Drachenreiter und Magier: 4 Fantasy Abenteuer

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa



2. DER KAMPF UM DEN SPIEGEL


Die GEEDRA erreichte nach einigen weiteren Tagen die Küste von Goson und schließlich den Fjord von Djur.

Die Stadt Djur - sie lag bereits auf lukkareanischem Gebiet - war in heller Aufregung, als die GEEDRA in ihrem Hafen anlegte, um Vorräte an Bord zu nehmen. Man erfuhr, dass es im Süden bald Krieg im Süden geben würde.

Die Länder Zaroun, Sköld und Badsol sowie der Stadtstadt Ilkyn hatten sich gegen das mächtige Kaiserreich Lukkare verschworen.

Vor allem die Schiffe der Skölden machten im Augenblick die Straße von Ral unsicher.

Man sagte, dass sich bereits große Heerscharen von Badsolern und Zarounesen an der sköldischen Nordküste für eine Invasion Lukkares bereitmachten.

Lukkare hatte keine Verbündeten - wenn man vom schwachen Goson absah.

Aber von den Gosonesen war kaum Hilfe zu erwarten, denn die würden die Situation möglicherweise dazu zu nutzen versuchen, die leidige Oberhohheit des Kaisers von Lukkare abzuschütteln.

Der Besatzung der GEEDRA wurde davon abgeraten weiterzusegeln. Besonders in der Gegend um Uz sei in der nächsten Zeit mit Kämpfen zu rechnen. Aus diesem Grund habe der lukkareanische Kaiser seine Residenz auch schon nach Ragal im Nordosten gelegt.

Aber Kryll wollte sich durch die warnenden Stimmen der Lukkareaner nicht einschüchtern lassen.

Schon bald segelte die GEEDRA weiter südwärts.

Am Horizont tauchten des öfteren Segel auf. Es waren die Segel von Kriegsschiffen.

Noch waren sie sämtlich nach lukkareanischer Bauart gefertigt. Kein zarounesisches oder sköldisches Schiff war unter ihnen.

"Es war ein guter Entschluss, nicht länger zu zögern", meinte Norjan an Kryll gewandt. "Wer weiß, wem Uz inzwischen die Hände gefallen wäre, wenn wir noch gewartet hätten..."

Kryll nickte.

"Da hast du recht! Nicht auszudenken, wenn der Spiegel in die Hände der Invasoren fallen würde..."

"Wer weiß, mein König! Vielleicht sind auch sie auf der Suche nach dem Spiegel!"

"Das glaube ich nicht!"

"Es wäre doch möglich!"

Dann wisperte plötzlich die Stimme des Ringes, den Kryll an der Hand trug.

"Hättest du den Spiegel, dann wüsstest du, weshalb die Skölden angreifen..."

Kryll hob die Hand und blickte auf den funkelnden Ring.

"Was weißt du über den Spiegel von Uz, Ring?", flüsterte Kryll.

"Er befindet sich schon seit langem im Besitz der Kaiser von Lukkare. Sie nutzten das große Wissen des magischen Spiegels, um ein großes Imperium aufzubauen. Doch fehlte ihnen immer die Macht des Ringes und so waren ihnen Grenzen gesetzt. Sie suchten nach mir, aber sie fanden mich nie! Die Skölden gehen ohne große Chancen in diesen Krieg, obwohl sie von Zarounesen und Badsolern unterstützt werden, denn der Kaiser von Lukkare besitzt den Spiegel und wird ihn zu nutzen wissen. Die Invasoren werden keine Geheimnisse vor den Kriegern Lukkares bewahren können... Ihr könnt Euch denken, was das bedeutet, wenn man Krieg führt!"

"Wenn die Skölden chancenlos sind, dann verstehe ich nicht, weshalb sie dennoch in den Kampf ziehen! Ahnen sie nichts von der Existenz des Spiegels?"

Nun mischte sich der Namenlose in das Gespräch ein.

"Ich halte das für ausgeschlossen! Der Spiegel ist in den alten Sagen der Skölden mehrfach erwähnt. Sie sind ein sehr altes Volk..."

Kryll zog die Augenbrauen in die Höhe.

"Dann haben sie möglicherweise eine Möglichkeit gefunden, den Spiegel zu beirren!" Sein Blick fixierte den Ring an seinem Finger. "Sag mir, ist so etwas möglich?"

"Ja", kam die Erwiderung des Ringes. "Man muss dazu enorme geistige Kräfte aufwenden. Ein Magier könnte dazu in der Lage sein. Ich selbst übrigens auch. Mit dem Spiegel kann man unter anderem jeden Punkt dieser Welt und auch darüber hinaus sehen. Ein Magier könnte nun durch seine Kräfte Bilder auf den Spiegel bringen, die nicht der Wirklichkeit entsprechen!"

"Ich verstehe...", murmelte Kryll.

"Auf jeden Fall ist es unsinnig, nach dem Spiegel weiter in Uz zu suchen", erklärte der Namenlose jetzt. "Der Kaiser von Lukkare ist nach Ragal geflohen. Und es spricht eigentlich alles dafür, dass er den Spiegel mitgenommen hat."

Kryll hob den Blick.

"Du meinst, wir sollten nicht bis nach Uz, sondern nur bis Ragal segeln?"

"Ja."

Kryll musterte den Namenlosen einen Augenblick lang nachdenklich. Dann nickte er. Es war einfach vernünftig, was der Namenlose vorgebracht hatte.

Kryll wandte sich an Kraynar, den Steuermann.

"Wir segeln nicht mehr nach Uz, sondern nur bis Ragal!"

*


Ragal war ein weitaus weniger bedeutender Hafen, als die Kaiserstadt Uz. Als die GEEDRA in das Hafenbecken einlief, herrschte großer Aufregung in der Stadt. Hunderte von Schiffen lagen momentan hier vor Anker oder hatten an den Anlegestellen festgemacht. Lukkareanische Kriegsschiffe waren ebenso darunter wie Handelsschiffe, die sich aus dem Süden hier her geflüchtet hatten.

Im Hafen patrouillierten auffallend viele Soldaten umher, darunter auch Abteilungen von gosonesischen Söldnern. Der Krieg lag förmlich in der Luft.

Kurz nachdem die GEEDRA im Hafen angelegt hatte, bildete sich bereits eine kleine Menschentraube um den Anlageplatz - darunter auch lukkareanische Soldaten.

Dies war nicht verwunderlich, denn ein praganisches Langschiff in einem Hafen des Südens - das war auch in Ragal etwas Besonderes.

Kryll stieg souverän an Land, gefolgt von Norjan und dem Namenlosen.

Er wandte sich an einen der Soldaten, einen Offizier, der den König von Pragan mit einem misstrauischen Blick bedachte.

"Kannst du mich zum Kaiser bringen?", fragte Kryll. Der Soldat zog zunächst verärgert die Augenbrauen hoch.

"Zum Kaiser?"

"Ja. Ich habe gehört, dass er zur Zeit in Ragal weilt"

Dann lachte der Offizier.

"Wer bist du, dass du zum Kaiser von Lukkare willst! Normalerweise lassen wir nicht einfach jeden dahergelaufenen Strolch zu unserem Herrscher!"

"Ich bin jemand, der dem Kaiser zu helfen vermag!"

"Du?" Der Offizier unterdrückte ein erneutes Gelächter. "Was kann einer wie du schon für uns tun?"

"Bestimmt mehr, als die gosonesischen Söldner, die bei euch Dienst tun und beim ersten Anzeichen von Gefahr davonlaufen werden!"

"Wie kommst du dazu, dich so aufzuspielen, Fremder?"

Kryll zog jetzt die Linke unter seinem Umgang hervor, so dass der Offizierr den Ring von Kuldan sehen musste.

Kryll hatte ursprünglich vorgehabt, dem Offizier und den Menschen, die noch immer um den Anlegeplatz der GEEDRA herumstanden, eine kleine Kostprobe von der Machtfülle des Ringes zu geben.

Aber das schien gar nicht notwendig.

Das Gesicht des Offiziers bekam etwas Ehrfürchtiges. Er schluckte.

"Der Ring...", flüsterte er.

"Du kennst diesen Ring?", wunderte sich Kryll.

Unter der Menschenmenge entstand ein erregtes Raunen.

"Jeder Lukkareaner kennt diesen Ring", erklärte der Offizier. "Nach ihm sucht unser Volk schon solange, wie wir uns zurückzuerinnern vermögen! Unsere Legenden sagen, dass der Ring zusammen mit dem Spiegel von Uz großes zu bewirken vermag..." Der Offizier tastete ehrfürchtig nach Krylls Hand, um den Ring von Kuldan zu berühren. "Ja", murmelte. "Es gibt keinen Zweifel. Die Beschreibungen passen genau!"

"Glaubst du mir nun, dass ich deinem Kaiser zu helfen vermag?", fragte Kryll.

Der Offizier nickte stumm - noch immer wie gebannt von dem weißen Juwel, das an dem Ring funkelte.

"Ich werde Euch und Eure Begleiter zur Residenz bringen. Ich bin sicher, dass er Euch empfangen wird! Ihr seid der Träger des Ringes..."

Dann führte der Offizier Kryll, Norjan und den Namenlosen zur Residenz des Kaisers. Kryll konnte kaum glauben, dass der Palast, den er hier zu sehen bekam, lediglich eine Art Notunterkunft des Kaisers war. Für einen König von Pragan blieb derartiger Luxus etwas Unwirkliches.

*


Der Kaiser saß plump und bullig auf seinem goldenen Thron. Er war ein feister, dicklicher Mann mit Doppelkinn und bleicher, ungesunder Gesichtsfarbe.

Er wirkte unbeholfen.

Der Kaiser erhob sich, als Kryll und seine Begleiter den Thronsaal betraten.

Die Kunde davon, dass der Träger des Ringes sich in Ragal aufhielt, war Kryll und dem Offizier, der sie hier geführt hatte, wohl vorausgeeilt.

 

In der Hand hielt der Kaiser einen Spiegel umklammert.

Kryll machte nicht viele Worte.

Er hob seine Linke, so dass der Kaiser den Ring sehen konnte.

"Ihr Götter", flüsterte der Herrscher von Lukkare. "Es ist wahrhaftig der Ring!"

Kryll nickte.

"Ja, so ist es. Du erkennst ihn nicht wahr?"

"Ja!"

Der Kaiser setzte sich wieder auf den Thron. Auf seinem fetten Gesicht zeichnete sich die Karikatur eines Lächelns ab.

"Warum seid Ihr gekommen, Fremder?", fragte der Herrscher jetzt, wobei er sichtlich um Freundlichkeit bemüht schien.

"Ich will Euch helfen", war Krylls knappe Antwort.

Das Gesicht des Kaisers entspannte sich nun zusehends.

"Ihr seid nicht zufällig ein Spion der Skölden, nicht wahr?"

"Nein."

Der Kaiser wandte sich seinem Spiegel zu.

"Er blickt in den Spiegel, um deine Loyalität zu prüfen!", hörte Kryll währenddessen die Stimme des Ringes in seinem Kopf, so dass niemand anderes davon etwas bemerken konnte. "Der Spiegel wird ihm deine wahren Absichten enthüllen, Kryll... Und ich glaube nicht, dass das zu deinem Vorteil wäre... Ich könnte eine Geistsperre aufbauen, so dass des Kaisers Spiegel blind bleibt!"

"Gut", flüsterte Kryll.

Der Kaiser blickte indessen angestrengt in den Spiegel und verzog dann das Gesicht. "Aus unerfindlichen Gründen verrät der Spiegel mir nichts über Euch, Fremder! Es bleibt mir wohl nichts anders, als Euch zu glauben!"

Kryll nickte.

"Daran tätet Ihr gut!"

Der Herrscher rülpste ungeniert und Norjan musste ein Grinsen unterdrücken, denn im Norden war es unüblich, dass ein Herrscher öffentlich rülpste. Hier schienen die Sitten andere zu sein.

"Ihr wollt mir also helfen. Wie ist Euer Name, Fremdling?"

"Mein Name ist Tharson", erwiderte Kryll.

"Und Eure Begleiter?"

"Ihre Namen tun wenig zur Sache."

Der Kaiser nickte nachdenklich.

"Gut, Tharson. Ich denke, Ihr habt die Absicht, mir den Ring zu verkaufen."

Aber Kryll schüttelte entschieden den Kopf.

"Nein, da irrt Ihr!"

"Ich werde einen guten Preis zahlen!"

"Er ist unverkäuflich!"

"Wie wollt Ihr mir dann helfen, Fremder?"

"Seht her!"

Kryll deutete auf die steinerne Wand des Thronsaals. Langsam erwachte der Stein zum Leben fremdartige Tiermenschen begannen sich aus ihm zu formen, während der Kaiser und sein Gefolge wie erstarrt zur Wand blickten.

Die Dämonen aus dem Stein stapften nun mit dumpfen Tritten auf den Kaiser zu.

Die Wachsoldaten stellten sich mit ihren Lanzen vor den Herrscher, aber ehe sie sich versahen, verwandelten ihre Lanzen sich in Schlangen. Erschrocken ließen sie die glutäugigen Untiere zu Boden fallen, die sich daraufhin kriechend und zischend über den kalten Steinfußboden des Saales bewegten.

Der Kaiser zog instinktiv das kurze Zierschwert, das er an der Seite trug.

Doch kaum hatte er die Waffe gezogen, da wurde aus ihr ein schleimiger Salamander, den der Herrscher von Lukkare dann mit einem Aufschrei von sich warf.

"Tharson!", rief er und in seiner Stimme klang das blanke Entsetzen mit. Seine fetten Hände zitterten leicht. Schweiß perlte ihm über die Stirn. "Tharson!", rief er noch einmal.

Kryll warf ihm einen triumphierenden Blick zu.

Der Kaiser war außer sich. Er schien zu begreifen, dass er in eine furchtbare Falle gegangen war und ihm jetzt niemand mehr zu helfen vermochte. Seine Wachen stoben in heilloser Flucht auseinander. "Hört auf mit Eurer Magie!", rief der Kaiser in höchster Not.

Die letzten Wachen, die noch nicht geflüchtet waren, verwandelten sich nun einer nach dem anderen ebenfalls in Tiermenschen.

Der Kaiser stand mit offenem Mund da.

Er schluckte.

"Was wollt Ihr, Tharson?", rief er dann.

"Ich will Euren Spiegel!", rief Kryll dem zu Tode geängstigen Kaiser zu.

Und dann waren die Steindämonen zu dem dicken Mann getreten und hatten ihm den Spiegel von Uz entrissen, um ihn wenige Augenblicke später an Kryll zu übergeben.

"Das wirst du noch bereuen", zischte der Kaiser, der Kryll mit einem giftigen Blick bedachte, während er zurück in seinen Thron sank. Ohnmächtige Wut hatte ihn gepackt. Aber es gab nichts, was er jetzt tun konnte.

Kryll zuckte nur mit den Schultern, während er in den Spiegel von Uz blickte.

Ein Lächeln ging über sein Gesicht.

"Gehen wir!", befahl er dann.

*


Eilig verließen sie die Residenz des Kaisers von Lukkare, während die steinernen Dämonen, die der Ring gerufen hatte, sie begleiteten und schützten.

Nirgendwo wagte es jemand, sich ihnen in den Weg zu stellen und so erreichten sie schließlich die GEEDRA.

Nun erst lösten sich die Steindämonen in Nichts auf. Sie hatten ihre Aufgabe erfüllt, aber sobald ihre Anwesenheit wieder notwendig sein würde, würde der Ring sie zurückrufen.

"Wir legen ab!", wandte sich Kryll an Olkyr.

Die GEEDRA segelte auf das Meer hinaus und der König hielt triumphierend den Spiegel in der Rechten.

"Das war leichter, als ich dachte", bekannte Norjan.

"Es ist noch nicht alles überstanden", erklärte da der Namenlose. Norjan blickte den Mann aus dem Schattenland erstaunt an.

"Was meinst du damit, Namenloser?"

"Es wird noch einige Kämpfe zu bestehen geben. Oder glaubt ihr beide vielleicht, dass die Lukkareaner uns kampflos werden ziehen lassen?"

"Sie werden uns nicht verfolgen!", sagte Kryll fest. "Ich habe dem Kaiser meine Macht gezeigt - und ich bin mir sicher, dass er mich jetzt mehr fürchtet, als den Tod!"

"Wähne dich nicht in Sicherheit", warnte der Namenlose.

Kryll zuckte gleichgültig mit den Schultern.

Unterdessen verschwanden die Türme von Ragal am Horizont. Die Stunden gingen dahin.

Kryll blickte in den Spiegel von Uz.

Der matte Glanz des Glases verflüchtigte sich und Kryll sah jetzt nicht sein Spiegelbild, sondern Bilder. Bilder von riesigen Flotten der Skölden, Badsoler und Zarounesen.

"Zur Zeit beginnt der Angriff auf Uz", flüsterte eine Stimme, die offenbar aus dem Spiegel kam.

Kryll war fasziniert.

Er sah im Spiegel, wie die Invasoren an Land gingen und die Verteidiger von Uz niederzukämpfen.

Sturmleitern wurden gegen die Stadtmauern gelehnt und ganze Trupps von sköldischen Kriegern überwanden die Befestigungsmauern.

Das Schicksal von Uz schien besiegelt.




3. DIE EISMENSCHEN


"Wir haben den Ring und den Spiegel! Jetzt kann das Tor zwischen dieser Welt und dem Schattenland errichtet werden!", verkündete Kryll.

Die GEEDRA hatte inzwischen schon wieder die garamitische Küste erreicht. Von dem inzwischen im Süden mit furchtbarer Wut tobenden Krieg war in diesen Gewässern nichts mehr zu spüren.

"Ihr habt alles erreicht, was Ihr wolltet, mein König", sagte Norjan an Kryll gewandt. "Ihr habt den Ring und den Spiegel. Mit Hilfe dieser magischen Waffen werden wir Pragan verteidigen können!"

"Wir werden ein Tor bauen!", beharrte Kryll.

"Ein Tor? Wozu das noch?", rief Norjan. "Ihr könntet unsere Gegner mit der Magie des Ringes zurückschlagen!"

"Das schon. Aber ich will mehr..."

Norjan zog den jungen König etwas bei Seite.

"Ich traue dem Namenlosen und seinen Schattengeschöpfen nicht so recht..."

"Aus welchem Grund?"

"Nun, ein König, es ist nur ein Gefühl..."

"Ach, hört auf mit Euren Gefühlen."

"Wir sollten die Schatten nicht in unsere Welt holen, wenn es einen anderen Weg gibt."

Kryll verengte die Augen.

"Aber Ihr selbst habt mir vor einiger Zeit gesagt, dass die Kreaturen des Schattenlandes eine Möglichkeit zur Lösung unserer Probleme darstellen."

"Damals kannte ich die Macht des Ringes noch nicht! Seid Ihr denn blind, mein König, dass Ihr nicht erkennt, dass wir uns mit den Schatten etwas in unsere Welt holen, was wir nicht richtig kennen? Was wollt Ihr zum Beispiel tun, wenn dieser Tarak uns betrügt?"

Kryll warf einen kurzen Blick in Richtung des Namenlosen, der am anderen Ende der GEEDRA stand.

"Er wird uns nicht betrügen!"

"Was macht Euch so sicher? Hat die Gier nach Macht Euch bereits so verblendet, dass Ihr es nicht mehr fertigbringt, vernünftig zu denken?"

"Ich glaube, Ihr versteht mich falsch, Freund Norjan!" Er zog ihn näher zu sich heran. "Bevor Tarak die Gelegenheit erhält, mich zu betrügen, werde ich ihn betrügen", flüsterte der König dann kaum hörbar.

"Ich glaube, Ihr stellt Euch die Sache zu einfach vor, mein König", meinte Norjan mit sorgenvoller Miene. "Ihr könnt doch noch gar nicht abschätzen, über welche Macht Tarak tatsächlich verfügt."

"Ich weiß, Freund Norjan. Das ist ein gewisses Problem."

"Mein König, ich kann Euch nur beschwören! Für die Lösung der Probleme unseres Land reicht die Macht des Ringes und das Wissen des Spiegels aus!"

Kryll zuckte mit den Schultern.

Aber es war keineswegs so, dass er sich unschlüssig war, oder dass der alte Ritter irgendeinen ernsthaften Zweifel hätte nähren können.

Der König schien mit seiner Geste eher Gleichgültigkeit gegenüber Norjans Einwänden zu signalisieren. Kryll hatte sich längst entschieden, welchen Weg er gehen würde.

Dennoch fuhr der alte Ritter fort: "Überlegt doch, mein König! Die Zeit wird für Pragan arbeiteten! Der Krieg im Süden könnte sich noch weiter ausbreiten. Es könnte sein, dass auch Dagarien bald in den Krieg hineingezogen wird und Dagarien ist der einzige feste Verbündete der Remurier!"

Kryll wandte sich zu Norjan herum.

Er hob die Augenbrauen.

"Das ist allerdings wahr."

"Es kann einen Vorteil für uns bedeuten."

Unterdessen hatte sich Olkyr den beiden Männern genähert.

"Mein König, es nähert sich uns ein Pulk von Schiffen!", rief er.

Kryll sah das Entsetzen in Olkyrs Gesicht.

"Lukkareaner? Oder Garamiter?"

Olkyr schüttelte den Kopf.

"Nein...", hauchte er. Er schien etwas zu brauen, um seine Fassung wiederzugewinnen. "Es sind Eisschiffe!"

Kryll blinzelte in die Ferne, dorthin, wo die fremden Schiffe aufgetaucht waren.

"Seid Ihr sicher?"

"Ja, mein König!"

Eisschiffe! Kryll hatte von ihnen gehört. Es waren die Schiffe der Bewohner des unwirtlichen Eislandes, tief unten im äußersten Süden gelegen.

Die Männer der GEEDRA schauten zum Horizont und hielten den Atem an, als sie die völlig weißen Schiffe herannahen sahen. Sie hatten eine unglaubliche Geschwindigkeit und würden die GEEDRA bald eingeholt haben.

"Es müssen tatsächlich Eisschiffe sein!", entfuhr es Kryll.

"Sie werden uns kaum eine Chance geben, ihnen zu entkommen", brummte unterdessen Norjan.

Krylls Blick ging zum Namenlosen, der am Heck der GEEDRA stand und einen ziemlich nervösen Eindruck machte und unruhig hin und her ging.

Der König trat zu ihm.

"So aufgeregt?", fragte er den Diener Taraks mit beißendem Spott in der Stimme.

 

"Wenn wir nicht schneller werden, holen uns die Eisschiffe ein!", rief er ärgerlich.

Kryll machte eine wegwerfende Geste.

"Wir haben den Ring und den Spiegel. Und wir haben deine Zauberaxt, Namenloser! Was können uns diese Wesen dort auf den Eisschiffen schon anhaben?"

"Ihr wähnt Euch überlegen, Kryll! Aber Ihr könntet Euch in diesem Fall täuschen!"

"Ach, ja?"

Kryll beobachtete, wie die Eisschiffe aufholten. Immer näher kamen sie an die GEEDRA heran.

Zu Krylls Erstaunen bestanden die Schiffe tatsächlich aus purem Eis. Aber es konnte kein gewöhnliches Eis sein, denn dann hätten diese Schiffe binnen kurzer Zeit in der Sonne schmelzen müssen.

Auch die Eisleute, die brüllend und rufend an Deck standen, sahen aus, als wären sie aus nichts anderem, als klirrendem, kaltem Eis. Sie sahen fast so aus, wie die Wasserdämonen, die Kryll mit Hilfe des Ringes gerufen hatte.

"Warum schmelzen die Schiffe der Eismenschen nicht?", fragte Kryll den Spiegel.

"Die Eismenschen bedienen sich der Magie! Sie wissen Mittel und Wege, um das Schmelzen zu verhindern, selbst wenn sie sich sehr weit von ihrer Heimat im kalten Süden entfernen", klang es aus dem Spiegel.

"Was können diese Kreaturen uns anhaben?"

"Sie können die Dämonen, die du mit Hilfe des Ringes erzeugen kannst, gefrieren und erstarren lassen!"

Es war, als ob sich eine eiskalte Hand in diesem Moment auf Krylls Schulter gelegt hätte.

Er schluckte.

"So ist der Ring in diesem Kampf wertlos?"

"Ja."

Unbehagen hatte sich jetzt des Königs bemächtigt. Er fühlte sich hilflos. Kryll sah zu den herannahenden Schiffen hinüber. Er sah die eisgrauen Gestalten, die ihm ununterscheidbar zu sein schienen. Einer war wieder andere - ohne Gesicht, ohne auch nur das kleinste Zeichen irgendeiner, wenn auch noch so bescheidenen Individualität...

"Was sollen wir tun?", rief jemand.

Ich werde es dennoch versuchen, dachte Kryll. Ich werde die Wasserdämonen auf die Schiffe der Eiswesen hetzen!

Das Wasser türmte sich zu unnatürlich wirkenden Wellen auf, aus denen sich dann die gespenstisch anmutenden Wassermenschen bildeten.

Mit transparenten Schwertern in den Händen erklommen sie die eisigen Wandungen der etwa ein Dutzend fremden Schiffe. In ihrer äußeren Erscheinung schienen sie ihren Gegner erschreckend ähnlich.

Gerade hatten die ersten Wasserdämonen das Deck eines Eisschiffes erklommen, um sich auf die Besatzung zu stürzen, da erstarrten sie mitten in der Bewegung und wurden zu Eis.

Höhnisches Gelächter klang von den weißen Schiffen herüber.

Sie packten die erstarrten Wasserdämonen und warfen sie über Bord. Langsam gingen sie im Meer auf und wurden wieder eins mit ihm.

Entsetzen packte Kryll, als er dies sah.

Der Spiegel hatte Recht behalten.

Ich werde weitere Dämonen mit dem Ring herbeirufen und gegen die Eismenschen hetzen, durchfuhr es Kryll grimmig.

"Es hat keinen Sinn, Kryll!", rief der Spiegel ihm mit matter Stimme zu, gerade so, als hätte er geahnt, was dem König durch den Kopf ging. "Du kannst so viele Dämonen und Trugbilder gegen diese Schiffe beschwören, wie du willst! Sie werden nichts ausrichten!"

Kryll fluchte.

Resigniert musste er einsehen, dass der Spiegel recht hatte.

Die Eisschiffe kamen näher und näher und der Augenblick war abzusehen, da die GEEDRA von Eismenschen geentert werden würde.

Die Praganier schossen einen Hagel von Pfeilen auf die Gegner an Bord der Eisschiffe ab, aber diese richteten nicht das Geringste aus. Es war nicht mehr, als ein Akt der schieren Verzweiflung. Die Pfeile prallten an den eisigen Körpern dieser Wesen ab, ohne irgendeine Wirkung zu zeigen.

"Sie entern uns!", war die Stimme Norjans zu hören, der sein Schwert gezogen hatte. Eine eisige Brücke war indessen zwischen der GEEDRA und einem der Eisschiffe angebracht worden und die Eisleute stürmten an Deck. Ihre grauweißen Schwerter blitzten nicht im Sonnenlicht. Ihre ausdruckslosen Gesichter schienen völlig konturlos.

Sie wirken wie lebende Tote, überkam es Kryll, der ebenfalls sein Schwert gezogen hatte, obgleich er bezweifelte, dass ihm das etwas würde nützen können.

Es war kaum für möglich zu halten, aber das seltsame Eis, aus dem die Körper der Eismenschen bestanden, schien härter als der beste praganische Stahl zu sein. Die Männer der GEEDRA wehrten sich so gut sie konnten. Schwerter klirrten gegen Eis, aber das Eis war härter. Die Praganier wehrten sich verzweifelt, aber sie hatten einen Gegner, der nicht zu bezwingen war. Einzig die blutrot leuchtende Axt des Namenlosen schien etwas ausrichten zu können.

Doch der Namenlose sah sich umringt von einer erdrückenden Übermacht.

Es war ein verzweifelter Kampf, der hier geführt wurde und den die Besatzung der GEEDRA wohl kaum noch gewinnen konnte.

Als sich nun noch ein zweites Schiff durch eine Enterbrücke aus grauem Eis mit der GEEDRA verband, da schien ihr Schicksal besiegelt...

*


Kryll konnte sich gerade noch den Spiegel hinter den Gürtel stecken, ehe er von einem der Eismenschen angegriffen wurde.

Er blickte in das konturlose Gesicht seines Gegenübers. Die Spitze des grauen Eisschwertes schnellte ihm entgegen und der König musste sich alle Mühe geben, zu parieren und sich seiner Haut zu wehren.

Und dann war er auch schon mitten im Kampfgetümmel.

Ein eisiger Arm legte sich um den Hals des Königs.

Man hatte ihn von hinten gepackt.

Das Schwert, mit dem ohnehin kaum etwas auszurichten war, wurde Kryll aus der Hand gerissen. Dann bekam er einen Schlag, der ihm die Sinne raubte, und es schwarz vor seinen Augen werden ließ...

Der Namenlose stieß einen grimmigen Kriegsruf aus, als er sah, was mit Kryll geschehen war. Mit der Axt bahnte er sich einen Weg durch die Eismenschen, um zu ihm zu gelangen, während die Eisleute damit beschäftigt waren, den bewusstlosen König von Pragan auf eines ihrer Schiffe zu bringen.

Mit gewaltigen Hieben fuhr der Namenlose zwischen die Eismenschen und zerschlug das klirrende Eis ihrer Körper.

Kryll darf nichts geschehen, durchfuhr es seinen dunklen Metallkopf. Kryll war schließlich von Tarak dazu auserwählt worden, das Tor zum Schattenland zu bauen...

Erbarmungslos schlug der Mann mit der Zauberaxt auf die Eisleute ein und tötete einen nach dem anderen. Sobald er einen von ihnen erschlug, so schmolz dieser innerhalb eines Augenblicks zu gewöhnlichem Wasser, so dass die Planken zu Füßen des Namenlosen bereits glitschig geworden waren.

Der Namenlose hörte, wie sich die Eismenschen Worte und Befehle in einer für ihn unverständlichen Sprache zuriefen. Sie hatten viele aus der Besatzung der GEEDRA getötet, aber jetzt ließen sie mehr und mehr von den Praganiern ab, von denen sie wussten, dass sie den eisgrauen Klingen nichts entgegenzusetzen hatten.

Stattdessen konzentrierten sie sich auf den Namenlosen und griffen ihn immer wieder von Neuem an. Zeitweise umringten sie ihn zu zehnt, während der Namenlose seine rötlich schimmernde Axt mit tödlicher Genauigkeit zu schwingen wusste.

"Kryll!", rief er dabei, und versuchte verzweifelt, zu dem König von Pragan zu gelangen.

Der Namenlose wusste, dass sein Arm nie ermüden würde, selbst wenn er tagelang mit den Eismenschen hätte kämpfen müssen. Aber soviel Zeit hatte er nicht, denn Kryll war in ihrer Gewalt.

Nach einiger Zeit wichen die Eisleute zurück und ließen von dem Namenlosen ab. Doch da hatte eines der enternden Schiffe bereits wieder abgelegt.

Der Namenlose blickte sich um, aber von Kryll war nirgends etwas zu sehen. Es schien, als hätten die Eisleute ins Innere ihres Schiffes gebracht.

Mochten die Götter wissen, was ihnen am König von Pragan liegen mochte!

Vielleicht sind auch sie auf der Suche nach dem Ring und dem Spiegel, durchfuhr es den Namenlosen.

Den Legenden nach waren die Eismenschen ein sehr altes Volk, viel älter als die Menschheit.

Es war durchaus denkbar, dass sich bei ihnen Erinnerungen aus jener Zeit bewahrt hatten, in der noch eine Verbindung zwischen den Welten existierte und sie von dem Ring und dem Spiegel gehört hatten.

Aber wenn dem so war, weshalb vermuteten sie dann diese Artefakte an Bord der GEEDRA?

Und wie konnten sie gewusst haben, dass sich der Ring und der Spiegel nicht mehr an ihren angestammten Orten befanden? Nein, dachte der Namenlose. Dieses Motiv konnten die Eisleute kaum haben...

Es war einfach zu absurd.

Der Namenlose stürmte nun wild vorwärts, während die Eiskrieger vor ihm zurückwichen, um auf das zweite Eisschiff zu gelangen, das mit der GEEDRA noch immer durch eine Enterbrücke verbunden war. Der Namenlose passierte diese Brücke und befand sich dann an Bord des feindlichen Schiffes, umringt von Eisleuten.

Er trat etwas vor, die rötlich leuchtende Axt in der Rechten.

Einen Augenblick lang geschah gar nichts. Der Namenlose wusste, dass es im Augenblick wenig Sinn hatte, weitere Eismenschen zu erschlagen. So besann sich der Mann aus dem Schattenland eines Besseren.

"Versteht ihr meine Sprache?", rief er, während einige der Eisleute die Verbindung zur GEEDRA unterdessen gelöst hatten.

Doch er erhielt keinerlei Antwort.

Sein Blick ging über die eisgrauen Aufbauten des Schiffes.

Eine Tür ging dort auf und einen spinnenartiges Wesen von der Größe eines Pferdes kam zum Vorschein. Es war genau wie Eisleute aus klirrendem, schmutzig-grauem Eis. Der Namenlose erstarrte mitten in der Bewegung. Er vernahm höhnisches Gelächter im Hintergrund.

Ein Fauchen ging von der Eisspinne aus. Ihr eisiger Atem ließ den Namenlosen frösteln.

Mit der Axt in der Hand stand er da und war bereit, seine Gegnerin zu empfangen.

Vorsichtig wälzte sich die Eisspinne auf ihren neun Beinen vorwärts. Einen Moment lang belauerten sie beide sich abwartend, dann kam die Eispinne mit einem plötzlichen Satz herangeschnellt.