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»Nein,« antwortete der Unbekannte mit seinem gewöhnlichen Laconismus.

»Nun gut, Sie sehen. daß meine Reise ernste Folgen haben kann, nämlich, daß ein Unschuldiger länger gefangen sitzt, als es meine Absicht war. Erlauben Sie mein Herr, daß ich unter Ihren Augen eine Ordre schreibe, die mein Kutscher besorgen wird, damit man nämlich Herrn Salvator augenblicklich in Freiheit setze.«

Herr Jackal hatte, indem er den Namen unseres Freundes zu nennen, bis zuletzt verschob, wie man beim Theater sagt, seinen Effect gut berechnet. Das merkte er an dem unwillkürlichen Zusammenfahren seines Nachbars.

»Top!« rief dieser dem Kutscher oder vielmehr dem zu, der seine Functionen versah.

Der Wagen hielt augenblicklich an.

»Das ist die leichteste Sache von der Welt.« warf Herr Jackal nachlässig hin; »ich schreibe beim Mondlicht auf meiner Agende einige Worte . . . «

Und wie dazu genügend ermächtigt, hob Herr Jackal bereits die Hand an die Binde, welche seine Augen bedeckte, als sein Nachbar die Hand packte.

»Nicht zuerst, mein Herr. Es ist an mir, nicht an Ihnen, die Form, wie die Sachen vor sich gehen sollen, zu bestimmen.«

Und die Fenster schließend, zog der Unbekannte mit der größten Sorgfalt die rothseidenen Vorhänge zu, welche für die Außenwelt den Einblick in des Innere und für die Insassen den Blick nach Außen unmöglich machen sollten. Dann nahm er aus seiner Tasche eine kleine Blendlaterne, die er mit einem Zündhölzchen anzündete.

Herr Jackal harte das Knattern des Zündhölzchens, das Feuer fing, und roch den schlechten Geruch des Phosphors, der sich mit der Luft zum Athmen vermischte.

»Ich bin entschieden mit Leuten beisammen,« sagte er, »die nicht wollen, daß ich mir die Landschaft näher ansehe; es sind sehr verschmitzte Leute, das. Es ist ein wahres Vergnügen mit diesen Leuten zu thun zu haben.«

»Mein Herr,« sagte sein Nachbar zu ihm, »Sie können Ihre Binde jetzt abnehmen.«

Herr Jackal ließ sich das nicht zweimal sagen und mit einer Langsamkeit, wie Einer der nicht gedrängt ist, nahm er das Hindernis ab, das ihn für einen Augenblick blind gemacht, wie Fortuna und Amor.

Er befand sich in einem hermetisch verschlossenen Kasten.

Er sah ein, daß hier durch keine Oeffnung irgend etwas von der Außenwelt zu sehen sei und augenblicklich resigniert, wie alle entschlossenen Menschen, zog er aus seiner Tasche seine Agenda auf welche er schrieb:

»Ich befehle Herrn Kanzler, der in der Salle Saint-Martin anwesend ist, augenblicklich Herrn Salvator in Freiheit zu setzen.«

Er datierte und unterzeichnete.

»Wollen Sie nun,« sagte er, diesen Befehl meinem Kutscher geben; es ist ein ausgezeichneter Mensch, an meine philanthropischen Handlungen gewöhnt; er wird keine Minute mit der Besorgung meines Auftrags verziehen.«

»Mein Herr,« antwortete der Nachbar des Herrn Jackal mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit, »Sie werden es billigen, daß wir die Dienste Ihres Kutschers ein andermal in Anspruch nehmen, wir haben für derlei Besorgungen Leute, welche alle Kutscher der Welt aufwiegen.«

Der Unbekannte löschte die Laterne aus, band mit der größten Gewandtheit das Taschentuch wieder um die Augen des Herrn Jackal, befahl ihm, angelegentlicher als je, sich ruhig zu verhalten, öffnete einen Schlag und rief hinaus.

Der Name, den der Unbekannte aussprach, hatte nicht die mindeste Aehnlichkeit mit den gewöhnlichen Namen.

Herr Jackal merkte, daß einer von den beiden Männern, welche hinten auf dem Wagen standen, seinen Posten verließ; er hörte einen Schritt sich dem offenen Schlage nähern, und nun begann in einer weichem klangvollen und wohlklingenden Sprache, die ihm trotz seiner Kenntniß aller Idiome der Welt vollständig fremd war, ein Gespräch von einigen Sekunden, das mit der Uebergabe des von Herrn Jackal geschriebenen Befehls, der Schließung des Schlags und den beiden englischen Worten »All right!« endigte, welche nichts anderes bedeuten als »Alles ist in Ordnung!«

Und überzeugt, daß alles in Ordnung sei, wieder Insasse es gesagt, setzte der Kutscher mit einem Peitschenschlage die Pferde wieder in, den früheren raschen Trab.

Der Wagen war noch nicht fünf Minuten im Gange, als eine neue Last auf ihn geladen wurde und ihn erschütterte und zwar aus höchst eigentümliche Weise: Herr Jackal erkannte nämlich mit den ihm eigentümlichen inneren Scharfblick, an dem Geräusch, das die fallende Last auf der Decke hervorbrachte, daß jene lang war und nicht kurz, wie die erste; er erkannte sogar an dem Geräusch, daß es Holz war.

»Der erste Pack machte nur den Eindruck, als wenn es ein zusammengerollten Strick wäre,« sagte Herr Jackal zu sich; »die zweite Last macht mir aber den Eindruck einer Leiter. Es scheint also, daß wir hinauf und hinab steigen müssen. Ich habe es entschieden mit sehr vorsichtigen Menschen zu thun«

Und wie beim ersten Male schien der Wagen, als er sich wieder in Bewegung setzte, mehr als je allen dynamischen Gesetzen zum Trotze, seine Schnelligkeit zu verdoppeln.«

»Seht mal die Spitzbuben,« sagte Herr Jackal, »sie haben sicherlich eine neue bewegende Kraft entdeckt; sie haben Unrecht, Reisende zu überfallen; sie würden mit ihrer Erfindung weit mehr Glück machen. Aber welche verteufelte Sprache hat denn mein Nachbar so eben gesprochen? das ist nicht Englisch, das ist nicht Italienisch, das ist nicht Spanisch, das ist nicht Deutsch, da ist nicht Ungarisch, nicht Polnisch, nicht Russisch, die slawischen Sprachen haben mehr Consonanten, als ich hier vernahm. Es ist nicht Arabisch, es sind im Arabischen gewisse Gutturrallaute, die ich sicher erkannt hätte; es muß Türkisch, Persisch oder Hindostanisch sein; ich möchte mich für das Hindostanische entscheiden«

Und als sich Herr Jackal für das Hindostanische entschieden, hielt der Wagen an.

LXXXV
Wo Herr Jackal hinauf und hinab steigt, wie er voraus gesehen

Und als Herr Jackal, der nach und nach mit seinen Räubern vertraut zu werden begann, fühlte, daß der Wagen hielt, wagte er zu fragen:

»Sollten wir etwa Jemand hier in den Wagen aufzunehmen haben?«

»Nein,« –antwortete die laconische Stimme; »wir müssen Jemand aussteigen lassen.«

Und wirklich, nachdem er eine Bewegung auf dem Kutschsitze vernommen, fühlte Herr Jackal, daß der Wagen auf seiner Seite rasch geöffnet wurde.

»Ihre Hand,« sagte die Stimme eines der drei Männer, aber es war weder die des Mannes, der als Kutscher fungierte, nach die dessen, der neben ihm saß.

»Meine Hand? wozu denn?« fragte Herr Jackal.

»Es ist nicht die Ihre, welche wir fordern, sondern die Ihres einfältigen Kutschers, der im Begriffe stehend, sich vielleicht für immer von Ihnen zu trennen, Ihnen Lebewohl sagen will.«

»Wie! der arme Mensch!« rief Herr Jackal, »soll ihm denn ein Unglück geschehen?«

»Ihm? Welch ein Unglück sollte ihm denn begegnen? Nein; man wird ihn sehr artig bis an den bestimmten Ort führen und ihm dort die Erlaubnis geben, seine Binde abzunehmen.«

»Was bedeutet das, was Sie mir da eben sagten: Dieser Mensch soll mich vielleicht nicht wieder sehen?«

»Das heißt; es muß nicht gerade ihm ein Unglück geschehen, daß er Sie nicht wieder sieht.«

»Ah! Wirklich!« sagte Herr Jackal; »wir sind freilich unserer zwei.«

»Allerdings! Das Unglück kann nur Ihnen begegnen.«

»So, so!« machte Herr Jackal; »und der Bursche muß mich durchaus verlassen?«

»Allerdings.«

»Wenn es mir indessen erlaubt wäre, einen Wunsch auszusprechen, so wäre es der, den Burschen bei mir zu behalten. was auch geschehen mag.«

»Mein Herr,« antwortete der Unbekannte, »ich werde einen Mann, wie Sie sind, nichts Neues lehren, wenn ich ihm sage, daß wir, wie die Sache auch verlaufen mag,« – und er legte einen besonderen Nachdruck auf die letzten Worte – »keine Zeugen brauchen.«

Diese Worte und namentlich der Ton, in welchem sie gesprochen wurden, machten Herrn Jackal zittern.

Es ist immerhin ein schlimmes Abenteuer, wenn man sich des Zeugen zu entschlagen sucht. Wie viel gefährliche Verbrecher hatte er in der Nacht vor der Barrière in einem Graben, hinter einer Mauer und in einem Waldversteck ohne Zeugen hinmorden sehen.

»Nun,« sagte er, »da wir uns mal trennen müssen, mein armer Junge, so hast Du hier meine Hand.«

Der Kutscher küßte die Hand des Herrn Jackal, und sagte:

»Wäre es unbescheiden. den Herrn daran zu erinnern, daß der Monat morgen um ist?«

»O Du Schuft!« sagte Herr Jackal, »das beschäftigt Dich also in diesem Augenblicke! Meine Herren, erlauben Sie, daß ich die Binde abnehme, damit ich ihm seinen Lohn bis auf Heller und Pfennig ausbezahle.«

»Unnöthig, mein Herr,« sagte der Unbekannte, »ich werde ihn bezahlen. Da,« sagte er zu dem Kutscher, »du sind fünf Louisd’or für Deinen Monat.«

»Mein Herr,« sagte der Kutscher, »es sind dreißig Franken zu viel.«

»Vertrinke Sie auf die Gesundheit Deines Herrn,« sagte eine höhnische Stimme, welche Herr Jackal als die erkannte, welche bereite einmal gesprochen.

»Nun, schon genug.« sagte der Nachbar des Herrn Jackal, »schließen Sie schnell wieder und dann fortgefahren.«

Der Schlag schloß sich und der Wagen fuhr im gleichen Trott fort.

Wir wollen die nächtlichen Reiseeindrücke des Herrn Jackal nicht länger verfolgen.

Von diesem Augenblicke an mochte er eine Frage an seinen Reisegefährten richten, welche er, wallte, er erhielt stets so schrecklich laconische Antworten, daß er es verzog, zu schweigen; aber tausend Phantome quälten ihn und je rascher der Wagen auf der Straße dahinrollte, desto größer wurde seine Angst. So ging seine Unruhe in Bangigkeit, seine Bangigkeit in Furcht, seine Furcht in Schauer und sein Schauer in Schrecken über, als er zuletzt seinen Gefährten nach Verfluß einer halbstündigen Fahrt sagen hörte:

 

»Wir, sind an Ort und Stelle.«

Der Wagen hielt wirklich an, aber zum großen Erstaunen des Herrn Jackal wurde der Schlag nicht geöffnet.

»Sagten Sie nicht, mein Herr, daß wir an Ort und Stelle seien?« wagte Herr Jackal seinen Nachbar zu fragen.

»Ja,« antwortete dieser.

»Nun, warum wird denn die Wagenthüre nicht geöffnet?«

»Weil es noch nicht Zeit ist, daß man uns öffnet.«

Er hörte, wie man die zweite Last, die auf den Wagen geladen worden, hinabgehoben und das langsame Streifen an dem Wagen bestärkte ihn in der Idee, daß es eine Leiter sein müsse.

Es war wirklich eine Leiter, welche derjenige der maskierten Männer, der den Kutscher ersetzte, an ein Haus gestellt.

Die Leiter reichte gerade bis zur Höhe eines Fensters der ersten Etage.

Nachdem dieß geschehen, öffnete der, welcher die Leiter aufgestellt, die Wagenthüre und sagte auf deutsch:

»Es ist fertig.«

»Steigen Sie aus, wein Herr,« sagte der Gefährte des Herrn Jackal; »man gibt Ihnen die Hand.«

Herr Jackal stieg ohne Einrede, ja ohne sich zu besinnen, aus.«,

Der falsche Kutscher nahm seine Hand, unterstützte ihn, während er ausstieg und führte ihn bis auf zwei Schritte von der Leiter.

Der Nachbar des Herrn Jackal war nach ihm ausgestiegen und folgte ihm.

Er legte ihm, »damit er sich nicht verlassen fühle die Hand auf die Schulter.

Der andere Unbekannte war bereits oben auf der Leiter und schnitt mit einem Diamant ein Viereck in das Fenster.

Nachdem dieß geschehen, steckte er seinen Arm durch das Loch und öffnete das Fenster.

Daraus gab er seinem unten gebliebenen Gefährten ein Zeichen.

»Sie haben eine Leiter vor sich,« sagte er zu ihm, »steigen Sie herauf.«

Herr Jackal ließ sich das nicht zweimal sagen; er hob den Fuß und fühlte die erste Sprosse.

»Sie sind mehr, als je des Todes,« fuhr er fort, »wenn Sie den leisesten Schrei ausstoßen.«

Herr Jackal machte mit dem Kopfe das Zeichen, daß er verstehe.

Dann sagte er bei sich:

»Nun, mein Schicksal wird sich jetzt entscheiden ich bin der Entwicklung nahe.«

Dies vermochte ihn, schweigend und bedächtig die Sprossen hinanzusteigen; ein Manöver, das er aussehen, als wenn er beide Augen gebrauchen konnte und als wäre es heller Tag, so einfach war für ihn das Hinaufsteigen.

Als er eben an der Leiter angekommen, nachdem er aufs Gerathewohl siebzehn Stufen gezählt, wurde er von dem Mann empfangen, welcher das Fenster geöffnet und der ihn sanft am Arme nehmend. zu ihm sagte:

»Setzen Sie sich rücklings über die Brüstung.«

Herr Jackal war von einer exemplarischen Gelehrigkeit.

Er setzte sich querüber.

Der Mann. welcher ihm folgte, that das Gleiche.

Der, welcher ihnen vorangegangen und ohne Zweifel keinen andern Zweck hatte, indem er dieß that als ihnen den Weg zu bahnen und Herrn Jackal beim Hinaufsteigen behilflich zu sein, stieg nun wieder hinab und legte die Leiter auf die Decke des Wagens, welchen Herr Jackal dessen Bangigkeit mit jedem Augenblicke wuchs, in gestreckten Galopp wegfahren hörte.«

»So bin ich eingeschlossen.« dachte er, »aber wo und in was? Es ist kein Keller, sonst hätte ich nicht siebzehn Stufen hinaufsteigen müssen. Die Situation wird jeden Moment peinlicher.«

Dann sagte er zu seinem Gefährten:

»Bitte es vielleicht unbescheiden, Sie zu fragen, ob wir mit unserer kleinen Promenade am Ziele sind?«

»Nein,« antwortete eine Stimme, die er als die seines Nachbars zur Rechten erkannte, der sich entschieden zu seiner Leibwache gemacht.

»Haben wir noch einen großen Weg zu machen?«

»In drei Viertelstunden ungefähr werden wir an Ort und Stelle sein.«

»Wir steigen also wieder in einen Wagen?«

»Nein.«

»Also ein Spaziergang zu Fuß?«

»Allerdings.«

»Ach! Ach!« dachte Herr Jackal bei sich, »die Sache wird jetzt unklarer denn je. Eine dreiviertelstündige Promenade in einem Zimmer ersten Stocks; so groß und so malerisch auch ein Zimmer sein mag, eine dreiviertelstündige Promenade darin muß monoton werden. Die Sache wird immer seltsamer; wohin werden wir noch kommen?«

In diesem Augenblicke sah Herr Jackal durch das Taschentuch, das ihm die Augen verband, einen Lichtglanz, was ihn glauben ließ, daß sein Gefährte seine Laterne wieder angezündet.

Dann fühlte er, daß man seinen Arm ergriff.

»Kommen Sie, sagte sein Führer zu ihm.

»Wohin gehen wir?« fragte Herr Jackal.

»Sie sind sehr neugierig,« antwortete sein Führer.

»Wohl, ich drücke mich falsch aus,« antwortete der Polizeichef; »ich wollte sagen: »Wie gehen wir?«

»Sprechen Sie leise, mein Herr,« antwortete die Stimme.

»O, o! es scheint, wir sind in einem bewohnten Hause.« sagte er.

Dann fügte er in demselben Tone, wie sein Mitunterredner, das heißt leiser, wie er ihm anbefohlen, hinzu:

»Ich wollte Sie fragen, mein Herr, wie wir gehen, das heißt, auf was für einem Terrain, ob wir hinauf oder hinabgehen werden?«

»Wir werden hinabgehen.«

»Gut; es handelt sich also blos darum, hinabzugehen; es sei.«

Herr Jackal suchte einen scherzhaften Ton anzuschlagen, um kaltblütig zu erscheinen; im Grunde des Herzens war er jedoch nichts weniger als ruhig; sein Puls schlug heftig und er dachte mitten in der Dunkelheit, die ihn überall umgab, an die Glücklichem welche frei und ungehindert reisen, an das klare helle Mondlicht, per amica silentia lunae, wie Virgil sagt.

Man muß hinzusetzen, daß diese Rückkehr zur Melancholie nur vorübergehend war.

Um so mehr, als Herr Jackal sich etwas zu zerstreuen begann.

Es war ihm, als ob ein Geräusch von Schritten sich näherte; dann wechselte sein Führer einige Worte mit einem Neuhinzugekommenen, den man ohne Zweifel als Führer in diesem Labyrinthe erwartet hatte, öffnete eine Thüre und stieg die ersten Stufen einer Treppe hinab.

Es konnte darüber kein Zweifel sein, als der Gefährte des Herrn Jackal zu ihm sagte:

»Halten Sie sich am Treppengeländer, mein Herr.«

Herr Jackal hielt sich am Treppengeländer und stieg hinab .

Wie er die Stufen beim Herausgehen zählte, so zählte er auch die Stufen beim Hinabgehen.

Es waren drei und vierzig Stufen.

Diese drei und vierzig Stufen führten in einen gepflasterten Hof.

In diesem Hofe war ein Brunnen.

Der Mann, welcher die Laterne hielt, wandte seine Schritte nach dem Brunnen. Herr Jackal, den sein Gefährte leitete, folgte ihm.

An dem Brunnen angekommen. beugte sich der Mann mit der Laterne, über die Brüstung und rief:

»Sind Sie unten?«

»Ja,« antwortete eine Stimme, die Herrn Jackal schauern machte, so tief aus der Erde schien sie zu kommen.

Der Mann mit der Laterne stellte dann sein Licht auf die Brüstung, nahm das Ende des Stricks und zog es mit der Bewegung eines Menschen an sich, der einen Wassereimer heraufzieht; statt eines Wassereimers brachte er jedoch einen Korb herauf, der groß genug war, um einen oder auch zwei Menschen aufzunehmen.«

Aber so sanft auch der Gefährte an dem Brunnenkorbe gezogen, die Rolle, welche aller Wahrscheinlichkeit nach seit langer Zeit nicht mehr geölt worden, hatte kläglich geächzt.

Herr Jackal erkannte deutlich das Aechzen der Maschine und ein kalter Schweiß begann ihm über den ganzen Körper zu rieseln.

Er hatte jedoch nicht die Zeit, seiner Gefühle Herr zu werden, wie sehr ihm auch daran gelegen gewesen, denn kaum hatte der Korb den Boden berührt, als er sich hineingesetzt von der Erde aufgehoben, im Freien schweben, und dann mit einer Leichtigkeit und Geschicklichkeit in den Brunnen hinab gefahren sah, daß er hätte glauben können, er habe es mit Bergleuten zu thun.

Herr Jackal stieß unwillkürlich einen Ton aus, der einem Angstschrei glich.

»Sie sind verloren, wenn Sie rufen,« sagte die wohlbekannte Stimme seines Begleiters; »ich lasse Sie los.«

Diese Warnung machte Herrn Jackal schauern, aber sie machte ihn zu gleicher Zeit auch schweigen.

»Im Ganzen genommen,« sagte er bei sich, »wenn es ihre Absicht wäre, mich in einen Brunnen zu werfen, so würden sie sich nicht die Mühe geben, mir zu drohen, und mich nicht in einem Korbe hinabsteigen lassen. Aber wo zum Teufel führen sie mich auf diesem abgeschmackten Wege hin? In der Tiefe eines Brunnens ist doch nichts als Wasser.«

Plötzlich sagte er, durch dies Erinnerung an die Geschichte von dem »Sprechenden Brunnen« auf einen andern Gedanken geführt:

»Nein, nein, ich täuschte mich, als ich sagte, es sei nichts anderes als Wasser in der Tiefe eines Brunnens; es gibt ja auch noch jene großen unterirdischen Gänge, welche man die Katacomben nennt. Nur, um mich irre zu führen, ließ man mich diese Kreuz- und Querzüge machen; wenn man mich aber irre führen will, so laufe ich nicht Gefahr mein Leben lassen zu müssen; man braucht einen Menschen, den man morden will, nicht irre zu führen; man hat Brune, Ney, die vier Sergenten von La Rochelle nicht in der Irre herumgeführt. Was am klarsten an der ganzen Geschichte, das ist, daß ich in den Händen der Carbonari bin. Aber aus welchem Grund haben sie mich entführt? . . .

Ach ja, die Arrestation Salvators. Immer dieser Salvator! Teufel von Salvator! Verfluchter Gérard!

Und während er diese Bemerkungen machte, stieg Herr Jackal in seinem Korbe zusammengekauert und mit beiden Händen sich an dem Stricke haltend. in die Tiefe des Brunnens hinab, während von den oben im Hefe gebliebenen geleitet, ein Korb, mit Steinen von ähnlichen Gewicht wieder seine, nach der Oeffnung hinaufstieg.

In diesem Augenblicke kam von oben ein Ruf, dem unten beinahe an den Ohren des Herrn Jackal ein anderer Ruf antwortete.

Der Erste wallte sagen: »Halten Sie ihn?« und der Zweite: »Wir halten ihn.«

Herr Jackal berührte auch wirklich eben die Erde.

Man ließ ihn aus seinem Korbe heraussteigen, der wieder hinaufgezogen wurde und zweimal herabkam; jedes Mal brachte er Herrn Jackal eine seiner Leibwachen.

LXXXVI
Wo Herr Herr Jackal weiß, waren er ist und einsieht, daß die Urwälder Amerikas weniger gefährlich sind, als die Urwälder von Paris

Man setzte sich in Bewegung durch die langen und ungeheuern unterirdischen Gänge, deren Beschreibung wir bereits in einem unserer früheren Bande gegeben.

Es ging langsam vorwärts durch die tausend und einen Kreuz- und Querweg, welcher die Gefährten des Herrn Jackal freiwillig oder unfreiwillig mit ihm machten; der Weg dauerte drei Viertelstunden, welche dem Gefangenen wie Jahrhunderte erschienen, so sehr machte die feuchte Frische der unterirdischen Gewölbe, der gemessene Gang und das tiefe Schweigen seiner Führer aus diesem nächtlichen Gang einen Leichencondukt.

Vor einer niederen Thür angekommen, hielt die Truppe.

»Sind wir an Ort und Stelle?« fragte mit einem Seufzer Herr Jackal, der zu glauben begann, daß das tiefe Geheimniß, mit dem man seine Entführung umgab, eine große Gefahr in sich schließt.

»In einem Augenblicke,« antwortete eine Stimme, die er zum ersten Male hörte.

Der, welcher diese Worte gesprochen, öffnete die Thüre; durch welche zwei der Begleiter des Herrn Jackal eintraten.

Dann sagte ein Dritter, der den Arm des Herrn Jackal nahm: .

»Wir steigen fest hinan.«

Und Herr Jackal fühlte wirklich, daß er an die erste Stufe einer Treppe stieß.

Er hatte die dritte noch nicht betreten, als die Thüre durch die er gerade gekommen, sich hinter ihm schloß.

Herr Jackal, welchem seine Leibwachen immer vorangingen und folgten, stieg vierzig Stufen hinan.

»Gut!« sagte er, »man führt mich wieder in das Zimmer im ersten Stocke zurück, um mich alle und jede Spur verlieren zu lassen.«

Aber diesmal täuschte sich Herr Jackal, und er merkte dies bald, als er auf einem Plateau von fester Erde angekommen, eine frische, weiche und wohlriechende Luft athmen konnte, die ihm kräftig und erquickend wie Waldesduft in die Brust drang.

Er machte jetzt zehn Schritte auf weichem Grase und die bekannte Stimme seines Nachbars sagte zu ihm:

»Jetzt sind Sie an Ort und Stelle und mögen Ihre Binde abnehmen.«

Herr Jackal lieb sich das nicht zweimal sagen und mit einer so raschen Bewegung, daß er mehr Aufregung verrieth, als er zeigen wollte, riß er die Binde ab.

Ein Schrei des Erstaunens entflog ihm, als er das Schauspiel vor sich sah, das sich seinen Blicken bot.

Er befand sich in der Mitte eines von ungefähr hundert Männern gebildeten Kreises, der selbst wieder den Mittelpunkt eines von einem Walde gebildeten unendlichen Kreises bildete.

Er sah um sich und war bestürzt, vernichtet.

Er suchte eines der Gesichter unter all den oben vom Munde und unten von zwanzig in der Erde befestigten Fackeln betrachteten Gesichtern zu erkennen . . .

 

Aber all diese Gesichter waren ihm unbekannt.

Wo war er denn? Er wußte es durchaus nicht zu sagen.«

Her kannte auf nur Meilen in der Runde von Paris keinen so wilden Ort. als den an welchem er sich befand.

.

Er suchte ein Merkzeichen, an dem, er die Gegend wieder erkennen konnte, einen Horizont in diesem Walde; aber der Rauch, der von den Fackeln aufstieg, vermischt mit dem Nebel, der die Umrisse der Bäume vermischte, bildete gewissermaßen einen Vorhang, den selbst der Blick des Herrn Jackal nicht zu durchdringen vermochte.

Was ihn jedoch am meisten befremdete, war das finstere Stillschweigen, das rings um ihn, über ihm und so zu sagen unter ihm herrschte, ein Stillschweigen, das aus all diesen Personen eine Versammlung von Phantomen gemacht, wenn die Blitze, die in der Dunkelheit aus aller Blicke leuchteten ihn nicht an die Worte erinnert hätten, welche auf eine so düstere Weise an sein Ohr geklungen: »Wir sind keine Räuber! wir sind Feinde!«

Und solcher Feinde zählte er, wie wir bereits sagten, mit flüchtigem Blicke ungefähr hundert, und er sah sich mitten unter diesen hundert Feinden, mitten in der Nacht, mitten in einem Walde!

Herr Jackal war, wie man weiß, ein großer Philosoph ein großer Voltairianer, ein großer Atheist, drei verschiedene Worte, welche ungefähr das Gleiche bedeuten; und doch, sagen wir es zu seiner Schande oder zu seinem Lobe, in diesem feierlichen Augenblicke machte er eine legte Anstrengung, sich zusammen zunehmen und die Blicke zum Himmel erhoben, empfahl er Gott seine Seele!

Unsere Leser haben ohne Zweifel den Ort erkannt. wohin Herr Jackal geführt worden und wenn es Herrn Jackal trotz seiner Anstrengungen nicht gelang, ihn zu erkennen, so wollen wir ganz naiv gestehen, daß dies daher kam, weil er ihn, obgleich im Innern von Paris gelegen, niemals gesehen.

Es war wirklich kein anderer Ort. als der Urwald der Rue d’Enfer, weniger frisch und grün, ohne Zweifel, als in jener Frühlingsnacht, in der wir zum ersten Male dort eingedrungen, aber nicht minder pittoresk in dieser vorgeschrittenen Herbstzeit und zu dieser Stunde der Nacht?

Von hier war Salvator und der General Lebastard de Premont aufgebrochen, Mina den Armen des Herrn von Valgeneuse zu entreißen; hier hatten sie sich ein Rendezvous gegeben, Herrn Sarranti dem Arme des Henkers zu entreißen.

Nur sahen wir, wie Salvator nicht bei dem Rendezvous erschien und durch Herrn Jackal ersetzt wurde.

Wir kennen also ziemlich genau einige der Personen, welche in dem öden Hause versammelt sind.

Es ist die Venta der Carbonari, bei diesem Anlaß durch vier andere Ventas verstärkt. welche der General Lebastard de Premont in der Nacht vom 21. Mai zur Befreiung seines Freundes um Hilfe und Schutz zu bitten gekommen war. Man erinnert sich der Antwort der Carbonari bei jener Gelegenheit: wir theilten sie in dem Kapitel mit, das überschrieben ist: »Hilf dir selbst, so wird dir Gott helfen.« Es war die vollständige, absolute, einstimmige Verweigerung irgend eines Antheils an der Befreiung des Gefangenen.

Wir täuschen uns, wenn wir sagen, eine einstimmige Verweigerung; einer von den zwanzig, Salvator, hatte dem General seine Unterstützung angeboten.

Man weiß-was darauf geschah.

Man erinnert sich auch des rigorosen, obgleich gerechten, Grundes, durch welchen das Tribunal sein strenges Urtheil motivierte; da wir jedoch befürchten, unsere Leser möchten es vergessen haben, wiederholen wir den Text selbst.

Der Redner, welcher im Namen des Bruders das Wort zu führen beauftragt war, hatte gesagt:

»Mit Bedauern gebe ich Ihnen die Antwort; aber werden nicht evidente, unverwerfliche, – leuchtende Beweise von der Unschuld des Herrn von Sarranti geliefert, so vermöchten wir die Hand nicht einem Unternehmen zu bieten, dessen Zweck es ist, dem Gesetze denjenigen zu entziehen welchen das Gesetz mit Recht verurtheilt hat. Ich sage mit Recht, verstehen Sie wohl, General, bis der Beweis vom Gegentheil gegeben wird.«

Am Morgen jenes Tages war Salvator, über seine Expedition von Vanvres nachdenkend, an dem Hause des Generals Lebastard de Premont vorübergekommen und hatte folgende Instruktion hinterlassen:

»Diesen Abend findet im Urwald der Rue d’Enfer eine Versammlung statt; gehen Sie dahin, und sagen sie den Brüdern, daß wir den Beweis der Unschuld des Herrn Sarranti in Händen haben; daß ich diesen Beweis gegen Mitternacht bringen werde.«

»Verstecken Sie sich jedoch von neun Uhr Abends mit ungefähr zehn sichern Menschen in der Umgegend der Rue de Jerusalem; Sie werden mich in die Polizei treten sehen; bis dahin bin ich ganz sicher; bin ich aber einmal im Innern der Präfektur, so kann ich arretiert werden, obgleich ich zweifle, daß Herr Jackal, sowie er mich kennt, diese Kühnheit haben wird.«

»Wenn ich um zehn Uhr die Präfektur nicht verlassen, so bin ich gefangen.«

»Aber meine Gefangennehmung wird von Seiten des Herrn Jackal gewisse Schritte nöthig machen, die ihn zum Ausgehen zwingen.«

»Treffen Sie daher Ihre Maßregeln als ein an Hinterhalte gewöhnter Mann; bemächtigen Sie sich des Herrn Jackal und des Kutschers, entledigen Sie sich des Kutschers, wie Sie können und führen Sie Herrn Jackal auf so komplizierten Wegen, daß er jede Spur verliert, nach dem Urwald.«

»Bin ich frei, so werde ich ihn auf mich nehmen.«

Man hat gesehen, daß der General Lebastard de Premont – denn dieser war der Nachbar zur Rechten des Herrn Jackal – man hat gesehen, sagen wir, daß der General Lebastard de Premont, unterstützt von seinen Freunden, die Anträge Salvators Punkt für Punkt erfüllt hatte.

Die Venta oder vielmehr die fünf Venten, welche an diesem Abende versammelt waren, um sich über die Wahlen zu besprechen, waren gegen zehn Uhr Abends durch einen Boten des Generals von der Arrestation Salvator’s, der Unschuld Sarrantis und der Nothwendigkeit, in der man sich befinde, Herrn Jackal aufzuheben, unterrichtet worden.

Eine ganze Venta, das heißt zwanzig Menschen, hatten dann in einem Augenblicke alle nöthigen Dispositionen getroffen, damit Herr Jackal nicht entkommen könne.

Er entkam auch nicht.

Wir sind ihm auf allen Kreuz – und Querwegen gefolgt, welche man ihn auf Salvators Mahnung hin geführt, wir haben ihn inmitten der Carbonari verlassen, wo er mit Bangigkeit einen Urtheilsspruch erwartete, der allem Anscheine nach einem Todesurtheile sehr nahe kommen mußte.

»Brüder,« sagte der General Lebastard de Premont mit feierlichem Tone, »Sie haben den Mann vor sich, den Sie erwarteten. Wie Unser Bruder Salvator sich versprach, ist er arretiert worden, wie er im Falle seiner Arretirung befahl, ist der, der die Kühnheit hatte, die Hand an ihn zu legen, aufgehoben worden und steht vor Ihnen.«

»Er gehe zuerst und vor Allem den Befehl, Salvator in Freiheit zu setzen,« sagte eine Stimme.

»Ich habe es gethan, meine Herren,« beeilte sich Herr Jackal zu sagen.

»Ist das wahr?« fragten fünf bis sechs Stimmen mit einem Ungestüm, welches von dem ungemeinen Interesse zeugte, das alle an Salvator nahmen.

»Warten Sie,« sagte Herr Lebastard de Premont. »Er ist ein sehr gewandter Mann, an den wir die Hand Zu legen das Glück hatten; sobald er unser Gefangener war, hat er bei sich erwogen und überlegt, aus welchem Grunde man ihn wohl entführt haben möchte. Es ist in die Augen fallend, daß ihm die Idee kommen mußte, er bürge mit seinem Kopfe für unsern Freund und daß dies erste Verlangen, das man an ihn richten werde, sobald er an Ort und Stelle, die Freilassung Salvator’s sein werde. Er wollte deßhalb den Verdienst der Initiative haben und gab allerdings, wie er sagt, diesen Befehl; nur hätte er ihn meiner Ansicht nach vor seinem Weggang von der Präfektur geben sollen, nicht nachdem er uns in die Hände gefallen war.«

»Aber, rief Herr Jackal, »habe ich Ihnen nicht gesagt meine Herren, daß der Befehl aus reinem einfachem Vergessen nicht vor meinem Weggange von der Präfektur gegeben worden war?«

»Ein bedauerliches Vergessen, das die Brüder zu würdigen wissen werden,« sagte der General.«

»Überdies,« versetzte die Stimme, die bereits den General gefragt, ob der Chef der Polizei die Wahrheit gesprochen, »überdies sind Sie nicht allein aus dem Grunde hier, um sich wegen der Arretirung Salvators zu verantworten, Sie sind hier, weil wir tausenderlei Beschwerden gegen Sie haben.«