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Die Bräutigame der Babette Bomberling

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Märgi loetuks
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Nur ein Hauch frischer Winterluft blieb zurück. Der Herr Regierungsrat strich sich, unangenehm berührt, über den kugelglatten Kopf.

Babette hatte sich nur überzeugen wollen, daß der gewohnte Besuch an seinem Platze war. Nur heute nicht allein mit den Eltern zu Tisch sitzen. Und sie bat den Regierungsrat herzlich, doch heute einmal zum Abendbrot zu bleiben.

Denn mitten im Gewühl der Straße, als man die neuen Abendblätter ausschrie, alle Lichter aufflammten, und es statt dunkler nur um so heller wurde, hatten sich Leutnant Wegner und sie, in dem kurzen Augenblick, wo sich Hilde eine Briefmarke kaufte, ewige Treue geschworen. Nun war sie Braut . . .

Erschreckt sah Babette auf. Man saß um den Tisch, aß Lachs mit brauner Butter und achtete auf die Gräten. Es war Babette gewesen, wie wenn jemand laut Braut geschrien hätte.

Aber der Herr Regierungsrat bemerkte nur, daß Fisch ein gutes und leicht bekömmliches Essen sei. Frau Anna aber berichtete, daß heute eine der russischen Tassen ihren Henkel verloren habe. Wenn dies Malheur auch keinen Unbemittelten betraf, ein Schade bliebe es.

Bomberling aß schweigend. Er sah abgespannt aus. In dieser Jahreszeit häuften sich die Bestellungen fast ins Unausführbare. Er sagte nur einmal aus seinen Gedanken heraus, daß es wieder viel Influenza zu geben scheine.

»Daran muß man nicht denken,« antwortete der Regierungsrat, peinlich betroffen.

Hermann war nicht da. Er war bei einem Freund, der ihm beim Studium half. Dieser Freund hieß Liane Violetta und war der Stern eines Varietees, wo er und der Regierungsrat Stammgäste waren.

Auch Frau Anna war heute müde. Bei diesem Wetter quälte die Gicht sie, und das neue Kleid war besonders eng. Sie nahm sich zusammen und lächelte. Ihr schönes Mädchen sollte glücklich werden und vornehm. –

Babette spielte weiche Frühlingslieder. Der Herr Regierungsrat folgte ihr ins Musikzimmer.

Da unterbrach Babette ihr Spiel und sagte, daß ihre rechte Hand schmerze.

Der Herr Regierungsrat wollte das kranke Händchen sehen. Er umfaßte es, und plötzlich hatte er seinen Zeigefinger weit in den weichen Seidenärmel gesteckt.

Babette schrie auf und riß sich los. Frau Anna kam herein und fragte, was geschehen sei.

Babette rieb sich die Hand unter dem Ärmel und sagte, ein ekliges Tier habe sie gestochen.

Frau Anna errötete. Sie erinnerte Babette daran, daß es in einem so reinlichen Haushalt wie dem ihrer Eltern keine ekligen Tiere gäbe.

Babette aber rieb weiter ihren Arm und ging, ohne ein Wort zu sagen, hinaus.

Der Herr Regierungsrat lächelte und sagte, die gnädige Frau brauche sich nicht zu genieren, so etwas könne schließlich in den besten Familien vorkommen.

Aber bald darauf verabschiedete er sich.

Am andern Morgen ging ein eisiger Zug durch Bomberlings Wohnung.

Alle Fenster waren geöffnet, der Staubsauger fauchte, die Klopfer klopften. Besonders der verdächtige Orientale auf dem Boden der Diele bekam sein Teil. Ungeziefer duldete Frau Anna nicht. Die Kälte, die von draußen hereindrang, war peinigend und schmerzhaft. Aber wo man seine Pflicht sieht, muß man sie tun.

Der gestrige Vorfall sollte sich nicht wiederholen. Frau Anna wollte dem Herrn Regierungsrat sagen dürfen, daß er ohne Unruhe seinen Tee bei ihr trinken konnte. In Bomberlings Wohnung gab es nichts Kribbelkrabbliges. Sie wollte ihn darauf aufmerksam machen, daß ein Mensch nirgends so geborgen sei wie im eigenen Heim.

Aber die wenigsten Pläne lassen sich verwirklichen. Die meisten sind nur da, um uns in Atem zu halten.

Der Herr Regierungsrat kam gar nicht am Nachmittag, auch am nächsten Tage blieb er Bomberlings Häuslichkeit fern. Frau Anna wartete den ganzen Tag vergeblich auf sein Klingeln, sie wagte es nicht, es sich eine Minute bequem zu machen.

Am dritten Morgen lag auf dem Frühstückstisch ein Brief, der einen beschönigenden Hauch von Heliotrop über die Leberwurst wehte.

Als Frau Anna ihn geöffnet hatte, schien es ihr, wie wenn nichts als ausgerissene Käferbeine das Büttenpapier bedeckten. Eilig griff sie zur Brille. Da erinnerte sie sich noch rechtzeitig, von wem dieser Brief sein könnte, und erschreckt warf sie die Brille beiseite und erfaßte das mit Edelsteinen besetzte Lorgnon.

Wie leicht kann der Mensch eine Ungeschicklichkeit begehen. Der Brief war wirklich von dem Herrn Regierungsrat. Die großen, dünnen Buchstaben teilten mit, daß eine plötzliche Sehnsucht nach reiner Bergluft den Herrn Regierungsrat in das Engadin treibe. Sie sprachen seinen Dank aus und die Hoffnung, daß man wieder einmal das Vergnügen einer Begegnung haben würde.

Frau Anna war blaß geworden. Die reine Bergluft traf sie als bitterer Vorwurf. Hätte sie nicht einen einzigen Tag früher die Teppiche klopfen lassen können? Ein kleines Tier hatte ihren großen Plan vernichtet. Oder waren es doch wieder die Särge gewesen? Sie grübelte und grübelte.

Auch Hermann war bestürzt, als er den Brief zu lesen bekam. Er hatte gerade einen Kauklub gegründet. Jedes Mitglied war verpflichtet, jeden Bissen, den er im Kauklublokal genoß, 74mal im Munde herumzudrehen.

Hermann hatte den angesehenen Freund des Hauses zum Ehrenmitglied ernennen wollen, um den Klub von vornherein auf ein höheres Niveau zu heben.

»Das ist mir sehr unangenehm,« sagte er und roch an dem Brief.

»Mir auch,« sagte Frau Anna und sah ihren großen Jungen liebevoll an. Sie waren jetzt so selten ein und derselben Meinung.

Nun kam Babette herein. Ein traurigernster Mutterblick glitt von dem Brief auf das hohe, schöne Mädchen.

Babette trug zwei Bündel Tannenzweige, die sie soeben einer alten Frau auf der Küchentreppe abgekauft hatte.

Sie drückte der Mutter einen kräftigen Morgenkuß auf die Backe und sagte, die Alte habe ihr erzählt, daß der Schnee draußen vor der Stadt einen Meter hoch liege.

»Da mußte ich an Großvaters Schmiede denken,« sagte sie. »Als ich klein war, hast du mir oft erzählt, wie ihr am roten, warmen Feuer saßet, während sich um euer Haus eine dicke Schneemauer zog.«

Frau Anna hatte sich mehrmals geräuspert. Das Dienstmädchen konnte jeden Augenblick hereinkommen, stand vielleicht schon vor der Tür.

Sie war ärgerlich auf Babette und noch mehr auf sich selbst. Wann hatte sie dem Kinde alles das vorgeschwatzt? Es mußte in den ersten Jahren geschehen sein, als sie das Hammergeklapp der großen Stadt immer wieder an den Amboß daheim erinnert hatte. Kinder haben ein unbarmherziges Gedächtnis.

»Wie schön muß das gewesen sein,« sagte Babette verträumt, »das rote Feuer und draußen der weiße, kalte Schnee.«

Ein Verdacht stieg in Frau Anna auf.

»Babette, hast du vielleicht auch dem Herrn Regierungsrat von der Schmiede erzählt?« fragte sie.

Babette wiegte nachdenklich den Kopf und antwortete, daß sie sich an nichts dergleichen erinnern könne.

Da gab ihr die Mutter den Brief. Ängstlich beobachtete Frau Bomberling das glatte, rosige Kindergesicht.

Es verzog sich zu einem verschmitzten Lächeln.

»Ich möchte den guten Herrn auf Schneeschuhen über einen Abhang flitzen sehen,« sagte sie und sah noch vergnügter aus.

Das war alles. Damit war die Sache für sie erledigt. Sie bastelte an den Tannenbündeln und versprach, die Wohnung bald in einen Winterwald zu verwandeln.

Frau Anna war froh und betrübt. Sie wollte gewiß nicht, daß das Kind Kummer empfinden sollte, aber hatte es nicht ganz so ausgesehen, wie wenn diese Besuche Babette große Freude bereiteten?

Wie schwer wird es einer Mutter gemacht, ihre Kinder zu verstehen!

Sie grübelte bekümmert. Aber der Alltag forderte sein Recht.

Die große Rechnung beim Delikatessenhändler war kein Traum. Alle die süßen Weine, Hummerschnittchen und Kaviarbissen wollten bezahlt sein.

Als sie Bomberling um eine kleine Extrasumme bat und dabei bedauerte, daß so viel Aufwand vergebens angewandt worden wäre, lachte er und gab ihr ohne Vorwurf das Geld. Er riet ihr nur, das Heiratstiften sein zu lassen. Was kommen solle, käme von selbst. Dann kniff er sein Mäuschen in die rechte Backe, wie es beide gewohnt waren, und ging.

Auf weitere Erörterungen konnte er sich nicht einlassen. Die Fabrik wartete.

Frau Anna seufzte. Man spricht sich doch gern ein bißchen aus. Wozu ist man schließlich verheiratet?

Wehmütig barg sie das Geld in dem silbernen Täschchen. Es war traurig, daß Bomberling so wenig für die Seinen übrig hatte.

Die Tannenzweige strömten Familienfrieden aus. Jeder, der von der Kälte draußen in das warme Zimmer trat, spürte, daß die Zeit auf Weihnachten zuging, und freute sich.

Nur Babette nicht. Ihr schien es, wie wenn immer irgendwo ein Fenster offenstände, oder ein Fremder mit am Tische säße, der die Unterhaltung der Eltern belächelte.

Ein Geheimnis ist eine schwere Bürde. Und Babette war nicht gewohnt, Lasten zu tragen.

Sie hatte ein Versprechen zum andern legen müssen. Niemand durfte von ihrem bräutlichen Glück erfahren. Die Gründe dafür wollte ihr Fritz erst später erklären.

Er war nun wieder abgereist. Jeden Tag mußte sich Babette einen Brief von der Post holen. Ihre kleine Geldtasche war schon mit Postmarken gefüllt. Denn jedesmal, wenn sie nach einem Brief fragen wollte, begannen alle um sie herum starr zu lächeln. Dann kaufte sie rasch eine Marke und entfloh. Aber nun kannte der Beamte am Schalter sie, und zwischen zwei stummen Lächeln glitt der große Briefumschlag in ihre Hände.

Er enthielt stets einen weißen Bogen, über den einige Zeilen eiliger Worte rannten. Wie Pferde, die aus der Kaserne sprengten. Diese Worte sagten stets das gleiche. Daß Fritz sein kleines Mädchen lieb habe und Tag und Nacht an sie denke. Und am Schluß schütteten sie stets eine Anzahl Küsse aus.

Es gibt kein Glück, das nicht auch traurig machte.

Diese Briefe, die Babette ordnungsgemäß auf dem Herzen trug, gefielen ihr gar nicht.

 

Sie saß in der Winterdämmerung, zwischen den hellen Möbeln und dem weißen Schnee vor dem Fenster und dachte an irgendjemand, der kleine Briefe schreiben würde, die nicht alles derb heraussagten und doch ganz voll Zärtlichkeit wären. Und auch nicht nach Tabak rochen.

Wenn es dunkel geworden war, schreckte sie auf. Sie erinnerte sich, daß sie nun an keinen Unbekannten mehr zu denken habe, sondern an Fritz. Sie rief ihn sich vor Augen. Das schwarze, glänzende Haar mit dem scharfgezogenen Scheitel. Die kleinen Augen, braun und blitzend. Die weißen Zähne unter dem dicken Schnurrbart. Und dann die wunderhübsche Uniform, blau und rot.

Und nun zündete sie das Licht an und schrieb einen kleinen schwärmerischen Brief, wobei sie wieder vergaß, daß er an keinen Unbekannten gerichtet war. –

Diese Schreiben fand Fritz auf seinem Tisch, wenn er müde aus dem Dienst kam. Er überflog sie, gähnte und steckte sie zusammengeknüllt in die Hosentasche. Dann warf er sich aufs Sofa und dachte an Mucki.

Mucki probierte am Tage warme Wintermäntel. Sie drehte ihren geschmeidigen Katzenkörper vor den soliden Damen der Kleinstadt, die am anderen Tage nicht begreifen konnten, warum der Mantel heute so anders aussah als gestern im Laden.

Und wenn sich Mucki wohl tausendmal auf ihren Lackschuhen herumgedreht hatte, bis endlich auch die alte Erde um ihre Achse geknarrt war, supierte Mucki mit Fritz in einem Seitenflügel des »Deutschen Adler«.

Sie schob kleine gute Bissen in den Mund und erzählte mit vergnügtem Gesicht, daß es manchmal so aussähe, wie wenn die Herren Ehemänner, die ihre Damen begleiteten, lieber sie wählen würden als den Mantel. Und wenn sie ein wenig getrunken hatte, wurde sie traurig und sagte, daß sie in der großen Stadt gewiß schon eine eigene Wohnung haben würde mit einem echten Bologneserhündchen und einem lebendigen Papagei. Und dann lachte sie wieder, zog Fritz am Schnurrbart und sagte, daß er überhaupt nicht das sei, was sie sich einmal geträumt habe, weil ihr die Uniform der roten Husaren viel besser gefiele als die seine.

Fritz beteuerte ihr, daß kein Mensch ohne Mängel sei und sie mit seiner Uniform Nachsicht haben solle. Und dann bestellte er noch eine Flasche Sekt und noch einmal Kaviar auf Eisblock. – –

Das brachte ihn nicht nur Mucki näher sondern auch seiner Braut. Denn alle Schulden müssen einmal bezahlt werden. Das Geld der Sargfabrik würde keinen Modergeruch haben.

Darum gehörte es für Fritz jetzt zur Tagesordnung, daß er vor dem Abendessen einen Bogen mit schnellen Liebesworten füllte und an Babette sandte.

Er dachte beim Schreiben schon sehr an Mucki. Aber ehe er den Umschlag zuklebte, sagte er sich, daß Gattinnen weniger Temperament haben müssen als sie. Und er verbesserte die Zehntausend der Küsse in eine Tausend. Man muß das Leben eben nehmen, wie das Leben eben ist.

Aber was dem einen wenig scheint, ist dem andern viel.

Babette wurden diese Briefe von Tag zu Tag schwerer.

Sie drückten sie. Sie hinderten sie beinahe daran, sich richtig auszulachen, wenn Hermanns Freund, der jetzt ihr Begleiter auf dem Eise war, seine lustigen Witze erzählte.

Ein Groll gegen Hilde stieg auf. War es so nötig gewesen, daß sie damals die Briefmarke kaufte?

Nur wenn die Militärmusik einen ganz weichen Walzer spielte und sie schweigend mit Hermanns Freund durch die frische Winterluft flog, fand sie es wunderschön, eine heimliche Braut zu sein. Dann wünschte sie, daß es niemals anders werden würde als heute.

Aber leider ist Glück nichts Dauerhaftes.

Eines Tages schrieb Fritz, daß er zurückkehren würde.

Der breite Zobelschal, den sich Mucki zu Weihnachten wünschte, zwang ihn dazu. Aber die Ursachen unserer Taten liegen im Verborgenen . . .

Babette war sehr bestürzt. Sie las diesen Brief mehr als einmal. Die Buchstaben galoppierten diesmal so rasch über das Papier, wie wenn Fritz selbst schon auf dem Wege wäre.

Ihre Unruhe trieb sie zu Hilde, wo sie vielleicht näheres erfahren konnte, ohne sich zu verraten.

Es war das erstemal, daß Babette zu Wegners ging, seit sie, im geheimen, mit ihnen verwandt geworden war. Als sie die breite Treppe hinauflief, deren Stufen außen Marmor und innen Holz waren, sagte sie sich, nicht ohne Schreck, daß Hildes heftiger Papa nun auch ihr Papa war. Daß Hildes schmale, an den Nerven leidende Mama nun auch ihre Mama sein sollte. Sie seufzte. Eine große Zärtlichkeit für Vater und Mutter ergriff sie.

Hilde war allein zu Haus. Sie stand in der Badestube und packte einen kleinen Manöverkoffer: sie sollte zu ihrer Tante reisen, der sie jedes Jahr beim Marzipanbacken half.

Eigentlich war es schon eine Tante ihres Papas. Hilde sagte, daß sie sich als Kind sehr vor ihr gefürchtet hätte. Sie habe die knochigen Finger ihrer großen, mageren Hände für verzauberte Kneifzangen gehalten. Aber die Tante besaß einen wahren Schatz an altem Porzellan, an Silber und Leinen. Darum hielt Hildes Vater streng darauf, daß sie die Weihnachtstage bei der Tante verbrachte.

»Wenn ich da bin, ist es langweilig,« sagte Hilde. »Aber vorher die Bahnfahrt. Mitten durchs verschneite Land.«

Sie sah verträumt auf die matte Scheibe des Fensters, die dem kleinen Baderaum wenig Licht und viel Verschwiegenheit gab.

Babettes unruhige Augen hatten zwischen den japanischen Papierfächern und der Brause die Photographie eines jungen Mannes entdeckt.

Hilde lachte und erklärte, daß es Fritz in Zivil sei. Sein neuestes Bild.

Babette nahm es in die Hand und sah erstaunt auf den fremden Mann. Sie sagte, daß sie Hildes Bruder ohne die Uniform kaum wieder erkennen würde. Aber er käme wohl auch so bald nicht zurück?

Hilde versuchte, ob der Koffer schloß. Die Frage fiel ins Gepolter.

So ging Babette, ohne etwas erfahren zu haben, wieder fort – – –

Sonst, wenn Babette eine Überraschung für die Eltern vorbereitete, war Paul, ihr Vetter, der Vertraute gewesen. Sie konnte vor ihm kein Geheimnis haben. Er hatte sogar erfahren dürfen, daß große Schauspieler Zwiebeln aßen und also keiner besonderen Verehrung wert waren.

Vielleicht konnte sie sich auch jetzt einen Rat von ihm erlisten? Vielleicht konnte sie mit ihm reden, ohne ihm etwas zu sagen? –

Als Bomberling durch den Fernsprecher melden ließ, daß er heut nicht zu Tisch käme, sondern erst am Abendzurückkehren würde, beschloß sie, den Vater aus der Fabrik abzuholen. Dabei würde sich eine kleine Unterhaltung mit Paul schon finden lassen.

Aber erst ging sie zur Eisbahn. Es war sonniges Frostwetter . . .

Hermanns Freund, der sie dort erwartete, hatte nicht nur ein großartiges Gedächtnis für Witze, er war auch unermüdlich mit der Verbesserung der Weltordnung beschäftigt. Er verabscheute den Staat, die Kirche, die Ehe, den Handel und was es sonst noch so gibt. Sein Fach war die Nationalökonomie, und er beabsichtigte, in einigen Jahren den ganzen faulen Weltkrempel umzukrempeln.

Aber er war doch nicht glücklich und verlangte Mitgefühl von Babettes Herzen.

Babette hörte ihm zu. Ein wenig zerstreut, denn sie dachte an Fritz und mehr noch an Paul.

Erst als der tüchtige Ökonom auf das Militär zu sprechen kam, war sie ganz bei der Sache.

Er rechnete Babette vor, wieviele Kinder man für eine einzige Kanone großziehen könnte. Er war für die Abrüstung des ganzen Heeres.

»Weg damit,« sagte er.

So wundervoll männlich war er. Babette hatte das Empfinden, als wären schon alle Soldaten von der glatten Erdkugel heruntergestoßen. Fritz auch. Wenn es so nötig war zur Verbesserung der Welt, Babette wollte sich fügen.

Aus einem Fabrikschornstein zog ein langer Pfiff. Babette löste ihre Schlittschuhe und sagte Lebewohl.

Hermanns Freund hielt ihre Hand fest und sagte, daß er sie den ganzen Nachmittag lang hatte fragen wollen, ob sie sich erhaben genug fühlte, eine freie Ehe einzugehen. Eigentlich habe sie die moralische Verpflichtung dazu. Denn es gab jemanden, der alles verachten mußte und nur sie lieben konnte.

Babette versuchte ihre Hand zu befreien. Aber es gelang ihr nicht.

»Sie haben die moralische Verpflichtung dazu, Babette,« wiederholte der Nationalökonom. »Die M. V. Vergessen Sie das nicht. Ich lasse Ihnen Bedenkzeit.«

Er drückte Babettes Hand, die steif vor Frost war, so heftig, daß sie schmerzte. Dann gab er sie mit einer Schleuderbewegung frei.

Babette lief über den schmalen Brettersteg, der das glatte Eis mit dem festen Boden verband.

In den Straßen lag ein feiner Nebel, in dem die Laternen wie Irrlichter tanzten. Wagen und Menschen waren geheimnisvoll umschleiert. Der Lärm des zu Ende eilenden Tages dämpfte sich zu einem surrenden Gesumm.

Babette saß im Auto. Um sie herum surrte und schnurrte es: »M. V.« –

Sie ahnte, daß erst die moralischen Verpflichtungen das Leben kompliziert machen.

Viele tänzelnde Lichtkugeln verrieten im Nebeldunst Bomberlings Fabrik. Babette betrat den großen Laden, der die Vorderseite des langgestreckten Gebäudes einnahm.

Der herbe Geruch des vielen Holzes erinnerte an Wald und Erde. Der Vater war nicht da. Aber gleich bei der Tür standen zwei Herren vor einem großen Prachtsarg. Ihre Köpfe mit den Zylinderhüten waren, überlegend, auf eine Seite geneigt.

»Viel Geld für so ein Ding,« flüsterte der eine. »Aber schließlich, er hat sich im Leben so wenig gegönnt.«

Der andere nickte.

»Nehmen wir nur den größeren,« sagte er und seufzte.

Sie sahen sich nach dem Lagerchef um, der, ein Stück davon, mit einer schmächtigen Dame flüsterte. Sie wollte gern, mit Rücksicht auf den Trauerfall, eine kleine Preisermäßigung haben. Er aber versicherte ihr, daß alle Preise schon für Trauerfälle berechnet wären. Nur beim Einkauf eines halben Dutzends ließe sich ein kleiner Rabatt ermöglichen.

Er erkannte jetzt Babette. Mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung sagte er, daß sich der Herr Papa in seinem Kontor befände. Dann eilte er zu den wartenden Herren.

Bomberling war nicht allein. Babette blieb wartend im Vorzimmer stehen. Sie hörte deutlich die Stimmen hinter dem Vorhang.

Es war ein langweiliges Gespräch. Ein alter Herr erkundigte sich nach den Kosten eines erstklassigen Begräbnisses, um in seinem Testament alles genau bestimmen zu können.

Der Vater riet ihm zur Verbrennung und rechnete ihm vor, um wieviel rascher dann alles vorbei wäre.

Der Besucher antwortete, daß er zu alt für neue Moden sei und es überhaupt nicht so eilig habe. Er kicherte, und Bomberlings breites Lachen fiel ein.

Dann hörte man nichts weiter als das Gemurmel von Zahlen. Der alte Mann ließ sich alles auf das ausführlichste auseinandersetzen. Er hatte nichts mehr zu tun. Diese kleine Zerstreuung war ihm angenehm.

Babette wurde ungeduldig. Sie dachte, wo Paul wohl sein möge? Und verließ auf Zehenspitzen den Raum.

Als sie zögernd den großen Mustersaal betrat, öffnete sich auch drüben die Tür, und Paul kam herein.

Babette eilte über den schmalen Gang, den die vielen Reihen der Särge frei ließen, auf ihn zu.

»Usch,« sagte sie, »die vielen gräßlichen Dinger. Weißt du, auch wenn man jung ist, kann man sterben. Aber wenn man alt ist, dann muß man. Ich möchte nicht alt werden.«

Sie schmiegte sich ängstlich an Pauls Kontorrock.

»Komm rasch heraus,« flüsterte sie.

Paul konnte sich im Augenblick keinen schöneren Ort der Welt denken. Er sagte, daß nur das Halbdunkel es hier ein wenig ungemütlich mache, und drehte das volle Licht aus. Das schwarze Ebenholz spiegelte Babette von allen Seiten wieder. Paul fragte, ob Babette ihm etwas Besonderes zu erzählen habe.

Sie sagte, daß sie nur gekommen sei, um den Vater abzuholen, weil sie ihn den ganzen Tag nicht gesehen hätte.

Dann schwieg sie.

Es ist nicht leicht, die richtigen Worte zu finden, wenn man etwas nicht sagen will.

Aber schließlich waren sie doch ins Schwatzen gekommen.

Jeder auf einer Ecke des großen Prunkkatafalks, der die Mitte des Saales schmückte, saßen sie sich lächelnd gegenüber.

Paul fragte, ob Babette einen Begleiter auf dem Eise habe.

Babette antwortete, daß da manchmal ein Freund von Hermann neben ihr herliefe. Und dann fragte sie, ob man die moralische Verpflichtung habe, jemanden wieder zu lieben, dem man Liebe einflöße, ohne es zu wollen.

Paul sah sie an. Diese Frage war nicht leicht zu beantworten. Er fragte, ob sie an jemanden Bestimmten dabei denke, wobei er sich bückte, um eine Schnitzerei des Katafalks zu studieren.

Babette sagte, daß sie nur so aus allgemeinem Interesse an der Sache gefragt habe. Paul sah wieder auf und meinte, daß man so etwas nur von Fall zu Fall entscheiden könnte.

 

Und dann fragte er, ob sie Hildes Bruder noch öfter sehe.

Babette rümpfte die Nase und sagte, daß der längst wieder abgereist sei. Aber was hielt Paul von Verlobungen? Fände er es sehr verächtlich, wenn man sie nach kurzer Zeit wieder auflöse, weil man den andern nicht leiden könne?

Paul lachte und meinte, daß es in solchem Falle besser sei, sich gar nicht erst zu verloben.

Aber da wurde Babette heftig.

»Du redest immer so klug und von oben herab,« rief sie. »Als ob man sich nicht auch irren könnte.«

Zwei Tränen kugelten plötzlich über ihre Backen. Paul erschrak.

»Ist es der alte Regierungsrat?« fragte er behutsam.

Da mußte Babette wieder lachen.

»Du bist auch zu dumm,« sagte sie und rutschte von dem hohen Sarg herunter.

»Ich spreche doch nur ganz im allgemeinen.«

Paul sah sie forschend an.

Dann sagte er, langsam nach den Worten suchend, daß er es, auch rein theoretisch gesprochen, immer praktischer fände, wenn ein weibliches Wesen keinen entscheidenden Schritt täte, ohne sich mit ihrem besten Freunde beraten zu haben. Die Verlobungen, wo man den andern nicht leiden kann, wären rücksichtslos aufzulösen.

Das war Pauls ehrliche Meinung. Aber Aufrichtigkeit und Hinterlist sind oft schwer voneinander zu trennen, und ausführlicher konnte Paul nicht werden. Denn Bomberling störte hier das Gespräch.

Nachdem er seinen Besuch zur Tür begleitet und auch den schwarzgekleideten Herrn gebeten hatte, ihn wieder zu beehren, hatte er vom Lagerchef erfahren, daß sein gnädiges Fräulein Tochter hier sei. Da war er seine Babette suchen gegangen.

Er zog ihren Arm unter den seinen und fragte, ob sie wirklich nur gekommen wäre, um ihren alten Vater abzuholen, oder ob sie wieder etwas mit Paul zu tuscheln gehabt hätte.

Darüber lachten Paul und Babette sehr belustigt.

Man ging ins Kontor.

Während der Vater einige Briefe unterschrieb, bewunderte Babette eine Schreibmaschine, die eben, neu und blank, geschickt worden war. Sie spielte ein wenig darauf und meinte, wenn keine Eisbahn sei, könnte es Spaß machen, hier zu sitzen und Geld zu verdienen.

Paul sagte, daß er sie unterrichten würde, und Bomberling rief herüber, daß er sie sofort engagieren werde, wenn sie's gelernt hätte.

Babette war ganz erfüllt von dieser neuen Idee. Am ersten Tage, wo es taute, wollte sie kommen. Ganz sicher. Sie klopfte zur Beteuerung fest an ihre rote Seidenbluse. Aber da knisterten die fünfzehn Briefe von Leutnant Wegner. Mit der Pauschalsumme von fünfzehntausend Küssen. Babette zuckte zusammen und verstummte.

Paul sagte, daß sie zu leichtsinnig mit ihren Versprechungen sei. Er sähe es ihr an, daß sie schon wieder alles bereue.

Bomberling klappte das Tintenfaß zu und sagte, daß jeder Tag seine Sorge habe. Sie sollten weiter darüber reden, wenn das Eis geschmolzen sei.

Eine Weile später waren Vater und Tochter davongefahren. –

Paul kehrte in den Mustersaal zurück. Um den hohen Katafalk wehte ein Duft von Blumen. Es war wirklich ein hübsches Plätzchen. Er setzte sich auf die Seite, wo Babette geschaukelt hatte und holte die Abendzeitung aus der Rocktasche.

Zeitunglesen beruhigt. Man kommt in Kontakt mit den ganzen Chancen der Welt. Es scheint so einfach, eins dieser zahllosen Glücksbänder zu fassen . . .

Als Bomberling und Babette heimkamen, war Frau Anna noch nicht zu Haus.

Hermann, der in seinem Zimmer zu sitzen schien, rief aus einer Wolke von Pfeifenrauch, daß die Mutter heute wohltätig sei.

Das war richtig. Frau Bomberlings Freundin, die Frau Rätin, hatte einen kleinen Verein gegründet. Sie selbst hatte den Titel ihres verstorbenen Gatten beigesteuert, Frau Bomberling die Wolle. Im Kreis von einigen vornehmen Damen häkelte man warme Kleidungsstücke für arme Kinder.

Frau Bomberling ging zu diesen Zusammenkünften in ausgewählter Kleidung und vermied auch im Gespräch jeden billigen Stoff. Sie erzählte von dem teuren Perser auf der Diele, erwähnte das Ölbild von einem prämiierten Maler, das Studium des Sohnes, die russischen Tassen.

Aber was der Mund verschweigt, verraten die Hände, die niemand anders machen kann, als sie sind.

Den Damen war es nicht entgangen, daß die reiche Frau Bomberling diese derben Wollsachen mit ungewöhnlicher Geschicklichkeit verfertigte. Ein fehlerloses Stück nach dem anderen flog aus ihrer Hand.

Mit wenigen Blicken über den Kopf der eifrig Arbeitenden hatte man sich verständigt:

Sie konnte keine vornehme Erziehung genossen haben.

Heute hatte sich Frau Bomberling bemüht, die erste in diesem Kreis der Nächstenliebe zu sein. Sie wollte ein paar ungestörte Worte mit ihrer Freundin wechseln. Die Frau Rätin wußte sicherlich, warum und auf wie lange der Herr Regierungsrat die reine Bergluft gebrauche.

Aber als sie ins Zimmer trat, war doch schon eine Dame anwesend. Frau Rätin sprach so eifrig mit ihr, daß man ihr Kommen ganz überhörte. Frau Anna war schon mitten auf dem Teppich, als ihre Freundin aufsprang und ihr entgegeneilte. Sie sah ganz erschreckt aus und fragte, ob Frau Anna schon lange zuhöre. Sie hatten gerade so sehr viel Gutes von ihr geplaudert.

Dann machte sie die andere Dame mit Frau Bomberling bekannt: Frau Baronin von Pryczsbitzky-Ratzoska.

Frau Bomberling verbeugte sich und erzählte, daß sie von einem berühmten Antiquitätenhändler käme. Sie hatte für ihren Bomberling das Petschaft einer ägyptischen Mumie gekauft. Als Weihnachtsgeschenk.

Die Frau Baronin erkundigte sich, ob dies ein besonderer Wunsch von Herrn Bomberling gewesen sei.

Frau Anna sagte, daß dies nicht gerade der Fall wäre. Aber daß es sehr schwer sei, ein passendes Geschenk für einen Herrn zu finden. Und Antiquitäten wären doch heutzutage das neueste.

Frau Baronin von Pryczsbitzky-Ratzoska gab der gnädigen Frau in allem recht. Sie war außerordentlich liebenswürdig und zuvorkommend. Über den geschwind häkelnden Fingern grübelte Frau Bomberling. Hatte die Dame, als sie einander vorgestellt wurden, vielleicht »von« Bomberling verstanden?

Ihr Verdacht wurde bestärkt, als die Frau Baronin fragte, ob sie der gnädigen Frau morgen um elf Uhr vormittags ihre Aufwartung machen dürfe.

Frau Bomberling wurde rot vor Freude. Sie fragte, ob die Frau Baronin nicht lieber zum Tee kommen wolle oder zum Abendbrot.

Aber die Dame bat, zu einem kleinen Plauderstündchen um elf Uhr vormittags erscheinen zu dürfen. –

Als alle Mitglieder des Vereins versammelt waren und man links nicht mehr verstehen konnte, was rechts gesprochen wurde, fragte Frau Anna nach dem Herrn Regierungsrat und seiner Reise.

Frau Rätin aber erwiderte recht mißgelaunt, daß auch sie nichts Näheres wisse. Ihr Neffe sei kein Kind mehr und könne tun, was ihm beliebe.

Das konnte niemand bestreiten. Somit war das Gespräch zu Ende.

Frau Bomberling hätte gern eine gute Nachricht nach Haus gebracht. Babettes Unruhe war ihr nicht entgangen. Es war klar, das Kind vermißte diesen alten, unangenehmen Menschen. Die Liebe ist eine unbegreifliche Sache.  –

So war Frau Anna doppelt erfreut, als sie bei ihrer Rückkehr Babette wieder viel munterer vorfand. Sie saß wieder gerade und schien viel freier und froher.

Das war kein Irrtum. Eine Last war von Babettes Herzen genommen. Leutnant Wegners Briefe waren fort. Babette hatte Pauls Rat befolgt. Sie hatte die Verlobung gelöst. Das heißt, sie hatte die Briefe zusammengebunden und in einen Umschlag gelegt. Dazu hatte sie geschrieben:

»Je ne vous aime pas, je ne vous avais pas aimé, je ne vous aimerais pas.«

Sie hatte die Empfindung gehabt, daß diese Situation nach französischer Sprache verlangte. Diese Worte sagten viel, sagten alles und waren mühelos in der Grammatik zu finden gewesen.

Schon in der Frühe des andern Tages hatte Babette das Briefpaket abschicken wollen. Das neue Schreiben, das kommen würde, sollte ungelesen hinzugefügt werden.

Aber niemand weiß, was er morgen tun wird. Als Babette den letzten Brief in der Hand hielt, sah sie, daß er nicht aus der kleinen Garnison kam. Er trug den Stempel der Großstadt, Fritz mußte schon hier sein.

Babette konnte ihrer Neugierde nicht widerstehen. Sie öffnete den Brief.

Da schrieb Fritz, daß er gekommen wäre, um sie zu überraschen. Aber vorher hätte er einen Ehrenhandel auskämpfen müssen. Er lag verwundet auf dem Krankenbett. Aus diesem traurigen Grunde sollte Babette ihm in diesen Tagen nicht schreiben. Um Verschwiegenheit und Treue bat er.