Ich hab mal einen Killer gekannt: 4 Action Krimis

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Die Dämmerung setzte bereits ein als wir die Cumberland Road in Hoboken erreichten. Fantasielos wirkende, quaderförmige Wohnblocks reihten sich hier aneinander. Immerhin hatte man hier bei gutem Wetter in den oberen Stockwerken eine Aussicht, die bis auf die andere Seite des Hudson River reichte. Ansonsten hatten die Wohnungen hier vor allem den Vorteil, dass sie preiswert waren.

Doreen Stafford wohnte in einem Block, der die Hausnummer 45 trug, wie wir mit Hilfe unseres Kollegen Dave Ontario von der Scientific Research Division herausgefunden hatten. Wir hatten ihn telefonisch kontaktiert und es war für ihn eine Kleinigkeit gewesen, die telefonischen Verbindungsdaten abzurufen. Der Anschluss gehörte zu einer Wohnung im zwölften Stock dieses Blocks und war auf eine gewisse Doreen Stafford eingetragen.

Das musste Tasha Graths mysteriöse Freundin sein.

Etwas erstaunt waren wir, als wir Dutzende von Einsatzfahrzeugen sahen, die rund um den Eingangsbereich des Gebäudes herum geparkt waren. Polizeiwagen waren dort ebenso zu finden wie ein Wagen des Coroners sowie verschiedene Zivilfahrzeuge.

„Da muss irgend etwas passiert sein, Jesse!“, lautete Milos Schluss, dem ich mich nur anschließen konnte.

Ich fand schließlich eine der wenigen Lücken in der langen Reihe der parkenden Fahrzeuge, die am Straßenrand abgestellt waren und stellte den Sportwagen dort ab.

„Glaubst du an Zufälle?“, fragte ich.

„Bei dieser Sache nicht mehr“, gab Milo zurück. „Ich fürchte, diesmal kommen wir zu spät.“

„Wollen wir hoffen, dass deine prophetische Gabe dich diesmal im Stich lässt!“

Wenig später erreichten wir den Eingangsbereich. Ein Officer des Hoboken Police Departement ließ uns durch und klärte uns in knappen Worten über die Sachlage auf. Danach war die Polizei auf Grund einer Schießerei gerufen worden, der eine junge Frau und ein Mann zum Opfer gefallen waren.

Wir gelangten schließlich in den vierten Stock. Der Tatort war gar nicht zu verfehlen. Überall waren uniformierte Cops, die Schaulustige vom eigentlichen Tatortbereich abhielten und Zeugen befragen.

Ein rothaariger Mann in den Vierzigern leitete den Einsatz. Er stand an der Tür zu Doreen Staffords Apartment.

„Lieutenant Lester Jessup, Homicide Squad“, stellte er sich uns gegenüber vor. Jessup deutete auf den FBI-Ausweis, den ich ihm entgegenhielt und meinte: „Ich wusste nicht, dass Sie schon jemand gerufen hätte.“

„Scheint so, als hätte uns unser eigener Spürsinn hier her geführt, Lieutenant“, erwiderte ich. „Hier wohnt doch eine gewisse Doreen Stafford.“

„Wohnte“, korrigierte mich der Lieutenant. „Sie ist erschossen worden von einem Kerl, der die Tür eingetreten hat und mit einer Automatik in der Faust hereingestürmt sein muss. Nachdem er die junge Frau getötet hat, ist er selbst niedergestreckt worden.“

„Dann war noch jemand in der Wohnung?“, mischte sich Milo ins Gespräch ein.

Lieutenant Jessup nickte.

„Dem Schuhabdruck nach, den diese Person hinterlassen hat, handelte es sich um eine Frau.“

„Ich denke, wir können Ihnen sogar den Namen der Täterin verraten“, meinte ich. „Sie heißt Tasha Grath und wird im Zusammenhang mit den Morden an Brandon Carter und Jack Fabiano gesucht.“

„Wissen Sie was über die Identität des Killers?“, hakte Milo nach.

Lieutenant Jessup schüttelte entschieden den Kopf. „Er trug keine Papiere bei sich. Wir nehmen Fingerabdrücke und versuchen es mit einem Abgleich.“

Jessup führte uns in die Wohnung.

Ein Gerichtsmediziner kümmerte sich gerade um die Leiche von Doreen Stafford.

Der tote Killer lag bereits in seinem Leichensack.

Eine dunkelhaarige Kollegin von der Homicide Squad zeigte uns die Fotos der Leiche im Display ihrer Digitalkamera.

„Reicht das oder müssen wir den Leichensack noch mal öffnen?“ fragte sie an Milo und mich gewandt.

„Haben Sie kein Sofortbild?“, erkundigte ich mich.

„Leider nein. Aber ich kann Ihnen die Bilder per E-Mail auf Ihren Dienstrechner schicken, sobald ich wieder im Büro bin.“

„Gerne, Miss...“

„Ich bin Sergeant Carey.“

Ein Kollege vom Erkennungsdienst kam aus dem Bad heraus. „Hier bin ich jetzt auch fertig“, meinte er.




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Es war schon spät, als wir wieder das Bundesgebäude an der Federal Plaza erreichten. Die meisten Kollegen hatten längst Feierabend gemacht. Nur in Mister McKees Büro brannte noch Licht. Seit unser Chef seine gesamte Familie durch ein Verbrechen verloren hatte, hatte er sich zu hundert Prozent dem Kampf gegen die Kriminalität gewidmet. Morgens war er in der Regel der erste von uns allen, der in seinem Büro saß und häufig genug war er bis spät in die Nacht noch tätig.

Milo und ich schauten bei ihm vorbei, um ihm einen kurzen, zusammenfassenden Bericht zu geben.

„Die Fingerabdrücke und das Suchergebnis der Computerabfrage sowie die Tatortfotos schicken uns die Kollegen aus Hoboken noch auf den Rechner“, meinte ich. „Ich werde gleich mal nachschauen, ob die Daten schon angekommen sind.“

„Aber spätestens dann machen Sie beide für heute Feierabend, Jesse.“

„Wenn das eine Dienstanweisung ist, Sir!“

Mister McKee lächelte verhalten. „Das ist es“, setzte er noch hinzu.

„Gibt es irgendetwas Neues von Ribesco?“, fragte ich.

„Allerdings!“, antwortete Mister McKee. „Clive und Orry waren ja heute mit ein paar anderen Kollegen in seiner Wohnung. Vergeblich. Ribesco schien bereits auf und davon zu sein. Vor fünfzehn Minuten hatte ich einen Anruf von der City Police. In einer Filiale von HOT & SPICY hat es eine Schießerei gegeben. Ribesco war irgendwie darin verwickelt. Die genauen Hintergründe liegen noch im Dunkeln. Ich weiß nicht, ob es was bringt, aber vielleicht lohnt es sich, wenn wir da mal genauer nachhaken.“

„Da scheint einfach jemand immer einen Schritt schneller als wir zu sein“, meinte ich. „Umso wichtiger ist es, Tasha Grath zu verhaften. Ich bin überzeugt davon, dass sie uns noch sehr viel mehr über die Hintergründe des Doppelmordes in der Elizabeth Street sagen könnte.“

„Es ist seltsam, Jesse. Clive hat versucht, seine Kontakte in Little Italy spielen zu lassen. Sobald der Tod von Jack Fabiano erwähnt wird, breitet sich überall Schweigen aus...“

„Ich glaube, da zittern einige große Bosse ganz schön, schließlich könnten die Ermittlungen noch so einiges an den Tag bringen, was den einen oder anderen von ihnen mit in den Abgrund reißt“, glaubte Milo. „Schließlich weiß ja niemand von uns, ob Jack Fabiano nicht bereits irgendwelche Aufzeichnungen über sein Leben angefertigt hat, die vielleicht irgendwann auftauchen.“

„Clive glaubt nicht daran, dass die Mafia hinter diesem Mord steckt“, gab Mister McKee zu bedenken. „Ich gebe allerdings zu, dass das lediglich eine sehr persönliche Einschätzung ist, die nicht mit genug Fakten unterlegt werden kann, um die Mafia-Spur wirklich schon völlig auszuschließen.“

Milo und ich gingen in unser gemeinsames Dienstzimmer. Ich fuhr den Computer hoch. Die Daten der Kollegen aus Hoboken waren eingetroffen.

Der Tote in Doreen Staffords Wohnung hieß Mace Collins, war 33 Jahre alt und hatte in den vergangenen Jahren als Türsteher und Leibwächter gearbeitet. Eine Bewerbung bei der Army war im Alter von 19 Jahren gescheitert. Er hatte weder den schriftlichen noch den psychologischen Eignungstest bestanden, während er allerdings in der sportlichen Prüfung überdurchschnittliche Ergebnisse erreicht hatte.

Es standen eine ganze Reihe von Verurteilungen auf seinem Strafkonto. Die meisten hatten etwas mit Drogen oder Körperverletzung zu tun. Ein Verfahren wegen Zuhälterei war nach einer Anhörung vor der Grand Jury wegen mangelhafter Beweisführung durch die Staatsanwaltschaft niedergeschlagen worden und in einem Mordprozess, bei dem bei einer Schießerei in einer Diskothek in Alphabet City fünf Menschen ums Leben gekommen waren, war er kurzzeitig als Verdächtiger festgenommen und verhört worden. Zu einer Anklage war es aber auch hier nicht gekommen. Der Hauptbelastungszeuge, der Mace Collins als einen der Schützen bei der Schießerei zunächst anhand eines Fotos eindeutig identifiziert hatte, änderte bei der Gegenüberstellung plötzlich die Meinung und konnte sich auf einmal nicht mehr daran erinnern, den Verdächtigen erkannt zu haben.

 

„Ein schlimmer Finger!“, meinte Milo.

„Naja, es gibt Schlimmere“, schränkte ich ein.

„In den letzten drei Jahren ist etwas ruhiger um ihn geworden“, meinte Milo. „Kann natürlich auch sein, dass er einfach etwas cleverer geworden ist und sich nicht mehr erwischen lässt.“

„Wir müssten wissen, mit wem der Kerl zurzeit arbeitet, mit wem er sich getroffen hat und dergleichen.“

„Die Frage ist doch, wer diesen Gorilla losgeschickt hat“, sagte Milo.

„Aber an die kommen wir nur über die Handlanger heran.“

„Vom verwendeten Kaliber her könnte er auch einer der beiden Mörder sein, die Fabiano und Carter auf dem Gewissen haben.“

„Warten wir einfach den ballistischen Bericht ab!“, schlug ich vor.

Ich fuhr den Rechner herunter.

Anschließend verließen wir das Bundesgebäude. Wir fuhren mit dem Sportwagen nordwärts Richtung Upper Eastside.

Bevor ich Milo an der bekannten Ecke absetzte, gingen wir noch in eine rund um die Uhr geöffnete Snack Bar, in er man auch um dies Zeit noch einen Hot Dog bekommen konnte.

Wenn man um diese Zeit in einer Snack Bar sitzt, trifft man einen ganz bestimmten Menschenschlag.

Subway-Angestellte, die von ihrer Nachtschicht kommen zum Beispiel. Oder Angehörige des Krankenhauspersonals, wo auch rund um die Uhr gearbeitet werden muss. Zeitungsausträger, Lieferanten, Kurierfahrer, die entweder mit dem Wagen oder per Fahrrad unterwegs sind.

„Fürs Frühstück ist es noch zu früh“, meinte Milo und hob dabei seinen Hot Dog etwas an. „Für so etwas hier aber eigentlich auch schon zu spät, oder?“

Ich war wohl nicht so richtig bei der Sache.

„Hey, bist du noch wach?“, fragte Milo.

„Klar doch!“, meinte ich.

„Worüber grübelst du nach?“

„Irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir in diesem Fall den entscheidenden Dreh noch nicht gefunden haben. Das, was alles miteinander verbindet!“

„Vielleicht gibt es so eine Verbindung gar nicht, Jesse. Vielleicht sind es verschiedene Fälle, die nur oberflächlich betrachtet etwas miteinander zu tun haben.“

„Nein, das glaube ich nicht.“

„Egal was du glaubst. Es ist besser, wenn wir wenigstens noch ein paar Stunden schlafen!“ Und mit diesen Worten schlang er den letzten Rest seines Hot Dog hinunter. Ich ließ hingegen die Hälfte von meinem stehen. Irgendwie fehlte mir in dieser Nacht der richtige Appetit.




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Am nächsten Morgen erfuhren wir von Mister McKee, dass zwar der ballistische Vergleich zu der Schießerei in der HOT & SPICY Filiale in der Avenue A vorlag, aber noch nicht die Ergebnisse der Tests, die mit der Waffe von Mace Collins durchgeführt werden sollten.

„Das liegt einfach daran, dass diese Tests von Kollegen in New Jersey gemacht werden, während für die Schießerei in der Avenue A unsere Scientific Research Division zuständig ist“, erläuterte Mister McKee. „Und hier in New York genießt dieser Fall inzwischen allerhöchste Priorität.“

„Und? Wie sehen die Ergebnisse aus?“, fragte ich.

Mister McKee gab das Wort an unseren Chefballistiker Dave Oaktree weiter. „Ich überzeugt davon, dass Dave das sehr viel besser auf den Punkt bringen kann als ich“, erklärte unser Chef.

Dave Oaktree räusperte sich und nippte dann erst einmal an seinem Kaffeebecher. „Monty Ribescos Waffe wurde insgesamt für drei Auftragsmorde benutzt.“

„Wenn er Fabianos Komplize war, dann ist das keine Überraschung“, sagte ich.

„Zudem werden als Auftraggeber in diesen Fällen Leute vermutet, für die auch Jack Fabiano gearbeitet hat!“, ergänzte Max Carter von der Fahndungsabteilung.

Dave Oaktree fuhr danach fort: „Interessanter ist die Waffe, mit der Ribesco erschossen wurde. Es handelt sich dabei definitiv um eine der beiden Waffen, die bei dem Mord auf Fabiano und Carter benutzt wurde.“

„Dann ist das eine heiße Spur“, sagte Mister McKee. Er wandte sich an Clive und Orry. „Sehen Sie doch zu, ob Sie nicht etwas mehr über Ribescos Mörder herausfinden.“

„In Ordnung, Sir...“

„Was Tasha Grath angeht, so werden wir bis auf weiteres wohl nichts mehr von ihr hören. Ich nehme an, dass sie untergetaucht ist.“ Mister McKee stellte seinen leeren Kaffeebecher auf dem Tisch ab. „Versuchen Sie, Tasha auf die Spur zu kommen, ehe es die Killer tun!“, forderte Mister McKee.

„Wir tun unser Bestes“, sagte Milo.

„Das weiß ich. Aber ich habe das Gefühl, dass Tasha in diesem Fall eine Schlüsselstellung einnimmt“, vermutete Mister McKee.

Anschließend ergriff noch Agent Nat Norton das Wort. Unser Kollege für Betriebswirtschaft hatte ein paar interessante Neuigkeiten mitzuteilen, die sich inzwischen ergeben hatten.

„Jack Fabiano besaß unter dem Namen Dale Edwards zwei Juweliergeschäfte“, berichtete er. „Eins in Yonkers und das andere in Brooklyn. Unauffällige, aber feine Läden, die ihm offenbar dazu dienten, um sein Vermögen in irgendeiner Form legal anzulegen. Beide Geschäfte hatten Kontakt mit einer Firma auf den Cayman Islands, die wiederum die Dependance einer Firma aus Liechtenstein ist.“

„Klingt kompliziert!“, meinte Milo.

Nat grinste. „Das soll es auch, Milo! Der Sinn solcher Verschachtelungen ist es ja gerade, zu verschleiern, woher eine bestimmte Summe wirklich kommt und wohin sie geht. Leider bin ich da noch nicht richtig weiter, aber einen besonders seltsamen Zufall gibt es bei der Sache schon. Fabiano besaß Anteile eines Aktenfonds mit der Bezeichnung TronikFonds. Dieser Fond gehört einer Firma, die zufällig dieselbe Postfachadresse in Liechtenstein besitzt.“




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Eine Viertelstunde später saßen Milo und ich in unserem gemeinsamen Dienstzimmer.

Wir hingen den ganzen Faktenberg noch einmal durch, den wir inzwischen über Brandon Carter und seine Lebensgefährtin Tasha Grath gesammelt hatten.

„Tasha hat Carter doch in einem Club an der Avenue A kennen gelernt!“, gab ich zu bedenken. „Jedenfalls nach Aussage von Resnick. Und Mace Collins, der Mann der offenbar versucht hat, sie umzubringen, hat dort jahrelang als Türsteher gearbeitet!“

„Das nennst du schon eine Verbindung nennst, Jesse?“

„Wenn man noch bedenkt, dass Monty Ribesco in einer HOT & SPICY Filiale an der Avenue A erschossen wurde, ist das eine Verbindung, Milo!“

„Zumindest Grund genug, sich da mal umzusehen. Nur dürfte das bei den Clubs erst etwas später am Tag sinnvoll sein.“

Das Telefon klingelte gerade in dem Moment, als ich aufstehen wollte, um mir einen Kaffee zu holen.

Ich nahm ab.

„Spreche ich mit Ihnen, Agent Trevellian?“

Ich erkannte die Stimme gleich wieder. Es war Tasha Grath. Ein Knopfdruck und ich hatte dafür gesorgt, dass Milo mithören konnte. Außerdem musste der Anruf dafür genutzt werden, um den Herkunftsort des Gesprächs herauszufinden. Falls Tasha ihr Handy benutzte, so war dies anpeilbar. Und ein Festnetzanschluss ließ sich auf ganz konventionelle Weise zurückverfolgen. Vorausgesetzt, das Gespräch dauerte lang genug.

„Wo sind Sie jetzt?“, fragte ich.

Die Antwort war Schweigen. Es knackte in der Leitung. Ich hörte Tasha Grath atmen.

„Miss Grath, Sie müssen mit uns zusammenarbeiten“, sagte ich. „Der Auftraggeber des Mannes, der Sie um sein Haar umgebracht hätte, wird einen anderen Killer auf Sie ansetzen und dann enden Sie wie Ihre Freundin Doreen.“

Wieder erhielt ich zunächst keine Antwort.

Ein unterdrücktes Schluchzen drang zu mir herüber.

Dann legte sie auf.

„Das war zu kurz!“, stellte Milo fest.




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Es ließ sich feststellen, dass der Anruf von einem Festnetzanschluss in der Gegend um den Times Square gekommen war. Vermutlich hatte Tasha Grath eine der Telefonzellen benutzt, die es dort gab.

Aber leider war es mir nicht gelungen, das Gespräch lange genug aufrecht zu halten, um den genauen Standort zu ermitteln.

Davon abgesehen war Tasha in der Zwischenzeit mit Sicherheit bereits über alle Berge.

Ich informierte Mister McKee über den Anruf.

„Glauben Sie, dass Tasha Grath es noch einmal versucht, Jesse?“, fragte unser Chef, als ich mich zu ihm ins Besprechungszimmer bemühte, um ihn über Tashas Anruf in Kenntnis zu setzen.

Ich zuckte die Schultern.

„Ich glaube ja“, meinte ich schließlich. „Sie schien mir ziemlich große Angst zu haben.“

„Wahrscheinlich wusste sie auch genau weswegen“, war Mister McKee überzeugt.

Juristisch war das, was sie mit Brandon Carter gemacht hatte, wahrscheinlich Beihilfe zum Mord, während man ihr im Fall von Mace Collins wohl Notwehr zugestehen musste. Tatsache war, dass sie mit den Mördern von Carter und Fabiano zusammengearbeitet hatte und das bedeutete, dass sie mit einer Anklage rechnen musste. Anhand der Faktenlage war da auch nicht mit einer Bewährungsstrafe zu rechnen.

„Vielleicht könnte man mit dem Staatsanwalt sprechen und ihr ein Angebot machen“, meinte ich. „So wie ich das sehe, ist sie in einer verzweifelten Lage. Die Leute, mit denen sie gemeinsame Sache gemacht hat, sind hinter ihr her, um sie auszuschalten, bevor sie aussagen kann, aber wenn sie sich an die Justiz wendet, muss sie damit rechnen, erstmal nach Rikers Island zu wandern.“

„Ich werde mit dem Bezirksstaatsanwalt reden“, meinte Mister McKee. „Aber bevor der nicht weiß, was diese Tasha Grath tatsächlich zu bieten hat, kann der sich natürlich auf nichts einlassen.“

 

Ich ging zurück in unser Dienstzimmer.

Agent Nat Norton tauchte dort auf. „Ich habe hier mal eine Aufstellung der Vermögensverhältnisse und der Kontobewegungen einiger Hauptpersonen in diesem Fall gemacht“, erklärte er uns. „Da gibt es ein paar frappierende Übereinstimmungen.“

Er knallte uns einen Hefter mit Computerausdrucken hin. Die entscheidenden Stellen waren mit einem Textmarker hervorgehoben.

Milo warf einen kurzen Blick darauf, runzelte die Stirn und meinte: „Vielleicht bin ich jetzt ein bisschen schwer von Begriff, aber...“

„Jack Fabiano hatte ein kleines Aktienvermögen, das er ein paar Monate vor seinem Tod auflöste“, erklärte Norton. „Es handelte sich um Einlagen in einen Fond mit der Bezeichnung TronikFond.“

„Ja, das hat uns sein aufmerksamer Nachbar gesagt!“, erwiderte ich.

„Aber unter dem Namen Dale Edwards verfügte Fabiano über ein viel größeres Vermögen an TronikFond-Anteilen. Seine Anlagen schwanken stark. Er ist immer kurz bevor die Fondanteile plötzlich in den Keller stürzten ausgestiegen und hatte vorher große Gewinne. Im Laufe der Jahre über 6o Prozent des ursprünglichen Kapitals.“

„Vielleicht sollten wir da auch mal unser Geld anlegen“, meinte Milo.

„Diese Gewinnmarge liegt völlig außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und des allgemeinen Trends. Wenn du geschickt bist, kriegst du im langjährigen Mittel vielleicht 30 Prozent heraus. Realistisch sind zehn bis zwanzig – vorausgesetzt, du brauchst nicht plötzlich dein Geld für eine dringende Anschaffung, sondern kannst du es auch mal ein paar Jahre entbehren, bis der Kurs wieder steigt. Aber 60 Prozent sind völlig illusorisch.“

„Wie lautet deine Erklärung?“, fragte ich.

„Betrug. Oder in den Geschäftsetagen von TronikFond sitzen nur Börsengenies. Aber an solche Wunder glaube ich nicht. Doch es kommt noch besser! Monty Ribesco besaß ebenfalls ein ansehnliches TronikFond-Konto. Die Bewegungen laufen parallel! Auch Ribesco schien immer genau zu wissen, wann er aussteigen musste und erwirtschaftete dadurch eine ähnliche Rendite!“

„Jetzt möchte ich aber wirklich wissen, wie ich selbst da mitmischen könnte“, meinte Milo.

„Das ist der Punkt!“, sagte Nat. „Es gibt nur diese Adresse in Liechtenstein und eine Depandance auf den Cayman Islands. Keine Bank in New York hat diesen Fond im Angebot. Du musst über eine Liechtensteiner Online-Bank dein Konto einrichten, dass dann von einer New Yorker Bank übernommen werden kann. Vorausgesetzt, diese Online-Bank in Liechtenstein hält dich überhaupt für würdig, dass du da mitmischen kannst.“

„Wieso?“

„Ich habe noch keine Reaktion erhalten.“

Ich atmete tief durch. „Dass Jack Fabiano seine Gelder auf krummen Wegen waschen und vermehren wollte, leuchtet mir ein, nur was hat das mit dem Mord an ihn zu tun?“

Nat grinste triumphierend. „Wenn ich dir jetzt sage, dass Brandon Carter ebenfalls bei TronikFond eingezahlt hat, hast du deinen Zusammenhang, Jesse.“

Milo und ich müssen in diesem Augenblick ziemlich perplex ausgesehen haben.

„Sag das noch mal!“, meinte ich.

„Ich weiß das auch erst seit einer Viertelstunde. Bis dahin habe ich mit Dave Ontario von der SRD telefoniert, der noch immer damit beschäftigt ist, Brandon Carters Computer zu durchforsten. Carter arbeitete an einer Story über Insider-Geschäfte an der Börse. Das ist ja noch nichts Weltbewegendes. Aber anscheinend hat auch er sich eine zweite Identität geschaffen und sich unter dem Namen Anthony Naismith ein Konto mit TronikFond-Anteilen besorgt. Das war erst vor einem halben Jahr. Die Kontobewegungen laufen parallel zu denen von Ribesco und Fabiano alias Edwards.“

„Ein halbes Jahr“, sagte ich. „Soweit ich weiß hat Brandon Carter zum Thema Insider-Geschäfte nie eine Story gebracht. Aber das müsste ich noch mal überprüfen.“

„Das habe ich bereits getan“, sagte Nat. „Ein Anruf bei seinem Sender und ein zweiter bei seinem Verlag hat dazu ausgereicht. Ob er was in einer Zeitung gebracht hat, könnt ihr ja mal rauskriegen.“

„Das sieht für mich ganz so aus, als hätte Brandon Carter während seiner Recherche herausgefunden, dass es viel einträglicher ist, sich an Insider-Geschäften zu beteiligen, anstatt sie aufzudecken und an den Pranger zu stellen“, meinte ich.

Nat nickte.

„Ich bin gerade dabei etwas mehr über die Geschäftspolitik dieses TronikFond herauszubekommen. Wenn du mich fragst, dient der einzig und allein dazu, einen organisierten Insider-Handel zu verschleiern. Aber welche Firmen da mitspielen sehe ich erst, wenn ich weiß, in welche Werte TronikFond in den letzten Jahren investiert hat. Ein bisschen Geduld müsst ihr da noch haben.“