Reilly und Sunfrost: Chronik der Sternenkrieger 8 Romane

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Commander Reilly befand sich in seinem Raum und aktualisierte die Logbucheintragungen, als ihn die Nachricht erreiche, dass Botschafterin Peellaan inzwischen mit ihrem Schiff, dem Leichten Kreuzer CATALINA unter dem Kommando von Commander Ned Nainovel aus dem Sandströmraum materialisiert war.

Wenig später meldete sich Lieutenant Wu bei Reilly.

„Captain, die Botschafterin wendet sich in einer Konferenzschaltung an unseren Flottenverband.“

„Dann werde ich die Transmission hier, in meinem Raum entgegennehmen“, erklärte Reilly.

Augenblicke später erschien auf dem in die Wand eingelassenen Bildschirm das Emblem des Space Army Corps mit dem Vermerk, dass es sich um eine verschlüsselte Botschaft handelte.

Der nächste Bildausschnitt zeigte einen Teil der Brücke eines Space Army Corps Schiffs. Die Einrichtung der Brücke war auf allen Leichten Kreuzern gleich, so auch auf der CATALINA.

Botschafterin Peellaan war eine Frau mit dunklen, leicht grau durchwirkten Locken. Sie war klein, gerade 1,60 m, so schätzte Reilly. Aber durch ihre aufrechte, sehr kontrolliert wirkende Körperhaltung signalisierte sie jedem, dass sie es zu sagen hatte. Neben ihr stand Commander Ned Nainovel, einer der jungen, begabten Space Army Corps Offiziere, die in letzter Zeit mit einem eigenen Kommando bedacht worden waren. Man suchte überall händeringend nach fähigen Offizieren. Das Aufrüstungsprogramm der Scout-Schiffe war dafür in erster Linie verantwortlich und Reilly beneidete diese Kommandanten manchmal um die relative Leichtigkeit, mit der sie ihre Positionen erreicht hatten.

Was Ned Nainovel betraf, so hätte der sich vermutlich auch unter anderen Umständen durchgesetzt. Willard Reilly kannte ihn ganz gut. Nainovel, Van Doren und Reilly waren ein Abschlussjahrgang in der Ganymed-Akademie gewesen und hatten seitdem den Kontakt nie ganz abreißen lassen.

In dem Bildausschnitt war noch eine dritte Person zu sehen.

Commander Reilly glaubte seinen Augen nicht zu trauen, aber jeder Irrtum war ausgeschlossen.

Ein schmächtiger Mann in zivil stand neben der Botschafterin und hantierte etwas unbeholfen mit einem Handheldcomputer herum.

John Aljanov!, durchzuckte es Reilly.

Auch Aljanov war Reilly noch gut in Erinnerung. Er hatte insgesamt dreimal an den Eingangstests der Ganymed-Akademie teilgenommen und war jedes Mal gescheitert. Es war Aljanovs größter Wunsch gewesen, Offizier im Space Army Corps zu werden, aber nach der dritten Test-Pleite wurde nicht noch ein weiteres Mal zum Auswahlverfahren zugelassen. Reilly hatte Aljanov während der zwei Wochen seines eigenen Test-Verfahrens flüchtig kennen gelernt. Immerhin hatte Reilly mitbekommen, wie stark der Wunsch bei Aljanov gewesen war, vom Space Army Corps angenommen zu werden.

Ein Traum, der sich zwei Jahre später endgültig zerschlagen hatte. In der Geschichte der Ganymed-Akademie hatte es nie zuvor einen vergleichbaren Fall gegeben. Aljanov hatte anschließend noch den obersten Gerichtshof der Humanen Welten bemüht, um sich das Recht zu erstreiten, ein Space Army Corps Offizier werden zu können.

Natürlich war er auch dort mit Pauken und Trompeten untergegangen.

Die Testergebnisse hatten schließlich eine eindeutige Sprache gesprochen.

Den speziellen Anforderungen, die an den Kommandanten eines Raumschiffs gestellt wurden, wäre Aljanov danach niemals gerecht geworden, auch wenn er selbst das alles natürlich ganz anders sah und hinter allem nur eine böse Intrige sah.

Wahrscheinlich glaubt er allen ernstes noch heute, dass er nur wegen den Geschäften seines Vaters nicht angenommen wurde!, überlegte Reilly.

Ernst Aljanov besaß eine der größten Import/Export-Firmen im Grenzgebiet zu den K'aradan. Von dem Kolonialplaneten Tierra Bonita aus steuerte die Aljanov Cargo Holding beinahe den gesamten Handel, der sich derzeit zwischen den Humanen Welten und dem Reich von Aradan abspielte.

Angesichts der Tatsache, dass für die Zukunft auch eine außenpolitische Konfrontation mit den K'aradan keineswegs ausgeschlossen war, hatte John Aljanov geglaubt, dass man in ihm deswegen möglicherweise ein Sicherheitsrisiko sehen würde.

Aber das war nach allem, was Reilly über diesen Fall wusste, purer Unfug. John Aljanov war schlicht und ergreifend ungeeignet für die von ihm angestrebte Laufbahn gewesen.

Immerhin scheint ihm inzwischen der Einstieg in eine andere Karriere gelungen zu sein!, dachte Reilly. Schließlich begleitete er zweifellos die Botschafterin in irgendeiner offiziellen Funktion. Wenn Aljanov noch ein bisschen höher in der Hierarchie des diplomatischem Dienstes steigt, dann hat sich die Dreifach-Blamage auf Ganymed für ihn jedenfalls wenigstens finanziell gelohnt!

„Hier spricht Botschafterin Peellaan. Mein Assistent John Aljanov und ich werde in Kürze die Verhandlungen mit den Xabo aufnehmen. Es tut mir leid, dass sich deswegen der Beginn Ihrer Operation im Niemandsland noch etwas verzögert, aber ich bin zuversichtlich, dass bei diesen Verhandlungen zumindest ein umfassender Informationsaustausch herauskommen wird. Und der wird Ihrer Mission zweifellos zugute kommen und das persönliche Risiko, dass jeder von Ihnen dabei eingeht, auf ein Minimum reduzieren. Ich werde Sie umfassend über das Ergebnis der Gespräche in Kenntnis setzen, sobald etwas vorliegt und hoffe bis dahin auf Ihr Verständnis. Peellaan Ende.“

Der Bildschirm zeigte wieder das Emblem der Flotte. Wenig später meldete sich Commander Steven Van Doren von der PLUTO über einen geschützten Kom-Kanal.

„Hast du gesehen, was ich gesehen habe?“, fragte er.

„Du meinst Aljanov!“

„Ich habe es erst nicht glauben können, Willard!“

Reilly zuckte die Schultern. „Könnte sein, dass einer von uns ihn irgendwann mal eskortieren muss, wenn er erst selbst Botschafter ist!“

„Bloß nicht!“, meinte Van Doren.

„Wieso? Dass er die Tests auf Ganymed versemmelt hat, heißt doch nicht, dass er sonst nichts kann!“

„Das meine ich auch nicht.“

„Was dann?“

Steven Van Doren kratzte sich am Kinn und meinte schließlich: „Der Kerl wird doch jedem Space Army Corps Offizier, der mit ihm fliegt, die Hölle heiß machen – schon weil er es bis heute nicht verwunden hat, dass man ihn auf Ganymed nicht wollte!“

„Du siehst schwarz“, entgegnete Willard Reilly. „Auch ein John Aljanov wird sich mit der Zeit weiterentwickelt haben!“

Van Doren hob die Schultern. „Glaubst du?“

„Wetten werde ich nicht darum, Steven!“

Kapitel 2: Ein Planet namens Snowball

Hänge nicht am Leben, wenn es nicht zu halten ist, denn der Herr wird dich wohl empfangen. Dieser Satz aus der Weisheit des Ersten Aarriid hallte immer wieder in Nirat-Sons Kopf wider. Bin ich schon tot oder ist das ein Zustand zwischen dem Diesseits und dem Jenseits?

Er spürte die Kälte schon nicht mehr, nur ein überwältigendes Bedürfnis nach Schlaf. Aber er wusste, dass, wenn er diesmal die Augen schloss, dass es das letzte Mal sein würde.

Doch lange konnte er, würde er diesem Drang nicht mehr widerstehen können. Die Beine und Arme konnte er kaum noch bewegen. Er hatte dennoch damit begonnen, sich in den Schnee einzugraben. Ein paar Grad war die Temperatur dort höher. Schließlich war er dann nicht mehr dem unbarmherzigen Wind ausgesetzt.

Nirat-Son zitterte. Er musste die Schnabelhälften aufeinander pressen, damit es nicht unaufhörlich klapperte.

Zwischendurch machte er Pausen, um Kraft zu sammeln. Dann grub er weiter.

Seine Krallen stießen auf etwas Festes. Sie kratzten über ein Material, das glatt und hart war wie…

Metall!

Plötzlich regten sich wieder Lebensgeister in dem Tanjaj. Was mochte da unter dem Schnee sein? Er grub weiter, legte ein größeres Stück frei und dann gab es keinen Zweifel mehr. Metall! Vielleicht das Außenschott eines Raumschiffs! Dass es sich dabei nicht um ein Qriid-Schiff handeln konnte, war schnell klar, denn deren Außenhaut bestand aus einem anderen Material.

Ist es denn so unwahrscheinlich, dass schon andere vor uns hier waren und von den ellipsoiden Vielbeinern zur Strecke gebracht wurden, weil sie glaubten, sich in einer leblosen Einöde zu befinden?

Ein tödlicher Irrtum, dem ja schließlich auch Re-Lim und seine Gruppe bis auf die Zähne bewaffneter Tanjaj zum Opfer gefallen waren.

Der Qriid blickte auf das Ortungsgerät. Da war tatsächlich etwas. Ein Hohlraum und eine ganz schwache elektromagnetische Signatur, deren Energiestatus so gering war, dass man sie selbst auf unmittelbarer Entfernung kaum anmessen konnte.

Lebenszeichen fanden sich nicht. Aber das wäre vielleicht auch zuviel erwartet gewesen.

Nirat-Son nahm den Hand-Traser und schaltete ihn auf breites Streufeuer in niedrigster Konzentration. Schließlich wollte er das, was er gefunden hatte, nicht zusammenschmelzen, sondern nur vom Schnee befreien.

Er kroch ein paar Schritte zurück und richtete sich dann etwas auf. Er kam schließlich auf die nach hinten geknickten Knie, konnte sich nur mit Mühe halten, denn der Wind drohte ihn einfach niederzureißen, sobald er sich auch nur ein wenig über die Deckung erhob.

Nirat-Son feuerte. Der Schnee schmolz weg und floss in einem steten, mäandernden Strom Hügel abwärts. Er gefror dabei wieder, wurde durch Traserfeuer erneut auf geschmolzen, um sich dann seinen Weg zu bahnen. Wenig später hatte der Qriid tatsächlich etwas freigelegt, das nur das Außenschott eines Raumschiffs sein konnte.

 

Der Qriid machte sich daran, das Schott zu öffnen. Er versuchte, mit Hilfe des Ortungsgerätes in das System des Türschlosses einzudringen, was allerdings misslang. Nicht die geringste Stromspannung war noch nachweisbar. Aber das war nicht schlimm. Zunächst hatte Nirat-Son angenommen, dass es einen geringfügigen Druckunterschied zwischen innen und außen gab. Das war aber nicht der Fall, was ihn Schlimmes in Bezug auf die Beatzung dieses Raumschiffs annehmen ließ. Es sprach dafür, dass sich irgendwo ein Loch in der Außenhaut befand. Ein Loch, für das eigentlich nur die gefräßigen Vielbeiner verantwortlich sein konnten, für die auch Metall kein Hindernis war.

Das Schott ließ sich ein Stück zur Seite schieben und klemmte dann aus einem unerfindlichen Grund.

Mit Hilfe des Infrarotimpuls’ seiner Schutzbrille konnte der Tanjaj auch innen ohne Probleme sehen. Er stieg in das Schott und schloss es hinter sich. Sein Thermometer zeigte, dass die Temperatur hier drinnen um einiges über dem Niveau lag, dass da draußen in der stürmischen Nacht herrschte. Vielleicht war dies zumindest ein Ort, an dem er überleben konnte. Ausharren, bis der Sturm vorbei war.

Das Raumschiff musste etwas größer sein, als die Beiboote der Qriid-Schiffe.

Er passierte das zweite Schleusenschott und gelangte in einen Korridor, der ziemlich breit war, was vielleicht ein Hinweis auf die Anatomie jener Wesen war, die mit diesem Schiff hier auf Korashan V gelandet waren.

Dann erreichte er die Passagierkabine, die von der Steuerzentrale getrennt war und über eine Tür erreicht werden konnte.

Nirat-Son bot sich ein Anblick des Schreckens. Knochen lagen auf den Sitzen.

Geisterhaft blickten Totenschädel den frommen Glaubenskrieger an.

Oh Herr, in welchen Höllenvorhof hast du mich nun geschickt?

Es waren schnabellose Totenschädel. Das konnte er auf den ersten Blick trotz der Infrarotoptik erkennen.

Es konnte sich also auf keinen Fall um Qriid handeln. Von der Anatomie her ähnelten sie den Eingeborenen, so glaubte Nirat-Son, auch wenn er nach wie vor kam etwas über diese Barbaren wusste, die es offenbar schafften, auf einer Welt zu überleben, auf der man nicht nur den Naturgewalten, sondern auch den ellipsoiden Vielbeinern trotzen musste. Wie das schnabellose Volk, das die Eissegler steuerte, dies schaffte, war Nirat-Son nach wie vor schleierhaft. Vielleicht würde man diesem Rätsel irgendwann mal auf die Spur kommen und von den Schnabellosen sogar lernen können.

Aber die anatomischen Merkmale, die sich anhand der Skelette erkennen ließen, schlossen ein Verwandtschaft zu den eingeborenen Barbaren von Korashan V oder ihren so gut wie identischen Verwandten, die ein entferntes Sternenreich regierten, so gut wie aus.

Sie besaßen nämlich auf dem Rücken ein weiteres Paar Extremitäten. Sehr feingliederig und an drei Gelenken einknickbar… Bei manchen der Toten fanden sich noch Reste einer lederigen Haut, die von den Beißwerkzeugen der Vielbeiner nur unvollständig zerfetzt worden waren. Vielleicht hatten sie damit nichts anfangen können – genau wie auffiel, dass überall auch noch Kleiderreste zu finden waren.

Die Fasern scheinen den Biestern wohl einfach nicht geschmeckt zu haben!, überlegte Nirat-Son, dem inzwischen klar war, um was für Skelette es sich handelte.

Xabo!

Angehörige eines Volkes also, dass kurz vor der endgültigen Niederlage gegen die ordnenden Mächte des Heiligen Imperiums seine Welten verlassen und in eine Region des Alls geflogen waren, die von den Qriid Das Land der Gottlosen genannt wurde.

Dass sie in dieser Region des Alls erneut Fuß gefasst hatten, war für die Qriid-Flotte inzwischen kein Geheimnis mehr. Aber was hatten sie hier gesucht? Wasser? Dagegen sprach, dass es sonst in einem Umkreis von mehreren Lichtjahren keine von Xabo in Besitz genommenen Welten gab. Der Wassertransport war auf eine gewisse Distanz einfach nicht rentabel. Innerhalb eines Systems konnte man das mit kostengünstigen Antigravschwebern bewerkstelligen, aber wenn es um Distanzen ging, die hundert astronomische Einheiten überschritten, dann kam das Wasser erst an, wenn die Kolonie vielleicht schon wieder aufgegeben war.

Es muss einen anderen Grund dafür geben, dass diese schnabellosen Barbaren den Weg hierher fanden. Dachten sie sich vielleicht auf Korashan V vor dem gerechten Zorn des Imperiums verstecken zu können? Was für naive Narren müssen sie sein…

Nirat-Son aktivierte seinen Kommunikator.

„Ehrenhafter Tanjaj-Nom, her meldet sich Rekrut Nirat-Son!“

„Hier Bras-Kon! Es freut mich, deine Stimme zu hören, den das bedeutet, dass dem Herrn ein Streiter mehr geblieben ist!“

„Ich weiß nicht, ob es mir möglich sein wird, noch lange zu überleben“, sagte Nirat-Son. Die Nüchternheit, mit der er das feststellte, überraschte ihn selbst. War das vielleicht das Ergebnis der Konditionierung. Wenn ja, dann hat sie ihren Zweck erfüllt!, dachte er. Besonnene und überlegte Reaktionen in unübersichtlicher und emotional aufgeladener Lage!

„Dein Bericht, Nirat-Son!“

„Ich schalte die Kamerafunktion ein, dann könnt ihr sehen, was ich sehe. Zwar nur im Infrarotmodus, aber es sollte ausreichen…“ Nirat-Son nahm an seinem Kommunikator ein paar Schaltungen vor und schwenkte das Gerät dann herum.

„Es sind Xabo!“, erklärte er. „Was immer sie hier gesucht haben mögen, sie sind genau wie die Gruppe um Re-Lim den Vielbeinern zum Opfer gefallen.“

„Ich werde in meinem Bericht erwähnen, dass man den Planeten von diesen Plagegeistern säubern sollte.“

„Ja, das wird notwendig sein, bevor es möglich ist, diese Welt in den Dienst des Imperiums zu stellen.“

„Darüber müssen sich andere Sorgen machen“, meinte Bras-Kon. „Unsere Aufgabe ist es nur, diesen Schneeball in Besitz zu nehmen. Mehr verlangt niemand von uns…“

Und genau das ist vielleicht gar nicht so einfach…

„Nehmt euch vor diesen Biestern in Acht, ehrenwerter Tanjaj-Nom.“

„Das werden wir“, versprach Bras-Kon.

„Ich kann dich nur beschwören, die anderen Tanjaj die letzten Rituale durchführen zu lassen, damit sie nicht ungeläutert vor ihren Richter treten.“

„Diese Entscheidungen wirst du mir überlassen müssen“, erwiderte Bras-Kon kühl. „Was allerdings dich betrifft so wäre es durchaus sinnvoll, die Rituale durchzuführen…“

1

Angehörige anderer Spezies hätten in diesen Worten vielleicht eine Verachtung des Individuums erkannt, die die Prinzipien des Glaubens über alles stellte und der das Schicksal und das Leid des Einzelnen vollkommen gleichgültig war.

Aber Nirat-Son sah das nicht so.

In seiner Wahrnehmung waren die letzten Worte des Tanjaj-Nom nur eine freundliche Erinnerung daran gewesen, dass er sich nach wie vor in akuter Lebensgefahr befand und er daher daran denken musste, Vorkehrungen zu treffen. Spirituelle Vorkehrungen. Es gab den Tod des Fleisches, aber dem Glauben der Qriid nach war das physische Ende durch die Macht Gottes zu überwinden. Viel Schlimmer war der Tod des Geistes. Manchmal starb der Geist längst vor dem Fleisch und war der Kalk längs im Hirn, bevor der Körper zu einem Kalkskelett wurde…

Nachdem die Verbindung zu seinem Tanjaj-Nom unterbrochen war, überlegte Nirat-Son, wie er überleben konnte. Er betastete das Bein, das er sich bei dem Absturz verletzt hatte. Die Schmerzen hatten nachgelassen. Er spürte jetzt fast nichts mehr. Vielleicht hatte er Erfrierungen im Krallenfuß und im unteren Beinsegment.

Aber das ängstigte ihn nicht.

Die Qriid verfügten über eine hervorragende Prothesentechnik und das Tragen eines künstlichen Beins war das Ehrenzeichen eines Tanjaj. Nichts konnte den Opfermut und die Todesverachtung, ja, auch die Tiefe und Inbrunst des Glaubens besser demonstrieren, als wenn man einen Teil seines Körpers der Sache des Imperiums geopfert hatte.

Er konnte sich nicht länger mit dem Bein befassen. Fieberhaft dachte er nach und erwog verschiedene Möglichkeiten. Sollte er die Kleiderreste der Xabo einsammeln und damit ein Feuer entzünden? Mit Hilfe des Trasers war das problemlos möglich. Er analysierte mit dem Ortungsgerät die Fasern. Der Rechner des Geräts stellte Kunstfasern fest, die von den Xabo speziell dafür geschaffen worden waren, starke Schweißabsonderungen aufzunehmen. Sie wurden als schlecht brennbar eingestuft. Die Energieabgabe war minimal, außerdem bestand die Gefahr der Abgabe von Gasen, die zumindest für Qriid giftig waren.

Das ist also nicht der richtige Weg!, dachte Nirat-Son. Er wandte sich der technischen Einrichtung zu. Keine einzige Signatur, nicht die geringste elektrische Spannung. Die Energieversorgung war zusammengebrochen. Woran das lag, darüber konnte man nur spekulieren.

Der Scan mit dem Ortungsgerät zeigte Nirat-Son auch sehr bald den Grund dafür. Mehrere Kabelverbindungen waren durchtrennt. Die Vielbeiner schienen tatsächlich nicht wählerisch in dem zu sein, was sie sich einverleibten. Ein paar verschmorte organische Reste legten allerdings auch den Schluss nahe, dass einige der kleinen Bestien ihre Unersättlichkeit mit dem Leben bezahlt hatten.

Die Technologie der Xabo war auf einem Niveau, das die Qriid vor etwa einer Generation hinter sich gelassen hatten. Die Funktionen der meisten Aggregate erfasste Nirat-Son. Jeder Tanjaj durchlief eine Ausbildung, einen Kurs, der ihm grundlegende Kenntnisse der Raumtechnik vermittelte und ihn in die Lage versetzte, notfalls mit primitiven Mitteln ein Beiboot zu reparieren. Glücklicherweise hatte der Qriid diesen Kurs bereits absolviert.

Vielleicht rettet mir das jetzt das Leben. Gelobt sei der Herr! Belohnt werden die, die nicht zweifeln an deinem Wort!

Auf einmal waren neue Kraftreserven da, von deren Existenz er bislang nichts geahnt hatte. Mit fieberhafter Eile machte er sich daran, die Innenverkleidung von den Wänden zu nehmen, um an die Aggregate heranzukommen. Was brauche ich denn schon? Ein bisschen Energie! Ist das vielleicht zu viel verlangt?

2

Es dauerte Stunde, bis Nirat-Son gelang, die ersten Leitungen zu flicken. Er fand Werkzeug, darunter auch ein Metallteil, dessen Funktion er nicht kannte, von dem aber die Analysefunktion seines Ortungsgerätes meinte, dass es leicht zum Glühen zu bringen war.

Mit Hilfe seines Trasers sorgte Nirat-Son dafür, dass das Metallteil zu glühen begann. Der Boden war in dieser Hinsicht viel unempfindlicher. Jedenfalls sorgte das erhitzte Metall für etwas Wärme. Eine Dauerlösung war das natürlich nicht. Schließlich brauchte er die Energie des Trasers wahrscheinlich noch, um sich selbst zu verteidigen. Er fand mehrere Löcher, durch die sich die Vielbeiner den Weg in das Raumschiff der Xabo gebahnt hatten. Er musste also vorsichtig bleiben. Es gab keinen Grund, warum die ellipsoiden Bestien nicht zurückkehren sollten.

Ein weiteres Mal heizte Nirat-Son das inzwischen völlig verformte Metallstück auf und wärmte sich darüber die Krallenpranken. Er zog sogar die Handschuhe aus, um nachzusehen, ob an den Pranken irgendwelche Erfrierungen festzustellen waren. Das schien noch nicht der Fall zu sein. Aber das taube Gefühl in beiden Pranken war eine Warnung. Dem Qriid-Handbuch des Tanjaj zu Folge war dies eines der ersten ernstzunehmenden Symptome. Zumindest bei Angehörigen des Volkes Gottes. Über andere Spezies machte das Handbuch der Tanjaj natürlich keine Aussagen.

Als die Hände wieder einigermaßen einsatzbereit waren, machte sich Nirat-Son erneut ans Werk. Mit Hilfe des gefundenen Werkzeugs flickte er eine Leitung nach der anderen. Zum Schluss legte er sein Ortungsgerät an den Hauptrechner an und gab einen Energieimpuls ab, mit dessen Hilfe er die Steuerfunktionen zu starten hoffte. Zunächst misslang es. Ein paar Kontrolllampen und Displays leuchteten zwar auf und überall erschienen Kolonnen von fremdartigen Zeichen, die der Qriid-Rekrut noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Er nahm an, dass es sich um die Schriftzeichen der Xabo handelte.

Da die Xabo bereits Gegner der Qriid gewesen waren, hatte man ihr Sprachmaterial in die Standardversionen der Translatorprogramme eingegeben, sodass die Übersetzung keinerlei Problem bereitete. Aber schon nach wenigen Augenblicken war alles vorbei. Die Schirme waren wieder dunkel. Nur eine Notbeleuchtung, die aus fluoreszierenden Leuchtstoffröhren bestand, war noch aktiv. Nirat-Son versuchte es ein zweites Mal.

 

Vergebens.

Vor dem dritten Versuch wusste der Tanjaj, dass es sein letzter sein würde, denn die Energie seines Ortungsgerätes reichte nur noch für einen weiteren Versuch aus, das Hauptsystem zu starten. Danach wäre das Gerät nicht mehr benutzbar gewesen. Für jemanden, der auf sich gestellt in einer derart unwirtlichen Umgebung zu überleben versuchte, war die Vorstellung, ohne funktionierendes Ortungsgerät dazustehen, so etwas wie der größte denkbare Schrecken.

Es war selbst mit der technischen Unterstützung schon schwierig, in dieser eintönigen Öde einen Weg zu finden.

Aber Nirat-Son wusste auch, dass er nur noch diese eine Chance hatte. Er fühlte seine Kräfte nun endgültig schwinden. Lange konnte er nicht mehr durchhalten, es sei denn er schaffte es, dafür zu sorgen, dass im Wrack dieses Xabo-Schiffs einigermaßen erträgliche Bedingungen herrschten.

Also überprüfte er noch einmal sämtliche Verbindungen, die er wiederhergestellt hatte.

Dann sammelte er sich zu einem Gebet.

Nirat-Son erwog sogar, die so genannten letzten Rituale bereits durchzuführen.

Jetzt wäre ein guter Zeitpunkt dazu. Schließlich gibt dir die vage Hoffnung, dass es doch noch klappen könnte, Kraft und neues Selbstvertrauen.

Aber Nirat-Son entschied sich nach kurzem Überlegen doch dagegen. Er musste mit seinen Kräften haushalten. So unglaublich matt und müde fühlte er sich, dass er glaubte tot zu sein, wenn er sich nur einmal für einen kurzen Moment hinlegte.

Nachdem der Qriid schließlich sämtliche Funktionen seines Ortungsgerätes ein weiteres Mal überprüft hatte und außerdem feldähnliche Phänomene weitgehend ausgeschlossen werden konnten, unternahm der Tanjaj einen weiteren Versuch.

Und diesmal war zumindest ein Teilerfolg sofort sichtbar.

Einige Bildschirme blieben in einem aktiven Status. Hier und da flackerten unruhig ein paar Lämpchen.

Das ist ein Anfang!, dachte Nirat-Son.

Über das System seines Ortungsgeräts erreichte er daraufhin, den fremden Bordrechner anzusteuern und auch das gelang. Immer mehr Schiffsfunktionen aktivierten sich schließlich wieder. Die Energiereserven des Unterlichttriebwerks hatten sich vollständig entladen, was wahrscheinlich etwas mit der extremen Kälte zu tun hatte.

Ein Brummen durchdrang plötzlich den Raum. Nirat-Son wusste nicht, welche Funktion er aus Versehen betätigt hatte. Es gelang ihm jedoch, das dumpfe Brummen zu seinen Füßen zu stoppen.

Dann nahm er noch einmal Kontakt mit Bras-Kon auf und berichtete ihm, was er entdeckt hatte.

„Es ist mir gelungen, zumindest Teilsysteme wieder in Funktion zu setzen“, erklärte er.

„Ich gratuliere!“, erwiderte der Tanjaj-Nom. „Du hast vorschiftsmäßig gehandelt – genau so, wie es unseren Doktrinen entspricht.“

„Danke“, sagte Nirat-Son.

„Kannst du herausfinden, was die Xabo auf dieser abgelegenen Welt zu suchen hatten?“

„Vielleicht finde ich etwas in deren Datenspeichern“, vermutete Nirat-Son. „Ich kann allerdings nicht versprechen, dass ich mit dieser Sache sehr schnell vorankomme!“

„Angesichts der Witterung hat jeder dafür Verständnis“, antwortete Bras-Kon.

„Der Sturm hat leider bislang nicht nachgelassen!“, gab der Tanjaj-Rekrut zu bedenken.

„Das wird er auch im Verlauf der nächsten drei Planetenumläufe nicht“, erwiderte Bras-Kon. „Zumindest lautet so die Prognose meines Ortungsmoduls.