Steuerstrafrecht

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Kommentierung

I.Allgemeines1 – 46

1.Entstehungsgeschichte und neuere Gesetzgebungsgeschichte der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht1 – 9

2.Systematik der steuerstrafrechtlichen Selbstanzeigevorschriften und das Verhältnis zu anderen Normen10 – 18

a)Verhältnis des § 371 zu § 15310, 11

b)Verhältnis zu den Rücktrittsvorschriften des StGB12 – 15

c)Verhältnis des § 371 zu § 378 Abs. 316

d)Verhältnis des § 371 zu § 398a17

e)Verhältnis des § 371 zu § 46a StGB18

3.Anwendungsbereich der Norm19 – 22

a)Der sachliche Anwendungsbereich der Norm19, 20

b)Der zeitliche Anwendungsbereich des § 37121, 22

4.Rechtsnatur des § 37123

5.Grund und Rechtfertigung der Selbstanzeige24 – 46

a)Vermeintliche Ausnahmestellung der Vorschrift25 – 27

b)Steuerpolitische Zielsetzung28 – 33

c)Strafrechtliche Zielsetzung34 – 37

d)Rechtspolitische Zielsetzung38 – 42

e)Verfassungsrechtliche Erwägungen43 – 46

II.Die Berichtigung bzw. Nachholung gem. § 371 Abs. 147 – 97

1.Form der Erklärung47, 48

2.Der erforderliche Inhalt der Erklärung49 – 58

a)Die Materiallieferung49

b)Allgemeine Anforderungen an den Inhalt50

c)Die Unzulässigkeit der gestuften Selbstanzeige und die Zulässigkeit von Schätzungen der Besteuerungsgrundlagen51 – 58

aa)Die Unzulässigkeit der gestuften Selbstanzeige51 – 54

bb)Die Zulässigkeit von Schätzungen55 – 58

3.Das Vollständigkeitsgebot59 – 80

a)Allgemeine Grundsätze59 – 64

b)Der Mindestberichtigungszeitraum nach dem AO-Änderungsgesetz zum 1.1.201565 – 72

c)Ausnahmen vom Vollständigkeitsgebot73 – 80

aa)§ 371 Abs. 2a: Sonderregelung für Lohnsteuer- und Umsatzsteuervoranmeldungen73 – 77

bb)Nacherklärung in der laufenden Außenprüfung78 – 80

4.Die Person des Anzeigeerstatters81 – 88

a)Täter oder Teilnehmer81

b)Vertretung82 – 84

c)Besonderheiten bei Selbstanzeigen in Unternehmen85 – 87

d)Koordinierte Selbstanzeigen88

5.Adressat der Selbstanzeige89 – 93

6.Unmittelbare Folge der Selbstanzeige: Einleitung eines Ermittlungsverfahrens94

7.Widerruf der Selbstanzeige und die Folgen95 – 97

III.Die Ausschlussgründe gem. § 371 Abs. 298 – 189

1.Grundgedanke der Regelung98 – 103

2.Der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Bst. a: Bekanntgabe der Prüfungsanordnung104 – 120

a)Prüfungsanordnung105 – 107

b)Bekanntgabe der Prüfungsanordnung108 – 111

c)Sachlicher Anwendungsbereich112, 113

d)Personelle Reichweite der Sperrwirkung114 – 119

aa)Tatbeteiligte114

bb)Begünstigte115

cc)Vertreter116

dd)Erweiterung des personellen Anwendungsbereichs durch interpersonelle Sperrwirkung?117 – 119

e)Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit mit Abschluss der Betriebsprüfung120

3.Der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Bst. c: Erscheinen eines Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung121 – 131

a)Amtsträger der Finanzbehörde122, 123

b)Erscheinen des Amtsträgers124

c)Prüfungsort125, 126

d)Steuerliche Prüfung127

e)Umfang der Sperrwirkung128 – 130

aa)Persönlich128, 129

bb)Sachlich130

f)Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit131

4.Der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Bst. d: Erscheinen eines Amtsträgers zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit132 – 137

 

a)Erscheinen eines Amtsträgers133

b)Zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit134

c)Umfang der Sperrwirkung135, 136

aa)Persönlich135

bb)Sachlich136

d)Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit137

5.Der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Bst. e: Erscheinen eines Amtsträgers der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuer-Nachschau u.a138

6.Der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Bst. b: Bekanntgabe der Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens139 – 147

a)Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens140

b)Bekanntgabe der Einleitung141 – 144

c)Sachlicher Umfang der Sperrwirkung: Der Tatbegriff145

d)Persönlicher Umfang der Sperrwirkung: Adressat der Bekanntgabe146

e)Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit147

7.Der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2: Tatentdeckung148 – 172

a)Objektive Voraussetzungen149 – 168

aa)Tatentdeckung150 – 161

(1)Entdeckung: Die Anforderungen an den Tatverdacht150 – 156

(2)Steuerstraftat157

(3)Teilentdeckung158

(4)Identifizierbarkeit des Täters159, 160

(5)Person des Entdeckers161

bb)Einzelfälle162 – 168

b)Subjektive Voraussetzungen169

c)Sachlicher Umfang der Sperrwirkung170

d)Persönlicher Umfang der Sperrwirkung171

e)Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit172

8.Der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 3: Hinterziehungsbetrag von mehr als 25 000 EUR173 – 184

a)Tatbegriff und Bestimmung der Freigrenze von 25 000 EUR177 – 181

aa)Tatbegriff177, 178

bb)Bestimmung der Freigrenze von 25 000 EUR179 – 181

b)Persönlicher Umfang der Sperrwirkung182

c)Sachlicher Umfang der Sperrwirkung183

d)Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit184

9.Der Ausschlussgrund des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 4: Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall185 – 189

a)Benannter besonders schwerer Fall186

b)Umfang der Sperrwirkung187, 188

c)Wiederaufleben der Selbstanzeigemöglichkeit189

IV.Die fristgerechte Nachentrichtung gem. § 371 Abs. 3190 – 262

1.Grundsätzliches190 – 195

a)Die Bedeutung des Nachentrichtungserfordernisses190 – 192

b)Die Begründung des Nachentrichtungserfordernisses193

c)Das Verhältnis der Nachentrichtungspflicht zur steuerlichen Haftung194, 195

2.Der Anwendungsbereich und die Bestimmung des Nachzahlungspflichtigen196 – 206

a)Allgemeines196, 197

b)Das Kriterium „zu seinen Gunsten“198 – 203

c)Das Kriterium „zu seinen Gunsten“ bei Gesellschafterstellung des Selbstanzeigeerstatters204 – 206

3.Der Umfang der Nachzahlung207 – 229

a)Grundsätzliches207 – 213

b)Keine Anwendung des Kompensationsverbotes214

c)Umfang der Nachzahlung bei einer Steuerverkürzung auf Zeit215

d)Grundsätzliche Unbeachtlichkeit der Zahlungsunfähigkeit des Selbstanzeigeerstatters216

e)Beachtlichkeit der ursprünglichen Zahlungsunfähigkeit des Steuerpflichtigen217, 218

f)Hinterziehungszinsen219 – 225

g)Wirkung von Teilzahlungen226 – 229

4.Die Nachzahlungsfrist230 – 253

a)Erfordernis der Fristsetzung230, 231

b)Rechtsnatur der Nachzahlungsfrist und das Verhältnis zur steuerlichen (Nach-)Veranlagung232 – 236

c)Bemessung der Nachentrichtungsfrist237 – 243

d)Möglichkeit der Fristverlängerung244, 245

e)Zuständigkeit für die Fristsetzung246

f)Wirksamwerden der Fristsetzung247, 248

g)Fristsetzung für die Entrichtung der Zinsen249

h)Rechtsschutz hinsichtlich der Fristsetzungen250 – 253

5.Zahlung der verkürzten Steuer254 – 260

a)Zulässigkeit von Zahlungen durch Dritte254

b)Zahlungsweise255 – 258

c)Reihenfolge der Anrechnung von Teilzahlungen bei fehlender Tilgungsbestimmung259, 260

6.Rechtsfolgen einer insolvenzrechtlichen Anfechtung der Nachzahlung261, 262

V.Besonderheiten der Selbstanzeige eines Teilnehmers einer Steuerhinterziehung263 – 269

1.Grundsätzliche Anwendbarkeit des § 371263

2.Erforderlicher Inhalt der Teilnehmer-Selbstanzeige264 – 266

3.Vollständigkeitsgebot267, 268

4.Nachentrichtungspflicht269

VI.Die Wirkungen und Folgen einer Selbstanzeige270 – 309

1.Die Selbstanzeige als Strafaufhebungsgrund270 – 277

a)Grundsätzliches270, 271

b)Mögliche Ahndbarkeit der von der Selbstanzeige erfassten Tat nach §§ 379, 380272 – 274

 

c)Konsequenzen einer wirksamen Selbstanzeige für die Anwendbarkeit des § 261 StGB275 – 277

2.Weitere materielle Folgen der Selbstanzeige im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht278 – 281

a)Keine Anordnung von Nebenfolgen i.S.d. § 375 nach einer Selbstanzeige278, 279

b)Keine Verhängung einer Verbandsgeldbuße nach einer Selbstanzeige280

c)Kein Bewährungswiderruf nach einer erfolgreichen Selbstanzeige281

3.Die strafverfahrensrechtlichen Konsequenzen einer Selbstanzeige282 – 284

4.Die (umstrittene) Geltung des Verwendungsverbotes aus § 393 Abs. 2 S. 1 für die Angaben in der Selbstanzeige285 – 288

5.Steuerrechtliche Folgen einer Selbstanzeige289 – 292

6.Steuerliche Absetzbarkeit der Kosten von Selbstanzeigen293, 294

7.Disziplinarrechtliche Folgen einer Selbstanzeige für Beamte und Richter295 – 301

a)Disziplinarrechtliche Ausgangslage295 – 298

b)Mitteilungsbefugnisse299 – 301

8.Folgen einer Selbstanzeige für Angestellte des öffentlichen Dienstes302, 303

9.Berufsrechtliche Folgen bei Angehörigen freier Berufe304

10.Auswirkungen der Selbstanzeige auf eine insolvenzrechtliche Restschuldbefreiung305

11.Folgen einer unwirksamen Selbstanzeige306 – 309

VII.Die Fremdanzeige gem. § 371 Abs. 4310 – 335

1.Grundsätzliches310 – 314

a)Inhalt der Norm310 – 312

b)Rechtsnatur der Norm313

c)Zweck der Norm314

2.Voraussetzungen des § 371 Abs. 4315 – 325

a)Voraussetzungen des § 153316 – 319

b)Erforderliche Erklärung des Anzeigenden320 – 322

c)Ausschlussgrund323, 324

d)Nachentrichtungserfordernis325

3.Wirkung und Rechtsfolgen der Fremdanzeige326 – 335

a)Problemaufriss326 – 328

b)Geltung des Strafverfolgungshindernisses ausschließlich für denjenigen Dritten, der die falsche Ursprungserklärung abgegeben hat329

c)Geltung des Strafverfolgungshindernisses sowohl für denjenigen Dritten, der die falsche Ursprungserklärung abgegeben hat, als auch für denjenigen Dritten, der die Anzeigepflicht aus § 153 verletzt hat330, 331

d)Geltung des Strafverfolgungshindernisses ausschließlich für denjenigen Dritten, der die Anzeigepflicht aus § 153 verletzt hat332

e)Stellungnahme333 – 335

Literatur:

Beckemper/Schmitz/Wegner/Wulf Zehn Anmerkungen zur Neuregelung der strafbefreienden Selbstanzeige durch das „Schwarzgeldbekämpfungsgesetz“, wistra 2011, 281; Burkhard Die Selbstanzeige ab dem 1.1.2015, StraFo 2015, 95; Buse Die Selbstanzeige ab dem 1.1.2015, DB 2015, 89; Füllsack/Bürger Praxis der Selbstanzeige, 2015; Habammer/Pflaum Bleibt die Selbstanzeige noch praktikabel?, DStR 2014, 2267; Helml Die Reform der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht, 2014; Herrmann Erneute Verschärfung der Selbstanzeige und ihre Auswirkungen in der Praxis, PStR 2014, 199; Hunsmann Das steuerstrafrechtliche Selbstanzeigeprivileg im Lichte des § 370a S. 3 AO, 2006; ders. Die Novellierung der Selbstanzeige durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, NJW 2011, 1482; ders. Neuregelung der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht – Neue Herausforderungen für Beratung und Verteidigung, NJW 2015, 113; Madauß Gesetzliche Klarstellungen, fortbestehende und neue Probleme der Selbstanzeige iSd § 371 nF – der Versuch einer Bestandsaufnahme, NZWiSt 2015, 41; Müller, J.R. Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, 2. Aufl. 2015; Müller, M. Die Selbstanzeige im Steuerstrafverfahren, 2. Aufl. 2015; Parsch/Nuzinger Selbstanzeigeberatung in der Praxis, 2013; Rolletschke/Roth Die Selbstanzeige, 2015; dies. Selbstanzeige: Verschärfte Anforderungen durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz, Stbg 2011, 200; Rolletschke/Jope Bleibt die strafbefreiende Selbstanzeige nach der geplanten Reform noch handhabbar?, NZWiSt 2014, 259; Rübenstahl Selbstanzeige 3.0? – Der Entwurf des BMF eines Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung vom 27.8.2014 und der Regierungsentwurf vom 24.9.2014, WiJ 2014, 190; Schwartz Praxisfragen zur neuen Selbstanzeigeregelung zum 1. Januar 2015, PStR 2015, 37; Stahl Selbstanzeige, 4. Aufl. 2016; Talaska/Bertrand Das neue Recht der Selbstanzeige – Die Rechtslage seit dem 1.1.2015 und die Auswirkungen auf die Praxis, ZWH 2015, 89; Wenzler/Rübenstahl Die Selbstanzeige, 2. Aufl. 2015; Wulf Reform der Selbstanzeige – Neue Klippen auf dem Weg zur Strafbefreiung, wistra 2015, 166; Zanzinger Die Einschränkung der Selbstanzeige durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz – Klärung erster Zweifelsfragen, DStR 2011, 1397.

I. Allgemeines

1. Entstehungsgeschichte und neuere Gesetzgebungsgeschichte der Selbstanzeige im Steuerstrafrecht

1

Obwohl die Regelung der strafbefreienden Selbstanzeige in den letzten zehn Jahren stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt und ihre Rechtfertigung Gegenstand rechtspolitischer Diskussionen geworden ist, ist die Möglichkeit der Selbstanzeige in Form der nachträglichen Erklärung steuererheblicher Tatsachen und evtl. Nachentrichtung vorenthaltener Steuerzahlungen keine Neuheit im Steuerstrafrecht. Sie hat in Deutschland eine lange Tradition, die bereits in Partikulargesetzen des 19. Jahrhunderts begründet wurde. Bemerkenswert ist aktuell, dass die historischen Änderungen im Wesentlichen Vereinheitlichungen der landesrechtlichen Normen, inhaltliche Klarstellungen und Modifizierungen der Voraussetzungen und der Sperrgründe betrafen, die erste gewichtige Änderung aber erst im Jahr 2010 durch das SchwarzgeldBG erfolgte, insb. durch die Abschaffung der Möglichkeit der Teilselbstanzeige und durch die Einführung des § 371 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 398a.[1]

2

Schon die Partikulargesetze im 19. Jahrhundert enthielten Regelungen, die eine strafbefreiende Rückkehr zur Steuerehrlichkeit ermöglichten. Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Regelungen bestanden insb. hinsichtlich der Anforderungen, die an die Freiwilligkeit der Selbstanzeige gestellt wurden sowie dahingehend, ob Sperrgründe vorgesehen waren, die einer Strafbefreiung entgegenstanden.[2] An einer einheitlichen Begründung für die Strafbefreiung fehlt es; eine solche findet sich weder in den Motiven zur RAO noch in denen der Partikulargesetze; präzise Schlüsse auf die Vorstellungen des historischen Gesetzgebers über den Grund der Regelung lassen die Motive nicht zu.[3] Ein Hinweis ergibt sich aber aus den Motiven zur RAO: Hintergrund der Regelung sollte die Erschließung solcher Steuerquellen sein, die sonst der Finanzbehörde verborgen blieben, zugleich sollte ein Appell zur Rückkehr zur Steuerehrlichkeit ergehen. Hintergrund war offenbar auch die Hilflosigkeit der Finanzbehörden bei der Aufdeckung von Steuerhinterziehungen.[4]

3

Mit der einheitlichen Regelung des Steuerstrafrechts in der RAO 1919 wurde mit § 374 RAO auch eine Vorschrift über die (damals sogenannte) Straffreiheit im Steuerrecht eingeführt.[5] Diese neue gesamtdeutsche Regelung war recht eng gefasst: Im Grundsatz setzte Straffreiheit nach Abs. 1 S. 1 voraus, dass der Täter rechtzeitig, d.h. als objektive Voraussetzung vor Erstattung einer Anzeige oder Einleitung einer Untersuchung, Angaben nachholt oder berichtigt und er als subjektive Voraussetzung nicht durch die unmittelbare Gefahr der Entdeckung dazu veranlasst wurde. Darüber hinausgehende Freiwilligkeit war jedoch keine Voraussetzung einer wirksamen Selbstanzeige. Waren bereits Beträge verkürzt oder Vorteile gewährt worden, hatte der Täter zusätzlich die geschuldete Summe innerhalb der festgesetzten Frist nachzuentrichten (Abs. 1 S. 2); Angaben Dritter für den Stpfl. vor Erstattung einer Anzeige oder Einleitung einer Untersuchung wirkten für diesen (Abs. 2).[6]

4

Diese Vorschrift wurde inhaltlich unverändert als § 410 Bestandteil der RAO 1931 und erhielt später (als § 410 RAO 1939) die Überschrift „Selbstanzeige“.[7] Zugleich wurde die Selbstanzeige auf die inzwischen in die RAO aufgenommenen Tatbestände des Bannbruchs und des schweren Schmuggels erstreckt.[8] In der Nachkriegszeit kompensierte der Wirtschaftsrat für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet zunächst in der amerikanischen und britischen Zone die Verschärfung der Strafbestimmungen durch erleichterte Voraussetzungen der Selbstanzeige.[9] Das damit verfolgte Ziel, durch das Zusammenspiel repressiver und präventiver Maßnahmen die Steuereinnahmen durch Hebung der Steuermoral zu erhöhen, wurde jedoch verfehlt, so dass die Vorschrift bereits 1951 erneut geändert und insb. erstmals das Erscheinen eines Betriebsprüfers „zur steuerlichen oder steuerstrafrechtlichen Prüfung“ als Sperrgrund eingeführt wurde.[10] Die damalige Fassung entsprach bereits weitgehend der des § 371, der seit der Neufassung der AO zum 1.1.1977 die „Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung“ normiert.[11] In der novellierten Abgabenordnung wurde nun erstmals die Selbstanzeige um die Variante der Fremdanzeige ergänzt.[12] In den folgenden 30 Jahren verblieb es im Wesentlichen bei dieser Regelung, die insb. durch die Rspr. des 3. und 5. Strafsenats des BGH relativ klar konturiert wurde.[13]

5

Im Rahmen der sog. Liechtenstein-Affäre im Jahr 2008 lösten Daten-CDs eine Vielzahl von Selbstanzeigen aus. Mitte Februar 2008 wurde bekannt, dass Beamte des Bundesnachrichtendienstes von einem ehemaligen Mitarbeiter der liechtensteinischen LGT Treuhand AG einen Datenträger zum Kaufpreis von 4,2 Mio. EUR erworben hatten, der eine Vielzahl an Bankdaten deutscher Staatsangehöriger enthielt.[14] Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erregte eine Durchsuchung bei dem damaligen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Post AG Zumwinkel, die auf der Grundlage dieses Datenmaterials erfolgte. Die Publizität der „Causa Zumwinkel“ sowie die Strategie der Ermittlungsbehörden, zur Effektivierung der Verfolgung von Steuerhinterziehung auf kriminell erlangte Erkenntnisse zurückzugreifen,[15] rückten die Diskussion über Steuerhinterziehung und Selbstanzeige in den Fokus der Politik und Öffentlichkeit. Das wachsende Unbehagen gegen Steuerhinterziehung förderte Vorbehalte gegen das Institut der Selbstanzeige. Passend zu dieser stärker punitiv orientierten kriminalpolitischen Stimmung verschärfte der seit 2008 für Revisionen auf dem Gebiet des Steuer- und Zollstrafrechts zuständige 1. Strafsenat des BGH mit der Entscheidung vom 2.12.2008 die Rechtsfolgen einer Steuerhinterziehung mit Blick auf das Ausmaß der verkürzten Steuern als dem bestimmenden Strafzumessungsgrund, konkret schloss er in Fällen einer Steuerhinterziehung in Millionenhöhe eine Freiheitsstrafe, die (noch) zur Bewährung ausgesetzt werden kann, jedenfalls faktisch nahezu aus.[16]

6

Auf diesen Grundstein der restriktiveren Linie der Rspr. baute der 1. Strafsenat im Jahr 2010 mit einem Beschluss zur Selbstanzeige[17] auf, der Auslöser für grundlegende Veränderungen dieses Instruments wurde. Er justierte damit in zentralen Bereichen die an die Selbstanzeige gestellten Anforderungen neu und bewegte sich damit an den Grenzen der Kompetenz eines Revisionsgerichts und einer im Rahmen von obiter dicta noch zulässigen Rechtsfortbildung, wie Habetha zu Recht zu bedenken gibt.[18] In dieser Entscheidung gab der Senat die bislang st. Rspr. auf, die eine Teilselbstanzeige aufgrund des damaligen Wortlauts der Vorschrift („insoweit“) überzeugend für zulässig hielt. Grundgedanke ist, die Legitimität der strafbefreienden Selbstanzeige erfordere eine vollständige Rückkehr zur Steuerehrlichkeit. Habetha ist zuzustimmen, dass der Senat damit nicht in erster Linie bestehendes Strafrecht fortentwickelt, sondern vielmehr neues Recht kreiert habe.[19] Wie kaum ein Judikat des BGH in Strafsachen hat diese Entscheidung die anschließende politische Diskussion geprägt und die dort geprägten kriminalpolitischen Vorstellungen von der Selbstanzeige in den Mittelpunkt der Erörterungen gerückt. Im Zusammenspiel mit dem öffentlichen Interesse an Steuerstrafverfahren gegen prominente Beschuldigte und dem politischen Diskurs um Zulässigkeit und die Folgen der Ankäufe von sog. Daten-CDs wurde (und wird bis heute) im Verlauf der kriminalpolitischen Debatte und konkret im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zum Schwarzgeldbekämpfungsgesetz (SchwarzGBekG) v. 28.4.2011 nicht nur über eine eingeschränktere Fassung der Selbstanzeige diskutiert, die Selbstanzeige als Rechtsinstitut wird vielmehr grundsätzlich in Frage gestellt.[20]

7

Mit dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz 2011, das am 3.5.2011 in Kraft trat, hat der Gesetzgeber als politischen Kompromiss die Selbstanzeige zwar nicht, wie es im Gesetzgebungsverfahren gefordert worden war,[21] ersatzlos gestrichen, die Voraussetzungen aber deutlich verschärft. Durch die Streichung des Wortes „insoweit“ wurde der Gesetzeswortlaut an die Rspr. des 1. Strafsenats des BGH angepasst und die Möglichkeit der Teilselbstanzeige ausgeschlossen. Erforderlich ist nunmehr die Berichtigung, Ergänzung bzw. Nachholung zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang. Der damit zu korrigierende Berichtigungsverbund geht über die vom 1. Strafsenat im Selbstanzeigebeschluss formulierten Voraussetzungen noch hinaus.[22] Ziel sollte sein, einen Missbrauch der Selbstanzeige „als Teil einer Hinterziehungsstrategie“, oder ein „bloßes Taktieren und Reue nach Stand der Ermittlungen“ auszuschließen.[23] Zudem wurde die Möglichkeit materiell-rechtlicher Strafaufhebung beschränkt auf einen 50 000 EUR nicht übersteigenden Steuerschaden; ist dieser höher, sieht § 398a lediglich die Möglichkeit vor, das Verfahren gegen die Zahlung eines Aufschlags von 5 % einzustellen. Auch im Übrigen wurden die sog. Sperrgründe (negative Tatbestandsmerkmale des Abs. 2) verschärft. Neu ist der Sperrgrund des Abs. 2 Nr. 1 Bst. a, der eine Selbstanzeige bei Bekanntgabe einer steuerlichen Außenprüfung ausschließt. Problematisch ist hier die ausdrückliche Beschränkung des Sperrgrundes auf die Bekanntgabe gegenüber dem Täter oder seinem Vertreter, die z.B. die praktisch relevante Konstellation nicht erfasst, dass eine steuerpflichtige juristische Person Adressat der Prüfungsanordnung aber nicht „Täter“ einer Steuerhinterziehung sein kann.[24] Insgesamt stellt sich schon bei dieser Neuregelung des § 371 die Frage, ob die Selbstanzeige überhaupt noch ihren Zweck erfüllen kann oder ob es ihr mit Einschränkungen belegt und mit Unklarheiten überfrachtet an der erforderlichen Vorhersehbarkeit fehlt.[25]

8

Bereits zum 1.1.2015 wurde die Selbstanzeige durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung v. 22.12.2014[26] erneut reformiert. Ziel war es, Schwächen des SchwGBG zu korrigieren und zugleich die Anforderungen an die Selbstanzeige erneut deutlich zu verschärfen. Der Grenzbetrag für die materiell-rechtliche Straffreiheit wurde auf 25 000 EUR gesenkt, zugleich wurde ein weiterer Sperrgrund in Abs. 2 S. 1 Nr. 4 für die benannten besonders schweren Fälle in § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 2–5 eingeführt, beides verbunden mit einer signifikanten Erhöhung des Strafzuschlags im Rahmen des § 398a Abs. 1 Nr. 2, dessen Zahlung Voraussetzung für die prozessuale Einstellung ist. Besonderer Schwerpunkt der Reform war die Erweiterung des Berichtigungsverbundes; mit Abs. 1 S. 2 führte der Gesetzgeber eine eigenständige Frist „der letzten zehn Kalenderjahre“ ein.[27] Für den praktisch wichtigen Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen wurde durch die Einführung des Abs. 2a in begrenztem Umfang wieder eine Teilselbstanzeige möglich. Zudem wurde der sachliche Umfang des Sperrgrundes „Außenprüfung“ auf den Inhalt der Prüfungsanordnung bzw. den Umfang der Prüfung beschränkt (Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Bst a und c).

9

Die Reformen von 2011 und 2015 stoßen in der Literatur nicht nur hinsichtlich einzelner Detailregelungen auf Kritik, sondern stellen die grundsätzliche Anwendbarkeit der Norm in Frage. Hatte schon die erste Reform vor allem aufgrund des Wegfalls der Teilselbstanzeige zu einem schwer handhabbaren Instrument geführt, das wenig Rechtssicherheit für den Eintritt der Straffreiheit als Rechtsfolge der Selbstanzeige bietet, ist die Selbstanzeige nunmehr einer unnötig komplexen Rechtsmaterie für Spezialisten geworden. Eine sichere Anwendung der Norm ist kaum mehr möglich.[28] Ob die Selbstanzeigeregelung in ihrer derzeitigen Form überhaupt ihrem Zweck gerecht wird, ist fraglich.[29] Daher ist auch die Mutmaßung verständlich, die Änderung sei lediglich einigen populären Selbstanzeigefällen geschuldet; der Gesetzgeber verschärfe das „Klima“, ohne dass eine aktuelle Notwendigkeit bestehe. In einem auf intensive Mitwirkung der Bürger ausgelegten Steuerrecht ist die Selbstanzeige ein gebotenes Korrektiv zum strafrechtlichen Legalitätsprinzip bei Steuerstraftaten. Dennoch wäre es ehrlicher, die Selbstanzeige abzuschaffen, als eine derart komplizierte Regelung zu installieren, die faktisch Selbstanzeigen jedenfalls in bestimmten Konstellationen zum Scheitern verurteilt.[30]