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XI
Die Meuterei wird zur Empörung

Das Cabinet, in welches man d’Artagnan und Porthos hatte eintreten lassen, war von dem Salon, in welchem sich die Königin befand, nur durch Thürvorhänge getrennt. Die geringe Dicke der Scheidewand ließ also Alles hören, was vorging, während die Oeffnung zwischen den beiden Vorhängen, so schmal sie auch war, Alles zu sehen gestattete.

Die Königin stand bleich vor Zorn in dem Salon; aber ihre Selbstbeherrschung war so groß, daß man hätte glauben sollen, es gehe nicht die geringste Bewegung in ihrem Gemüthe vor. Hinter ihr waren Comminges, Villequier und Guitaut, hinter den Männern die Frauen.

Vor ihr stand der Kanzler Sequier, derselbe, der sie zwanzig Jahre vorher so heftig angegriffen hatte, und erzählte, sein Wagen sei in Stücke zerschlagen worden, man habe ihn verfolgt und er habe sich kaum noch in das Hotel d’O … werfen können; dieses Hotel sei ebenfalls überfallen, geplündert und verwüstet worden; zum Glücke habe er noch Zeit gehabt, ein unter der Tapete verborgenes Cabinet zu erreichen, wo ihn eine alte Frau mit seinem Bruder, dem Bischof von Meaux, eingeschlossen. Hier sei die Gefahr so groß geworden, die Wüthenden haben sich dem Cabinet mit so heftigen Drohungen genähert, daß er, im Glauben, seine letzte Stunde sei gekommen, seinem Bruder gebeichtet habe, um, wenn er entdeckt würde, zum Sterben bereit zu sein. Zum Glücke sei dies nicht geschehen; das Volk habe geglaubt, er sei durch eine Hinterthüre entschlüpft, und habe sich, ihm dadurch freien Abzug gewährend, zurückgezogen. Er habe dann Kleider vom Marquis d’O … angezogen und das Hotel, über die Leichname von einem Gefreiten und zwei Soldaten schreitend, welche bei der Vertheidigung des Thores gefallen, verlassen.

Während dieser Erzählung trat Mazarin ein, schlüpfte geräuschlos neben die Königin und horchte.

»Nun!« fragte die Königin, als der Kanzler geendigt hatte, »was denkt Ihr hiervon?«

»Ich denke, daß die Sache sehr ernst ist, Madame.«

»Aber welchen Rath gebt Ihr?«

Ich würde Euerer Majestät wohl einen Rath geben, aber ich wage es nicht.

»Wagt es immerhin, mein Herr,« versetzte die Königin mit bitterem Lächeln. »Ihr habt wohl Anderes gewagt.«

Der Kanzler erröthete und stammelte einige Worte.

»Es ist nicht von der Vergangenheit, sondern von der Gegenwart die Rede,« erwiderte die Königin. »Ihr. sagtet, Ihr hättet mir einen Rath zu geben; worin besteht er?«

»Madame,« sprach der Kanzler zögernd, »es handelte sich darum, Broussel freizulassen.«

Die Königin, obgleich sehr bleich, erbleichte sichtbar noch mehr, ihr Gesicht zog sich krampfhaft zusammen und sie rief:

»Broussel frei lassen … nie!«

In diesem Augenblicke hörte man Tritte im Vorsaale und ohne gemeldet zu werden, erschien der Marschall de la Meilleraie auf der Thürschwelle.

»Ah! Ihr seid hier, Marschall,« rief freudig Anna von Oesterreich. Ihr habt hoffentlich diese ganze Canaille zur Vernunft gebracht?«

»Madame,« antwortete der Marschall, »ich verlor drei Mann auf dem Pont-Neuf, vier in den Hallen, sechs an der Ecke der Rue de l’Arbre-Sec und zwei vor dem Thore Eueres Palastes, im Ganzen fünfzehn. Ich bringe zehn bis zwölf Verwundete zurück. Mein Hut ist, von einer Kugel fortgerissen, ich weiß nicht wo geblieben, und ohne Zweifel würde ich mit meinem Hute geblieben sein, wäre nicht der Herr Coadjutor gekommen und hätte mich aus der Klemme gezogen.«

»In der That,« sprach die Königin, »es hätte mich gewundert, wenn dieser Dachshund mit den krummen Beinen nicht mit dieser ganzen Geschichte vermischt gewesen wäre.«

»Madame,« versetzte la Meilleraie lachen, »sagt nicht zu viel Schlimmes von ihm in meiner Gegenwart, denn der Dienst, den er mir geleistet hat, ist noch ganz warm.«

»Gut,« erwiderte die Königin, »seid dankbar gegen ihn, so lange und so viel Ihr wollt, aber das legt mir keine Verbindlichkeit auf. Ihr seid gesund und wohlbehalten hier, mehr verlange ich nicht; seid willkommen, ich freue mich Euerer Rückkehr.«

»Wohl, Madame, aber ich bin unter einer Bedingung zurückgekehrt – ich habe Euch die Willensmeinung des Volkes zu überbringen.«

»Willensmeinung l« sprach Anna von Oesterreich, die Stirne faltend. »Oh! oh! Herr Marschall, Ihr müßt Euch in einer sehr großen Gefahr befunden haben, daß Ihr eine solche Botschaft übernähmet.« Diese Worte wurden mit einer Ironie ausgesprochen, welche dem Marschall nicht entging.

»Um Vergebung Madame,« sagte der Marschall, »ich bin kein Advokat, sondern ein Kriegsmann, und verstehe mich folglich nur schlecht auf den Werth der Worte, ich hätte den Wunsch und nicht die Willensmeinung des Volkes sagen sollen. Was die Antwort betrifft, mit der Ihr mich beehrtet, so glaube ich, Ihr wolltet damit sagen, ich habe Furcht gehabt.«

Die Königin lächelte.

»Nun wohl, ja, Madame, ich habe Furcht gehabt, es ist das dritte Mal, daß mir dies begegnet, und dennoch bin ich bei zwölf ordentlichen Schlachten und ich weiß nicht bei wie vielen Gefechten und Scharmützeln gewesen; ja, ich habe Angst gehabt und ich will lieber Eurer Majestät gegenüberstehen, so bedrohlich auch ihr Lächeln sein mag, als diesen höllischen Teufeln, die mich bis hierher begleitet haben.«

»Bravo!« sagte ganz leise d’Artagnan zu Porthos, »gut geantwortet.«

»Nun!« sprach die Königin, sich in die Lippen beißend, während die Höflinge einander voll Verwunderung anschauten, »was ist der Wunsch meines Volkes?«

»Daß man ihm Broussel zurückgebe, Madame,« antwortete der Marschall.

»Nie,« rief die Königin, »nie!«

»Euere Majestät ist die Gebieterin,« sprach la Meilleraie sich verbeugend und ging einen Schritt rückwärts.

»Wohin geht Ihr, Marschall?« sagte die Königin.

»Ich werde die Antwort Euerer Majestät denjenigen überbringen, welche darauf warten.«

»Bleibt, Marschall, ich will nicht das Ansehen haben, als unterhandelte ich mit Rebellen.«

»Madame, ich habe mein Wort gegeben.«

»Das heißt?«

»Daß ich geneigt bin, hinabzugehen, wenn Ihr mich nicht verhaften laßt!«

Die Augen von Anna schleuderten Blitze.

»Oh! das kann geschehen, mein Herr,« sprach sie; »ich habe Größere verhaften lassen, als Ihr seid. Guitaut.«

Mazarin stürzte vor und sprach:

»Madame, dürfte ich Euch auch einen Rath geben …«

»Vielleicht ebenfalls, Broussel freizulassen? In diesem Falle könnt Ihr Euch die Mühe ersparen.«

»Nein, obgleich vielleicht dieser Rath so viel Werth ist, als jeder andere.«

»Was also sonst?«

»Den Herrn Coadjutor rufen zu lassen.«

»Den Herrn Coadjutor!« rief die Königin, »diesen abscheulichen Händelstifter! Er hat die ganze Meuterei angezettelt.«

»Ein Grund mehr,« sprach Mazarin, »hat er sie veranlaßt, so kann er sie auch wieder auflösen.«

»Seht, Madame,« sprach Comminges, der an einem Fenster stand, durch das er hinausschaute, »seht, die Gelegenheit ist günstig, denn hier ist er und gibt seinen Segen über den Platz des Palais-Royal.«

Die Königin lief an das Fenster.

»Es ist wahr,« sagte sie, »hier ist er, der Meister Heuchler!«

»Ich sehe, daß alle Welt vor ihm niederkniet,« sprach Mazarin, »obgleich er nur Coadjutor ist, während man mich, wenn ich an seiner Stelle wäre, in Stücke zerreißen würde. Madame, ich bestehe also auf meinem Wunsche (Mazarin legte einen besonderen Nachdruck auf dieses Wort), daß Euere Majestät den Coadjutor empfange.«

»Und warum sagt Ihr nicht auch auf Euerer Willensmeinung?« antwortete die Königin mit leiser Stimme.

Mazarin verbeugte sich.

Die Königin blieb einen Augenblick in Gedanken versunken. Dann wieder das Haupt erhebend, sprach sie:

»Herr Marschall, sucht den Coadjutor und bringt ihn mir.«

»Und was soll ich dem Volke sagen?« fragte der Marschall.

»Es soll Geduld haben, ich habe auch Geduld.«

Es lag in der Stimme der stolzen Spanierin ein so gebieterischer Ausdruck, daß der Marschall keine Bemerkung mehr machte, sondern sich verbeugte und abging.

D’Artagnan wandte sich nach Porthos um und sagte:

»Wie soll das Alles endigen?«

»Wir werden es wohl sehen,« antwortete Porthos mit seiner ruhigen Miene.

Mittlerweile ging Anna von Oesterreich auf Comminges zu und sprach ganz leise mit ihm.

Mazarin schaute voll Unruhe nach der Seite, wo d’Artagnan und Porthos standen.

Die andern Anwesenden wechselten einzelne Worte mit leiser Stimme.

Die Thüre öffnete sich wieder und der Marschall erschien, von dem Coadjutor gefolgt.

»Hier ist Herr von Gondy, Madame,« sagte der Marschall, »er beeilt sich, den Befehlen Euerer Majestät Folge zu leisten.«

Die Königin ging ihm vier Schritte entgegen und blieb kalt, ernst, unbeweglich, die Unterlippe verächtlich vorgeschoben, stille stehen.

Gondy verbeugte sich ehrfurchtsvoll.

»Nun, mein Herr,« sprach die Königin, »was sagt Ihr zu dieser Meuterei?«

»Daß es nicht mehr eine Meuterei ist, Madame,« antwortete der Coadjutor, »sondern eine Empörung.«

»Die Empörung ist bei denjenigen, welche denken, mein Volk könne sich empören!« rief Anna, unfähig, sich vor dem Coadjutor zu verstellen, den sie vielleicht mit. Recht als den Anstifter dieser ganzen Aufregung betrachtete. »Empörung nennen diejenigen, welche sie wünschen, die Bewegung, die sie selbst gemacht haben; aber nur Geduld, das Ansehen des Königs wird die Sache in Ordnung bringen.«

»Madame,« antwortete der Coadjutor kalt, »hat mich Euere Majestät, um mir dieses zu sagen, zu der Ehre Ihrer Gegenwart zugelassen?«

»Nein, mein lieber Coadjutor,« versetzte Mazarin, »sondern um Euch um einen Rath über die ärgerliche Lage der Dinge zu bitten, in der wir uns befinden.«

»Ist es wahr,« sprach der Coadjutor, die Miene eines Erstaunten heuchelnd, »daß mich Ihre Majestät hat rufen lassen, um mich um Rath zu fragen?«

 

»Ja,« sagte die Königin, »man hat es gewollt.«

Der Coadjutor verbeugte sich.

»Ihre Majestät wünscht also …«

»Daß Ihr sagt, was Ihr an ihrer Stelle thun würdet,« beeilte sich Mazarin zu antworten.

Der Coadjutor schaute die Königin an, diese machte ein bestätigendes Zeichen.

»An der Stelle Ihrer Majestät,« erwiderte Gondy kalt, »würde ich nicht zögern, ich würde Broussel herausgeben.«

»Und wenn ich ihn nicht herausgebe,« rief die Königin, »was glaubt Ihr, daß dann geschieht?«

»Ich glaube, daß dann morgen in Paris kein Stein mehr auf dem andern sein wird,« sagte der Marschall.

»Ich frage nicht Euch,« sprach die Königin mit trockenem Tone und ohne sich umzuwenden, »sondern Herrn von Gondy.«

»Wenn Ihre Majestät mich fragt,« antwortete der Coadjutor mit derselben Ruhe, »so sage ich ihr, daß ich in jeder Hinsicht der Meinung des Herrn Marschalls bin.«

Die Röthe stieg der Königin in das Gesicht, ihre schönen blauen Augen schienen bereit, aus ihrem Kopfe zu treten; ihre carminrothen Lippen, von allen Dichtern jener Zelt mit Granatblüthen verglichen, erbleichten und zitterten vor Wuth; sie setzte sogar Mazarin in Schrecken, der doch an furchtbare Scenen des Zornausbruches in dieser schlimmen Ehe gewöhnt war.

»Broussel herausgeben!« rief sie endlich mit einem schrecklichen Lächeln; »ein schöner Rath, bei meiner Treue! man sieht wohl, daß er von einem Priester herkommt!«

Gondy blieb unbewegt. Die Beleidigungen schienen an diesem Tage an ihm abzugleiten, wie die Spottreden an dem vorhergehenden; aber der Haß und die Rache häuften sich stille und Tropfen für Tropfen in seinem Herzen auf. Er schaute kalt die Königin an, welche Mazarin stieß, damit er auch etwas sage.

Seiner Gewohnheit gemäß dachte Mazarin viel und sprach wenig.

»He! he!« sagte er, »ein guter Rath, ein Freundesrath, ich würde ihn auch herausgeben, diesen guten Herrn Broussel – todt oder lebendig – und Alles wäre abgemacht.«

»Würdet Ihr ihn todt herausgeben, so wäre, wie Ihr sagt, Alles abgemacht, aber anders, als Ihr es versteht.«

»Habe ich todt oder lebendig gesagt?« versetzte Mazarin; »eine Redensart, Ihr wißt, daß ich das Französische schlecht verstehe, das Ihr, Herr Coadjutor, so gut sprecht und schreibt.«

»Das ist ein Staatsrath,« sagte d’Artagnan zu Porthos, »aber wir haben mit Athos und Aramis einen bessern bei La Rochelle gehalten.«

»In der Bastei Saint-Gervais,« versetzte Porthos.

»Dort und anderswo.«

Der Coadjutor sprach, bestätig mit demselben Phlegma:

»Madame, wenn Eure Majestät den Rath nicht gut heißt, den ich ihr unterworfen habe, so kommt es. ohne Zweifel davon her, daß sie Besseres zu befolgen hat; ich kenne zu sehr die Weisheit der Königin und ihrer Räche, um annehmen zu können, man werde die Hauptstadt in einer Unruhe lassen, welche eine Staatsumwälzung herbeiführen kann.«

»Euerer Meinung nach,« versetzte schnaubend die Spanierin und biß sich in die Lippen, »kann die Meuterei von gestern, welche man heute bereits eine Empörung nennt, morgen zu einer Staatsumwälzung werden.«

»Ja, Madame,« sprach der Coadjutor ernst.

»Aber wenn man Euch hört, mein Herr, hätten die Völker jeden Zügel vergessen?«

»Das Jahr ist schlecht für die Könige,« sprach Gondy, den Kopf schüttelnd; »schaut nach England hinüber, Madame.«

»Ja, aber glücklicher Weise haben wir in Frankreich keinen Oliver Cromwell,« antwortete die Königin.

»Wer weiß,« versetzte Gondy, »diese Leute gleichen dem Blitze, man lernt sie erst kennen, wenn sie schlagen.«

Alle Anwesenden bebten und es herrschte einen Augenblick tiefes Stillschweigen.

Während dieser Zeit hatte die Königin ihre beiden Hände auf die Brust gelegt; man sah, daß sie die eiligen Schläge ihres Herzens zurückdrängen wollte.

»Porthos,« murmelte d’Artagnan, »schaut diesen Priester an.«

»Gut, ich sehe ihn,« sprach Porthos. »Nun?«

»Nun, es ist ein Mann.«

Porthos betrachtete d’Artagnan mit erstaunter Miene; offenbar begriff er nicht ganz, was sein Freund damit sagen wollte.

»Eure Majestät,« fuhr der Coadjutor unbarmherzig fort, »wird also die Maßregeln ergreifen, die ihr genehm sind. Aber ich sehe vorher, daß sie furchtbar sein und die Meuterer noch mehr aufbringen werden.«

»Nun wohl, mein Herr Coadjutor, Ihr, der Ihr so viel Macht über sie habt und der Ihr unser Freund seid,« sprach ironisch die Königin, »Ihr werdet sie dann wohl zur Ruhe bringen, indem Ihr ihnen Euern Segen spendet.«

»Das wird vielleicht zu spät sein,« entgegnete Gondy eisig, »und am Ende verliere ich selbst jeden Einfluß, wahrend Eure Majestät, wenn sie ihnen Broussel zurückgibt, dem Aufruhr die Wurzel abschneidet und das Recht erhält, jedes Wiederbeginnen einer Empörung auf das Grausamste zu bestrafen.«

»Dieses Recht habe ich also nicht?« rief die Königin.

»Wenn Ihr es habt, gebraucht es,« antwortete Gondy.

»Teufel!« sagte d’Artagnan zu Porthos, »das ist ein Charakter, wie ich sie liebe; daß er nicht Minister ist und ich nicht sein d’Artagnan bin, statt daß ich diesem Knauser von Mazarin gehöre! Ah! Mord und Tod! was für schöne Schläge würden wir mit einander machen.«

»Ja,« sprach Porthos.

Die Königin entließ mit einem Zeichen den Hof, Mazarin ausgenommen. Gondy verbeugte sich und wollte sich wie die Andern entfernen.

»Bleibt, mein Herr,« sprach die Königin.

»Gut,« sagte Gondy zu sich selbst, »sie wird nachgeben.«

»Sie wird ihn umbringen lassen,« sagte d’Artagnan zu Porthos, »aber in jedem Falle geschieht es nicht durch mich. Ich schwöre im Gegentheil zu Gott, daß ich, wenn man über ihn herfällt, über die Andern herfalle.«

»Ich auch,« sprach Porthos.

Die Königin folgte mit den Augen den Personen, welche sich entfernten. Als die letzte die Thüre geschlossen hatte, wandte sie sich um. Man sah, daß sie sich auf eine unerhörte Weise anstrengte, um ihren Zorn zu bewältigen; sie fächerte sich, sie roch an Räucherpfännchen sie ging hin und her. Mazarin blieb auf dem Stuhle, auf den er sich gesetzt hatte, und schien nachzudenken. Gondy, welcher unruhig zu werden anfing, sondierte mit den Augen alle Tapeten, betrachtete das Panzerhemd, das er unter seinem langem Rocke trug, und suchte von Zeit zu Zeit unter seinem Camail, ob der Griff eines guten spanischen Dolches, den er bei sich hatte, im Bereiche seiner Hand wäre.

»Laßt hören,« sprach die Königin endlich stillstehend, »wiederholt nun Euren Rath, da wir allein sind, Herr Coadjutor.«

»Vernehmet, Madame: gebt Euch den Anschein einer Ueberlegung … öffentlich einen Irrthum anerkennen, ist die Kraft starker Regierungen; entlaßt Broussel aus seinem Gefängnisse und stellt ihn dem Volke zurück.«

»Oh! mich so demüthigen!« rief Anna von Oesterreich. »Bin ich Königin oder bin ich es nicht? Ist diese ganze brüllende Canaille nicht die Masse meiner Unterthanen? habe ich Freunde, Leibwachen? Ah! bei unserer lieben Frau! wie Königin Catharina sagte,« fuhr sie, sich durch eigene Worte steigernd, fort, »ehe ich ihnen diesen schändlichen Broussel zurückgeben würde, erdrosselte ich ihn mit meinen eigenen Händen.«

Und sie stürzte mit geballten Fäusten auf Gondy zu, den sie in diesem Augenblick wenigstens eben so sehr haßte, als Broussel.

Gondy blieb unbeweglich; nicht eine Muskel seines Gesichtes rührte sich; es kreuzte sich nur sein eisiger Blick wie ein Schwert mit dem wüthenden Blicke der Königin.

»Das ist ein todter Mann, wenn es noch einen Vitry bei Hofe gibt und Vitry in diesem Augenblick eintritt,« sprach der Gascogner. »Aber ehe er zu dem guten Prälaten gelangt, schlage ich Vitry maustodt, und dafür wird mir der Herr Cardinal von Mazarin großen Dank wissen.«

»Stille!« flüsterte Porthos, »hört doch!«

»Madame,« rief der Cardinal, Anna von Oesterreich beim Arme fassend und zurückziehend, »Madame, was macht Ihr!«

Dann fügte er in spanischer Sprache bei:

»Anna, seid Ihr toll? Ihr fangt da bürgerliche Händel an, Ihr, eine Königin. Seht Ihr denn nicht, daß Ihr in der Person dieses Priesters das ganze Volk von Paris vor Euch habt, welches zu beleidigen in diesem Augenblick sehr gefährlich ist, und daß Ihr, wenn dieser Priester will, in einer Stunde keine Krone mehr besitzt? Später bei einer andern Gelegenheit mögt Ihr immerhin festhalten, hartnäckig sein, jetzt ist aber nicht die Stunde hierzu; heute schmeichelt und liebkost, oder Ihr seid nur ein gemeines Weib.«

Bei den ersten Worten dieser Rede ergriff d’Artagnan Porthos beim Arme und drückte ihn immer mehr; als Mazarin schwieg, sprach er ganz leise:

»Sagt nie in Gegenwart von Mazarin, daß ich Spanisch verstehe, oder ich bin ein verlorener Mann und Ihr seid es auch.«

»Gut,« antwortete Porthos.

Dieser scharfe Verweis, der das Gepräge einer Beredsamkeit an sich trug, welche Mazarin charakterisirte, sobald er Italienisch oder Spanisch sprach, und die er gänzlich verlor, wenn er Französisch sprach, wurde mit einem unerforschlichen Gesichte gegeben, das Gondy, ein so geschickter Physiognomiker er auch war, nur die einfache Ermahnung, sich etwas zu mäßigen, ahnen ließ.

Auf diese strenge Rüge besänftigte sich die Königin alsbald, sie ließ gleichsam von ihren Augen das Feuer, von ihren Wangen das Blut, von ihren Lippen den unnützen Zorn fallen. Sie setzte sich, ihre Arme sanken kraftlos an ihren beiden Seiten nieder, und sie sprach mit einer von Thränen feuchten Stimme:

»Verzeiht mir, Herr Coadjutor, und schreibt diese Heftigkeit dem Umstände zu, daß ich leide. Ein Weib und folglich den Schwachen meines Geschlechts unterworfen, erschrecke ich vor dem Bürgerkrieg; eine Königin und daran gewöhnt, daß man mir gehorcht, lasse ich mich bei dem ersten Widerstande hinreißen.«

»Madame,« erwiderte Gondy sich verbeugend, »Eure Majestät täuscht sich, wenn sie meinen aufrichtigen Rath als Widerstand bezeichnet. Euere Majestät hat nur ergebene und ehrfürchtige Unterthanen. Das Volk grollt nicht der Königin, es fordert Broussel, verlangt sonst nichts und ist nur zu glücklich, unter den Gesetzen Euerer Majestät zu leben, vorausgesetzt, daß Eure Majestät ihm Broussel zurückgibt,« fügte der Coadjutor lächelnd bei.

Mazarin, der bei den Worten: das Volk grollt nicht der Königin, bereits die Ohren gespitzt hatte, im Glauben, der Coadjutor werde von dem Rufe: »Nieder mit Mazarin!« sprechen, wußte Gondy für diese Zurückhaltung Dank und sagte mit seiner weichsten Stimme und mit seinem freundlichsten Gesichte:

»Madame, glaubt dem Coadjutor, der einer der gewandtesten Politiker ist, die wir haben; der erste Cardinalshut, der erledigt wird, scheint für sein edles Haupt gemacht zu sein.«

»Ah! Du bedarfst meiner, verschmitzter Schelm!« dachte Gondy.

»Und was wird er uns versprechen an dem Tage, wo man ihn umbringen will?« sprach d’Artagnan. »Den Teufel! wenn er auf diese Art Cardinalshüte verschenkt, so wollen wir uns gehörig in Bereitschaft setzen und schon morgen jeder ein Regiment verlangen. Morbleu! der Bürgerkrieg dauere nur ein Jahr, und ich lasse für mich den Degen des Connetable wieder vergolden.«

»Und ich?« versetzte Porthos.

»Du! ich lasse Dir den Marschallsstab von Herrn de la Meilleraie geben, der mir in diesem Augenblick nicht in großer Gunst zu stehen scheint.«

»Also, mein Herr,« sprach die Königin, »Ihr fürchtet wirklich die Volksbewegung?«

»Ich fürchte sie in vollem Ernste, Madame,« erwiderte Gondy, erstaunt, nicht weiter vorgerückt zu sein, »ich habe bange, der Strom, wenn er einmal seinen Damm durchbrochen hat, dürfte große Verwüstungen verursachen.«

»Und ich,« sagte die Königin, »ich glaube, daß man ihm in diesem Falle neue Dämme entgegensetzen muß. Geht, ich werde mir die Sache überlegen.«

Gondy schaute Mazarin mit erstaunter Miene an; Mazarin näherte sich der Königin, um mit ihr zu sprechen; in diesem Augenblick hörte man einen furchtbaren Lärmen auf dem Platze des Palais-Royal.

Gondy lächelte, der Blick der Königin entflammte sich, Mazarin wurde sehr bleich.

»Was gibt es denn wieder?« sagte er.

Comminges stürzte in den Salon.

»Vergebt Madame,« sagte Comminges zu der Königin, »das Voll hat die Wachen an die Gitter zurückgeworfen und zermalmt, und sprengt in diesem Augenblick die Thore; was befehlt Ihr?«

»Hört, Madame…« sprach Gondy.

Das Tosen der Wellen, das Rollen des Donners, das Brüllen des entflammten Orkans laßt sich nicht mit dem Sturme vergleichen, der sich in diesem Moment zum Himmel erhob.

»Was ich befehle?« rief die Königin.

»Ja, die Zeit drängt.«

»Wie viel Mann habt Ihr ungefähr im Palais-Royal?«

»Sechshundert.«

»Stellt hundert Mann um den König, und mit dem Reste jagt mir diesen Pöbel von der Thüre.«

 

»Madame,« sprach Mazarin, »was macht Ihr?«

»Geht,« sagte die Königin.

Comminges entfernte sich mit dem leidenden Gehorsam des Soldaten. Plötzlich vernahm man ein furchtbares Krachen: eines von den Thoren fing an nachzugeben.

»Madame, rief Mazarin, »Ihr stürzt uns Alle ins Verderben, den König, Euch und mich.«

Bei diesem aus der erschrockenen Seele des Cardinals hervorgehenden Schrei bekam die Königin ebenfalls bange; sie rief Comminges zurück.

»Es ist zu spät,« sagte Mazarin, sich die Haare ausraufend, »es ist zu spät!«

Das Thor wich und man hörte das Freudengebrülle des Volkes. D’Artagnan nahm den Degen in die Fünft und hieß Porthos durch ein Zeichen dasselbe thun.

»Rettet die Königin!« rief Mazarin sich an den Coadjutor wendend.

Gondy lief nach dem Fenster und öffnete es; er erkannte Louvières an der Spitze einer Truppe von ungefähr drei- bis viertausend Menschen.

»Keinen Schritt weiter! rief er, »die Königin unterzeichnet.«

»Was sagt Ihr?« rief die Königin.

»Die Wahrheit, Madame,« sprach Mazarin, der Königin eine Feder und Papier reichend, »es muß sein.« Dann fügte er bei: »Unterzeichnet, Anna, ich bitte Euch, ich will es.«

Die Königin sank auf einen Stuhl, nahm die Feder und unterzeichnete.

Von Louvières zurückgehalten, hatte das Volk keinen Schritt mehr gemacht; aber das furchtbare Gemurmel, welches den Zorn der Menge andeutet, währte immer noch fort.

Die Königin schrieb:

»Der Concierge des Gefängnisses von Saint-Germain wird den Rath Broussel in Freiheit setzen.« Und sie unterzeichnete.

Der Coadjutor, der ihre geringsten Bewegungen mit den Augen verschlang, ergriff das Papier, sobald die Unterschrift beigesetzt war, kehrte er an das Fenster zurück, bewegte es mit der Hand und rief:

»Hier ist der Befehl.«

Paris schien einen mächtigen Freudenschrei auszustoßen. Dann erscholl der Ruf: es lebe Broussel! Es lebe der Coadjutor!«

»Es lebe die Königin!« rief der Coadjutor.

Einige Stimmen antworteten der seinigen, aber sie kamen spärlich und armselig. Vielleicht hatte der Coadjutor nur gerufen, um die Königin ihre Schwache fühlen zu lassen.

»Und nun, da Ihr habt, was Ihr haben wolltet,« sagte sie, »so geht, Herr von Gondy.«

»Bedarf die Königin meiner,« sprach der Coadjutor, »so weiß Ihre Majestät daß ich zu Befehl stehe.«

Die Königin machte ein Zeichen mit dem Kopfe, Gondy entfernte sich.

»Ah! verfluchter Priester!« rief Anna von Oesterreich, die Hand nach der kaum geschlossenen Thüre ausstreckend, ich werde Dich eines Tags den Rest der Galle austrinken lassen, die Du mir eingegossen hast.«

Mazarin wollte sich ihr nähern.

»Laßt mich, Ihr seid kein Mann,« rief die Königin und ging aus dem Salon.

»Ihr seid keine Frau,« murmelte Mazarin.

Dann nach kurzem Nachdenken erinnerte er sich, daß d’Artagnan und Porthos anwesend sein müßten und folglich Alles gehört und gesehen hätten. Er runzelte die Stirne, ging gerade auf den Vorhang zu und hob ihn auf; das Cabinet war leer.

Bei dem letzten Worte der Königin hatte d’Artagnan Porthos bei der Hand genommen und mit sich nach der Gallerte gezogen.

Mazarin trat ebenfalls in die Gallerie und fand die zwei Freunde auf- und abgehend.

Warum habt Ihr das Cabinet verlassen, Herr d’Artagnan?« sagte Mazarin.

»Weil die Königin Jedermann weggehen hieß und ich dachte, dieser Befehl betreffe eben sowohl uns, als die Andern.«

»Ihr seid also hier seit …«

»Seit einer Viertelstunde ungefähr, sprach d’Artagnan, schaute dabei Porthos an und bedeutete diesem durch ein Zeichen, er möge ihn Nicht Lügen strafen.

Mazarin gewahrte dieses Zeichen und blieb überzeugt, d’Artagnan habe Alles gesehen und gehört, aber er wußte ihm Dank für die Lüge.

»Herr d’Artagnan,« sagte er, »Ihr seid offenbar der Mann, den ich suchte, und könnt, so wie Euer Freund, auf mich zählen.«

Dann die zwei Freunde mit seinem reizendsten Lächeln grüßend, kehrte er ruhiger in sein Cabinet zurück, denn beim Abgang von Gondy hatte der Tumult wie durch einen Zauber aufgehört.