Steuerstrafrecht

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bb) Einziehung gem. § 375 Abs. 2

378

Nach § 375 Abs. 2 können Erzeugnisse, Waren und andere Sachen, auf die sich eine Hinterziehung von Verbrauchsteuer oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben i.S.d. Art. 5 Nr. 20 und 21 UZK ein Bannbruch oder eine Steuerhehlerei bezieht sowie die Beförderungsmittel, die zur Tat benutzt worden sind, eingezogen werden (s. dazu die Kommentierung zu § 375 Abs. 2). Eine Einziehung nach § 369 Abs. 2 i.V.m. § 74 ff. StGB von Gegenständen, die durch die Steuerhinterziehung hervorgebracht (Tatprodukte) oder zu ihrer Begehung oder Vorbereitung gebraucht oder bestimmt gewesen sind (Tatmittel), § 74 Abs. 1 StGB, ist grundsätzlich daneben anwendbar, praktisch aber kaum von Relevanz.[988] Sie kommt bspw. bzgl. der zur Steuerhinterziehung verwendeten Kassenmanipulationssoftware als Tatwerkzeug i.S.d. § 74 Abs. 1 Alt. 2 StGB in Betracht.[989]

cc) Berufsverbot

379

Nach § 70 StGB kann neben der Strafe ein Berufsverbot ausgesprochen werden, wenn der Täter


die Steuerhinterziehung unter Missbrauch eines Berufs oder Gewerbes oder unter grober Verletzung der damit verbundenen Pflichten begangen hat
und die Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen lässt, dass er bei weiterer Ausübung erhebliche Steuerhinterziehungen begehen wird.

380

§ 70 StGB bezieht sich auf alle Berufe und Gewerbe, auch auf solche mit einer Ehrengerichtsbarkeit, wie Rechtsanwälte, Steuerberater und Ärzte.[990] Für Beamte und Notare wird die Vorschrift allerdings durch § 45 StGB bzw. § 49 BNotO verdrängt.[991] Ein Missbrauch des Berufs oder Gewerbes wird angenommen, wenn der Täter die ihm dadurch gegebenen Möglichkeiten oder Befugnisse bewusst planmäßig, d.h. vorsätzlich zu Straftaten ausnutzt, die den Aufgaben des Berufs oder Gewerbes zuwider laufen.[992] Dazu genügt ein bloßer äußerer Zusammenhang nicht. Die strafbare Handlung muss vielmehr Ausfluss der jeweiligen Berufs- oder Gewerbetätigkeit sein,[993] bzw. in einem berufstypischen Zusammenhang mit der Tätigkeit stehen.[994]

381

Die grobe Verletzung der mit dem Gewerbe oder Beruf verbundenen Pflichten erfasst neben berufstypischen auch allgemeine Pflichten, die aus der beruflichen Tätigkeit erwachsen.[995] Die Pflicht Steuern abzuführen ist keine berufstypische Pflicht i.S.d. § 70 StGB, da sie jedermann trifft.[996] Das gilt grundsätzlich auch für die USt und Gewerbesteuer, von denen alle Unternehmer bzw. Gewerbetreibenden betroffen sind.[997] Der BGH hat dies allerdings für Tätigkeiten eingeschränkt, die auf die systematische Hinterziehung von betrieblichen Steuern angelegt sind. Danach kann

„die erforderliche berufstypische Verbindung bei der Hinterziehung betrieblicher Steuern insb. dann gegeben sein, wenn diese einhergeht mit schwerwiegenden Verletzungen der Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten. Zudem stellt erst die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit den Anknüpfungspunkt für die steuerlichen Pflichten als Unternehmer nach§ 2 UStG oder als Arbeitgeber nach §§ 38 ff. EStG dar. Jedenfalls in solchen Fällen, in denen (. . .) die unternehmerische Tätigkeit auf die systematische Hinterziehung von Lohn- und Umsatzsteuern angelegt ist und die Steuerhinterziehung in einem großen Umfang über einen längeren Zeitraum zum betrieblichen Kalkulationsfaktor wird, liegt eine bewußte mißbräuchliche Ausnutzung der Möglichkeiten vor, die gerade durch den Beruf oder das Gewerbe eröffnet werden.“[998]

382

Bei einem Steuerberater gilt die Verletzung steuerlicher Pflichten als innerberuflich. Dem ist zuzustimmen, soweit der Steuerberater Mandanten bei der Begehung von Steuerhinterziehungen berät oder unterstützt und damit Beihilfe leistet oder sich als Mittäter strafbar macht.[999] Hingegen kann, wenn der Steuerberater lediglich eigene steuerliche Pflichten verletzt, nichts Anderes gelten als für andere Berufstätige bzw. Gewerbetreibende.[1000] Nach der berufsgerichtlichen Rspr. kann ein solcher Verstoß allerdings zum Berufsausschluss nach § 90 Abs. 1 Nr. 5 StBerG führen (s. auch Rn. 416 f.). Gleiches gilt für die weiteren in §§ 3 und 4 StBerG genannten Personen, die Hilfe in Steuersachen leisten.

383

Ein Berufsverbot kann nur verhängt werden, wenn der Täter wegen der Straftat verurteilt wird oder wegen Schuldunfähigkeit nicht verurteilt wird. Zudem muss eine Gesamtwürdigung des Täters und der Tat die Gefahr erkennen lassen, dass der Täter bei weiterer Ausübung seines Berufs (Berufszweigs) oder Gewerbes (Gewerbezweigs) erhebliche weitere rechtswidrige Taten (Steuerhinterziehungen) begehen wird. Wegen der gravierenden Folgen des Berufsverbots und dem damit verbundenen Eingriff in Art. 12 GG ist davon nur unter hohen Voraussetzungen auszugehen, was sowohl die Gefahr weiterer Straftaten betrifft, als auch deren Erheblichkeit.[1001] Zumindest bei erstmaliger Verurteilung dürfte regelmäßig davon auszugehen sein, dass diese für sich in ausreichendem Maße abschreckend wirkt, so dass daneben kein Berufsverbot zu verhängen ist. Ein zulässiges Verteidigungsverhalten, wie insb. das Bestreiten der Tat, darf für die Gefahrprognose nicht zulasten des Angeklagten gewertet werden.[1002]

b) Steuerrechtliche Nebenfolgen

384

Als steuerliche Folgen einer Steuerhinterziehung sieht das Gesetz die Haftung für die hinterzogene Steuer nach § 71 vor, eine für die verkürzte Steuer auf 10 Jahre verlängerte Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 S. 2 sowie die Festsetzung von Hinterziehungszinsen nach §§ 235, 238. Zudem greifen Abzugsverbote, einerseits nach § 4 Abs. 5 Nr. 8 EStG für Geldstrafen und Geldbußen, sowie andererseits nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG für im Zusammenhang mit rechtswidrigen Zuwendungen (insb. Schmiergeldzahlungen) stehende Aufwendungen. Solche Ausgaben dürfen nicht als Betriebsausgaben, bzw. über § 9 Abs. 5 EStG nicht als Werbungskosten, geltend gemacht werden.

aa) Haftung gem. § 71

385

Nach § 71 haftet der Täter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile, sofern er nicht schon als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden kann.[1003] Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 71, also insb. einer Steuerhinterziehung, hat die Finanzbehörde aufgrund der Eigenständigkeit des Besteuerungs- und Steuerstrafverfahrens gem. § 393 Abs. 1 S. 1 eigenständig nach den Regeln der AO, jedoch unter Berücksichtigung des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes festzustellen.[1004] Die Haftungsinanspruchnahme setzt daher keine strafgerichtliche Verurteilung voraus.[1005] Andererseits hat ein strafgerichtliches Urteil keine Bindungswirkung für die Frage der Haftungsinanspruchnahme nach § 71.[1006] Die tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils dürfen jedoch – und werden regelmäßig – im steuerlichen Verfahren verwertet werden.[1007] Wurde das Strafverfahren gem. § 153a StPO eingestellt, ist das FG wegen der Unschuldsvermutung daran gehindert, allein aufgrund der Zustimmung des Beschuldigten zur Einstellung und der erfolgten Verfahrenseinstellung davon auszugehen, dem Beschuldigten sei die vorgeworfene Straftat nachgewiesen worden.[1008]

386

Bei der Inanspruchnahme von Gehilfen richten sich Grund und Umfang der Haftung allein nach der Haupttat. Insoweit trägt das Finanzamt die Feststellungslast dafür, dass Steuern in einem bestimmten Umfang vorsätzlich hinterzogen worden sind.[1009] Wirken bspw. Bankmitarbeiter an anonymisierten Kapitaltransfers ins Ausland mit, kommt eine Haftungsinanspruchnahme nach § 71 nur in Betracht, wenn und soweit festgestellt ist, dass der jeweilige Inhaber des in das Ausland transferierten Kapitals daraus in der Folge Erträge erzielt hat, die der Besteuerung im Inland unterlagen, dass er diese Steuern hinterzogen und dabei vorsätzlich gehandelt hat.[1010] Den Gehilfen betreffende besondere Umstände wie sein Grad des Verschuldens, seine finanzielle Situation o.ä. werden im Rahmen des dem Finanzamt grundsätzlich nach § 191 Abs. 1 S. 1 eingeräumten Entschließungsermessens nicht berücksichtigt.[1011]

bb) Verlust umsatzsteuerlicher Rechte

387

Nach der Rspr. des EuGH[1012] und dem folgend des BFH[1013] kann sich der Steuerpflichtige auf die ihm nach umsatzsteuerlichen Vorschriften zustehenden Rechte nicht in missbräuchlicher Weise berufen. Der EuGH verlangt, dass die nationalen Behörden und Gerichte die europarechtlich – d.h. seit dem 1.1.2007 in der MwStSystRL – vorgesehenen Rechte versagen, die betrügerisch oder missbräuchlich geltend gemacht werden, unabhängig davon, ob es sich um Rechte auf Vorsteuerabzug, auf Befreiung von oder auf Erstattung der auf eine innergemeinschaftliche Lieferung entfallenden Mehrwertsteuer handelt.[1014] So entfällt die Steuerfreiheit von innergemeinschaftlichen Lieferungen trotz Vorliegens der objektiven Merkmale des § 6a UStG, wenn der Unternehmer weiß oder wissen muss, dass er sich an einem Umsatzsteuerbetrug des ausländischen Erwerbersbeteiligt.[1015] Das soll insb. der Fall sein, wenn er den wahren Abnehmer im Ausland verschleiert und diesem damit die Nichtabführung der (Einfuhr-)USt erleichtert.[1016] Gleiches gilt für seinen Vorsteueranspruch, wenn er sich in Bezug auf den Eingangsumsatz betrügerisch verhält, bzw. wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er mit dem betreffenden Umsatz in eine auf einer vorhergehenden Umsatzstufe der Lieferkette begangene Steuerhinterziehung einbezogen war.[1017]

 

388

Ist dem Steuerpflichtigen sein Verhalten sowohl bei Bezug, als auch bei Veräußerung von Leistungen vorzuwerfen, kann das, wie der EuGH klar gestellt hat, dazu führen, dass ihm sowohl die Vorsteuer, als auch die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung an einen Abnehmer im Ausland bzgl. desselben Gegenstandes versagt wird.[1018] Voraussetzung ist, dass die vom Steuerpflichtigen selbst durchgeführten Umsätze mit einem Betrug behaftet sind, dass er weiß oder wissen muss, dass er sich mit dem betreffenden Umsatz an einem Umsatz beteiligt, der in eine vom Lieferer oder von einem anderen Wirtschaftsteilnehmer auf einer vorhergehenden oder nachfolgenden Umsatzstufe der Lieferkette begangenen Steuerhinterziehung einbezogen ist,[1019] bzw. bei betrügerischem Charakter der Lieferkette als Ganzes.[1020] Das wirft die Frage auf, ob ein nur auf einer Seite der Lieferkette begangener Betrug zur Aberkennung der umsatzsteuerlichen Rechte auf beiden Seiten führt. Bezieht bspw. ein Unternehmer ordnungsgemäß Ware von einem nicht in einen Umsatzsteuerbetrug einbezogenen Lieferanten und verkauft sie anschließend steuerfrei an einen Abnehmer, von dem er weiß oder wissen müsste, dass dieser einen Umsatzsteuerbetrug begeht, so ist nicht nachvollziehbar, warum ihm neben der Steuerfreiheit der Lieferung auch der Vorsteuerabzug versagt werden sollte. In keinem der drei dem EuGH in Sachen Italmoda vorgelegten Fälle war die Finanzverwaltung in einer so weitgehenden Weise vorgegangen, sondern hatte die Rechte nur insoweit auf beiden Seiten aberkannt, als auf beiden Seiten betrügerisch vorgegangen worden war. Die Ausführungen des EuGH gehen darüber ebenfalls nicht hinaus.[1021] Zudem betont der EuGH in früherer Rechtsprechung, dass jeder Umsatz für sich zu betrachten ist.[1022] Folglich stünde dem Unternehmer in dem genannten Beispiel der Vorsteuerabzug zu.

389

Durch den möglichen parallelen Verlust der umsatzsteuerlichen Rechte sowohl auf der Eingangs- als auch auf der Ausgangsseite kann der Steuerpflichtige im Ergebnis doppelt mit USt belastet werden und damit über die Kompensation der durch sein Verhalten ermöglichten Umsatzsteuerverkürzung hinaus. Dies würde zu einer Durchbrechung des auch vom EuGH anerkannten Grundsatzes der Neutralität der Umsatzsteuer[1023] führen. Auch die Frage, ob die USt vom (verschleierten) Erwerber der Leistung eingetrieben werden kann, berücksichtigt der EuGH für die Frage der Versagung der Rechte des Lieferanten nicht.[1024] Da die Versagung der sich aus dem Mehrwertsteuersystem ergebenden Rechte bei betrügerischer bzw. missbräuchlicher Geltendmachung „schlichte Folge“ dessen sei, dass die insoweit nach den einschlägigen Bestimmungen vorgeschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, habe die Versagung dennoch nicht den Charakter einer Strafe oder Sanktion i.S.v. Art. 7 EKMR oder von Art. 49 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

390

Wäger erachtet die Rechtsaussagen des EuGH-Urteils Italmoda mit beachtlichen Gründen als im deutschen Recht nicht berücksichtigungsfähig.[1025] Der BFH hat die Durchbrechung der Neutralität der USt bei einer mit dem Ziel des Mehrwertsteuerbetruges von mehreren Unternehmern planmäßig hintereinandergeschalteten Lieferkette bislang vermieden, indem er dem Steuerpflichtigen den Vorsteuerabzug aus den Eingangslieferungen versagt hat, dementspr. aber auch die Steuern für die entsprechenden Ausgangsumsätze nicht zu erfassen waren.[1026] Zudem kommt nach der Rspr. des BFH in Fällen der Überkompensation der Erlass aus Billigkeitsgründen in Betracht.

391

Für die Frage der Steuerhinterziehung wird die weite Auslegung des § 6a UStG nach der Rspr. des BGH auch strafbegründend zugrunde gelegt,[1027] d.h. eine Steuerhinterziehung darauf gestützt, dass keine umsatzsteuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung vorliege, weil USt im Ausland zwar entsteht, tatsächlich aber nicht abgeführt wird. In einer Entscheidung v. 19.3.2013[1028] lässt der BGH offen, ob eine Steuerpflicht einer innergemeinschaftlichen Lieferung trotz Vorliegens der objektiven Voraussetzungen hierfür auch dann in Betracht kommt, wenn dem Unternehmer – der nicht über die Identität des Abnehmers täuscht – nur bekannt ist, dass der Abnehmer, den er nach seinen Belegen und buchmäßigen Aufzeichnungen als Abnehmer führt, seine steuerlichen Verpflichtungen im Bestimmungsmitgliedstaat nicht erfüllt. Die Übernahme der steuerlichen Rspr. des EuGH ins Strafverfahren ist verfassungsrechtlich bedenklich.[1029] Da es sich bei § 370 nach st. Rspr. um eine Blankettvorschrift handelt, ist Grenze der Heranziehung des § 6a UStG zur Begründung einer Strafbarkeit das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 GG und damit der Wortlaut der Vorschrift.[1030] Das BVerfG ist jedoch der Auffassung, § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG, wonach die Steuerbefreiung voraussetzt, dass die Lieferung im Zielland den Vorschriften der Umsatzbesteuerung unterliegt, könne auch dahingehend verstanden werden, dass die konkrete Lieferung im Zielland auch tatsächlich der Umsatzbesteuerung unterworfen wird und sei deshalb mit Art. 103 Abs. 2 GG vereinbar.[1031] Zu dieser Auslegung könnte man kommen, wenn § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG fordern würde, dass der Erwerb „der Umsatzbesteuerung unterliegt“. Da es nach dem Wortlaut jedoch ausdrücklich darauf ankommt, dass der Erwerb in dem anderen Mitgliedstaat „den Vorschriften der Umsatzbesteuerung“ unterliegt, wird auf die Rechtslage und nicht auf die tatsächliche Durchführung der Besteuerung abgestellt, eine darüber hinaus gehende Auslegung überschreitet somit die Grenze des Wortlauts des § 6a Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG.[1032]

392

Bei strenger Umsetzung der EuGH-Rspr. auch im Bereich des Strafrechts könnte der Hinterziehungserfolg im Falle der steuerlichen Aberkennung der umsatzsteuerlichen Rechte sowohl bei Bezug als auch bei Veräußerung der Ware dazu führen, dass der Hinterziehungserfolg über den eingetretenen steuerlichen Schaden hinaus geht. Dies müsste ggf. im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Täters berücksichtigt werden.

cc) Verlängerte Festsetzungsfrist, § 169 Abs. 2 S. 1

393

Für hinterzogene Steuern verlängern sich die Festsetzungsfristen des § 169 Abs. 2 S. 1 auf 10 Jahre, soweit die Steuer hinterzogen worden ist (§ 169 Abs. 2 S. 2 Alt. 1). Dabei kommt es nicht darauf an, wer die Steuer hinterzogen hat.[1033] Die Fristverlängerung gilt auch für den nach § 71 Haftenden[1034] und für den Erben[1035] (s. dazu auch Rn. 137). Die Finanzbehörde trägt die Feststellungslast für das Vorliegen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung.[1036]

394

Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird nach § 171 unter anderem gehemmt,


solange die Verfolgung der Steuerhinterziehung noch nicht verjährt ist, § 171 Abs. 7;
bzgl. der Steuern, wegen denen Steuerfahndung oder Zollfahndungsämter vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit Ermittlungen beginnen oder bzgl. derer dem Steuerpflichtigen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mitgeteilt wird, bis zur Bestandskraft der aufgrund der Prüfung erfolgenden Festsetzung, § 171 Abs. 5;
bis ein Jahr nach Eingang einer vor Ablauf der Festsetzungsfrist erstatteten Nacherklärung oder Selbstanzeige, § 171 Abs. 9.

395

Mit dem Tod des Steuerhinterziehers endet die Ablaufhemmung.[1037]

dd) Festsetzung von Hinterziehungszinsen, §§ 235, 238

396

Nach §§ 235, 238 sind hinterzogene Steuern monatlich mit einem Zinssatz von 0,5 Prozent zu verzinsen. Daraus ergibt sich ein jährlicher Zinssatz von 6 Prozent. Voraussetzung der Festsetzung von Hinterziehungszinsen ist, dass das Vorliegen einer Steuerhinterziehung nach den Vorschriften der AO und der FGO – d.h. nicht nach den Vorschriften der StPO, jedoch unter Berücksichtigung des In-dubio-pro-reo-Grundsatzes – festgestellt wird.[1038] Wird der Verkürzungsbetrag geschätzt, muss er für die Festsetzung von Hinterziehungszinsen mit der Gewissheit strafrichterlicher Überzeugung feststehen.[1039]

397

Bei den Zinsen handelt es sich nicht um eine (zusätzliche) Strafmaßnahme, sie dient vielmehr dazu, im Wege einer grundsätzlich zulässigen Typisierung[1040] den erlangten Zinsvorteil abzuschöpfen. Die Vorschrift des § 238 könnte folglich verfassungswidrig sein, wenn der Zinssatz dauerhaft deutlich über dem Marktzins läge. Denn aus dem aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG hergeleiteten Übermaßverbot folgt dass ein Steuerpflichtiger nicht zu einer unverhältnismäßigen Abgabe herangezogen werden darf.[1041] Die Unverhältnismäßigkeit hat das BVerfG[1042] für die Zeit bis 2006 sowie der BFH zunächst für die Zeit bis Ende 2011[1043] und später bis 2013[1044] verneint. Dabei hatte es der BFH bislang dahinstehen lassen, ob der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 EMRK eröffnet ist und sich daraus oder aus Art. 19 Abs. 4 GG die Rechtswidrigkeit eines Zinsbescheides wegen überlanger Verfahrensdauer ergeben kann.[1045] Mit Beschluss v. 25.4.2018 – IX B 21/18 hat der BFH schließlich schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der in § 238 Abs. 1 S. 1 AO geregelten Höhe von Nachzahlungszinsen von einhalb Prozent für jeden vollen Monat jedenfalls ab dem Verzinsungszeitraum 2015 geäußert und bzgl. der entsprechend festgesetzten Zinsen Aussetzung der Vollziehung gewährt.[1046] Mit Beschluss vom 3.9.2018 – VIII B 15/18 hat der BFH die AdV mit Verweis auf den vorgenannten Beschluss auch auf Zinszeiträume ab 2012 erstreckt.[1047]

398

Ist die Zinsfestsetzung aus sachlichen oder persönlichen Gründen unbillig, kommt ein Zinserlass nach § 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 2 als Billigeitsmaßnahme in Betracht, die im Ermessen der Finanzbehörde liegt. Allein die überlange Verfahrensdauer rechtfertigt nach der finanzgerichtlichen Rspr. keinen Billigkeitserlass.[1048] Erzielt der Steuerpflichtige tatsächlich nicht die typisierend angesetzten 6 % Zinsen, so rechtfertigt auch das keinen Billigkeitserlass, da die Zinsbelastung typische Folge der gesetzlichen Regelung ist und den gesetzgeberischen Vorstellungen entspricht.[1049]

399

Schuldner der Zinsen ist nach § 235 Abs. 1 S. 2 derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind, also der Steuerschuldner. Das gilt auch dann, wenn er an der Hinterziehung nicht beteiligt war.[1050] Der Tod des Steuerhinterziehers, der seiner strafprozessualen Verfolgung entgegensteht, hindert nicht die Festsetzung von Hinterziehungszinsen.[1051] Nach § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG unterliegen Hinterziehungszinsen einem Abzugsverbot.