Reisen im Sudan

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II. DIE ERSTEN TAGE IN ÄGYPTEN

Schon wenige Minuten nach unserer Ankunft umschwärmte eine Unzahl kleiner Barken das Dampfboot. Ihre Führer forderten die Reisenden in drei bis vier Sprachen auf, eine derselben zu besteigen und zu landen. Noch fehlte uns aber die Erlaubnis der Hafen- und Gesundheitspolizei hierzu. Die ersehnte Barke mit der gelben Quarantäneflagge erschien und legte dicht an unserem Schiff an. Statt der gehofften »Prática«* erteilte der befehligende Offizier der Quarantänemannschaft den strengsten Befehl, auf dem Schiff zu verweilen, weil er es in Quarantäne erklären müsse. Erst der folgende Tag löste das Rätsel. Ein anderes Dampfboot des österreichischen Lloyd hatte sich vor wenigen Tagen ein Versehen gegen die Verordnungen der Gesundheitspolizei zu Schulden kommen lassen, welches wir jetzt büßen mussten.

Grollend und missmutig ergaben wir uns in unser Schicksal; ich brauche nicht zu schildern, mit welcher Sehnsucht wir nach dem nahen Land hinüberblickten. Die Zeit schlich bleiern dahin, obgleich die Schiffsgesellschaft manches Mittel, sie zu kürzen, anwandte. Wir beschäftigten uns eine Zeitlang mit dem Herabschießen der zahlreich uns umschwärmenden Möwen. Die Hitze des Juli Ägyptens wurde uns fast unerträglich; die Gefahren des fremden Klimas nicht kennend, versuchte ich mir Erleichterung zu verschaffen und ging mit bloßem Kopf auf dem Verdeck herum. Schon nach wenigen Minuten fühlte ich mich bestraft; heftige, sich mehr und mehr steigernde Kopfschmerzen waren die Vorboten einer mir damals kaum dem Namen nach bekannten, gefürchteten Krankheit, des Sonnenstichs. Ägypten bot mir einen bösen Willkommensgruß.

Erst vierundzwanzig Stunden nach unserer Ankunft war es dem k. k. österreichischen Generalkonsul gelungen, uns Prática auszuwirken. Nachdem wir uns mühsam eine Barke verschafft hatten – nicht, weil deren zu wenig, sondern weil ihrer zu viele waren und die verschiedenen Barkajuoli sich erst um uns gebalgt hatten –, ruderten wir dem Land zu. Hier wurden wir von einer schreienden und schimpfenden, uns ihre Tiere anpreisenden und ihre Genossen verhöhnenden Rotte von Eseltreibern ebenso in Empfang genommen, mit oder ohne unseren Willen auf Esel gesetzt und der Stadt zugeführt.

Auch ich war die ersten Stunden in Alexandrien wie »von einem Wachträumen umfangen«1, aber doch war der erste Eindruck der Hafenstadt auf mich für sie kein günstiger. Es ist für den in Ägypten Neuangekommenen ein höchst ergötzliches und fesselndes Schauspiel, durch die wogenden, belebten Basare des arabischen Viertels zu reiten; es bedarf geraumer Zeit, um alle Eindrücke des fremden Bildes festzuhalten, um sich an das nur aus Erzählungen bekannte orientalische Treiben zu gewöhnen; aber die Frische der poetischen Anschauung der ersten arabischen Stadt erbleicht, wenn sich die altbekannten europäischen Gestalten dem Auge aufzwängen. In der »Muhski«, d.h. den nur von Europäern bewohnten Straßen Alexandriens, haben diese bereits das arabische Gepräge vollständig verdrängt. Ohne Alexandrien das Gute und Schöne einer europäischen Stadt zu erteilen, hat die halbreife fränkische Zivilisation oder, wenn ich so sagen darf, die Europäisierung der Stadt ihren orientalischen Charakter und damit ihren Reiz genommen. Und das empfindet der Fremde sogleich; Alexandrien wird ihm bald fade und langweilig.

Unsere trefflichen Eseltreiber brachten uns bald zu dem am großen Platz oder der »Esbekie« liegenden europäischen Gasthof. Meine Kopfschmerzen waren so heftig geworden, dass wir einen Arzt um Rat fragen mussten. Dieser, ein liebenswürdiger Landsmann von uns, ließ mich, nachdem er einen Aderlass und Arznei verordnet hatte, baldige Genesung hoffen. In der Tat wurde mir nach der Blutentziehung wohler.

Der Baron hatte, um seine Reise so bald als möglich fortsetzen zu können, mit einem Engländer und dessen Frau (oder, wie sich später herausstellte, Mätresse) noch am Tag unserer Ankunft eine der Segelbarken des Nils zur Reise nach Kairo gemietet. Man schilderte uns die »Dahabïe«* als ebenso bequem und wohnlich wie unser Gasthaus, weshalb ich mich, trotz meines Kopfschmerzes, zur Weiterreise bereit erklärte. Die nötigen Vorbereitungen und Einkäufe wurden gemacht, die Gesellschaft mietete sich einen Dragoman namens »Mahammed«, welcher zugleich Koch und Bedienter sein sollte, und bestellte die Esel zum Ritt an den Alexandrien mit dem Nil verbindenden Kanal.

Wir brachen am 31. Juli abends vom Gasthof auf, verließen Alexandrien durch das »Bahb et scherkhi« oder das östliche Tor und ritten bei einbrechender Nacht an der kolossalen Säule des Pompejus vorüber und dem Kanal Mahmuhdïe zu. Durch eine Akazienallee hindurchreitend kamen wir in ein elendes, nach dem Landhaus eines türkischen Großen »Moharrem-Bei« genanntes Dorf am rechten Ufer der Mahmuhdie, wo unsere Barke liegen sollte. Die Nacht war aber so rasch hereingebrochen, dass wir sie nicht mehr auffinden konnten und zuletzt beschlossen, die Gastfreundschaft der Landbewohner in Anspruch zu nehmen.

Mahammed führte uns in eins der größeren Häuser. Ein Diener empfing und geleitete uns in das Empfangszimmer des Hausherrn. Dieser nahm uns, nachdem er unseren Wunsch durch Mahammeds beredten Mund erfahren hatte, sehr freundlich auf, bewirtete uns mit würzigem Kaffee, übersüßen Weintrauben und köstlichem Tabak und ließ uns nach einigen Stunden gute und reinliche Lager aufschlagen. Wir verbrachten in dem kühlen Schlafzimmer sehr angenehm die Nacht, erhielten am folgenden Morgen dasselbe, was wir gestern genossen hatten, und verließen dankend den liebenswürdigen Wirt des gastlichen Hauses.

Das Schifflein wurde nun bald aufgefunden, mit unserem wenigen Gepäck beladen und sofort in Gang gebracht; ein günstiger Wind trieb uns rasch dem Nil entgegen. Um Mittag begegnete uns ein von raschen Pferden geschleiftes Boot des Vizekönigs; sonst sahen wir den ganzen Tag über weiter nichts als Himmel, Luft, Wasser, Schlamm, Schiffe und mehr oder weniger nackte Menschen; der Kanal bietet wenig Abwechslung. Gegen Abend erreichten wir »Fumm el mahmuhdï«, den Mund des Kanals, und die ihn mit dem Nil verbindenden Schleusentore von Adfeh. Wir gingen an Land, gingen zu Fuß durch das Hafendorf und standen am Nil.

Vor uns lag das jetzt zum tiefsten Stand herabgesunkene Silberband des heiligen Stromes, eingefasst von blühenden Ufern. An dem uns gegenüberliegenden Ufer liegt Fuah, ein kleines Städtchen. Es ist ein echt orientalisches Bild. Das dunkle Grün des Deltas, die fruchtbeschwerten Palmen mit den im Wind wogenden Kronen, die mächtigen, blätterreichen Sykomoren und der heilige Strom geben den Rahmen zu einer weißen, malerisch gruppierten Häusermasse mit sarazenischen Erkergittern, überragt von schlanken, mit mehreren Galerien umgürteten Minaretts. Wir standen und waren tief ergriffen von der unendlichen Schönheit des von der Abendsonne vergoldeten Panoramas. Unsere Blicke schweiften über die Wasserspiegel des Stromes dahin, seine Geschichte, die Geschichte von Jahrtausenden, sprach uns an und führte unsre Gedanken mit sich fort in das Vergangene, aber Luft und Sonne, Strom und Palmen brachten uns zu uns selbst und zu erneutem Genuss des Anschauens zurück. Man muss noch neu im Land sein, um all den Zauber einer solchen Landschaft zu verstehen; man darf noch nicht tagelang in Palmenhainen hingeritten sein, um die Schönheit des Königs der Bäume zu würdigen – denn auch das Herrlichste verliert durch die Gewohnheit an Reiz.

Obgleich unser Barkenführer und Schiffskapitän, arabisch »Reïs« genannt, die Reise mit orientalischem Phlegma fortzusetzen gedachte, wurde er doch, durch energische, keinem Zweifel Raum gebende Vorstellungen von unserem Wunsch, schnell zu reisen, in Kenntnis gesetzt, bald bewogen, noch heute Nacht weiterzugehen. Erst nach Mitternacht fuhr er bei erschlaffendem Wind Richtung Land, um in der Nähe eines kleinen Dorfes zu übernachten. Am anderen Morgen zeigte sich der Nil als belebte Straße handeltreibender Menschen und leichtbeschwingter Vögel. Wir begegneten vielen Schiffen und sahen mit Vergnügen das bunte Treiben der geflügelten Scharen seiner Bewohner. Mächtige Pelikane fischten ungestört durch die vorbeisegelnden Schiffe mitten im Strom; noch zutraulicher waren die niedlichen schneeweißen kleinen Kuhreiher (Ardeola bubulca); sie liefen zu Dutzenden in den Feldern herum und setzten sich auf die Rücken der Wasserbüffel, um ihnen die Insekten abzulesen.

Leider war ich nicht fähig, alles Neue, welches uns die Nilfahrt bot, mit Lust und Vergnügen anzuschauen. Meine Krankheit hatte während unserer Reise sehr an Heftigkeit zugenommen. Es ist mir unmöglich, eine Beschreibung derselben zu geben; ich weiß nur, dass ich fürchterliche Kopfschmerzen, scheinbar so recht im Innern des Gehirns, verspürte und wenn diese gar zu heftig wurden, durch lange anhaltendes Delirium und Besinnungslosigkeit in einen nur deshalb besseren Zustand versetzt wurde, weil ich dann meine Schmerzen nicht mehr fühlte. Nur meine kräftige Körperkonstitution ließ mich die Krankheit, an welcher viele Europäer und selbst Eingeborene sterben, überleben.

Die kurze Reise nach Kairo sollte nicht ohne Abenteuer endigen. Am 3. August (1847) war unser Steuermann so unvorsichtig, das mit vollen Segeln den Strom hinaufbrausende Schiff auf ein anderes laufen zu lassen, dem dadurch das Steuer zertrümmert wurde. Es war zum Unglück noch mit einer zahlreichen Menge von Weibern beladen, und diese erhoben nach dem Zusammenstoß ein so lautes, gellendes und durchdringendes Gebrüll, dass wir erschreckt aus unserer Kajüte heraustraten. Da sahen wir, dass sich von Bord des anderen Schiffes aus vier nackte Matrosen ins Wasser stürzten, auf unser Schiff zuschwammen und an demselben emporklimmten. Einer der ungebetenen Gäste bemächtigte sich des Steuers und dirigierte jetzt unser Schiff, die anderen gerieten mit unserer Schiffsmannschaft in heftigen Streit und erhoben dabei ein furchtbares Geschrei. Der ganze Hergang war uns vollkommen unverständlich, aber weil wir fürchteten, dass diese scheinbar in entsetzlicher Wut auf unserem Schiff herumtobenden Männer uns angreifen könnten, bewaffneten wir uns mit Säbel und Pistolen und stellten uns drohend vor den Eingang der Kajüte. Das ersah der Reïs als ein Mittel zur Befreiung der Eindringlinge und bat uns durch den Dolmetscher, ihm gegen »die Räuber und Mörder« beizustehen. Jetzt verwandelten wir unsere bisher passive Stellung sogleich in eine offensive. Der Baron stürzte sich auf den nackten Steuermann und hieb ihn mit seinem in Wien erst scharf geschliffenen Säbel dermaßen über den Kopf, dass er lautlos kopfüber in den Strom fiel und sich dort kaum über dem Wasser halten konnte. Ich ging mit bloßem Hirschfänger direkt auf die übrigen los und trieb sie durch scharfe Hiebe in die Flucht; unser Reisegefährte, der Engländer, griff erst zu den Waffen, nachdem er von seiner Mätresse, einer mutigen Französin, durch schallende Ohrfeigen dazu aufgefordert worden war. Meine drei Gegner warteten seine Ankunft auf dem Kampfplatz aber nicht ab, sondern stürzten sich sogleich nach dem Fall ihres verwundeten Gefährten in den Nil, um diesem zu Hilfe zu eilen. Alle vier erreichten auch glücklich das eine Ufer des Stromes und kehrten nach ihrer ebenfalls dort gelandeten Barke zurück.

 

Auf dieser erhob sich ein Heidenlärm. Ein ganzer Haufen von Männern bewaffnete sich mit Knütteln und verfolgte, längs des Ufers hinlaufend, unser Schiff mit Wutgeschrei und Rachedrohungen. Man hätte sie für nordamerikanische Wilde halten können. Sie waren ganz nackt, der glattgeschorene Kopf zeigte nur die Skalpierlocke am Scheitel, ihre Farbe war so dunkel, daß sie der der Rothäute wohl ziemlich ähnlich sein konnte. Wir luden unserer Gewehre mit Kugeln, holten die Büchsen herbei und bereiteten uns ernstlich zu einem etwaigen zweiten Angriff vor. Wirklich schienen sie diesen zu beabsichtigen. Nach einiger Zeit bemächtigten sie sich einer kleinen Barke und steuerten zu uns herüber. Allein die ernstliche, ihnen durch den Dolmetscher zugerufene Drohung, dass wir sie niederschießen würden, wenn sie noch näher kämen, hielt sie zurück; sie ließen von ihrer Verfolgung ab und kehrten auf ihr Schiff zurück.

Nur unsere gänzliche Unkenntnis des Landes und seiner Bewohner konnte unser Verfahren entschuldigen. Zwei Jahre später würde ich jene Matrosen mit der Peitsche und nicht mit dem Säbel verjagt haben. Die armen, von uns so sehr verkannten Burschen hatten keineswegs die Absicht gehabt, uns anzugreifen, sondern wollten sich von unserem Kapitän nur die Entschädigung für das ihnen zerbrochene Steuer zahlen lassen. Dass die Leute bei dieser Expedition aus vollem Halse schrien und anderweitigen Lärm zu verursachen bemüht waren, hätte einen mit ihren Sitten Vertrauten nicht beunruhigt, weil er gewusst haben würde, dass die Araber bei jeder Gelegenheit schreien und lärmen, aber es war uns ebensowenig zu verargen, dass wir nach den falschen Vorspiegelungen des Reïs auf der Hut waren. Die Schändlichkeit des Letzteren hätte leicht einige Menschenleben kosten und uns große Unannehmlichkeiten zuziehen können.

Bei diesem Handgemenge war der Hut des Barons vom Wind entführt worden, und auch er trug in wenigen Minuten einen Sonnenstich davon, welcher schon am nächsten Morgen Delirium herbeiführte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und legte zuletzt dem in der Fieberhitze Glühenden ohne Unterbrechung nasse Umschläge auf den Kopf, obgleich ich selbst so krank war, dass ich mich kaum aufrecht halten konnte. Erst in der Fremde und auf Reisen sieht man ein, wie notwendig ein Mensch den anderen braucht. Wir waren beide krank und genötigt, uns gegenseitig zu pflegen; der Baron musste sich selbst eine Ader öffnen.

In sehr gedrückter Stimmung sahen wir am 5. August die Zeugen längst vergangener Größe am Horizont aufsteigen. Über das flache Land ragten die Pyramiden empor »und jene ewigen Bauwunder zeichneten ihre kolossalen Dreiecke in den klaren Äther zum Zeichen, dass es in allem Wandel und Fluss der irdischen Dinge und Zeiten doch schon hinieden ein Festes und Unwandelbares geben darf und soll*.« Wir waren von diesem Schauspiel, von ungefähr denselben Gedanken tief ergriffen. Das dem Knaben durch sein Bilderbuch, dem Schüler durch seine Lehrer Altbekannte lag hier als früher nur geahntes Original vor uns. Mir war, als ob ich träumte. Hundert Mal habe ich die Pyramiden später gesehen, viele Male vor ihnen gestanden, niemals ihre Größe erfassen können, aber sie haben den hocherhebenden Eindruck, den sie in mir vom ersten Sichtbarwerden zurückließen, nie wieder auf mich gemacht. Und der wird in mir fest und unwandelbar bleiben wie jene hehren Denksteine eines großen altberühmten Volkes. Jener Autor hat wahr gesprochen, wenn er sagt, dass es auch schon hienieden etwas Festes und Unwandelbares geben darf.

Wir erreichten nach kurzer Fahrt den ungeteilten Nil. Südöstlich stiegen die schlanken Minaretts auf der Zitadelle der Maheruhseth* am Horizont auf. Reizende Landhäuser zu beiden Seiten des Flusses kündeten die Nähe der Hauptstadt. Um zehn Uhr vormittags landeten wir in Bulakh, dem belebten Hafen Kairos. Mahammed besorgte Esel, auf denen wir langsam, uns nur mit Mühe aufrecht haltend, durch die Straßen der Hafenstadt ritten. Dann gelangten wir in eine schattige Platanenallee, welche uns mit den vielen Kairo umgebenden Gärten den Anblick der herrlichen, im ganzen Orient gepriesenen »Massr el khahi-ra«** noch verschleierte. Wir waren sehr froh, nach halbstündigem Ritt einen der europäischen Gasthöfe Kairos erreicht zu haben.

Unsere Körperkräfte waren so erschöpft, dass wir uns sogleich nach unserer Ankunft zu Bett begeben mussten. Man rief einen italienischen Arzt, um uns zu behandeln, und bestellte einen arabischen Lohnbedienten zu unserer Pflege. Bis zum elften August lagen wir fest darnieder. Die Kopfschmerzen wurden oft so heftig, dass wir von einer Ohnmacht in die andere fielen. Ich erinnere mich nur weniger Tage, an denen wir bei vollem Bewusstsein waren und miteinander sprechen konnten.

Ein solcher war der siebente August. Wir lagen matt und kraftlos auf unseren Betten und klagten über die entsetzliche Schwüle der Luft. Plötzlich vernahmen wir ein donnerähnliches Rollen, Geschrei und Wehklagen auf der Straße, Gebrüll von Tieren und eiliges Laufen auf den Korridoren; unsere Bettgestelle schwankten, die Türen des Zimmers flogen auf und zu, klirrende Fensterscheiben, zerbrechende Gläser stürzten zum Fußboden herab, an einzelnen Stellen des Zimmers löste sich der Mörtel von den Wänden und fiel polternd im Zimmer nieder – wir wussten uns die Erschütterung nicht zu deuten. Ein neuer, stärkerer Stoß folgte dem ersten, wir hörten das Einstürzen von Mauern in unserer Nähe und fühlten, wie unser Haus in seinen Grundfesten schwankte. Da wurde uns das Phänomen entsetzlich klar: ein Erdbeben erschütterte die Hauptstadt. Und ohne Hilfe lagen wir, krank und elend, allein in unseren Betten, kaum fähig, uns zu bewegen, nicht im Stande, gleich den anderen Reisenden hinaus ins Freie zu flüchten; unsere Lage war eine grässliche. Die Naturerscheinung währte kaum eine Minute, uns wurde diese Zeit zu einer Ewigkeit. Ich erinnere mich noch heute sehr wohl der schauderhaften Vorstellung unseres geängstigten Geistes; das Einstürzen des Hauses fürchtend, betrachteten wir mit Todesangst die zersprungenen Mauern und ergaben uns mit verzweifelter Resignation in das bevorstehende Schicksal. Aber unser von Europäern erbautes Haus hielt die starke Erschütterung aus; nach wenigen Minuten verkündigte uns der herbeieilende Diener unsere Rettung. Das Erdbeben begrub in unserer Nähe siebzehn Menschen unter den Trümmern ihrer Wohnungen.

Am achtzehnten Tag meiner Krankheit konnte ich den ersten Ausgang machen. Noch war ich sehr entkräftet, weiß aber noch heute nicht, ob mehr durch die Krankheit selbst oder durch die Behandlung des Quacksalbers, welcher uns in der Kur hatte. Er hatte mir während der kurzen Zeit meines Krankseins durch drei Aderlässe und vierundsechzig Blutegel so viel Blut entzogen, dass ich meine Schwäche billig auf Rechnung einer so infernalischen Heilmethode schieben kann. Um mich gründlich zu kurieren, ließ er mir durch einen arabischen Barbier noch Senfpflaster auf die Waden legen. Dieser vergaß, sie zu rechter Zeit abzunehmen, und dachte erst nach zwölf Stunden an den seiner Pflege Übergebenen. Ich habe von da an ein für allemal an italienischer Unwissenheit, Gewissenlosigkeit und Quacksalberei genug gehabt.

Mit steigenden Kräften wuchsen uns auch Lebensmut und Lebenslust wieder. Wir ritten, um uns gleich mit einem Mal so recht ins dichteste Gewühl der »Unvergleichlichen« zu stürzen, durch die belebtesten, volkreichsten Straßen der Hauptstadt nach der Zitadelle. Ich war in einer anderen Welt; ich wusste nicht, ob ich »meiner alten fünf Sinne« noch mächtig war; ich war ein Trunkener, ein von Haschisch* Berauschter, der in seinem Träumen wirre, bunte, fremde Bilder sieht, ohne sich von ihnen einen klaren Begriff machen zu können. Luft, Himmel, Sonne, Wärme, Mensch und Tier, Minarett und Kuppel, Moschee und Haus – alles, alles war mir neu. Gerade diese Momente sind es, welche sich zu dem wunderbaren Ganzen vereinigen. Solch ein Gewimmel, solch Geschrei, solch ein Sich-durcheinander-Drängen war mir nicht einmal im Traum vorgekommen. Ein ewig sich neu verschlingender, unaufhörlich sich auflösender und wieder bildender Knäuel wogt durch die Straßen. Da sieht man Fußgänger und Reiter zu Esel und zu Ross oder hoch oben auf dem Rücken eines Kamels; halbnackte Fellahhihn und beturbante Kaufleute, zerlumpte Soldaten und von Goldstickerei überladene Offiziere, Europäer, Türken, Griechen, Beduinen, Perser und Neger, Handelsleute aus Indien, aus Dahr-Fuhr, Syrien und vom Kaukasus; dichtverschleierte, in schwarzen Seidentaft versteckte orientalische Damen und Fellachenweiber im einfachen blauen Hemd, mit lang herabwallendem Gesichtsschleier; Kamele mit ihren riesigen Lasten, Maultiere mit Waren beladen, Esel vor kreischende Karren gespannt, Droschken mit prächtigem Geschirr und kostbaren Pferden, davor einen in vollem Lauf dahinrennenden, mit mächtiger Peitsche knallenden Sklaven, reichgekleidete, vornehme Türken auf noch reicher gesattelten edlen Rossen, in Begleitung des unerlässlichen Stallknechtes mit dem roten Tuch – dem Zeichen seines Amtes – auf der Schulter; mit Wassergefäßen klingelnde Wasserträger, einen großen, langbehaarten Schlauch oder einen kaum weniger haltenden Tonkrug auf dem Rücken, blinde Bettler, herumwandernde Zuckerbäcker, Fruchthändler, Bäcker, Zuckerrohrverkäufer usw. Das ist ein Lärmen, in dem man sein eigenes Wort nicht hören, das ist ein Gedränge, durch welches man sich nicht hindurchwinden kann. »Oaa ja sihdi, tacherak, ridjlak, jemihnak, djembak, schmalak, rahsak, oaa e l djemmel, el barhele, el humahr, el hossahn, oaa wischak (wodjak), oaa, ja sahtir, tastuhr ja sihdi!«* tönt es ununterbrochen. Jeder Augenblick bringt Neues, jeder macht das vor wenigen Sekunden Gesehene veralten. Denkt man sich hierzu die kühlen, krummen, heimlichen, nach oben zu immer enger werdenden, oft geradezu überdachten und deshalb dunklen Gassen mit den von kunstvollem Schnitzwerk überkleideten Häusern, im Gegensatz zu den zum Himmel strebenden, von der Kraft der ägyptischen Sonne beleuchteten Minaretts und einer hier und da zwischen den Häusern emporwuchernden Palme, denkt man sich hierzu den Zauber des durch die Luken der Straßenbedachung herab schimmernden ewig blauen Himmels, den Genuss der reinen, köstlichen Luft – so hat man ein schwaches Bild einer der Hauptstraßen Kairos, aber nicht das eines Basars, denn dort herrscht wieder ein ganz anderes Leben.

Wir konnten uns nicht satt sehen an den wechselvollen Bildern; der Geist ermüdete von allem Schauen. Da hielten wir vor hochgewölbtem Portal, stiegen von unseren Reittieren und traten in die Moschee des Sultan Hassan. Der Friede Gottes umwehte uns; die Stille der Moschee kontrastierte so lebhaft mit dem übersprudelnden Leben der Straße, dass wir wohl fühlen mussten, wir waren in das Haus Gottes eingetreten. Man zog uns Schuhe an, wir schritten ins Innere.

Der Marmorboden ist mit Matten und Teppichen bedeckt, von den Kuppeln hängen unzählige Lampen an starken Messingketten herab. Jeder Vorsprung ist mit künstlichen Arabesken bedeckt, die kühnste Fantasie zeichnete die hochgewölbten Kuppeln, die weitgeschwungenen Bogen und die Säulen vor.

 

»Von allem, was einer christlichen Kirche zu gleichem Zweck zu Gebote steht, Gemälde, Heiligenbilder, glänzender Altarschmuck, Musik, Weihrauch, Blumen – hat die Moschee nichts! – sie muss den Stein geschmeidig machen – und sie tut es!«

Die Wände sind mit Schriftzeichen bedeckt, Koranstellen schmücken die einfache Kanzel. Keine Galerie, keine Empore hemmt den Schwung der Bogen und Pfeiler, kein Betstuhl verengt das Schiff des Gotteshauses. Der große Raum ist ein Raum, Kuppel, Pfeiler, Arabesken und Marmormosaik sind eins.

Auf den Strohmatten lagen die Gläubigen im Gebet. Andere lasen mit andächtigen Beugungen des Hauptes im Koran. Man zeigte uns das Grab des Erbauers und eine in die Wand eingemauerte, gegen drei Fuß im Durchmesser haltende Scheibe, ein Andenken an die goldenen Zeiten der Regierung des Erbauers, weil damals ein Brot von dieser Größe nur einen »Para« oder Heller kostete. Im Hof der Moschee sahen wir ein von Palmen umstandenes Bassin, an welchem die Gläubigen die ihnen vom Gesetz vorgeschriebenen Waschungen verrichten.