Reisen im Sudan

Tekst
Loe katkendit
Märgi loetuks
Kuidas lugeda raamatut pärast ostmist
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Straße in Kairo

Von hier aus ritten wir nach der Zitadelle. Der Weg zu ihr geht in einem großen Bogen ziemlich steil an dem Abhang des Mokhadam, auf dem sie liegt, hinan. Wir gelangten durch drei Tore in die inneren, von französischen Ingenieuren erbauten Festungswerke. Man zeigte uns den berühmten Josephsbrunnen und die Stelle, von welcher bei der allgemeinen Niedermetzelung der Mamelukken – am 1. März 18112 – einer der edelsten Führer jener Kriegerschar, hart bedrängt, mit seinem arabischen Ross mehr als sechzig Fuß tief über die Mauern hinabsetzte. Der Sprung richtete das Tier zu Grunde, rettete aber den Reiter; Mohammed-Ali begnadigte den »kühnen Springer« und schenkte ihm eine kleine Pension. Er lebte als letzter der Mamelukken noch lange in Kairo.

Von einer der Batterien genossen wir einen entzückenden Überblick Kairos und seiner Umgebung; wohl das schönste Panorama Ägyptens lag vor uns. Es liegt etwas Zaubervolles in der südlichen Beleuchtung; das Auge vermag den ganzen Reiz einer in ihr liegenden Landschaft gar nicht zu erfassen. Unter uns breitete sich das märchenhafte Kairo aus, die Stadt mit ihren mehr als drei Mal hunderttausend Einwohnern, mit tausend Kuppeln, Minaretts und Moscheen, mit Vorstädten, von denen jede an und für sich eine beträchtliche Stadt bildet, umgeben von einer in der Fülle des Pharaonenlandes schwelgenden, von einem Strom ersten Ranges durchzogenen Landschaft; in nächster Nähe sahen wir die Wächter des verderbenden Flugsandes der Wüste, eins der Wunder der Welt, die Pyramiden; den Horizont nahm die Wüste ein, jener einförmige, fahlgelbe, scheinbar unendliche, unermessliche Streifen, in dem sich das Auge verliert: das war das Bild, welches sich unseren trunkenen Blicken entrollte. Der Abend lag auf der paradiesischen Gegend, der Nil floss golden, so weit man ihn verfolgen konnte, durch die lachenden Fluren dahin, ein sanfter Westwind bewegte die Kronen der Palmen. Wir standen sprachlos, staunend vor dem erhabenen Anblick. Wie ferner Donner schallte das Getös der tief unten wogenden Menge zu uns hinauf; da – es ist die Zeit des Abendgebetes, denn die Sonne taucht in das ewige Sandmeer – ertönt hoch über uns vom schlanken Minarett der Moschee herab der sonore Gesang des »Muezzin«, des Verkündigers des Glaubens, er ruft sein »Hai aal el sallah!« zu der Menge hernieder; der fromme Mohammedaner eilt zum Gebet, und der Christ muss es fühlen, dass auch ihm die Mahnung des Sängers zum Herzen drängt: »Ja, rüste dich zum Gebet!«


Die Kalifengräber bei Kairo

Während unseres Aufenthaltes in Ägypten hatten wir erfahren, dass in Kürze eine Mission katholischer Geistlicher nach dem Innern Afrikas abgehen würde. Es war uns von Interesse, die kühnen Verkündiger des Evangeliums kennenzulernen. Ein Empfehlungsbrief vom Generalkonsul von Laurin verschaffte uns bei ihnen Zutritt. Die weitausgreifenden Pläne der Geistlichen erregten unsere Reiselust in so hohem Grade, dass der Baron die Bitte wagte, sich mit mir der Mission anschließen zu dürfen. Seine Bitte wurde ihm nicht nur gewährt, sondern die Herren waren sogar freundlich genug, uns einige Zimmer in einem großen Hause Bulahks, das sie bewohnten, anzubieten, wovon wir dankbar Gebrauch machten. Somit war uns die Möglichkeit gegeben, mit einer Gesellschaft gebildeter, landes- und sprachkundiger Landsleute in das Innere Afrikas dringen zu können. Khartum, die Tropenstadt der inner-afrikanischen, unter Ägyptens Zepter gepressten Länderstriche, erreichen zu können war damals unser höchster Wunsch.

Die Mission bestand aus fünf von der Propaganda in Rom gesandten Geistlichen und hatte den Zweck, die Heiden des Weißen Flusses zu bekehren. Ich will meiner Erzählung vorgreifen und unsere nachherigen Reisegefährten kurz zu schildern versuchen. Der Chef der Mission war der aus dem Aufstand der Drusen und Maroniten zur Zeit der Kriege Ibrahim-Paschhas mit der Pforte wohlbekannte Jesuit Ryllo3, ein Mann von seltenen Geistesgaben und wirklich furchtbarer Energie, aber Jesuit durch und durch. Zur Zeit unserer Bekanntschaft mit ihm litt er schon an einer sich mehr und mehr verschlimmernden Dysenterie. Die ihn behandelnden Ärzte rieten ihm, zur sicheren Genesung nur einige Wochen nach Europa zu gehen; aber der Befehl seiner Oberen lautete, sobald als möglich nach dem Inneren Afrikas aufzubrechen. Er gehorchte, verließ in der Voraussicht seines Todes Ägypten und eilte seinem Ziel zu. Nach einer Reise voller Mühseligkeiten und Beschwerden erreichte er Khartum und starb dort nach kurzem Aufenthalt. Das ist der Mut, welcher katholische und vorzugsweise jesuitische Geistliche so vorteilhaft vor manchen protestantischen Missionären auszeichnet; ich würde Ryllo bewundert haben, wäre er nicht Jesuit gewesen. Die Seele der Mission aber war der in Deutschland rühmlichst bekannte Pater Ignaz Knoblecher4 aus Laibach. Ich habe später Gelegenheit gefunden, diesen Mann bewundern zu lernen. Er war ebenso liebenswürdig als gelehrt; er war unermüdet in seinen Arbeiten, heiter im Umgang mit seinen Reisegefährten, bescheiden und streng sittlich. Im Besitz von seltenen und tiefen Sprachkenntnissen, war er gleichwohl auch in anderen Wissenschaften bewandert und hatte neben dem ihm von seinen Oberen gesteckten Ziel nur die wissenschaftliche Ausbeutung seiner großen Reisen, ohne Rücksicht auf jeden Gewinn, im Auge. Während seine Reisegefährten ihre Zeit mit nutzlosem oder herzlosem Gebetelesen verschwendeten, besorgte er nicht nur alle nötigen Tagesarbeiten, sondern führte noch nebenbei ein wirklich ausgezeichnetes wissenschaftliches und sehr mühsames Tagebuch. Seine Ausdauer glich seinen übrigen Eigenschaften; sie war großartig.

Padre Pedemonte5, von uns »Padre Muhsa« genannt, war der dritte Geistliche der Mission. Er stand, obgleich Jesuit, geistig weit hinter den Erwähnten zurück, liebte die Jagd leidenschaftlich und war von einer unseligen Bekehrungssucht befallen. Vor allem schien er es darauf abgesehen zu haben, mich zur allein seligmachenden Kirche zurückzuführen. Tagtäglich hielt er mir einen langen Sermon mit den sich regelmäßig wiederholenden Anfangs Worten: »O figlio mio, la strada della salute e apperto per voi, usw.«, nach denen er mir die Finsternis zu schildern versuchte, in denen sich meine von den Banden des Ketzertums umstrickte Seele befinden sollte. Trotz seiner missglückten Versuche sind wir gute Freunde geblieben.

Die übrigen Geistlichen waren der Padre Don Angelo Vinco6 und der Bischof Monsignore di Maurikaster. Ersterer war ein nicht gerade sehr befähigter Mann, in dem sich sonderbare Widersprüche vereinten. Don Angelo klammerte sich, aus Furcht vor dem Ertrinken, bei jedem Windstoß ängstlich an den Mast unserer Nilbarke, blies bei jeder ihm gefährlich scheinenden Fahrt seine Gummimatratze auf, um sie als Rettungsboot bei dem befürchteten Schiffbruch zu gebrauchen – und lebte später mehrere Jahre, unter dem vierten Grad der nördlichen Breite, unter halbwilden Negerhorden, ohne Furcht zu kennen. Ich erfuhr später, dass ihm der König der Nuehr7 seine Tochter verheiraten wollte und sich höchlichst erzürnte, als ihm Padre Vinco erklärte, dass er als katholischer Geistlicher nie gesonnen sein könne, einem so unsinnigen Gesuch zu willfahren. Unser Pater war Jesuit, aber sehr gutmütig, rechtlich und achtbar. Ganz das Gegenteil von ihm war der fünfte Geistliche, der Bischof. Dieser war nicht eigentliches Mitglied der Mission und begleitete sie nur bis Khartum, von wo er zurückkehrte. Der Bischof befolgte das christliche Gesetz: »Ein Bischof soll unsträflich sein« keineswegs. Er nahm es z. B. mit den Gesetzen der Keuschheit nicht sehr genau, lebte nur dem Vergnügen und begnügte sich, unter den Augen des strengen Padre Ryllo tagtäglich sein Brevier zu lesen.

Außerdem hatten sich der Mission noch drei weltliche Personen angeschlossen. Der eine, Baron S. S., früher in Batavia Aufseher einer Pflanzung, wollte im Sudan die Kultur des Kaffees und Reises zum Vorteil der Mission versuchen, musste aber von dort aus, seiner Trunksucht wegen, nach Ägypten zurückgeschifft werden; die anderen beiden, ein junger Malteser und ein unausstehlicher Levantiner, dienten den Geistlichen als Einkäufer, Diener und Dolmetscher.

Uns mit eingerechnet bestand also die Gesellschaft aus acht Europäern und zwei Orientalen, zu denen später noch nubische Bediente hinzukamen. Die Abreise war für Ende September festgestellt. Es blieb uns demnach noch Zeit genug, die Umgegend zu durchstreifen, unsere Ausrüstungen für die große Tour zu treffen und unsere Pläne auszuarbeiten. Die meiste Zeit nahmen die nötigen Einkäufe in Anspruch. Eine Reise ins Innere Afrikas ist in jeder Hinsicht von anderen Reisen verschieden. Man geht Ländern entgegen, in denen man weder Handwerker und Künstler, noch Kaufleute und Gastwirte findet, und muss darnach seine Einrichtungen treffen. Mit allem und jedem zu einer Haushaltung Nötigen muss man sich versehen, vom Tisch bis zur Nähnadel herab; alle Bedürfnisse müssen bedacht werden, will man später nicht empfindlichen Mangel leiden. Der Reisende muss Kleider, Papier und Schreibmaterialien, Esswaren, Essig, Öl, Branntwein, Spiritus und Wein für mehr als Jahresfrist, Arzneien, Lanzetten und Schröpfköpfe, Äxte, Beile, Sägen, Hammer, Nägel, Gewehre und Munition, Reisebeschreibungen, Karten usw. usw. usw. mit sich führen und hundert Dinge besitzen, welche man erst vermisst, wenn man sie entbehrt. Findet man ja noch etwas Brauchbares auf einem der Basare Oberägyptens oder des Sudan, dann sind die Preise enorm. Alle Gegenstände müssen vor der Reise sorgfältig in besonders dazu eingerichtete Kisten gepackt und in strengster Ordnung gehalten werden. Vorzüglich schwer ist es, alles so unterzubringen, dass es wohlversorgt und gleichwohl leicht auszupacken ist, wenn es schnell gebraucht werden sollte.

 

Bei diesen langweiligen Arbeiten gingen uns die geistlichen Herren mit Rat und Tat hilfreich zur Hand. Ich will die Vorteile, welche wir genossen, indem wir uns der Mission anschlossen, nicht verkennen, habe aber später einsehen gelernt, dass der Naturforscher allein oder von seinen Gefährten unabhängig reisen muss, will er der Wissenschaft dienen, wie er soll. Eine einmal verlorene Gelegenheit, schöne und wertvolle Beute zu erlangen, kommt selten wieder. Wir waren neu im Land und hatten unter der Ägide der Mission Zeit und Gelegenheit, so viel von den Sitten und Gebräuchen der Völkerschaften, unter denen wir lebten, kennenzulernen, als uns zum späteren selbständigen Reisen notwendig war, wir lernten die jedem Neuling im Reisen entgegentretenden Schwierigkeiten jeder Art durch das Beispiel der Mission bekämpfen – aber wir wurden ihrem Willen untertan und unselbstständig. Und das hat uns später viel geschadet.

Am 24. September mieteten die geistlichen Herren eine Nilbarke zur Reise nach Assuan, der Grenzstadt Ägyptens gegen Nubien, zum Preis von zweitausendfünfhundert Piastern. Sie wurde instand gesetzt und mit dem Gepäck beladen. Die Abreise stand bevor. Noch wenige Tage vorher erreichte uns ein unheilkündendes Gerücht. Ryllo hatte bei dem Aufstand der Drusen und Maroniten dem mächtigen Ibrahihm8 durch seine das Volk begeisternden Reden mehr geschadet als alle Häuptlinge der Bergvölker zusammengenommen. Der Pascha hatte sogar einen hohen Preis auf den Kopf des gefürchteten Parteigängers gesetzt, und dieser, kühn genug, wagte es, nach Ägypten zu kommen. Jetzt hieß es, Ibrahihm habe nicht vergessen, was er dem Jesuiten in Syrien zugeschworen; ein Beduinenscheich habe Auftrag, unsere Karawane aufzuheben und dafür die Effekten als gute Beute zu behalten. Padre Ryllo solle Ägypten lebend nicht wieder erreichen. Er kehrte in der Tat dahin nicht zurück.

* D.i.: behördliche Erlaubnis entsprechend üblicher Praxis.

* Zu Deutsch: »die Goldene«, Name dieser Barken.

* Goltz, Ein Kleinstädter in Ägypten.

* Maheruhseth oder Maheruhsa ist ein Beiname Kairos und bedeutet »die von Allah Beschützte«, von »harrasa«, ›schützen‹.

** Massr bedeutet Hauptstadt, wird aber fast ausschließlich nur für Kairo gebraucht; khahira bedeutet »die Zwingende« und bezüglich »Unbezwungene«; von diesem Wort ist Kairo (sprich Kai-ro und nicht Ka-i-ro) abgeleitet.

* Ein narkotisches Extrakt aus Hanfsamen, mit einer dem Opium fast gleichen Wirkung.

* Zu Deutsch: »Sieh dich vor, Herr! Dein Rücken, dein Fuß, deine rechte Seite, neben dir, deine linke Seite, dein Kopf [ist gefährdet], sieh dich vor, ein Kamel, ein Maultier, ein Esel, ein Pferd, nimm dein Gesicht in Acht, sieh dich vor; o du Bewahrer [Gott] (hilf!), behüte dich, Herr!«

III. REISE AUF DEM NIL

VON KAIRO BIS ZUR EINBRUCHSTATION DER WÜSTENSTEPPE BAHIUDA

Am Nachmittag des 28. September bestiegen wir mit den geistlichen Herren und ihrer Begleitung eine große, bequeme Nilbarke, welche, bereits mit unserem Gepäck beladen, im Hafen Bulakhs lag. Zur Zeit der Abreise aller Araber, zum Aassr, oder zwei Stunden vor Sonnenniedergang flog sie vor einem frischen Nordwind dem Strom entgegen.

Mit krachenden Salven nehmen wir von Kairo Abschied. Unsere Gefühle sind wehmütig gestimmt; es ist uns, als ob wir, von aller Zivilisation uns losreißend, jetzt vom Vaterland für immer getrennt würden. Aber die Begierde, fremde Länder zu sehen, ist noch mächtiger; wir bemerken mit Vergnügen, wie eins der Häuser Bulakhs nach dem andern verschwindet. Balsamischer Duft weht von der Insel Roda zu uns herüber, die noch vor Kurzem in der Sonne glühenden Minaretts der Zitadelle hüllen sich in das Dunkel der Nacht, wir passieren Alt-Kairo, die Stadt der Kalifen entschwindet dem Auge. Mit der Nacht erschlafft der Wind, nur leise strömt er noch in die geöffneten Segel, leise plätschern die Wellen am Bug des Schiffes, melodisch hallt des heiligen Stromes Sprache in unserem Innern wider.

Man kann sich wirklich keine angenehmere Reise denken als die in einer Nilbarke, wenn man in Gesellschaft und mit allem Nötigen wohlversehen ist. Bei längeren Nilreisen mietet man das Schiff mit seiner Mannschaft auf unbestimmte Frist; für eine monatlich zu zahlende Summe schwimmt man ganz nach Gutdünken und Belieben auf dem Weltstrom herum, ist vollkommen sein eigener Herr, kann seine Reise ausdehnen oder abkürzen, wie man will, und findet in allen Städten Ägyptens das Unentbehrlichste zur Nahrung und Notdurft des Leibes. Monatlich für tausend Piaster oder sechsundsechzig Taler unseres Geldes kann man schon eine recht hübsche Dahabïe mitsamt ihrer Bemannung mieten; doch gibt es auch sehr kostbar ausgestattete, allen Bequemlichkeiten entsprechende Barken für luxuriösere Reisende. Jedenfalls ist die Dahabïe den Dampfschiffen vorzuziehen, welche jetzt, mit Reisenden beladen, in wenig Tagen das Pharaonenland durcheilen, kaum Zeit lassend, seine Wunderwerke zu besichtigen*. Bei schnell zurückgelegten Reisen vermischen sich die empfangenen Eindrücke; an eine auf der Dahabïe zurückgelegte Nilreise wird gewiss jeder mit Vergnügen zurückdenken und von ihr eine dauernde Erinnerung mitnehmen.

Die Einrichtung der Segelbarken des Nils ist immer dieselbe. Mehr als die Hälfte ihrer ganzen Länge hat man für die Kajüte in Anspruch genommen, der übrig bleibende, über den Fußboden der Kajüten um einige Fuß erhöhte Teil beherbergt die Matrosen und das Reisegepäck. Bis zum Mittelmast ist das Deck noch zur Benutzung der Reisenden bestimmt; es wird bis dahin mit einem Sonnendach überdeckt, unter welchem man sich aufhält, um die frische Luft und die Aussicht zu genießen. Am Vordermast steht die Küche: ein durch einen Bretterkasten vor dem Wind geschützter Kochherd oder eine Kochmaschine; zwischen Vorder- und Mittelmast befinden sich die Ruderbänke. Am Bug des Schiffes ist der Sitz des das Fahrwasser prüfenden Reïs, auf dem Dach der Kajüte steht der durch den Reïs befehligte »Mustahmel« oder Steuermann, zwischen Vorder- und Mittelmast sitzen die die Segel wartenden Matrosen. Die Masten sind verhältnismäßig kurz, haben aber ungemein lange Rahen, an denen dreieckige (so genannte lateinische) Segel befestigt sind. Diese müssen nach der Richtung des Windes und der Fahrt oft gewendet werden, wobei auch die Segelstange jedesmal auf die andere Seite des Mastes gedreht wird. Bei niederem Nilstand und starkem Wind hält ein Matrose das Seil, mit welchem das Segel angespannt wird, um dieses sogleich freilassen zu können, wenn das Schiff, wie sehr häufig geschieht, auf den Grund gefahren ist. Dann entkleiden sich alle Matrosen mit großer Geschwindigkeit, springen ins Wasser und schieben die Barke mit manchem Seufzer und unnachahmlichem, taktmäßigem Gestöhn wieder in besseres Fahrwasser. Gewöhnlich hat die Dahabïe zwei große und ein kleines Segel (»Trikehta« genannt), welches auf einem durch verlängerte Planken am Stern des Schiffes gebildeten Anhängsel steht; zuweilen sieht man auch nur ein großes Vordersegel, »Khumasch«, und die Trikehta. Kleine, sehr lange, stark bemannte Barken mit großen Segeln und einer kleinen Kajüte heißen »Sandal«; sie sind Schnellsegler. Die Kajüte der Dahabïen ist in drei bis vier Zimmerchen eingeteilt, von denen eins das Empfangs-, das zweite das Wohnzimmer, das dritte ein Reinigungskabinett und das vierte endlich das Schlafzimmer oder den »Harem« darstellt. In dem letzten Raum beherbergen die Orientalen ihre weibliche Reisegesellschaft. Auf den großen Gesellschaftsdahabïen enthalten die Kajüten wohl auch Tische, Stühle, Schränke, Truhen und dergleichen häusliche Gerätschaften und werden dann nur umso wohnlicher.

Nächst den unserem europäischen Geschmack zusagenden Proviantvorräten, welche man bei Nilreisen von Kairo mitnimmt, darf man die Wasserkühlgefäße nicht vergessen. Seit undenklichen Zeiten versteht man in Ägypten Tonkrüge zu fertigen, welche durch ihre sehr feinen Poren immer eine geringe Menge der in ihnen enthaltenen Flüssigkeit durchschwitzen lassen. Diese überzieht dann den Krug von außen mit einer sehr feinen, beständig verdunstenden und dadurch das Gefäß und seinen Inhalt kühlenden Schicht. Von diesen Gefäßen unterscheidet man zunächst zwei Sorten: den »Sihr« und die »Khula.« Ersterer dient dazu, eine große Menge des frischgeschöpften Nilwassers zu läutern und zu kühlen, die letztere, um das schon gereinigte Wasser möglichst abzufrischen.

Der Sihr ist ein großer, ungefähr zwei Eimer haltender, zuckerhutähnlicher Topf, welcher mit seiner nach unten gerichteten Spitze aufgestellt und dann mit Wasser gefüllt wird. Seine Masse hat gröbere Poren, welche, zwar immer noch fein genug, um das durch sie ausfließende Wasser zu läutern, doch einer größeren Menge den Durchgang gewähren. Das durchgesickerte Wasser wird in einer glasierten Schüssel aufgefangen und nun erst in die kleinen, zierlichen und sehr verschieden gestalteten Khulal* gebracht, in denen man das Trinkwasser bis zu einer Frische von + 8° Reaumur, abkühlen kann. Beide Gefäßarten sind so billig, dass sie sich selbst der ärmste Fellach anzuschaffen vermag.

Aus diesen Anstalten zum Reinigen und Kühlen des Nilwassers geht schon hervor, dass es so ohne Weiteres keineswegs das beste Wasser der Welt genannt werden kann, wie viele Reisende es getan haben. Ich selbst werde im Verlauf dieser Blätter vielleicht auch mit Entzücken von demselben sprechen und fühle mich deshalb um so mehr zu dem offenen Bekenntnis, dass die Ansichten über die Güte des Nilwassers nur relativ sind, verpflichtet. Wenn der Strom seine größte Höhe erreicht hat, führt sein Wasser so viele erdige Teile mit sich, dass es davon hellbraun gefärbt wird; bei langem, ruhigem Stehen oder inniger Vermischung mit schnell klärendem Alaun, bitteren Mandeln, Buffbohnen und dergleichen sinken diese eben die Fruchtbarkeit Ägyptens bedingenden Schlammteile zu Boden und bilden eine das Zwölftel des Inhalts eines Gefäßes betragende, dichte Schicht. Ungeklärt genossen, hat es stets Durchfall und einen Ausschlag, welchen die Araber geradezu Nilausschlag nennen, zur Folge. Es ist also nicht wohl denkbar, dass ein so beschaffenes Wasser das beste Trinkwasser sein kann.

Aber die das köstliche Nilwasser preisenden Reisenden haben ganz Recht, wenn sie sagen: Es gibt in Ägypten kein besseres Wasser als das des Nils. Ich bin fest überzeugt, dass das Wasser unserer Elbe ebenso gut ist als das des Nils; allein zwischen beiden Gewässern findet der Unterschied statt, dass wir in Deutschland silberreines Quellwasser und in Ägypten nur stinkendes, ekelerregendes Lachen- oder Zisternenwasser zur Vergleichung haben. Und dabei ist ägyptischer Durst ein anderer als deutscher, wenigstens deutscher Wasserdurst. Durst ist der beste Mundschenk; man ist in heißen Ländern froh, wenn man den oft zur Qual werdenden Durst löschen kann; geistige Getränke können das Wasser nie entbehrlich machen: ihr Genussvermehrt nur die Begierde darnach. Und deshalb ist das Nilwasser das beste Wasser der Welt.

Unsere Reise durch Oberägypten gewann mit jedem Tag an Interesse. Weite, fruchtbare, jetzt im Frühlingsgrün stehende Saatfelder, fruchtbeschwerte, in großen Wäldern vereinigte Dattelpalmen, Dörfer und Städte, öde liegende, vom Riedgras in Besitz genommene Strecken guten Ackerlandes, den beiden Wüsten des Landes angehörende Sandebenen, kahle Gebirge, mit jäh abstürzenden Felspartien oder geröllbedeckten Bergeshängen, Trümmer von altägyptischen Tempeln und Ruinen verfallener Wohnsitze wechseln hier in bunter Reihe miteinander ab. Der Vergnügungsreisende hat Zeit genug, alles Merkwürdige zu besichtigen; wir, von der Mission abhängend, konnten nur die Morgenstunden den Besuchen des festen Landes, mit denen wir zugleich die Jagd verbanden, widmen.

 

Der Wind war uns während der ganzen Reise konstant günstig. Schon seit mehr als einem Monat wehten die regelmäßigen Nordwinde. Jene unter dem Namen »Passatwinde« bekannten Luftströmungen herrschen auch in Ägypten. Die für die Schiffahrt auf dem Nil äußerst nützlichen Nordwinde beginnen hier gewöhnlich erst in der Mitte des Oktobers und währen bis Ende März oder Anfang April; in diesem Jahr waren sie aber schon früher eingetreten. Andere Luftströmungen halten selten über einen Tag lang an. Am Morgen erhebt sich der Wind gegen neun Uhr und weht nun unausgesetzt bis gegen Sonnenuntergang; dann tritt Windstille ein. Oft kehrt aber schon nach wenigen Stunden der Wind zurück und bläst bis zur Kühle des heraufdämmernden Morgens mit wechselnder Stärke. Zuweilen wird der Nordwind so heftig, dass die zu Tal gehenden Schiffe, trotzdem dass man sie entmastet hat und mit Rudern fortbewegt, nicht von der Stelle kommen. In den Monaten April, Mai, Juni und Juli wechseln die Winde nach allen Richtungen der Windrose miteinander ab; häufig tritt dann auch der die Bäume entblätternde Chamsin auf, welchen die Araber für sehr ungesund halten. Dann stockt die Schiffahrt. Reiner West- oder Ostwind dagegen hindert sie nicht; die Schiffe können, bei der südlich-nördlichen Richtung des Nils, mit ihren lateinischen Segeln dann bequem zu Berg und zu Tal fahren.

Am zweiten Oktober legten wir im Hafen Minnies, einem kleinen Städtchen in Oberägypten, an. Ein türkischer, sehr reich gekleideter Offizier kam zu uns an Bord und gab sich als ein schon mehrere Jahre in ägyptischen Diensten stehender Franzose zu erkennen. Wir erfuhren bald, dass er mit seiner türkischen Tracht auch türkische Gebräuche angenommen hatte; kurz nach seinem Weggang brachte uns ein Diener von ihm einen fetten Hammel und einen großen Korb voll Brot, als Beweis der »Akrahme«* seines Herrn.


Ruinen des Tempels Setis I. bei Dulgo

Um Mittag segeln wir weiter. Wir fahren an unzähligen, hoch oben in die Felsen des rechten Ufers eingehauenen Katakomben vorüber, haben aber keine Zeit, sie zu besichtigen, weil man den vortrefflichen Segelwind benutzen will.

In den Dörfern, welche wir bisher besuchten, fanden wir fast nur Greise, Frauen und Kinder: die Männer und Jünglinge braucht oder beansprucht der Vizekönig für sein Heer, seine Bauten, seine Fabriken, Schiffe etc. oder für seine Handelsunternehmungen. Die Konskriptionen des Paschas sollen am Nachteiligsten auf die Vermehrung der Bevölkerung einwirken; wenigstens ist die Furcht vor ihnen so groß, dass achtzig Prozent der arabischen Mütter ihren Säuglingen den Zeigefinger der rechten Hand zu verstümmeln pflegen, um sie zum Militärdienst untauglich zu machen. Zwar hat der strenge Befehl der Regierung, gerade die so geschändeten Jünglinge zu Soldaten zu nehmen, diese grauenhafte Sitte beeinträchtigt, aber ihr noch keineswegs Einhalt getan. Es ist nicht zu verkennen, dass sich die Einwohnerzahl Ägyptens zusehends verringert. Die Regierungsweise des Paschas hat der Quelle des Wohlstandes Ägyptens, dem Ackerbau, Tausende von arbeitsamen Händen entzogen.

Am 12. Oktober legten wir in der Nähe der Ruinen des hunderttorigen Theben, bei dem Dorf Luksor, an. Elende Fellachenhütten stehen in und auf einem Tempelportal; das Dorf selbst verbirgt dem Auge viele Denkmäler. Es ist nicht meine Absicht, die in mehr als hundert Werken bereits gegebene Beschreibung der Ruinen von Luksor und Karnak, Kurnu und Medinet Habu hier zu wiederholen; ich werfe nur flüchtige Blicke auf sie und teile das mit, was ich bei Besichtigung derselben empfand.

Alle ägyptischen Monumente sind großartig, aber steif und tot; die griechischen Tempel und anderen Denkmäler der Baukunst und Bildhauerei erwärmen und begeistern mit ihren lebensvollen Formen das Herz des Beschauers; wer dies gesehen, den lassen jene kalt. Nach meiner individuellen Ansicht gibt es nur drei wirklich erhabene Denkmäler altägyptischer Baukunst: die Pyramiden, die Königsgräber und die Felsentempel von Abu-Simbel. An allen übrigen Monumenten Ägyptens sind die zum Bau verwendeten riesigen Werkstücke, die mit unübertroffener Schärfe und Genauigkeit, aber ohne allen Begriff von Perspektive eingemeißelten Hieroglyphenreihen vom höchsten Interesse, die großartigen Anlagen der Werke sind Staunen erregend; aber nur das Kolossale, nicht die Formen sind bewundernswert.

So ist es mit den Königsgräbern. Sie liegen wie die meisten Tempel der alten Ägypter am linken Nilufer, in der Wüste.

Man zieht auf einer breiten Straße, welche noch deutlich die Spuren einer künstlich angelegten zeigt, in die Berge hinein. Immer öder und trauriger, tot und still wird der Weg, man reitet sichtbar in das Reich der Toten. In weitem Bogen umzieht die Straße die hier sich hoch erhebenden Gebirge; erst nachdem man eine starke Meile zurückgelegt hat, gelangt man zum Eingang des jetzt mit No. 1 bezeichneten Königsgrabes. Die übrigen, wohl einige und zwanzig an der Zahl, liegen in der Nähe in einem von hohen, steilen Bergeshängen gleichwie von Wänden umschlossenen Tal.

Ein tiefer Sinn liegt in der Wahl dieses Friedhofes. Hier lebt kein Wesen, hier sieht man kein Geschöpf, keinen Vogel, bis hierher verirrt sich kein Tier. In diesen Gründen waltet heilige Ruhe und soll hier walten; denn hier ruhen die Könige des merkwürdigsten Volkes der Erde. Die Weisheit seiner Priester bettete die aus dem wogenden Gewühl eines rauschenden Lebens Abgeschiedenen an einen erhabenen Ort heiliger, ewiger Stille. Berge bedeckten die Räume, in denen die Sarkophage mächtiger Herrscher standen, Steingeröll verbarg die Grabespforten, und dennoch wagte es die frevelnde Hand späterer Geschlechter, jene vermauerten Eingänge zu eröffnen, die Särge aufzubrechen, den heiligen Friedhof zu entweihen.

Die Anlage der Gräber ist mit wenigen Modifikationen immer dieselbe. Mehrere Säle liegen hintereinander, in dem letzten von ihnen steht der Sarkophag. Da, wo der Felsen, in dem man das Grab eingehauen hat, glatt war, wurden die Hieroglyphenbilder in den Kalkstein, da, wo er zersplittert war, in einen Mörtelüberzug eingeschnitten. Die Bilder sind die Lebensbeschreibung des in dem Grabe Ruhenden: man sieht den König in seinen Schlachten, auf seinem Thron, in seinem Gebet, in seinen häuslichen Verhältnissen, in seinen Vergnügungen dargestellt. Einzelne Wände zeigen durch die Ägypter unterjochte Völkerschaften in der Sklaverei; man kann den krausköpfigen Äthiopier ohne Mühe von dem feingegliederten Inder, den Juden von dem Perser unterscheiden. Auf den getünchten Wänden prangen die Bilder vergangener Jahrtausende noch heute in unvergänglicher Farbenfrische, als ob der Künstler gestern zum letzten Mal seine Hand ans Werk gelegt hätte. Einige Figuren sind mit Rötel vorgezeichnet, aber noch nicht in den Kalkmörtel eingegraben – der König starb und sollte in seinem Mausoleum beigesetzt werden -: da verstummte der Hammerschlag des Bildhauers in den hohen Räumen, die Schar der Arbeiter zog dem Licht zu und der Chor der Priester brachte die Mumie zur Ruhe in der dunklen Gruft.

Erhaben ist die Wahl des stillen Tales, erhabener noch die Anlage dieser Gräber. Sie weiter zu beschreiben vermag ich nicht; hierzu gehören mehr Monate als ich sie zu besichtigen Stunden übrig hatte. Champollion1 hat diese Arbeit ausgeführt; Lepsius2 soll, wie viele Inschriften in allen europäischen Sprachen beweisen wollen, mehr vernichtet als wissenschaftlich geforscht haben. Auch viele Säulen der Tempel Karnaks und Luksors weisen Stellen auf, an denen die Hieroglyphenbilder ausgemeißelt wurden. Ein Fellach, welcher des letzteren Altertumsforschers Diener gewesen zu sein vorgab, erzählte, dass dieser erst Ausgrabungen gemacht und gezeichnet, dann aber das Abgezeichnete vernichtet und, um eine neue Schande alt erscheinen zu lassen, mit Kot beworfen habe. Es gehört wirklich die ganze Leichtgläubigkeit gewöhnlicher Touristen dazu, ähnlichen ungereimten Erzählungen Glauben zu schenken. Dass unser ausgezeichneter Landsmann zu seinen Arbeiten Meißel und Hammer brauchte, ist erklärlich; spätere Reisende wünschten von unwissenden Fellachen von der Wissenschaft bisher noch nicht aufgedeckte Namen der Verwüster jener Monumente zu wissen und Lepsius wurde genannt. Obgleich nun diese und andere Verleumdungen den gelehrten Mann gar nicht treffen können, ist es für den Deutschen doch unangenehm, gerade einen Namen hören zu müssen, den man als den eines Heros der Wissenschaft zu verehren gewohnt ist.