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Zwanzig Jahre nachher

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Comminges, der den Arm des Bedienten im Augenblick, wo dieser die Thüre öffnen wollte, um ihn zu melden, zurückgehalten hatte, öffnete selbst und befand sich vor diesem Familiengemälde.

Bei dem Anblick des Offiziers fühlte sich Broussel etwas bewegt, als er aber sah, das Comminges höflich grüßte, stand er auf und grüßte ebenfalls.

Doch trotz dieser gegenseitigen Artigkeit drückte sich die Unruhe auf dem Antlitz der Frauen aus. Louvières wurde sehr bleich und ermattete ungeduldig die Erklärung des Offiziers.

»Mein Herr,« sprach Comminges, ich bin der Ueberbringer eines Befehles Seiner Majestät des Königs.«

»Sehr wohl, mein Herr,« antwortete Broussel, »was für ein Befehl ist es?« Und er streckte seine Hand aus.

»Ich habe Befehl, mich Eurer Person zu bemächtigen, mein Herr,« sprach Comminges, immer in demselben Tone und mit derselben Höflichkeit, »und wenn Ihr mir glauben wollt, so werdet Ihr Euch die Mühe ersparen, diesen langen Brief zu lesen, und mir folgen.«

Hütte der Blitz mitten unter diese so friedlich versammelten Leute geschlagen, die Wirkung könnte nicht furchtbarer gewesen fein. Broussel wich ganz zitternd zurück. Es war in jener Zeit etwas Schreckliches, durch die Feindseligkeit des Königs eingekerkert zu werden. Louvières machte eine Bewegung, als wollte er nach seinem Degen laufen, der in einer Ecke des Speisezimmers auf einem Stuhle lag! aber ein Blick des guten Broussel, der den Kopf nicht verlor, hemmte diese Bewegung. Durch die Breite des Tisches vom ihren Gatten getrennt, zerfloß Madame Broussel in Thränen. Die zwei Töchter hielten ihren Vater umfangen.

»Auf! mein Herr,« sprach Comminges, »beeilen wir uns; man muß dem König gehorchen.«

»Mein Herr,« sagte Broussel, »ich habe eine leidende Gesundheit und kann mich in diesem Zustande nicht gefangen geben. Ich verlange Zeit.«

»Das ist unmöglich,« erwiderte Comminges. »Der Befehl ist bestimmt und muß sogleich vollstreckt werden.«

»Unmöglich?« sprach Louvières; »hüten Sie sich wohl, mein Herr, uns zur Verzweiflung zu treiben.«

»Unmöglich?« rief eine kreischende Stimme im Hintergrunde des Zimmers.

Comminges wandte sich um und sah, den Besen in der Hand, Dame Nannette, deren Augen in allen Feuern des Zornes glänzten.

»Meine gute Nannette, halte Dich ruhig, ich bitte Dich,« sprach Broussel.

»Ich mich ruhig halten, wenn man meinen Herrn verhaftet, meinen Herrn, die Stütze, den Befreier, den Vater des armen Volkes? Ach ja, Ihr kennt mich wohl … Wollt Ihr gehen?« sagte sie zu Comminges.

Comminges lächelte und sprach, sich an Broussel wendend: »Ich bitte, Herr, macht, daß dieses Weib schweigt, und folgt mir.«

»Ich schweigen, ich?« rief Nannette. »Ach, ja, da müßte noch ein Anderer kommen, als Ihr, mein schöner Königsvogel. Ihr werdet es Wohl sehen.«

Und Dame Nannette stürzte an das Fenster und schrie mit einer durchdringenden Stimme:

»Zu Hilfe! Man verhaftet meinen Herrn! Man verhaftet den Rath Broussel! Zu Hilfe!«

»Mein Herr,« sagte Comminges, »erklärt Euch sogleich: werdet Ihr gehorchen, oder gedenkt Ihr einen Aufruhr gegen den König zu erregen?«

»Ich gehorche, ich gehorche, mein Herr,« sprach Broussel, indem er sich von den Armen seiner zwei Töchter loszumachen und mit dem Blicke seinen Sohn zurückzuhalten suchte, welcher beständig bereit war, ihm zu entgehen.

»Dann befehlt dieser Alten zu schweigen,« versetzte Comminges.

»Ah! Alte!« rief Nannette.

Und sie fing wieder an, sich an die Fensterstangen anklammernd, aus Leibeskräften zu schreien:

»Zu Hilfe! zu Hilfe dem Rath Broussel, den man verhaftet, weil er das Volk vertheidigt hat! Zu Hilfe!«

Comminges nahm die Magd mit dem Arme um den Leib und wollte sie von ihrem Posten reißen. Aber in demselben Augenblick heulte eine andere Stimme aus einer Art von Entresol hervor in einem Falsettone:

»Mörder! Feuer Mörder! Man tödtet Herrn Broussel! man erwürgt Herrn Broussel!«

Es war die Stimme von Friquet. Als Dame Nannette sich unterstützt fühlte, fuhr sie noch kräftiger fort und machte Chorus.

Bereits erschienen neugierige Köpfe an den Fenstern. An das Ende der Straße gezogen, lief das Volk herbei. Es kamen zuerst einzelne Menschen, dann sah man Gruppen und endlich eine Menge. Man hörte das Geschrei, man erblickte einen Wagen, aber man begriff nichts. Friquet sprang von dem Entresol auf den Himmel der Kutsche und rief:

»Sie wollen Herrn Broussel verhaften; es sind Leibwachen im Wagen und der Offizier ist da oben.«

Das Volk fing an zu murren und näherte sich den Pferden. Die zwei Leibwachen welche im Gange geblieben waren, stiegen die Treppe hinauf und eilten Comminges zu Hilfe. Diejenigen, welche in der Kutsche waren, öffneten die Schläge und kreuzten die Picken.

»Seht Ihr sie,« rief Friquet, »seht Ihr sie, hier sind sie!«

Der Kutscher wandte sich um und gab Friquet einen Peitschenhieb, daß dieser vor Schmerz brüllte.

»Ah, Teufelskutscher!« rief Friquet, »Du mischest Dich darein? Warte nur!«

Und er sprang wieder nach seinem Entresol, von wo aus er den Kutscher mit allen Wurfgeschossen überhäufte, die er finden konnte. Trotz der feindlichen Demonstrationen der Leibwachen und vielleicht gerade wegen dieser feindlichen Demonstrationen murrte das Volk und näherte sich den Pferden. Die Garden machten die Meuterischsten durch Pikenstöße zurückweichen.

Der Lärm nahm indessen immer mehr zu. Die Straße konnte die Zuschauer nicht mehr fassen, welche von allen Seiten herbeiströmten. Das Gedränge füllte den Raum, den die furchtbaren Piken der Leibwachen zwischen dem Volke und der Kutsche gebildet hatten. Wie durch lebendige Mauern zurückgestoßen, sollten die Soldaten an den Rädern zerdrückt werden. Das Geschrei: »Im Namen des Königs!« hundertmal von dem Gefreiten wiederholt, vermochte nichts gegen diese furchtbare Menge, sondern schien sie im Gegentheil noch mehr aufzubringen, als auf eben dieses Geschrei ein Reiter herbei eilte und, da er sah, daß die Uniformen mißhandelt wurden, den Degen in der Faust«litten in das Gedränge stürzte und den Garden eine unerwartete Hilfe brachte.

Dieser Reiter, den der Zorn bleich machte, war ein junger Mensch von kaum fünfzehn, bis sechzehn Jahren. Er stieg ab, lehnte sich mit dem Rücken an die Wagendeichsel, machte sich einen Wall aus seinem Pferde, zog seine Pistolen aus den Halftern, steckte sie in den Gürtel und fing an um sich zu schlagen, wie ein Mensch, dem die Handhabung des Schwertes eine vertraute Sache ist.

Zehn Minuten lang hielt dieser junge Mensch den Kampf mit dem Volle allein aus.

Jetzt sah man Comminges, Broussel vor sich hertreibend, erscheinen.

»Zerschlagen wir den Wagen!« rief das Volk.

»Zu Hilfe!« schrie die Alte.

»Mörder!« rief Friquet, der auf die Leibwachen Alles, was sich unter seiner Hand fand, regnen zu lassen fortfuhr.

»Im Namen des König!« rief Comminges.

»Der Erste, welcher einen Schritt thut, ist todt!« rief Raoul, der, als er sich hart bedrängt sah, seine Degenspitze einen Riesen empfinden ließ, welcher ihn zu zermalmen sich anschickte und da er sich verwundet fühlte, brüllend zurückwich.

Denn es war Raoul, der, seinem dem Grafen de la Fère geleisteten Versprechen gemäß nach einer fünftägigen Abwesenheit von Blois zurückkehrend, hatte die Ceremonie mit anschauen wollen und durch die Straßen geritten war. Welche ihn in kürzerer Zeit nach Notre-Dame führten. In der Gegend der Rue Cocatrix angelangt, sah er sich von der Volksmenge fortgerissen und bei dem Rufe: »Im Namen des Königs!« erinnerte er sich des Wortes von Athos: »dient dem König!« und eilte hinzu, um für den König zu kämpfen, dessen Wachen man mißhandelte.

Comminges warf gleichsam Broussel in die Kutsche und sprang nach. In diesem Augenblick erscholl ein Büchsenschuß; eine Kugel durchbohrte von oben nach unten den Hut von Comminges und zerschmetterte einer von den Leibwachen den Arm. Comminges schaute empor und sah mitten im Pulverdampfe an einem Fenster des zweiten Stockes das drohende Gesicht von Louvières.

»Gut, mein Herr,« rief Comminges, »Ihr sollt von mir sprechen hören.«

»Und Ihr auch, mein Herr,« erwiderte Louvières; »wir werden sehen, wer lauter spricht.«

Friquet und Nannette kreischten immer fort. Das Geschrei, der Lärm des Schusses, der stets berauschende Geruch des Pulvers brachten ihre Wirkung hervor.

»Tod dem Offizier! Tod!« heulte das Volk.

Und es begann eine gewaltige Bewegung.

»Noch einen Schritt,« rief Comminges, die Kutschenleder zurückschlagend, daß man gut in den Wagen sehen konnte, und zugleich Broussel seinen Degen aus die Brust setzend, »noch einen Schritt und ich tödte den Gefangenen! Ich habe Befehl, ihn todt oder lebendig zu bringen. Ich bringe ihn todt und dann ist Alles abgemacht.«

Man vernahm einen furchtbaren Schrei. Die Frau und die Töchter von Brüssel streckten stehend ihre Hände nach dem Volke aus.

Das Volk begriff, daß der so bleiche, aber auch so entschlossene Offizier thun würde, wie er sagte. Man fuhr fort zu drohen, aber man wich zurück.

Comminges ließ den verwundeten Soldaten zu sich in den Wagen steigen und befahl den andern, den Schlag zu schließen.

»Fahre nach dem Palaste,« sagte er zu dem Kutscher, welcher mehr todt als lebendig auf dem Bocke saß.

Dieser peitschte seine Pferde, und sie machten einen breiten Weg durch den Haufen. Als man aber nach dem Quai kam, mußte man anhalten. Der Wagen stürzte um. Die Pferde wurden von der Menge geschleppt, erstickt, zermalmt. Raoul, welcher immer noch zu Fuß war, denn er hatte nicht Zeit gehabt, wieder zu Pferd zu steigen, begann, müde mit der flachen Klinge Hiebe auszutheilen, seine Zuflucht zu der Degenspitze zu nehmen. Das Gleiche thaten die Leibwachen. Aber dieses furchtbare letzte Mittel brachte das Volk vollends außer sich. Bereits sah man von Zeit zu Zeit mitten unter dem Volke einen Flintenlauf oder die Klinge eines Raufdegens glänzen. Es erschollen einige ohne Zweifel in die Luft gefeierte Schüsse, aber das Echo machte darum die Herzen nicht minder beben. Es regnete fortwährend Wurfgeschosse von den Fenstern aus. Man hörte Stimmen, die man nur an den Tagen des Aufruhrs hört. Man sah Gesichter, die man nur an blutigen Tagen sieht. Das Geschrei: »Tod den Garden. In die Seine mit dem Offizier!« beherrschte den ganzen Lärmen, so ungeheuer er auch war. Den Hut zerknittert, das Gesicht blutig, fühlte Raoul, wie ihn nicht nur seine Kraft, sondern auch der Verstand verließ. Seine Augen schwammen in einem röthlichen Nebel und durch diesen Nebel sah er hundert drohende Arme nach sich ausstrecken, bereit, ihn zu ergreifen, wenn er fallen würde. Comminges raufte sich in dem umgestürzten Wagen vor Wuth die Haare aus. Die Garden konnten Niemand mehr Hilfe bringen, denn Jeder war mit seiner Selbstvertheidigung beschäftigt. Alles war vorbei, Wagen, Pferde, Wachen, Parteigänger und vielleicht Gefangener, Alles sollte in Stücke zerrissen werden, als plötzlich eine Raoul wohl bekannte Stimme ertönte und ein breites Schwert in der Luft glänze. In demselben Augenblick öffnete sich die Menge durchbrochen, niedergeworfen. Rechts und links schlagend und schneidend eilte ein Offizier der Musketiere Raoul zu Hilfe und faßte ihn in dem Moment, wo er niedersinken sollte, in die Arme.

 

»Gottes Blut?« rief der Offizier, »haben sie ihn ermordet, dann wehe ihnen!«

Und er wandte sich um, so furchtbar anzuschauen in seiner Stärke, in seinem Zorne, in seiner drohenden Geberde, daß die wüthendsten Rebellen sich auf einander stürzten, um zu entfliehen, und daß mehrere sogar in die Seine fielen.

»Herr d’Artagnan,« murmelte Raoul.

»Ja, Gottes Blut, und mir scheint, zu Eurem Glücke, mein junger Freund! Hört, Ihr Leute!« rief er, sich auf den Steigbügeln erhebend und sein Schwert schwingend, während er mit der Stimme und der Geberde Musketiere herbeirief, welche nicht hatten folgen können, so rasch war er geritten. »Hört! fegt mir Alles das vom Platze. Ergreift die Musketen! macht Euch fertig! schlagt an!«

Bei diesem Befehl verschwanden die Volkshaufen so rasch, daß sich d’Artagnan eines homerischen Lachens nicht enthalten konnte.

»Ich danke, d’Artagnan,« sprach Comminges, die Hälfte seines Leibes durch den Schlag der umgeworfenen Kutsche streckend. »Wie heißt der junge Mann, damit ich ihn der Königin nennen kann?«

Raoul wollte antworten, als d’Artagnan sich gegen sein Ohr neigte und zu ihm sagte:

»Schweigt und laßt mich antworten!«

Dann sich gegen Comminges umwendend, sprach er.:

»Verliert keine Zeit, Comminges, geht aus dem Wagen heraus, wenn Ihr könnt, und laßt einen andern herbeischaffen.«

»Welchen?«

»Bei Gott! den ersten besten, der über den Pont-Neuf kommen wird. Die Leute, welche darin fahren, werden hoffentlich nur glücklich sein, wenn sie ihre Kutsche für den Dienst des Königs leihen dürfen.«

»Aber ich weiß nicht …« erwiderte Comminges.

»Geht doch, oder in fünf Minuten kommen alle diese Lumpenkerle mit Schwertern und Musketen zurück. Ihr werdet getödtet und Euer Gefangener ist befreit. Vorwärts, seht, dort kommt gerade eine Kutsche!«

Dann flüsterte er, sich abermals gegen Raoul neigend, diesem zu:

»Sagt um keinen Preis Euren Namen!«

Der junge Mann schaute ihn verwundert an.

»Es ist gut, ich laufe dahin,« sagte Comminges, »und Wenn sie wieder kommen, gebt Feuer!«

»Nein, nein!« antwortete d’Artagnan, »im Gegentheil, Niemand rühre sich. Ein Schuß, in diesem Augenblick abgefeuert, würde morgen nur zu theuer bezahlt.«

Comminges nahm seine vier Leibwachen und eben so viele Musketiere und eilte nach der Kutsche. Er ließ die Leute die darin waren, aussteigen und führte sie zu dem umgeworfenen Wagen.

Als aber Broussel von dem zerbrochenen Wagen in den andern gebracht werden sollte, stieß das Volk, welches den Mann erblickte, den es seinen Befreier nannte, ein grimmiges Geschrei aus und stürzte abermals gegen die Carrosse.

»Geht,« sagte d’Artagnan, »hier sind zehn Musketiere zu Eurer Begleitung; ich behalte zwanzig, um das Volk zurückzutreiben. Geht und verliert keine Minute. Zehn Mann für Herrn von Comminges!«

Zehn Mann trennten sich von der Truppe, umgaben den neuen Wagen und ritten im Galopp davon.

Beim Abgang der Carrosse verdoppelte sich das Geschrei. Mehr als zehntausend Menschen drängten sich aus dem Quai, dem Pont-Neuf und den umliegenden Straßen.

Einige Schüsse erschollen, ein Musketier wurde verwundet.

»Vorwärts!« rief d’Artagnan, aufs Aeußerste getrieben und in den Schnurrbart beißend.

Und er machte mit seinen zwanzig Mann einen Angriff auf all dieses Volk, das erschrocken zurückwich. Ein einziger Mensch blieb, die Büchse in der Faust, auf seinem Platze.

»Ah!« sagte dieser Mensch, »Du bist es, der Du ihn bereits ermorden wolltest, warte!«

Und er richtete seine Büchse gegen d’Artagnan, welcher im Galopp auf ihn zuritt.

D’Artagnan neigte sich auf den Hals seines Pferdes, der junge Mensch feuerte, die Kugel riß die Feder von d’Artagnan’s Hut.

Kräftig angetrieben, stieß das Pferd den Unklugen, der ganz allein einen Sturm aufzuhalten versuchte, und schleuderte ihn an die Wand.

D’Artagnan parierte sein Pferd und schwang, während seine Musketiere den Angriff fortsetzten, das Schwert über dem, welchen er niedergeworfen hatte.

»Ah, Herr!« rief Raoul, der in dem jungen Menschen denjenigen erkannte, welchen er in der Rue Cocatrix gesehen halte, »Herr, verschont ihn, es ist sein Sohn!«

D’Artagnan hielt seinen zum Schlage bereiten Arm zurück.

»Ah, Ihr seid sein Sohn,« sprach er, »das ist etwas Anderes.«

»Mein Herr, ich ergebe mich,« sprach Louvières, dem Offizier seine Büchse reichend.

»Nein, Gottes Tod, ergebt Euch nicht! Flieht, flieht im Gegentheil, so schnell als Ihr könnt. Wenn ich Euch fasse, werdet Ihr gehenkt.«

Der junge Mensch ließ sich das nicht zweimal sagen. Er ging unter dem Halse des Pferdes durch und verschwand an der Ecke der Rue Guénégaud.

»Meiner Treue,« sprach d’Artagnan zu Raoul, »es war Zeit, daß Ihr meine Hand zurückhieltet. Ich hatte ihn getödtet, und das würde mir leid gethan haben, wenn ich erfahren hatte, wer er war.«

»Ah, mein Herr,« erwiderte Raoul, »erlaubt mir, daß ich Euch, nachdem ich Euch für diesen jungen Mann gedankt habe, auch für mich selbst danke. Ohne Eure Erscheinung hätte ich ebenfalls sterben müssen.

»Wartet, wartet, junger Mann, und ermüdet Euch nicht mit Sprechen.«

Da zog d’Artagnan aus einem Halfter ein Fläschchen voll spanischen Wein hervor und sagte:

»Trinkt ein paar Schlucke hiervon.«

Raoul trank und wollte seinen Dank wiederholen.

»Mein Lieber, sprechen wir später hiervon,« versetzte d’Artagnan. Als er sodann sah, daß die Musketiere den Quai vom Pont-Neuf bis zum Quai Saint-Michel gefegt hatten und zurückkehrten, hob er seinen Degen in die Höhe, damit sie den Schritt verdoppelten.

Die Musketiere ritten im Trab herbei und zugleich erschienen die zehn Mann Escorte, welche d’Artagnan Comminges gegeben hatte.

»Hollah!« sprach d’Artagnan, sich an diese wendend, »ist etwas Neues vorgefallen?«

»Gnädiger Herr,« erwiderte der Sergent, »ihr Wagen ist abermals gebrochen. Es ist ein wahrer Fluch.«

D’Artagnan zuckte die Achseln und versetzte:

»Es sind ungeschickte Leute. Wenn man eine Kutsche wählt, muß es eine solide sein. Die Kutsche, mit der man einen Broussel verhaftet, muß zehntausend Mann tragen.«

»Was befehlt Ihr, mein Lieutenant?«

»Nehmt die Abtheilung und führt sie in das Quartier zurück.«

»Ihr reitet also allein?«

»Gewiß. Glaubt Ihr, ich bedürfe eines Geleites?«

»Doch …«

»Vorwärts!«

Die Musketiere entfernten sich und d’Artagnan blieb allein mit Raoul.

»Nun sprecht, leidet ihr?« sagte er zu diesem.

»Ja, Herr, ich habe einen schweren, brennenden Kopf.«

»Was ist denn an diesem Kopfe?« fragte d’Artagnan und nahm ihm den Hut ab. »Ah, ah, eine Quetschung.«

»Ja, ja, ich habe, glaube ich, einen Blumentopf an den Kopf bekommen.«

»Canaille!« rief d’Artagnan. »Doch Ihr habt Sporen, wäret Ihr denn zu Pferde?«

»Ja, aber ich stieg ab, um Herrn von Comminges zu vertheidigen, und mein Pferd wurde weggenommen. Doch halt, hier ist es!«

In diesem Augenblick ritt wirklich Friquet auf dem Pferde von Raoul im Galopp vorüber. Friquet schwang seine vierfarbige Mütze und schrie: »Broussel! Broussel!«

»Holla, Bursche! Halt!« rief d’Artagnan, »bringe das Pferd Hierher!«

Friquet hörte wohl, aber er stellte sich, als hörte er nicht, und versuchte es, seinen Weg fortzusetzen. D’Artagnan hatte einen Augenblick Luft, Friquet nachzureiten, aber er wollte Raoul nicht allein lassen und begnügte sich, eine Pistole aus dem Halfter zu ziehen und sie zu spannen.

Friquet besaß ein scharfes Auge und ein feines Ohr. Er sah die Bewegung von d’Artagnan, hörte das Knarren des Hahns und hielt sein Pferd rasch an.

»Ah, Ihr seid es, Herr Offizier!« rief er d’Artagnan zu. »Ich bin in der That sehr erfreut, Euch zu treffen.«

D’Artagnan schaute Friquet aufmerksam an und erkannte den kleinen Burschen der Rue de la Calandre.

»Ah, Du bist es, Junge, komm nur her!«

»Ja, ich bin es, Herr Offizier,« antwortete Friquet mit seiner einfältigen Miene.

»Du Hast also dein Gewerbe verändert? Du bist nicht mehr Chorknabe? Du bist nicht mehr Kellner? Du bist Pferdedieb!«

»Ah, Herr Offizier, wie kann man das sagen!« rief Friquet. »Ich suchte den Edelmann, dem dieses Pferd gehört. Ein schönes Pferd, brav wie Cäsar.«

Nun stellte er sich, als ob er Raoul zum ersten Male erblickte, und fuhr fort:

»Ah, wenn ich mich nicht täusche, hier ist der Herr. Nicht wahr, Ihr werdet den Jungen nicht vergessen?«

Raoul steckte die Hand in die Tasche.

»Was wollt Ihr machen?« sagte d’Artagnan.

»Diesem braven Jungen zehn Livres geben,« antwortete Raoul und zog eine Pistole aus der Tasche.

»Zehn Fußtritte auf den Bauch,« versetzte d’Artagnan. »Geh, Bursche, und vergiß nicht, daß ich Deine Adresse habe.«

Friquet, welcher nicht so wohlfeilen Kaufes wegzukommen hoffte, machte einen Sprung von dem Quai nach der Rue Dauphins, wo er verschwand. Raoul stieg wieder zu Pferde und schlug mit d’Artagnan, der den jungen Mann bewachte, als ob er sein Sohn wäre, den Weg nach der Rue Tiquetonne ein.

Auf dem ganzen Marsche hörte man dumpfes Murmeln und entfernte Drohungen. Aber bei dem Anblicke des Offiziers mit dem so militärischen Wesen, bei dem Anblick des mächtigen Schwertes, das von der Quaste gehalten an seinem Faustgelenke hing, zog man sich beständig zurück und es wurde kein ernsthafter Versuch gegen die zwei Reiter gemacht.

Man kam also ohne einen Unfall nach dem Gasthofe zur Rehziege.

Die schöne Madeleine meldete d’Artagnan, Planchet wäre mit Mousqueton zurückgekommen, welcher heldenmüthig das Ausziehen der Kugel ertragen hätte und sich so wohl befände, als es bei seinem Zustande nur immer möglich wäre.

D’Artagnan befahl nun, Planchet zu rufen, aber so oft man ihn auch rief, Planchet erschien nicht: er war verschwunden.

»Dann bringt Wein,« sagte d’Artagnan.

Als man den Wein gebracht hatte und d’Artagnan mit Raoul allein war, sagte er zu diesem, ihm in seine beiden Augen schauend:

»Nicht wahr, Ihr seid sehr zufrieden mit Euch?«

»Ja,« erwiderte Raoul, »es scheint mir, ich habe meine Pflicht gethan, ; vertheidigte ich nicht den König?«

»Und wer hieß Euch den König vertheidigen?«

»Der Herr Graf de la Fère selbst.«

»Ja, den König; aber Ihr habt heute nicht den König, sondern Mazarin vertheidigt, was nicht dasselbe ist.«

»Mein Herr …«

»Ihr habt eine große Ungeschicklichkeit begangen, junger Mann, Ihr habt Euch in Dinge gemischt, die Euch nichts angehen.«

»Doch Ihr selbst …«

»O! ich, das ist etwas Anderes, ich habe die Befehle meines Kapitäns zu befolgen. Euer Kapitän ist der Herr Prinz, versteht Ihr wohl, Ihr habt keinen andern! Seht mir einmal diesen schlimmen Kopf, der sich zum Mazariner macht und Broussel verhaften will. Schnauft wenigstens nicht hiervon, denn der Herr Graf de la Fère würde wüthend.«

»Ihr glaubt, der Herr Graf de la Fère würde sich über mich ärgern?«

»Ich glaube es nicht nur, ich weiß es gewiß, sonst würde ich Euch danken, denn Ihr habt am Ende für uns gearbeitet. Ich zanke Euch auch in seinem Namen und an seiner Stelle: seid überzeugt, der Sturm wird sanfter sein. Uebrigens, mein liebes Kind,« fuhr d’Artagnan fort, »mache ich Gebrauch von dem Rechte, das mir Euer Vormund eingeräumt hat.«

 

»Ich verstehe Euch nicht, Herr,« versetzte Raoul.

D’Artagnan stand auf, ging zu seinem Secretär, nahm einen Brief und bot ihn Raoul.

Sobald Raoul das Papier durchlaufen hatte, trübten sich seine Blicke.

»O mein Gott,« sagte er, seine schönen, thränenfeuchten Augen zu d’Artagnan aufschlagend, »der Herr Graf hat also Paris verlassen, ohne mich zu sehen?«

»Er ist vor vier Tagen abgereist,« sprach d’Artagnan.

»Sein Brief scheint eine Todesgefahr für ihn anzudeuten?«

Was die Todesgefahr betrifft, seid ruhig. Nein, er reist in einer besonderen Angelegenheit und wird bald zurückkommen. Es widerstrebt Euch nicht, mich einstweilen als Vormund anzunehmen?«

»Gewiß nicht, Herr d’Artagnan,« erwiderte Raoul; Ihr seid ein so braver Mann, und der Herr Graf de la Fère liebt Euch so sehr.«

»Ei, mein Gott, liebt mich auch, ich werde Euch nicht sehr plagen, aber unter der Bedingung, daß Ihr Frondeur seid, mein junger Freund, und zwar sehr Frondeur.«

»Kann ich fortwährend Frau von Chevreuse besuchen?«

»Ei, mein Gott, ja! und den Herrn Coadjutor auch, und eben so Frau von Longueville. Und wenn der gute Rath Broussel da wäre, zu dessen Verhaftung Ihr so unbesonnen beigetragen habt, so würde ich Euch sagen: Entschuldigt Euch rasch bei Herrn Broussel und küßt ihn auf beide Wangen.«

»Gut, ich werde Euch gehorchen, obgleich ich Euch nicht verstehe.«

»Es ist nicht nöthig, daß Ihr mich versteht. Halt!« rief d’Artagnan, sich nach der Thüre, welche man eben öffnete, wendend, »hier kommt Herr du Vallon mit ganz zerrissenen Kleidern.«

»Ja,« sprach Porthos, von Schweiß triefend und ganz mit Staub überzogen, »für die zerrissenen Kleider habe ich viele Häute zerrissen. Wollten mir diese Lumpenkerle nicht mein Schwert nehmen? Pest! was für eine Volksbewegung!« fügte der Riese mit seiner ruhigen Miene bei. »Aber ich habe wenigstens zwanzig mit dem Knopfe von Balizarde todt geschlagen. Gebt mir einen Tropfen Wein, d’Artagnan.«

»O, ich kenne Euch,« sprach der Gascogner, das Glas von Porthos bis an den Rand füllend; »doch, wenn Ihr getrunken habt, sagt mir Eure Meinung.«

Porthos leerte das Glas auf einen Zug. Als er es auf den Tisch gestellt und seinen Schnurrbart ausgesaugt hatte, fragte er:

»Worüber?«

»Hier ist Herr von Bragelonne, welcher mit aller Gewalt bei der Verhaftung von Broussel helfen wollte, und den ich nur mit großer Mühe von der Vertheidigung von Herrn von Comminges abhalten konnte.«

»Teufel!« versetzte Porthos, »was würde der Vormund gesagt haben, wenn er es erfahren hätte!«

»Seht Ihr!« rief d’Artagnan, »seid Frondeur, mein Freund, und bedenkt, daß ich in jeder Beziehung die Stelle des Herrn Grafen einnehme.«

Und er ließ seine Börse klingen.

Dann sich gegen seinen Gefährten umwendend, sprach er:

»Kommt Ihr mit, Porthos?«

»Wohin?« fragte Porthos, sich ein zweites Glas Wein eingießend.

Wir wollen dem Cardinal unsere Aufwartung machen.«

Porthos leerte das zweite Glas mit derselben Ruhe, mit der er das erste getrunken hatte, nahm seinen Hut und folgte d’Artagnan.

Raoul blieb ganz verblüfft von dem, was er sah, denn d’Artagnan hatte ihm verboten, das Zimmer zu verlassen, ehe diese ganze Aufregung beschwichtigt wäre.