Steuerstrafrecht

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(2) Räumliche Geltung, §§ 3 ff. StGB

34

Die räumliche Geltung der Steuerstrafgesetze bemisst sich im Grundsatz nach den allg. Regeln (§ 369 Abs. 2 i.V.m. §§ 3 ff. StGB).[75] Das Steuerstrafrecht gilt danach für Taten, deren Tatort im Inland liegt, unabhängig von der Staatsangehörigkeit der Täter (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 3 StGB) (zur reinen Auslandstat s. Rn. 37). Die örtliche Zuständigkeit im gerichtlichen Verfahren bestimmt sich nach § 391.

35

Tatort der Begehung einer Tat ist zum einen der Ort der Vornahme der Handlung (Tun) oder des Handelnmüssens (Unterlassen) des Täters oder zum anderen der Ort, an dem der zum Tatbestand gehörende Erfolg eingetreten ist oder hätte eintreten sollen (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 StGB).

36

Bei Teilnehmern ist nicht nur der Ort der Teilnahmehandlung, sondern auch der Ort der Haupttat Tatort im Sinne der Norm (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 9 Abs. 2 StGB).

37

Ausnahmsweise sind bei der Steuerhinterziehung auch reine Auslandstaten erfasst (§ 370 Abs. 7), deren Regelung dem allg. Strafrecht vorgeht (§ 369 Abs. 2 Hs. 2; s. auch Rn. 115). Allerdings ist bei Auslandstaten auch der Verfolgungszwang eingeschränkt (§ 385 Abs. 1 i.V.m. § 153c StPO).

bb) Tatbestandsvoraussetzungen

(1) Täterschaft und Teilnahme

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Hinsichtlich Täterschaft und Teilnahme gelten die allg. Regeln (§ 369 Abs. 2 i.V.m. §§ 25 ff. StGB; s. etwa § 370 Rn. 14 ff., 22 ff.).

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(a) Täterschaft, § 25 StGB: Unmittelbarer Täter ist, wer die Tat „selbst begeht“ (§ 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB), also den gesetzlichen Tatbestand verwirklicht (s. auch Rn. 41 ff.). Dies ist nach Ansicht der Rspr. anhand einer wertenden Beurteilung aller Umstände zu ermitteln, wobei als entscheidungsrelevante Umstände neben dem in der Literatur vertretenen Kriterium der Tatherrschaft auch der Wille zur Tatherrschaft, die Beteiligung am Tatgeschehen und das Interesse am Taterfolg in Betracht zu ziehen sind.[76]

40

Bei gemeinsamer Tatausführung auf Grundlage eines gemeinsamen Tatplans (Mittäterschaft) können gem. § 25 Abs. 2 StGB objektive Tatbeiträge der beteiligten Mittäter wechselseitig zugerechnet werden; die subjektiven Voraussetzungen müssen dagegen durch jeden Mittäter selbst erfüllt werden.

41

Der Täterkreis kann dabei aber je nach gesetzlicher Fassung der Steuerstraftat variieren. So ist die Steuerhinterziehung in der Handlungsvariante von § 370 Abs. 1 Nr. 1 kein Sonderdelikt, weshalb Täter nicht nur der Steuerschuldner sein kann, sondern auch andere Personen wie die Hilfspersonen des Steuerschuldners (Angestellte, gesetzliche Vertreter, steuerliche Berater etc.), wenn sie die Festsetzung, Erhebung oder Durchsetzung des Steueranspruchs nachteilig beeinträchtigen.[77] Alle diese Personen müssen gleichwohl die an (Mit-)Täterschaft zu setzenden allg. Anforderungen (Rn. 40) erfüllen.[78]

42

Die Steuerhinterziehung in der Unterlassensvariante von § 370 Abs. 1 Nr. 2 ist dagegen durch ihre Bezugnahme auf die Verletzung steuerlicher Pflichten nach allgemeiner Meinung ein Sonderdelikt, wodurch nur diejenigen Täter sein können, die eine konkrete Steuererklärungspflicht trifft[79] (Details s. § 370 Rn. 104 ff.). Zu diesen Pflichten gehören etwa die Anzeigepflichten zur steuerlichen Erfassung gem. §§ 137 ff.,[80] aber auch die nachträglich entstehende Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153.[81] Eine eigene Steuererklärungspflicht als Verfügungsberechtigter i.S.v. § 35 soll auch der „steuernd(e) Hintermann“ haben, der im Rechtsverkehr „weisungsabhängige ‚Strohleute‚“ für sich auftreten lässt.[82]

43

Ob darüber hinaus auch Garantenpflichten i.S.v. § 13 StGB erfasst sind, ist umstritten.[83] Besondere Relevanz hat die Frage für diejenigen Personen, die bislang nicht steuererklärungspflichtig sind wie beispielsweise der steuerliche Berater hinsichtlich nachträglicher Berichtigungen (§ 153).[84] Die Übertragung ist abzulehnen, da hierdurch die tatbestandlichen Beschränkungen der dem allgemeinen Strafrecht vorrangigen Steuerstrafnorm des § 370 Abs. 1 Nr. 2 (vgl. § 369 Abs. 2 Hs. 2) umgangen würden (Sperrwirkung des Steuerstrafrechts).[85]

44

(b) Teilnahme, §§ 26, 27 StGB: Bei den Steuerstraftaten ist auch Teilnahme durch Anstiftung oder Beihilfe möglich (§ 369 Abs. 2 i.V.m. §§ 26, 27 StGB) (Details s. § 370 Rn. 23 ff.).[86]

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Anstifter einer Tat ist, wer einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat, bei diesem also den Tatentschluss zur Begehung eines Straftat erzeugt hat (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 26 StGB).

46

Beihilfe leistet, wer einem anderen Hilfe leistet zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 27 StGB). Dies setzt voraus, dass die Herbeiführung des Taterfolges objektiv gefördert wird, ohne dass es erforderlich ist, dass die Beilhilfe für den konkreten Erfolg ursächlich geworden ist.[87] In subjektiver Hinsicht ist doppelter Gehilfenvorsatz hins. geförderter Tat und eigener Unterstützungshandlung erforderlich, wobei der Gehilfe keine Einzelheiten der Tat kennen muss, solange er „die Dimension der Tat erfassen kann“.[88]

47

Dass auch berufstypisches „neutrales“ Verhalten, etwa durch Bankangestellte, strafbare Beilhilfe zur Steuerhinterziehung sein kann, ist spätestens durch die Leitentscheidung des BVerfG v. 23.3.1994 zu den Luxemburgverfahren „gerichtsbekannt“.[89] Obwohl als Nichtannahmebeschluss nicht mit rechtlicher Bindungswirkung ausgestattet,[90] war die Entscheidung des BVerfG in rechtstatsächlicher Hinsicht Initialzündung für umfangreiche Ermittlungen von StA und SteufA gegen deutsche Banken mit Tochtergesellschaften in Luxemburg. Daneben stellte das BVerfG in materiellrechtlicher Sicht und mit „faktischer“ Bindungswirkung[91] klar, dass auch das berufstypische „neutrale“ Verhalten eines Bankangestellten strafbare Beihilfehandlung zur Steuerhinterziehung des Kunden sein kann.[92]

48

Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat dies aufgegriffen und die Grenzen strafloser Unterstützung durch berufstypische Handlungen wie folgt gesetzt. Hat der Unterstützende, etwa der Bankangestellte, das sichere Wissen (dolus directus 2. Grades), dass sein Tatbeitrag zur Begehung einer Straftat genutzt wird, ist sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung anzusehen, da er einen Akt der „Solidarisierung“ darstellt. Hat er hingegen keine sichere Kenntnis, hält er die deliktische Verwertung seines Beitrages also lediglich für möglich (dolus eventualis), so ist sein Tatbeitrag im Grundsatz nicht als Beihilfehandlung anzusehen, es sei denn, „das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten war derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung ‚die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein‘ ließ [93] (s. auch § 370 Rn. 25).

(2) Versuch und Rücktritt

49

(a) Strafbarkeit des Versuchs, §§ 22, 23 StGB: Beim Versuch gelten die allg. Regeln. Da das Steuerstrafrecht keine Verbrechenstatbestände (mehr[94]) enthält, also Taten mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr (§ 12 Abs. 1 StGB), kommt es bei den allein vorkommenden Vergehenstatbeständen des Steuerstrafrechts für eine Strafbarkeit des Versuchs darauf an, dass diese ausdrücklich gesetzlich angeordnet ist (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 StGB). Dies ist etwa der Fall bei § 370 (Abs. 2), § 372 (Abs. 2 i.V.m. § 370 Abs. 2) und § 374 (Abs. 3) (s. § 370 Rn. 281; § 372 Rn. 26; § 374 Rn. 45.).

 

50

Eine Steuerstraftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar ansetzt (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 22 StGB), was in der Regel Handlungen verlangt, die aus Sicht des Täters bei ungestörtem Fortgang unmittelbar in die Tatbestandsverwirklichung der jeweiligen Steuerstraftat münden (Am Bsp. von § 370 s. dort Rn. 282 ff.).

51

(b) Rücktritt vom Versuch, §§ 24 StGB: Der strafbefreiende Rücktritt vom Versuch bestimmt sich nach den allg. Regeln (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 24 StGB, s. Rn. 53 ff.) und ist bei Vorliegen seiner Voraussetzungen (Rn. 52 ff.) persönlicher Strafaufhebungsgrund[95].

52

Der rechtswirksame Rücktritt vom Versuch setzt zunächst nach der Rspr. voraus, dass kein fehlgeschlagener Versuch vorliegt. Die Tat muss also objektiv noch zu vollenden sein und Täter muss dies subjektiv erkennen oder die Vollendung noch für möglich halten.[96] Setzt der StPfl. den Versuch der Steuerhinterziehung in einem Rechtsbehelfsverfahren fort, kann dies dazu führen, dass der Versuch nicht schon mit Erlass des Steuerbescheids, sondern erst mit dessen Bestandskraft als endgültig fehlgeschlagen anzusehen ist[97] (s. § 370 Rn. 289).

53

Die weiteren Anforderungen an die Rücktrittshandlung richten sich zunächst danach, ob es um die Tat eines Einzeltäters (§ 24 Abs. 1 StGB, Rn. 54) oder mehrerer Beteiligter (§ 24 Abs. 2 StGB, Rn. 55) geht.

54

Für den Rücktritt des Einzeltäters (§ 24 Abs. 1 StGB) gilt Folgendes: Für den Fall, dass es für die Tatvollendung (aus Tätersicht) noch ein Zutun des Täters braucht, genügt es für den Rücktritt, wenn der Täter die weitere Ausführung der Tat freiwillig aufgibt (sog. unbeendeter Versuch, § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB). Braucht es hingegen für die Tatvollendung (aus Tätersicht) kein Zutun des Täters mehr, dann muss der Täter zur Erlangung der Straffreiheit freiwillig die Vollendung der Tat verhindern (beendeter Versuch, § 24 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 StGB) oder, wenn die Tat unabhängig vom Täter verhindert wird, sich zumindest freiwillig und ernsthaft darum bemüht haben, die Tatvollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 1 S. 2 StGB).

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Für den Rücktritt mehrerer Beteiligter (§ 24 Abs. 2 StGB), also Mittäter oder Teilnehmer, gilt Folgendes: Straffreiheit kann erlangt werden, wenn die Vollendung der Tat freiwillig verhindert wird (§ 24 Abs. 2 S. 1 StGB), oder, wenn die Tat ohne das Zutun des Beteiligten nicht vollendet oder unabhängig von seinen Tatbeiträgen begangen wird, durch das freiwillige und ernsthafte Bemühen, die Tatvollendung zu verhindern (§ 24 Abs. 2 S. 2 StGB).

56

Das Steuerstrafrecht enthält darüber hinaus mit der strafbefreienden Selbstanzeige gem. § 371 eine zusätzlich anwendbare Sonderregelung[98], die unter bestimmten Voraussetzungen auch noch nach Vollendung und Beendigung der Tat Straffreiheit ermöglicht (Rn. 116; sowie allg. § 371 Rn. 1 ff.).

(3) Vollendung und Beendigung der Tat

57

(a) Vollendung der Tat: Der Zeitpunkt der Vollendung der Tat markiert die Grenze zum Versuch der Tat (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 22 StGB, Rn. 49 ff.), der nicht zwingend strafbar ist (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 StGB, s. Rn. 49) und stets milder bestraft werden kann (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 23 Abs. 2 StGB).

58

Die Tat ist vollendet durch den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges, was für jede Steuerstraftat (einschließlich Begehungsform: Tun/Unterlassen) und jede Steuerart gesondert zu bestimmen ist (z.B. § 370 Rn. 184 ff.).

59

Bei § 370 etwa ist Taterfolg die Bewirkung einer Steuerverkürzung oder die Erlangung eines ungerechtfertigten Steuervorteils. Verkürzt sind hier Steuern, wenn sie nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig festgesetzt worden sind (§ 370 Abs. 4). Die nicht notwendige endgültige Steuerfestsetzung (vgl. § 370 Abs. 4 S. 1) richtet sich nach der Steuerart und kann insb. Anmeldungssteuer oder Veranlagungssteuer sein.

60

Bei der Veranlagungssteuer erfolgt die Steuerfestsetzung regelmäßig durch Steuerbescheid (§§ 155, 157), z.B. bei der Einkommensteuer oder der Gewerbesteuer. Wirksam wird der Steuerbescheid durch Bekanntgabe (§ 124), die auch die Tatvollendung bewirkt.[99] Dies gilt auch dann, wenn trotz bestehender Pflichten keine Steuererklärung abgegeben wird und ein Schätzungsbescheid ergeht.[100]

61

Bei der Anmeldungssteuer erfolgt die Steuerfestsetzung nicht durch behördlichen Bescheid, sondern durch Steueranmeldung (§ 150) des StPfl. selbst (z.B. bei der Umsatzsteuer gem. § 18 Abs. 1 UStG oder der Lohnsteuer gem. §§ 38 ff. EStG). Die Steuerselbstberechnung ersetzt die Steuerfestsetzung (§ 168 S. 1), womit Tatvollendung in der Regel durch die Einreichung der Anmeldung (bzw. ihrer Unterlassung) eintritt oder, soweit dies bei Verringerungen der angemeldeten Steuern erforderlich ist, durch Zustimmung der FinB (§ 168 S. 2).[101]

62

Eine steuerrechtliche Besonderheit und eine die Vollendung vorverlagernde Wirkung hat in diesem Zusammenhang die Regelung des § 370 Abs. 4 S. 3 vor, die einen tatbestandlichen Taterfolg auch dann annimmt, wenn die Steuer aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können. Anders als etwa im Vermögensstrafrecht des StGB werden steuermindernde und steuererhöhende Gründe nicht saldiert (sog. Kompensationsverbot) (für Details s. § 370 Rn. 230 ff.).[102] Dies gilt zum Beispiel für den Fall der Saldierung von Vorsteueransprüchen mit hinterzogener Umsatzsteuer.[103] Anerkannt ist aber, dass solche steuermindernde Gründe sich bei der Strafzumessung strafmildernd auswirken können.[104]

63

Eine Ausnahme vom Kompensationsverbot anerkennt die Rspr. aber dann, wenn die angeführten Steuerminderungsgründe in einem unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Hinterziehungshandlungen stehen (s. § 370 Rn. 232).[105]

64

(b) Beendigung der Tat: Der Zeitpunkt der Beendigung der Tat entscheidet über das Ende der Möglichkeit strafbarer Beihilfe und sukzessiver Mittäterschaft sowie den Beginn des Laufs der Verfolgungsverjährung gem. § 78a StGB.

65

Beendet ist eine Tat durch den vollständigen Abschluss des tatbestandsgemäßen Verhaltens und des Vorliegens aller übrigen Voraussetzungen der Strafbarkeit.[106] Wie bei der Vollendung (Rn. 57 ff.) ist dies für jede Steuerstraftat und jede Steuerart gesondert zu bestimmen ist (für § 370 s. § 370 Rn. 184 ff.).[107]

66

Zwei Beispiele: Bei der Veranlagungssteuer fallen in der Bekanntgabe des Steuerbescheids regelmäßig Vollendung und Beendigung zusammen.[108] Bei der Anmeldungssteuer können sich Abweichungen ergeben, etwa wenn es ein mehrstufiges Verfahren von vorbereitenden und endgültigen Erklärungen gibt wie bei der Umsatzsteuer. In diesem Fall soll nach der Rspr. die Tat der Voranmeldung erst mit der Abgabe der Jahreserklärung beendet sein.[109]

(4) Vorsatz und Irrtum

67

(a) Vorsatz, § 15 StGB: Es gelten die allg. Regeln. Soweit nicht ausdrücklich fahrlässiges Verhalten unter Strafe gestellt ist, ist nur die vorsätzliche Begehung strafbar (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 15 StGB). So ist etwa die Steuerhinterziehung gem. § 370 als Vorsatztat ausgestaltet; sie wird dabei allerdings flankiert durch den bußgeldbewehrten Tatbestand der leichtfertigen, d.h. in erhöhtem Maße fahrlässigen Steuerhinterziehung (§ 378), dem insofern die Rolle als „Auffangtatbestand“ zukommt[110] (Details s. § 378 Rn. 1 ff.).

68

§ 370 setzt zumindest bedingten Vorsatz (dolus eventualis) hinsichtlich der Verwirklichung des objektiven Hinterziehungstatbestandes voraus (Details s. § 370 Rn. 259 ff.; s. auch Rn. 76).[111] Dies bedeutet nach der Rspr., dass der StPfl. im konkreten Fall den Steueranspruch nach Grund und Höhe zumindest für möglich hält (intellektuelles Vorsatzmoment) und seine Verkürzung auch billigt (voluntatives Vorsatzmoment).[112] Eine sichere Kenntnis oder eine darüber hinausgehende Hinterziehungsabsicht werden dagegen nicht verlangt.[113]

69

Der Steuerhinterziehungsvorsatz ist unter Gesamtwürdigung aller für die innere Tatseite relevanten Umstände gerichtlich festzustellen (§ 385 Abs. 1 i.V.m. § 261 StPO).[114] Maßgebliche Bedeutung erlangen hierbei äußere Umstände, aus denen das Gericht rückschließt.[115] Bei „Kaufleuten“ bspw. sei es nach dem BGH erforderlich, deren „Umgang mit den in ihrem Gewerbe bestehenden Erkundigungspflichten“ in die Würdigung einzubeziehen,[116] wobei eine „mangelnde Erkundigung“ auf „Gleichgültigkeit“ schließen lasse.[117] Dasselbe soll, so der BGH, auch für den „nicht steuerlich sachkundige(n) Steuerpflichtigen“ gelten, wenn dieser „Vertragskonstruktionen oder Geschäftsabläufe“ wähle, die von der „üblichen Geschäftsabwicklung“ abweichen.[118]

70

Vereinzelt sehen Steuerstraftaten besondere subjektive Absichten vor: z.B. die Bereicherungsabsicht bei der Steuerhehlerei gem. § 374 Abs. 1 (Details s. § 374 Rn. 38 ff.) oder Vorteilsicherungsabsicht bei § 257 StGB. Es ist jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob damit Absicht im Sinne eines zielgerichteten Willens zu verlangen ist (dolus directus 1. Grades) oder ob sicheres Wissen (dolus directus 2. Grades) ausreicht.

 

71

(b) Tatbestandsirrtum, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB: Wer bei Tatbegehung einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt ohne Vorsatz (vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum, § 369 Abs. 2 i.V.m. § 16 Abs. 1 S. 1 StGB, zu Irrtumskonstellationen s. Rn. 73 ff.; zum Verbotsirrtum gem. § 17 StGB s. Rn. 88 ff.).

72

Kommt es zum Vorsatzausschluss, ist an eine Haftung aus anderen Gesetzen zu denken. Hierzu gehört wegen § 377 Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 OWiG auch die bußgeldbewehrte Ahndung als leichtfertige Steuerverkürzung gem. § 378.[119]

73

Vorsatzausschließend ist nach allg. Meinung der Irrtum über das Bestehen eines Steueranspruchs,[120] etwa wegen Unkenntnis des insoweit verkürzten Steueranspruchs oder auch wegen Annahme eines vermeintlich kompensierenden Erstattungsanspruchs.[121]

74

Ob auch der Irrtum über den Umfang einer steuerlichen Pflicht den Vorsatz ausschließt, oder ob dieser nur als Verbotsirrtum gem. § 17 StGB (Rn. 88 ff.) zu behandeln ist, ist umstritten.[122]

75

Kein vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum, sondern nur ein Verbotsirrtum ist der Irrtum über das Bestehen einer steuerrechtlichen Erklärungspflicht (Rn. 86).[123]

76

Kein Raum für einen Irrtum besteht nach der Rspr. aber dann, wenn sich aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände ergibt, dass der Täter mit bedingtem Hinterziehungsvorsatz gehandelt hat, indem dieser zwar das Bestehen einer steuerlichen Pflicht für möglich gehalten hat, sich aber gleichwohl mit dem Eintritt des durch ihn bewirkten Steuerverkürzungserfolges abgefunden hat.[124]

77

(c) Fahrlässigkeitsstrafbarkeit: Fahrlässige Steuerstraftaten kennt das Steuerstrafrecht nicht, allerdings können die Steuerordnungswidrigkeiten gem. §§ 378–382 fahrlässig begangen werden.[125] Besondere Bedeutung kommt hier insb. der leichtfertigen Steuerhinterziehung gem. § 378 zu (s. dort).[126]

(5) Rechtswidrigkeit; Schuld

78

(a) Rechtfertigung: Die Rechtswidrigkeit richtet sich nach allg. Regeln, ist also in der Regel gegeben, wenn der gesetzliche Tatbestand erfüllt ist (Indizwirkung des Tatbestands). Rechtfertigungsgründe spielen üblicherweise keine Rolle im Steuerstrafrecht.[127]

79

(aa) Behördliche Äußerungen: Eine der behördlichen Genehmigung aus dem Umweltstrafrecht vergleichbare Regelung, die eventuell das Unrecht ausschließt, kennt das Steuerstrafrecht nicht.[128]

80

Nicht endgültige Entscheidungen über den Steueranspruch, wie etwa die Zustimmung zur Erstattung von Umsatzsteuer (§ 168 S. 2), bewirken keinen Ausschluss der Strafbarkeit wegen einer Steuerstraftat. Dies gilt nach der Rspr. selbst dann, wenn die FinB trotz Kenntnis der „für die zutreffende Besteuerung bedeutsamen Tatsachen“ aus „ermittlungstaktischen Erwägungeneine materiell unrichtige Zustimmung zur Erstattung von Umsatzsteuer abgeben, um die Ermittlungen „zur Aufdeckung und Zerschlagung eines groß angelegten Umsatzsteuerhinterziehungssystems“ nicht zu gefährden.[129] Das Nichteinschreiten der Behörden soll auch keine strafmildernden Wirkungen auf Strafzumessungsebene haben.[130]

81

Die im Besteuerungsverfahren zulässigen Vereinbarungen zwischen StPfl. und FinB über den steuerlichen Sachverhalt (sog. tatsächliche Verständigung)[131] entfalten ebenfalls keine Bindungswirkung für ein eventuell nachfolgendes Steuerstrafverfahren.[132]

82

Der nachträgliche Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis aus Billigkeitsgründen (§ 227) bewirkt keinen Ausschluss der Strafbarkeit wegen einer Steuerstraftat, dürfte aber entsprechend den allg. Regeln zur nachträglichen Genehmigung im Vermögensstrafrecht auf Ebene der Strafzumessung Berücksichtigung finden.[133]

83

(bb) Wirtschaftliche Notlagen: Die Verhinderung wirtschaftlicher Notlagen, etwa der Schutz der eigenen wirtschaftlichen Existenz oder der Schutz von Arbeitsplätzen, rechtfertigt grundsätzlich keine Steuerstraftat.[134] Eine Rechtfertigung wegen rechtfertigenden Notstands (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 34 StGB) scheitert bereits an der Erforderlichkeit der Notstandshandlung i.S.v. § 34 S. 1 StGB, da die Rechtsordnung besondere Verfahren vorhält, um Notlagen abzumildern.[135] So sind bei drohender finanzieller Leistungsunfähigkeit vorrangig die Möglichkeiten der AO zu nutzen wie z.B. Stundung (§ 222) oder Erlass (§ 227).[136]

84

(cc) Geltendmachung von Ermäßigungsgründen: Auch das Bestehen von Ermäßigungsgründen gibt dem StPfl. nicht das Recht, eigenmächtig die Steuerschuld zu saldieren (etwa durch Verrechnung hinterzogener Umsatzsteuer mit Vorsteueransprüchen). Anders als etwa im Vermögensstrafrecht des StGB werden steuermindernde und steuererhöhende Gründe nicht saldiert (sog. Kompensationsverbot, vgl. § 370 Abs. 4 S. 3 sowie Rn. 62 f.).

85

(dd) Die Besteuerung sitten- und gesetzwidriger Geschäfte: Eine Besonderheit des Steuerrechts stellt es dar, dass auch sitten- und gesetzwidrige Geschäfte der Steuerpflicht unterliegen (vgl. § 40).[137] Dies hat zur Folge, dass auch Einkünfte aus strafbaren Handlungen der Besteuerung unterfallen und den FinB gegenüber zu erklären sind, soweit sie einen Besteuerungstatbestand erfüllen.[138] So sind bspw. auch Erträge aus dem verbotenem Handel mit Betäubungsmitteln,[139] aus verbotener Prostitution[140] oder auch einer verbotenen Lotterie[141] zu versteuern.[142] Dies stellt nach allg. Meinung keinen Widerspruch zum Gebot der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung dar, da damit gerade eine steuerliche Privilegierung sittenwidrigen oder rechtswidrigen Verhaltens verhindert werden soll[143] (zur Gefahr der Selbstbelastung s. Rn. 86 f.).

86

(ee) Gefahr der Selbstbelastung: Soweit der StPfl. in Erfüllung einer steuerlichen Erklärungspflicht[144] Tatsachen offenbart, die die Verfolgung einer Straftat rechtfertigen, die keine Steuerstraftat ist, dürfen diese im Grundsatz nicht zu Lasten des StPfl. „verwendet“ werden (Beweisverwendungs- bzw. -verwertungsverbot, § 393 Abs. 2 S. 1).[145]

87

Eine ausnahmsweise Verwendung bzw. Verwertung soll allerdings gem. § 393 Abs. 2 S. 2 möglich sein, wenn ein zwingendes öffentliches Interesse i.S.v. § 30 Abs. 4 Nr. 5 besteht[146] (Details s. § 393 Rn. 72 ff).

88

(b) Schuldausschluss

(aa) Verbotsirrtum, § 17 StGB: Ein Schuldausschluss wegen Verbotsirrtums kommt in Betracht, wenn dem Täter bei der Begehung der Tat die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun (§ 369 Abs. 2 i.V.m. § 17 S. 1 StGB), was etwa bei einem Irrtum über das Bestehen einer steuerrechtlichen Erklärungspflicht[147] der Fall sein kann.

89

Konnte der Täter den Irrtum ausnahmsweise nicht vermeiden, so handelte er ohne Schuld (§ 17 S. 1 StGB); anderenfalls kann die Strafe lediglich nach § 49 Abs. 1 fakultativ gemildert werden (§ 17 S. 2 StGB).

90

An die Unvermeidbarkeit eines Irrtums i.S.v. § 17 StGB stellt die Rechtsprechung hohe Anforderungen.[148] Vermeidbar und damit dem Täter vorwerfbar ist der Verbotsirrtum, wenn der Täter trotz einer ihm nach dem Umständen des Einzelfalles und seinem Lebens- und Berufskreis zuzumutenden Gewissensanspannung[149] nicht in der Lage war, das Unrecht der Tat zu erkennen.

91

Aufkommenden Zweifeln hat der Täter nachzugehen, ggf. auch mittels Einholung externen sachkundigen Rats.[150] Das Vertrauen auf die Rechtsauskunft eines zuverlässigen, sachkundigen und unbefangenen Experten (etwa des Hausjuristen[151]) oder die Zusicherungen des zuständigen Mitarbeiters einer Behörde[152] kann den Irrtum unvermeidbar machen. Derartiges entbindet allerdings den StPfl. nach der Rspr. nicht völlig von der kritischen Prüfung und einer etwaig notwendigen erneuten Auskunftseinholung.[153]

92

Auch verbindlich erteilte Auskünfte der FinB, etwa über die steuerliche Behandlung eines in der Zukunft liegenden Besteuerungstatbestands (§ 89 Abs. 2),[154] wird man zu den vertrauenswürdigen Auskünften zählen können, wenn und soweit keine oder nur unwesentliche Abweichungen des Sachverhalts vorliegen (§ 2 Abs. 1 StAuskV) und der StPfl. darauf vertraut.

93

Beim Vertrauen auf die Beständigkeit einer gefestigten Rspr. besteht zwar kein Irrtum im engeren Sinne, insofern der Täter die zum Tatzeitpunkt geltende Rechtslage kennt, doch dürfte jedenfalls dann eine dem unvermeidbaren Verbotsirrtum vergleichbare Situation anzunehmen sein, wenn die Änderung der gefestigten Rspr. mit „Rückwirkungsanspruch“ auftritt.[155]

94

(bb) Fehlende oder verminderte Schuldfähigkeit, § 20, 21 StGB: Wie im allgemeinen Strafrecht kann es auch im Zusammenhang mit Steuerdelikten Konstellationen geben, bei denen es zweifelhaft ist, ob der Täter zum Zeitpunkt der Tatbegehung in der Lage war, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.[156] Als mögliche Ursachen fehlender oder verminderter Schuldfähigkeit kommen z.B. in Betracht: erhebliche Intelligenzschwäche, Demenz, Spielsucht, Alkoholabhängigkeit.