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Seeabenteuer und Schiffsbrüche

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3.
Das Floß

Nachdem so die Hoffnung auf Rettung zwei Mal getäuscht worden war, bemächtigte sich der Schiffbrüchigen eine namenlose Verzweiflung.

Der Wind blies fortwährend mit Heftigkeit, die See ging ungeheuer hoch, das Verdeck und die oberen Theile des Schiffes zerbrachen, die Taue, welche den Mast hielten, andren sich zweiundsiebzig Menschen anklammerten, drohten jeden Augenblick zu zerreißen und ließen den entsetzlichsten Ausgang der Katastrophe befürchten.

Schon an diesem ersten Tage stürzten sich Einige, welche jede Hoffnung auf Rettung aufgegeben hatten und der langen Qual einen raschen Tod vorzogen, in's Meer und kamen nicht wieder zum Vorschein, während Andere, die noch gern am Leben geblieben wären, von den Wellen mit fortgerissen wurden und mit übermenschlichen Anstrengungen unter lautem Jammergeschrei vergebens versuchten, durch Schwimmen die verlorene Stütze wieder zu erreichen.

Jetzt erst bemerkte man, daß das Schiff, obgleich der Rumpf sich tief unter dem Wasser befand, noch immer fortschwamm, denn die in's Meer Gefallenen konnten es nicht wieder einholen und man sah Einen nach dem Anderen in den Wellen verschwinden.

Das entsetzliche Schauspiel hatte indessen auch seine gute Seite. Während der ersten drei Tage, wo der Sturm unausgesetzt mit Heftigkeit blies und das Meer in beständiger Aufregung war, dachte man beim Anblick des tobenden Elementes und der nach und nach Umkommenden weniger an den Hunger. Als jedoch der Wind nachließ und die See sich beruhigte, als man hoffen durfte, daß das Schiff nicht tiefer sinken und der Mast sich noch über dem Wasser halten werde, ohne zu brechen, da erschien das bleiche Gespenst des Hungers mit seinem Gefolge entsetzlicher Leiden.

In diesem Augenblicke versuchten es mehrere Männer, denen es im Besanmastkorbe zu eng wurde, den Fockmastkorb zu erreichen, wohin der eine Matrose, der sich darin befand und der sich in seiner Einsamkeit noch unglücklicher fühlte als die Anderen, sie rief.

Von den sechs Mann aber, welche in's Meer sprangen, um den kurzen Zwischenraum zu durchschwimmen, erreichten nur zwei das Ziel; die vier anderen ertranken.

Da John Mackay der Einzige ist, der nicht nur bei der entsetzlichen Katastrophe bis zu Ende die Geistesgegenwart behielt, sondern sie auch ausführlich niedergeschrieben hat, so begleiten wir besonders ihn durch die Angst, die Leiden und die Hoffnungen, die er uns mit der glaubwürdigen Einfachheit eines Seemannes berichtet hat.

Auf die erste Aufregung, in die ihn anfangs die Größe und dann die Fortdauer der Gefahr versetzt hatte, folgte am vierten Tage bei ihm eine finstre Gleichgültigkeit, in der seine Hauptsorge immer die war, so lange und so fest als möglich zu schlafen, damit die Zeit ohne zu große Qualen verging. In Folge dessen wurde ihm das Wehgeschrei und die Klagen seiner Unglücksgefährten deshalb lästig, weil sie ihn aus der Betäubung weckten, in der er seine Leiden weniger fühlte.

In den ersten drei Tagen, während denen Alle beständig zwischen Leben und Tod schwebten, hatte er weniger vom Hunger als von der Kälte zu leiden gehabt, da er beständig durchnässt war und dabei ein heftiger kalter Wind blies.

Am vierten Tage aber, als der Sturm sich gelegt hatte und der Himmel wieder heiter geworden war, als die tropische Sonne ihre Herrschaft wieder antrat und ihre senkrechten Strahlen wie einen glühenden Lavastrom auf seinen Scheitel herabgoß, stellten sich die Qualen des Hungers und in noch weit empfindlicherem Grade die des Durstes ein. Wenn er sie indessen mit den Schilderungen verglich, welche manche Reisende in ihren Berichten davon entwarfen, mußte er gestehen daß sie am ersten Tage nicht so unerträglich waren als er es erwartet hatte.

Zu gleicher Zeit erinnerte er sich aber auch, daß er in einem solchem Werke ein Mittel zur Linderung des Durstes gelesen hatte.

Dieses Buch war die Erzählung des Kapitains Inglefield, Kommandant des »Centaur«, von seinem Schiffbruche. Der Kapitain sagt darin, daß er und seine Leute sich dadurch erhebliche Linderung verschafft hätten, daß sie nach einander eine mit Seewasser getränkte Decke um den bloßen Leib schlugen. Er erklärte diese Erscheinung dadurch, daß das Wasser von den Poren der Haut eingesogen wird, das Salz aber zurückbleibt.

Kaum hatte er sich dieses Mittels erinnert, so beschloß er, es an sich selbst in Anwendung zu bringen und es auch seinen Leidensgefährten mitzutheilen. Er zog seine wollene Unterjacke aus, befestigte sie an einem Stück Kabelgarn, das die Matrosen stets bei sich tragen, tauchte sie in's Meer und zog sie wieder an. War die Jacke getrocknet, so wiederholte er dieses Verfahren noch mehrere Male. Die Anderen folgten seinem Beispiele, als er ihnen die gewünschte Erklärung darüber gab, und Alle empfanden eine merkliche Linderung, was vielleicht eben sowohl der Zerstreuung, welche ihnen diese Beschäftigung verschaffte; als dem Mittel selbst zuzuschreiben war.

Indessen hatte John während des ganzen vierten Tages, dem ersten, an welchem die Sonne wider schien und er die Qualen des Hungers und des Durstes zu fühlen begann, eine sonderbare Unruhe, gleichsam einen Anfang von Delirium empfunden, in welchem ihm der Tod in einer gräßlichen Gestalt erschien, und es bemächtigte sich seiner bei dem bloßen Gedanken daran daß er an den ihm noch bevorstehenden Leiden sterben könne, eine so heftige Verzweiflung, daß er jeden Augenblick hätte laut aufschreien mögen.

Glücklicherweise hatte er in der Nacht vom vierten zum fünften Tage einen wohlthuenden Traum. Wie es fast immer geschieht, wenn man den Tod vor Augen steht und die Gedanken mit einem Male den ganzen Zeitraum zwischen dem Grabe und der Wiege überspringen, erinnerte er sich seiner Jugendjahre, seiner längst verstorbenen Großeltern, seiner vergessenen Nachbarn und seiner jungen Freunde, die in der großen Wüste zerstreut waren, welche die Welt heißt und in der man einander selten wiederfindet, wenn man sich einmal getrennt hat.

Dann verschwanden diese Visionen, um einer noch theuereren Platz zu machen.

Es war dem armen John, als habe er ein hitziges Fieber und als ob er seinen Vater weinend und betend vor seinem Krankenlager knieen sähe. Da dieser Traum ganz den Charakter der Wirklichkeit hatte, war schon der Anblick seines Vaters, den er seit seiner Abreise von Europa vor vier bis fünf Jahren nicht wieder gesehen hatte, eine große Freude für ihn; außerdem ließ das Fieber auch nach und er fühlte sich weit besser, so lange sein Vater betete; hörte er dagegen einen Augenblick auf, so kehrte es mit vermehrter Heftigkeit zurück.

Während übrigens derartige Träume eher aufregen als beruhigen, fühlte John im Gegentheil beim Erwachen stets merkliche Erleichterung; an die Stelle der Unruhe war eine tiefe Schwermuth getreten und die Thränen kamen ihm unwillkürlich in die Augen, denn er schloß aus diesem Traume, daß sein Vater gestorben und einen Augenblick vom Himmel herabgestiegen sei, um ihm Trost und Linderung in seinen Leiden zu bringen.

Am 25. Juni, dem fünften Tage nach dem Sinken des Schiffes, begann der Tod sein Zerstörungswerk unter den Verunglückten. Zwei starben vor Hunger, der Eine plötzlich, wie vom Schlage getroffen, der Andere langsam, unter den fürchterlichsten Qualen.

Seitdem die Schiffbrüchigen ein wenig zur Besinnung gekommen waren, so daß sie einander ihre Ideen mittheilen konnten, hatten der Kapitain und der erste Hochbootsmann immer gesagt, daß man am ersten ruhigen Tage versuchen wollte, ein Floß zu verfertigen.

Dieses Floß war die einzige Hoffnung der Unglücklichen, und Bremner sowohl als Wade versprachen sich den besten Erfolg davon. Das Weiter war jetzt ruhig geworden, das Meer war eben wie ein Spiegel, und man ging daher unverweilt an die Ausführung des großen Planes.

Als Material zu dem Flosse hatte man die Segelstangen des Fockmastes und des Bugspriets, sowie eine Menge kleinerer Raaen und Bretterz es fehlte also weder an Holz noch an Tauen und Leinen. Die besten Schwimmer 'gingen an's Werk und am folgenden Mittag war das Floß fertig.

Die Einschiffung begann.

Der Kapitain, seine Gattin und Wade bestiegen es zuerst. Obgleich John Mackay das enthusiastische Vertrauen zu diesem Rettungsmittel nicht theilte, so bestimmte ihn doch das Beispiel der Anderen, das Floß ebenfalls zu besteigen. Die Last der ganzen Mannschaft war jedoch viel zu groß für das schwache Fahrzeug, und als daher Alle eingeschifft waren, drohte es unterzusinken.

Jetzt entspann sich ein gräßlicher Kampf. Die Stärkeren vertrieben die Schwächeren von dem Flosse und diese mußten in den Mastkorb und in die Takelage zurückkehren, die sie verlassen hatten.

Auch bei dieser Gelegenheit ertranken wieder Einige, ein Beweis, wie erschöpft sie sein mußten, denn das Floß war nicht weiter von dem Wrack entfernt, als die Länge des Taues betrug, mit dem es an demselben befestigt war.

Ehe das Tau gekappt wurde, fragte John den Kapitain, ob er eine Idee habe, in welcher Richtung sich das Land befinde und ob er es einigermaßen für wahrscheinlich halte, daß man es bald zu Gesicht bekommen werde.

Der Kapitain, welcher durchaus nicht wußte, wo er war, gab ihm keine Antwort.

John befahl nun dem Manne, welcher das Tau kappen wollte, es noch nicht zu thun, und bat dann den Kapitain, er solle mit seiner Gattin in den Mastkorb zurückkehren und sich nicht dem Floße anvertrauen, das seiner Meinung nach nicht die mindeste Aussicht auf Rettung darbot.

Aber seine Bitten vermochten nichts über den Kapitain, und da Madame Bremner erklärte, daß sie ihren Gatten nicht verlassen wolle wurde das Tau gekappt und das Floss entfernte sich.

Man ruderte mit Holzstücken, welche die Matrosen von den Wänden des Schiffes losgerissen und denen sie mit ihren Messern die Form von Schaufelrudern gegeben hatten.

Nach Verlauf einer halben Stunde kam Wade zu John Mackay und stieß einen tiefen Seufzer aus.

 

»Was fehlt Euch?« fragte John.

»Ach, Ihr hattet von Anfang an Recht und habt auch jetzt wieder Recht!« antwortete Wade kopfschüttelnd. »Wir haben weder Kompaß noch Boussole, wissen nicht, in welcher Richtung das Land liegt und gehen einem gewissen Tode entgegen. In unsrem Besanmastkorbe übersahen wir das Meer und konnten in bedeutender Entfernung ein Schiff erkennen; auf dem Floße aber hatten wir nicht einmal diesen Vortheil.«

»Wenn Ihr Lust habt,« sagte John, »wollen wir auf das Schiff zurückkehren.«

Wade blickte nach den beiden Mastkörben und nach den Unglücklichen, die sich noch darin befanden, und nachdem er die Entfernung gemessen hatte, erwiderte er:

»Wir haben nicht mehr die Kraft, das Wrack durch Schwimmen zu erreichen.«

»Allerdings; aber sie werden uns dahin bringen, um das Floß zu erleichtern.«

Er theilte nun sogleich den Anderen mit, daß er und der erste Hochbootsmann auf das Schiff zurück kehren wollten, und wie er vorausgesehen hatte, war Jedermann bereit, sie dahin zu bringen.

Das Floß kehrte zu dem Wrack zurück, die beiden Hochbootsmänner schwangen sich in die Takelage, nahmen ihren vorigen Platz ein, und das Floß stieß wieder ab.

Man sollte meinen, daß diese Trennung zwischen Unglücklichem welche seit sechs Tagen gemeinschaftlich die nämlichen Drangsale ertragen hatten, schmerzlich sein mußte; aber dem war nicht so, denn der Egoismus und die Todesfurcht hatten jedes andere Gefühl in ihnen erstickt. Die Leute auf dem Floße sahen die beiden Hochbootsmänner ohne Bedauern in den Mastkorb hinaufsteigen, und eben so gleichgültig sahen die hier Befindlichen ihre Kameraden wieder abstoßen.

»Die einzige Person, für die man wirkliche Theilnahme empfand, war die arme Madame Bremner, die alle Leiden und Entbehrungen mit bedauernswerthem Muthe ertragen hatte und aus deren Munde anstatt der Klagen, die auch den stärksten Männern entschlüpften, bis jetzt nur Worte des Trostes gekommen waren.

Anfangs schien es, als ob sie für ihren Gatten eine Last gewesen wäre; dieses Gefühl hatte bei dem Kapitain seinen Grund wahrscheinlich in der Idee, daß sie es ihm, besonders nach Mackay's Warnungen. schwerlich verzeihen werde, daß er sie in eine so schreckliche Lage versetzt hatte. Als er aber fühlte, daß seine Kräfte abnahmen, kehrte er zu ihr zurück, klammerte' sich gewissermaßen an sie an, verließ sie keinen Augenblick mehr und würde es auch nicht zugegeben haben, daß sie ihn verließ.

Die auf dem Wrack Zurückgebliebenen sahen dem Floße lange nach, bis es endlich ihrem Blicke entschwand. Inzwischen brach die Nacht herein und die Unglücklichen waren auf's Neue in schwarze Dunkelheit gehüllt.

Am folgenden Tage glaubte Einer von ihnen in geringer Entfernung einen schwimmenden Gegenstand zu erkennen.

Aller Blicke richteten sich sogleich auf diesen Gegenstand und die Unglücklichen erkannten mit großem Erstaunen das am vorigen Tage abgefahrene Floß, welches von der entgegengesetzten Seite zurückkam.

Die armen Leute hatten bis zur völligen Erschöpfung ihrer Kräfte gerudert, und man wird sich einen ungefähren Begriff von ihren Kräften machen können, wenn man bedenkt, daß sie seit sieben Tagen keine Nahrung zu sich genommen hatten. Dann hatten sie sich neben einander niedergelegt, und so erwarteten sie in stummer Verzweiflung, wie Gott über sie bestimmen würde.

Gott hatte beschlossen, daß sie zu ihren Unglücksgefährten zurückkehren sollten. Nachdem sie die ganze Nacht auf der See umher getrieben hatten, befanden sie sich am Morgen plötzlich wieder auf fünfzig Schritt vom Wrack der »Juno.«

Die hier Zurückgebliebenen reichten ihnen die Hand und halfen ihnen in die Mastkörbe, wo sie ihre vorigen Plätze wieder einnahmen.

4.
Der Todeskampf

In Folge eines Gefühls von Mitleid und Achtung, das noch im Herzen der Unglücklichen schlummerte und das besonders durch den braven John geweckt wurde, erhielten Madame Bremner und ihr Gatte die nämlichen Plätze im Besanmastkorbe wieder, die sie früher inne gehabt hatten.

Der Kapitain war so schwach, daß er ganz ohne Besinnung zu sein schien, und er war im gewöhnlichen Zustande ein gesunder und kräftiger, an alle Leiden und Entbehrungen, denen man auf der See ausgesetzt ist, seit dreißig Jahren gewöhnter Seemann.

Seine Gattin dagegen, ein zartes und nervenschwaches Weib, halte alle diese Anstrengungen, Entbehrungen und Leiden mit seltenen Muthe und wunderbarer Kraft ertragen.

Kaum war er wieder im Mastkorbe angekommen, so wurde er vom Delirium ergriffen; in diesem Zustande glaubte er einen mit allerhand Speisen besetzten Tisch zu sehen, fragte in unzusammenhängenden Worten, warum man ihn von diesem Tische entfernt halte; warum man ihm ein Stück Brot und ein Glas Wasser verweigere, da man doch einen solchen Ueberfluß von Speise und Trank vor ihm aufgestellt und er so großen Hunger und Durst habe.

Der Todeskampf eines Sterbenden ist immer ein peinliches Schauspiel, aber im gewöhnlichen Leben spielt dabei nur der Trennungsschmerz die Hauptrolle; Die, welche den Sterbenden umgeben, vergießen Thränen an seinem Lager und diese Thränen strömen um so reichlicher, wenn der Weinende selbst aus jeder Gefahr ist. Ein Andres ist es mit dem Todeskampfe eines Unglücklichen, welcher Hungers stirbt und der von anderen Unglücklichen umgeben ist, denen ein gleiches Loos bevorsteht. Da erblickt Jeder im Todeskampfe des Anderen das Bild seines eigenen Todeskampfes. Auch sie empfinden schon die nämlichen Leiden, denen der Sterbende erliegt; das Delirium, das ihn ergriffen hat, wird auch sie in kürzerer oder längerer Frist ergreifen, auch sie wird früher oder später der Tod in seine Knochenarme schließen. Da steht man keine lindernden Thränen fließen; nur trockene Augen, eine finstere Verzweiflung, knirschende Zähne, wenn man die ersten Symptome der Schmerzen, die man vor Augen steht, in sich selbst verspürt, rasendes Gebrüll anstatt,der Klagen, Verwünschungen anstatt der Trostworte.

Am 1. Juli endlich, elf Tage nach dem Untergange des Schiffes, gab der Kapitain den Geist auf.

In seinen krampfhaften Todeszuckungen hatte er seine Gattin so fest umklammert, daß man kaum im Stande war, sie aus seinen Armen und Händen zu befreien.

Uebrigens wollte sie noch nicht glauben, daß er todt sei, und als er sie so fest an seine Brust drückte, gab sie. es anfangs nicht zu, daß man sie seiner letzten Umarmung entriß. Es kostete große Mühe, sie von der traurigen Wahrheit zu überzeugen. Endlich ließ sie sich von ihm losmachen und sonderbarer Weise versiegten auch in dem nämlichen Augenblicke ihre Thränen.

Die Mannschaft vertheilte die wenigen Kleidungsstücke des Kapitains unter sich und warf dann seinen Leichnam in's Meer.

Als Madame Bremner das Geräusch des Falles im Wasser hörte, stieß sie einen leisen Schrei aus, rang die Hände und fiel in Ohnmacht;

John Mackay leistete ihr nach Möglichkeit Beistand, und als sie wieder zu sich gekommen war, konnte sie wieder weinen.

Während der fünf Tage, welche zwischen der Rückkehr des Floßes und dem Tode des Kapitains verstrichen waren, hatte sich, außer verschiedenen aufeinanderfolgenden Todesfällen, kein Unfall ereignet. Einer oder der Andere empfand plötzlich Leibschmerzen, bekam Zuckungen und war binnen wenigen Augenblicken verschieden. Zuweilen umklammerte er im Todeskampfe einen Gegenstand mit solcher Heftigkeit, daß mehrere Männer ihre ganze Kraft aufbieten mußten, um seine Hände davon loszumachen.

Bei Einem wollte dies durchaus nicht gelingen und man ließ seinen Leichnam zwei Tage lang an dem Taue hängen, das er mit beiden Händen umklammert hatte. Als aber die Verwesung eintrat, schnitt man ihn an den Handgelenken ab, weil das Tau, an welchem er hing, mit dazu diente, den Mast am Schiffe festzuhalten.

Die Hände blieben hängen und der Körper fiel in's Meer.

Am Morgen des 28. Juni, drei Tage vor dem Tode des Kapitains, hatte der erste Hochbootsmann Wade erklärt, daß er nicht im Stande sei, diese Untätigkeit länger zu ertragen. Das Floß war noch unten am Besanmaste angebunden. Er fragte, ob einige Leute sich mit ihm einschiffen und noch einmal ihr Glück versuchen wollten. Acht Mann gingen auf den Vorschlag ein und fuhren mit dem Hochbootsmanne ab, obgleich John Mackay Alles aufbot, um sie zurückzuhalten. Wie das erste Mal, verlor man nach einigen Stunden das Floß aus dem Gesichte. Aber am folgenden Tage erblickte man es nicht wieder; der Wind. hatte sich am vorigen Abende erhoben und aller Wahrscheinlichkeit nach war das Floß untergegangen.

Dieser Wind, der den Abgefahrenen zum Verderben gereichte; hatte für die Zurückgebliebenen ein glückliches Resultat. Es hatte während der Nacht stark geregnet, die Schiffbrüchigen hatten Wasser auffangen und damit ihren Durst löschen können. So war wenigstens das schreckliche Leiden auf kurze Zeit gelindert.

Von diesem Augenblicke an vergingen selten zwei Tage, ohne daß ein neuer Wind wieder Regen brachte, und dieser verschaffte den Unglücklichen in Verbindung mit den in Meerwasser getauchten Kleidungsstücken merkliche Erleichterung. So oft sie ein wenig frisch es Wasser genießen konnten, empfanden sie in der That mehrere Stunden lang selbst die Qualen des Hungers in vermindertem Grade.

Am Todestage des Kapitains Bremner starben indessen noch zwei Andere im Besanmastkorbe und ebenfalls zwei im Fockmastkorbe.

Beide Parteien standen übrigens in keiner andern Verbindung mit einander, als daß sie sahen, was vorging; denn sie hatten nicht mehr die Kraft, sich durch Zurufe gegenseitig verständlich zu machen.

John wunderte sich jeden Morgen, daß er noch lebte, und er war jedes Mal beim Erwachen überzeugt, daß dieser Tag sein letzter sein und daß er die kommende Nacht nicht mehr erleben werde. Er hatte immer gehört, daß der Mensch nur eine gewisse Zeit, acht bis höchstens zehn Tage, die Nahrung entbehren könne, und am elften Tage, an welchem der Kapitain starb, lebte er noch immer.

An diesem Abende war die See ruhiger, als sie seit langer Zeit gewesen; einige Lascars verließen daher den Besanmastkorb, um nach dem Fockmastkorbe hinüber zu schwimmen, welcher nie so voll gewesen war, als jener und in dem durch den Tod der zwei Matrosen eine neue Lücke entstanden war. Mit großer Mühe legten sie die kurze Strecke zurück und kletterten unter dem Beistande ihrer Kameraden in den Mastkorb hinauf.

Vom 1. und 2. Juli an verfielen die noch lebenden in eine so große Schwäche, daß sie kaum noch sahen und hörten, was um sie her vorging, und diese Betäubung, von der selbst die Stärksten nicht verschont blieben, brachte sogar das Gefühl des Hungers in ihnen zum Schweigen. Wenn es. ein wenig regnete, schienen sie aus ihrer Lethargie zu erwachen und es entstand eine ungewöhnliche Bewegung unter ihnen; Jeder strengte sich an so viel Wasser als möglich aufzufangen, und wenn das Wasser getrunken war, wurden einige matte, traurige Worte gewechselt, worauf die vorige Stille und Unbeweglichkeit zurückkehrte.

Die heftigsten Qualen verursachten den erschöpften Leuten jetzt nicht mehr Hunger und Durst, sondern die Kälte. Obgleich man sich in der Nähe des Aequators befand, waren die Nächte dennoch empfindlich kalt, und man hörte dann gewöhnlich einige Jammerlaute und das Geklapper der zusammenschlagenden Zähne. Gegen Morgen wurde_es wieder wärmer und die erstarrten Glieder erhielten ihre vorige Elastizität wieder; aber nun begann eine andre Qual: – die Gluth der senkrecht herabfallenden Sonnenstrahlen. Ueber diese Leiden vergaß man die der vergangenen Nacht und sehnte sich nach dem kühlen Abendwinde, wie man sich des Nachts nach der Sonnenwärme sehnte.

Dabei ereigneten sich denn auch individuelle Dramen, welche Diejenigen, vor deren Augen sie sich zutrugen, kaum bemerkten.

Wir haben schon gesagt, daß fast Jedermann, obgleich Alle den nämlichen Qualen erlagen, eines anderen Todes starb. So war zum Beispiel der Sohn des Hochbootsmanns Wade, ein kräftiger und gesunder Jüngling, fast auf der Stelle und ohne einen Seufzer gestorben, während ein anderer, viel schwächerer junger Mann von gleichem Alter Hunger und Durst zwölf Tage lang ertrug und erst am dreizehnten Tage sein Ende herannahen fühlte.

Der Vater dieses jungen Mannes befand sich ebenfalls unter der Mannschaft, aber Beide waren getrennt worden, indem der Vater jener einzelne Matrose war, der sich in den Fockmastkorb begeben hatte, während sein Sohn sich auf dem Besanmaste befand.

So lange man sprechen konnte, wechselten die Leute in den beiden Mastkörben zuweilen einige Worte, und wenn die Stimme erlosch, begnügte man sich mit Zeichen und Winken. Als nun der unglückliche Vater aus dem Winken des jungen Mannes ersah, daß dieser dem Tode nahe war, schien er seine ganze Kraft wieder zu gewinnen, obgleich er bereits seit einigen Tagen fast unbeweglich gelegen hatte, stieg eiligst herab und kroch auf allen Vieren auf dem noch über dem Wasser befindlichen Plattbord des Wracks hinüber zu seinem Sohne. Er erreichte ihn glücklich, nahm ihn auf die Arme und trug ihn auf die Planken des noch nicht ganz versunkenen Hinterkastells, wo er ihn an das Geländer lehnte, damit das Wasser ihn nicht wegspülen konnte. Bekam der junge Mann einen jener Anfälle von Leibschmerz, die wir als Vorboten des Todes bezeichnet haben, so hob der Vater ihn auf und trocknete ihm den Schaum von den Lippen. Fielen einige tropfen Regen, so fing er sie mit ängstlicher Sorgfalt auf, rang das damit getränkte Stück Leinwand oder Zeug über dem Munde seines Sohnes aus und erfrischte seine brennende Zunge mit dem kühlenden Wasser. So brachte er fünf Tage auf dem Hinterkastell zu. Endlich starb aber der Sohn trotz der sorgsamsten Pflege. Der unglückliche Vater hob ihn nun wieder auf, drückte ihn mit einer Kraft, die man einem Menschen, welcher sechzehn Tage Nichts gegessen hat, kaum zutrauen sollte, an die Brust und hoffte noch lange, daß er zum Leben zurückkehren werde, bis endlich ein Zweifel an seinem Tode nicht mehr möglich war. Jetzt schien ihm Alles, selbst sein eigenes trauriges Loos, gleichgültig zu sein. Er blieb noch so lange in finsterem Hinbrüten bei dem Leichname, bis eine Stoßwelle ihn über Bord spülte; dann sah er ihn in den dunklen Fluthen versinken, und als er ihn nicht mehr erkennen konnte, hüllte er sich in ein Stück Segeltuch und legte sich nieder, um nicht wieder aufzustehen. Er _mußte jedoch noch zwei Tage gelebt haben, denn so oft eine Welle über seinen Körper hinwegging, sahen Diejenigen, welche das ganze Drama mit angstvollen Blicken beobachtet hatten, seine Glieder convulsivisch zusammenzucken.

 

Diese Scene war so herzzerreißend, daß sie einen tiefen Eindruck auf die Unglücklichen machte, obgleich das Gefühl ihrer eigenen entsetzlichen Lage jede Theilnahme für die Leiden Anderer zu ersticken schien.

Das Schiff wurde indessen von den Wellen des Ozeans, aber beständig unter Gottes Leitung, umher geworfen, ohne daß Jemand hätte sagen können, nach welcher Gegend es verschlagen wurde.

Endlich, am Abende des 10. Juli, zwanzig Tage nach dem Versinken der »Juno« richtete einer der Schiffbrüchigen den Blick lange auf einen Punkt, stand auf, um besser sehen zu können, und rief plötzlich aus:

»Ich sehe Land!«