Reisen im Sudan

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Am 14. Juni 1821 übergab der letzte König der Fung seine Hauptstadt Sennar kampflos den Ägyptern. Ende August erreichte Ibrahim Pascha mit Verstärkungen die durch das unerbittliche Klima und Seuchen geschwächten Truppen Ismaels. Die Eroberung wurde zwar vollendet, der Ertrag an Sklaven und Gold blieb jedoch weit hinter den Erwartungen zurück. Mittlerweile war Mohammed Bei Khusraw der Defterdar in Kordofan eingefallen. Er schlug den Statthalter Musallim und annektierte die Provinz, der griechische Aufstand 1822 und die weitere Entwicklung im Sudan machten die weitere Eroberung Darfurs unmöglich.

Nach Ibrahim kehrte im Oktober 1822 auch Ismael nach Norden zurück. Als er in Schendi eine übermäßige Kontribution an Gold und Sklaven von Mek Nimr verlangte, wurde in der darauffolgenden Nacht sein Quartier angezündet und Ismael kam mit seinem Gefolge in den Flammen um. Sofort brach im gesamten Sudan der Aufstand gegen die ägyptische Herrschaft los. Nur wenige Garnisonen hielten sich, bis es dem Defterdar, der aus Kordofan mit den intakten Kontingenten herbeieilte, gelang, die bis 1824 währende Revolte mit harter Hand zu unterdrücken. Die folgende Schreckenszeit, in der ganze Städte verbrannt und die Bevölkerung in die ägyptische Sklaverei geführt wurde, war noch in aller Gedächtnis, als Brehm fünfundzwanzig Jahre später den Sudan besuchte. Manche Orte, wie der alte Handelsplatz Schendi, das seine Bedeutung an Khartum verlor, haben sich nie mehr davon erholt.

Die Gründe der Revolte liegen außer im Widerstand gegen die Fremdherrschaft vor allem in der Einführung des ägyptischen Steuersystems. Die koptischen Finanzintendanten taxierten unbarmherzig das entlegenste Dorf, selbst die Wasserschöpfräder der Bauern am Nil wurden besteuert. Die Bevölkerung flüchtete in das unzugängliche abessinische Bergland. Entvölkerung und Verödung erschütterten das Gleichgewicht der Stämme. Der Aufstand – ohne Führer und Zielsetzung – brach zusammen. Er kostete rund hunderttausend Tote; es sollten 60 Jahre vergehen, bis es dem religiösen Charisma des Mahdi gelang, den Sudan erfolgreich gegen die Fremdherrschaft zu einen.

Die kommenden Jahre stehen im Zeichen der Etablierung der turkoägyptischen Herrschaft, der Sudan wurde zum Sklavenreservoir Ägyptens. Allein zwischen 1822 und 1824 wurden 30.000 Sudanesen in die Armeen Mohammed-Alis gepresst. Hauptgebiete der Sklavenjagden bildeten die Nuba-Berge, das südliche Kordofan, das Ingessana-Bergland und der obere Blaue Nil, schließlich die von Schilluks und Dinkas bevölkerten Flussufer des Weißen Nils.

Auf Befehl Mohammed-Alis erfolgte 1839–1842 die Erforschung des oberen Weißen Nils zwischen Khartum und Gondokoro. Der Nil bedeutete den einzigen Verkehrsweg in den unberührten Süden, wenngleich er auf Hunderte von Meilen durch den fast undurchdringbaren »Sudd« führte, einen dicken schwimmenden Teppich aus Gras und Papyrus, der den Fluss völlig bedeckte. Elfenbein und Sklaven waren die Motive für das Vordringen, und so trifft man türkische Beamte und Händler dort Jahrzehnte vor den berühmten Forschungsreisenden, die wie Speke und Grant im Auftrag der geographischen Gesellschaften Europas oder wie Baker, Pruyssenaere, Peney oder die Gebrüder Poncet privat das Geheimnis des Nils und seiner Quellen zu entdecken trachten.

Am 16. November 1839 verließ eine Flottille von zehn Booten unter dem Kommando des türkischen Fregattenkapitäns Selim Khartum, um durch die Papyrussümpfe bis Gondokoro tausend Meilen weiter südlich vorzustoßen. Das Unternehmen gelang, Selim erreichte den 5. Grad nördlicher Breite. Als die europäischkolonialen Einflüsse sich noch auf die Küstenbezirke Westafrikas beschränkten, als Sultan Said gerade erst eine Dynastie auf Sansibar an der Ostküste des Kontinents begründete, fanden die wenigen Männer Mohammed-Alis den Zugang tief in das Innere des unbekannten Zentralafrikas. Von nun an sollte das wechselvolle Schicksal des südlichen Sudan mehr als ein Jahrhundert bis auf unsere Tage mit den Wüstengebieten des Nordens verbunden bleiben. Die Einheit des Niltals wurde zur geopolitischen Herrschaftsfrage.

Zunächst war es der türkischen Regierung in Khartum darum zu tun, die neu erschlossene Handelsquelle zu monopolisieren. Private Handelsunternehmen kamen unter Beaufsichtigung von Truppen und Beamten in den folgenden Jahren zu Stande. Der berüchtigte Italiener Nicola Ulivi, Brehm im ungünstigsten Angedenken, die Savoyarden Brun-Rollet und Lafarque, einige Levantiner und Syrer machten gemeinschaftliche Sache mit der Regierung. Im weiteren Verlauf jedoch setzten die europäischen Mächte durch ihre Konsuln in Khartum und Kairo die völlige Handelsfreiheit durch. Anfänglich beschränkte sich der Handel auf den Tausch von Elfenbein, das sich in großen Mengen bei den nilotischen Uferbewohnern vorfand, die die in mächtigen Herden in Sümpfen und Urwäldern hausenden Elefanten nur wegen des Fleisches jagten. Man erhandelte Elfenbeinzähne für eine Handvoll ordinärer venezianischer Glasperlen. Mit der Zeit wurde das Elfenbein seltener und der Wert der Glasperlen fiel. Angesichts der Bedürfnislosigkeit der Stämme verfielen die Händler mehr und mehr darauf, Sklaven zu kaufen, später zu rauben. Sie machten gemeinsame Sache mit einem Stamm, überfielen unter dessen Führung die Nachbarn und suchten so viele Gefangene als möglich zu machen, um sie als Sklaven verkaufen zu können. Zugleich wurde geraubt, was sich an Vieh vorfand, und die Beute mit den befreundeten Stämmen geteilt.

Manche Händler gründeten in den befreundeten Distrikten feste Niederlassungen, so genannte »Zeribas«, mit ständiger Garnison, von denen aus Züge ins Innere unternommen wurden. Es gab Händler, die Privatarmeen bis zu 500 Mann unterhielten und Raub und Tausch in großem Stil betrieben. Sie verbanden sich mit arabischen Zwischenhändlern, die den Weitertransport der Sklaven nach Khartum übernahmen. Ganze Schiffsladungen dieser »schwarzen Ware« wurden nilabwärts gesandt. Die Transportbedingungen waren primitiv, die Überlebenschancen gering. In dem Bemühen, neue Handelswege zu erschließen, entdeckte man das Land: die Zuflüsse des Nils und ihre Verzweigungen, man drang zu Land über den Bahr El Ghazal zur Wasserscheide von Nil und Kongo vor.

Den Behörden sowie den Konsularagenten in Khartum waren die Zustände natürlich bekannt. Erst nach dem Tode Mohammed-Alis und recht eigentlich erst mit der Thronbesteigung des Khediven Ismael wurde versucht, den himmelschreienden Verhältnissen ein Ende zu bereiten. Der Import von Schwarzen steigerte die Einnahmen des Fiskus, zugleich erhielt man auf die billigste Weise viele zum Militärdienst tüchtige Leute, auch Sklavinnen für den Harem, und natürlich – wie immer im Orient – waren Regierungsbeamte an den Spekulationen beteiligt.

Ein allgemeines europäisches Interesse an der Sklavenfrage erwachte erst um 1863, im gleichen Moment, als Grant und Speke von ihrer historischen Entdeckungsfahrt zu den Nilquellen zurückkehrten und das Niltal aus dem Dunkel eines fernen Erdteils in den Blick eines geographisch aufgeschlossenen Jahrhunderts trat. Zwar war in London bereits 1840 die Antisklavereigesellschaft gegründet worden, die unter ihren Führern Bowring und Madden an den Pascha in Kairo Appelle richteten, aber Englands Position in Mohammed-Alis Reich war für einen Erfolg zu schwach. Erst Baker, dessen mehrfach verlegte Bücher über den Nil Bestseller ihrer Zeit waren, gelang es, in seiner großen Expedition »Ismailia« 1869–1873, die er – Begleiter des Prinzen of Wales bei der Eröffnung des Suezkanals – mit dem Khediven Ismael aushandelte, erste Schritte zur Unterdrückung des Sklavenhandels im Südsudan zu tun. Die Schriften des Deutschen Schweinfurth, des Österreichers Pallme sowie des Engländers Cooper, The lost Continent, or Slavery and the Slave Trade in Africa, orientierten ein breiteres europäisches Publikum über den Sklavenhandel im Sudan. Charles George Gordon, der 1885 in Khartum unter den Speeren der Mahdisten starb, vermochte in seiner Amtszeit als Gouverneur des Sudan – ohne dabei immer konsequent zu sein – den Sklavenhandel immerhin auf ein gewisses Maß zu reduzieren. Ein nachhaltiger Erfolg war erst der britischen Kondominatsverwaltung zu Ende des Jahrhunderts beschieden.

An den Zusammenfluss, wo der Nil entsteht, auf die nördlichste Spitze der »Gezira«, »Ras el Chartum« genannt, wurde kurz nach der Eroberung des Sudan eine Truppenabteilung verlegt; um ihre leichten Strohbara- cken gruppierten sich bald Magazine und die dauerhaften Behausungen einiger Offiziere, Schreiber, Lieferanten und Kaufleute; ein Markt entstand, den die Landbevölkerung der Umgebung mit Landesprodukten versorgte, wofür sie ägyptische Waren einkaufen konnte. In wenigen Jahrzehnten war aus dem Lager und dem Dörfchen eine Stadt und zugleich ein wichtiger Handelsplatz geworden. Die fünf Provinzen des ägyptischen Sudan, in die das Land nach seiner zunächst endgültigen Eroberung und Befriedigung eingeteilt worden war, Nubien, Taka, Sennar, Fasoghl und Kordofan, erhielten in Khartum einen Mittelpunkt, an dem der Generalgouverneur seinen Sitz nahm. Das hauptstädtische Gepräge der Stadt hält sich in bescheidenem Rahmen. Khartum besteht noch zu Brehms Zeiten im Wesentlichen aus einstöckigen Lehmbauten aus ungebrannten Ziegeln mit flachem Dach. Die einst landesüblichen Strohhäuser mit ihren hohen konischen Dächern, »Tokul« genannt, dürfen wegen der Feuersgefahr nicht mehr gebaut werden.

Khartum – damals wie heute keine Schönheit – besitzt wenige größere Plätze; die Straßen sind eng und krumm, uneben und voller Staub und Unrat. Hier und da ein Garten mit Doumpalmen, schattigen Sykomoren und Tamarinden, Akazien und vereinzelten Dattelpalmen. Zahlreiche Segelbarken reihen sich am Ufer des Nils unmittelbar unter den Häusern entlang. Stattlich ragt nur der weißgetünchte Palast des Gouverneurs am Blauen Nil mit seinen hohen Mauern und Fenstern empor. Daneben der Bazar mit seinen überdeckten Gängen, die Gebäude der österreichischen Mission mit gut gehaltenen, von hohen Steinmauern umschlossenen Gärten, türkische Kaffeehäuser, die Läden der griechischen Kaufleute, endlich die Magazine der Regierung, Kasernen und ein Hospital. Stapelplatz aller orientalischen Bedürfnisse ist der Bazar. Hier begegnet man Reihen von Buden mit ägyptischen Schustern und Schneidern sowie den Händlern, welche Stoffe aller Art aus Indien, Tunis und Konstantinopel anbieten. Daneben Barbierstuben und Bäder. Der Sklavenmarkt bildet ein Kapitel für sich.

 

Die Bevölkerung Khartums bildete eine Palette verschiedenster Nationalitäten. Neben den eingeborenen Sudanesen finden sich Araber, Berber, Ägypter, Kopten, Griechen, Malteser, Neger aus Äquatoria, vom oberen Blauen Nil, aus den Nuba-Bergen und Darfur, Abessinier und Galla, Kurden, Türken, Perser, Maghrebiner und Arnauten, syrische und armenische Christen, algerische Juden. Die wenigen in Khartum ansässigen Europäer sind Kaufleute, Missionare, Konsuln und Spekulanten. Weder unter sich noch seitens der übrigen Bevölkerung oder der ägyptischen Behörden genießen sie einen guten Ruf. Meist sind es Menschen, welche durch alle möglichen, in undurchdringliches Dunkel gehüllten Verhältnisse hier an die äußerste Grenze der Zivilisation verschlagen sind, um ihr Glück zu machen oder ein frühes Grab zu finden.

Brehm hat die Verhältnisse, die Ungebundenheit der Sitten, aber auch Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft der kleinen europäischen Kolonie lebendig und temperamentvoll geschildert. Die totale Abgeschiedenheit der europäischen Gesellschaft in einem Land, dessen Verhältnisse Zusammenhalten gegen vielfältige äußere Elemente verlangten und dessen mörderisches Klima stündlich wie aus heiterem Himmel seine Opfer fordern konnte, bewirkten, dass trotz aller Händel, die zwischen den einzelnen herrschen und oft in nicht eben ritterlicher Weise beigelegt werden, doch ein gemeinsames Band die bunt zusammengewürfelte Gesellschaft umschließt. »Man haust hier in einer kleinen Republik in allerdings fast zu unbeschränkten sozialen Verhältnissen, meist ohne viel Beschäftigung, ohne gegenseitige geistige Anregung, unter dem demoralisierenden Druck der klimatischen Einflüsse, die alle Keime von Leidenschaft steigern, und führt eine Art von Kneipenleben, das eben durch die Umstände bedingt ist«, schreibt in diesen Jahren der österreichische Konsul.

Zum Schutz des Handels und der Missionen unterhielten Frankreich, England, Sardinien und Österreich-Ungarn Konsulate, die zumeist von Kaufleuten als Honorarkonsuln geführt wurden, die gelegentlich nicht einmal der von ihnen vertretenen Nation angehörten. Unter dem besonderen Schutz des österreichischen Konsulats stand die römisch-katholische Mission, zugleich »Apostolisches Vikariat für Zentralafrika«. Sie war 1846 durch Papst Gregor XVI. ins Leben gerufen worden und erfreute sich des persönlichen Patronats Kaiser Franz Josephs. Im Wesentlichen auf freiwillige Beiträge Österreich-Ungarns gegründet, gehörte zu ihrem Aufgabengebiet die Bekehrung der Schwarzen zum Christentum sowie die geistliche Betreuung der im Sudan lebenden Europäer. Ihren Aufschwung verdankt die Mission dem Jesuitenpater und nachmaligen apostolischen Vikar Dr. Ignaz Knoblecher. Brehm, der mit ihm die Anreise von Ägypten nach Khartum unternahm, hat ihm in seinem Buch ein freundliches und respektvolles Denkmal gesetzt. Keiner aus der damaligen Reisegesellschaft ahnte, dass im folgenden Jahrzehnt mehr als 50 Geistliche und Laienbrüder dem sudanesischen Klima zum Opfer fallen sollten, ohne dass der Mission – von der Bekehrung angekaufter Sklaven abgesehen – ein Erfolg beschieden gewesen wäre.

Die Sterblichkeit unter Fremden wie Sudanesen erreichte einen hohen Grad. 1854 starb fast die gesamte europäische Kolonie Khartums aus. Malaria, Diphtherie und Cholera wüteten mit unglaublicher Heftigkeit; Brehm berichtet immer wieder von Fieberanfällen, die ihn für Wochen niederwerfen. Lebensgier und Lebensfreude Khartums stehen hierzu in grellem Kontrast. Türken und Europäer genießen das Leben, das in Khartum so wenig zu bieten hat, so gut es eben geht. Das Verhältnis der turkoägyptischen Überlagererschicht zu den Europäern ist größtenteils intim und freundschaftlich. Die wenigsten Türken hatten Skrupel, höchst ungezwungen mit den Ungläubigen zu verkehren und deren Sitten und schlechte Gewohnheiten rasch anzunehmen. Umgekehrt nehmen an den glänzenden Festlichkeiten des Gouverneurs und der Regierungsbeamten mit Feuerwerk und Musik, nubischen Tänzerinnen, Gauklern, Schnurranten und Narren mit ihren obszönen Späßen neben der türkischen Oberschicht regelmäßig auch die Europäer teil; unglaubliche Mengen von Spirituosen werden vertilgt, eine Gewohnheit, die sich bis auf den heutigen Tag in Khartum erhalten hat. So beschreibt der amerikanische Reisende Bayard Taylor Festlichkeiten und Ausflüge in die Umgebung:

»Die Boote wurden am Ufer festgetäut, Feuer angezündet, die Pfeifen angesteckt und Kaffee zubereitet. Im Lichte des vollen Mondes saßen wir in Gruppen im Sand. Um Mitternacht gab es das übliche Schaf, das von zwei Flaschen Rotwein begleitet war. Daraufhin gab Abou-Balta (ein reicher Kaufmann) vor, entrüstet zu sein, allerdings nur solange, wie mohammedanische Diener sich in seiner Nähe aufhielten. Als die Luft rein war, räkelte er sich wie ein zweiter Falstaff auf dem Sand, wobei sein fröhliches Gesicht im Mondlicht strahlte. Dann probierte er verschmitzt das verbotene Getränk, das ihm gut mundete.

Ein ganzes Schaf wurde aufgetragen, mit Reis gefüllt und mit Brot, Zwiebeln, Rettichen und Weintrauben garniert. Wir machten unseren rechten Arm frei und stürzten uns mit bloßen Fingern und mit so viel gutem Willen über das dampfende Fleisch, dass nach einer halben Stunde nur noch ein bildschönes Skelett auf der Platte übrig geblieben war.« – oder einen Empfang bei Sultana Nasra, einem Mitglied der ehemals regierenden Familie von Sennar:

»Alle ihre Sklavinnen waren Mädchen zwischen zwölf und vierzehn Jahren, unbekleidet bis auf einen Rähad, einen Gürtel aus Lederfransen, über den Hüften. Es war offensichtlich, dass sie nach ihrer Schönheit ausgesucht worden waren; zwei von ihnen erschienen in der Symmetrie ihrer Formen und in der Anmut ihrer Bewegungen unvergleichbar, obwohl sie schwarz wie gusseiserne Statuen waren. Die Sklavinnen brachten uns die Pfeifen und Kaffee, und wenn sie nicht beschäftigt waren, standen sie mit vor der Brust gefalteten Händen in einer Reihe nebeneinander am äußeren Ende des Zimmers.«

Der gleiche Reisende vermerkt allerdings auch den Revers der Medaille:

»Auf beiden Seiten sah ich in eingepferchte Innenhöfe, in denen die elenden Araber- und Negerfamilien sich tagsüber faul in der Sonne wärmen, oder in die schmutzstarrenden Schlupfwinkel, in die sie nachts kriechen. Der Haufen von Kindern, mit denen sie sich in diesen Höhlen fortpflanzen, saß splitternackt im Schmutz und spielte mit gelben Kötern. Hier oder dort stand ein abgemagertes Lastkamel in der Hofecke. Die einzigen Einrichtungsgegenstände, die zu sehen waren, bestanden aus einem Wassersack aus Ziegenleder, ein paar Töpfen und Krügen, ein oder zwei Körben und manchmal einem Angareb, das als Sitzgelegenheit und Bett diente.«*

Brehms Reisebericht ist nur einer in der reichen Reiseliteratur über den Sudan, wenn auch in seiner genauen, gründlichen und gemütvollen Betrachtungsweise eine für das bildungsbewusste 19. Jahrhundert besonders typische Schilderung. Während Khartum und der Sudan mit dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts das Ziel zahlreicher europäischer Besucher wurde, existieren nur wenige Zeugnisse über Reisen vor der turko-ägyptischen Zeit. Nach der Pilgerfahrt des niederrheinischen Ritters Arnold von Harff, der 1496 seine Reise antrat, die ihn über Ägypten bis nach Nubien und Äthiopien bringen sollte, vergehen zweihundert Jahre, bis der Franziskanerpater Theodor Krump aus Augsburg 1701 mit anderen Missionaren aus Kairo aufbricht und über die alte Karawanenroute, über die Oase Selima-Moscho-Dongola-Sennar, die Hauptstadt des Fungkönigtums erreicht. Ein Jahr darauf gelingt ihm die beschwerliche Rückkehr aus Abessinien; 1710 erscheint in Augsburg sein denkwürdiges Buch. Nach dem Schotten James Bruce, der siebzig Jahre später aus Gondar über Sennar nach Assuan zurückkehrt, verdanken wir dem Schweizer Johann Ludwig Burckhardt die klassische Schilderung Nubiens und des nördlichen Sudan am Vorabend der ägyptischen Eroberung. 1813 durchkreuzt er mit einer Sklavenkarawane die Nubische Wüste und erreicht über Berber und Schendi die Hafenstadt Suakin am Roten Meer.

Mit dem Aufschwung der Dampfschifffahrt auf dem Mittelmeer, insbesondere durch den Triester Lloyd, wurden die Verbindungen nach Ägypten erheblich erleichtert. Ganze Scharen von Europäern strömten in das alte Land der Pharaonen, nur wenige wagten sich über die Nilkatarakte nach Süden hinaus. Aber nach dem Fall der Mamelukkenherrschaft werden auch die Regionen am oberen Nil stärker besucht, Nubien, Kordofan und Sennar wurden für Kaufleute und Missionare, für Reisende, Abenteurer und Forscher zugänglich, und neue Verkehrswege etablieren sich. Viele von ihnen, die die Neugier, Glaubenseifer oder das Abenteuer trieb, die Elfenbein oder geographische Entdeckungen suchten, hinterließen Beschreibungen, Tagebücher, Notizen und Korrespondenz. Schon über die Expedition der ägyptischen Truppen besitzen wir reichhaltiges Quellenmaterial, den Bericht des Bostoner Artillerieoffiziers G. B. English, das mehrbändige Werk Frédéric Cailliauds Voyage à Méroë, das die meroitischen Altertümer Nubiens erschließt. Linant de Bellefonds’ Memoiren über den Eroberungszug wurden erst ein Jahrhundert später in der Khartoum University Press publiziert. Der Preuße Ferdinand Werne berichtete über die Feldzüge und die Expedition zur Entdeckung der Nilquellen. Die erste gründliche Beschreibung Kordofans 1843 verdanken wir der Reise des Österreichers Ignaz Pallme. Neben Franzosen und Italienern – die Engländer gehören in eine spätere Phase – sind es vor allem deutsche Reisende, deren Schriften zu den Standardwerken über den Sudan gehören. Allen voran die glanzvollste Schilderung der Epoche, Fürst Pücklers Aus Mehmet Ali’s Reich. Wie kein anderer hat der Grandseigneur der deutschen Orientreisenden den morgenländisch-afrikanischen Charme des Landes geschildert, dem er in Gestalt der nubischen Sklavin Machbuba selbst erlag und die er mit der selbstverständlichen Gelassenheit des Standesherren der Wiener Hofgesellschaft in Mamelukkentracht als seine Favoritin vorstellte.

Das aufgeklärte, bildungsbewusste Preußen Friedrich Wilhelms IV. rüstete zwei wissenschaftliche Expeditionen aus: 1842 bis 1845 bereiste der spätere Direktor des Ägyptischen Museums in Berlin, Richard Lepsius, zusammen mit Heinrich Abeken, nachmalig preußischer Generalstabsoffizier, Ägypten und Nubien und nahm die Altertümer in Schendi und Meroë auf. Ihm danken die ägyptologischen Sammlungen Deutschlands den Ankauf vieler nubischer Antiquitäten, darunter auch Funde aus den Pyramiden von Meroë. Seine rund vierzig an Alexander von Humboldt, Bunsen und den König selbst gerichteten Briefe aus dieser Zeit erschienen 1852 in Buchfolge. Heinrich Karl Brugsch bereiste Nubien 1853 bis 1854. Viele deutsche Sudan-Reisende der Zeit kennt Brehm oder erwähnt sie: Rüppel, dessen Reisen in Nubien, Kordofan und dem Peträischen Arabien schon 1829 erschienen, J. von Russegger, dessen mineralogische Gutachten Mohammed-Ali zur Goldsuche ermutigten, von Henglin, Bilharz, den Entdecker der Bilharziose, Ehrenberg, den Missionar Krapf, den Diplomaten Graf von Prokesch-Osten, den Schriftsteller Bogumil Goltz, um nur einige von ihnen zu nennen. Fast alle haben, von der Weite und Unberührtheit des oberen Niltals fasziniert, ihre Eindrücke und Erlebnisse in diesem entlegenen Teil der osmanischen Welt beschrieben.

Daneben war der Sudan schon zu Zeiten Brehms beliebtes Ziel für Jagdfahrten und archäologisch-touristische Ausflüge. 1839–40 unternimmt Prinz Friedrich Paul von Württemberg einen Ausflug, der ihn bis an die abessinische Grenze bei Fazoghl führt, 1831 besucht der Österreicher Baron Callot auf der Suche nach Altertümern Khartum, Sennar und Gallabat an der äthiopischen Grenze. Brehm selbst begleitet zehn Jahre nach seinen Reisen in den Sudan den Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha auf einer ausgedehnten Jagdpartie in den Ostsudan und Eritrea.

Mit dem erwachenden Interesse an der Erforschung der Quellen des Nils um die Jahrhundertmitte erlebt der Sudan einen neuerlichen Zustrom an Forschern, Vergnügungsreisenden und Abenteurern. Die Durchfahrt durch den Suezkanal eröffnete neue Verkehrswege auch in den Sudan. Neben der pompösen wie ineffizienten Figur eines Sir Samuel White Baker und Gordon, dem angelsächsischen Idol, findet sich eine zusammengewürfelt anmutende Gruppe europäischer Administratoren, die sich in die Verwaltung des Sudan, dieser einzigen nichteuropäischen Kolonie auf afrikanischem Boden, teilen. Mit ihnen, unter der Herrschaft des Khediven Ismael, erlebte der Sudan eine letzte weitausgreifende Expansion. 1865 trat die Pforte die Häfen Suakin und Massaua ab, die bislang unter der Statthalterschaft Djidda gestanden hatten, 1871 wurde der Schweizer Munzinger Gouverneur von Massaua, 1874 wurde Darfur erobert und als Provinz einverleibt; ihr letzter Gouverneur, der Österreicher Slatin-Pascha, sollte einige Jahre darauf in El Fascher vor dem Mahdi kapitulieren. Vor dem Ausbruch der Mahdistischen Erhebung von 1884 umfasste der ägyptische Sudan die Küste des Roten Meeres, weite Teile der Somaliküste unter Einschluss von Harrar, Zeila und Berbera, die ausgedehnten Gebiete um den Bahr El Ghazal und den oberen Nil, um schließlich mit der Provinz Äquatoria im Süden den Viktoriasee und damit den Äquator zu erreichen. Weite Bereiche des heutigen Uganda, Eritreas, ja selbst Somalias standen damals unter der zumindest nominellen Herrschaft des Khediven. Der Nil wurde ein ägyptischer Strom, für eine kurze Spanne erschien der Traum von der Einheit des Niltals verwirklicht. Der Zerfall dieser Einheit unter den Anstürmen der Mahdisten gehört bereits in ein anderes Kapitel.

 

Festzuhalten bleibt hingegen noch ein Name, der in diese Spätzeit der ägyptischen Herrschaft fällt: Unlöslich mit Äquatoria verbunden ist sein letzter Gouverneur Eduard Schnitzer aus Oppeln in Schlesien, bekannt als Emin-Pascha, der nach dem Aufstand des Mahdi, von der Außenwelt völlig abgeschnitten, noch Jahre hindurch die Provinz nominell für den Khediven hielt. Als das Deutsche Reich unter Carl Peters sich um 1886 anschickte, seine koloniale Interessenssphäre in Ostafrika nach Norden über Uganda hinaus auszudehnen, beeilte man sich in England wie einst für Livingstone, eine Expedition unter Leitung Stanleys zum Entsatz auszusenden, der den Widerstrebenden schließlich nach Sansibar brachte. Jedoch gehört der gesamte Komplex, wie auch der Aufstand des Mahdi nicht mehr in den hier behandelten zeitlichen Zusammenhang, wie denn die späteren deutschen Sudan-Forscher, wie Heinrich Barth, Georg Schweinfurth, Gustav Nachtigal, Wilhelm Junker, hier unberücksichtigt bleiben müssen.

III

Rund 150 Jahre sind verflossen, seit Brehm am 2. Februar 1829 im Pfarrhaus im thüringischen Renthendorf geboren wurde. Ein kurzer Blick auf seine Biographie sei abschließend gestattet. Der Vater, Christian Ludwig Brehm, war ein bekannter Ornithologe. Der vogelforschende geistliche Herr hat frühzeitig den Hang des Sohnes zur Naturbeobachtung geweckt. Der Zufall fügte es, dass der eben achtzehnjährige Architekturstudent von dem württembergischen Baron von Müller – mit dem alten Brehm durch die gemeinsame Liebe zur Ornithologie bekannt – gebeten wurde, ihn auf seiner Fahrt in den Sudan zu begleiten. Man muss sich beim Lesen das Alter Brehms vor Augen halten: seine Nord-Ost-Afrikanischen Reisen erlebte er als ein kaum der Schule Entwachsener und veröffentlichte sie 1855, mit nur 26 Jahren.

Das Afrikaunternehmen des Baron Müller, das Brehm frühen Ruhm brachte, litt von Anbeginn an schlechter Ausrüstung und letztlich unter Geldmangel. Ob, wie Brehm es darstellt, Freiherr von Müller seinen Reisegenossen auf der zweiten Fahrt in den Sudan kühlen Blutes im fernen Khartum im Stich gelassen hat, soll hier dahingestellt bleiben; jedenfalls hielt sein Vermögen seinen wissenschaftlichen Ambitionen nicht stand. Nach anstrengenden hundert Tagesreisen von Kairo langte Brehm am 7. Januar 1848 in Khartum an. Jagdreisen in die Wälder am Blauen und Weißen Nil, eine Fahrt nach Kordofan folgten. Ende August traten die Reisenden mit reicher Ausbeute an lebenden und toten Tieren die Rückfahrt auf dem Nil nach Ägypten an, am 30. Oktober landeten sie in Kairo.

Auf seiner zweiten Sudanreise im Jahr darauf verlor Brehm in Dongola Anfang Mai 1849 seinen Bruder Oskar, der beim Baden im Nil ertrank. Er erreichte Khartum, verharrte hier mittellos und von immer neuen Fieberanfällen geschüttelt, bis ihm die Großzügigkeit des türkischen Gouverneurs eine mehrmonatige Jagdreise auf dem Blauen Nil über Sennar und Roseires bis an die abessinische Grenze ermöglichte. Immer wieder, auch in seinen späteren Lebensjahren, hat sich Brehm gerne an diese, die glücklichste und unbeschwerteste Reise im Sudan erinnert. Rund vierzehnhundert Vogelbälge, von Riesenstörchen bis zum kleinsten Singvogel, betrug die Ausbeute dieser Fahrt. Zum ersten Mal erlebte Brehm die ganze Vielfalt der Tierwelt der Urwälder, erblickte Antilopen, Löwen und Elefanten, sah wilde Büffelherden zur Tränke ziehen, hörte des Nachts am Lager die Leoparden, Schakale und Hyänen. Nach seiner Rückkehr verbrachte er den heißen Sommer in Khartum mit Sichten und Ordnen seiner Sammlungen. Noch einmal erwies sich die Generosität Latif Pashas. Mit der sicheren Menschenkenntnis des Orientalen lieh er dem jungen Mann 5.000 Piaster aus der Staatskasse zur Rückkehr nach Ägypten. Nach einem in Kairo verbrachten Winter und einem Ausflug ans Rote Meer kehrte Brehm mit einer Sammlung von Tieren für den Berliner Zoo über Triest nach Deutschland zurück. Volle fünf Jahre hatte die Fahrt ins Morgenland gedauert.

In Jena und Wien studierte Brehm Naturwissenschaften und Zoologie. Als Jenenser »Saxone« neben Kneipe und Kommers schrieb er seine Nord-Ost-Afrikanischen Reisen. Doktor der Philosophie, Mitglied der »Kaiserlich Leopoldisch-karolingischen Akademie der Naturforscher«, Gymnasiallehrer in Leipzig, beliebter Autor zahlreicher populär-zoologischer Aufsätze in der Gartenlaube, Verfasser wissenschaftlicher Werke, so vergehen die nächsten Jahre. 1861 erscheint Das Leben der Vögel, 1867 zusammen mit Roßmäßler Die Tiere des Waldes, 1869 die erste Auflage des Werkes, das ihn berühmt machte und seinen Namen bis auf unsere Tage lebendig bleiben ließ, das Illustrierte Tierleben. 1879 erschien eine zweite, fast auf den doppelten Umfang erweiterte Auflage der bis in die heutige Zeit immer wieder verlegten zehn Bände. Zu einer Würdigung dieses Klassikers unter den Naturgeschichten ist hier nicht der Ort. Noch immer ist es ein nach Anlage, Inhalt und Eigenart gültiges Werk, auch wenn es nach einem Jahrhundert nicht mehr dem heutigen Stand der Forschung entsprechen mag. 1863 wurde Brehm Direktor des Hamburger Zoologischen Gartens. Danach übernahm er Aufbau und Leitung des Berliner Aquariums.

Auch späterhin ist Brehm noch oft und weit gereist. 1862 ging er auf eine ausgedehnte Jagd- und Forschungsreise mit Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha nach Eritrea ins Land der Bogos; seine Erlebnisse erschienen 1863 in Buchform unter dem Titel Ergebnisse einer Reise nach Habesch. 1876 bereiste er mit Otto Finsch, dem Direktor des Naturhistorischethnologischen Museums in Bremen, neun Monate lang Sibirien, durch Tundra und Steppe führte die Fahrt teils über chinesisches Gebiet bis an das Altai-Gebirge; über diese seine Reise kann man nachlesen in Auf Forscherfahrt in Nord und Süd. Mit dem österreichischen Thronfolger Kronprinz Rudolf, ebenfalls Ornithologe und mit Brehm freundschaftlich bekannt, unternahm er 1878 eine Forschungsfahrt zur unteren Donau, im Jahr darauf eine Jagdfahrt nach Spanien und Portugal. Nach einer Vortragsreise durch Nordamerika starb Brehm, erst fünfundfünfzigjährig, am 11. November 1884.