachtete den Himmel.

Ein Gewitter zog über Vaugirard auf und man hörte bereits das dumpfe Grollen des Donners.

»Nein,« sagte Herr Gérard, »ich behalte Sie; nach Vanvres, mein Freund, und so rasch, als möglich.«

»O, ich werde mein Möglichstes thun,« antwortete der Kutscher; »die armen Thiere haben aber nur vier Füße und können nur das tun, was man mit vier Füßen thun kann.«

Und auf seinen Sitz steigend, ließ er brummend den Wagen umwendete und fuhr nach Vanvres.