Die Fünfundvierzig

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»Wollt Ihr? so kommt, und Ihr leistet mir einen Dienst, für den ich Euch mein ganzes Leben dankbar sein werde.« – »Und wie soll ich kommen?« – »Hier ist der Schlüssel zur Tür.« – Und er warf mir aus dem Fenster einen Schlüssel zu.

»Ich stieg rasch die Treppe hinauf und trat in das Zimmer, das der Schauplatz des Brandes war. Der Boden brannte; ich befand mich in dem Laboratorium eines Chemikers; als er irgendeinen Versuch machte, hatte sich eine entzündbare Flüssigkeit auf der Erde ausgebreitet, wodurch der Brand entstanden war. Bei meinem Eintritt war er schon Meister des Feuers, so daß ich mir ihn anschauen konnte.

»Es war ein Mann von etwa dreißig Jahren, eine furchtbare Narbe durchfurchte die Hälfte der Wange, eine andere den Schädel; sein buschiger Bart verbarg den Rest des Gesichtes. Er sagte zu mir:

»Ich danke Euch, mein Herr, aber Ihr seht, alles ist vorbei; habt also die Güte, Euch zu entfernen, denn meine Gebieterin kann jeden Augenblick eintreten, und sie dürfte ärgerlich werden, wenn sie zu dieser Stunde einen Fremden bei mir oder vielmehr bei sich sehen würde.«

»Der Ton dieser Stimme lähmte mich, es war der Mann von der unbekannten Dame, denn er war mit einer Kutte bedeckt gewesen, ich hatte sein Gesicht nicht gesehen, nur seine Stimme gehört. Ich war im Begriff, ihm dies zu sagen, ihn zu befragen, als sich plötzlich eine Tür öffnete und eine Frau eintrat.

»Was gibt es denn, Remy?« fragte sie, indem sie majestätisch auf der Türschwelle stehen blieb, »und warum dieser Lärm?«

»Oh! mein Bruder, sie war es, noch schöner im sterbenden Feuer des Brandes, als sie mir in den Strahlen des Mondes geschienen hatte; sie war es, die Frau, deren beständiges Andenken mir das Herz zernagt.

»Bei dem Schrei, den ich ausstieß, schaute mich der Diener ebenfalls aufmerksamer an.

»Ich danke, Herr, ich danke,« sagte er noch einmal; »Ihr seht, das Feuer ist gelöscht. Geht, ich bitte Euch, geht.« – »Mein Freund« erwiderte ich, »Ihr verabschiedet mich so?« – »Madame« sagte der Diener, »er ist es.« – »Wer?« fragte sie. – »Der junge Kavalier, den wir im Garten trafen, und der uns nach der Rue de Lesdiguières folgte.«

»Sie heftete nun ihren Blick auf mich, und aus diesem Blick konnte ich schließen, daß sie mich zum ersten Male sah. »Mein Herr,« sagte sie, »habt die Güte, entfernt Euch.«

»Ich zögerte, ich wollte sprechen, bitten; aber die Worte fehlten meinen Lippen; ich blieb unbeweglich und stumm und schaute sie nur an.

»Nehmt Euch in acht, mein Herr,« sagte der Diener mehr traurig als streng, »nehmt Euch in acht, Ihr würdet Madame zwingen, zum zweiten Male zu fliehen.«

»Oh! Gott verhüte es,« erwiderte ich, mich verbeugend, »aber Madame, ich beleidige Euch doch nicht.« »Sie antwortete mir nicht. So unempfindlich, so stumm, so eisig, als ob sie mich nicht gehört hätte, wandte sie sich um, und ich sah sie allmählich im Schatten verschwinden und die Stufen einer Treppe hinabgehen, auf der ihr Tritt nicht mehr tönte, als wenn es der eines Gespenstes wäre.«

»Und das ist alles?« – »Das ist alles. Der Diener geleitete mich zur Tür zurück und sagte: ›Mein Herr, vergeßt im Namen Jesu und der Jungfrau Maria, ich flehe Euch an, vergeßt!‹

»Ich entfloh, betrübt, verwirrt, albern, preßte meinen Kopf zwischen meine beiden Hände und fragte mich, ob ich nicht ein Narr würde.

»Seitdem gehe ich jeden Abend in diese Straße, und deshalb wandten sich meine Schritte, als wir das Stadthaus verließen, ganz natürlich nach dieser Seite; jeden Tag, sagte ich, gehe ich in diese Straße, ich verberge mich an der Ecke eines Hauses, dem ihrigen gegenüber, unter einem Balkon, dessen Schatten mich gänzlich umhüllt; einmal unter zehnmal sehe ich Licht in dem Zimmer, das sie bewohnt; dort ist mein Leben, dort ist mein Glück!«

»Welch ein Glück!« – »Ach, ich verliere es, wenn ich ein anderes zu erlangen wünsche.«

»Aber wenn du dich mit dieser Resignation zugrunde richtest?« – »Bruder,« sagte Henri mit einem traurigen Lächeln, »was willst du? Ich fühle mich so glücklich.«

»Das ist unmöglich.«

»Das Glück ist immer beziehungsweise; ich weiß, daß sie dort ist, daß sie dort lebt, daß sie dort atmet; ich sehe sie durch die Mauer, oder es kommt mir vielmehr vor, als erblickte ich sie; wenn sie dieses Haus verließe, wenn ich abermals vierzehn Tage zubrächte, wie die, welche ich zubrachte, als ich sie verloren hatte, so würde ich ein Narr, mein Bruder, oder ich ginge in ein Kloster, um Mönch zu werden.«

»Nein, bei Gott! es ist schon genug mit einem Narren und einem Mönch in der Familie; wir brauchen keinen mehr, teurer Freund. Ich verspreche dir, Bruder, in spätestens vierzehn Tagen sollst du deine Geliebte haben. Laß mich nur machen.«

Trotz alles Zweifels und Kleinmuts des verliebten Bruders beharrte der Ältere darauf, daß er sein Ziel erreichen werde. Er ließ sich von Henri mitteilen, daß dem kleinen Hause gegenüber ein ähnliches von einem einsamen Bürger bewohntes stehe. Joyeuse sagte schließlich:

»Du wirst sie diesen Abend sehen, Bruder.« – »Ich?«

»Stelle dich um acht Uhr unter ihren Balkon.« – »Ich werde dort sein, wie ich es alle Tage bin, aber ohne mehr Hoffnung, als an den anderen Tagen.«

»Doch sage mir die Adresse ganz genau.« – »Zwischen der Porte Bussy und dem Hotel Saint-Deny, beinahe an der Ecke der Rue des Augustins, zwanzig Schritte von einem großen Gasthofe mit dem Schilde: Zum Schwerte des kühnen Ritters.«

»Sehr gut, um acht Uhr heute abend.« – »Aber was willst du machen?«

»Du wirst es sehen, du wirst es hören. Mittlerweile kehre nach Hause zurück, lege deine schönsten Kleider an, nimm deine reichsten Juwelen, gieße auf deine Haare deine feinsten Essenzen; heute abend kommst du in die Festung.« – »Gott höre dich, mein Bruder.«

»Henri, wenn Gott taub ist, so ist es der Teufel nicht.... Ich verlasse dich, meine Geliebte erwartet mich, nein, ich will sagen, die Geliebte des Herrn von Mayenne.... Beim Papst! diese ist kein Zieraffe.«

»Mein Bruder.« – »Verzeih, schöner Liebesritter; also heute abend, Henri.«

Die Brüder drückten einander die Hand und trennten sich. Nach zweihundert Schritten hob der eine den Klopfer eines schönen beim Parvis Notre-Dame liegenden gotischen Hauses mutig auf und ließ ihn geräuschvoll wieder fallen. Der andere vertiefte sich schweigsam in einer von den krummen Straßen, die nach dem Palaste ausmünden.

Das Schwert des kühnen Ritters behält recht gegen Amors Rosenstock.

Inzwischen war die Nacht gekommen und hatte mit ihrem feuchten Nebelmantel die zwei Stunden zuvor noch so geräuschvolle Stadt umhüllt. Sobald Salcède tot war, kehrten die Zuschauer zu ihrem Herd zurück, und man sah auf den Straßen nur noch zerstreute Gruppen, statt der ununterbrochenen Kette der Neugierigen, die am Tage einem Punkte zugeströmt waren.

Bei der Porte Bussy, wohin wir uns zu dieser Stunde versetzen müssen, hörte man, wie einen Bienenstock bei Sonnenuntergang, ein gewisses rosenfarbig angestrichenes und mit blauen und weißen Malereien verziertes Haus summen, das Zum Schwerte des kühnen Ritters genannt wurde und nichts anderes war, als ein sehr geräumiger Gasthof, den man jüngst in diesem neuen Stadtviertel eingerichtet hatte.

Obwohl nun das Schild nicht nur den Kampf eines Erzengels mit einem ungeheuren Drachen darstellte, der von einem gewaltigen Kreuz in blutende Stücke zerhauen wurde, sondern der Schildermaler, um auch anderem Geschmack zuzusagen, Kürbisse, Trauben, Käfer, Eidechsen, eine Schnecke auf einer Rose und ein paar Kaninchen angebracht hatte, so schien doch die Anziehungskraft auf das Publikum gering, und der geräumige Gasthof blieb meist leer und gemieden.

Das Haus war jedoch groß und bequem; viereckig gebaut, mit breiten Unterlagen auf dem Boden ruhend, streckte es stolz über seinem Schilde vier Türmchen empor, von denen jedes ein achteckiges Zimmer enthielt, das Ganze allerdings von Holz gebaut, aber zierlich und vielversprechend, wie jedes Haus sein muß, das den Männern und besonders den Frauen gefallen will; doch hierin lag das Übel. Man kann nicht jedermann gefallen. Es kamen wohl viele kriegerische Gäste, aber die friedlichen verliebten Paare blieben fort.

Frau Fournichon, die Wirtin, behauptete auch, das Schild habe dem Hause Unglück gebracht, und sie versicherte, wenn man sich hätte auf ihre Erfahrung verlassen und statt des kühnen Ritters und des häßlichen Drachens etwas Galantes malen wollen, wie zum Beispiel Amors Rosenstock mit entflammten Herzen statt der Rosen, so hätten alle zarten Seelen ihr Haus zum Wohnsitz gewählt.

Dagegen meinte Meister Fournichon, ein Reiter, der nur an das Trinken zu denken habe, trinke wie sechs Verliebte, und wenn er auch nur die Hälfte der Zeche bezahle, so gewinne man doch noch dabei, da die verschwenderischsten Liebesleute nie bezahlten wie drei Reiter.

»Überdies,« schloß er, »ist der Wein moralischer als die Liebe.«

Bei diesen Worten zuckte Frau Fournichon ihre fetten Schultern, und es blieb alles beim alten, bis einen Monat vor Salcèdes Hinrichtung. Da saßen nach ihrer Gewohnheit Frau Fournichon und ihr Gatte, jedes in einem Türmchen ihrer Anstalt, beide müßig, träumerisch und kalt, weil alle Tische und alle Zimmer des Wirtshauses zum kühnen Ritter völlig leer waren.

Amors Rosenstock hatte an diesem Tage keine Rosen gebracht, und das Schwert des kühnen Ritters hatte ins Wasser geschlagen.

Die beiden Gatten schauten also traurig nach dem nahen Exerzierplatz, dem Pré aux Clercs, von wo eben die Soldaten verschwanden, und während sie schauten und über den militärischen Despotismus seufzten, der die Soldaten, die natürlich sehr durstig sein mußten, zwang, nach ihrer Wachtstube zurückzukehren, sahen sie den Kapitän, der das Manöver geleitet hatte, sein Pferd in Trab setzen und allein mit einem Mann nach der Porte Bussy reiten.

 

In zehn Minuten war er vor dem Gasthaus. Da er sich aber nicht in das Haus begeben wollte, war er im Begriff, vorüberzureiten, ohne nur das Schild bewundert zu haben, denn er schien sehr sorgenvoll und in Gedanken vertieft, als Meister Fournichon, dem das Herz beinahe bei dem Gedanken brach, daß er den ganzen Tag kein Geld lösen sollte, sich aus seinem Türmchen neigte und ausrief: »Das ist ein schönes Pferd, Frau!«

Frau Fournichon fügte als einsichtige Wirtin hinzu: »Und wie schön ist der Reiter!«

Der Kapitän, der für Lob nicht unempfindlich zu sein schien, schaute empor, als ob er plötzlich erwachte. Er sah den Wirt, die Wirtin und das Wirtshaus, hielt sein Pferd an und rief seiner Ordonnanz.

Dann betrachtete er, immer noch im Sattel, sehr aufmerksam das Haus. Fournichon rollte zu vier und vier Stufen seine Treppe hinab und stellte sich, seine Mütze in den Händen zusammengerollt, vor die Tür.

Der Kapitän dachte einen Augenblick nach und stieg dann ab.

»Ist niemand hier?« fragte er.

»Für den Augenblick nicht,« antwortete demütig der Wirt. Er wollte eben hinzufügen: »Es ist dies jedoch nicht gewöhnlich so in meinem Hause.«

Aber Frau Fournichon war, wie beinahe alle Frauen, scharfsichtiger als ihr Mann; sie rief daher eiligst von ihrem Fenster aus: »Sucht der Herr die Einsamkeit, so wird er sich bei uns vortrefflich finden.«

Der Kapitän richtete seine Augen in die Höhe, und als er das gute Gesicht sah, nachdem er die gute Antwort gehört hatte, erwiderte er: »Für den Augenblick, ja, das ist es gerade, was ich suche, meine gute Frau.«

Frau Fournichon eilte sogleich dem Fremden entgegen, indem sie zu sich sagte: »Diesmal gibt Amors Rosenstock Geld zu lösen und nicht das Schwert des kühnen Ritters.«

Der Kapitän war ein Mann von dreißig bis fünfunddreißig Jahren, während er erst achtundzwanzig alt zu sein schien, so viel Sorge verwandte er auf seine Person. Er war groß, gut gewachsen, von ausdrucksvoller und feiner Physiognomie; bei näherer Prüfung hätte man vielleicht etwas Geziertes in seinem großartigen Wesen gefunden, doch geziert oder nicht, sein Wesen blieb immerhin großartig.

Er warf seinem Begleiter den Zaum eines herrlichen Pferdes zu und sagte zu ihm: »Führe das Pferd auf und ab und erwarte mich hier!«

Sobald er sich sodann im großen Saale des Wirtshauses befand, blieb er stehen und sagte, einen Blick der Zufriedenheit umherwerfend: »Oh! oh! ein so großer Saal und kein einziger Zecher! Sehr gut!«

Meister Fournichon schaute ihn mit Erstaunen an, während ihm Frau Fournichon verständnisvoll zulächelte. Der Kapitän fuhr fort: »Es ist also etwas in Eurem Benehmen oder in Eurem Hause, was die Gäste fernhält.«

»Gott sei Dank, weder das eine noch das andere, mein Herr,« erwiderte Frau Fournichon. »Das Quartier ist nur neu, und was die Kunden betrifft, so sind wir wählerisch.«

»Ah! sehr gut,« sagte der Kapitän.

Meister Fournichon billigte mit dem Kopfe die Antworten seiner Frau.

»Zum Beispiel,« fügte sie mit einem gewissen Augenblinzeln hinzu, das den Urheber des Planes von Amors Rosenstock offenbarte, »für einen Kunden wie Eure Herrlichkeit ließe man gern zwölf gehen.«

»Das ist artig, meine hübsche Wirtin, und ich danke.«

»Will der gnädige Herr Wein kosten?« fragte Fournichon mit seiner am mindesten heiseren Stimme.

»Will der gnädige Herr die Wohnungen besichtigen?« flötete Frau Fournichon mit ihrer süßesten Stimme.

»Beides mit Eurer Erlaubnis,« erwiderte der Kapitän.

Fournichon stieg in den Keller hinab, während seine Frau ihrem Gaste die nach dem Türmchen führende Treppe zeigte, auf der sie ihm voranging, wobei sie ihren Rock zierlich etwas aufhob.

»Wieviel Personen könnt Ihr quartieren?« fragte der Kapitän, als er im ersten Stock angelangt war. – »Dreißig Personen, worunter zehn Herren.«

»Das ist nicht genug, schöne Wirtin.« – »Warum, mein Herr?«

»Ich hatte einen Plan, sprechen wir nicht mehr davon.« – »Ah! mein Herr, Ihr werdet sicherlich nichts Besseres finden, als Amors Rosenstock

»Warum Amors Rosenstock?« – »Den kühnen Ritter, wollte ich sagen, und wenn man nicht den Louvre hat ...«

Der Fremde heftete einen seltsamen Blick auf sie.

»Ihr habt recht,« sagte er, »wenn man nicht den Louvre hat.«

Dann fuhr er beiseite fort: »Warum nicht, das wäre bequemer und minder teuer.«

»Ihr sagt also, meine gute Dame,« sagte er laut, »Ihr könnet hier dreißig Personen zum Wohnen aufnehmen?« – »Ja, gewiß.«

»Aber für einen Tag?« – »Oh! für einen Tag vierzig und sogar fünfundvierzig.«

»Fünfundvierzig, Parfandious! Das ist gerade meine Zahl.« – »Wirklich! seht, wie glücklich sich das trifft.«

»Und ohne daß es auswärts Lärm macht?« – »Sonntags haben wir oft achtzig Soldaten hier.«

»Und keine Zusammenrottung vor dem Hause, kein Spion unter den Nachbarn?« – »Oh! mein Gott, nein; wir haben keinen andern Nachbarn, als einen würdigen Bürger, der sich nie in eines Dritten Angelegenheiten mischt, und keine andere Nachbarin, als eine Dame, die so zurückgezogen lebt, daß ich sie in den drei Wochen, die sie hier wohnt, noch gar nicht zu Gesicht bekommen habe; alle übrigen sind unbedeutende Leute.«

»Das sagt mir vortrefflich zu.« – »Ah! desto besser.« »Und von heute in einem Monat,« fuhr der Kapitän fort; »behaltet das wohl, Madame, von heute in einem Monat, am 26. Oktober, miete ich Euer ganzes Gasthaus.« – »Das ganze?«

»Das ganze. Ich will einigen Landsleuten eine Überraschung bereiten ... Offizieren oder wenigstens Kriegsmännern der Mehrzahl nach, die in Paris ihr Glück suchen; bis dahin erhalten sie Nachricht, daß sie bei Euch absteigen sollen.« – »Und wie erhalten sie diese Nachricht, da Ihr ihnen eine Überraschung bereiten wollt?« fragte unklugerweise Frau Fournichon.

»Ah!« erwiderte der Kapitän, durch diese Frage sichtbar in Verlegenheit gebracht, »ah! wenn Ihr neugierig oder indiskret seid ... Parfandious!« – »Nein, nein, mein Herr,« rief sie hastig und erschrocken.

Fournichon hatte teilweise gehört, bei den Worten: Offiziere oder Kriegsmänner schlug sein Herz vor Wohlbehagen. Er lief herbei.

»Mein Herr,« rief er, »Ihr werdet hier Meister, Despot des Hauses sein, und zwar ohne Frage; mein Gott! alle Eure Freunde sind willkommen.«

»Mein Braver, ich sagte nicht meine Freunde,« erwiderte hochmütig der Kapitän; »ich sagte meine Landsleute.«

»Ja, ja, die Landsleute Eurer Herrlichkeit; ich täuschte mich.«

Frau Fournichon drehte ärgerlich den Rücken; die Liebesrosen hatten sich in Hellebardenbündel verwandelt.

»Ihr werdet ihnen Abendessen geben,« fuhr der Kapitän fort. – »Sehr wohl.«

»Hier sind dreißig Livres Angeld.« – »Der Handel ist abgeschlossen; Eure Landsleute sollen als Könige behandelt werden, und wenn Ihr Euch, den Wein kostend, versichern wollt ...«

»Ich danke, ich trinke nie.«

Der Kapitän näherte sich dem Fenster und rief den Hüter der Pferde. Meister Fournichon stellte mittlerweile eine Betrachtung an.

»Gnädigster Herr,« sagte er (seit dem Empfang der so großmütig im voraus bezahlten drei Pistolen nannte er den Fremden gnädigster Herr), »gnädigster Herr, wie soll ich die Herren erkennen?«

»Parfandious! das ist wahr, das habe ich vergessen, gebt mir Wachs, Papier und Licht!«

Der Kapitän drückte auf das siedende Wachs das Siegel eines Ringes, den er an der linken Hand trug.

»Ihr seht dieses Bild?« – »Meiner Treu, eine schöne Frau.«

»Ja, es ist eine Kleopatra; nun wohl! jeder von meinen Landsleuten wird Euch einen ähnlichen Abdruck bringen, und Ihr beherbergt den Inhaber eines solchen Abdrucks, das ist abgemacht, nicht wahr?« – »Wie lange?«

»Ich weiß noch nicht; Ihr werdet meine Befehle hierüber erhalten.« – »Wir werden sie erwarten.«

Der schöne Kapitän stieg wieder die Treppe hinab, schwang sich in den Sattel und ritt in scharfem Trabe fort. In Erwartung seiner Rückkehr sackten die Gatten Fournichon die dreißig Livres Angeld ein ... zur großen Freude des Wirtes, der unablässig wiederholte: »Kriegsleute! ah! das Schild hat entschieden nicht unrecht, durch das Schwert werden wir unser Glück machen.«

Und er fing an, dem 26. Oktober entgegenharrend, alle seine Kasserollen zu scheuern.

Gaskognersilhouetten.

Trotz der Diskretion, die ihr auferlegt war, und die sie versprochen hatte, konnte es Frau Fournichon nicht unterlassen, einen Soldaten, den sie vorübergehen sah, nach dem Namen des Kapitäns zu fragen, der die Übung abgehalten. »Ei,« antwortete der Gefragte, »es ist niemand anders als der Herzog Nogaret de la Valette d'Epernon, Pair von Frankreich, General-Oberster der Infanterie des Königs, und etwas mehr König, als seine Majestät selbst.«

Man kann sich nun denken, mit welcher Ungeduld der 26. Oktober erwartet wurde. Am 25. abends trat ein Mann mit einem ziemlich schweren Sack ein, den er auf den Schenktisch legte. »Das ist der Preis für das auf morgen bestellte Mahl,« sagte er.

»Zu wieviel den Kopf?« fragten gleichzeitig die beiden Ehegatten.– »Zu sechs Livres.«

»Die Landsleute des Kapitäns werden also nur ein einziges Mahl hier einnehmen?« – »Ein einziges.«

»Der Kapitän hat also eine Wohnung für sie gefunden?« – »Es scheint.«

Trotz der Fragen des Rosenstocks und des Schwertes entfernte sich der Bote ohne weitere Auskunft.

Endlich ging die Sonne über den Küchen des kühnen Ritters auf. Es hatte halb ein Uhr bei den Augustinern geschlagen, als vier Reiter vor der Tür des Gasthauses hielten, vom Pferde stiegen und eintraten. Sie waren von der Porte Bussy gekommen und trafen natürlich zuerst ein, einmal, weil sie Pferde hatten, und sodann, weil das Gasthaus zum Schwerte nur hundert Schritte von der Porte Bussy entfernt lag.

Einer von ihnen, der nach seinem guten Aussehen wie nach seinem Luxus ihr Anführer zu sein schien, kam mit zwei wohlberittenen Lakaien.

Jeder zeigte sein Siegel mit dem Bilde der Kleopatra und wurde von dem Ehepaar mit jeglicher Zuvorkommenheit empfangen, besonders der junge Mann mit den zwei Lakaien.

Mit Ausnahme des letzteren traten die Ankömmlinge indessen nur schüchtern und mit einer gewissen Befangenheit auf; man sah, daß sie etwas Ernstes beunruhigte, besonders, wenn sie unwillkürlich die Hand in ihre Tasche steckten. Die einen verlangten, sich zur Ruhe zu legen, die anderen, vor dem Abendbrot die Stadt zu besichtigen; der junge Mann mit den zwei Lakaien fragte, ob es nichts Neues in Paris zu sehen gebe.

Sehr empfänglich für die gute Miene des Kavaliers, antwortete Frau Fournichon:

»Ei, wenn Euch die Menge nicht bange macht, und wenn Ihr nicht davor erschreckt, vier Stunden hintereinander auf Euren Beinen zu bleiben, so könnt Ihr Euch dadurch eine Zerstreuung verschaffen, daß Ihr Herrn von Salcède, einen Spanier, der konspiriert hat, vierteilen seht.«

»Ah!« sagte der junge Mann, »es ist wahr, ich habe davon sprechen hören, Pardicor! ich gehe dahin.« Und er entfernte sich mit seinen beiden Lakaien.

Gegen zwei Uhr kamen in Gruppen zu vier und fünf etwa fünfzehn neue Reisende.

Einer kam sogar ohne Hut, ein Stöckchen in der Hand; er fluchte über Paris, wo die Diebe so verwegen seien, daß sie ihm bei der Grève, als er eine Gruppe durchschritten, den Hut gestohlen, und so gewandt, daß er nicht einmal habe sehen können, wer ihn genommen. Übrigens sei das sein Fehler, er hätte nicht mit einem Hute, der mit einer so prachtvollen Agraffe geschmückt gewesen, nach Paris kommen sollen.

Gegen vier Uhr hatten sich schon vierzig Landsleute des Kapitäns in dem Gasthause Fournichons eingefunden. Gegen fünf Uhr kamen endlich die letzten fünf Gaskogner auch, und die Gäste des Schwertes waren vollzählig.

Nie hatten die Gaskognergesichter vor Erstaunen und Überraschung eine solche Verklärung gezeigt, eine Stunde lang hörte man nur Sandioux, Mordioux, Cap de Bious, kurz, so geräuschvolle Freudenausbrüche, daß es den Fournichons vorkam, als ob ganz Saintonge, Poitou, Aunis und Languedoc in ihrem großen Saal Platz genommen hätten.

 

Einige kannten sich; so umarmte Eustache von Miradoux den Kavalier mit den beiden Lakaien und stellte ihm Lardille, Militor und Scipio vor.

»Durch welchen Zufall bist du in Paris?« fragte dieser. – »Und du, mein lieber Sainte-Maline?«

»Ich habe eine Stelle bei der Armee, und du?« – »Ich komme in Erbschaftsangelegenheiten.«

»Ah! ah! Du schleppst also die alte Lardille immer noch nach?« –»Sie wollte mir folgen.«

»Konntest du nicht insgeheim abreisen, statt dich mit diesem Volke zu beschweren, das an ihrem Rocke hängt?« – »Unmöglich, sie hat den Brief des Anwaltes geöffnet.«

»Ah! Du hast die Nachricht von der Erbschaft durch einen Brief erhalten?« – »Ja,« antwortete Miradoux. Dann rief er, hastig das Gespräch wechselnd: »Ist es nicht seltsam, daß dieses Gasthaus voll, und zwar von Landsleuten voll ist?«

»Nein, das ist nicht seltsam, das Schild macht Leuten von Ehre Appetit,« unterbrach ihn unser alter Bekannter Perducas von Pincorney, sich in das Gespräch mischend.

»Oh! Ihr seid es, Kamerad,« versetzte Sainte-Maline, »Ihr habt mir noch immer nicht erklärt, was Ihr mir bei der Grève erzählen wolltet, als uns die Menge trennte.«

»Und was wollte ich Euch erklären?« fragte Pincorney, ein wenig errötend.

»Wie es kommt, daß ich Euch zwischen Angoulême und Angers begegnet bin, und daß ich Euch heute zu Fuß, ein Stöckchen in der Hand und ohne Hut sehe?« – »Das ist ganz einfach.«

»Ich finde das nicht.« – »Doch wohl, und Ihr werdet es begreifen. Mein Vater hat zwei prächtige Pferde, auf die er so große Stücke hält, daß er imstande ist, mich zu enterben nach dem Unglück, das mir begegnete.«

»Welches Unglück ist Euch begegnet?« – »Ich ritt auf dem schönsten spazieren, als plötzlich zehn Schritte von mir ein Büchsenschuß losgeht, mein Pferd scheu wird und auf der Straße nach der Dordogne fortrennt.« »Wo es hineinstürzt?« – »Ja.«

»Mit Euch?« – »Nein, zum Glück hatte ich noch Zeit gehabt, zu Boden zu gleiten, sonst wäre ich mit ihm ertrunken.«

»Ah! ah! das arme Tier ist ertrunken!« –»Pardioux! Ihr kennt die Dordogne, eine halbe Meile breit.«

»Und dann?« – »Dann beschloß ich, nicht nach Hause zurückzukehren und mich soweit als möglich dem väterlichen Zorne zu entziehen.«

»Aber Euer Hut?« – »Wartet doch beim Teufel! Mein Hut war herabgefallen.«

»Wie Ihr?« – »Ich war nicht herabgefallen, ich hatte mich zu Boden gleiten lassen; ein Pincorney fällt nicht vom Pferde, die Pincorney sind Stallmeister in der Wiege.«

»Das ist bekannt,« sagte Sainte-Maline, »aber Euer Hut?« – »Mein Hut war also herabgefallen, ich suchte ihn, denn es war meine einzige Hilfsquelle, da ich mich ohne Geld von Hause wegbegeben hatte.«

»Wie konnte Euer Hut eine Hilfsquelle für Euch sein?« fragte Sainte-Maline, entschlossen, Pincorney durch seine Beharrlichkeit in die Enge zu treiben. – »Sandioux! und zwar eine große! Ich muß Euch sagen, daß die Feder dieses Hutes von einer Diamantenagraffe gehalten wurde, die Seine Majestät Kaiser Karl V. meinem Großvater schenkte, als er auf seiner Reise von Spanien nach Flandern in unserem Schlosse anhielt.«

»Ah! Ihr habt die Agraffe verkauft und den Hut damit. Dann, mein Freund, müßt Ihr der Reichste von uns allen sein.« – »Wartet doch! in dem Augenblick, wo ich mich umdrehe, um meinen Hut zu suchen, sehe ich einen ungeheuren Raben, der darüber herfällt.«

»Über Euren Hut?« –, »Oder vielmehr über meinen Diamanten; Ihr wißt, daß dieses Tier alles stiehlt, was glänzt; es fällt also über meinen Diamanten her und stiehlt Ihn.« »Euern Diamanten?« – »Ja, mein Herr. Ich folge ihm zuerst mit den Augen, dann laufe ich ihm nach und rufe: ›haltet den Dieb!‹ Die Pest! nach fünf Minuten war er verschwunden, und ich habe nie mehr von ihm sprechen hören.«

»Und durch diesen doppelten Verlust niedergebeugt ...« – »Wagte ich es nicht mehr, in das elterliche Haus zurückzukehren und entschloß mich, mein Glück in Paris zu suchen.«

»Schön!« sagte ein dritter, »der Wind hat sich also in einen Raben verwandelt? Ich habe Euch, glaube ich, Herrn von Loignac erzählen hören, beschäftigt, einen Brief Eurer Geliebten zu lesen, habe Euch der Wind Brief und Hut fortgenommen, als wahrer Amadis wäret Ihr dem Brief nachgelaufen und hättet den Hut Hut sein lassen.«

Halb unterdrücktes Gelächter machte sich hörbar.

»Ei! ei! meine Herren,« sagte der reizbare Gaskogner, »sollte man etwa über mich lachen?«

Jeder wandte sich ab, um bequemer lachen zu können.

Perducas schaute forschend umher und erblickte am Kamin einen jungen Mann, der seinen Kopf in seinen Händen verbarg.

Er ging auf ihn zu und sagte: »Ei! mein Herr, wenn Ihr lacht, lacht mir wenigstens ins Gesicht, damit man Euer Antlitz sieht.«

Und er klopfte dem jungen Mann auf die Schulter, der ganz ernst und nachdenkend seine Stirn erhob, es war kein anderer als unser Freund Ernauton von Carmainges, der sich von dem Abenteuer auf der Grève noch ganz betäubt fühlte.

»Ich bitte Euch, mich in Ruhe zu lassen,« erwiderte er, »und besonders, wenn Ihr mich noch einmal berührt, mich mit der Hand zu berühren, an der Ihr einen Handschuh habt; Ihr seht wohl, daß ich mich nicht mit Euch beschäftige.«

»Wenn Ihr Euch nicht mit mir beschäftigt,« brummte Pincorney, »so habe ich nichts zu sagen.« »Ah! mein Herr,« sagte Eustache von Miradoux zu Carmainges, »bei den versöhnlichsten Absichten seid Ihr nicht höflich gegen unsern Landsmann.«

»Worein, zum Teufel, mischt Ihr Euch?« entgegnete Ernauton immer ärgerlicher.

»Ihr habt recht, mein Herr,« sagte Miradoux, sich verbeugend, »das geht mich nichts an.«

Und er wandte sich auf den Absätzen um und wollte zu Lardille zurückkehren, die in einer Ecke am großen Kamin saß, aber es versperrte ihm jemand den Weg.

Es war Militor, mit seinen beiden Händen im Gürtel und mit seinem höhnischen Lächeln auf den Lippen.

»Sagt doch, Stiefvater,« machte der Taugenichts. »Was sagt Ihr zu der Art und Weise, wie dieser Edelmann Euch abgeführt hat? Er hat Euch gehörig gebeutelt.«

»Ah! Du hast das bemerkt?« erwiderte Eustache, indem er Militor auf die Seite zu schieben suchte.

»Nicht nur ich,« sagte Militor ihm wieder entgegen, »sondern jeder, seht nur, wie alle um uns her lachen.«

Man lachte wirklich, doch nicht mehr hierüber, sondern über andere Dinge.

Eustache wurde rot wie eine glühende Kohle.

»Auf, auf, Stiefvater, laßt die Sache nicht kalt werden,« sagte Militor.

Eustache warf sich in die Brust, ging auf Carmainges zu und sagte zu ihm: »Mein Herr, man behauptet, Ihr hättet besonders unangenehm gegen mich sein wollen?«

»Wann dies?« – »Soeben.«

»Gegen Euch?« – »Gegen mich.«

»Wer behauptet dies?« – »Dieser Herr,« antwortete Eustache, auf Militor deutend.

»Dann ist dieser Herr,« entgegnete Carmainges mit einem besonderen Nachdruck auf die Betitelung, »dann ist dieser Herr ein Starmatz.« – »Oh! oh!« machte Militor wütend. »Und ich fordere ihn auf,« fuhr Carmainges fort, »mit dem Schnabel fern von mir zu bleiben, oder ich werde mich an Loignacs Rat erinnern.«

»Herr von Loignac hat nicht gesagt, ich wäre ein Starmatz.«

»Nein, er hat gesagt, Ihr wäret ein Esel, zieht Ihr das etwa vor? Mir ist wenig daran gelegen; seid Ihr ein Esel, so gebe ich Euch die Peitsche, seid Ihr ein Starmatz, so rupfe ich Euch.«

»Mein Herr,« sagte Eustache, »es ist mein Stiefsohn; ich bitte Euch, behandelt ihn besser aus Rücksicht für mich.«

»Ah! so verteidigt Ihr mich, Stiefvater,« rief Militor außer sich; »da werde ich mich besser allein verteidigen.«

»In die Schule mit diesen Kindern, in die Schule!« sagte Ernauton.

»In die Schule?« rief Militor, mit aufgehobener Faust gegen Herrn von Carmainges vorrückend, »ich bin siebzehn Jahre alt, versteht Ihr wohl, mein Herr?«

»Und ich bin fünfundzwanzig,« entgegnete Ernauton, »und deshalb will ich Euch, wie Ihr es verdient, zurechtweisen.«

Und er packte ihn beim Kragen und am Gürtel, hob ihn von der Erde auf und warf ihn wie einen Ballen zum Fenster des Erdgeschosses hinaus auf die Straße, während Lardille ein Geschrei ausstieß, daß die Wände hätten einfallen sollen.