Fiskalstrafrecht

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Anmerkungen

[1]

Meyer-Goßner/Schmitt § 161 Rn. 7; BVerfG NStZ 1996, 45.

[2]

H.M., bejahend LG Koblenz wistra 2002, 359 f.; LG Lübeck NJW 2000, 3148; verneinend LG Berlin WM 1984, 772.

[3]

Kohlmann/Hilgers-Klautzsch § 400 Rn. 59 f.

[4]

Liebsch/Reifelsberger wistra 1993, 325, 328.

4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten › IV. Befugnisse der Finanzbehörde im unselbstständigen Ermittlungsverfahren

IV. Befugnisse der Finanzbehörde im unselbstständigen Ermittlungsverfahren

25

Nach § 386 Abs. 1 S. 1 AO ermittelt die FinB Bei dem Verdacht einer Steuerstraftat . . . den Sachverhalt. Damit erhält die FinB eine allgemeine, mithin eine unselbstständige Ermittlungsbefugnis (vgl. hierzu auch Rn. 46 ff.). Aufgrund der Gesetzessystematik ist § 386 Abs. 1 AO als Regel anzusehen, der Abs. 2 der Vorschrift als Ausnahme. In der Praxis ist dies erfahrungsgemäß aber umgekehrt.

26

Kommt es im Laufe der steuerstrafrechtlichen Ermittlungen zu einem Anfangsverdacht eines Allgemeindeliktes oder einer Nichtsteuerstraftat (§ 152 Abs. 2 StPO), z.B. einer Urkundenfälschung gem. § 267 StGB, führt dieses Zusammentreffen des Verdachtes eines Allgemeindeliktes mit dem einer Steuerstraftat kraft Gesetz zu einer Zuständigkeitsüberleitung auf die StA. In einem derartigen Fall stellt die Tat nicht mehr ausschließlich eine Steuerstraftat dar (§ 386 Abs. 2 Nr. 1 AO). Der Begriff der Tat ist hier als Tat im prozessualen Sinne nach § 264 StPO zu verstehen.[1] Die FinB, d.h. auch die BuStra, verliert ihre selbstständige Ermittlungsbefugnis mit der Folge, dass ihr nunmehr als Ermittlungsperson der StA (nur noch) die polizeilichen Befugnisse nach § 402 Abs. 1 i.V.m. § 399 Abs. 2 S. 2 AO zustehen. Die FinB behält in diesen Fällen hinsichtlich der verbleibenden Steuerstraftat aber die allgemeine Ermittlungsbefugnis nach § 386 Abs. 1 S. 1 AO sowie die Anordnungsbefugnis für alle Maßnahmen, die geeignet sind, die Verdunkelung der Tat zu verhindern (§ 163 Abs. 1 StPO).

27

Wie weit die FinB oder die Steufa ihre Ermittlungen im Rahmen ihrer allgemeinen Ermittlungsbefugnis, ggf. im Auftrag der StA, auch auf eine Nichtsteuerstraftat erstrecken darf, ist umstritten.[2] Bejaht man eine Ermittlungsbefugnis der FinB auch hinsichtlich der Nichtsteuerstraftat, hätte dies zur Folge, dass Ermittlungsmaßnahmen der FinB verjährungsunterbrechende Wirkung (§ 78c Abs. 1 StGB) auch hinsichtlich der Nichtsteuerstraftat entfalten. Stellen das Steuerdelikt und das Allgemeindelikt eine prozessuale Tat dar, führt ein rechtskräftiger Verfahrensabschluss des Steuerdeliktes zu einem Strafklageverbrauch in Bezug auf das Allgemeindelikt. Der BGH und das OLG Braunschweig bejahen eine unselbstständige Ermittlungskompetenz der FinB auch für das Allgemeindelikt.[3] Nach Ansicht des BGH bestehen keine Bedenken gegen eine Ermittlungskompetenz der FinB, wenn das Allgemeindelikt mit dem Steuerdelikt in materieller Tateinheit (§ 52 StGB) stehe. Das OLG Braunschweig nimmt die unselbstständige Ermittlungsbefugnis bereits dann an, wenn das Allgemeindelikt mit dem Steuerdelikt zwar in materieller Tatmehrheit (§ 53 StGB) konkurriere, aber eine prozessuale Tat i.S.d. § 264 StPO gegeben sei (vgl. Rn. 89).

28

In der Praxis sollte die FinB in jedem Fall so frühzeitig wie möglich Kontakt mit der StA aufnehmen, um die weiteren Ermittlungsschritte hinsichtlich des Allgemeindeliktes abzustimmen, denn die Ermittlungskompetenz der FinB folgt nunmehr aus § 386 Abs. 1 S. 1 AO. Erfahrungsgemäß werden Allgemeindelikte von besonderer Bedeutung und gewissem Umfang aus dem Steuerstrafverfahren durch die StA abgetrennt und in einem gesonderten Verfahren unter einem neuen Js-Aktenzeichen (weiter)verfolgt. Ebenso besteht seitens der StA die Möglichkeit nach einer (Verfahrens-)Abtrennung des Allgemeindeliktes, eine (Verfolgungs-)Beschränkung nach § 154a Abs. 1 StPO zu verfügen und die Steuerstraftat im Einvernehmen mit der FinB an diese zurückzugeben. In diesen Fällen ermittelt die FinB den Verfahrenskomplex der Steuerstraftat selbstständig aus und schließt ihn auch eigenständig ab (§ 386 Abs. 2 AO, s. hierzu auch Rn. 44). Sollte die StA den abgetrennten Verfahrenskomplex nicht vorläufig eingestellt haben, ist vor dem Hintergrund des Strafklageverbrauchs in jedem Fall eine Abstimmung der beteiligten Behörden ratsam.

Anmerkungen

[1]

BGH NJW 1991, 3227.

[2]

Kohlmann/Peters § 386 Rn. 95 f.; Franzen/Gast/Joecks/Randt § 386 Rn. 26 f.

[3]

BGH wistra 1990, 59; OLG Braunschweig wistra 1998, 71; vgl. auch hierzu Sediqi wistra 2017, 259, 260.

4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten › V. Überleitung der Ermittlungsbefugnis auf die Staatsanwaltschaft nach § 386 Abs. 3 und Abs. 4 AO

V. Überleitung der Ermittlungsbefugnis auf die Staatsanwaltschaft nach § 386 Abs. 3 und Abs. 4 AO

4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten › V. Überleitung der Ermittlungsbefugnis auf die Staatsanwaltschaft nach § 386 Abs. 3 und Abs. 4 AO › 1. Haft- und Unterbringungssachen (§ 386 Abs. 3 AO)

1. Haft- und Unterbringungssachen (§ 386 Abs. 3 AO)

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Nach § 386 Abs. 3 AO geht die selbstständige Ermittlungsbefugnis der FinB kraft Gesetz auf die StA über, sobald gegen einen Beschuldigten wegen einer Steuerstraftat ein Haft- oder Unterbringungsbefehl erlassen wird. Die BuStra oder Steufa können nach h.M. den Antrag auf Erlass eines Haft- oder Unterbringungsbefehls nicht selbstständig beim Ermittlungsrichter stellen.[1] In der Praxis wird die Entscheidung, ob ein Haftbefehlsantrag gestellt werden soll, von der StA getroffen (Nr. 22 Abs. 1 Ziff. 2 AStBV). Die Beamten der Steufa und BuStra können jedoch bei Gefahr im Verzug und Vorliegen entsprechender Haftgründe gem. § 112 StPO eine vorläufige Festnahme durchführen (Nr. 73 Abs. 2 AStBV).[2] Mit Erlass eines Haft- oder Unterbringungsbefehls erlischt die Zuständigkeit der FinB. Wird der Haft- oder Unterbringungsbefehl gem. § 120 StPO wieder aufgehoben, verbleibt nach einhelliger Auffassung die Zuständigkeit bei der StA.[3] Die FinB hat in diesen Fällen nur die Rechte und Pflichten der Behörden des Polizeidienstes und die Befugnisse nach § 399 Abs. 2 S. 2 AO (Nr. 20 AStBV). Ob die Strafsache nach § 386 Abs. 4 S. 3 AO wieder an die FinB zurückgegeben werden kann, ist streitig, müsste jedoch mit Blick auf die gem. § 386 Abs. 4 S. 1 und 2 AO ausdrücklich geregelten Fälle abgelehnt werden.[4]

Anmerkungen

[1]

Kohlmann/Peters § 386 Rn. 107.

[2]

Kohlmann/Peters § 386 Rn. 107.

[3]

Kohlmann/Peters § 386 Rn. 109.

[4]

Kohlmann/Peters § 386 Rn. 109.

4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten › V. Überleitung der Ermittlungsbefugnis auf die Staatsanwaltschaft nach § 386 Abs. 3 und Abs. 4 AO › 2. Zuständigkeitsüberleitungen von der Finanzbehörde auf die Staatsanwaltschaft (§ 386 Abs. 4 AO)

2. Zuständigkeitsüberleitungen von der Finanzbehörde auf die Staatsanwaltschaft (§ 386 Abs. 4 AO)

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Nach § 386 Abs. 4 AO stehen der FinB zwei Möglichkeiten zur Verfügung, die Zuständigkeit für die Steuerstrafsache auf die StA überzuleiten (sog. fakultative Zuständigkeitsüberleitung):


Abgabe an die StA (§§ 386 Abs. 4 S. 1, 400 HS. 2 AO, Nr. 22 und Nr. 89 AStBV),
Evokation durch die StA (§ 386 Abs. 4 S. 2 AO, Nr. 22 Abs. 2 und Nr. 140 Abs. 1 AStBV).

31

 

Die StA hat in beiden Fällen die Möglichkeit gem. § 386 Abs. 4 S. 3 AO, die Steuerstrafsache im Einvernehmen an die FinB zurückzugeben (Rückgabe der Strafsache).

a) Abgabe der Steuerstrafsache an die Staatsanwaltschaft

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Die Entscheidung über die Abgabe der Steuerstrafsache an die StA steht im pflichtgemäßen Ermessen der FinB. Sie darf nicht willkürlich sein.

Welche Gründe aus Sicht der Finanzverwaltung insbesondere zu einer unverzüglichen Abgabe führen, hat der Erlassgeber in Nr. 22 AStBV geregelt Danach wird eine unverzügliche Abgabe in Betracht kommen, wenn


eine Maßnahme der Telekommunikationsüberwachung (Nr. 22 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 74 AStBV) beantragt werden soll,
die Anordnung der Untersuchungshaft (§§ 112, 113 StPO) geboten erscheint (Nr. 22 Abs. 1 Nr. 2),
die Strafsache besondere verfahrensrechtliche Schwierigkeiten aufweist (Nr. 22 Abs. 1 Nr. 3),
der Beschuldigte außer einer Steuerstraftat (Nr. 18 AStBV) oder gleichgestellten Straftat (Nr. 19 AStBV) noch eine andere prozessuale selbstständige Straftat begangen hat und die Taten in einem einheitlichen Ermittlungsverfahren verfolgt werden sollen (Nr. 22 Abs. 1 Nr. 4),
eine Freiheitsstrafe zu erwarten ist, die nicht im Strafbefehlsverfahren geahndet werden kann (Nr. 22 Abs. 1 Nr. 5 AStBV), mithin eine Freiheitsstrafe von über einem Jahr oder eine solche ohne Bewährung droht,
gegen Mitglieder des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages und der gesetzgebenden Körperschaften der Länder (Nr. 151 AStBV),
Diplomaten und andere bevorrechtigte Personen (Nr. 152 AStBV),
Streitkräfte anderer Staaten (Nr. 153 AStBV),
Jugendliche, Heranwachsende, vermindert Schuldfähige (Nr. 154 AStBV) ermittelt wird (Nr. 22 Abs. 1 Nr. 6) oder
ein Amtsträger der Finanzverwaltung der Beteiligung verdächtig ist (Nr. 22 Abs. 1 Nr. 7 AStBV).

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Nach Nr. 22 Abs. 2 AStBV kann aber auch die Größenordnung des zu erwartenden Steuerschadens, die Persönlichkeit oder Stellung des Beschuldigten sowie der Sachzusammenhang mit anderen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren eine Abgabe rechtfertigen. Allein die Tatsache, dass nach den Ermittlungen ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO vorliegt, führt nicht zwangsläufig zur Abgabe. Auch die Ankündigung des Beschuldigten, dass er gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegen werde, rechtfertigt für sich keine Abgabe an die StA. Entscheidend ist vielmehr der insgesamt ermittelte Steuerschaden, der im Millionenbereich angesichts der Rechtsprechung des 1. Strafsenates des BGH einen Verfahrensabschluss in Form der Anklageerhebung unerlässlich macht.[1]

Neben den in Nr. 22 AStBV geregelten Abgabegründen können aber auch besondere Probleme allg. strafrechtlicher Art wie z.B. Fragen der Zurechnungsfähigkeit, Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder ein persönlicher oder sachlicher Zusammenhang mit einem bei der StA bereits anhängigen Verfahren zu einer Abgabe an die StA führen.[2]

34

Zu welchem Zeitpunkt eine Abgabe an die StA erfolgt, liegt ebenfalls im Ermessen der FinB. D.h. sie kann grundsätzlich „jederzeit“ abgeben. Die Form der Abgabe ist nicht vorgeschrieben. Sie erfolgt aber in der Regel in Form eines ausführlichen zusammenfassenden Berichts oder Vermerks aus dem das bisherige Ergebnis der Ermittlungen der Steufa und BuStra hervorgeht (Nr. 89 AStBV). Durch die Abgabe an die örtlich und sachlich für Wirtschaftsstrafsachen zuständige StA (§ 143 Abs. 1, Abs. 4 GVG) geht die Ermittlungszuständigkeit kraft Gesetz auf die StA über.[3] Diese ist verpflichtet das Verfahren zu übernehmen.[4]

35

Dem Wortlaut des § 386 Abs. 4 S. 3 AO lässt sich entnehmen, dass das Verfahren nur im Einvernehmen wieder an die FinB zurückgegeben werden kann. Nach Abgabe der Strafsache an die StA verliert die FinB ihre selbstständige Ermittlungsbefugnis. Sie behält jedoch die bereits beschriebenen polizeilichen Befugnisse sowie die Beteiligungsrechte nach §§ 403, 407 AO (vgl. Rn. 11, 49 ff.). Ab diesem Zeitpunkt entscheidet die StA über weitere Ermittlungsmaßnahmen und trifft verfahrensabschließende Entscheidungen unter Beachtung der genannten Beteiligungsrechte.

36

Die Abgabe der Steuerstrafsache an die StA hat auch zur Folge, dass ein Steuerberater nur noch gemeinsam mit einem Rechtsanwalt oder Hochschullehrer als Verteidiger auftreten darf (§ 392 Abs. 1 AO), sofern er nicht gem. § 138 Abs. 2 StPO als alleiniger Verteidiger nach Genehmigung durch das Gericht zugelassen wird. Dies ist der Besonderheit geschuldet, dass nach § 392 AO (vgl. auch Nr. 32 Abs. 1 AStBV) in Steuerstrafsachen neben Rechtsanwälten und Rechtslehrern auch Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer als alleinige Verteidiger auftreten können, solange die FinB das Ermittlungsverfahren gem. § 386 Abs. 2 AO selbstständig durchführt bzw. die FinB nach den §§ 385 ff. AO die Aufgabe der StA als Strafverfolgungsbehörde wahrnimmt.[5] Auch den Einspruch gegen einen von der FinB beantragten Strafbefehl darf ein Angehöriger der steuerberatenden Berufe für seinen Mandanten noch selbstständig einlegen, da die Einlegung des Einspruchs auch durch einen Vertreter bewirkt werden könnte.[6] Erst wenn die StA oder das Gericht sich mit der Steuerstrafsache inhaltlich befassen bzw. auseinandersetzen müssen endet die Befugnis der Alleinverteidigung.[7]

37

Da die Abgabe einer Steuerstrafsache durch die Vorschrift § 386 Abs. 2 und § 386 Abs. 4 S. 1 AO ausdrücklich vorgesehen ist, bestehen im Hinblick auf das Steuergeheimnis sowohl nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 als auch nach Nr. 2 AO keine Bedenken. Anders verhält es sich bei Erkenntnissen über Nichtsteuerstraftaten. Diese dürfen nur bei Vorliegen der Voraussetzungen gem. § 30 Abs. 4 Nr. 4 und Nr. 5 AO an die StA weitergegeben werden (vgl. Rn. 42).

b) Evokation der Steuerstrafsache durch die Staatsanwaltschaft

38

Nach § 386 Abs. 4 S. 2 AO kann die StA ein Steuerstrafverfahren, das die FinB als selbstständige Ermittlungsbehörde führt, jederzeit an sich ziehen.[8] In diesem Fall steht die Evokation im pflichtgemäßen Ermessen der StA. Das umfassende Evokationsrecht bildet das Pendant zur Abgabebefugnis und ist nicht durch Verwaltungsvorschriften einschränkbar.[9] Nach h.M. kann die StA auch noch von ihrem Recht gem. § 386 Abs. 4 S. 2 AO Gebrauch machen, wenn die FinB einen Strafbefehlsantrag gestellt hat und in diesem Zusammenhang Unstimmigkeiten mit dem Gericht bspw. wegen der Begründetheit des Antrages bestehen.[10] Solange also die FinB gem. §§ 386 Abs. 2, 399, 400, 406 AO als selbstständige Ermittlungsbehörde handelt, kann die StA die Steuerstrafsache evozieren. Eine zeitliche Begrenzung des Evokationsrechts auf das Ermittlungsverfahren ist angesichts der umfangreichen prozessualen Rechte der StA nicht anzunehmen. Eine Evokation kommt insbesondere in Betracht, wenn die Steuerstraftat mit einer anderen Straftat des Beschuldigten gem. § 3 StPO zusammenhängt, sie von besonderer Bedeutung ist und/oder einen besonderen Umfang erreicht, oder gegen den Beschuldigten bereits in einer anderen Sache ermittelt wird und eine gemeinsame Anklage der Taten für zweckmäßig erachtet wird.

39

Die Evokation als solche kann ausdrücklich z.B. durch Anforderung der Ermittlungsakte und Eintragung der Sache als Js-Sache mittels einer Verfügung, dass die Sache evoziert werde, oder durch konkludentes Verhalten geschehen. Danach kann die StA entweder die Ermittlungen selbst einleiten oder in einem laufenden Ermittlungsverfahren selbst eine Ermittlungsmaßnahme z.B. eine staatsanwaltschaftliche Zeugenvernehmung durchführen. Weder der Beschuldigte noch die FinB können sich gegen die Ausübung des Evokationsrechts mittels eines förmlichen Rechtsbehelfs zur Wehr setzen.[11] Dies ergibt sich bereits aus der „umfassenden“ Ermittlungskompetenz der StA, welche durch die Ausnahmeregelung des § 386 Abs. 2 AO (selbstständige Ermittlungskompetenz der FinB) seine Bestätigung findet.

40

Die Ausübung des Evokationsrechts setzt voraus, dass die StA von der Steuerstrafsache Kenntnis erlangt (vgl. hierzu Nr. 140 Abs. 1 AStBV). Eine gesetzliche oder generelle Verpflichtung der Unterrichtung der StA besteht nicht.[12] Erfahrungsgemäß beanspruchen die Ermittlungen umfangreicher Steuerstrafverfahren angesichts ihrer Komplexität oftmals einen langen Zeitraum. In der Praxis sollte im Sinne einer effektiven Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität eine enge Zusammenarbeit zwischen der FinB und der StA angestrengt bzw. angestrebt werden. Tatsächlich hängt die Art und Weise der Zusammenarbeit vom Engagement der jeweils zuständigen Beamten ab. Auch mit Blick auf die Vollstreckungslösung des Großen Strafsenats des BGH 17.1.2008 – GSSt 1/07, sollte eine möglichst frühzeitige Unterrichtung der StA erfolgen, um Verfahrensabläufe rechtzeitig einsteuern und optimieren zu können.[13]

41

Die FinB hat die Zusammenarbeit mit der StA ihrerseits ausdrücklich in Nr. 140 Abs. 1 AStBV geregelt. Danach soll die Zusammenarbeit durch regelmäßige Kontaktgespräche gefördert werden. Gegenstand dieser Gespräche sollen sowohl die an die StA abzugebenden oder von dieser zu übernehmenden Strafsachen als auch Erwägungen einer einheitlichen Strafzumessungspraxis sein (vgl. auch RiStBV Nr. 267 Abs. 2). Die Bearbeitung einer Steuerstrafsache im Benehmen mit der StA ist in jedem Fall angezeigt, wenn eine Übernahme durch die StA trotz einer bei ihr anhängigen Zusammenhangstat nicht erfolgt (Nr. 140 Abs. 3, Nr. 22 Abs. 1 Nr. 4 AStBV). Die FinB ist angesichts des ausdrücklich geregelten Evokationsrechts der StA nach § 386 Abs. 4 S. 2 AO und der Möglichkeit der Abgabe der Steuerstrafsache nach § 386 Abs. 4 S. 1 AO nicht durch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) an der Unterrichtung oder Übersendung der Akten an die StA gehindert, soweit es sich um ausschließliche Steuerstraftaten i.S.d. § 369 AO oder gleichgestellte Straftaten handelt und die bereits geschilderten Abgabegründe gegeben sind.[14] Sowohl die Abgabe als auch die Evokation dienen gerade der Verfolgung der Steuerstraftat nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO.

42

Erlangt die FinB Erkenntnisse über nichtsteuerliche Straftaten, die nicht tateinheitlich mit dem Steuerdelikt verwirklicht wurden, ist eine Mitteilung oder Offenbarung an die StA nur in den Grenzen des § 30 Abs. 4 und 5 AO sowie des § 393 AO möglich.

43

Hat die StA die Steuerstrafsache übernommen, verliert die FinB bzw. BuStra ihre selbstständige Ermittlungskompetenz i.S.d. § 386 Abs. 2 AO. Sie behält jedoch ihre polizeilichen Rechte nach § 402 Abs. 1 AO sowie ihre Beteiligungsrechte nach § 403 und § 407 AO (vgl. Rn. 11 f., 46 ff., 48, 49 ff., 55 ff.). Der Beschuldigte erhält nach Übernahme des Steuerstrafverfahrens durch die StA eine Mitteilung über die fakultative Zuständigkeitsänderung, sofern ihm die Einleitung des Strafverfahrens bereits bekanntgegeben worden ist. Welche Folgen sich für die FinB nach Abgabe der Steuerstrafsache an die StA ergeben, wird unter Rn. 46 ff. dargestellt.