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Tausend und Ein Gespenst

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III.

Das Arsenal

Wie hatte ich Nodier kennen gelernt?



Wie man Nodier kennen lernte. Er hatte mir einen Dienst erwiesen, – es war im Jahre 1827, – ich hatte so eben

Christine

 beendigt; ich kannte Niemand in den Ministerien, Niemand bei dem Theater; statt mir eine Hilfe zu sein, um zu der Comédie Francaise zu gelangen, war mir meine Anstellung ein Hinderniß. Ich hatte seit zwei bis drei Tagen folgenden letzten Vers geschrieben, der so sehr ausgepfiffen und so sehr beklatscht worden ist.



Eh bien!. . . j'en ai pitié, mon père, qu'en l'achève! (Nun denn!. . . ich habe Erbarmen mit ihm, mein Vater, man gebe ihm den Gnadenstoß!)



Unter diesen Vers hatte ich das Wort

Ende

 geschrieben; es blieb mir nichts mehr übrig, als mein Stück den Herren Komödianten des Königs lesen zu lassen, und von ihnen angenommen oder abgewiesen zu werden.



Unglücklicher Weise war zu jener Zeit die Regierung der Comédie Francaise, wie die Regierung von Venedig, republikanisch, aber aristokratisch, und es gelangte nicht jeder zu den erlauchten Herren des Ausschusses.



Es gab wohl einen Examinator, der damit beauftragt war, die Werke der jungen Leute zu lesen, die noch Nichts gemacht hatten, und die dem zu Folge erst nach der Prüfung ein Recht auf die Vorlesung hatten; aber es bestanden in den dramatischen Sagen so traurige Geschichten von Manuscripten, welche ihre Reihe der Vorlesung während ein bis zwei, und selbst drei Jahren erwarteten, daß ich, mit Dante und mit Milton vertraut, nicht wagte, diesem Vorhimmel die Stirn zu bieten, indem ich zitterte, daß meine arme

Christine

 ganz einfach die Zahl der:



Questi sciaurati, che moi non fur vivi



vermehren möchte.



Ich hatte von Rodler wie als geborenen Beschützer Aller entstehenden Dichter sprechen hören. Ich bat ihn um einige Zeilen, um mich bei dem Baron Taylor einzuführen. Er sandte mir dieselben; acht Tage nachher hatte ich Vorlesung in dem Theater Francais, und ich ward so ziemlich empfangen.



Ich sage so ziemlich, weil sich in

Christine

 in Bezug auf die Zeit, in welcher wir lebten, das heißt im Jahre der Gnade 1827, solche literarische Gräßlichkeiten befanden, daß die Herren Hofkomödianten des Königs nicht wagten, mich ohne Weiteres aufzunehmen, und ihre Meinung der des Herrn Picard unterwarfen, den Verfasser

der kleinen Stadt

.



Herr Picard war eines der Orakel der Zeit.



Firmin führte mich zu Herrn Picard. Picard empfing mich in einer Bibliothek, die mit allen Ausgaben seiner Werke besetzt und mit feiner Büste geschmückt war. Er nahm mein Manuscript, gab mir Rendezvous für auf acht Tage und verabschiedete uns.



Nach Verlauf von acht Tagen, Stunde vor Stunde erschien ich an der Thür des Herrn Picard. Herr Picard erwartete mich augenscheinlich; er empfing mich mit dem Lächeln Rigoberts in dem Stücke:

Ein Haus zu verkaufen.



– Mein Herr, sagte er zu mir, indem er mir mein Manuscript sauber zusammengerollt überreichte, haben Sie irgend einen Erwerbszweig?



Der Eingang war nicht ermuthigend.



– Ja, mein Herr, antwortete ich, ich habe eine kleine Stelle bei dem Herrn Herzoge von Orleans.



– Nun denn! Mein Sohn, äußerte er, indem er mir liebreich mein Manuscript in die Hände drückte und indem er sie zugleich ergriff, gehen Sie auf Ihr Bureau.



Und entzückt, einen Witz gemacht zu haben, rieb er sich die Hände, wobei er mir mit der Geberde andeutete, daß die Audienz beendigt wäre.



Ich war nichts desto weniger Nodier einen Dank schuldig. Ich ging nach den Arsenal. Nodier empfing mich, wie Picard mich empfing, auch mit einem Lächeln. . . Aber es gibt Lächeln und Lächeln, wie Molière sagt.



Vielleicht werde ich eines Tages das Lächeln Picards vergessen, aber das Nodiers werde ich niemals vergessen.



Ich wollte Nodier beweisen, daß ich seines Schutzes nicht ganz so unwürdig wäre, als er es nach der Antwort hätte glauben können, die mir Picard gegeben hatte. Ich ließ ihm mein Manuscript zurück. Am folgenden Tag empfing ich einen liebenswürdigen Brief, der mir all meinen Muth wiedergab, und der Mich zu den Abendgesellschaften des Arsenals einlud.



Diese Abendgesellschaften des Arsenals waren etwas Reizendes, etwas, das niemals eine Feder wiederzugeben vermag, Sie fanden Sonntags statt, und begannen in der Wirklichkeit um sechs Uhr.



Um sechs Uhr war der Tisch gedeckt. Es befanden sich dabei die Gäste, welche von der Stiftung des Mittagessens an ihm beigewohnt hatten; Cailleur, Taylor, Francis Wey, den Nodier wie einen Sohn liebte; dann aus Zufall ein oder zwei Eingeladene, dann jeder, wer wollte.



Sobald man einmal in diesen reizenden häuslichen Kreis aufgenommen war, so ging man nach seinem Gefallen zu Nodier zum Mittagessen. Es waren immer zwei bis drei Gedecke gelegt, welche die zufälligen Gäste erwarteten. Wenn diese drei Gedecke unzulänglich waren, so fügte man ein viertes, ein fünftes, ein sechstes hinzu. Wenn man die Tafel verlängern mußte, so verlängerte man sie. Aber wehe dem, der als der Dreizehnte kam. Dieser aß ohne Erbarmen an einem kleinen Tische, es sei denn, daß ein vierzehnter ihn von seiner Strafe erlöste.



Nodier hatte seine Eigenheiten; er zog das Schwarzbrod dem Weißbrode, das Zinn dem Silber, das Talglicht der Wachskerze vor.



Niemand achtete darauf, als Madame Nodier, die ihn nach seiner Art bediente.



Nach Verlauf von ein bis zwei Jahren war ich einer jener vertrauten Freunde, von denen ich so eben sprach. Ich konnte zur Stunde des Mittagessens kommen, ohne mich zu melden; man empfing mich mit Ausrufungen, die mir keinen Zweifel über mein Willkommensein übrig ließen, und man setzte mich bei Tische, oder ich setzte mich bei Tische zwischen Madame Nodier und Marie.



Nach Verlauf einer gewissen Zeit wurde das, was nur eine Thatsache war, ein Recht. Wenn ich zu spät kam, wenn man bei Tische saß, wenn mein Platz genommen war, so machte man dem Gaste, der ihn sich angemaßt, ein Zeichen der Entschuldigung; mein Platz ward mir zurückgegeben, und, meiner Treue, der, den ich vertrieben, mochte sich Hinsetzen, wo er konnte.



Nodier behauptete damals, daß ich darin ein guter Fund für ihn wäre, daß ich ihn entbände zu plaudern. Ader wenn ich ein guter Fund für ihn war, so war ich ein böser für die andern. Nodier war der liebenswürdigste Unterhalter, den es auf der Welt gab. Vergebens verwandte man auf meine Unterhaltung alles Das, was man auf ein Feuer verwendet, damit es flammt, es zu erwecken, es aufzuschüren, jene Feilspäne hineinzuwerfen, welche die Funken des Geistes wie die der Schmiede sprühen lassen, sie war Witz, sie war Munterkeit, sie war Jugend; aber sie war nicht jene Gutmüthigkeit, jener unaussprechliche Zauber, jene unendliche Anmut, in denen wie in einem gespannten Netze der Vogelfänger Alles, große und kleine Vögel fängt. Es war nicht Nodier.



Es war ein Nothbehelf, mit dem man sich begnügte, sonst Nichts.



Aber zuweilen schmollte ich, zuweilen wollte ich nicht sprechen, und bei meiner Weigerung zu sprechen, mußte Nodier wohl sprechen, da er der Herr vom Hause war; dann hörte Jedermann zu, die kleinen Kinder wie die erwachsenen Personen. Es war zugleich Walter Scott und Perrault, es war der Gelehrte im Streite mit dem Dichter, es war das Gedächtniß im Kampfe mit der Erfindungsgabe. Nodier war dann nicht allein unterhaltend anzuhören, sondern Nodier war auch reizend zu sehen. Sein langer hagerer Körper, seine langen mageren Arme, seine langen bleichen Hände, sein langes bleiches Gesicht voll schwermüthiger Güte, alles das stand in Uebereinstimmung mit seiner ein wenig schleppenden Rede, welche in gewissen von Zeit zu Zeit wiederkehrenden Tönen ein hochburgundischer Accent modulirte, den Nodier niemals ganz verloren hat. O! Dann war die Erzählung etwas Unerschöpfliches, immer neu, niemals wiederholt. Die Zeit, der Raum, die Geschichte, die Natur waren für Nodier jener Schatz des Fortunatus, aus welchem Peter Schlenuhl immer mit vollen Händen schöpfte. Er hatte alle Welt gekannt, Danton, Charlotte Corday, Gustav den III., Cagliostro, Pius den VI., Katharina die II., Friedrich den Großen, was weiß ich? Wie den Grafen von Saint-Germain und die Taratantaleo, er hatte der Schöpfung der Welt beigewohnt und die Jahrhunderte durchlebt indem er sich umgestaltete. Er hatte sogar über diese Umgestaltung eine höchst sinnreiche Theorie. Nach der Meinung Nodiers waren die Träume nur eine Erinnerung auf einem andern Planeten verflossener Tage, eine Rückerinnerung dessen, was ehedem gewesen war. Nach der Meinung Nodiers standen die wunderlichsten Träume mit Thatsachen in Verbindung, welche sich ehedem auf dem Saturn, auf der Venus oder auf dem Merkur zugetragen hatten; die seltsamsten Bilder waren nur der Schatten von Gestalten, welche ihr Andenken in unsere unsterbliche Seele eingeprägt hatten. Als er zum ersten Male das Museum der Fossilien des Jardin-des-Plantes besuchte, hatte er seine Verwunderung darüber ausgedrückt, daß er Thiere wiederfände, welche er vor der Sündfluth des Deucalion und der Pyrrha gesehen hatte, und zuweilen entschlüpfte es ihm, zu gestehen, daß er, als er das Streben der Tempelherren nach dem allgemeinen Besitze sah, Jakob Molay den Ruth gegeben hätte, seinen Ehrgeiz zu beherrschen. Es war nicht seine Schuld, wenn Jesus Christus gekreuzigt worden war; er allein unter seinen Zuhörern hatte ihn vor den bösen Absichten gewarnt, welche Pilatus gegen ihn hätte. Es war besonders der ewige Jude, dem Nodier Veranlassung gehabt hatte zu begegnen; das erste Mal in Rom, zur Zeit Gregors des VII., das zweite Mal in Paris, am Vorabende der Sanct Bartholomäusnacht, und das letzte Mal in Vienne in der Dauphine, und über den er die kostbarsten Urkunden hatte. Und in dieser Beziehung verbesserte er einen Irrthum, in welchen die Gelehrten und die Dichter, besonders Edgar Quinet, verfallen waren; es war nicht Ahasverus, welches ein halb griechischer, halb lateinischer Name ist, der sich den Mann mit fünf Sous nennt, es war Isaak Laguedämus; dafür konnte er bürgen, er hatte die Auskünfte aus seinem eigenen Munde. Dann ging er von der Politik, von der Philosophie, von der Sage zu der Naturgeschichte über. O! wie in dieser Wissenschaft Nodier Herodot, Plinius, Marco Polo, Buffon und Lacépède weit hinter sich ließ! er hatte Spinnen gekannt, neben denen die Spinnen Pellisons nur eine Kinderei war, er hatte Kröten gekannt, neben denen Methusalem nur ein Kind war; endlich hatte er Verbindungen mit Kaimans gehabt, neben welchen die Tarasque nur eine Eidechse war.

 



Nodier begegneten daher auch jene Zufälle, wie sie nur Männern von Genie begegnen. Als er eines Tages, – es war während seines Aufenthaltes in Steiermark, dem Lande der Granitfelsen und der hundertjährigen Bäume, – Schmetterlinge suchte, stieg er auf einen Baum, um eine Höhlung zu erreichen, welche er erblickte, steckte feine Hand in diese Höhlung, wie er es zu thun gewohnt war, und das ziemlich unvorsichtiger Weise, denn eines Tages zog er aus einer ähnlichen Höhlung seinen Arm mit einer Schlange umwunden zurück, eines Tages also, als er eine Höhlung gefunden hatte, steckte er seine Hand in diese Höhlung, fühlte etwas Weiches und Klebriges, das unter dem Drucke seiner Finger nachgab. Er zog rasch seine Hand zurück und sah nach; zwei Augen funkelten von einem dunklen Feuer in der Tiefe dieser Höhlung. Nodier glaubte an den Teufel; als er daher diese beiden Augen sah, welche nicht übel den glühenden Augen Sharons glichen, wie Dante sagt, fing Nodier damit an zu entfliehen; dann überlegte er, besann sich eines Andern, nahm ein Hackbeil, und indem er die Tiefe des Loches maß, begann er eine Oeffnung an der Stelle zu machen, wo er vermuthete, daß sich dieser unbekannte Gegenstand befinden müßte. Bei dem fünften oder sechsten Hiebe des Beiles, den er that, floß Blut aus dem Baume, gerade wie es unter dem Schwerdte Tancreds in dem bezauberten Walde Tassos floß. Aber es war keine schöne Kriegerin, welche ihm erschien, es war eine ungeheure, in dem Baume eingesperrte Kröte, wohin sie ohne Zweifel von dem Winde fortgeführt worden war, als sie die Größe einer Biene hatte. Seit wie langer Zeit befand sie sich da? Seit zwei Hundert, drei Hundert, fünf Hundert Jahren vielleicht. Sie war fünf Zoll lang und drei Zoll breit.



Ein anderes Mal, es war in der Normandie, zu der Zeit, wo er mit Taylor die pittoreske Reise durch Frankreich machte, trat er in eine Kirche; an einem Gewölbe dieser Kirche hingen eine riesenhafte Spinne und eine ungeheure Kröte. Er wandte sich an einen Landmann, um ihn um Auskunft über dieses seltsame Paar zu bitten.



Und hier ist das, was der alte Landmann ihm erzählte, nachdem er ihn an eine der Steinplatten der Kirche geführt hatte, auf welcher ein in seiner Rüstung liegender Ritter ausgehauen war.



Dieser Ritter war ein ehemaliger Baron, der in der Gegend so schlimme Erinnerungen zurückgelassen hatte, daß die kühnsten sich abwandten, um nicht den Fuß auf sein Grab zu setzen, und das nicht aus Ehrerbietung, sondern aus Schrecken. Ueber diesem Grabe sollte in Folge eines von diesem Ritter auf seinem Todtenbette gemachten Gelübdes Tag und Nacht eine Lampe brennen, da von dem Verstorbenen eine fromme Stiftung gemacht werden war, welche diese Kosten und noch weit darüber bestritt.



Eines Tages, oder vielmehr in einer Nacht, während welcher der Pfarrer zufälliger Weise nicht schlief, sah er von dem Fenster seines Zimmers aus, welches auf die der Kirche ging, die Lampe erbleichen und erlöschen. Er schrieb die Sache einem Zufalle zu, und achtete in dieser Nacht nicht weiter darauf.



Als er aber in der folgenden Nacht gegen zwei Uhr Morgens erwachte, fiel es ihm ein, sich zu überzeugen, ob die Lampe brenne. Er verließ sein Bett, ging an das Fenster und überzeugte sich mit seinen Augen, daß die Kirche in die tiefste Dunkelheit versenkt war.



Dieses in acht und vierzig Stunden zwei Male wiederholte Ereigniß nahm eine gewisse Bedenklichkeit an. Am folgenden Morgen ließ der Pfarrer mit Tagesanbruche den Kirchendiener kommen, und beschuldigte ihn ganz einfach, das Oel in seinen Salat, statt in die Lampe geschüttet zu haben. Der Kirchendiener schwor bei allen Heiligen, daß dem nicht so wäre; daß er seit fünfzehn Jahren, welche er die Ehre hätte Kirchendiener zu sein, täglich gewissenhafter Weise die Lampe fülle, und daß es cm Streich dieses bösen Ritters sein müßte, welcher, nachdem er die Lebendigen während seines Lebens geplagt, drei Hundert Jahre nach seinem Tode von Neuem anfinge sie zu plagen. Ursache, als alle die, welche man sich vorstellen konnte, vielleicht eine übernatürliche Ursache. Der Pfarrer beschloß, diese Ursache kennen zu lernen, welches sie auch sein möchte.



Der Pfarrer erklärte, daß er den Worten des Kirchendieners vollkommen traue, aber daß er nichts desto weniger wünschte, am Abend der Füllung der Lampe beizuwohnen; dem zu Folge wurde mit einbrechender Nacht in Gegenwart des Pfarrers das Oehl in die Lampe gegossen und sie angezündet; als die Lampe angezündet war, verschloß der Pfarrer selbst die Kirchenthür, steckte den Schlüssel in seiner Tasche, und zog sich in seine Wohnung zurück.



Hierauf nahm er sein Brevier, machte es sich an seinem Fenster in einem großen Sessel bequem, und die Augen abwechselnd auf das Buch und auf die Kirche geheftet, wartete er.



Gegen Mitternacht sah er das Licht, welches die Scheiben erleuchtete, abnehmen, erbleichen und erlöschen.



Dieses Mal war eine fremde, geheime, unerklärliche Ursache vorhanden, an welcher der arme Kirchendiener keinen Antheil haben konnte.



Einen Augenblick lang meinte der Pfarrer, daß sich Diebe in die Kirche schlichen und das Oel stahlen. Aber wenn man annahm, daß der Frevel von Dieben begangen wäre, so waren es sehr rechtschaffene Schelme, sich darauf zu beschränken, das Oel zu stehlen, wenn sie die heiligen Gefäße verschonten.



Es waren also keine Diebe; es war also eine andere Ursache, als alle die, welche man sich vorstellen konnte, vielleicht eine übernatürliche Ursache. Der Pfarrer beschloß, diese Ursache kennen zu lernen, welches sie auch sein möchte.



Am folgenden Abend goß er selbst das Oel ein, um sich fest zu überzeugen, daß er nicht durch ein Taschenspielerkunststück hintergangen wäre; dann, statt die Kirche zu verlassen, wie er es am Tage zuvor gethan hatte, versteckte er sich in einem Beichtstuhle.



Die Stunden verflossen, die Lampe leuchtete, mit einem ruhigen und bleichen Scheine; es schlug Mitternacht. . .



Der Pfarrer glaubte ein leises Geräusch gleich den, eines Steines zu hören, der von der Stelle gebückt wird; dann sah er Etwas wie den Schatten eines Thieres mit riesenhaften Füßen, welcher Schatten an einem Pfeiler hinaufstieg, längs eines Gesimses hinlief, einen Augenblick lang an dem Gewölbe erschien, längs des Seiles hinabging, und einen Halt auf der Lampe machte, welche anfing zu erbleichen, flatterte und erlosch.



Der Pfarrer befand sich in der tiefsten Dunkelheit. Er sah ein, daß das eine Erfahrung wäre, die er erneuern müßte, indem er sich dem Orte näherte, wo sich der Auftritt zutrug.



Nichts war leichter; statt sich in den Beichtstuhl zu. setzen, welcher sich in dem von der Lampe entgegengesetztem Theile der Kirche befand, hatte er sich nur in dem Beichtstuhle zu verstecken, der sich nur einige Schritte weit von ihr befand.



Alles wurde daher am folgenden Tage, wie am Tage zuvor gemacht; nur wechselte der Pfarrer den Beichtstuhl und versah sich mit einer Blendlaterne.



Bis Mitternacht herrschte dieselbe Ruhe, dasselbe Schweigen, dieselbe Rechtschaffenheit der Lampe, ihren Dienst zu versehen. Aber bei dem letzten Schlage der Mitternachtsstunde entstand dasselbe Knistern wie am Tage zuvor. Nur, da das Knistern vier Schritte weil von dem Beichtstuhle entstand, konnten die Augen des Pfarrers sich unmittelbar aus die Stelle heften, von woher das Geräusch kam.



Es war das Grab des Ritters, welches krachte.



Hierauf erhob sich langsam die ausgehauene Steinplatte, welche das Grab bedeckte, und aus der Oeffnung des Grabes sah der Pfarrer eine Spinne von der Größe eines Pudels, mit sechs Zoll langen Haaren und eine Elle langen Füßen herauskommen, welche ohne Verzug, ohne Zögern, ohne einen Weg zu suchen, von dem man sah, daß er ihr nicht vertraut wäre, den Pfeiler zu erklimmen, auf dem Gesimse hinzulaufen, längs des Seiles sich herabzulassen, und dort angelangt das Oel der Lampe zu trinken begann, welche erlosch.



Aber nun nahm der Pfarrer seine Zuflucht zu seiner Laterne, deren Strahlen er auf das Grab richtete.



Nun bemerkte er, daß der Gegenstand, welcher es offen hielt, eine Kröte von der Größe einer Meerschildkrüte war, welche, indem sie sich aufblähte, den Stein aufhob und die Spinne herausließ, welche auf der Stelle das Oel einsog, das sie mit ihrer Gefährtin zu theilen zurückkehrte.



Beide lebten auf diese Weise seit Jahrhunderten in diesem Grabe, in welchem sie wahrscheinlicher Weise noch heut zu Tage wohnen würden, wenn nicht ein Zufall dem Pfarrer die Anwesenheit irgend eines Diebes in der Kirche geoffenbart hätte.



Am folgenden Tage hatte der Pfarrer bewaffnete Macht gefordert; man hatte den Grabstein aufgehoben und das Insect und die Kröte getödtet, deren Leichen an die Decke genagelt waren, und dieses außerordentliche Ereigniß bestätigte.



Außerdem war der Landmann, welcher Nodier die Sache erzählte, einer von denen, welche von dem Pfarrer



berufen worden waren, die beiden Kostgänger in dem Grabe des Ritters zu bekämpfen, und da er besonders über die Kröte hergefallen war, so hatte ein Tropfen Blut des unreinen Thieres, welcher auf sein Augenlid gespritzt war, ihn beinahe wie Tobias blind gemacht.



Er war mit dem Verlust eines Auges davon gekommen.



IV.

Das Arsenal

Für Nodier beschränkten sich die Geschichten von Kröten nicht darauf; es lag etwas Geheimnißvolles in der langen Lebensdauer dieses Thieres, was der Einbildungskraft Nodiers gefiel. Er wußte daher auch alle Geschichten von hundertjährigen oder tausendjährigen Kröten; alle in Steinen oder in Baumstämmen entdeckten Kröten, von der im Jahre l756 von dem Bildhauer Leprince in Eretteville in Mitte eines harten Steines, in welchem sie eingesperrt war, gefundenen Kröte an, bis zu der im Jahre l771 von Hérisant in ein Kästchen von Gyps eingeschlossenen Kröte, welche derselbe im Jahre l774 vollkommen lebendig wiederfand, waren ihm bekannt. Wenn, man Nodier fragte, wovon die unglücklichen Gefangenen lebten, so antwortete er: – Sie verschlingen ihre Haut. Er hatte eine Stutzerkröte studirt, welche sechs Male m einem Winter eine neue Haut bekommen, und die sechs Male die alte verzehrt hatte. Was die anbetrifft, welche sich in Steinen der Urwelt seit der Schöpfung befanden, wie die Kröte, welche man in dem Steinbruche von Bourswick in Gothland fand, so schien die gänzliche Unthätigkeit, in der sie genöthigt gewesen waren zu bleiben, der Stillstand des Lebens in einer Temperatur, welche keine Auflösung zuließ, und die den Ersatz irgend eines Verlustes nicht nöthig machte, die Feuchtigkeit des Ortes, welche die des Thieres unterhielt, und die seine Zerstörung durch die Austrocknung verhinderte, alles das schienen Nodier hinreichende Gründe zu einer Ueberzeugung, in welcher eben so viel Glauben, als Wissenschaft lag.



Außerdem hatte Nodier, wie wir gesagt haben, eine gewisse natürliche Demuth, eine gewisse Neigung, sich selbst klein zu machen, die nun zu dem Kleinen und Demüthigen hinzog, Nodier, der Bücherliebhaber, fand unter den Büchern unbekannte Meisterwerke, die er aus dem Grabe der Bibliotheken hervorzog; Nodier, der Menschenfreund, fand unter den Lebendigen unbekannte Dichter, die er bekannt machte und die er zu der Berühmtheit führte; jede Ungerechtigkeit, jede Unterdrückung empörte ihn, und nach seiner Meinung unterdrückte man die Kröte, man war ungerecht gegen sie, man kannte die Tugenden der Kröte nicht, oder man wollte sie nicht kennen lernen. Die Kröte war ein guter Freund, Nodier hatte es bereits durch die Verbindung der Kröte und der Spinne bewiesen, und im Nothfalle bewies er es zwei Male, indem er eine andere, nicht minder phantastische Geschichte, als die erste, von einer Kröte und einer Eidechse erzählte: – die Kröte war also nicht allein ein guter Freund, sondern auch noch ein guter Vater und ein guter Gatte. Indem sie ihre Frau selbst entbindet, hatte sie den Gatten die erste Lehre ehelicher Liebe gegeben; indem sie die Eier ihrer Familie um ihre Hinterpfoten wickelt oder sie auf ihrem Rücken trägt, hatte die Kröte den Familienhäuptern die erste Lehre der Vaterschaft gegeben, was diesen Geifer anbelangt, den die Kröte verbreitet oder selbst spritzt, wenn man sie quält, so versicherte Nodier, daß sie die unschuldigste Substanz wäre, die es auf der Welt gäbe, und er zog sie dem Geifer gar vieler Kritiker seiner Bekanntschaft vor.

 



Deshalb waren diese Kritiker nicht etwa gleich den Andern bei ihm empfangen, sondern sie wurden sogar gut empfangen; aber allmählig zogen sie sich von selbst zurück; sie fühlten sich nicht behaglich in Mitte dieses Wohlwollens, was die natürliche Atmosphäre des Arsenals war, und welche der Spott nur durchzog, wie der Leuchtkäfer in jenen schönen Nächten von Nizza und Florenz vorüberzieht, das heißt, um einen Schein zu werfen und sogleich zu erlöschen.



So gelangte man an das Ende eines reizenden Mittagessens, bei welchem alle Vorfälle, ausgenommen das Umwerfen des Salzes, ausgenommen ein auf die Rückseite gelegtes Brod, von der philosophischen Seite aufgenommen wurden, dann reichte man den Kaffee bei Tische. Nodier war im Grunde Sybarir, er schätzte vollkommen jene Empfindung gänzlicher Sinnlichkeit, welche keine Bewegung, keine Ortsveränderung, keine Störung zwischen dem Nachtische und der Krone des Nachtisches verursacht. Während dieses Momentes asiatischer Wonne stand Madame Nodier auf, und ließ den Salon erleuchten. Ich, der ich keinen Kaffee trank, begleitete sie oft. Meine lange Gestalt war ihr von großem Nutzen, um die Kronleuchter anzuzünden, ohne auf die Stühle zu steigen.



Dann erleuchtete sich der Salon, denn vor dem Mittagsessen und an den gewöhnlichen Tagen war man immer nur in dem Schlafzimmer der Madame Nodier empfangen, dann erleuchtete sich der Salon und erhellte das weiß angestrichene mit Friesen aus der Zeit Ludwigs XV. geschmücktem Getäfel, ein höchst einfaches Ameublement, das aus zwölf Sesseln und einem Kanapee von rothem Kasimir bestand. Fenstervorhänge von derselben Farbe, einer Büste Hugos, einer Statue Heinrichs IV., einem Porträt Nodiers und einer Alpenlandschaft von Regnier.



Fünf Minuten nach seiner Erleuchtung traten du Gäste in diesen Salon, in dem Nodier entweder auf den Arm Daugatz, oder auf den Arm Bixios, oder auf den Arm Francis Wey's oder auf den meinigen gestützt, als der Letzte kam, Nodier, der immer seufzte und sich beklagte, wie als ob er nur den Hauch gehabt hätte; nun streckte er sich in einen großen Sessel zur Rechten des Kamines aus, die Beine ausgestreckt, die Arme herabhängend, oder er stellte sich, die Waden nach dem Feuer, den Rücken nach dem Spiegel gewandt, vor das Gesims. Wenn er sich in den Sessel ausstreckte, so war Alles vorüber; in diesen Augenblick der Behaglichkeit versunken, die der Kaffee verleiht, wollte Nodier als Selbstsüchtiger sich selbst genießen, und schweigend dem Traume seines Geistes folgen. Wenn er sich an das Gesims lehnte, so war es etwas anderes; dann wollte er erzählen, dann schwieg Jedermann, dann entfaltete sich eine jener reizenden Geschichten seiner Jugend, welche ein Roman von Longus, ein Idylle Theocrits, oder irgend ein trauriges Drama der Revolution schien, von dem immer ein Schlachtfeld der Vendée oder der Revolutionsplatz der Schauplatz waren, oder endlich irgend eine heimliche Verschwörung von Cadoubal oder von Oudet, von Staps oder von Lahorie; dann schwiegen die, welche eintraten, grüßten mit der Hand, setzten sich in einen Sessel oder lehnten sich an die Wand, dann endigte die Geschichte, wie Alles endet. Man klatschte nicht Beifall, nicht mehr als man dem Murmeln eines Flusses, dem Gesange eines Vogels Beifall klatscht; aber wenn das Murmeln erloschen, aber wenn der Gesang erstorben, horchte man noch; dann setzte sich Marie ohne etwas zu sagen an ihr Piano, und plötzlich erhob sich ein glänzendes Feuer von Noten in die Lüfte, wie das Vorspiel eines Feuerwerkes; dann setzten sich die in die Ecken verwiesenen Spieler an Tische und spielten.



Nodier hatte lange Zeit nur à la Bataille gespielt, das war sein Lieblingsspiel, und er behauptete, daß er sehr stark darin wäre; endlich hatte er dem Jahrhunderte eine Bewilligung gemacht, und er spielte Eccarté.



Dann sang Marie von ihr in Musik gesetzte Worte von Hugo, von Lamartine oder von mir; dann hörte man unter diesen reizenden, immer zu kurzen Melodien plötzlich das Vorspiel eines Contrec Tanzes erschallen, jeder Tänzer eilte zu seiner Tänzerin, und der Ball begann.



Ein reizender Ball, zu dem Marie alle Musik machte, indem sie in Mitte der flüchtigen von ihren Fingern auf den Tasten des Pianos gemachten Triller denen ein Wort zuwarf, welche sich ihr bei jedem Traverse, bei jeder Chaine-des-Dames, bei jedem Chassé-Croisé näherten. Von diesem Augenblicke an verschwand Nodier, gänzlich vergessen, denn er war keiner jener herrschsüchtigen und brummigen Hausherren, deren Gegenwart man fühlt, und deren Herannahen man erräth. Er war der Wirth des Alterthumes, der zur Seite tritt, um dem Plat