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VIII

Der Bettler von St. Eustache

Es war von d’Artagnan wohl berechnet, daß er sich nicht unmittelbar in das Palais-Royal begab. Er ließ Comminges Zeit, vor ihm dahin zu gehen und dem Cardinal die großen Dienste zu melden, die er, d’Artagnan, und sein Freund diesen Morgen der Partei der Königin geleistet hatten.



Es wurden auch Beide auf die schmeichelhafteste Weise von Mazarin aufgenommen, der ihnen viele Complimente machte und ankündigte, jeder von ihnen wäre auf dem halben Wege dessen, was er wünschte, angelangt, d. h. d’Artagnan auf dem halben Wege seiner Kapitänschaft und Porthos auf dem seiner Baronie.



D’Artagnan wäre Geld lieber gewesen als Alles dies; denn er wußte, daß Mazarin leicht versprach, und sehr schwer hielt. Er schätzte folglich die Versprechungen des Cardinals wie taube Nüsse, schien aber darum in Gegenwart von Porthos, den er nicht entmuthigen wollte, nicht, minder zufrieden.



Während die zwei Freunde bei dem Cardinal waren, ließ sie die Königin rufen. Mazarin dachte, es wäre ein Mittel, den Eifer seiner zwei Vertheidiger zu verdoppeln, wenn er ihnen die Danksagung der Königin selbst.verschaffen würde. Er bedeutete ihnen durch ein Zeichen, sie möchten folgen. D’Artagnan und Porthos zeigten dem Cardinal ihre bestaubten und zerrissenen Kleider, aber der Cardinal schüttelte den Kopf und erwiderte:



»Diese Kleider sind mehr werth, als die meisten der Höflinge, welche Ihr bei der Königin finden werdet, denn es sind Schlachtgewänder.«



Der Hof der Königin Anna von Oesterreich war zahlreich und voll freudigen Geräusches: denn nachdem man einen Sieg über den Spanier davon getragen hatte, war man nun auch siegreich aus einem Kampfe mit dem Volke hervorgegangen. Broussel war ohne Widerstand aus Paris geführt worden und mußte in diesem Augenblick im Gefängniß von Saint-Germain sein, und Blancmesnil, den man ebenfalls verhaftet hatte, was jedoch ohne Lärmen und Schwierigkeit ausgeführt wurde, war im Schlosse von Vincennes eingekerkert.



Comminges war bei der Königin, welche ihn über die Einzelheiten der Ausführung seines Auftrags befragte, und Jeder horchte auf seine Erzählung, als er an der Thüre hinter dem eintretenden Cardinal d’Artagnan und Porthos erblickte.



»Ei, Madame,« sagte er, auf d’Artagnan zulaufend, »hier ist Einer, der Euch das besser als ich erzählen kann, denn er ist mein Retter. Ohne ihn wäre ich ohne Zweifel in den Netzen von Saint-Cloud gefangen, denn es handelte sich um Nichts Geringeres, als mich in den Fluß zu werfen. Sprecht, d’Artagnan, sprecht!«



Seit d’Artagnan Lieutenant bei den Musketieren war, hatte er sich wohl hundertmal in demselben Gemache mit der Königin befunden, aber nie hatte diese mit ihm gesprochen.



»Wie, Herr, nachdem ihr mir einen solchen Dienst geleistet habt, schweigt Ihr?« sprach Anna von Oesterreich.



»Madame,« antwortete d’Artagnan, »ich habe nichts zu sagen, wenn nicht, daß mein Leben dem Dienste Eurer Majestät gehört, und daß ich nur an dem Tage glücklich sein werde, an welchem ich es für sie verliere.«



»Ich weiß das, mein Herr, ich weiß das,« versetzte die Königin, »und zwar seit geraumer Zeit. Ich bin auch entzückt, daß ich Euch dieses öffentliche Zeichen meiner Ächtung und Dankbarkeit geben kann.«



»Erlaubt, Madame, daß ich einen Theil auf meinen Freund einen ehemaligen Musketier von der Compagnie von Treville, übertrage,« sprach d’Artagnan mit einem besonderen Nachdruck aus die letzten Worte, »auf einen Mann, der Wunder gethan hat,« fügte er bei.



»Der Name dieses Herrn?«



»Bei den Musketieren,« antwortete d’Artagnan, »nannte er sich Porthos (die Königin bebte); aber sein wahrer Name ist Chevalier du Vallon.«



»De Bracieux de Pierrefonds,« fügte Porthos bei.



»Diese Namen sind zu zahlreich, als daß ich mich derselben insgesamt erinnern sollte, und ich will mich nur des ersten erinnern,« sprach die Königin huldreich.



Porthos verbeugte sich.



D’Artagnan machte zwei Schritte rückwärts.



In diesem Augenblick meldete man den Coadjutor.



Man hörte nur einen Schrei des Erstaunens in der königlichen Versammlung. Obgleich der Herr Coadjutor am Morgen gepredigt hatte, so wußte man doch, daß er sich stark auf die Seite der Fronde neigte, und als Mazarin den Erzbischof von Paris ersuchte, seinen Neffen predigen zu lassen, hatte er offenbar die Absicht, Herrn von Retz einen von den Streichen auf italienische Weise beizubringen, die ihn so sehr ergötzten.



Der Coadjutor hatte, als er Notre-Dame verließ, das Ereigniß erfahren. Obgleich gewissermaßen mit den Hauptfrondeurs in Verbindung, war er dies doch nicht so sehr, daß er sich nicht zurückziehen konnte, wenn der Hof ihm die Vortheile bot, nach denen er strebte, und wozu die Coadjutorschaft nur der Weg war. Herr von Retz wollte Erzbischof an der Stelle seines Oheims und Cardinal wie Mazarin werden. Die Volkspartei konnte ihm aber nur schwer diese rein königliche Gunst bewilligen. Er begab sich also in den Palast, um der Königin seinen Glückwunsch zur Schlacht von Lens darzubringen, wobei er zum Voraus entschlossen war, für oder gegen den Hof zu handeln, je nachdem sein Glückwunsch gut oder schlecht aufgenommen würde.



Der Coadjutor wurde also gemeldet. Er trat ein, und bei seinem Anblick verdoppelte dieser ganze triumphierende Hof seine Neugierde, um die Worte von Herrn von Retz zu hören.



Der Coadjutor hatte für sich allein ungefähr so viel Geist, als diejenigen, welche hier versammelt waren, um seiner zu spotten. Seine Rede war auch so vollkommen geschickt abgefaßt, daß, so große Lust die Anwesenden auch hatten, darüber zu lachen, sich doch hierzu keine Gelegenheit fand. Er schloß mit den Worten, er stelle seine geringen Kräfte ganz allein dem Dienste Ihrer Majestät anheim.



Die Königin schien an der Rede des Coadjutors, so lange sie dauerte, viel Geschmack zu finden. Als dieselbe aber mit dieser Phrase endigte, welche allein zu Spöttereien Anlaß gab, wandte sich Anna um und kündigte mit einem auf ihre Günstlinge abgeschossenen Blick diesen an, sie gebe ihnen den Coadjutor Preis. Die Witzlinge des Hofes warfen sich auch sogleich auf das Feld der Mystification. Nogent-Baudin, der Possenreißer des Hauses, rief, die Königin wäre sehr glücklich, in einem solchen Augenblick die Unterstützung der Religion zu finden.



Alle Anwesenden brachen in ein Gelächter aus.



Der Herzog von Villeroy sagte, er begreife nicht, wie man einen Augenblick hätte fürchten können, da man zur Vertheidigung des Hofes gegen das Parlament und die Bürger von Paris den Herrn Coadjutor hätte, der mit einem Zeichen eine Armee von Pfarrern, Thürstehern und Meßnern auf die Beine bringen könnte.



Der Marschall de la Meilleraie fügte bei, vorkommenden Falles, wenn man handgemein würde und der Herr Coadjutor losfeuern sollte, wäre es ihm nur leid, daß der Herr Coadjutor im Treffen nicht an einem rothen Hute erkannt werden könnte, wie man Heinrich IV. an seiner weißen Feder in der Schlacht bei Ivry erkannt habe.



Gondy blieb vor diesem Sturme, der für die Spötter tödtlich werden konnte, ruhig und ernst. Die Königin fragte ihn, ob er der schönen Rede, die er-ihr so eben gehalten, etwas beizufügen hätte.



»Ja, Madame,« sprach der Coadjutor, »ich habe Euch zu bitten, Ihr möget es zweimal bedenken, ehe Ihr den Bürgerkrieg in das Königreich bringt.«



Die Königin wandte ihm den Rücken zu und das Gelächter sing wieder an.



Der Coadjutor verbeugte sich und entfernte sich aus dem Palaste, indem er dem Cardinal, als er ihn anschaute, einen von den Blicken zuwarf, die man unter Todfeinden Wohl versteht. Dieser Blick war so geschärft, daß er Mazarin bis in das Herz drang, und daß dieser, wohl fühlend, es wäre eine Kriegserklärung, d’Artagnan beim Arme nahm und zu ihm sagte:



»Nicht wahr, mein Herr, Ihr würdet bei Gelegenheit den Mann, der so eben weggegangen ist, wiedererkennen?«



»Ja, .Monseigneur.«



Dann sich gegen Porthos umwendend, fügte er bei:



»Teufel, die Sache wird ärgerlich. Ich liebe die Streitigkeiten unter Männern der Kirche nicht.«



Gondy entfernte sich, Segen auf seinem Wege ausspendend, wobei er sich das boshafte Vergnügen verschaffte, sogar die Diener seiner Feinde auf die Kniee fallen zu machen.



»Oh,« murmelte er, als er über die Schwelle des Palastes schritt, »undankbarer Hof! treuloser Hof! ich werde dich morgen lachen lehren, aber auf einer andern Tonart!«



Während man jedoch am Hofe von Freude übersprudelte, um die Heiterkeit der Königin zu steigern, verlor Mazarin, ein Mann von Verstand, der die ganze Vorhersehung der Furcht besaß, seine Zeit nicht mit leeren und gefährlichen Späßen. Er entfernte sich hinter dem Coadjutor, sicherte seine Rechnungen, schloß sein Gold ein und ließ durch vertraute Arbeiter Verstecke in den Wänden anbringen.



Als der Coadjutor in seine Wohnung zurückkehrte, erfuhr er, es wäre nach seinem Abgange ein junger Mann gekommen und derselbe warte auf ihn. Er fragte nach dem Namen dieses jungen Mannes und zitterte vor Freude? als er hörte, er hieße Louvières.



Sogleich lief er nach seinem Cabinet, der Sohn von Broussel war wirklich noch ganz wüthend und ganz blutend von seinem Kampfe gegen die Leute des Königs da. Die einzige Vorsichtsmaßregel, die er genommen hatte, um in den Palast zu gelangen, bestand darin, daß er seine Büchse bei einem Freunde niederlegte.



Der Coadjutor ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Der junge Mann schaute ihn an, als wollte er im Grunde seines Herzens lesen.



»Mein lieber Herr Louvières,« sagte der Coadjutor, »glaubt mir, ich nehme innigen Antheil an dem Unglück, das Euch widerfahren ist.«



»Ist es wahr und sprecht Ihr im Ernste?« fragte Louvières.



»Aus dem Grunde meines Herzens,« sagte Gondy.



»Dann ist die Zeit der Worte vorüber, Monseigneur, und die Stunde des Handelns hat geschlagen. Wenn Ihr wollt, Monseigneur, ist mein Vater in drei Tagen aus dem Gefängniß und in sechs Monaten seid Ihr Cardinal.«

 



Der Coadjutor zitterte.



»Wir wollen frei sprechen und ein offenes Spiel spielen,« sagte Louvières. »Man spendet nicht für dreißigtausend Livres Almosen, wie Ihr es feit sechs Monaten gemacht habt, aus reiner christlicher Liebe; das wäre zu schön. Ihr seid ehrgeizig und das ist ganz einfach: Ihr seid ein Mann von Genie und fühlt Euern Werth. Ich hasse den Hof und habe in diesem Augenblick nur einen Wunsch: die Rache. Gebt uns die Geistlichkeit und das Volk, worüber Ihr verfügt, ich gebe Euch die Bürgerschaft und das Parlament. Mit diesen vier Elementen gehört Paris in acht Tagen uns, und glaubt mir, Herr Coadjutor, der Hof gibt aus Furcht, was er aus Wohlwollen nie geben würde.«



Der Coadjutor schaute Louvières ebenfalls mit seinem durchdringenden Auge an und versetzte:



»Aber Herr Louvières, wißt Ihr, daß Ihr mir da ganz einfach den Bürgerkrieg vorschlagt!«



»Ihr bereitet ihn seil so geraumer Zeit vor, Monseigneur, daß er Euch willkommen sein muß.«



»Gleichviel,« sprach der Coadjutor, »Ihr begreift, daß diese Sache Ueberlegung fordert.«



»Wie viel Stunden verlangt Ihr zum Ueberlegen?«



»Zwölf, mein Herr, ist das zu viel?«



»Es ist Mittag, um Mitternacht bin ich bei Euch.«



»Wäre ich nicht zurückgekehrt, so wartet auf mich.«



»Gut, um Mitternacht, Monseigneur.«



»Um Mitternacht, mein lieber Herr Louvières.«



Als Gondy allein war, berief er alle Geistliche zu sich, mit denen er in Verbindung stand. Zwei Stunden nachher hatte er dreißig Pfarrer von den volkreichsten und unruhigsten Kirchspielen von Paris versammelt.



Gondy erzählte ihnen die Beleidigung, die ihm im Palais-Royal widerfahren war, und sprach von den Spöttereien des Herzogs von Villeroy, des Marschalls de la Meilleraie und von Baudin. Die Geistlichen fragten ihn, was zu thun wäre.



»Das ist ganz einfach,« antwortete der Coadjutor. »Ihr leitet die Gewissen: untergrabt das elende Vorurtheil der Furcht und Achtung vor dem König, lehrt Eure Beichtkinder, die Königin sei eine Tyrannin, und wiederholt so kräftig, damit es Jeder wisse, Alles Unglück von Frankreich rühre von Mazarin, ihrem Liebhaber und Verderber, her. Beginnt das Werk heute, auf der Stelle und in drei Tagen erwarte ich von Euch das gewünschte Resultat. Hat übrigens Einer von Euch mir einen guten Rath zu geben, so bleibe er hier und ich werde ihn mit Vergnügen anhören.«



Drei Pfarrer blieben, der von Saint-Mery, der von Saint-Sulpice und der von Saint-Eustache.



Die andern entfernten sich.



»Ihr glaubt mich also wirksamer unterstützen zu können, als Eure Amtsgenossen?« fragte Gondy.



»Wir hoffen es,« erwiderten die Pfarrer.



»Laßt hören, Herr Pfarrer von Saint-Mery. Fangt an.«



»Monseigneur, ich habe in meinem Quartiere einen Menschen, der Euch von dem größten Nutzen sein könnte.«



»Wer ist dieser Mensch?«



»Ein Kaufmann aus der Rue des Lombards, der den mächtigsten Einfluß auf das Treiben seines Quartiers ausübt.«



»Wie heißt er?«



»Es ist ein gewisser Planchet. Er hat vor ungefähr sechs Wochen ganz allein einen Aufruhr gemacht. In Folge dieses Aufruhrs aber ist er, da man ihn suchte, um ihn zu hängen, verschwunden.«



»Werdet Ihr ihn wiederfinden?«



»Ich hoffe es, denn ich glaube nicht, daß er verhaftet worden ist, und da ich Beichtiger seiner Frau bin, werde ich es Wohl erfahren, wenn sie weiß, wo er ist.«



»Gut, mein lieber Herr Pfarrer. Sucht mir diesen Mann und bringt ihn Hierher, wenn Ihr ihn findet.«



»Um welche Stunde, Monseigneur?«



»Um sechs Uhr. Wollt Ihr?«



»Wir werden um sechs Uhr bei Euch sein, Monseigneur.«



»Geht, mein lieber Pfarrer, geht, und Gott stehe Euch bei.«



Der Pfarrer entfernte sich.



»Und Ihr, mein Herr?« sagte Gondy, sich zu dem Pfarrer von Saint-Sulpice umwendend.



»Ich, Monseigneur, ich,« erwiderte dieser, »ich kenne einen Mann, der einem bei dem Volke sehr beliebten Prinzen große Dienste geleistet hat. Er würde einen vortrefflichen Anführer von Empörungen geben, und ich kann ihn zu Eurer Verfügung stellen.«



»Wie heißt dieser Mann?«



»Herr Graf von Rochefort.«



»Ich kenne ihn. Leider ist er nicht in Paris.«



»Monseigneur, er ist in der Rue Cassele.«



»Seit wann?«



»Bereits seit drei Tagen.«



»Und warum hat er mich nicht besucht?«



»Man sagte ihm, … Monseigneur wird mir vergeben …«



»Allerdings, sprecht!«



»Monseigneur wäre im Begriffe, mit dem Hofe zu unterhandeln.«



Gondy biß sich in die Lippen.



»Man hat ihn getäuscht. Bringt ihn mir um acht Uhr, Herr Pfarrer, und Gott segne Euch, wie ich Euch segne.«



Der Pfarrer verbeugte sich und ging ab.



»Nun ist die Reihe an Euch, mein Herr,« sagte der Coadjutor und wandte sich zu dem letzten Zurückbleibenden um. »Habt Ihr mir auch etwas anzubieten, wie die zwei Herren, die uns verlassen?«



»Etwas Besseres, Monseigneur.«



»Teufel! gebt wohl Acht, daß Ihr da nicht eine furchtbare Verbindlichkeit übernehmt: der Eine hat mir einen Kaufmann’ angeboten, der Andere bietet mir einen Grafen an, Ihr wollt mir also einen Prinzen anbieten?«



»Ich biete Euch einen Bettler, Monseigneur.«



»Ah, ah,« sprach Gondy nachdenkend, »Ihr habt Recht, Herr Pfarrer, ein Mensch, der diese ganze Legion von armen Teufeln, welche in den Sackgassen von Paris zusammen geschaart sind, zum Aufruhr brächte und sie so laut, daß es ganz Frankreich hören müßte, schreien machen würde, Mazarin habe sie an den Bettelstab gebracht …«



»Ich habe gerade Euern Mann!«



»Bravo! und wer ist dieser Mann?«



»Ein einfacher Bettler, wie ich Euch sagte, Monseigneur, ein Mensch, der, Weihwasser reichend, seit ungefähr sechs Jahren auf den Stufen der Saint Eustache-Kirche Almosen fordert.«



»Und Ihr sagt, er übe einen großen Einfluß auf seines Gleichen aus?«



»Weiß Monseigneur, daß die Bettlerei ein organisirter Körper, eine Art von Bund derjenigen, welche nichts besitzen, gegen diejenigen, welche etwas besitzen, ist, ein Bund, zu welchem jeder seinen Theil beiträgt und der unter einem Haupte steht?«



»Ja, ich habe hiervon sprechen hören.«



»Der Mensch, welchen ich Euch biete, ist General-Syndicus.«



»Und was wißt Ihr von diesem Menschen?«



»Nichts, Monseigneur, wenn nicht, daß er mir von Gewissensbissen geplagt zu sein scheint.«



»Was macht Euch dies glauben?«



»Immer am 28. jedes Monats läßt er mich eine Messe für die Ruhe einer Person lesen, welche eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Gestern erst habe ich diese Messe gelesen.«



»Und er nennt sich?«



»Maillard, aber ich glaube nicht, daß dies sein wahrer Name ist.«



»Meint Ihr, wir werden ihn zu dieser Stunde auf seinem Posten treffen?«



»Ganz gewiß.«



»Wir wollen Euern Bettler aufsuchen, Herr Pfarrer, und wenn er ist, wie Ihr sagt, so habt Ihr allerdings den wahren Schatz gefunden.«



Gondy legte eine Reitertracht an, setzte einen breitkrämpigen Hut mit einer rothen Feder auf den Kopf, gürtete ein langes Schwert um, schnallte die Sporen an seine Stiefeln, hüllte sich in einen weiten Mantel und folgte dem Pfarrer.



Der Coadjutor und sein Gefährte durchzogen alle Straßen, welche den erzbischöflichen Palast von der Saint-Eustache-Kirche trennten, und erforschten dabei sorgfältig die Stimmung des«Volkes. Das Volk war in Bewegung, schien aber, wie ein Schwarm wild gemachter Bienen, nicht zu wissen, wo es niederfallen sollte, und es war klar, daß, wenn man nicht Führer für die Masse finden würde, Alles mit einem Gesumme ablaufen müßte.



Als man in die Rue des Prouvaires gelangte, streckte der Pfarrer die Hand nach dem Vorhofe der Kirche aus und sagte:



»Seht, dort ist er aus seinem Posten.«



Gondy schaute in der angegebenen Richtung und erblickte einen Armen, welcher mit dem Rücken an ein Gesimse gelehnt auf einem Stuhle saß; er hatte einen kleinen Eimer in seiner Nahe und hielt einen Sprengwedel in der Hand.



»Hat er ein Privilegium, sich hier aufzuhalten?« fragte Gondy.



»Nein, Monseigneur,« antwortete der Pfarrer; »er hat seinem Vorgänger diesen Platz eines Weihwassergebers abgekauft.«



»Abgekauft?«



»Ja, solche Plätze werden verkauft; ich glaube, daß dieser für den seinigen hundert Pistolen bezahlt hat.«



»Der Bursche ist also reich?«



»Manche von diesen Leuten hinterlassen oft bei ihrem Tode zwanzig, fünfundzwanzig, dreißig tausend Livres und noch mehr.«



»Hm!« versetzte Gondy lachend, »ich glaubte nicht, daß ich meine Almosen so gut anbringen würde.«



Man näherte sich indessen dem Vorhofe; in dem Augenblick, wo der Pfarrer und der Coadjutor den Fuß auf die erste Stufe der Kirche setzten, erhob sich der Bettler und überreichte seinen Sprengwedel.



Es war ein Mensch von sechsundsechzig bis achtundsechzig Jahren, klein, ziemlich dick, mit grauen Haaren und falben Augen. Auf seinem Antlitz war der Kampf zweier entgegengesetzter Principien zu lesen … eine schlechte Natur, gezähmt durch den Willen, vielleicht durch die Reue.



Als er den Mann erblickte, der den Pfarrer begleitete, bebte er leicht und schaute ihn mit erstaunter Miene an.



Der Coadjutor und der Pfarrer berührten den Sprengwedel mit-den Fingerspitzen und machten das Zeichen des Kreuzes; der Coadjutor warf ein Geldstück in den auf dem Boden stehenden Hut.



»Maillard,« sagte der Pfarrer, dieser Herr und ich sind gekommen, um einen Augenblick mit Euch zu sprechen.«



»Mit mir?« sagte der Bettler, »das ist eine große Ehre für einen armen Weihwassergeber.«



In dem Tone des Bettlers lag ein Ausdruck von Ironie, den er nicht zu beherrschen wußte, und worüber der Coadjutor sich wunderte.



»Ja.« fuhr der Geistliche fort, der an diesen Ton gewöhnt zu sein schien, »ja, wir wünschten zu wissen, was Ihr von den Ereignissen des Tages denkt, und was Ihr von den Personen habt sagen hören, welche in der Kirche ein- und ausgehen.«



Der Bettler schüttelte den Kopf.



»Das sind traurige Ereignisse, Herr Pfarrer, welche, wie beinahe immer, auf das arme Volk zurückfallen. In Beziehung auf das, was man spricht, darf ich wohl behaupten, daß Jedermann unzufrieden ist, daß Jedermann klagt, aber wer sagt Jedermann, sagt Niemand.



»Erklärt Euch, mein Freund,« sprach der Coadjutor.



»Ich behaupte, alles dieses Geschrei, alle diese Klagen, alle diese Verwünschungen werden einen Sturm und Blitze hervorbringen, und nichts weiter; das Gewitter wird aber nur treffen, wenn es einen Führer hat, der es zu lenken weiß.«



»Mein Freund,« sagte der Coadjutor, »Ihr scheint mir ein gewandter Mensch zu sein; wäret Ihr geneigt, Euch in einen kleinen Bürgerkrieg zu mischen, falls wir einen hätten, und zur Verfügung dieses Führers, wenn wir einen fänden, Euere persönliche Macht und den Einfluß zu stellen, den Ihr über Euere Kameraden erlangt habt?«



»Ja, mein Herr, vorausgesetzt, daß dieser Krieg von der Kirche gebilligt würde, und mich folglich zu dem Ziele führen könnte, das ich zu erreichen strebe, nämlich zu der Erlassung meiner Sünden.«



»Dieser Krieg würde nicht nur von der Kirche gebilligt, sondern auch von ihr geleitet. Was die Vergebung Euerer Sünden betrifft, so haben wir den Herrn Erzbischof von Paris, dem von Rom große Vorrechte bewilligt worden sind, und auch den Herrn Coadjutor, welcher besondere Indulgenzen besitzt; wir werden Euch demselben empfehlen.«



»Bedenkt, Maillard, daß ich Euch diesem Herrn, welcher allmächtig ist, empfohlen und mich gleichsam für Euch verbürgt habe.«



»Ich weiß, Herr Pfarrer,« erwiderte der Bettler, »daß Ihr immer sehr gut gegen mich gewesen seid; ich bin auch meinerseits ganz geneigt, Euch jeden Gefallen zu erweisen.«



»Haltet Ihr die Gewalt, die Ihr über Eure Genossen ausübt, für so groß, als mir der Herr Pfarrer so eben gesagt hat?«



»Ich glaube, daß sie eine gewisse Achtung vor mir haben,« erwiderte der Bettler stolz, »und daß sie nicht nur Alles thun werden, was ich ihnen befehle, sondern auch, daß sie mir überallhin folgen, wohin ich gehe.«



»Könnt Ihr mir für fünfhundert entschlossene Männer, gute, müßige Menschen, kräftige Kreischer stehen, welche im Stande sind, mit ihrem Geschrei: »Nieder mit Mazarin,« die Mauern des Palais-Royal umzustürzen, wie einst die von Jericho einstürzten?«



»Ich glaube, daß ich mit noch schwierigeren und wichtigeren Dingen beauftragt werden kann.«



»Ah! ah! Ihr würdet es also übernehmen, in einer Nacht ein Dutzend Barricaden zu machen?«



»Ich übernähme es, fünfzig zu machen und sie, wenn der Tag käme, zu vertheidigen.«



»Bei Gott,« sagte Gondy, »Ihr sprecht mit einer Sicherheit, die mir Freude macht, und da der Herr Pfarrer für Tuch bürgt …«

 



»Ich verbürge mich,« versetzte der Pfarrer.



»Dieser Sack enthält fünfhundert und fünfzig Pistolen in Gold; trefft also Euere Anstalten und sagt mir, wo ich Euch diesen Abend um zehn Uhr finden kann.«



»Es müßte eine hohe Stelle sein, von wo aus man ein Signal geben könnte, das in allen Quartieren von Paris gesehen würde.«



»Soll ich Euch ein Wort an den Vicar von Saint-Jacques-la-Bo