Reilly und Sunfrost: Chronik der Sternenkrieger 8 Romane

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2

Nirat-Son machte sich auf den Rückflug. Er stellte sein Antigravaggregat so ein, dass er dicht über den Boden schwebte, um nicht vom Sturm einfach weggeschleudert zu werden. In seinem Kopf rasten die Gedanken nur so. Was war mit den Tanjaj aus Re-Lims Gruppe geschehen? Die wahrscheinlichste Variante war wohl, dass sie ebenfalls den ellipsoiden Vielbeinern zum Opfer gefallen waren.

Trotzdem blieben für Nirat-Son noch einige drängende Fragen vorerst unbeantwortet.

Warum hatten Re-Lim und seine Tanjaj-Brüder nicht ihre Antigravpaks benutzt, um in die Luft zu steigen? Nach allem, was Nirat-Son bisher erlebt hatte, verfügten die Vielbeiner zwar über eine Reihe erstaunlicher Fähigkeiten, aber fliegen schien nicht dazu zugehören. Re-Lims Männer hätten sich also auf diese Weise vielleicht retten können!, dachte er.

Dass sie es nicht getan hatten, musste einen Grund haben.

Vielleicht hatten sie vergeblich versucht, einem angegriffenen Tanjaj-Kameraden zu helfen und dabei ihre eigene Sicherheit vernachlässigt. Das hätte durchaus der Kampfdoktrin der Tanjaj-Mannschaften entsprochen. Das eigene Leben zählte nichts, die Erfüllung des Auftrags hatte in jedem Fall Vorrang.

Aber während des ersten Zusammentreffens mit Vielbeinern im Wrack des Qriid-Beiboots der ersten Expedition war offensichtlich geworden, dass man sie mit Traser-Feuer sehr effektiv bekämpfen konnte.

Einem Tanjaj hatte jener Angriff das Leben gekostet.

Aber keinesfalls der gesamten Gruppe!

Und das, obwohl man innerhalb eines Raumschiffwracks nicht einfach den Antigrav aktivieren und wer weiß wie weit in die Höhe schnellen konnte, um sich dem Zugriff dieser kleinen Monstren zu entziehen.

Der Angriff auf Re-Lims Gruppe hatte sehr wahrscheinlich bereits stattgefunden, als eines dieser Biester bei uns am Raumschiffwrack auftauchte!, wurde es Nirat-Son klar. Schließlich war es kurz nach diesem Vorfall bereits nicht mehr möglich gewesen, Kontakt aufzunehmen.

Aber wer ist für das Verschwinden der Traser, Funkgeräte und anderen Geräte verantwortlich?, fragte sich der Tanjaj-Rekrut.

Dass es von der Kleidung keinerlei Spuren mehr gab, erschien Nirat-Son schon eher plausibel. Wahrscheinlich hatten die Vielbeiner die Kleidung der skelettierten Tanjaj chemisch vollständig zersetzt. Schließlich verfügten sie über die Fähigkeit, eine starke Säure zu produzieren, mit deren Hilfe sie sogar die Außenhaut eines Beibootes hatten durchdringen können.

3

Während seines Antigravfluges nahm Nirat-Son bereits Kontakt mit seinem Tanjaj-Nom auf und gab diesem einen knappen Bericht für das, was er das Schicksal von Re-Lims Gruppe betreffend herausgefunden hatte. Die Daten seines Ortungsgerätes übersandte er an seine Tanjaj-Brüder, die es offenbar geschafft hatten, ohne weitere Verluste zum Beiboot zurückzukehren.

„Mögest du mit Gottes Hilfe zurückkehren“, sagte Bras-Kon über Funk. „Bis jetzt verzeichneten wir keinerlei weitere Aktivitäten von Vielbeinern.“

„Ich danke dir für die Auskunft, Tanjaj-Nom.“

„Ich habe bereits eine Meldung an das Mutterschiff gemacht. Man sagte mir Unterstützung zu. Offenbar hat man eine Etage über uns in der Befehlshierarchie eingesehen, dass dieser Planet vielleicht doch nicht ein so einfach und problemlos zu besetzendes Wasserreservoir ist, wie man zunächst geglaubt hat.“

„Wenn die Vielbeiner ausgerottet sind, sehe ich allerdings keine weiteren Probleme“, sagte Nirat-Son mit einem Optimismus, der aus einer offiziellen Glaubensdoktrin geboren war, nach der es auf die Dauer nur hinhaltenden Widerstand der Mächte des Heidentums gegen die Errichtung der universellen Göttlichen Ordnung geben konnte. Tief in seinem Inneren empfand Nirat-Son in diesem Fall jedoch Zweifel und so war seine Äußerung mehr eine Art suggestiver Selbstbeschwörung.

Unter Tanjaj war das durchaus üblich.

Und tatsächlich hatte die Geschichte den Glaubenskriegern Recht gegeben. Schließlich hatte Gott ihnen immer wieder letztlich doch den Sieg geschenkt und dafür gesorgt, dass sich das Imperium noch immer in einem steten Prozess der Expansion befand.

„Mut und Glaube seien mit dir!“, erwiderte Bras-Kon eine traditionelle Formel rezitierend.

Danach unterbrach er die Verbindung.

Nirat-Son war wieder allein in dem Sturm, dessen Intensität noch immer zunahm.

Eine Böe erfasste ihn und schleuderte ihn empor. Einen Augenblick später geriet er in ein Windloch und fiel wie ein Stein zu Boden. Nur der Antigrav rettete ihn davor, dort mit aller Härte aufzuprallen.

Nirat-Son landete einigermaßen weich.

Der Sturm war einfach zu heftig, um sich weiter fliegend fortbewegen zu können.

Stattdessen nahm der Qriid an den Steuerfunktionen des Aggregats ein paar Modifikationen vor. Auf diese Weise sorgte er dafür, dass er an den Boden gedrückt und nicht einfach fortgeschleudert wurde. Die physikalischen Daten des Sturms überstiegen mittlerweile alles, was er von Qriidia kannte.

Eine Weile harrte Nirat-Son aus.

Schnell bildete sich um ihn herum eine Schneewehe. Der Niederschlag verstärkte sich noch. Es fielen jetzt dicke, nasse Flocken, die offenbar in höheren, von einem Warmlufteinbruch gekennzeichneten Luftschichten erzeugt worden sein mussten.

Die Anzeigen, die Nirat-Sons Ortungsgerät lieferten, stützten diese These – wobei der Begriff Warmluft natürlich sehr relativ war. Die Temperatur lag auch dort deutlich unter dem Gefrierpunkt.

Wenn du diese Öde nicht mehr lebend verlassen solltest, so kannst du immerhin sagen, dass du deinen Auftrag erfüllt hattest, bevor du gestorben bist, wenn du vor deinen Richter trittst!, ging es Nirat-Son durch den Kopf. Zwar war die Gefahr, vom Sturm einfach davon gefegt zu werden so lange gebannt, wie der Energiestatus seines Antigravpaks es erlaubte, ihn sicher am Boden zu halten, aber schließlich war dies ja nicht die einzige Gefahr, die hier draußen lauerte, wie das Schicksal der Gruppe von Re-Lim ihm eindrucksvoll vor Augen gehalten hatte.

Er überprüfte sicherheitshalber den Ladestatus seines Hand-Trasers und schaltete ihn auf die höchste Intensitätsstufe, um sich dadurch gegen einen eventuellen Angriff der ellipsoiden Vielbeiner vorzubereiten. Nirat-Son wusste zwar nicht, nach welchen Kriterien sie ihre Opfer auswählten und ob sie sich bei diesen Wetterverhältnissen nicht vielleicht eher in die Tiefe des Eispanzers zurückzogen. Schließlich schien da ihr eigentlicher Lebensraum zu sein.

Da er nichts über ihr Verhalten wusste, musste er jederzeit darauf gefasst sein, dass sie an die Oberfläche schnellten und versuchten ihn zu töten. Qriid-Fleisch scheint ihnen geschmeckt zu haben!, dachte Nirat-Son grimmig. Gott muss diese Kreaturen geschaffen haben, um den gläubigen Tanjaj zu prüfen…

4

Bevor Nirat-Son vollkommen eingeschneit worden war, erhob er sich und setzte seinen Weg fort. Der Antigrav hielt ihn dabei am Boden und bewahrte ihn davor, einfach weggefegt zu werden. Dafür musste er in Kauf nehmen, dass er nur schleppend vorankam. Er hatte das Gefühl, eine Zentnerlast tragen zu müssen. Die Krallenfüße fühlten sich an, als hätte man die hohlen Vogelknochen mit Blei ausgegossen.

Die Zeit, die sein Ortungsgerät dafür errechnete, wenn er in diesem Tempo die KLEINE KRALLE zu erreichen versuchte, war deprimierend. Auf jeden Fall reichte der Energiestatus seines Antigravpaks nicht lange genug. Immerhin brauchte er im Hinblick auf seinen Thermoanzug keinerlei Bedenken zu haben. Die Heizfunktion konnte noch fast einen Qriidia-Monat lang aufrechterhalten werden, sofern die Temperaturen ein gewisses Maß nicht unterschritten.

Mühsam schleppte sich Nirat-Son vorwärts, während der Wind an ihm zerrte.

Es war so dunkel geworden, dass man fast glauben konnte, dass es bereits Nacht war.

Der gerade gefallene Schnee wurde aufgewirbelt und verhinderte jede Sicht über ein Maß von wenigen Körperlängen hinaus.

Ein innerer Instinkt brachte den Qriid dazu, stehen zu bleiben und den Kopf zu wenden. Hatte es da nicht eine winzige, in all dem Chaos nur minimal sichtbare Bewegung gegeben? War da nicht etwas?

Der 270 Grad Rundumblick, den ihm seine Qriid-Augen erlaubten, hatte den Vorteil eines sehr großen Gesichtsfeldes. Allerdings war die räumliche Sicht im Vergleich zu anderen Spezies ziemlich schlecht. So konnte er kam einschätzen, in welcher Entfernung er diese Bewegung gesehen hatte.

Er schnellte herum und hatte den Hand-Traser in der Hand.

Prophylaktisch schoss er einen breiten Streustrahl ab, dessen Intensität wahrscheinlich nicht genug war, um einen der zähen Vielbeiner töten zu können, aber wenigstens einen hinhaltenden Effekt haben würde.

Zischend streifte der Traserstrahl den Schnee und verdampfte ihn.

Eine Furche wurde zurückgelassen, als Nirat-Son die Körperhaltung veränderte und den Lauf des Trasers nach rechts schwenkte.

Er sog die kalte Luft ein, deren Temperatur durch einen Atemfilter seiner Thermokleidung auf Werte gebracht wurde, die eine sofortige und schwere Entzündung des Schnabel- und Halsbereichs verhinderten.

Da war nichts!, erkannte er schließlich. D u bist auf dem Weg ein Opfer deiner Furcht zu werden. Und Furcht ist immer ein Zeichen mangelnden Gottvertrauens. Du solltest dringend beten und ein spirituelles Reinigungsritual durchführen, wenn du in dieser Ödnis nicht den Verstand verlieren willst!

 

Vielleicht, so wurde es dem Tanjaj nach und nach klar, lauerten die größten Gefahren hier draußen gar nicht unter dem Eis, sondern hinter dem eigenen Schädelknochen.

5

Das Feuer brannte inmitten der Kapitänshütte, in der Magoon zusammen mit seiner Gefährtin, seinen Kindern und einigen anderen Verwandten vor dem Sturm Zuflucht gesucht hatte. In der Mitte der Hütte brannte ein Feuer. Die dunklen Karbonknollen, die es in Brandt hielten, glühten auf. Brennstoff war glücklicherweise eines der wenigen Dinge, die unter den J’arakor wohl niemals knapp wurden, zumindest so lange es Treiber gab, die geschickt genug waren, um Vielbeiner dazu abzurichten, sich in die Tiefe bis zu dem Ozean durchzubeißen, auf dessen Eispanzer sie lebten. Die Vielbeiner stiegen dann in die Tiefe hinab und holten die Karbonknollen vom Meeresgrund empor. Man musste nur wissen, wo sich diese Karbonfelder befanden und wo der Eispanzer dünn genug war, dass sich die Vielbeiner innerhalb einer vertretbaren Zeitspanne auf den Weg in die Tiefe machen konnten und sich nicht so weit entfernten, dass die Treiber die Kontrolle über sie verloren.

Schwieriger war es schon, die langen karbonhaltigen Pflanzenfasern an die Oberfläche zu bringen, aus denen die Eissegler gefertigt wurden. Dazu bedurfte es schon des ganzen Talents der Treiber, denn auf sich gestellt wären die Vielbeiner, auch wenn sie es gewollt hätten, nicht intelligent genug gewesen, um einen festen Karbonstamm durch den Eispanzer zu bringen.

Neben dem Feuer waren die Stücke aufgehäuft, die man von den Fremden erbeutet hatte, nachdem die Vielbeiner sie skelettiert und sich an ihrem Fleisch gütlich getan hatten. Einige vorwiegend rohrförmige, leicht gebogene Stücke waren darunter. Sie bestanden aus Metall und vermochten tödliche Strahlen auszustoßen, wie man aus dem ersten Zusammentreffen mit den vogelartigen Fremden sehr wohl wusste. Allerdings wusste man nicht, wie diese Strahlen ausgelöst oder gebändigt werden konnten.

Bei den anderen Geräten handelte es sich um Schutzbrillen für die Augen, auf denen Bilder und Zeichen erschienen sowie kleine quaderförmige Geräte mit glatter Oberfläche. Außerdem gab es noch Reste ihrer Kleidung, die sich vielleicht noch verwenden ließen und Geräte, die wie ein Rucksack getragen wurden und von denen Magoon glaubte, dass sie die Vogelköpfigen dazu befähigten, sich in die Lüfte zu erheben.

Alles Dinge, die uns nützen könnten!, dachte er. Warum sollte es nicht auch uns gelingen, die Funktionsweise dieser Maschinen zu verstehen? Sind wir dümmer als die Schnabelträger? Ich glaube kaum…

„Es ist Frevel gegen die SEELE ALLER, diese Dinge aufzubewahren!“, drang eine weibliche Stimme an Magoons Ohr. Sie gehörte seiner Gefährtin Katreen, die es von Anfang an verurteilt hatte, dass Magoon diese Gegenstände sichergestellt hatte, nachdem es mit den Fremden erneut zu einem Konflikt gekommen war. Ein Konflikt, an dem sie alle die Schuld trugen. Denn sie hatten die Warnung missachtet, die Magoon ihnen im Auftrag der SEELE ALLER hatte zukommen lassen.

Sie hatten bitter für ihre Arroganz bezahlen müssen.

Mit ihrem Fleisch, dass von den Vielbeinern verdaut worden war und später als Ausscheidung den Boden des verborgenen Meeres düngen würde. So war in allem was schlecht war letztlich auch etwas Gutes – genau so, wie es die Überlieferung der Ahnen und die Lehre der SEELE ALLER propagierte.

„Es ist kein Frevel“, sagte Magoon ruhig. „Außerdem bin ich der Kapitän – und wie du weißt bin ich nicht nur Kapitän der STURMTROTZER, sondern auch Großkapitän des Verbundes.“

Diese Ehre war Magoon erst vor kurzem zuteil geworden. Von den Kapitänen der anderen Eissegler seines Verbundes, zu dem etwa fünfundzwanzig Segler unterschiedlichster Größe gehörten, war er zum Großkapitän gewählt worden, nach dem die SEELE ALLER seinen Vorgänger in diesem Amt in der ersten Nacht des Sturmes zu sich gerufen hatte.

Die Wahl hatte keinen Aufschub geduldet und war sofort durchgeführt worden.

Dass ein Verbund ohne Großkapitän dastand war undenkbar, denn im Augenblick der Gefahr war es stets notwendig, dass schnell und koordiniert gehandelt wurde. Die Natur von Arakor verlangte einem Volk das hier schon solange überlebt und sich auf nahezu perfekte Weise der unwirtlichen Gegebenheiten angepasst hatte, in dieser Hinsicht viel ab.

Magoon war stolz auf das Vertrauen, dass ihm die anderen Kapitäne entgegengebracht hatten. Ihm, der doch einer der jüngsten unter ihnen war. Aber nur durch die Wahl eines Jungen bestand die Aussicht, dass der neue Großkapitän im Laufe der arakorischen Sonnenumläufe genug Erfahrung sammelte, um sich die Folge der beinahe schon mythischen Großkapitäne einreihen zu können, die die Geschichte seines Verbundes über Generationen hinweg geprägt hatten.

„Als du diese Gegenstände an dich nahmst, warst du nur Kapitän des STURMTROTZERS!“, gab seine Gefährtin Katreen zu bedenken, die ihm eine Reihe von Kindern geboren hatte, von denen zwei Söhne bereits das Erwachsenenalter erreicht hatten. „Erst danach hat man dich in dieses Amt berufen!“

„Ich habe diese Gegenstände als Kapitän des STURMTROTZERS für mich beansprucht und niemand hat meinem Anspruch widersprochen!“

„Weil es dem alten Großkapitän zu dieser Zeit bereits sehr schlecht ging!“, rief ihm Katreen unnachgiebig in Erinnerung. Ihren Widerstand gegen die pure Existenz dieser technischen Gegenstände innerhalb der Hütten des STURMTROTZERS hatte Magoon von Anfang an gespürt.

Aber er hatte sich dieses Mal entschlossen darüber hinweg gesetzt.

Die Neugier war einfach stärker.

Und im Übrigen war einfach nicht wahr, dass die Überlieferung den Besitz von Maschinen als Frevel ansah. Sie wies lediglich auf die Gefahren hin – genauso wie sie auch nicht grundsätzlich den Gebrauch von Zeichen untersagte, aber sehr eindringlich darauf verwies, wie sicher die Archivierung von Wissen in einem Zeichensystem sein konnte. Das hatte die Geschichte der J’arakor schließlich eindrucksvoll gezeigt.

Schließlich war die alte Zeit von der manche der Überlieferungen noch berichteten, damit zu Ende gegangen, das plötzlich keinerlei technische Gerätschaften mehr funktioniert und die so genannten Datenspeicher nicht mehr verfügbar gewesen waren. Das einzige Speichermedium für die Ewigkeit ist die Erinnerung der SEELE ALLER, so hieß ein Axiom aus der Überlieferung. Jedes Individuum der Gemeinschaft musste die Überlieferung verinnerlichen, sie förmlich in sich tragen und ihr mit seinem Bewusstsein eine zumindest zeitweilige Herberge geben, ehe er sie an die nächste Generation weitergegeben hatte. So lange es das Volk von Arakor gab, gab es auch die Überlieferung, so viel war sicher.

„Vielleicht können uns diese Gegenstände helfen“, sagte Magoon. Er berührte eines der gebogenen Strahlenrohre, hob es an und legte schließlich die Hand um den Griff, der erkennbar nicht für die Hand eines J’arakor geschaffen war.

„Es macht mir Angst, was du sagst“, erklärte Katreen. „Du solltest in dich gehen und zur SEELE ALLER beten, damit sie deinen Geist erleuchte!“

Magoon schwang den rohrförmigen Gegenstand in der Hand, nahm ihn dann in die andere und wog ihn. Der Gegenstand war überraschend leicht. Das Material, aus dem er bestand, interessierte ihn. Es war kalt wie das Metall, das die J’arakor mühsam in ihren Siedehütten, die es an Bord ausgewählter Segler gab, erzeugten.

Aber es musste sich um ein Metall handeln, das die J’arakor bislang noch nicht kannten. Zumindest war die Verarbeitung eine völlig andere, als Magoon sie je bei einem Schmiedemeister der J’arakor gesehen hatte.

„Tue es weg, Magoon! Ich bitte dich! Um die SEELE ALLER willen!“

Die Stimme seiner Gefährtin drang wie aus weiter Ferne in sein Bewusstsein.

Warum eigentlich?, dachte er. Haben nicht unsere Vorfahren auch Maschinen beherrscht, bevor der Tag des Unglücks kam, über den so viele Geschichten unserer Überlieferung ausführlich berichteten? Warum sollten wir es nicht erneut lernen können! Und was die SEELE ALLER angeht, so hat sie sich niemals so eindeutig dazu geäußert, wie es Katreen und viele andere behaupteten…

„Was treibt dich diesen Dämonen in die Arme, Magoon?“, fragte Katreen. „Ist es der Ruf nach Macht? Willst du Blitze erschaffen können, wie es die vogelartigen Fremden vermögen?“

„Katreen!“

„Bedenke, dass sie Ausgeburten des Bösen sind!“

„Da mag sein.“

„Die SEELE ALLER hat sie jedenfalls verdammt.“

„Sie haben die Ordnung missachtet, das ist wahr!“

„Ist das nicht dasselbe!“

„Katreen, so einfach sind die Dinge nicht!“

„Ich glaube schon. Du willst es nur nicht wahrhaben. Und du willst auch nicht wahrhaben, was dich in Wirklichkeit antreibt!“

Er sah sie an und runzelte die Stirn. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen, sodass zwischen ihnen eine Furche entstand. „Was sollte das denn deiner Ansicht nach sein, Katreen?“, fragte er.

Die Augen aller waren nun auf sie gerichtet. Magoon war nicht nur Katreens Gefährte, sondern auch ihr Kapitän und Großkapitän und es war unüblich, diesen Autoritären so vehement zu widersprechen. Selbst und gerade für deren enge Familienangehörige und Gefährtinnen.

Pandoon und Tragoon, die beiden gerade zu jungen Männern herangereiften ältesten Söhne Magoons verfolgten das Wortgefecht mit großem Interesse. Es war still in der Kapitänshütte. Von draußen war das Heulen des Sturms und das Schlagen eines nicht ordnungsgemäß vertäuten Segels zu hören, das nun unaufhörlich gegen die Außenwandung des STURMTROTZERS schlug.

Katreen sah ihn an. Sie hatte rötlich braune Augen. Das Haar fiel ihr lang über die Schultern. Die Kapuze ihres Anoraks war zurückgeschlagen und bildete nun einen hohen Kragen. Die Jahre, in denen Katreen gebärfähig war, neigten sich dem Ende entgegen, aber ihre Schönheit hatte sich nach Magoons Empfinden über all die Zeit hinweg erhalten. Magoon hatte sie zu seiner Gefährtin gemacht, als sie gerade zur Frau erblüht war. Aber jetzt, so viele Planetenumläufe später, empfand er immer noch dasselbe Begehren für sie wie damals.

Von Anfang an hatte sich ihr Widerspruchsgeist in steter Regelmäßigkeit geregt – und zwar vor allem dann, wenn sie glaubte, dass ihr Gefährte vom vorgezeichneten Weg der SEELE ALLER abwich.

Ihr Temperament schätzte Magoon noch heute. Ihre Interpretation der Überlieferung hingegen hielt er für engstirnig.

Katreen atmete tief durch.

„Ich werde dir sagen, was dich wirklich antreibt. Du konntest es nicht abwarten, Kapitän zu werden. Und bevor du Großkapitän wurdest hat dich auch diese unheilvolle Ungeduld erfasst! Es reicht dir offensichtlich nicht, in einem Alter von knapp vierzig Planetenumläufen bereits Großkapitän geworden zu sein, was kaum jemand schafft! Du willst auch noch zum Wegbestimmer der J’arakor gewählt werden! Dich dürstet es nach Macht! Dein Wille soll überall geschehen, anstatt dass du auf den Willen der SEELE ALLER hörst! Und dafür brauchst du diese Maschinen des Bösen! Mit ihrer Hilfe willst du deine Konkurrenten einschüchtern und dich als einen machtvollen Wegbestimmer empfehlen können!“

„Ich habe nicht die Absicht, Wegbestimmer aller J’arakor zu werden“, sagte Magoon gelassen. „Und wenn man mir diese Wahl jetzt antragen würde, müsste ich sie ablehnen.“

„So?“

„Niemand kann das Amt des Wegbestimmers ausüben, der sich nicht wenigstens ein paar Planetenumläufe lang Respekt als Großkapitän erworben hat!“

„Einige Planetenumläufe – das ist also die Frist, die du dir gesetzt hast!“, stellte Katreen fest, die Magoons Antwort als Bestätigung ihrer Ansichten ansah.

„Katreen! Es ist die Neugier, die mich treibt, diese Gegenstände an mich zu nehmen und sie zu untersuchen. Ich will wissen, was in ihnen steckt und möchte lernen, wie sie funktionieren!“

„Denkst du auch mal an die SEELE ALLER dabei, Magoon?“

„Wenn unsere Vorfahren dazu in der Lage waren, solche Maschinen zu erschaffen, da sollten wir wenigstens lernen können, sie zu benutzen!“

„Du weißt was damals mit unseren Vorfahren geschah…“

„Das ist mir wohl bewusst, Katreen.“

Sie schüttelte den Kopf. „Am Ende wirst du sogar auf den Gedanken kommen, den Fremden eines ihrer Sternenschiffe wegzunehmen, um damit hinaus in das kalte Nichts zu fliegen.“

 

„Nicht hinaus in das kalte Nichts. Es gibt unzählige Welten dort. Auch das berichtet die Überlieferung, auch wenn diese Welten seit der großen Katastrophe für uns nicht mehr erreichbar waren.“

„Der Raumflug wurde unmöglich“, stellte Katreen fest.

„Aber die Fremden fliegen auch!“, gab Magoon zu bedenken.

„Ihre Natur ist anders.“

„Aber vielleicht haben sich die Bedingungen dort oben, jenseits unserer Welt in den Zeitaltern, die seit dem Tag der großen Katastrophe vergangen sind auch geändert“, widersprach Magoon.

Sie schüttelte energisch den Kopf. „Du bist ein Narr, Magoon! Warum genügt es dir nicht, den Willen der SEELE ALLER zu tun, und dich um deinen Eissegler und deine Familie zu kümmern?“

„Es ist nun einmal so. Und im Übrigen glaube ich auch nicht, dass die SEELE ALLER wirklich etwas gegen meine Pläne einzuwenden hätte.“

„Kümmert sie sich vielleicht darum, welche Werkzeuge wir aus den Erzknollen erschaffen und wie wir sie im Einzelnen anwenden?“ Er hob den rohrförmigen Gegenstand in seiner Hand etwas an. „Dies hier, Katreen, ist auch nichts anderes als ein Werkzeug.“