Fiskalstrafrecht

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Anmerkungen

[1]

Beschluss der Kommission vom 28.4.1999 zur Errichtung des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF), ABlEG Nr. L 136/1 v. 30.5.1999 (OLAF-Beschluss).

[2]

VO (EU, Euroatom) Nr. 883/2013 vom 11.9.2013 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) und zur Aufhebung der VO (EG) Nr. 1073/1999 und der VO (Euratom) Nr. 1074/1999, ABlEU Nr. L 248/1 v. 18.9.2013 (OLAF-VO).

[3]

Ambos § 13 Rn. 2.

[4]

VO (Euratom, EG) Nr. 2185/96 des Rates vom 11.11.1996 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten, ABlEG Nr. L 292/2 v. 15.11.1996.

[5]

VO (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18.12.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, ABlEG Nr. L 312/1 v. 23.12.1995.

[6]

Vgl. von Bubnoff ZEuS 2002, 185, 198.

[7]

Hecker Kap. 4 Rn. 21.

[8]

Satzger § 10 Rn. 19.

[9]

Wabnitz/Janovsky/Gericke Kap. 31 Rn. 77.

[10]

Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg/Kuhl/Spitzer § 8 Rn. 20.

[11]

Wabnitz/Janovsky/Dannecker/Bülte Kap. 2 Rn. 321 ff.

[12]

EuG Slg 2002, II-579 Rn. 66 ff. – Rothley/Parlament.

[13]

Vgl. Ambos § 13 Rn. 4.

[14]

Art. 5 Abs. 3 VO Nr. 2185/96.

[15]

Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg/Kuhl/Spitzer § 8 Rn. 2; Ahlbrecht/Böhm/Esser/Eckelmans Rn. 1462.

[16]

Von Bubnoff ZEuS 2002, 185, 199; Hallmann-Häbler/Stiegel DRiZ 2003, 241, 243.

[17]

Ahlbrecht/Böhm/Esser/Eckelmans Rn. 1453.

[18]

Ausf. Strobel OLAF, 324 ff.

[19]

Ausf. Ahlbrecht/Böhm/Esser/Eckelmans Rn. 1455.

[20]

VO (EG, Euratom) Nr. 723/2004, ABlEU Nr. L 124/1 v. 27.4.2004, zuletzt geändert durch VO (EU, Euratom) v. 22.10.2013, ABlEU Nr. L 287/15 v. 29.10.2013.

[21]

Vgl. EuG Slg 2006, II-01173 – Camós Grau/Kommission; Sieber/Satzger/v. Heintschel-Heinegg/Brüner/Spitzer § 43 Rn. 79.

[22]

Kuhl/Spitzer EuR 2000, 671, 684.

[23]

EuG Slg 2004, II-2923, Rn. 33, 37 – Comunidad Autónoma de Andalucía/Kommission.

[24]

EuG Slg 2006, II-03995, Rn. 80 – Tillack/Kommission.

6. Kapitel Europarechtliche Verfahrensvorschriften › B. Europäische Institutionen zur Unterstützung der Strafverfolgung › II. Europol

II. Europol

25

Die Bedeutung des Europäischen Polizeiamtes (Europol) hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen, was auch mit der Aufgabenzuweisung im Rahmen politisch hoch umstrittener Projekte zu begründen sein dürfte. Zwar stellt Europol keine Ermittlungsbehörde im klassischen Sinne dar, ist aber an strafrechtlichen Ermittlungen, die mehrere Mitgliedstaaten betreffen, häufig (indirekt) beteiligt.

1. Entstehung und kontinuierliche Ausweitung der Aufgaben

26

Im Rahmen neuer bi- und multilateraler Vereinbarungen entstand 1975 die so genannte TREVI-Kooperation (terrorisme, radicalisme, extrémisme et violence international). Es handelte sich um ein auf rein zwischenstaatlicher Ebene agierendes Gremium ohne rechtlichen Bezug zum EG-Rahmen, mithin um die Begründung einer intergouvernementalen Zusammenarbeit außerhalb der bis dahin bestehenden Verträge. Insbesondere zur Abwehr von Bedrohungen durch grenzüberschreitenden Terrorismus wurden im Rahmen der TREVI-Kooperation zwischen den beteiligten Staaten Informationen und Erfahrungen auf dem Gebiet des Terrorismus sowie Polizeibeamte ausgetauscht und bei Ausbildung und Strategieentwicklung zusammengearbeitet. Die 1985 gegründete Arbeitsgruppe TREVI III hingegen wurde speziell zur Bekämpfung von Drogenkriminalität und organisierter Kriminalität geschaffen. Im Jahr 1990 erfolgte die Einrichtung einer Unterarbeitsgruppe zur Errichtung einer Europäischen Kriminalpolizeilichen Zentralstelle gegründet wurde, die seit 1991 unter der Bezeichnung „AG-Europol“ firmierte.

27

Durch den Maastricht-Vertrag wurde die informelle TREVI-Kooperation in den „Rat der Innen- und Justizminister“ überführt und parallel die Einrichtung eines europäischen Polizeiamtes beschlossen. Gleichzeitig wurde das Mandat auf die „Vorbereitung genereller Situationsberichte und Kriminalitätsanalysen auf der Grundlage nicht-personenbezogener Informationen“ ausgeweitet. Nachdem ab dem 1.1.1994 die Europäische Drogenstelle (EDU) als Vorläufer fungiert hatte, erfolgte die Gründung von Europol schließlich durch das am 26.7.1995 auf Grundlage des Art. K.3 EUV a.F. geschlossene Europol-Übereinkommen[1] als internationale Organisation mit Sitz in Den Haag. Das Amt konnte allerdings erst im Juli 1999 seine Arbeit aufnehmen. Art. 3 Europol-Übk sah fünf wesentliche Tätigkeitsbereiche vor: (1) Erleichterung des Informationsaustausches zwischen den Mitgliedstaaten, (2) Informationen/Erkenntnisse sammeln, zusammenstellen und analysieren, (3) unverzügliche Unterrichtung der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, (4) Unterstützung nationaler Ermittlungen durch Informationsübermittlung und (5) Unterhalten von automatisierten Informationssammlungen.

28

Obwohl die polizeiliche, strafjustizielle und die Zoll-Zusammenarbeit unter dem Amsterdamer Vertrag weiterhin im Rahmen der dritten Säule stattfinden sollte, also in Form der intergouvernementalen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, wies von da an Titel IV des EUV Europol „eine herausgehobene Stellung bei der Kriminalitätsbekämpfung zu“.[2] Dies spiegelte sich auch in der Aufgabenzuweisung wider. Gem. Art. 29 Abs. 2 EUV i.d.F. des Amsterdamer Vertrags war Europol u.a. für die „Verhütung und Bekämpfung […] der Bestechung und Bestechlichkeit sowie des Betrugs“ zuständig.

29

Nachdem der Rat von Tampere 2002 das Europol-Mandat noch einmal ausgedehnt hatte, erfolgte die Verankerung des Europäischen Polizeiamtes im Primärrecht durch den Vertrag von Lissabon. Nunmehr werden gem. Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 AEUV Aufbau, Arbeitsweise, Tätigkeitsbereich und Aufgaben von Europol sekundärrechtlich im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren festgelegt. Damit würde ein äußerer Rahmen ausgefüllt, den Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 AEUV für die möglichen Aufgaben von Europol setzt, der aber nicht ausgeschöpft werden muss. Das Stockholmer Programm[3] sieht vor, Europol zu „einem Knotenpunkt des Informationsaustauschs zwischen den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten, einem Diensteanbieter und einer Plattform für Strafverfolgungsdienste“ weiterzuentwickeln.

2. Rechtliche Grundlagen

30

Art. 67 Abs. 1, 3 AEUV verpflichten die EU, durch Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität, zur Koordinierung und Zusammenarbeit von Polizeibehörden und Organen der Strafrechtspflege und den anderen zuständigen Behörden ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang hat Europol gem. Art. 88 AEUV den Auftrag, die Tätigkeit der Polizeibehörden und der anderen Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten sowie deren Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität zu unterstützen, sofern diese zwei oder mehr Mitgliedstaaten betrifft“.

31

Durch den Europol-Beschluss des Rates vom 6.4.2009[4] war Europol auf eine neue sekundärrechtliche Grundlage gestellt worden. Es hatte sich gezeigt, dass die aufwändigen Ratifizierungen bei der Änderung der bis dahin bestehenden völkerrechtlichen Grundlage keine rasche Anpassung an neue kriminalpolitische Bedrohungslagen erlaubten.[5] Europol wurde zu einer „Stelle der Union“, mithin zu einer Agentur umgestaltet. Als solche ist das Europäische Polizeiamt nicht mehr eine bloße internationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit[6] im Bereich der intergouvernementalen Zusammenarbeit, sondern steht als Institution der EU gleichberechtigt neben der Einheit für justizielle Zusammenarbeit der Europäischen Union (EUROJUST, vgl. unten unter Rn. 46 f.) und der Europäischen Polizeiakademie (CEPOL).

 

32

Inzwischen wurde von der Ermächtigung in Art. 88 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 AEUV Gebrauch gemacht und im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens die Europol-Verordnung vom 11.5.2016[7] erlassen, um die operative Effizienz des Amtes zu verbessern. Die neue Verordnung hebt u.a. den Europol-Beschluss von 2009 auf und tritt als neue Rechtsgrundlage der Agentur an dessen Stelle. Anlässlich dieser umfassenden Neuordnung wurde das deutsche Europol-Gesetz aktualisiert und erheblich verschlankt.[8]

3. Struktur

33

Leitungsorgane von Europol sind zunächst der Verwaltungsrat, zusammengesetzt aus je einem hochrangigen Vertreter aller Mitgliedsstaaten sowie der Europäischen Kommission (Art. 10 ff. Europl-VO) und der Exekutivdirektor als gesetzlicher Vertreter des Amtes, der – ebenso wie seine drei Stellvertreter – vom Rat der EU ernannt wird (Art. 16, 54 Europol-VO).

34

Als Verbindung zwischen Europol und den Mitgliedstaaten dienen nach dem sog. Liaison-Modell die nationalen Stellen (Art. 7 Abs. 2 Europol-VO), in Deutschland gem. Art. 2 § 1 EuropolG das Bundeskriminalamt. Grundsätzlich haben die Länder also nur einen geringen unmittelbaren Einfluss auf die zwischenstaatliche Kooperation. Über die nationalen Stellen – in begrenztem Umfang auch in Form direkter Behörden-Kontakte (Art. 7 Abs. 5 Europol-VO) – geben die Mitgliedstaaten auf eigene Initiative Informationen an Europol weiter, eine entsprechende Verpflichtung zur Übermittlung besteht jedoch nicht.[9]

35

Die nationalen Stellen entsenden darüber hinaus Verbindungsbeamte, die die Interessen des jeweiligen Mitgliedstaates durch die sog. Verbindungsbüros vertreten (Art. 8 Europol-VO). Allerdings dürfen Europol und seine Bediensteten von keiner Regierung, Behörde, Organisation oder nicht Europol angehörenden Personen Weisungen entgegennehmen oder anfordern.[10] Weisungsbefugt ist damit allein der Direktor von Europol.[11] Die Verbindungsbeamten kooperieren stattdessen untereinander durch permanenten elektronischen Informationsaustausch, wobei ihnen sowohl die behördlichen Datenbanken ihres Heimatstaates als auch die automatisierten Informationssammlungen von Europol (Art. 8 Abs. 4 Europol-VO) zur Verfügung stehen.

36

Europol untersteht dem Personalstatut für EU-Institutionen wird aber nun nicht mehr aus dem Gesamtbudget der Union finanziert, sondern verfügt über einen eigenen Haushalt (Art. 57 ff. Europol-VO).

4. Funktion und Zuständigkeiten

37

Das moderne Europäische Polizeiamt unterstützt die Tätigkeit der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten sowie deren gegenseitige Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung der transnationalen schweren Kriminalität und des Terrorismus, sofern zwei oder mehr Mitgliedstaaten oder gemeinsame Interessen der EU-Politik betroffen sind. Welche Kriminalitätsformen gemeint sind ergibt sich aus einem umfangreichen Katalog (Art. 3 i.V.m. Anhang I Europol-VO). Europol dient dabei in erster Linie als permanente Serviceeinrichtung und Informationsdienstleister für die nationalen Strafverfolgungsbehörden, indem es relevante Informationen erhebt, speichert, verarbeitet, analysiert und austauscht. Dazu unterhält Europol ein automatisiertes Informationssystem (Art. 17 ff. Europol-VO). Die darin enthaltenen Daten – v.a. über Personen, die einer Straftat im Zuständigkeitsbereich von Europol verdächtig oder wegen einer solchen Tat verurteilt sind oder bei denen die Gefahr der Begehung einer solchen Straftat besteht – dürfen insb. zu Analysezwecken verarbeitet werden (Art. 18 Europol-VO). Welche Kategorien personenbezogener Daten von welchen Kategorien betroffener Personen erhoben und verarbeitet werden dürfen, ergibt sich ebenfalls aus einem umfassenden Katalog (Art. 18 Abs. 5 i.V.m. Anhang II Europol-VO).

38

Zudem soll Europol die nationalen Behörden durch Koordinierung, Organisation und Durchführung von Ermittlungs- und operativen Maßnahmen unterstützen (Art. 4 Abs. 1 lit. c) Europol-VO). Der ausdrücklichen Beschränkung in Art. 88 Abs. 3 AEUV wird dadurch Rechnung getragen, dass solche Maßnahmen ausschließlich gemeinsam mit den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten oder im Zusammenhang mit gemeinsamen Ermittlungsgruppen durchgeführt werden dürfen und Europol bei der Durchführung ihrer Aufgaben keine Zwangsmaßnahmen anwenden darf (Art. 4 Abs. 5 Europol-VO).

39

Weitere Aufgaben von Europol sind gem. Art. 4 Europol-VO das Erstellen von strategischen und operativen Analysen sowie allgemeinen Lageberichten, die Vermittlung von kriminalistischem Fachwissen, die Zusammenarbeit mit OLAF, die Weiterentwicklung des Europäischen Zentrums zur Bekämpfung der Cyberkriminalität und die Bekämpfung von Internetkriminalität. Schließlich fungiert Europol auch als Zentralstelle zur Bekämpfung der Euro-Fälschung (Art. 4 Abs. 4 Europol-VO).

5. Verfahren

40

Während die Mitgliedstaaten auch einen direkten Zugriff auf die in den Informationssystemen von Europol gespeicherten Daten haben (Art. 20 Abs. 1 Europol-VO), erhalten Eurojust und OLAF lediglich einen indirekten Zugriff nach dem Treffer/Kein-Treffer-Verfahren (Art. 21 Abs. 1 Europol-VO). In Deutschland sind etwa die Bundespolizei, der Zollfahndungsdienst sowie die Landespolizeibehörden befugt, auf die Analysedatenbanken zuzugreifen (§ 3 Abs. 1 EuropolG). Die Übermittlung personenbezogener Daten an Unionseinrichtungen durch Europol ist zulässig, soweit dies für die Erfüllung der Aufgaben von Europol oder der betroffenen Unionseinrichtung erforderlich ist (Art. 24 Europol-VO). Für die Übermittlung an Drittstaaten, internationale Organisationen und private Dateien müssen zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sein.

41

In Ermangelung eigener Strafverfolgungsbefugnisse kann Europol die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten lediglich über deren nationale Stelle um die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen über eine unter die Ziele von Europol fallende Straftaten ersuchen (Art. 6 Abs. 1 Europol-VO). Die nationalen Behörden dürfen ein solches Ersuchen grundsätzlich nur unverzüglich und mit Begründung ablehnen (Art. 6 Abs. 3 Europol-VO).

42

Allerdings können Europol-Beamte nach Maßgabe von Art. 5 Europol-VO zusammen mit nationalen Beamten an gemeinsamen Ermittlungsgruppen (vgl. unten unter Rn. 61 ff.) teilnehmen. Nur in dieser Form dürfen sie auf dem Gebiete der Mitgliedstaaten tätig werden, wobei sie dem während derartiger Einsätze dem nationalen Recht des Einsatzmitgliedstaates unterliegen. Sind die Europol-Beamten in eine gemeinsame Ermittlungsgruppe eingebunden, sind ihre Handlungen deshalb der führenden nationalen Strafverfolgungsbehörde zuzurechnen und hinsichtlich ihrer strafrechtlichen Relevanz vor den nationalen Gerichten nachprüfbar.[12] Obwohl sie als Mitglieder gemeinsamer Ermittlungsgruppen operativ arbeiten dürfen, unterliegen die Europol-Beamten auch hier dem grundsätzlichen Verbot, selbst Zwangsmaßnahmen anzuwenden.

6. Rechtsschutz

43

Nach der neueren Auslegung der sog. Meroni-Doktrin[13] ist eine Übertragung von Befugnissen auf ausgelagerte Einrichtungen, etwa auf Agenturen, nicht mehr grundsätzlich ausgeschlossen. Gleichwohl muss das delegierende Organ seiner Kontroll- und Überwachungsfunktion in ausreichendem Maße nachkommen und darf die grundsätzliche Entscheidungshoheit nicht aus der Hand geben. Zusätzlich muss gegen die Entscheidungen solcher Einrichtungen jedenfalls ausreichender Rechtsschutz gewährt werden. Beschlüsse unabhängiger Einrichtungen dürften auch weiterhin schlicht als unverbindlich anzusehen sein, wenn sie aufgrund einer unzulässigen Übertragung getroffen wurden. Aufgrund dieser sehr abstrakten Grundsätze blieb die Frage nach einem Individualrechtsschutz gegen Maßnahmen europäischer Agenturen lange unbeantwortet.[14]

44

Grundsätzlich besteht ein Anspruch des Einzelnen auf effektiven Rechtsschutz auch auf Gemeinschaftsebene.[15] Er ergibt sich u.a. ausdrücklich aus Art. 19 Abs. 2 S. 2 EUV, Art. 47 GRC sowie seit dem Beitritt der EU aus Art. 13 EMRK. Dass jede Handlung einer Unionseinrichtung, die dazu bestimmt ist, Rechtswirkungen gegenüber Dritten zu erzeugen, gerichtlich nachprüfbar sein muss, hat das EuG ausdrücklich festgestellt.[16] Grundsätzlich kann eine unmittelbare justizielle Überprüfung der Tätigkeit von Europol jedoch weder durch die europäische noch durch die mitgliedsstaatliche Gerichtsbarkeit erfolgen.[17] Der EuGH hatte bis zum Abschluss des Vertrages von Lissabon lediglich die Auslegungshoheit über das Europol-Übereinkommen,[18] überwacht nun aber gem. Art. 263 Abs. 1 AEUV „die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union mit Rechtswirkung gegenüber Dritten“. Für den Betroffenen einer Europol-Maßnahme eröffnet Art. 263 Abs. 4 AEUV somit die Möglichkeit einer Individual-Nichtigkeitsklage. Hinzu kommt die Möglichkeit einer Individualbeschwerde gegen Rechtsakte der EU gem. Art. 34 f. EMRK, die aber bislang noch nie im Zusammenhang mit Maßnahmen des Polizeiamtes erhoben wurde. Ein Vorgehen im Wege der Individualbeschwerde kann für einen Betroffenen vorteilhaft sein, da der EGMR nach eigenen Maßstäben entscheidet, wann der Beschwerdeführer als „Opfer“ klagebefugt ist.

45

Allerdings genießen Europol und ihr Personal weitreichende Immunität vor Strafverfolgung durch die Mitgliedstaaten. Grundlage hierfür ist das dem EUV und dem AEUV beigefügte Protokoll Nr. 7,[19] das gem. Art. 63 Abs. 1 Europol-VO auf die Mitarbeiter Anwendung findet. Dieser Grundsatz der absoluten Immunität wird jedoch durchbrochen für Straftaten im Rahmen der Teilnahme von Europol-Personal an gemeinsamen Ermittlungsgruppen, wobei das Recht des jeweiligen Einsatzmitgliedstaats zu gelten hat. Dementsprechend schließt die Verordnung (EG) Nr. 371/2009[20] diejenigen Europol-Bediensteten von den Vorrechten und Befreiungen aus, die an einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe mitwirken, um Amtshandlungen vorzunehmen, die zur Wahrnehmung der im Europol-Beschluss aufgeführten Aufgaben erforderlich sind. Insoweit ist der primäre Rechtschutz für Betroffene als gewährleistet anzusehen.

46

Der Sekundärrechtsschutz hingegen erfolgt getrennt nach dem Haftungsgrund. Wird Schadensersatz für fehlerhafte Datenverarbeitung begehrt, hat der Betroffene ein Wahlrecht zwischen der Schadensersatzklage gem. Art. 268, 340 AEUV und einem Vorgehen nach den nationalen Vorschriften des Mitgliedstaats, in dem der Schadensfall eingetreten ist (Art. 50 Europol-VO). Für anderweitig verursachte Schäden haftet Europol nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind (Art. 49 Europol-VO).

7. Datenschutz

47

Gerade weil Europol nach wie vor primär als datenverarbeitende Zentralstelle dient, stellt der Datenschutz ein Kernproblem dar, denn wegen einer möglichen Beeinträchtigung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung müssen auch die datenbezogenen Aktivitäten von Europol gerichtlich kontrollierbar sein.[21] Dementsprechend verfügt Europol über ein strenges Datenschutzregime (Art. 28 ff. Europol-VO).

 

48

Über die von Europol vorgehaltenen Datenbanken können auch solche personenbezogenen Daten ausgetauscht werden, zu deren Erhebung der Empfänger nach nationalem Recht nicht befugt ist bzw. dort länger als im Ursprungs-Staat erlaubt gespeichert werden. Sobald die Daten den Bereich der Bundesrepublik verlassen haben, sind sie demnach nicht mehr kontrollierbar. Es ist bislang ungeklärt, welche Folgen die Verwendung von Daten hätte, die deutsche Strafverfolgungsbehörden über Europol erhalten, die aber vor deutschen Gerichten einem Verwertungsverbot unterliegen. Sofern eine gesetzliche Ermächtigung für eine Überwachungsmaßnahme besteht, welche den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühren kann, muss so weitgehend wie möglich sichergestellt sein, dass Daten mit Kernbereichsbezug nicht erhoben werden. Ist dies aber – etwa bei dem heimlichen Zugriff auf ein informationstechnisches System – praktisch unvermeidbar, muss für hinreichenden Schutz in der Auswertungsphase gesorgt sein.[22] Wurden etwa im Zuge von Überwachungsmaßnahmen kernbereichsrelevante Daten erhoben, sind diese unverzüglich zu löschen und eine Weitergabe oder Verwertung ist auszuschließen.[23] Allerdings ist die Herkunft solcher Daten aus anderen Mitgliedstaaten in der Regel kaum genau nachzuverfolgen.

49

Die Verantwortung für den Datenschutz ist zwischen Europol und den Mitgliedstaaten aufgeteilt.[24] Die Mitgliedstaaten haben die Richtigkeit und die fortlaufende Aktualität der von ihnen übermittelten Daten sowie die Rechtmäßigkeit ihrer Übermittlung sicherzustellen (Art. 29 Europol-VO). Hierfür gelten die jeweiligen nationalen Datenschutzvorschriften, im Falle Deutschlands also insb. das BDSG. Die nationale Kontrollbehörde überwacht auf Grundlage des nationalen Rechts die Zulässigkeit dieser Übermittlungen und Abrufe (Art. 42 Europol-VO). Gem. § 5 Abs. 1 EuropolG nimmt der Bundesdatenschutzbeauftragte diese Funktion wahr. Zudem erhält Europol einen eigenen Datenschutzbeauftragten (Art. 41 Europol-VO), der an die Stelle der früheren gemeinsamen Kontrollinstanz tritt und der Kontrolle des Europäischen Datenschutzbeauftragten unterliegt (Art. 43 Europol-VO).[25]