Arbeitsrecht in der Umstrukturierung

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bb) Die Einigungsstelle

160

Die Einigungsstelle kann die Einigung der Betriebsparteien anders als beim Sozialplan nicht ersetzen. Scheitert der erforderliche „Versuch“ des Interessenausgleichs kann der Betriebsrat dementsprechend auch keine Einigung erzwingen.

161

Um Nachteilsausgleichsansprüche und eine Unterlassungsverfügung zu vermeiden, hat der Arbeitgeber den Abschluss eines Interessenausgleichs aber zumindest zu „versuchen“ (§§ 112 Abs. 3 Satz 2, 113 Abs. 3 BetrVG). Hierfür ist nach der Rechtsprechung des BAG die Anrufung der Einigungsstelle erforderlich.[281] Auf die Durchführung dieses Verfahrens kann nicht bereits dann verzichtet werden, wenn der Vorsitzende des Betriebsrats dem Arbeitgeber formlos mitteilt, dass der Betriebsänderung zugestimmt werde oder dass ein Interessenausgleich überflüssig sei.[282]

162

Die Anrufung der Einigungsstelle setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat (oder umgekehrt) auffordert, sich an der Einigungsstelle beteiligen. Dabei hat er den Gegenstand der Einigungsstelle (Interessenausgleich und/oder Sozialplan) mitzuteilen und die Zahl der Beisitzer vorzuschlagen. Wurde die Einigungsstelle für beide Verfahren eingesetzt, kann sie gleichzeitig zu Interessenausgleich und Sozialplan verhandeln. Dies ist in der Praxis der übliche Weg.

163

Gemäß § 112 Abs. 2 BetrVG kann zuvor jede Seite den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung ersuchen, wenn eine Einigung nicht gelingt. Da die Einschaltung fakultativ ist, hat ihr Unterbleiben keine Rechtsfolgen nach § 113 BetrVG;[283] auch ist die Einbindung keine Voraussetzung für die Durchführung der Einigungsstelle.

164

Die Einigungsstelle hat die Einigung für gescheitert zu erklären, wenn die bestehenden Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Sobald dies erfolgt ist, können die Maßnahmen umgesetzt werden. Die unternehmerische Entscheidungsbefugnis über das „Ob“ und das „Wie“ verbleibt damit beim Arbeitgeber. Nicht abschließend geklärt ist bislang allerdings, ob auch der Arbeitgeber die Verhandlungen für gescheitert erklären kann. Nach zutreffender Ansicht kann es nicht allein ins Ermessen des Einigungsstellenvorsitzenden gestellt sein, das Scheitern zu erklären. Maßgeblich ist vielmehr eine objektive Bewertung. Als „gescheitert“ ist der Versuch danach dann zu bewerten, wenn den Parteien hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde und alle Argumente diskutiert wurden. Aufgrund der Bindungswirkung der Gremienentscheidung, die das Einigungsstellenverfahren (anders als die Parteierklärung) zwingend beendet, ist in der Praxis aber regelmäßig eine Entscheidung durch die Einigungsstelle herbeizuführen bzw. abzuwarten. Andernfalls bleibt nur, das Verfahren für gescheitert zu erklären und (ggf. nach Beginn der Betriebsänderung) die Frage des Scheiterns Vorfrage in einem Rechtsstreit geklärt zu klären.[284]

f) Sozialplan

aa) Gegenstand, Erzwingbarkeit, Form

165

Gegenstand des Sozialplans ist gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Einigung über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge einer Betriebsänderung entstehen. In der Praxis werden die Verhandlungen über den Sozialplan regelmäßig mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich verknüpft, soweit ein solcher nicht ausnahmsweise (wie in Tendenzbetrieben nach § 118 BetrVG) entbehrlich ist. Abweichungen im Verfahrensverlauf ergeben sich bereits daraus, dass der Sozialplan anders als der Interessenausgleich nicht nur „versucht“, sondern tatsächlich abgeschlossen werden muss.

166

Diese Verbindung macht regelmäßig Sinn, da nur dann näher über die abzumildernden Nachteile verhandelt werden kann, wenn die Einzelheiten der durchzuführenden Maßnahmen konkretisiert werden. Auch macht der Betriebsrat den Abschluss des Interessenausgleichs regelmäßig von dem Abschluss des Sozialplans abhängig. Zwingend ist dies jedoch nicht. Auf diese Weise kann der Betriebsrat die Durchführung zwar verzögern, aber nicht verhindern. Hier gilt in der Praxis letztlich: je eher die Einigungsstelle angerufen wird, desto schneller kann die Umsetzung erfolgen.

167

Abgesehen von den Fällen des § 112a BetrVG (vgl. dazu Rn. 170) ist ein Sozialplan bei jeder Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG abzuschließen und seine Aufstellung über eine Einigungsstelle erzwingbar. Die Erzwingbarkeit betrifft allerdings nur Regelungen über den Ausgleich oder die Abmilderung der durch die konkrete Betriebsänderung entstehenden Nachteile. Die Einigungsstelle ist nicht zuständig für darüber hinausgehende Maßnahmen wie etwa die Aufstellung von Rahmensozialplänen. Entsprechende Rahmenvereinbarungen können freiwillig vereinbart werden, sind aber dem Spruch der Einigungsstelle entzogen.[285]

168

Die Sozialplanpflicht besteht auch dann, wenn der Arbeitgeber einen Interessenausgleich nicht versucht hat oder der Versuch gescheitert ist. Unabhängig von etwaigen Nachteilsausgleichsansprüchen (§ 113 BetrVG) ist der Arbeitgeber damit grundsätzlich auch nach Durchführung der Betriebsänderung, etwa durch Ausspruch der Kündigungen nach Scheitern der Verhandlungen oder in Fällen des § 118 BetrVG (Tendenzschutz), zum Abschluss eines Sozialplans verpflichtet, so dass die Zuständigkeit der Einigungsstelle und damit die Erzwingbarkeit nicht allein deshalb entfällt, weil die Maßnahme umgesetzt wurde.[286]

169

Verbleiben Zweifel, ob eine Betriebsänderung vorliegt, können Arbeitgeber und Betriebsrat vorsorglich einen Sozialplan abschließen. Dies hat das BAG etwa für den Fall anerkannt, dass bei der Kündigung eines Auftrages über bestimmte Dienstleistungen und Neuvergabe dieses Auftrages an einen anderen Auftragnehmer ungewiss bleibt, ob ein Betriebsübergang vom bisherigen auf den neuen Auftragnehmer vorliegt oder ob der bisherige Auftraggeber seinen Arbeitnehmern – vorsorglich – betriebsbedingt kündigen muss.[287] Denkbar ist auch, dass zwischen dem Arbeitgeber und dem Gesamtbetriebsrat vorsorglich ein Sozialplan vereinbart wird, der für eine Vielzahl künftig möglicher, noch nicht geplanter Betriebsänderungen den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile vorsieht; sieht der örtliche Betriebsparteien im Falle einer konkreten Betriebsänderung dann von einer eigenen Regelung ab, beansprucht dieser Rahmensozialplan Geltung.[288] Anlässlich einer konkreten Betriebsänderung können die Betriebsparteien freiwillige Dauer- oder Rahmensozialpläne aber auch einvernehmlich abändern.[289]

170

Die Regelung des § 112a Abs. 1 BetrVG schränkt die Erzwingbarkeit in Fällen des Personalabbaus ein. Danach hängt eine Erzwingbarkeit über die Einigungsstelle in Fällen, in denen eine geplante Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG allein in der Entlassung von Arbeitnehmern besteht und keine weiteren Umstände hinzukommen, die eine Betriebsänderung begründen können, davon ab, dass bestimmte Schwellenwerte erreicht werden. Stellen etwaige zu dem Personalabbau hinzu tretende Änderungen selbst oder unter Einbeziehung des Personalabbaus ihrerseits eine Betriebsänderung dar, entfällt diese Beschränkung und es ist nach § 112 Abs. 4 BetrVG ein Sozialplan erzwingbar.[290]

171

Die Regelungen des § 17 KSchG finden bei einem reinen Personalabbau keine Anwendung. Die maßgeblichen Schwellenwerte richten sich nach den Vorgaben des § 112a Abs. 1 BetrVG:


Betriebsgröße (in der Regel beschäftigte Arbeitnehmer (Arbeitnehmer) Anzahl Entlassungen
< 60 Arbeitnehmer 20 % oder mind. 6 Arbeitnehmer
mind. 60 < 250 Arbeitnehmer 20 % oder mind. 37 Arbeitnehmer
mind. 250 < 500 Arbeitnehmer 15 % oder mind. 60 Arbeitnehmer
mind. 500 Arbeitnehmer 10 %, mind. aber 60 Arbeitnehmer

172

Als Entlassung gilt nach § 112a Abs. 1 Satz 2 BetrVG auch das vom Arbeitgeber aus Gründen der Betriebsänderung „veranlasste“ Ausscheiden von Arbeitnehmern aufgrund von Aufhebungsverträgen. Dem werden Eigenkündigungen, die der Arbeitgeber „veranlasst“ hat, gleichgestellt. Eine solche Veranlassung wird bejaht, wenn der Arbeitgeber bei dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer konkret geplanten Betriebsänderung die berechtigte Annahme hervorgerufen hat, mit der eigenen Initiative komme er einer ansonsten erfolgenden betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers zuvor.[291]

173

Hinsichtlich der Zusammenrechnung der Anzahl der entlassenen Arbeitnehmern gelten die allgemeinen Grundsätze, die im Rahmen des § 111 BetrVG entwickelt wurden: bei einem stufenweisen Abbau ist entscheidend, ob dieser auf einer einheitlichen Planung beruht.[292]

 

174

Auf Betriebe eines Unternehmens in den ersten vier Jahren nach seiner Gründung findet § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG keine Anwendung, d.h. der Sozialplan ist hier nicht erzwingbar. Das gilt für alle Betriebsänderungen, auch solche, die nicht unter § 112a Abs. 1 BetrVG fallen. Keine Anwendung findet diese Privilegierung allerdings für Neugründungen im Zusammenhang mit der rechtlichen Umstrukturierung von Unternehmen und Konzernen. Hierdurch soll die Umgehung erzwingbarer Sozialpläne durch konzerninterne Neugründungen verhindert werden.[293] Maßgebend für den Zeitpunkt der Gründung ist nach § 112a Abs. 2 Satz 3 BetrVG die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, die nach § 138 der Abgabenordnung dem Finanzamt mitzuteilen ist.

175

Umstritten ist, ob für die Wahrung der 4-Jahres-Frist der Entschluss oder die Durchführung der Betriebsänderung maßgeblich ist. Zum Teil wird auch auf den Spruch der Einigungsstelle abgestellt.[294] Nach zutreffender Ansicht ist auf den Beginn der Durchführung der Betriebsänderung abzustellen, die ein objektivierbares Kriterium darstellt.[295]

176

Der Sozialplan bedarf der Schriftform, d.h. er ist schriftlich zu vereinbaren und bedarf der eigenhändigen Unterschrift des Betriebsratsvorsitzenden (bzw. seinem Vertreter). Davon, dass die Textform ausreicht, wird man nicht ausgehen können[296].

177

Zuständig für den Abschluss des Sozialplans ist regelmäßig der örtliche Betriebsrat. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats richtet sich nach den allgemeinen Regeln, so dass seine Zuständigkeit nur dann gegeben ist, wenn ein zwingendes Bedürfnis für eine betriebsübergreifende Ausgleichsregelung besteht (§ 50 BetrVG).[297] Aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die Vereinbarung eines Interessenausgleichs folgt nicht zwingend die gesetzliche Zuständigkeit für den Abschluss eines Sozialplans. Dafür ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 BetrVG gesondert zu prüfen. Ob danach ein zwingendes Bedürfnis nach einer zumindest betriebsübergreifenden Regelung besteht, oder die Nachteile betriebsbezogen auszugleichen sind, bestimmt sich insbesondere nach Gegenstand und Ausgestaltung der Betriebsänderung im Interessenausgleich sowie nach den im Einzelfall den Arbeitnehmern hierdurch entstehenden Nachteilen.[298]

178

Entscheidend ist damit zunächst, ob ein mit dem Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 BetrVG vereinbarter Interessenausgleich Betriebsänderungen regelt, die einzelne Betriebe unabhängig voneinander betreffen, oder eine solche, die sich auf einen Betrieb beschränkt. In beiden Fällen ist ein unternehmensweiter Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile im Sozialplan nach der Rechtsprechung des BAG nicht zwingend.[299] Erfassen die im Interessenausgleich vereinbarten Betriebsänderungen hingegen mehrere oder gar sämtliche Betriebe des Unternehmens und ist die Durchführung des Interessenausgleichs abhängig von betriebsübergreifend einheitlichen Kompensationsregelungen in dem noch abzuschließenden Sozialplan, so kann diese Aufgabe von den Betriebsräten der einzelnen Betriebe nicht mehr wahrgenommen werden; sie ist dem Gesamtbetriebsrat zugewiesen. Das BAG spricht hier von einem „Abhängigkeitsverhältnis“ zwischen unternehmensweiten Betriebsänderungen und einer darauf abstellenden Sozialplanregelung zum Ausgleich von Arbeitsplatzverlusten und sonstigen wirtschaftlichen Nachteilen. Zu bejahen kann dies etwa dann sein, wenn für das Unternehmen ein Insolvenzantrag gestellt ist und zur Abwendung der Insolvenz ein unternehmenseinheitliches Sanierungskonzept aufgestellt wird, das nur auf der Grundlage eines bestimmten, auf das gesamte Unternehmen bezogenen Sozialplanvolumens realisiert werden kann. Denn hiermit ist notwendiger Weise die Entscheidung darüber verbunden, wie dieses Gesamtvolumen auf die betroffenen Arbeitnehmer verteilt werden soll.[300]

179

Auf Arbeitgeberseite kann im Gemeinschaftsbetrieb zweifelhaft sein, wer Verhandlungspartner des Sozialplans ist. Denkbar ist, dass ein gemeinsamer Sozialplan mit allen beteiligten Arbeitgebern geschlossen wird, oder getrennte Sozialpläne. Die Entscheidung hierüber liegt bei den Betriebsparteien. Allerdings kann ein Sozialplan nur gegenüber dem Vertragsarbeitgeber erzwungen werden (vgl. Rn. 165).[301]

bb) Inhalt

180

Die Betriebsparteien sind in ihrer Entscheidung, welche wirtschaftlichen Nachteile sie ausgleichen oder mildern wollen, im Wesentlichen frei.[302] Sie sind insbesondere nicht gehalten, sämtliche erdenklichen Nachteile abzumildern.[303] Sie können bei ihrer Regelung von einem Nachteilsausgleich auch gänzlich absehen oder nach der Vermeidbarkeit von Nachteilen unterscheiden.[304]

181

Es muss sich aufgrund der Begrenzung auf „wirtschaftliche“ Nachteile vielmehr um vermögenswerte Nachteile handeln, d.h. etwa den Verlust des Arbeitsplatzes, die Minderung des Einkommens, etwaige Umzugs- oder erhöhte Fahrtkosten. Die für erzwingbare Sozialpläne geltenden Grundsätze (§ 112 Abs. 5 BetrVG) können als Orientierung herangezogen werden. Das BAG geht insoweit von einer Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion des Sozialplans aus.[305]

182

In Fällen, in denen Entlassungen von Arbeitnehmern erfolgen, ist in der Praxis regelmäßig die Zahlung von Abfindungen ein zentraler Bestandteil. Eine gängige Formel für die Berechnung von Abfindungen knüpft an die Dauer der Betriebszugehörigkeit an („Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsgehalt x (sog. Faktor)“ = Abfindung), zum Teil wird auch das Lebensalter einbezogen (Dauer der Betriebszugehörigkeit × Lebensalter × Bruttomonatsvergütung geteilt durch einen frei verhandelbaren Divisor = Abfindung).[306]

183

Als (grobe) Faustregel kann ein halbes (letztes) Monatsgehalt pro Dienstjahr zugrunde gelegt werden, wenngleich die konkreten Faktoren abhängig von Branche und wirtschaftlicher Situation erheblich nach unten oder oben schwanken können.

184

Häufig werden als Ausgangspunkt auch vorhergehende Abschlüsse herangezogen. Lagen diese deutlich über der vorgenannten „Faustformel“ ist es in der Praxis regelmäßig empfehlenswert, mit höheren Sozialplankosten zu kalkulieren. Zwingend ist ein entsprechender Abschluss allerdings nicht. Entscheidend ist die konkrete Betriebsänderung und die damit verbundenen Nachteile. Auch steht es den Betriebsparteien grundsätzlich frei, anlässlich der konkreten Situation von etwaigen Rahmensozialplänen abzuweichen.

185

Nach § 75 BetrVG müssen die Betriebsparteien den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten. Dieser verbietet eine sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen gegenüber anderen Arbeitnehmern oder Arbeitnehmergruppen in vergleichbarer Lage. Die Prüfung, ob eine unterschiedliche Behandlung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen zulässig ist, hat sich am Zweck der Sozialplanleistung zu orientieren. Durch den Sozialplan sollen wirtschaftliche Nachteile der von einer Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer ausgeglichen oder gemildert, nicht etwa erbrachte Leistungen für den Betrieb oder eine Betriebszugehörigkeit nachträglich vergütet werden.[307]

186

Die mit der ansteigenden Betriebszugehörigkeit letztlich einhergehende Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer ist als legitimes Ziel allerdings gerechtfertigt[308] und üblich. Für den Beginn der zu berücksichtigenden Betriebszugehörigkeiten wird regelmäßig auf das arbeitsvertragliche Eintrittsdatum abgestellt. Werden hierzu keine näheren Regelungen getroffen, ist in der Regel davon auszugehen, dass vorangehende Dienstzeiten bei dem betreffenden Arbeitgeber nur berücksichtigt werden, wenn zwischen den Dienstzeiten ein enger zeitlicher Zusammenhang bestand oder Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Anrechnung der Betriebszugehörigkeit im Arbeitsvertrag vereinbart haben,[309] denn unter „Betriebszugehörigkeit“ ist nach allgemeinem Sprachgebrauch und der Rechtsterminologie der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses zu verstehen.[310] Der Begriff der Betriebszugehörigkeit setzt damit voraus, dass der Arbeitnehmer in der fraglichen Zeit dem Betrieb des Arbeitgebers angehörte. Das schließt Beschäftigungszeiten bei einem anderen Arbeitgeber aus. Zur „Betriebszugehörigkeit“ im Sinne eines Sozialplans gehören damit regelmäßig nur die zuletzt ununterbrochen zurückgelegten Beschäftigungszeiten bei dem Arbeitgeber. Die Betriebspartner können in einem Sozialplan auch regeln, dass für die Bemessung der Abfindung nur die Betriebszugehörigkeit beim Arbeitgeber und seinem Rechtsvorgänger, nicht aber die in einem Überleitungsvertrag anerkannte Betriebszugehörigkeit bei einem früheren Arbeitgeber zu berücksichtigen ist.[311]

187

Ein Sozialplan kann die Kürzung einer Abfindung für den Fall der Ablehnung eines zumutbaren Weiterbeschäftigungsangebots im Betrieb, Unternehmen oder Konzern vorsehen.[312]

188

Zu der Frage, welche Arbeitsplatzangebote zumutbar sind, kann der Sozialplan selbst Festlegungen treffen.[313] Das ist in der Regel bereits deswegen sinnvoll, weil hierdurch Auslegungsprobleme vermieden werden, kommt aber in erster Linie dann in Betracht, wenn konkrete Arbeitsplätze in Aussicht stehen.

189

Dabei sind die Betriebsparteien nicht verpflichtet, verheiratete Arbeitnehmer oder solche, die mit ihren Kindern in häuslicher Gemeinschaft leben, gegenüber unverheirateten, kinderlosen Arbeitnehmern zu bevorzugen, in dem sie von einer Reduzierung der Abfindung diejenigen Arbeitnehmer ausnehmen, die eine ihnen angebotene Weiterbeschäftigung wegen familiärer Bindungen ablehnen. Der grundgesetzliche Schutz von Ehe und Familie, der bei der Aufstellung des Sozialplans grundsätzlich zu beachten ist, verpflichtet die Betriebsparteien damit nicht zu einer „positiven Diskriminierung”.[314]

190

Möglich ist auch, Mitarbeiter, die einen angebotenen zumutbaren Arbeitsplatz ablehnen, vollständig aus dem Geltungsbereich des Sozialplans auszunehmen.[315] Eine solche Regelung erfasst auch den Fall, dass Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses im Wege eines Betriebsüberganges nach § 613a BGB widersprechen.[316] Hierzu hat das BAG in der Entscheidung vom 10.11.1993[317] zutreffend festgestellt, dass das Widerspruchsrecht bestehe, damit ein Arbeitnehmer sich bei dem mit einem Wechsel des Arbeitgebers verbundenen rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang frei für oder gegen die Beibehaltung des bisherigen Arbeitsplatzes entscheiden kann. Daraus folge nicht, dass das – aufgrund der freien Entscheidung des Arbeitnehmers erhalten gebliebene – Arbeitsverhältnis zum Betriebsveräußerer in jedem Falle ebenso behandelt werden muss, wie das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers, der die Möglichkeit nicht hatte, sein Arbeitsverhältnis mit einem Betriebserwerber fortzusetzen. Hierfür spricht auch, dass die Weiterarbeit beim Betriebserwerber nach einem Betriebsübergang dem Arbeitnehmer aufgrund des Bestandsschutzes nach § 613a BGB in der Regel zumutbar ist.[318]

191

Sieht ein Sozialplan Abfindungen bei betriebsbedingten Kündigungen vor und werden keine abweichenden Regelungen getroffen bzw. gibt es keine anderen Anhaltspunkte, können grundsätzlich aber auch solche Arbeitnehmer einen Anspruch haben, die infolge des Widerspruchs bei ihrem bisherigen Arbeitgeber gekündigt werden müssen. Das gilt auch dann, wenn der Sozialplan für diejenigen Arbeitnehmer, die dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse nicht widersprechen, besondere Leistungen vorsieht.[319] Um dieses Auslegungsergebnis zu vermeiden, empfehlen sich in der Praxis klare Regelungen.

192

Diese weite Auslegung resultiert aus dem Charakter des Sozialplans, der nach der Rechtsprechung des BAG als „Betriebsvereinbarung besonderer Art“ zu qualifizieren und wie Tarifverträge auszulegen ist. Damit kann der Wille der Betriebspartner nur Berücksichtigung finden, soweit er im Sozialplan selbst seinen Niederschlag gefunden hat.[320]

193

Regelmäßig wird losgelöst von der Abfindungsformel auch über weitere Regelungen verhandelt, die etwa besondere Härten für schwerer auf dem Arbeitsmarkt vermittelbarer Arbeitnehmer ausgleichen sollen, z.B. für Schwerbehinderte. Auch die Berücksichtigung der unterschiedlichen Unterhaltspflichten der betroffenen Arbeitnehmer ist ein gängiges Mittel, um dem Zweck der Sozialplanleistungen (Abmilderung der Nachteile) Rechnung zu tragen. Dabei ist es zulässig, nur solche Kinder zu berücksichtigen, die in der Lohnsteuerkarte eingetragen sind.[321]

 

194

Die Betriebsparteien sind auch nicht verpflichtet, sich innerhalb eines Sozialplans auf eine Berechnungsformel zu beschränken. Vielmehr gehört es zu ihrem Gestaltungsspielraum, verschiedene Formeln zu kombinieren.[322] Sozialpläne dürfen nach der Rechtsprechung des BAG insbesondere eine nach Lebensalter oder Betriebszugehörigkeit gestaffelte Abfindungsregelung vorsehen. Sie können etwa für rentennahe Arbeitnehmer Sozialplanleistungen reduzieren.[323]

195

Zulässig ist bei Vereinbarung einer Abfindung, die mit der Betriebszugehörigkeit und dem Lebensalter steigt, auch die Vereinbarung von Kappungsgrenzen, d.h. Höchstbeträgen.[324] Denkbar ist (in kleineren Betrieben) auch, die Abfindungen nach den Verhältnissen der jeweiligen Arbeitnehmer festzulegen. Es bedarf nicht der Verwendung einer abstrakten Formel.[325] Allerdings ist dabei besonderes Augenmerk auf das Diskriminierungsverbot und den Gleichbehandlungsgrundsatz zu legen, der im Falle eines Verstoßes zu Ansprüchen auf einen Ausgleich „nach oben“ führen kann.[326]

196

Die Zahlung einer Sozialplanabfindung darf auch nicht davon abhängig gemacht werden, ob eine Kündigungsschutzklage erhoben wird oder eine bereits erhobene Klage wieder zurück genommen wird.[327] Möglich und in der Praxis auch verbreitet ist jedoch, neben dem Sozialplan gesondert eine freiwillige Betriebsvereinbarung abzuschließend, die eine Sonderprämie unter anderem für solche Arbeitnehmer vorsieht, die keine Klage gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses erheben (sog. „Turboprämie“).[328] Der Verzicht auf die Kündigungsschutzklage, zu dem die freiwillige Leistung des Arbeitgebers einen Anreiz darstellen soll, dient insoweit der raschen Bereinigung der mit dem Ausspruch von Kündigungen verbundenen rechtlichen und wirtschaftlichen Unsicherheit und – so auch das BAG – der Herstellung von Planungssicherheit und ist daher sachlich gerechtfertigt.

197

Das Verbot, Sozialplanleistungen von einem entsprechenden Verzicht abhängig zu machen, darf dadurch allerdings nicht umgangen werden.[329] Eine solche Umgehung kann nach Ansicht des BAG etwa dann vorliegen, wenn der Sozialplan keine „angemessene“ Abmilderung der wirtschaftlichen Nachteile vorsieht[330] oder wenn „greifbare Anhaltspunkte“ für die Annahme bestehen, dem “an sich” für den Sozialplan zur Verfügung stehenden Finanzvolumen seien zum Nachteil der von der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer Mittel entzogen und funktionswidrig im “Bereinigungsinteresse” des Arbeitgebers eingesetzt worden.[331] Die Beurteilung der Frage, wann eine solche Umgehung vorliegt, ist nach der Rechtsprechung des BAG eine Einzelfallfrage.

198

Nicht zu beanstanden war nach Ansicht des BAG in dem der Entscheidung vom 31.5.2005[332] zugrundeliegenden Fall, dass die Betriebsparteien den (wahlweisen) Anspruch auf die Teilnahme an einem Outplacement-Programm oder eine weitere Abfindung in Höhe eines Bruttomonatsgehalts vom Verzicht auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage abhängig gemacht wurde.

199

Als mit dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz grundsätzlich vereinbar werden auch Regelungen angesehen, wonach die Betriebsparteien bei Abfindungsansprüchen zwischen Arbeitnehmern unterscheiden, denen infolge der Betriebsänderung gekündigt worden ist, und solchen, die ihr Arbeitsverhältnis aus eigener Initiative beendet haben. Die Betriebsparteien können – so das BAG – davon ausgehen, dass Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis selbst beenden, durch die Betriebsänderung keinen Nachteil erleiden. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die Eigenkündigung oder der Aufhebungsvertrag vom Arbeitgeber veranlasst worden ist. Gekündigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmer, die auf Grund einer Eigenkündigung oder eines Aufhebungsvertrages ausgeschieden sind, sind danach grundsätzlich gleich zu behandeln.[333] Eine Veranlassung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Hinblick auf eine konkret geplante Betriebsänderung bestimmt, selbst zu kündigen oder einen Aufhebungsvertrag zu schließen, um so eine sonst notwendig werdende Kündigung seitens des Arbeitgebers zu vermeiden.[334]

200

Wenn die wirtschaftlichen Nachteile einer Betriebsänderung nicht aus Entlassungen resultieren, kommen in Sozialplänen etwa folgende Ausgleichsmaßnahmen in Betracht: Ausgleichszahlungen bei Versetzungen, (teilweise) Kostenübernahme für Umschulungs- bzw. Weiterbildungsmaßnahmen sowie Bewerbungs- und Fahrtkosten, ferner die (anteilige) Übernahme von Umzugskosten und vergleichbare Leistungen.

201

Wichtig ist in der Praxis auch, im Sozialplan Regelungen zur Fälligkeit etwaiger Ansprüche zu treffen. Fehlt es an einer ausdrücklichen Regelung, sind Ansprüche mit ihrer Entstehung, das heißt dann, wenn in ihre Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, fällig. Für Ansprüche auf Abfindungen ist dies grundsätzlich der Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Zulässig ist aber eine Vereinbarung in einem Sozialplan, nach der die Fälligkeit der Abfindung auf den Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses eines Kündigungsrechtsstreites hinausgeschoben[335] und bestimmt wird, dass eine Abfindung nach den §§ 9, 10 KSchG auf die Sozialplanabfindung anzurechnen ist.[336]

202

Darüber hinaus können Ausschlussfristen für Abfindungen (und andere Leistungen) im Sozialplan vereinbart werden.[337] Abfindungsansprüche aus Sozialplänen werden zudem von üblichen tariflichen Ausschlussklauseln erfasst, sofern diese „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ erfassen.[338] Ob eine tarifliche Ausschlussklausel aufgrund einer arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel auf Tarifverträge eingreift, ist je nach Einzelfall im Wege der Auslegung zu ermitteln.[339]