Fiskalstrafrecht

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Anmerkungen

[1]

Meyer-Goßner/Schmitt § 160 b Rn. 3.

[2]

Meyer-Goßner/Schmitt § 258 Rn. 4 ff.

[3]

Meyer-Goßner/Schmitt § 258 Rn. 18, § 397 Rn. 10.

[4]

Hübschmann/Hepp/Spitaler/Tormöhlen § 407 Rn. 34; Franzen/Gast/Joecks § 407 Rn. 9.

[5]

Franzen/Gast/Joecks § 407 Rn. 15 f.; Kohlmann/Hilgers-Klautzch § 407 Rn. 8.

[6]

LG Dresden NJW 1998, 3509 f.

[7]

Kohlmann/Hilgers-Klautzsch § 407 Rn. 22; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Tormöhlen § 407 Rn. 36.

[8]

Franzen/Gast/Joecks § 407 Rn. 20.

[9]

BayObLG NStZ-RR 1996, 145 f.; Hübschmann/Hepp/Spitaler/Tormöhlen § 407 Rn. 38.

4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten › VII. Besonderheiten bei Steuerstrafverfahren

VII. Besonderheiten bei Steuerstrafverfahren

61

Die im Folgenden dargestellten Besonderheiten im Steuerstrafverfahren orientieren sich an der Praxis und erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten › VII. Besonderheiten bei Steuerstrafverfahren › 1. Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren

1. Besteuerungsverfahren und Steuerstrafverfahren

62

Neben der Doppelfunktion der Steufa (vgl. Rn. 4, 7 f.), dem Durchsichtsrecht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen nach § 404 S. 2 AO (vgl. Rn. 64), der Verteidigerstellung des Steuerberaters (vgl. Rn. 36), dem Wegfall des Erstbefragungsrechts (vgl. Rn. 10), der unmittelbaren Anforderung von Bankauskünften durch die Steufa (vgl. Rn. 13) sowie der Ermittlungsmöglichkeit der FinB im gesamten Bundesgebiet (vgl. Rn. 12) ist eine weitere Besonderheit im Steuerstrafverfahren, dass das Besteuerungsverfahren und das Strafverfahren parallel nebeneinander weiterlaufen (vgl. Nr. 16 AStBV). In beiden Verfahren hat der Beschuldigte unterschiedliche Rechte und Pflichten (§ 393 Abs. 1 S. 1 AO). Im Besteuerungsverfahren ist der Beschuldigte nach Einleitung des Strafverfahrens gem. § 90 AO weiterhin zur Mitwirkung verpflichtet. Dies steht dem im Strafverfahren geltenden Nemo-tenetur-Prinzip, wonach sich niemand selbst belasten muss, entgegen. Nach § 393 Abs. 1 S. 2 AO ist der Beschuldigte trotz des laufenden Ermittlungsverfahrens weiterhin zur Mitwirkung verpflichtet, jedoch können keine Zwangsmittel gem. §§ 328 ff. AO (Zwangsgeld, Ersatzvornahme und unmittelbarer Zwang) eingesetzt werden, wenn die Mitwirkung zu einer Selbstbelastung führen würde. Dies führt im Ergebnis dazu, dass der Beschuldigte zwar tatsächlich ein Mitwirkungs- oder Auskunftsverweigerungsrecht hat, aber die ggf. nachteilige steuerrechtliche Folge der Schätzung gem. § 162 AO hinnehmen muss.[1]

63

Nachdem dem Steuerpflichtigen die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens bekannt gegeben wurde, wird eine wegen des Verdachts eines Steuerdelikts unterbrochene BP fortgesetzt, die nicht selten wegen des oben unter Rn. 62 beschriebenen Dilemmas mit einer im Besteuerungsverfahren ungünstigen Hinzuschätzung gem. § 162 AO endet.[2] In einem Steuerstrafverfahren ist eine Schätzung von Besteuerungsgrundlagen zulässig, wenn feststeht, dass der Steuerpflichtige einen Besteuerungstatbestand erfüllt hat, die tatsächlichen Besteuerungsgrundlagen aber ungewiss sind.[3] Eine Schätzung darf jedoch in keinem Fall Sanktionscharakter aufweisen. Eine Hinzuschätzung mit Sanktionscharakter ist wegen der dem Beschuldigten zustehenden Mitwirkungsverweigerung unzulässig.[4] Schätzungen müssen sachgerecht und angemessen sein, d.h. sie müssen den wahrscheinlichsten Besteuerungstatbestand widerspiegeln. Eine pauschale Schätzung, auch unter Heranziehung der Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen,[5] kann erst dann Anwendung finden, wenn sich eine konkrete Ermittlung oder Schätzung der tatsächlichen Umsätze von vorneherein oder nach entsprechenden (darzulegenden) Berechnungsversuchen als nicht möglich und fehlerbehaftet erweist.[6] Nach Anforderung der Rspr. müssen aber auch bei dieser Schätzungsmethode die festgestellten Umstände des Einzelfalles mit in den Blick genommen werden. Ein Tatgericht muss sich bei der Beweiswürdigung zum Rohgewinnaufschlagsatz einerseits nicht zugunsten des Angeklagten an den unteren Werten der Richtsatzsammlung orientieren, wenn es Anhaltspunkte für eine positivere Ertragslage zu erkennen vermag.[7]Andererseits darf das Tatgericht bei verbleibenden Zweifeln nicht einfach einen als wahrscheinlich angesehenen Wert aus der Richtsatzsammlung zugrunde legen, sondern muss einen als erwiesen angesehenen Mindestschuldumfang feststellen.[8]

In keinem Fall dürfen Sicherheitszuschläge strafrechtlich vorgeworfen werden, obgleich sie steuerrechtlich zulässig sind. Mit Blick auf die Anforderungen der Rspr. an verurteilende Entscheidungen müssen Schätzungen der BP im Steuerstrafverfahren besonders überprüft und oftmals mit Abschlägen überarbeitet werden (vgl. Nr. 127 Abs. 2 S. 4 AStBV). Denn letztendlich muss es dem Gericht ermöglicht werden, neben der Steuerpflicht und den sonstigen Tatbestandsmerkmalen des Steuerdelikts, sowohl die Summe der vorsätzlich verkürzten Steuern so genau wie möglich festzustellen als auch den Berechnungsweg in einem Urteil revisionssicher darlegen zu können.[9] Dies ist auch für den Fall, dass der Angeklagte den Vorwurf einer Steuerhinterziehung dem Grunde und der Höhe nach vollständig einräumt.[10]

Trotz der Parallelität des Besteuerungs- und Strafverfahren stehen beide in einer gewissen Abhängigkeit zueinander. I.d.R. wird die FinB das Steuerstrafverfahren erst abschließen, wenn das Besteuerungs- bzw. Veranlagungsfinanzamt aufgrund des vorliegenden Betriebsprüfungs- oder Steuerberichts Änderungsbescheide erlassen und bekannt gegeben hat. Ab diesem Zeitpunkt wendet sich erfahrungsgemäß der Blick des Veranlagungsfinanzamtes nach einem Einspruch gegen die Änderungsbescheide i.d.R. wieder dem Strafverfahren zu, sofern es nicht um die Festsetzung der Steuer dem Grunde nach geht. Im Strafverfahren wird eine rechtskräftige Entscheidung – von Ausnahmen abgesehen – erfahrungsgemäß früher zu erzielen sein als im finanzgerichtlichen Verfahren.

Anmerkungen

[1]

Franzen/Gast/Joecks § 393 Rn. 6.

[2]

BFH 19.1.2006 – VIII B 114/05.

[3]

BGH NStZ 2016, 728; BGH 1 StR 505/16 bei juris.

[4]

Kohlmann/Hilgers-Klautzsch § 393 Rn. 68; Teske wistra 1988, 207, 214; Franzen/Gast/Joecks § 393 Rn. 36.

[5]

Die Richtsatzsammlung ist für das jeweilige Kalenderjahr auf der Internetseite www.bundesfinanzministerium.de abrufbar.

[6]

BGH NStZ 2016, 728.

[7]

BGH NStZ 2014, 337.

[8]

BGH NStZ 2016, 728.

[9]

BGH wistra 2006, 66 f.; BGH wistra 1986, 23.

[10]

BGH wistra 2017, 445

4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten › VII. Besonderheiten bei Steuerstrafverfahren › 2. Durchsichtsrecht der Papiere

2. Durchsichtsrecht der Papiere

64

 

Durch die Vorschrift des § 404 S. 2 2. Alt. AO i.V.m. § 110 Abs. 1 StPO erhält die Steuerfahndungsstelle das Recht auf Durchsicht der Papiere des von der Durchsuchung Betroffenen (vgl. Nr. 69 Abs. 1 AStBV). Dieses Sonderrecht erhielt die Steuerfahndungsstelle erstmalig durch das 1. Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts (StVRG) vom 9.12.1974.[1] Hintergrund war, den besonderen Sachverstand der Steuerfahndung zur effektiven Bekämpfung der Steuerkriminalität optimal nutzbar zu machen.[2] Für die Durchsichtsbefugnis ist es gleichgültig, ob die FinB selbst oder die StA die Verfahrensherrschaft hat. Die Befugnis der Steuerfahndung geht damit über die Befugnis der FinB im staatsanwaltschaftlichen Verfahren hinaus. Da das Gesetz die Befugnis der Durchsicht lediglich der Steuerfahndungsstelle einräumt, wird dem einzelnen Beamten die Ausübung des Rechts durch Auftrag übertragen.[3] In der Praxis findet sich diese Übertragung in Form eines Vermerks auf der Rückseite des Dienstausweises. Das Durchsichtsrecht erstreckt sich nicht nur auf die sichergestellten Geschäftspapiere wie z.B. Bilanzen, Buchführungsunterlagen, Belege, Quittungen und Grundaufzeichnungen, sondern auch auf Briefe, Fotos, Kalender sowie private Aufzeichnungen u.Ä. Auch verschlossene Briefe dürfen geöffnet und gelesen werden, soweit dies für den Untersuchungszweck erforderlich erscheint (vgl. Nr. 69 Abs. 1 AStBV). Voraussetzung ist, dass sich sämtliche der Durchsicht zugänglichen Gegenstände im Gewahrsam des von der Durchsuchung Betroffenen befinden. Auf das Eigentum kommt es nicht an.[4] Private Unterlagen und Papiere, wie z.B. Tagebücher oder Briefe, dürfen nur insoweit durchgesehen werden, als sie Aufschluss über den Tatvorwurf der Steuerhinterziehung geben können.[5] § 110 Abs. 3 StPO ermächtigt die Steuerfahndung auch zur Durchsicht elektronischer Speichermedien (PC, Notebooks, USB-Sticks, Tonträger, Filme etc). Auf räumlich getrennte Speichermedien darf jedoch nur zugegriffen werden, wenn der Verlust der gesuchten Dateien zu besorgen ist. Die Durchsicht dient der Feststellung, ob einem Papier bzw. einer elektronischen Datei Beweisbedeutung zukommt. Ist dies der Fall, wird hinsichtlich des in Betracht kommenden konkreten Gegenstandes eine Beschlagnahmeanordnung beim zuständigen Ermittlungsrichter erfolgen. Im Übrigen sind die vorläufig sichergestellten Gegenstände zurückzugeben. Solange die Durchsicht der sichergestellten Papiere und elektronischen Speichermedien nicht beendet ist, ist auch die Durchsuchung nicht beendet. Das BVerfG hat in einem Beschluss vom 30.1.2002 klargestellt, dass eine zeitliche Grenze, vergleichbar der 6-Monatsgrenze für die Geltung von Durchsuchungsbeschlüssen, für die Dauer der Durchsicht nicht existiert.[6] Die Durchsicht sollte jedoch nicht unverhältnismäßig lange dauern. Der Fortgang der Durchsicht sollte daher kontinuierlich in Form von Aktenvermerken dokumentiert werden, um gerade in Umfangsverfahren belegen zu können, dass die Dauer der Durchsicht angesichts des Umfangs der sichergestellten Gegenstände, nicht unverhältnismäßig lange angedauert hat. Eine gerichtliche Überprüfung beschränkt sich daher lediglich darauf, ob die Ermittlungsbehörde die rechtlichen Grenzen des ihr zustehenden Ermessens eingehalten hat.[7] Erhebt ein Beschuldigter Widerspruch gegen die Mitnahme der Gegenstände zur Durchsicht oder begehrt er die Prüfung der Einhaltung von Entscheidungsgrenzen, so kann er einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. § 98 Abs. 2 S. 2 StPO analog beim zuständigen Ermittlungsrichter stellen.[8]

Anmerkungen

[1]

BGBl I 1974, 3393.

[2]

Kohlmann/Matthes § 404 Rn. 135.

[3]

Franzen/Gast/Joecks/Randt § 404 Rn. 96.

[4]

Meyer-Goßner/Schmitt § 110 Rn. 1.

[5]

Franzen/Gast/Joecks/Randt § 404 Rn. 95 m.w.N.

[6]

BVerfG NJW 2002, 1410.

[7]

LG Saarbrücken NStZ-RR 2016, 346.

[8]

BVerfG NStZ 2002, 377.

4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten › VII. Besonderheiten bei Steuerstrafverfahren › 3. Akteneinsichtsrecht der Finanzbehörde im Steuerstrafverfahren

3. Akteneinsichtsrecht der Finanzbehörde im Steuerstrafverfahren

65

Damit die FinB ihre Beteiligungsrechte nach §§ 403, 407 AO sachgerecht wahrnehmen kann, räumt ihr § 395 AO in Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat ein nicht beschränkbares Akteneinsichtsrecht ein (vgl. auch 5. Kap. Rn. 27 ff.). Zum einen soll der FinB (BuStra) als Sachkundige und Beteiligte in Steuerstrafverfahren ermöglicht werden, sich jederzeit, d.h. im Ermittlungs-, Zwischen-, Haupt- und Rechtsmittelverfahren, über den ermittelten steuerstrafrechtlichen Sachverhalt zu unterrichten, um ggf. besondere Umstände, die für die Entscheidung in der Sache von Bedeutung sein könnten, vorzubringen (Nr. 95 AStBV). Zum anderen sollen ihr die ermittelten Tatsachen mit steuerrechtlicher Relevanz auch für das parallel weiterlaufende Besteuerungsverfahren zur Verfügung stehen, um zeitnahe Festsetzungen zu ermöglichen (Nr. 92 Abs. 3 AStBV, vgl. Rn. 62). Der Akteneinsichtsantrag bedarf angesichts der Ausgestaltung des Einsichts- bzw. Besichtigungsrechts als Befugnis keiner Begründung und auch keiner Ermessensentscheidung der StA bzw. des Gerichts.[1] Ein besonderes Informationsbedürfnis ist vor allem ab dem Zeitpunkt gegeben, ab dem das Verfahren von der StA geführt wird. Gegenstand der Einsichtnahme sind sämtliche Aktenbestandteile, wie z.B. Ermittlungsakten, Beweismittelordner, Beiakten, Spurenakten und EDV-Daten in Papierform sowie beigezogene Akten.[2] Die Akten werden der FinB i.d.R. auf Antrag, ggf. auch mehrmals, übersandt (§ 395 S. 2 AO). Die für die Verteidigung gem. § 147 Abs. 2 StPO geltenden Beschränkungen finden keine Anwendung. Die Dauer als auch der Zeitpunkt des Akteneinsichtsrechts haben sich aber am möglichst reibungslosen Fortgang des Verfahrens zu orientieren, d.h. unnötige Verzögerungen sollten durch die Einsichtnahme vermieden werden. In Bezug auf beschlagnahmte oder sichergestellte Gegenstände wie Beweisstücke oder Verfalls- und Einziehungsgegenstände steht der FinB ein Besichtigungsrecht am Ort der Aufbewahrung zu. Sie hat ebenfalls die Befugnis von zoll- und verbrauchsteuerpflichtigen Sachen Proben zu entnehmen, um Untersuchungen in Auftrag zu geben.[3]

66

Der Beschuldigte braucht zu dem Antrag der Finanzbehörde auf Akteneinsicht nicht angehört zu werden. Hat die StA im Ermittlungsverfahren einen Antrag auf Akteneinsicht bzw. Besichtigung der o.g. Gegenstände im Ermittlungsverfahren ablehnend beschieden, ist die Dienstaufsichtsbeschwerde zulässig.[4] Daneben wird nach h.M. aber auch ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung durch das zuständige Gericht entsprechend § 406e Abs. 4 S. 1 und S. 2 StPO für zulässig erachtet.[5] Eine analoge Anwendung hätte die Unanfechtbarkeit der Entscheidung des Vorsitzenden zur Folge (§ 406e Abs. 4 S. 4 StPO).[6]

67

Gegen die ablehnende Entscheidung der Gerichts im Zwischen- oder Hauptverfahren soll nach überwiegender Auffassung die Beschwerde gem. § 304 Abs. 1, Abs. 4 S. 2 Nr. 4 StPO zulässig sein.[7]

Anmerkungen

[1]

Franzen/Gast/Joecks/Lipsky § 395 Rn. 6.

[2]

Meyer-Goßner/Schmitt § 147 Rn. 18; Franzen/Gast/Joecks/Lipsky § 395 Rn. 7.

[3]

Franzen/Gast/Joecks/Lipsky § 395 Rn. 12.

[4]

Hübschmann/Hepp/Spitaler/Hellmann § 395 Rn. 32.

[5]

Hübschmann/Hepp/Spitaler/Hellmann § 395 Rn. 33 f.; Meyer-Goßner/Schmitt § 406e Rn. 11, 14, 21, 24.

[6]

Hübschmann/Hepp/Spitaler/Hellmann § 395 Rn. 36 f.

[7]

Meyer-Goßner/Schmitt § 147 Rn. 41 m.w.N.; Franzen/Gast/Joecks/Lipsky § 395 Rn. 15.

4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten › VII. Besonderheiten bei Steuerstrafverfahren › 4. Selbstständiges Antragsrecht auf Erlass eines Strafbefehls

4. Selbstständiges Antragsrecht auf Erlass eines Strafbefehls

68

Die besondere Stellung der FinB in Steuerstrafsachen wird auch durch die Vorschrift des § 406 AO deutlich. Diese Vorschrift ergänzt die selbstständige Rechtsstellung der FinB im Ermittlungsverfahren nach §§ 399–401 AO bis zum Übergang in das gerichtliche Verfahren (vgl. Nr. 87 AStBV). Die FinB, genauer gesagt, die BuStra kann gem. § 400 AO selbstständig, d.h. ohne Einschaltung der StA beim zuständigen Strafrichter einen Antrag auf Erlass eines Strafbefehls oder auf Anordnung von Nebenfolgen im selbstständigen Verfahren nach § 401 AO stellen (vgl. Nr. 84 AStBV). Sie erhält bis zum Zeitpunkt der Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins (§ 408 Abs. 3 S. 2 StPO) oder der Einlegung eines Einspruchs gegen den erlassenen Strafbefehl (§ 410 Abs. 1 S. 1 StPO) weitere staatsanwaltschaftliche Befugnisse und wird ohne Hinzuziehung der StA ausschließlicher Ansprechpartner des Amtsgerichts. Sollte also der Strafrichter nach einem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls bspw. eine Einstellung nach § 153 Abs. 2 StPO in Erwägung ziehen, hat er sich mit der FinB in Verbindung zu setzen, um die erforderliche Zustimmung der Staatsanwaltschaft von der FinB, mithin der BuStra, einzuholen. Entsprechend ist zu verfahren, wenn z.B. die Strafverfolgung gem. § 154a StPO beschränkt oder eine Tat gem. § 154 Abs. 2 StPO aus dem Verfahrensstoff ausgeschieden werden sollen. Die FinB kann den Strafbefehlsantrag bis zum Erlass des Strafbefehls zurücknehmen. Beabsichtigt der Strafrichter, von dem Strafbefehlsantrag z.B. im Rechtsfolgenausspruch abzuweichen, müsste er sich hinsichtlich eines Einigungsversuchs mit der FinB in Verbindung setzen. Diese kann, sofern sie den Änderungsvorstellungen zustimmt, einen neuen geänderten Strafbefehlsantrag stellen. „Beharrt“ sie jedoch auf ihrem Antrag, so hat der Strafrichter die Möglichkeit nach § 408 Abs. 3 S. 2 StPO einen Hauptverhandlungstermin anzuberaumen. Lehnt der Richter jedoch den Erlass eines Strafbefehls ab oder erlässt er einen solchen mit geändertem Inhalt, verbleibt der FinB entsprechend §§ 408 Abs. 2 S. 2, 210 Abs. 2 StPO das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde.[1]

Anmerkungen

[1]

Franzen/Gast/Joecks § 406 Rn. 6.

4. Kapitel Verfahren bei Steuerdelikten › VII. Besonderheiten bei Steuerstrafverfahren › 5. Einstellung nach § 398 AO

5. Einstellung nach § 398 AO

69

Neben den unter Rn. 22 und Rn. 68 dargestellten verfahrensabschließenden Entscheidungen steht der FinB mit der Vorschrift des § 398 AO eine weitere Einstellungsmöglichkeit zur Verfügung (vgl. Nr. 82 AStBV). Diese Verfahrenseinstellung steht der FinB oder StA lediglich im Ermittlungsverfahren zur Verfügung. Ist bereits ein Strafbefehl beantragt oder eine Anklage durch die StA erhoben worden, so kann das Verfahren nur noch gem. § 153 Abs. 2 StPO eingestellt werden.[1] Die Einstellung nach § 398 AO bedarf keiner gerichtlichen Zustimmung und kommt in Betracht, wenn sich der Täter (auch Anstifter oder Gehilfe)

 

eines Steuerdelikts (Steuerhinterziehung, Steuerhehlerei, gewerbsmäßiger Schmuggel nach § 373 Abs. 1 AO) oder
einer Begünstigung einer Person, die ein solches Delikt begangen hat, schuldig gemacht,
sein Verhalten zudem zu einer geringwertigen Steuerverkürzung bzw. zur Erlangung eines geringwertigen Steuervorteils oder
zu einer geringen Tatfolge geführt hat,
seine Schuld gering ist und

70

Entsprechende Anwendung findet die Vorschrift auf sonstige Straftaten i.S.v. § 385 Abs. 2 AO und sonstige Straftaten bei denen die Verfahrensvorschriften auf die AO verweisen (z.B. § 15 InvZulG 2010).

71

Auch bei dem Verdacht einer Steuerhinterziehung im besonders schweren Fall (§ 370 Abs. 3 AO) ist die Anwendbarkeit des § 398 AO grundsätzlich gegeben. In der Praxis scheitert die Anwendung oftmals am festgestellten Umfang der Steuerverkürzung (§ 370 Abs. 3 Nr. 1 AO) bzw. an den gesetzlich beschriebenen Umständen und der nicht mehr als gering zu bewertenden Schuld (§ 370 Abs. 3 Nr. 2–4 AO). In angezeigten Fällen käme aber eine Einstellung nach § 153 Abs. 1 S. 1 StPO mit Zustimmung des Gerichts in Betracht. Auf die Delikte des Bannbruchs und der Steuerzeichenfälschung sowie der Strafvereitelung findet die Vorschrift keine Anwendung, da die Vorschrift ausdrücklich für die Begünstigung einer Person, die eine Tat nach § 375 Abs. 1 Nr. 1–3 AO begangen hat, eine Einstellung dieser Art vorgesehen hat.[3] Der Verdachtsgrad der Steuerstraftat muss kein hinreichender i.S.d. § 203 StPO sein. Eine Verurteilungswahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit eines Freispruchs ist ausreichend.[4]

72

Bis zu welchem Betrag eine Geringwertigkeit angenommen werden kann, kann mit Blick auf die Praxis nicht einheitlich beantwortet werden. Eine starre absolute Wertgrenze existiert nicht. Nach Ansicht der Finanzverwaltung ist zur Bestimmung des Tatbestandsmerkmals der geringen Tatfolge (§ 153 Abs. 1 S. 2 StPO) bei dem Delikt der Steuerhinterziehung insbesondere von der Summe der verkürzten Steuern auszugehen (Nr. 82 Abs. 2 S. 2 AStBV). So werden Beträge von 50 € bis 2.500 € als geringfügig angesehen.[5] Für die Berechnung des maßgeblichen Umfangs der Steuerverkürzung ist der Betrag entscheidend, der sich je materieller Tat, mithin bei tateinheitlich begangener Steuerhinterziehung verschiedener Steuerarten, insgesamt ergibt. Ob aus Sicht der FinB oder StA ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht, ist eine Ermessensfrage. In Steuerstrafverfahren kann dieses Interesse nicht mit Hilfe der Hinweise in Nr. 86 Abs. 2 RiStBV (Öffentliches Interesse bei Privatklagesachen) ausgefüllt werden. Beispielsweise kann im Steuerstrafverfahren ein öffentliches Interesse dann fehlen, wenn die Taten lange zurückliegen oder/und die Ermittlungen eine erhebliche Zeit in Anspruch genommen haben oder von einer Wiederholung der Taten nicht auszugehen ist und eine Einwirkung auf den Täter nicht geboten erscheint. Aber auch in Fällen der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung ist eine solche Einstellung nicht abwegig.[6] Die zudem geforderte individuelle geringe Schuld des Täters muss bei einem Vergleich mit Vergehen gleicher Art nicht unerheblich unter dem Durchschnitt liegen.[7] Die in § 46 Abs. 2 StGB genannten Strafzumessungserwägungen bieten hierfür eine Orientierungshilfe. In der Regel wird sich der Anwendungsbereich des § 398 AO auf Fälle beschränken, in denen das zu erwartende Strafmaß allenfalls eine Geldstrafe zwischen 10 und 20 Tagessätzen zur Folge hätte. Die Einstellung nach § 398 AO entfaltet keine Rechtskraft und bewirkt auch keinen Strafklageverbrauch, so dass das Verfahren, sofern zwischenzeitlich keine Verjährung der Tat eingetreten ist, wieder aufgenommen werden kann.[8]