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Zwanzig Jahre nachher

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Die zwei jungen Leute spornten ihre Rosse.

»Dort ist der Verwundete,« sagte den Guiche, an dem Augustinerbruder vorüber reitend, habt die Güte, Euch ein wenig zu beeilen, Herr Mönch.«

Raoul entfernte sich von dem Bruder auf die ganze Breite der Straße und ritt, den Kopf mit Ekel abwendend, vorbei.

Nun waren die jungen Leute vor dem Beichtvater, statt ihm zu folgen; sie gingen dem Sterbenden entgegen und theilten ihm die gute Kunde mit.

Dieser erhob sich, um in der angegebenen Richtung zu schauen, sah den Mönch, der, den Schritt seines Maulthieres beschleunigend, sich näherte, und fiel, dass Gesicht von einem Freudenstrahle erleuchtet, auf die Tragbahre zurück.

»Wir haben nun,« sagten die jungen Leute, »Alles für Euch gethan, was wir zu thun im Staude waren, und da es uns drängt, zu dem Heere des Herrn Prinzen zu gelangen, so setzen wir unsern Marsch fort; Ihr werdet uns entschuldigen, nicht wahr, Herr? Man sagt, es soll eine Schlacht geschlagen werden, und wir wünschten nicht den Tag nachher anzukommen.«

»Geht, meine jungen Herren, erwiderte der Verwundete, »und seid Beide für Euer Mitleid gesegnet. Ihr habt in der That, wie Ihr sagtet, Alles gethan, was Ihr zu thun im Stande waret. Ich kann nur wiederholen: Gott beschütze Euch, Euch und diejenigen, weiche Euch theuer sind.«

»Mein Herr,« sprach von Guiche zu seinem Hofmeister, »wir reiten voraus, Ihr holt uns auf der Straße nach Cambrin ein..«

Der Wirth stand unter seiner Thüre. Er hatte, Alles vorbereitet, Bett, Binden und Charpie, und ein Knecht war nach Lens, der nächsten Stadt, gegangen, um einen Arzt zu holen.

»Hier die Bezahlung, sorgt für den Verwundeten, sagte von Guiche zu dem Wirth und warf ihm Geld zu.

»Gut,« sprach der Wirth, es soll geschehen, wie Ihr wünscht. Aber haltet Ihr nicht an, gnädiger Herr, um Eure Wunde zu verbinden?« setzte er, sich an Bragelonne wendend, bei.

Ah, meine Wunde ist durchaus von keiner Bedeutung, und es ist Zeit, daß ich mich um den nächsten Halt kümmere. Habt nur die Güte, wenn Ihr einen Reiter vorüberkommen seht, und dieser Reiter sich nach einem jungen Manne auf einem Fuchsen und gefolgt von einem Lackei, erkundigt, ihm zu sagen: Ihr habet mich wirklich gesehen, ich aber habe meinen Weg fortgesetzt und gedenke in Mazingarde zu Mittag zu speisen und zu Cambrin über Nacht zu bleiben. Dieser Reiter ist mein Bedienter.«

»Wäre es nicht besser und sicherer, wenn ich ihn um seinen Namen fragte und ihm den Eurigen nennen würde,« entgegnete der Wirth.

»Dieser Zuwachs von Vorsicht kann nicht schaden,« sprach Raoul, »ich heiße Vicomte von Bragelonne und er Grimaud.«

In diesem Augenblick kam der Verwundete von der einen Seite und der Mönch von der andern. Die zwei jungen Leute wichen zurück, um die Tragbahre vorüber ziehen zu lassen. Der Mönch stieg von seinem Maulthiere ab und befahl, dasselbe in den Stall zu führen, ohne es abzusatteln.

»Herr Mönch,« sprach von Guiche, hört diesen brauen Mann wohl Beichte und kümmert Euch nicht um Eure Zeche und um die Eures Thieres; Alles ist bezahlt.«

»Ich danke, mein Herr,« antwortete der Mönch mit dem Lächeln, das Bragelonne bebend gemacht hatte.

»Komm, Graf,« sprach Raoul, welcher instinktartig die Gegenwart des Augustiners nicht ertragen zu können schien, »kommt, ich fühle mich unheimlich hier.«

»Ich danke noch einmal, meine schönen jungen Herren, sagte der Verwundete, »und vergeßt mich nicht in Eurem Gebete.«

»Seid unbesorgt,« erwiderte von Guiche und spornte sein Pferd, um Bragelonne einzuholen, der bereits zwanzig Schritte voraus war.

In diesem Augenblicke wurde die Tragbahre von den zwei Lackeien in das Haus gebracht.

Der Wirth und seine Frau, welche nun auch herbei gelaufen war, standen auf den Stufen der Treppe. Der unglückliche Verwundete schien furchtbare Schmerzen auszustehen, und dennoch beschäftigte er sich nur damit, nachzusehen, ob ihm der Mönch folgte.

Bei dem Anblick dieses bleichen, blutigen Mannes ergriff die Frau ihren Mann heftig beim Arme.

»Nun, was gibt es?« fragte dieser, »befindest Du, Dich etwa unwohl?«

»Nein, aber schau,« erwiderte die Wirthin, auf den Verwundeten deutend.

»Bei Gott,« sagte der Wirth, er scheint mir sehr krank zu sein!«

»Das ist es nicht, was ich sagen will,« fuhr die Frau zitternd fort; »ich frage Dich, ob Du ihn erkennst?«

»Diesen Menschen? Warte doch …«

»Ah, ich sehe, daß Du ihn erkennst,« sagte die Frau, »denn Du erbleichst ebenfalls.«

»In der That!« rief der Wirth. »Wehe unserem Hause, es ist der ehemalige Henker von Bethune!«

»Der ehemalige Henker von Bethune,« murmelte der junge Mönch, und machte eine Bewegung, als wollte er stille stehen, während auf seinem Gesichte das Gefühl des Widerstrebens hereintrat, das ihm sein Bußfertiger einflößte.

Herr d’Arminges, der sich an der Thüre hielt, bemerkte sein Zögern.

»Herr Mönch, sagte er, »mag dieser Unglückliche Henker sein oder gewesen sein, so ist er darum doch nicht minder Mensch. Leistet ihm also den letzten Dienst, den er von Euch heischt, und Euer Werk wird nur um so verdienstlicher sein.«

Der Mönch antwortete nicht, sondern setzte schweigend seinen Weg nach dem unteren Zimmer fort, wo die zwei Bedienten den Sterbenden bereits auf ein Bett gelegt hatten.

Als die zwei Lackeien den Mann Gottes sich dem Lager des Verwundeten nahen sahen, entfernten sie sich und schlossen die Thüre vor dem Mönche und dem Sterbenden.

D’Arminges und Olivain harrten ihrer, stiegen wieder zu Pferde und alle vier entfernten sich im Trab, dem Wege folgend, an dessen Ende Raoul und sein Gefährte bereits verschwunden waren.

In dem Augenblick, wo der Hofmeister und sein Gefolge ebenfalls verschwanden, hielt ein neuer Reisender an der Schwelle des Wirthshauses.

»Was wünscht der Herr,« fragte der Wirth, noch bleich und zitternd von der Entdeckung, die er gemacht hatte.

Der Reisender machte das Zeichen eines Mannes, welcher trinkt, stieg ab, deutete auf sein Pferd und machte das Zeichen eines Reisenden.

»Ah, Teufel! sagte der Wirth zu sich selbst, »es scheint, dieser Mensch ist stumm. – Und wo wollt Ihr trinken?« fragte er.

»Hier,« antwortete der Reisende, auf einen Tisch deutend.

»Ich täuschte mich,« sprach der Wirth, »er ist nicht ganz stumm.«

Und er verbeugte sich, holte eine Flasche Wein und Zwieback und setzte Beides dem schweigsamen Gaste vor.

»Beliebt dem Herrn sonst noch Etwas?« fragte er.

»Allerdings,« sprach der Reisende.

»Was wünscht der Herr?«

»Zu wissen, ob Ihr nicht habt einen jungen Edelmann von fünfzehn Jahren auf einem Fuchsen und von einem Lackei gefolgt vorüber reiten sehen?«

»Den Grafen von Bragelonne?« sagte der Wirth.

»Richtig.«

»Dann heißt Ihr Herr Grimaud?«

Der Reisende machte ein bejahendes Zeichen.

»Nun wohl,« sprach der Wirth, »Euer junger Herr war erst vor einer Viertelstunde hier. Er wird in Mazingarde zu Mittag speisen und in Cambrin über Nacht bleiben.«

»Wie weit von hier nach Mazingarde?«

»Zwei und eine halbe Meile.«

»Danke.«

Gewiß, daß er seinen jungen Herrn am Ende des Tages treffen würde, schien Grimaud ruhiger, trocknete sich die Stirne ab und schenkte sich ein Glas Wein ein, das er schweigend trank.

Er hatte sein Glas auf den Tisch gesetzt und schickte sich an, es zum zweiten Male zu füllen, als ein furchtbarer Schrei aus dem Innern drang, wo sich der Mönch und der Sterbende befanden.

Grimaud stand rasch auf.

»Was ist das?« sagte er, »und woher kommt der Schrei?«

»Aus dem Zimmer des Verwundeten.«

»Wer ist der Verwundete?« fragte Grimaud.

»Der ehemalige Henker von Bethune, der, von spanischen Parteigängern auf den Tod verwundet, hierher gebracht worden ist und in diesem Augenblicke einem Augustinermönche beichtet. Es scheint, er leidet sehr.«

»Der ehemalige Henker von Bethune?« murmelte Grimaud, seine Erinnerungen zusammenfassend …»ein Mann von fünfundfünfzig bis sechzig Jahren… groß, kräftig, von dunkler Gesichtsfarbe, mit schwarzem Bart und schwarzen Haaren?«

»So ist es, nur sind seine Barthaare grau und seine Haupthaare weiß geworden. Kennt Ihr ihn?.« fragte der Wirth.

»Ich habe ihn einmal gesehen,« antwortete Grimaud, dessen Stirne sich bei dem Gemälde, das sich vor seine Erinnerung stellte, verfinsterte.

Die Frau lief ganz zitternd herbei.

»Hast Du gehört?« sagte sie zu ihrem Manne.

»Ja,« antwortete der Wirth und schaute unruhig nach der Thüre.

In diesem Augenblick vernahm man einen Schrei, etwas minder stark, als der erste, aber gefolgt von einem langen gedehnten Seufzer.

Die drei Personen schauten sich bebend an.

»Man muß sehen, was es ist,« sagte Grimaud.

»Man sollte glauben, es wäre der Schrei eines Menschen, den man erdrosselt,« murmelte der Wirth.

»Jesus!« rief die Wirthin, sich bekreuzend.

Wenn Grimaud wenig sprach, so handelte er dagegen viel, wie man weiß. Er stürzte nach der Thüre und rüttelte mit aller Gewalt daran; aber sie war durch einen innern Riegel verschlossen.

»Oeffnet!« rief der Wirth, »öffnet, Herr Mönch! Oeffnet sogleich!«

Niemand antwortete.

»Oeffnet, oder ich sprenge die Thüre!« rief Grimaud.

Dasselbe Stillschweigen.

Grimaud schaute umher und erblickte eine Stange, welche zufällig in einem Winkel lag. Er faßte sie rasch, und ehe der Wirth sich seinem Vorhaben widersetzen konnte, hatte er die Thüre eingestoßen.

Das Zimmer war von Blut überströmt, das durch die Matratze drang. Der Verwundete sprach nicht, sondern röchelte. Der Mönch war verschwunden.

»Der Mönch! wo ist der Mönch?« rief der Wirth.

Grimaud lief nach einem offenen Fenster, das nach dem Hofe ging.

»Er wird hier hinaus entflöhen sein!« rief er.

 

»Ihr glaubt?« sprach der Wirth ganz bestürzt. »Hausknecht, seht nach, ob das Maulthier des Mönches im Stalle ist?«

»Kein Maulthier mehr,« antwortete dieser.

Grimaud runzelte die Stirne, der Wirth faltete die Hände und schaute mißtrauisch um sich her. Die Frau hatte es nicht gewagt, in das Zimmer zu treten, und verharrte voll Schrecken an der Thüre.

Grimaud näherte sich dem Verwundeten und schaute seine rauhen Züge an, welche eine furchtbare Erinnerung in ihm hervorriefen. Nach einem Augenblicke stummer, düsterer Betrachtung sagte er:

»Es unterliegt keinem Zweifel, er ist es!.«

»Lebt er noch?« fragte der Wirth.

Ohne zu antworten, öffnete Grimaud sein Wamms, um ihm das Herz zu befühlen, während sich der Wirth ebenfalls näherte. Aber plötzlich wichen Beide, der Wirth einen Schrei des Schreckens ausstoßend, Grimaud erbleichend, zurück.

Die Klinge eines Dolches war bis an das Heft in die linke Seite der Brust des Henkers gestoßen.

»Lauft nach Hilfe!« sprach Grimaud; »ich bleibe bei ihm.«

Der Wirth eilte ganz bestürzt aus dem Zimmer. Die Frau war bei dem Schrei ihres Mannes entflohen.

XIV
Die Absolution

Man höre, was geschehen war.

Wir haben gesehen, daß der Mönch nicht durch eine Wirkung seines eigenen Willens, sondern im Gegentheil ganz gegen seinen Wunsch den Verwundeten geleitete, der ihm auf eine so seltsame Weise empfohlen wurde. Vielleicht hätte er zu fliehen gesucht, wenn er eine Möglichkeit gesehen haben, würde, aber die Drohungen der zwei jungen Edelleute, ihr Gefolge, das hinter ihm geblieben war und ohne Zweifel Weisungen erhalten hatte, und eine schärfere Ueberlegung bestimmten den Mönch, ohne zu viel bösen Willen durchscheinen zu lassen, seine Beichtigerrolle bis zum Ende zu spielen. Sobald er in dem Zimmer war, näherte er sich dem Kopfkissen des Verwundeten.

Mit dem raschen, denjenigen, welche zu sterben im Begriffe sind und folglich keine Zeit zu verlieren haben, eigenthümlichen Blicke betrachtete der Henker das Gesicht desjenigen, welcher sein Tröster werden soll; er machte eine Bewegung des Erstaunens und sagte:

»Ihr seid sehr jung, mein Vater.«

»Die Leute meines Gewandes haben kein Alter,« antwortete trocken der Mönch.

»Ach, sprecht doch etwas sanfter, mein Vater,« versetzte der Verwundete, »ich bedarf eines Freundes in meinen letzten Augenblicken.«

»Ihr leidet viel?« sagte der Mönch.

»Ja, aber mehr in der Seele, als im Leibe.«

»Wir werden Eure Seele retten,« erwiderte der junge Mann; »aber seid Ihr wirklich der Henker von Bethune, wie diese Leute sagten?«

»Das heißt, antwortete lebhaft der Verwundete, welcher wohl bange hatte, der Name des Henkers könnte von ihm die letzte Hilfe entfernen, die er forderte, »das heißt, ich bin es gewesen, bin es aber nicht mehr. Ich habe vor fünfzehn Jahren mein Amt aufgegeben, wohne Hinrichtungen noch bei, schlage aber nicht mehr. »O nein!«

»Ihr habt also Abscheu vor Eurem Stande?«

s Der Henker stieß einen tiefen Seufzer aus und sagte:

»So lange ich nur im Namen des Gesetzes und der Gerechtigkeit geschlagen habe, ließ mich mein Stand, geschützt wie ich unter der Gerechtigkeit und dem Gesetze war, ruhig schlafen; aber seit der furchtbaren Nacht, wo ich als Werkzeug für eine Privatrache diente und mein Schwert mit Haß auf ein Geschöpf Gottes erhob, seit dieser Nacht…«

Der Henker hielt inne und schüttelte mit verzweifelter Miene den Kopf.

»Sprecht,« sagte der Mönch, der sich unten an das Bett des Verwundeten gesetzt hatte und an einer Erzählung, die sich auf eine so seltsame Weise ankündigte, Interesse zu nehmen anfing.

»Ach!« rief der Sterbende mit dem ganzen Ergusse eines lange zurückgehaltenen Schmerzes, der sich endlich Luft macht, »ach! ich habe jedoch diese Gewissensbisse durch zwanzig Jahre guter Werke zu ersticken gesucht. Ich habe denjenigen, welche das Blut vergießen, die natürliche Wildheit genommen; bei jeder Gelegenheit habe ich mein Leben ausgesetzt, um das Leben anderer zu retten, welche in Gefahr schwebten. Ich habe der Erde menschliche Existenzen erhalten, im Austausche gegen diejenigen, welche ich ihr geraubt hatte. Das ist noch nicht Alles: das in der Ausübung meines Gewerbes von mir errungene Vermögen habe ich unter die Armen vertheilt; ich bin ein beständiger Kirchengänger geworden; die Leute, welche mich früher flohen, gewöhnten sich an meinen Anblick. Alle haben mir vergeben, Einige liebten mich sogar. Aber ich glaube, daß mir Gott nicht verziehen hat; denn die Erinnerung an jene Hinrichtung verfolgt mich beständig, und es kommt mir jede Nacht vor, als sähe ich das Gespenst jener Frau vor meinen Augen sich erheben.«

»Einer Frau? Ihr habt also eine Frau ermordet?« rief der Mönch.

»Und Ihr auch?« erwiderte der Henker; »Ihr bedient Euch auch des Ausdrucks, der so furchtbar in meinem Ohre klingt? Ermordet! Ich habe also gemordet und nicht hingerichtet! Ich bin also ein Mörder und nicht ein Nachrichter!«

Und er schloß die Augen und stieß einen Seufzer aus. Der Mönch befürchtete ohne Zweifel, er könnte sterben, ohne mehr zu sagen; denn er versetzte lebhaft:

»Fahrt fort, ich weiß nichts, und wenn Ihr Eure Erzählung geendigt habt, werden Gott und ich richten.«

»Oh, mein Vater,« fuhr der Henker fort, ohne die Augen wieder zu öffnen,« als hätte er bange, beim Oeffnen einen furchtbaren Gegenstand zu sehen, »besonders bei Nacht und wenn ich über einen Fluß setze, ist dieser Schrecken, den ich nicht überwinden kann, gräßlich. Es kommt mir vor, als erschwerte sich meine Hand, als läge mein Schwert darin. Das Wasser nimmt die Farbe des Blutes an, und alle Stimmen der Natur, das Rauschen der Bäume, das Murmeln des Windes, das Schlagen der Wellen, vereinigen sich, um eine weinende; verzweifelte, gräßliche Stimme zu bilden, die mir zuruft: »»Lasse die Gerechtigkeit Gottes walten.««

»Delirium!« murmelte der Mönch und schüttelte ebenfalls das Haupt.

Der Henker öffnete die Augen, machte eine Bewegung, um sich nach dem jungen Mann umzuwenden, und faßte ihn beim Arme.

»Delirium,« wiederholte er, »sagt Ihr? Oh, nein, denn es geschah, in der Nacht; ich warf ihren Körper in den Fluß; die Worte, welche mir meine Gewissensbisse wiederholen, diese Worte habe ich in meinem Stolze ausgesprochene nachdem ich das Werkzeug der menschlichen Gerechtigkeit gewesen war, glaubte ich das der Gerechtigkeit Gottes zu sein.«

»Laßt hören! wie kam dies? sprecht!« sagte der Mönch.«

»An einem Abend erschien ein Mann bei mir und zeigte mir einen Befehl. Ich folgte. Vier andere vornehme Herren erwarteten mich; sie führten mich maskirt mit sich; Ich behielt mir immer vor, zu widerstehen, wenn das, was man von mir fordern würde, mir ungerecht vorkäme. Wir machten fünf oder sechs Meilen, düster, schweigsam und beinahe ohne ein Wort auszutauschen. Dann zeigten sie mir durch die Fenster einer kleinen Hütte eine mit dem Ellbogen auf den Tisch gelehnte Frau und sagten zu mir: »»Diese habt Ihr hinzurichten.««

»Gräßlich!« sprach der Mönch.

»Und Ihr gehorchtet?«

»Mein Vater, diese Frau war ein Ungeheuer. Sie hatte, wie man sagte, ihren zweiten Gatten vergiftet, ihren Schwager, welcher sich unter diesen Männern befand, zu vergiften gesucht. Sie hatte kurz zuvor eine junge Frau, welche ihre Nebenbuhlerin war, vergiftet, und ehe sie England verließ, wie man sagte, Buckingham, den Liebling des Königs, erdolchen lassen.«

»Buckingham?« rief der Mönch.

»Ja, Buckingham, so ist es.«

»Diese Frau war also eine Engländerin?«

»Nein, sie war eine Französin, aber in England verheirathet.«

»Der Mönch erbleichte, trocknete feine Stirne und verschloß die Thüre mit einem Riegel. Der Henker glaubte, er wollte ihn verlassen, und fiel seufzend auf sein Bett zurück.

»Nein, nein, hier bin ich,« versetzte der Mönch, rasch zu ihm zurückkehrend: »fahrt fort, wer waren diese Männer?«

»Der Eine war ein Fremder, ein Engländer, glaube ich. Die Andern waren Franzosen und trugen die Uniform der Musketiere.«

»Ihre Namen?« fragte der Mönch.«

»Ich kenne sie nicht; »ich weiß nur, daß die vier andern Herren den Engländer Mylord nannten.«

»Und die Frau war schön?«

»Schön und jung! Oh! ja, besonders schön. Ich sehe sie noch, wie sie auf den Knieen vor mir, den Kopf zurückgeworfen, flehte. Nie habe ich seitdem begriffen, wie ich den so schönen und so bleichen Kopf abschlagen konnte.«

Der Mönch schien von einer seltsamen Bewegung ergriffen. Er zitterte an allen Gliedern; man sah, daß er eine Frage machen wollte, daß er, es aber nicht wagte.

Endlich nach einer heftigen Anstrengung gegen sich selbst sagte er:

»Der Name dieser Frau?«

»Ich weiß ihn nicht. Sie hatte sich, wie ich Euch sagte, zweimal verheirathet, einmal in Frankreich, das zweite mal in England.«

»Und sie war jung, sagt Ihr?«

»Fünfundzwanzig Jahre.«

»Schön?«

»Zum Entzücken.«

»Blond?«

»Ja.«

»Lange Haare, nicht wahr… die ihr bis aus die Schultern herabfielen?«

»Ja.«

»Große Augen von wunderbarem Ausdruck?«

»Wenn sie wollte. Oh! ja, so ist es.«

»Eine Stimme von seltsamer Weichheit?»

»Woher wißt Ihr dies?«

Der Henker stützte sich mit dem Ellbogen auf sein Bett und heftete seinen erschrockenen Blick auf den Mönch, welcher leichenblaß wurde.

»Und Ihr habt sie getödtet!« sprach der Mönch; »Ihr habt als Werkzeug für diese Feigen gedient, die sie nicht selbst zu tödten wagten! Ihr habt mit dieser Jugend, mit dieser Schönheit, mit dieser Schwäche kein Mitleid gehabt! Ihr habt diese Frau getödtet.«

»Ach!« versetzte der Henker, »ich habe es Euch gesagt, mein Vater, diese Frau verbarg unter einer himmlischen Hülle einen höllischen Geist, und als ich sie sah und mich alles des Bösen erinnerte, das sie mir zugefügt hatte…«

»Euch? Und was hatte sie Euch thun können? Laßt hören.«

»Sie hatte meinen Bruder, der ein Priester war, verführt und zu Grunde gerichtet; sie war mit ihm aus ihrem Kloster entflohen.«

»Mit Eurem Bruder?«

»Ja. Mein Bruder war ihr erster Liebhaber; sie war die Ursache des Todes meines Bruders. Oh! mein Vater! mein Vater! schaut mich nicht so an! Oh! ich bin also sehr schuldig. Oh!i Ihr vergebt mir also nicht!«

Der Mönch verzog sein Gesicht.

»Doch wohl, ich werde Euch vergeben, wenn Ihr mir Alles sagt.«

»Oh!« rief der Henker, »Alles! Alles! Alles!«

»So antwortet also … Wenn sie Euren Bruder verführt hat … Ihr sagt, sie habe ihn verführt, nicht wahr?«

»Ja.«

»Wenn sie seinen Tod veranlaßt hat… Ihr sagt, sie habe seinen Tod veranlaßt, nicht wahr?«

»Ja,« wiederholte der Henker.

»So müßt Ihr ihren Namen als Mädchen kennen.«

»Oh! mein Gott!« sprach der Henker, »mein Gott! ich glaube, ich sterbe. Die Absolution, mein Vater, die Absolution!«

»Sage mir ihren Namen!« rief der Mönch, »und ich gebe sie Dir!«

»Sie hieß … mein Gott, habe Gnade mit mir!« murmelte der Henker und sank bleich, zitternd, einem Menschen in der Secunde des Sterbens ähnlich, auf sein Bett zurück.

»Ihren Namen!« wiederholte der Mönch und beugte sich über ihn, als gedächte er ihm diesen Namen zu entreißen, wenn er denselben nicht nennen wollte; »ihren Namen! … sprich oder keine Absolution!«

Der Sterbende schien alle seine Kräfte zusammenzuraffen.

Die Augen des Mönches funkelten.

»Anna von Beuil,« murmelte der Sterbende.

»Anna von Beuil!« rief der Mönch, sich hoch aufrichtend und seine Hände zum Himmel erhebend; »Anna von Beuil, Du hast gesagt, Anna von Beuil, nicht war?«

»Ja, ja, das war ihr Name, und jetzt absolvirt mich, denn ich sterbe.«

»Ich Dich absolviren?« rief der Mönch mit einem Lachen, das die Haare aus dem Haupte des Sterbenden sich sträuben machte; »ich Dich absolviren? ich bin kein Priester!«

»Ihr seid kein Priester!« rief der Henker; »aber was seid Ihr denn?«

»Ich werde es Dir sagen, Elender!«

»Ah! Herr! mein Gott!«

»Ich bin John Francis Winter.«

»Ich kenne Euch nicht!« rief der Henker.

»Warte, warte, Du sollst mich kennen lernen; ich bin John Francis Winter, und jene Frau …«

»Nun, jene Frau?«

»War meine Mutter.«

Der Henker stieß den ersten Schrei aus, den furchtbaren Schrei, welchen man außen gehört hatte.

»Oh! vergebt mir, vergebt mir, wenn nicht im Namen Gottes, doch wenigstens in Eurem Namen, wenn nicht als Priester, doch wenigstens als Sohn.«

»Dir vergeben!« rief der falsche Mönch, »Dir vergeben! Gott wird es vielleicht thun, ich nie!«

»Habt Mitleid!« sprach der Henker und streckte die Arme nach ihm aus.

»Kein Mitleid für den, der kein Mitleid gehabt hat; stirb unbußfertig, stirb in Verzweiflung; stirb und sei verdammt.«

 

Und er zog einen Dolch unter seinem Gewande hervor, bohrte ihm denselben in die Brust und sprach:

»Hier hast Du Deine Absolution!«

Da hörte man den zweiten, schwächeren Schrei, worauf ein langes Seufzen gefolgt war.

Der Henker, welcher sich erhoben hatte, fiel rücklings auf sein Bett zurück.

Der Mönch lief, ohne den Dolch aus der Wunde zu ziehen, nach dem Fenster, öffnete es, sprang auf die Blumen eines Gärtchens, schlüpfte in den Stall, nahm sein Maulthier, entfernte sich durch eine Hinterthüre, eilte zu dem nächsten Gehölze, zog aus seinem Felleisen eine vollständige Reitertracht, kleidete sich darein, erreichte zu Fuß die nächste Post, miethete ein Pferd und setzte mit verhängten Zügeln seinen Weg nach Paris fort.