Steuerstrafrecht

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f) Verschleierung mittels Drittstaat-Gesellschaft i.S.d. § 138 Abs. 3

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§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 6 sieht als besonders schweren Fall die fortgesetzte Steuerhinterziehung durch verdeckte Geschäftsbeziehungen zu einer beherrschten Drittstaat-Gesellschaft i.S.d. § 138 Abs. 3 vor.

Das Regelbeispiel ist mit dem StUmBG vom 23. Juni 2017[858] als Reaktion auf die Veröffentlichung der sog. Panama Papers eingefügt worden. Die Vorschrift dient der Bekämpfung der Steuerhinterziehung mittels ausländischer Briefkastenfirmen (sog. „Domizilgesellschaften“). Ziel des Gesetzes ist es, beherrschende Geschäftsbeziehungen inländischer Steuerpflichtiger zu Personengesellschaften, Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen mit Sitz oder Geschäftsleitung in Staaten oder Territorien, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation sind, transparent zu machen.[859] Dazu sind mit dem StUmgBG zahlreiche weitere Änderungen eingeführt worden, die einer Erhöhung der Transparenz dienen.[860]

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Das Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 6 ist anwendbar auf Taten, die ab dem 1.1.2018 begangen worden sind (§ 2 Abs. 1 und 3 StGB). Für früher begangene Taten kann die Nutzung ausländischer Briefkastenfirmen und intransparenter Treuhandverhältnisse im Rahmen eines komplexeren Unternehmensgeflechts im Rahmen der Strafzumessung gemäß § 46 Abs. 2 StGB als Ausdruck hoher krimineller Energie strafschärfend gewertet werden.[861]

Voraussetzung des Regelbeispiels ist die fortgesetzte Steuerhinterziehung, für die der Steuerpflichtige zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen eine Drittstaat-Gesellschaft i.S.d. § 138 Abs. 3 nutzt, auf die er allein oder zusammen mit nahestehenden Personen i.S.d. § 1 Abs. 2 AStG unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann. Als „Drittstaat-Gesellschaft“ gilt nach der Definition des § 138 Abs. 3 eine Personengesellschaft, Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse mit Sitz oder Geschäftsleitung in Staaten oder Territorien, die nicht Mitglieder der Europäischen Union (EU) oder der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) ist.

Ausgehend von § 1 Abs. 2 AStG[862] ist eine Person dem Steuerpflichtigen nahestehend, wenn


die Person an dem Steuerpflichtigen mindestens zu einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt (wesentlich beteiligt) ist oder auf den Steuerpflichtigen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige an der Person wesentlich beteiligt ist oder auf diese Person unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG) oder
eine dritte Person sowohl an der Person als auch an dem Steuerpflichtigen wesentlich beteiligt ist oder auf beide unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (§ 1 Abs. 2 Nr. 2 AStG) oder
die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 AStG).

Zudem muss der Täter die Gesellschaft zur Verschleierung steuerlich erheblicher Tatsachen nutzen. Dabei ist zu beachten, dass es grundsätzlich nicht verboten ist, Gesellschaften im Ausland zu gründen und zu nutzen.[863]

Für eine fortgesetzte Begehung kann – entsprechend dem insoweit gleichlautenden Regelbeispiel des § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 – bereits die Begehung von zwei Taten der Steuerhinterziehung genügen.[864]

g) Versuch eines besonders schweren Falles

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Der erhöhte Strafrahmen des § 370 Abs. 3 greift grundsätzlich beim Versuch des Grundtatbestands und Vollendung des Regelbeispiels (z.B. Versuch der Steuerhinterziehung durch einen Finanzbeamten unter Missbrauch von Befugnissen als Amtsträger).[865] Allerdings kann die Milderung für den nicht eingetretenen Erfolg nach § 23 Abs. 2 StGB wieder zur Anwendbarkeit des geringeren Strafrahmens des § 370 Abs. 1 führen.

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Umstritten ist, ob ein Versuch des besonders schweren Falles auch dann anzunehmen ist, wenn der Grundtatbestand erfüllt, das Regelbeispiel aber nur versucht ist (z.B. die Steuerhinterziehung führt zu einem Verkürzungserfolg, allerdings nicht in dem gewollten großen Ausmaß). Das ist zu verneinen,[866] da der Täter dann nur den Tatbestand des Grunddelikts des § 370 Abs. 1 verwirklicht hat. Die Regelbeispiele des 370 Abs. 3 sind (anders als Qualifikationstatbestände) keine eigenständigen Delikte, sondern reine Strafzumessungsregeln zum Delikt des § 370 Abs. 1.[867] Hinsichtlich des benannten Regelbeispiels bleibt dann nur festzustellen, dass dieses nicht erfüllt – da eben nur versucht – ist und zu prüfen, ob aufgrund des Versuchs ein unbenannter Strafschärfungsgrund in Betracht kommt.[868] Dazu müssten jedoch weitere strafschärfende Umstände hinzutreten, da die benannten Regelbeispiele den Versuch gerade nicht genügen lassen, um einen besonders schweren Fall zu indizieren, sondern die Realisierung voraussetzen.[869]

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Ist sowohl das Grunddelikt der Steuerhinterziehung, als auch das Regelbeispiel nach § 370 Abs. 3 nicht vollendet worden, so kommt es nach der Rspr. des BGH für die Strafbarkeit als Versuch eines besonders schweren Falles drauf an, ob der Täter nach seiner Vorstellung zur Verwirklichung des Regelbeispiels bereits unmittelbar angesetzt hat (siehe dazu auch § 376 Rn. 29).[870] Die Rspr. behandelt damit das Regelbeispiel in dieser Konstellation wie ein Tatbestandmerkmal und begründet dies damit, dass es einen gegenüber dem Tatbestand erhöhten Unrechts- und Schuldgehalt typisiert.[871] Dagegen wird von Stimmen in der Literatur vorgebracht, dass die Gleichstellung von Regelbeispielen mit (Qualifikations-)Tatbeständen gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verstoße.[872] Zudem ist es widersprüchlich, die Indizwirkung des Versuchs des Regelbeispiels im Falle des vollendeten Grunddelikts aus systematischen Gründen zu verneinen, beim versuchten Grunddelikt aber zu bejahen.[873] Ist der Schuldgehalt des versuchten besonders schweren Falles der Steuerhinterziehung dadurch, dass es beim Versuch geblieben ist, geringer, wird der Strafrahmen nach der Rspr. des BGH gem. § 23 Abs. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB verschoben.[874] Folgt man der Rspr. des BGH, stellt sich die Frage, ob die Bejahung des Versuchs eines besonders schweren Falles die verlängerte Verjährungsfrist des § 376 Abs. 1 auslöst.[875]

3. Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB

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Der in § 370 Abs. 1 bzw. Abs. 3 vorgesehene Strafrahmen kann aufgrund des Vorliegens gesetzlich geregelter Milderungsgründe nach § 49 Abs. 1 StGB zugunsten des Angeklagten zu verschieben sein. Verweisen die Milderungsvorschriften auf § 49 Abs. 1 StGB, so kann oder muss der Strafrahmen in dem in den Ziff. 1-3 der Vorschrift bestimmten Umfang reduziert werden. In Betracht kommende obligatorische Strafrahmenverschiebungen sehen die § 27 Abs. 2 StGB für den Gehilfen[876] und § 28 Abs. 1 StGB beim Fehlen besonderer persönlicher Merkmale vor. Nach geänderter Rechtsprechung des BGH handelt es sich bei der in den Unterlassensvarianten des § 370 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 für die Haupttat vorausgesetzten steuerlichen Erklärungspflicht um ein solches besonderes persönliches Merkmal.[877] Als Folge kommt für den Gehilfen, dem in einem Fall des für den Haupttäter strafbaren Unterlassens der Abgabe einer Steuererklärung selbst keine steuerliche Erklärungspflicht obliegt, eine doppelte Strafrahmenverschiebung in Betracht, einerseits nach § 49 Abs. 1 i.V.m. § 27 StGB, andererseits nach § 28 Abs. 1 StGB[878] (siehe dazu auch Rn. 24).

§ 30 Abs. 1 StGB kommt beim Versuch der Beteiligung an einer Steuerhinterziehung nicht in Betracht, da insoweit kein Verbrechenstatbestand existiert. § 35 Abs. 2 StGB für den Irrtum über das Vorliegen eines entschuldigenden Notstands spielt praktisch keine Rolle, da eine Notstandssituation, die die Begehung einer Steuerhinterziehung entschuldigen würde, kaum vorstellbar ist. Für fakultative Strafrahmenverschiebungen verweisen folgende Vorschriften des allgemeinen Teils des StGB auf den § 49 Abs. 1 StGB: § 13 Abs. 2 StGB (Begehen durch Unterlassen), § 17 StGB (Verbotsirrtum), § 21 StGB (verminderte Schuldfähigkeit), § 23 Abs. 2 StGB (Versuch), § 35 Abs. 1 S. 2 StGB (hinzunehmender Notstand), § 46a StGB (Täter-Opfer-Ausgleich/ Schadenswiedergutmachung).

 

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Die Anwendbarkeit der für den Täter-Opfer-Ausgleich in § 46a Nr. 1 StGB vorgesehenen Strafrahmenverschiebung wird für die Steuerhinterziehung verneint, weil der Täter-Opfer-Ausgleich in erster Linie der Wiedergutmachung immaterieller Schäden dient und einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer voraussetzt. Der Anwendungsbereich wird deshalb auf Straftaten mit individuellen Opfern beschränkt. Da Schutzzweck des § 370 die Sicherung des staatlichen Steueranspruchs, die Steuerhinterziehung somit ein Delikt gegenüber der Allgemeinheit ist, sei der in der Vorschrift vorgesehene umfassende Ausgleich mit einem individuellen Opfer nicht möglich.[879] Hingegen wird die Anwendbarkeit der Regelung des § 46a Nr. 2 StGB (Schadensausgleich) in aktueller Rspr. grundsätzlich, wenn auch nur in „besonders gelagerten Ausnahmefällen“ bejaht.[880] Diese Regelung diene dem materiellen Ausgleich des durch die Tat angerichteten Schadens und sei damit auch auf Delikte zum Nachteil der Allgemeinheit anwendbar.[881] Insoweit genüge – entspr. der ständigen Rspr. des BGH zu § 46 Nr. 2 StGB in anderen Fällen – der Schadensausgleich durch die Nachzahlung der hinterzogenen Steuer nicht, sondern müsse der Täter einen darüber hinaus gehenden Beitrag leisten.[882] Das Verhalten des Täters müsse Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein. Insoweit sei erforderlich, dass der Täter das Opfer ganz oder überwiegend entschädigt und durch seine persönlichen Leistungen oder den Verzicht die materielle Entschädigung erst ermöglicht hat.[883] Zur strafmildernden Wirkung i.S.v. § 46 StGB einer missglückten Selbstanzeige siehe § 371 Rn. 307 und § 369 Rn. 104.

4. Strafmaßbestimmung

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Innerhalb des anwendbaren Rahmens richtet sich die Strafzumessung nach den allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen. Diese sind in § 46 StGB geregelt. Eine „Mathematisierung der Strafzumessung“, wie sie bei Anwendung sog. Strafmaßtabellen zu befürchten ist, lehnt der BGH ab (siehe dazu § 369 Rn. 109).[884] Zur Bestimmung des Strafmaßes sind straferhöhende und strafmildernde Umstände im Einzelfall gegeneinander abzuwägen (§ 46 Abs. 2 S. 1 StGB). § 46 Abs. 2 S. 2 StGB zählt als solche Abwägungskriterien beispielhaft auf:


Die Beweggründe und Ziele des Täters;
die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille;
das Maß der Pflichtwidrigkeit;
die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat;
das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse;
sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wieder gut zu machen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

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In einer Grundsatzentscheidung zur Strafzumessung hat der BGH folgende Zumessungskriterien hervorgehoben:[885]


Das Verhältnis zwischen verkürzten und gem. Erklärung gezahlten Steuern;
ob der Täter das Finanzamt quasi als Bank betrachtet hat;
ob er andere Personen verstrickt hat;
ob er systematisch Scheingeschäfte getätigt hat;
ob er die Buchführung manipuliert hat;
ob er gezielt Domizilgesellschaften eingeschaltet hat.

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Auch die Lebensleistung des Täters wird von der Rspr. teilweise als Strafzumessungsgesichtspunkt angeführt.[886] Dies ist jedoch gefährlich und abzulehnen. Abgesehen davon, dass es nicht darum gehen kann, Leben und Persönlichkeit des Täters im Allgemeinen abzuurteilen, dürfte es auch unmöglich sein, die wirkliche Lebensleistung eines Menschen im Rahmen einer gerichtlichen Verhandlung festzustellen und zu beurteilen. Sie lässt sich bspw. nicht in Berühmtheit oder beruflichem Erfolg messen. Zu fordern ist ein, wenn auch weit gefasster Bezug der Strafzumessungsaspekte zu dem dem Täter strafrechtlich vorgeworfenen Verhalten. Inzwischen weist der BGH darauf hin, dass die Berücksichtigung der „Lebensleistung“ des Angeklagten als strafmildernde Erwägung rechtlichen Bedenken begegnet. Es handele sich um eine ausfüllungsbedürftige „Leerformel“, die sich schwer definieren lasse. Grundlage für die Strafe sei vorrangig die Schuld des Täters und nicht dessen Lebensführung oder Lebensleistung. Die beruflichen Erfolge des Angeklagten und der damit verbundene Vermögenszuwachs ließen etwa vom Angeklagten begangene Steuerhinterziehungen von mehreren Millionen Euro jedenfalls nicht ohne weiteres in einem günstigeren Licht erscheinen.[887] Generalpräventive Erwägungen können nach der Rechtsprechung des BGH nur in engen Grenzen straferschwerend berücksichtigt werden, ein (außerordentlich) hoher Steuerschaden allein genügt insoweit nicht (siehe dazu auch Rn. 361).[888]

a) Strafmildernde Umstände

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Strafmildernd können bspw. folgende Umstände bzgl. Tat und Täter wirken:


Nur geringe aufgewendete kriminelle Energie zur Ausführung der Tat;
enger zeitlicher, räumlicher oder sonstiger Zusammenhang mehrerer begangener Taten;
unter Umständen die geringe steuerliche Erfahrung des Täters;
die Mitwirkung bei der Tataufdeckung, insb. die Abgabe einer sog. (undolos) gescheiterten Selbstanzeige, die Abgabe eines Geständnisses und gezeigte Reue;


ein langer Zeitablauf zwischen Tat und Verurteilung;
fehlende Vorstrafen;
Krankheit und hohes Alter;
besonderes soziales Engagement usw.

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In der Regel wirkt es sich nicht strafmildernd aus, wenn Ermittlungsbehörden bei Tatverdacht nicht rechtzeitig einschreiten, um den Eintritt des Taterfolgs zu verhindern.[896] Ausnahmsweise kann allerdings zugunsten des Täters zu berücksichtigen sein, wenn Ermittlungsbehörden einen über bloße Mitursächlichkeit hinausgehenden konkreten Einfluss auf die Tatausführung nehmen[897] oder die Umstände ein Einschreiten der Finanz- und Ermittlungsbehörden unabweisbar geboten hätten.[898]

b) Strafschärfende Umstände

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Nicht nur zur Bestimmung des anwendbaren Strafrahmens (§ 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1) sondern auch innerhalb des Strafrahmens ist der Hinterziehungsbetrag ein bestimmender Strafzumessungsgrund. Er ist nach der Rspr. des BGH zwar nicht in dem Sinne ausschlaggebend, dass die Strafe gestaffelt nach der Höhe des Hinterziehungsbetrags schematisch und quasi „tarifmäßig“ verhängt wird,[899] jedoch komme die Verhängung einer bewährungsfähigen Freiheitsstrafe bei einer Steuerhinterziehung mit einem sechsstelligen Hinterziehungsbetrag nur bei Vorliegen von gewichtigen Milderungsgründen, bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe nur bei Vorliegen besonders gewichtiger Milderungsgründe noch in Betracht.[900] Dabei sind sämtliche Strafzumessungskriterien zu berücksichtigen.[901] Der BGH spricht bei tatmehrheitlich begangenen Taten von einer Steuerhinterziehung in Millionenhöhe wenn der Betrag insgesamt erreicht wird.[902] Diese Grenze hat der 1. Senat in nachfolgenden Entscheidungen wieder stark aufgeweicht und hielt z.B. in einer Entscheidung vom 15.5.2018, 1 StR 159/17[903] bei einer Vorsteuerhinterziehung in Höhe von über 145 Mio. € die Verhängung von Bewährungsstrafen für vertretbar.[904] Ist der Täter wegen einer Vielzahl von Fällen der Steuerhinterziehung zu verurteilen, kommt bei der Bemessung der Einzelstrafen angesichts der gleichgelagerten Begehungsformen eine Kategorisierung nach der Schadenshöhe in Betracht.[905] Bei auf verdeckten Gewinnausschüttungen beruhenden Körperschaftsteuer- (auf Ebene der Gesellschaft) und Einkommensteuerhinterziehungen (auf Ebene des Gesellschafters) durch Gesellschafter einer juristischen Person müssen die Gesellschafter nach der Rechtsprechung des BGH bei der Ausurteilung der korrespondierenden Einkommensteuerhinterziehung – wegen der gebotenen Gesamtbetrachtung der Steuerhinterziehungen – strafzumessungsrechtlich so behandelt werden, als ob für die Gesellschaft steuerehrlich gehandelt wurde.[906] Dazu war nach der Rspr. unter Geltung des körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens mit Geltung bis VZ 2001 bei der Bemessung des Hinterziehungsbetrags einerseits zwar die verdeckte Gewinnausschüttung unter Einschluss der bei der Gesellschaft anfallenden Körperschaftsteuer in Ansatz zu bringen, andererseits aber – fiktiv – der bei steuerehrlichem Verhalten der Gesellschaft beim Gesellschafter abzuziehende Körperschaftsteuerbetrag anzurechnen, um eine strafrechtlich nicht hinnehmbare Doppelbelastung zu vermeiden.[907] Diese Grundsätze übernahm die Rspr.[908] für das System des Halbeinkünfteverfahrens des § 3 Nr. 40 EStG a.F.[909], wobei Zweifel bestehen, ob es insoweit überhaupt noch zu einer Doppelbelastung kam.[910] Für das seit 2008 anwendbare Teileinkünfteverfahren (im Betriebsvermögen) bzw. das Abgeltungssystem (im Privatvermögen) hat der BGH eine solche strafmildernde Wirkung abgelehnt.[911] Bislang nicht entschieden und in der Lit. umstr. ist, was bzgl. der auf verdeckte Gewinnausschüttungen entgegen § 43 Abs. 1 EStG nicht abgeführten Kapitalertragsteuer gilt,[912] da die Abführung auf die verdeckte Gewinnausschüttung nach §§ 32d Abs. 1 S. 1, 43 Abs. 5 S. 1 EStG eine abgeltende Wirkung hat. Es stellt sich daher die Frage, in welchem Verhältnis das Veranlagungsverfahren zur (unterbliebenen) Anmeldung bzgl. der Kaitalertragsteuer steht. Die Finanzverwaltung geht von einem Vorrang des Veranlagungsverfahrens aus.[913] In diese Richtung tendiert nach Ansicht von Madauß auch der BGH in einer Entscheidung vom 22.1.2018, in der er in diesem Zusammenhang auf eine entsprechende Literaturmeinung von Voßkuhl/Klemke verweist.[914] Daraus schließt er, dass die Steuerhinterziehung durch Nichtanmeldung der Kapitalertragsteuer mitbestrafte Vortat zur Steuerhinterziehung durch Falsch-/Nichtabgabe der ESt-Erklärung sei.[915]

 

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Weitere gegen den Täter erhobene Tatvorwürfe, bzgl. derer keine Verurteilung erfolgt (insb. nach Verjährung oder Einstellung gem. §§ 153, 153a StPO oder Beschränkung nach §§ 154 ff. StPO), sollen nach Meinung der Rspr. und Teilen der Literatur strafschärfend berücksichtigt werden können (dazu auch § 376 Rn. 11).[916] Teilweise wurde dies wegen der vom Verfahren ausgehenden „Warnfunktion“ selbst für den Fall bejaht, dass das frühere Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt oder der Täter freigesprochen worden ist.[917] Dagegen hat der BGH allerdings zuletzt immerhin Bedenken geäußert.[918] Die strafschärfende Berücksichtigung eingestellter Taten ist mit der Unschuldsvermutung gem. Art. 6 Abs. 2 EMRK nicht vereinbar. Das gilt immer, wenn das Verfahren, gleich aus welchem Grund, beschränkt oder eingestellt worden ist. Soll der eingestellte Vorwurf strafschärfend berücksichtigt werden, ist das Verfahren wieder aufzunehmen und zu Ende zu führen. Ist die Wiederaufnahme nicht mehr möglich, verbietet die Unschuldsvermutung eine Berücksichtigung über den Umweg der Strafzumessung.[919]

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Die Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für die hinterzogene Steuer nach § 71 kann strafmildernd berücksichtigt werden, sofern der Angeklagte nach den Umständen des Einzelfalles tatsächlich mit seiner Heranziehung rechnen muss und dies eine besondere Härte darstellt.[920] Die tatsächlich erfolgte Zahlung kann als Schadenswiedergutmachung strafmildernd berücksichtigt werden.

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Kann eine im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 mit Tatherrschaft handelnde Person mangels eigener steuerlicher Erklärungspflichten nur als Gehilfe bestraft werden, soll die Tatherrschaft des Gehilfen – im Rahmen des nach § 27 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 49 Abs. 1 StGB verschobenen Strafrahmens – erheblich strafschärfend berücksichtigt werden können.[921]

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Da es sich bei § 370 Abs. 1 Nr. 2 um ein echtes Unterlassungsdelikt handelt, greift die Strafmilderung nach § 13 Abs. 2 StGB nicht ein.[922]

Generalpräventive Erwägungen können nach der Rechtsprechung des BGH nur in engen Grenzen straferschwerend berücksichtigt werden. Die Begründung, „bei der Steuerhinterziehung mit Steuerschäden in einem außerordentlich hohen Bereich müsse deutlich gemacht werden, dass Steuerdelikte keine ‚Kavaliersdelikte‚ seien und es deshalb, um Nachahmungseffekte zu verhindern, unerlässlich sei, der Allgemeinheit zu verdeutlichen, dass die Pflicht, Steuern zu zahlen, zur Erfüllung staatlicher Aufgaben und damit zum Wohle aller unerlässlich sei“, trägt eine Strafschärfung nicht. Der Schutz der Allgemeinheit durch Abschreckung nicht nur des Angeklagten, sondern auch anderer möglicher künftiger Rechtsbrecher rechtfertigt eine schwerere Strafe als sie sonst angemessen wäre nur dann, wenn eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme solcher oder ähnlicher Straftaten, wie sie zur Aburteilung stehen, festgestellt worden ist.[923]