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Zwanzig Jahre nachher

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

VI
Der Verlarvte

Obgleich es erst vier Uhr war, herrschte doch schon finstere Nacht. Der Schnee fiel dick und eisig kalt. Aramis kehrte ebenfalls zurück und fand Athos, wenn auch nicht ohne Bewußtsein, doch wenigstens wie vernichtet.

Bei den ersten Worten seines Freundes erwachte der Graf aus der Lethargie, in die er versunken war.

»Nun,« sagte Aramis, »besiegt durch das Mißgeschick!«

»Besiegt,« sprach Athos, »edler, unglücklicher König!«

»Seid Ihr denn verwundet?« fragte Aramis.

»Nein, dieses Blut ist das seinige.«

Der Graf trocknete seine Stirne.

»Wo waret Ihr denn?«

»Wo Ihr mich gelassen hattet, unter dem Schaffot!«

»Und Ihr habt Alles gesehen?

»Nein, aber Alles gehört. Gott bewahre mich vor einer zweiten Stunde, der ähnlich, welche ich so eben durchmachen mußte! Habe ich nicht weiße Haare?«

»Dann wißt Ihr, daß ich ihn nicht verlassen habe.«

»Ich hörte Eure Stimme bis zum letzten Augenblick.«

»Hier ist der Stern, den er mir gegeben,« sprach Aramis, »hier ist das Kreuz, das ich aus seiner Hand genommen. Er wünschte, daß Beides der Königin zugestellt würde.«

»Und hier ein Taschentuch, um Beides darein zu wickeln,« sagte Athos.

Und er zog das Tuch hervor, das er in das Blut des Königs getaucht hatte.

»Was hat man mit der armen Leiche gemacht?« fragte Athos.

»Auf Befehl von Cromwell sollen ihr die königlichen Ehren erwiesen werden. Wir haben den Körper in einen bleiernen Sarg gelegt. Die Aerzte beschäftigen sich damit, die unglücklichen Ueberreste einzubalsamiren. Ist ihr Werk gethan, so wird der König auf ein Trauergerüste gesetzt werden.«

»Hohn!« murmelte Athos düster; »die königlichen Ehren demjenigen, welchen sie ermordet haben!«

»Dies beweist,« versetzte Aramis, »daß der König stirbt, daß das Königthum aber nicht stirbt.«

»Ah!« rief Athos, »das ist vielleicht der letzte ritterliche König, den die Welt haben wird.«

»Verzweifelt nicht, Graf,« sprach eine mächtige Stimme von der Treppe, auf der die schweren Tritte von Porthos erschollen. »Wir sind alle sterblich, meine armen Freunde.«

»Ihr kommt spät, mein lieber Porthos,« sagte der Graf de la Fère.

»Ja,« erwiderte Porthos, »es waren Leute auf meinem Wege, die mich aufhielten. Die Elenden tanzten! Ich nahm einen beim Halse und erdrosselte ihn, glaube ich, ein wenig. Gerade in diesem Augenblick kam eine Patrouille. Zum Glücke war derjenige, mit welchem ich es hauptsächlich zu thun hatte, ein paar Minuten außer Standes, zu sprechen. Ich benützte dies, um mich in eine kleine Straße zu werfen. Diese kleine Straße führte mich in eine noch kleinere; dann verirrte ich mich. Ich kenne London nicht, ich verstehe nicht Englisch und glaubte, ich würde mich nicht zurecht finden; doch endlich bin ich doch hier.«

»Aber d’Artagnan,« sagte Aramis, »Habt Ihr ihn nicht gesehen? sollte ihm etwas begegnet sein?«

»Wir wurden durch die Menge getrennt,« erwiderte Porthos, »und ich konnte, wie sehr ich mich auch anstrengte, nicht wieder zu ihm gelangen.«

»Oh!« sagte Athos mit einer gewissen Bitterkeit, »ich habe ihn gesehen, er war in der ersten Reihe des Volkes vortrefflich gestellt, um nichts zu verlieren, und da das Schauspiel im Ganzen ein seltsames gewesen ist, so wild er es haben bis zu Ende sehen wollen.«

»Ei, Graf de la Fère,« sprach eine ruhige, obgleich durch die Eile des Laufes etwas gehemmte Stimme, »seid Ihr es wirklich, der die Abwesenden verleumdet?«

Dieser Vorwurf traf Athos im Herzen. Da jedoch der Anblick von d’Artagnan in den ersten Reihen dieses albernen, rohen Volkes einen tiefen Eindruck auf ihn hervorgebracht hatte, so beschränkte er sich darauf, ihm zu erwidern:

»Ich verleumde Euch nicht, mein Freund. Man war hier um Euch besorgt, und ich sagte, wo Ihr wäret. Ihr kanntet den König Karl nicht, er war nur ein Fremder für Euch und Ihr fandet Euch nicht genöthigt, ihn zu lieben.«

So sprechend reichte er seinem Freunde die Hand. Aber d’Artagnan stellte sich, als gewahrte er diese Geberde nicht und hielt seine Hand in seinem Mantel.

Athos ließ langsam die seinige fallen. ’»Ich bin müde,« sprach d’Artagnan und setzte sich.

»Trinkt ein Glas Portwein,« sagte Aramis, nahm eine Flasche vom Tisch und füllte ein Glas; »trinkt, das wird Euch erquicken.«

»Ja, trinken wir,« rief Athos, der, die Unzufriedenheit des Gascogners fühlend, mit diesem anstoßen wollte; »laßt uns trinken und dann aus diesem abscheulichen Lande eilen. Die Felucke erwartet uns, wie Ihr wißt; reisen wir diesen Abend, denn wir haben nichts mehr hier zu thun.«

»Ihr seid eilig, Herr Graf,« sagte d’Artagnan:

»Dieser blutige Boden brennt mir unter den Füßen,« erwiderte Athos

»Der Schnee macht nicht diese Wirkung auf mich,« versetzte ruhig der Gascogner.

»Aber was sollen wir denn noch hier machen, nun, da der König todt ist?«

»Ihr seht also nicht, Herr Graf,« entgegnete d’Artagnan mit nachlässigem Tone, »daß Euch in England noch etwas zu thun übrig bleibt?«

»Nichts, nichts,« sprach Athos, »als an der Güte Gottes zu zweifeln und meine eigenen Kräfte zu verachten.«

»Wohl,« erwiderte d’Artagnan, »ich, der Schwächliche, der blutgierige Tagedieb, der ich zwanzig Schritte vom Schaffot stand, um das Haupt des Königs besser fallen zu sehen, dieses Königs, den ich nicht kannte, und der mir, wie es scheint, gleichgültig war, ich denke anders, als der Herr Graf … ich bleibe.«

Athos erbleichte; jeder Vorwurf feines Freundes vibrirte in der Tiefe seines Herzens.

»Ah! Ihr bleibt in London?« sprach Porthos zu d’Artagnan.

»Ja,« erwiderte dieser, »und Ihr?«

»Verdammt!« rief Porthos, Athos und Aramis gegenüber etwas verlegen, »verdammt, wenn Ihr bleibt, so werde ich, da ich mit Euch gekommen bin, auch nur mit Euch gehen. Ich lasse Euch nicht allein in diesem abscheulichen Lande.«

»Ich danke, mein vortrefflicher Freund, ich habe Euch ein kleines Unternehmen vorzuschlagen, das wir mit einander ausführen werden, wenn der Herr Graf abgereist ist. Der Gedanke dazu kam mir, während ich das bekannte Schauspiel betrachtete.«

»Welches?« sagte Porthos.

»Ich wollte wissen, wer der verlarvte Mann wäre, der sich zuvorkommend angeboten hatte, dem König den Hals abzuschneiden.«

»Ein verlarvter Mann!« rief Athos, »Ihr habt also den Henker nicht entfliehen lassen?«

»Den Henker?« sagte d’Artagnan, »er ist immer noch im Keller, wo er ohne Zweifel ein paar Worte mit den Flaschen unseres Wirthes sprechen wird. Aber ich bedenke, …«

D’Artagnan ging an die Thüre und rief: »Mousqueton!«

»Gnädiger Herr?« erwiderte eine Stimme, welche aus der Tiefe der Erde zu kommen schien.

»Laßt Euren Gefangenen los, Alles ist vorbei.«

»Aber wer ist der Elende, der Hand an den König gelegt hat?« sprach Athos.

»Ein Henker aus Liebhaberei, der übrigens das Beil mit großer Leichtigkeit handhabt, denn er bedurfte, wie er hoffte, nur eines Streiches,« sagte Aramis.

»Ihr habt sein Gesicht nicht gesehen?« fragte Athos.

»Er hatte eine Larve,« erwiderte d’Artagnan.

»Aber Ihr, der Ihr in seiner Nähe wäret, Aramis?«

»Ich sah nur einen gräulichen Bart, der unter der Larve hervorkam.«

»Es ist also ein Mensch von etwas vorgerücktem Alter?« fragte Athos.

»Oh, das ist kein Beweis,« versetzte d’Artagnan, »Nimmt man eine Larve, so kann man auch einen Bart nehmen.«

»Es thut mir leid, daß ich ihm nicht folgte!« rief Porthos.

»Nun, mein lieber Porthos, das ist gerade der Gedanke, der mir kam,« sagte d’Artagnan.

Athos begriff Alles. Er stand auf und sprach: »Vergib mir, d’Artagnan, ich habe an Gott gezweifelt, ich konnte wohl auch an Dir zweifeln. Vergib mir, mein Freund.«

»Wir werden sogleich sehen,« erwiderte d’Artagnan lächelnd.

»Nun?« sprach Aramis.

»Nun,« versetzte d’Artagnan, während ich hinschaute, nicht nach dem König, wie der Herr Graf denkt – denn ich weiß, was ein Mensch ist, welcher sterben soll, und obgleich ich an solche Dinge gewöhnt sein sollte, so thun sie mir doch immer wehe, – sondern nach dem verlarvten Henker, so kam mir der Gedanke, den ich Euch genannt habe: ich wollte nämlich erfahren, wer er wäre. Da wir aber die Gewohnheit haben, uns einander zu vervollständigen und uns zu Hilfe rufen, wie man die zweite Hand der ersten zu Hilfe ruft, so schaute ich maschinenmäßig um mich her, ob Porthos nicht da wäre; denn Euch, Aramis, hatte ich in der Nähe des Königs erkannt, und von Euch, Graf, wußte ich, daß Ihr unter dem Schaffot sein mußtet. Deshalb vergebe ich Euch auch,« fügte er Athos die Hand reichend, bei, »denn Ihr mußtet viel leiden. Ich schaute also um mich her, als ich zu meiner Rechten einen Kopf erblickte, der gespalten worden war und sich so gut als möglich wieder mit schwarzem Taffet zusammengeflickt hatte.

»Bei Gott, sagte ich zu mir selbst, das ist eine Narbe von meiner Art, und ich habe diesen Schädel wohl irgendwo zusammengenäht. Es war in der That der unglückliche Schottländer, der Bruder von Parry, der Mensch, an welchem, wie Ihr wißt, Herr von Groslow seine Kräfte zu versuchen sich belustigte, und der nur noch einen halben Kopf hatte, als wir ihn trafen.«

»Ganz richtig, der Mann mit den schwarzen Hühnern,« sprach Porthos.

»Er selbst. Er machte einem andern Menschen, der sich zu meiner Linken befand, Zeichen. Ich wandte mich um und erkannte den ehrlichen Grimaud, welcher, wie ich, damit beschäftigt war, meinen verlarvten Henker mit den Blicken zu verschlingen.

»Oh! oh!«« rief ich ihm zu. Da nun diese Sylbe die Abkürzung ist, der sich der Herr Graf an den Tagen bedient, an denen er mit ihm spricht, so begriff Grimaud, daß er mit dem Rufe gemeint war, und wandte sich, wie von einer Feder in Bewegung gesetzt, um. Er erkannte’ mich ebenfalls, streckte seinen Finger nach dem Verletzten um um sagte:

 

»»He?«« was bedeutete, habt Ihr gesehen?

»Bei Gott,« erwiderte ich.

»Wir hatten uns vollkommen verstanden.«

»Ich wandte mich nun nach unserm Schottländer um. Er hatte auch sprechende Blicke.

»Kurz, Alles endigte, wie Ihr wißt, auf eine traurige Weise. Das Volk entfernte sich. Allmählich kam der Abend. Ich zog mich mit Grimaud und dem Schottländer, dem ich durch ein Zeichen bedeutete, er möge bei uns bleiben, in einen Winkel des Platzes zurück und beobachtete von da aus den Henker, welcher sich in das königliche Zimmer begeben hatte und die Kleider wechselte. Die seinigen waren ohne Zweifel blutig geworden. Er setzte sodann einen schwarzen Hut auf den Kopf, hüllte sich in einen Mantel und verschwand. Ich errieth daß er herauskommen würde, und lief vor die Thüre. Nach fünf Minuten sahen wir ihn wirklich die Treppe herabsteigen.«

»Ihr folgtet ihm?« rief Athos.

»Bei Gott,« erwiderte d’Artagnan, »aber es geschah nicht ohne Mühe. Er wandte sich jeden Augenblick um; dann waren wir genöthigt, uns zu verbergen oder ein gleichgültiges Wesen anzunehmen. Ich wäre ihm zu Leibe gegangen und hätte ihn getödtet, aber ich bin nicht selbstsüchtig, und es war ein Regal, das ich Euch vorbehielt, Aramis, und Eich, Athos, um Euch ein wenig zu trösten. Endlich nach einem Marsche von einer halben Stunde durch die krummsten Straßen der City, gelangte er zu einem kleinen, vereinzelten Hause, wo kein Tritt, kein Licht die Gegenwart des Menschen andeutete.

»Grimaud zog aus seinen weiten Hosen eine Pistole.«

»»He?«« sagte er, mir dieselbe zeigend.

»»Nein,«« erwiderte ich und hielt seinen Arm zurück.

»Ich hatte, wie ich Euch bemerkte, meinen Gedanken.

»Der Verlarvte blieb vor einer niedrigen Thüre stille stehen und zog einen Schlüssel hervor. Aber ehe er ihn in das Schloß steckte, wandte er sich um, ohne Zweifel in der Absicht zu sehen, ob man ihm nicht folgte. Ich war hinter einen Baum gekauert, Grimaud hinter einen Weichstein.. Der Schottländer, welcher nichts hatte, um sich dahinter zu verbergen, legte sich mit dem flachen Leibe auf den Weg.

»Wahrscheinlich glaubte sich derjenige welchen wir verfolgten, allein, denn ich hörte das Klirren des Schlüssels. Die Thüre öffnete sich und er verschwand.«

»Der Elende!« rief Aramis; »während Ihr zurückkehrtet, wird er entflohen sein, und wir finden ihn nicht mehr.«

»Stille, Aramis,« sprach d’Artagnan, »Ihr haltet mich für einen Andern.«

»Doch in Euerer Abwesenheit …« sagte Athos.

»Hatte ich nicht in meiner Abwesenheit an meiner Stelle den Schottländer und Grimaud? Ehe er Zeit fand, zehn Schritte im Innern zu thun, hatte ich die Runde um das Haus gemacht. An eine von den Thüren, an diejenige, durch welche er eingetreten war, stellte ich den Schottländer, dem ich bedeutete, wenn der Mann mit der schwarzen Larve herauskäme, sollte er ihm folgen, wohin er ginge, während Grimaud ihm- selbst folgen und dann zurückkommen würde, um uns da zu erwarten, wo Wir waren. Grimaud stellte ich an den zweiten Ausgang mit demselben Auftrag, und hier bin ich nun! Das Thür ist umstellt, wer will das Hallali sehen?«

Athos stürzte in die Arme von d’Artagnan, der sich seine Stirne trocknete.

»Freund,« sagte er, »Ihr seid in der That zu gut, daß Ihr mir verzeiht; ich hatte Unrecht, hundertmal Unrecht, ich sollte Euch doch kennen; aber es liegt in unserem Innern etwas Schlimmes, das immer zweifelt.«

»Hm!« sagte Porthos, »sollte der Henker nicht zufällig Herr Cromwell sein, der, um sicher zu gehen, daß sein Geschäft gut abgemacht würde, es selbst hatte verrichten wollen?«

»Ah! ja wohl! Herr Cromwell ist kurz und dick, und dieser mager, schlank gewachsen, eher groß, als klein.«

»Irgend ein verurtheilter Soldat, dem man seine Begnadigung um diesen Preis angeboten haben wird,« sprach Athos, »wie man dies bei dem unglücklichen Chalais gethan hat!«

»Nein, nein,« versetzte d’Artagnan, »es ist nicht der abgemessene Gang eines Infanteristen, und eben so wenig der breite Schritt eines Reiters. Ein feines Bein, das Ausgezeichnete in der Bewegung waren nicht zu verkennen. Wenn mich nicht Alles täuscht, haben wir es mit einem Edelmann zu thun.«

»Ein Edelmann!« rief Athos; »unmöglich! das wäre eine Schande für den ganzen Adel.«

»Waidmannsheil!« rief Porthos, und lachte, daß die Fenster zitterten: »Waidmannsheil, Mord und Tod!«

»Reist Ihr immer noch, Athos?« fragte d’Artagnan.

»Nein, ich bleibe,« antwortete der Graf mit einer drohenden Geberde, die dem, welchem sie galt, nichts Gutes verhieß.

»Die Degen also, und keine Minute verloren!« rief Aramis.

»Die vier Freunde zogen rasch wieder ihre edelmännischen Kleider an, gürteten ihre Schwerter um, ließen Mousqueton und Blaisois kommen und befahlen ihnen, die Rechnung bei dem Wirthe in Ordnung zu bringen und Alles für die Abreise bereit zu halten, da man aller Wahrscheinlichkeit nach London noch in derselben Nacht verlassen würde.

Die Nacht war noch düsterer geworden, der Schnee fiel ohne Unterlaß und sah aus, wie ein großes, über die königsmördensche Stadt ausgebreitetes Leichentuch; es war ungefähr sieben Uhr Abends, man sah kaum ein paar Menschen durch die Straßen gehen; Jedermann sprach ganz leise und im Familienkreise über die furchtbaren Ereignisse des Tages.

In ihre Mäntel gehüllt, durchwanderten die vier Freunde die am Tage so volkreichen, diese Nacht aber so öden Straßen und Plätze der City. D’Artagnan führte sie, wobei er von Zeit zu Zeit Kreuze zu erkennen suchte, die er mit seinem Dolche an den Mauern gemacht hatte, aber die Nacht war so finster, daß sich diese Spuren nur mit Mühe auffinden ließen. D’Artagnan hatte jedoch seinem Kopfe jeden Weichstem, jeden Brunnen, jedes Schild so gut eingeprägt, daß er nach Verlauf eines Marsches von einer halben Stunde mit seinen drei Gefährten vor dem vereinzelten Hause anlangte.

D’Artagnan glaubte einen Augenblick, der Bruder von Parry wäre verschwunden; er täuschte sich: an das Eis seiner Gebirge gewöhnt, hatte sich der kräftige Schottländer an einem Weichsteine ausgestreckt und wie eine von ihrer Base abgeschlagene Bildsäule, unempfindlich gegen die Ungunst der Witterung, vom Schnee bedecken lassen; aber bei Annäherung der vier Männer stand er auf.

»Seht,« sprach Athos, »das ist abermals ein guter Diener. Wahrhaftiger Gott! die braven Leute sind weniger selten, als man glaubt; das ermuthigt.«

»Eilen wir nicht so sehr, unserem Schottländer Kränze zu flechten,« sprach d’Artagnan; »ich glaube, der Bursche ist für seine eigene Rechnung hier. Ich habe sagen hören, die Herren, welche das Tageslicht zuerst jenseits der Tweed erblicken, seien sehr streitsüchtig. Meister Groslow mag sich hüten; er könnte eine schlimme Viertelstunde zu erfahren haben, wenn er ihm begegnete!«

Und sich von seinen Freunden trennend, näherte er sich dem Schottländer und gab sich demselben zu erkennen. Dann machte er den Andern ein Zeichen, herbeizukommen.«

»Wie steht es?« fragte Athos in englischer Sprache.

»Niemand ist herausgekommen,« antwortete der Bruder von Parry.

»Gut, bleibt bei diesem Manne, Porthos, und Ihr auch, Aramis, d’Artagnan wird mich zu Grimaud geleiten.«

Nicht minder unbeweglich, als der Schottländer, stand Grimaud fest in eine hohle Weide gedrückt, die er als, Schilderhaus benützte. Wie er es bei der andern Wache befürchtet hatte, so glaubte d’Artagnan auch hier einen Augenblick, der Mann mit der Larve wäre aus dem Hause gegangen, und Grimaud Hütte denselben verfolgt.

Plötzlich erschien ein Kopf und ließ ein leichtes Pfeifen vernehmen.

»Ah!« sagte Athos.

»Ja,« antwortete Grimaud.

Sie näherten sich der Weide.

»Nun?« fragte d’Artagnan, »ist Jemand heraus?«

»Nein, aber es ist Jemand hinein,« antwortete Grimaud.

»Ein Mann oder eine Frau?«

»Ein Mann.«

»Ah!« sprach d’Artagnan, »sie sind also zu zwei.«

»Ich wollte, sie wären zu vier,« versetzte Athos, »dann wäre die Partie doch gleich.«

»Vielleicht sind sie zu vier,« versetzte d’Artagnan.

»Wie so?«

Konnten nicht andere Menschen vor ihnen in diesem Hause sein und sie erwarten?«

»Man kann sehen,« sprach Grimaud, und deutete auf ein Fenster, durch dessen Läden einige Lichtstrahlen drangen.

»Das ist richtig,« sagte d’Artagnan, »rufen wir die Anderen.«

Sie wandten sich um das Haus, um Porthos und Aramis zu bedeuten, sie sollten kommen.

Diese liefen eilig herbei.

»Habt Ihr etwas gesehen?« fragten sie.

»Nein, aber wir werden etwas erfahren,« antwortete d’Artagnan, und deutete auf Grimaud, der, sich an die Mauervorsprünge anklammernd, bereits fünf bis sich sechs Fuß über der Erde war.

Alle Vier näherten sich. Grimaud stieg mit der Gewandtheit einer Katze aufwärts; endlich gelang es ihm, einen von den Haken zu fassen, welche zum Festhalten der Läden dienen, wenn diese offen sind; zu gleicher Zeit fand sein Fuß ein Gesims, das ihm einen hinreichenden Stützpunkt zu geben schien, denn er machte ein Zeichen, durch das er andeutete, er habe sein Ziel erreicht. Dann näherte er sein Auge der Spalte des Ladens.

»Wie ist es?« fragte d’Artagnan.

Grimaud zeigte seine Hand, welche bis auf zwei Finger geschlossen war.

»Sprich,« sagte Athos; »man sieht Deine Zeichen nicht. Wie viel sind es?«

Grimaud machte eine Anstrengung gegen sich selbst und erwiderte:

»Zwei; der Eine ist mir gegenüber, der Andere wendet mir den Rücken zu.«

»Gut. Wer ist der Dir gegenüber?«

»Der Mensch, den ich an mir vorübergehen sah.«

»Kennst Du ihn?«

»Ich glaubte ihn zu erkennen und täuschte mich nicht? kurz und dick.«

»Wer ist es?« fragten gleichzeitig und mit leiser Stimme die vier Freunde.

»Oliver Cromwell.«

Die vier Freunde schauten sich an.

»Und der Andere?«

»Mager und schlank gewachsen.«

»Es ist der Henker,« sagten Aramis und d’Artagnan.

»Ich sehe nur seinen Rücken,« versetzte Grimaud; »doch halt, er macht eine Bewegung, er dreht sich um, wenn er seine Larve abgelegt hat, kann ich sehen … Ah! …«

Grimaud ließ, als wäre er im Herzen getroffen, den eisernen Haken los und warf sich einen dumpfen Seufzer ausstoßend zurück. Porthos fing ihn in seinen Armen auf.

»Haft Du ihn gesehen?« sagten die vier Freunde.

»Ja,« sprach Grimaud, die Haare emporgesträubt, Schweiß auf der Stirne.

»Den magern, schlanken Menschen?« fragte d’Artagnan.

»Ja.«

.»Den Henker?« versetzte Aramis.

»Ja.«

»Und wer ist es!« sprach Porthos.

»Er! er!« stammelte Grimaud, bleich wie ein Todter, mit seinen zitternden Händen die Hand seines Herrn ergreifend.

»Wer, er?« fragte Athos. »Mordaunt! …« erwiderte Grimaud.

D’Artagnan, Porthos und Aramis stießen einen Freudenschrei aus.

Athos machte einen Schritt rückwärts, fuhr mit der Hand über die Stirne und murmelte:

»Verhängniß!«