Delicious 1 - Taste me | Erotischer Roman

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»Lass mal sehen.« Ich nahm ungefragt seine Hand und besah die Wunde. Es war nicht schlimm. Ich griff nach den Papierhandtüchern und presste sie auf die Blessur. Behutsam versorgte ich den Schnitt in seiner Handfläche und schielte währenddessen immer wieder zu seinem Oberkörper.

Marlon war von recht kräftiger Statur. Nicht dick, nur kräftig. Mit seinen knappen eins achtzig, war er gerade an der Grenze. Noch größer war für mich nichts. Sich für jeden Kuss auf eine Mauer stellen zu müssen, wäre lästig. Seine fast schwarzen Haare waren etwas länger. Ich glaubte sogar, dass sie einen Tick länger als meine waren. Ich trug sie schon seit Längerem recht kurz, weil es mich immer genervt hatte, dass die Haare so auf der Haut klebten, wenn man sich gerade frisch eingecremt hatte. Und da ich sie mir für die Arbeit ohnehin hochstecken musste, hatte ich mich kurzerhand davon getrennt. Bis heute bereute ich es nicht.

Ich starrte unverhohlen auf Marlons leicht gebräunte Haut und stellte mir vor, wie sie sich an meiner anfühlen würde. Er hatte wirklich sehr ansehnlich definierte Brustmuskeln und einen leichten Ansatz an den unteren Bauchmuskeln.

Mehr muss es für meinen Geschmack gar nicht sein. Wenn Männer übermäßig aufgepumpt sind und quer durch die Tür gehen müssen, weil sie ihre Arme nicht mehr senken können, macht mich das kein bisschen an. Auch ein klares Sixpack muss ich wirklich nicht haben. Die sehen vielleicht schön aus, aber um drauf zu liegen, sind die wirklich nichts. Steinhart und unbequem.

»Sieht nicht schlimm aus. Willst du mir erzählen, wie du das hinbekommen hast?« Ein mürrischer Blick, gefolgt von einem nachdrücklichen Nein in meine Richtung. »Ich glaube, im Büro bist du besser aufgehoben. Ich kann für dich übernehmen. Das Restaurant schaffen Kai und Collin auch alleine. « Er wollte gerade etwas sagen, doch ich ließ ihn nicht. »Keine Widerrede. Mit ’ner verletzten Hand stehst du uns ohnehin nur im Weg. Aber du darfst dich gern bei mir revanchieren. Ein freier Sonntag wäre mal ganz nett.«

»Ist ja gut«, sagte er mürrisch. Ich drückte ihm noch ein weiteres Papierhandtuch auf die Wunde und trat einen Schritt zurück. Spielerisch strich ich mir mit der Hand über mein Kinn.

»Also, auch wenn ich nichts dagegen hätte, wenn du so bleibst, aber du solltest dich auf die Suche nach deinem Ersatzhemd machen.«

»Immer noch einen oben drauf. Freches Stück. Los, an die Arbeit.«

»Sprach der Chef.« Ich salutierte und konnte im Gehen noch ein kurzes Lächeln auf Marlons Lippen entstehen sehen. Ich trat gut gelaunt auf den Flur und stieß dabei fast mit Hendrik zusammen.

»Was grinst du denn so? Doch nicht etwa meinetwegen, oder?« Er fuhr sich betont durch die Haare, während er sich an mir vorbeischob. Dabei nahm er unnötig viel Platz ein und kam meinem Gesicht dichter, als mir lieb war.

»Beim nächsten Mal sagst du Bescheid, wenn du mal verschwinden musst. Für ’nen Quickie hab ich immer Zeit.«

»Oh, danke, aber ich bin durchaus imstande mir selbst Abhilfe zu verschaffen, wenn mir danach ist.« Zweiundvierzig Tage keinen Sex. Hilfe!

»Das ist nicht dasselbe«, rief er mir hinterher und ich musste ihm in Gedanken recht geben. Enthaltsam zu sein, ist scheiße.

***

In der Hoffnung, meine Anspannung würde dadurch wie durch Zauberhand verschwinden, ließ ich mir zu Hause ein Bad ein. Tat sie natürlich nicht. Zu allem Überfluss klingelte es auch noch an der Tür. Ich versuchte, nicht darauf zu hören. Aber wer auch immer auf der Klingel herumdrückte, war ziemlich penetrant. Es schien wichtig zu sein. Ich stieg genervt aus der Wanne und zog mir meinen Bademantel an.

»Moment. Ich komme ja schon. Mann, wehe es ist nicht dringend.« Ich öffnete die Wohnungstür und schaute in ein mir fremdes Gesicht.

»Hi, ich bin deine neue Nachbarin«, sprudelte es in schriller Lautstärke aus der jungen Frau heraus. Als vermutete sie, ich wäre taub.

»Schön, hi. Entschuldige, aber hast du mal auf die Uhr gesehen?«

»Oh Gott, tut mir leid«, sagte sie und plauderte dann munter weiter. Dass es schon weit nach Mitternacht war, schien sie nicht zu stören. »Ich hab keine Zigaretten mehr. Kannst du mir aushelfen?« Ich schüttelte den Kopf, während ich merkte, dass sich der Gürtel meines Bademantels zu lösen begann. Mit einer Hand hielt ich die Tür, mit der andern drückte ich den Stoff zusammen.

»Bedaure, aber ich rauche nicht mehr«, sagte ich knapp. Meine Gegenüber schaute mich enttäuscht an. Kein Zeichen von Verlegenheit darüber, dass ich ihr halb nackt die Tür öffnete. Ich hatte Mitleid.

»Aber mein Bruder hat vielleicht welche hiergelassen. Ich schau mal nach.« Ich drehte mich zur Seite und steuerte gedanklich das Wohnzimmer an. Die Tür blieb offen, was sie prompt als Einladung verstand.

»Cool, danke«, sagte sie und trat in meinen Hausflur. Da stand ich mit halb offenem Bademantel und sie kam einfach ungefragt rein. Und dachte sich wahrscheinlich nicht mal was dabei.

»Schön hast du’s hier. Wirklich schön. Wow, das ist ja ein cooler Couchtisch. Wo bekommt man denn so was her?« Ich starrte ihr ungläubig hinterher.

»Ja, klar, tritt ein«, flüsterte ich so leise, dass sie es nicht hörte. Sie brabbelte unbehelligt weiter drauflos und schaute sich in meiner Wohnung um. Ich schüttelte den Kopf und machte mich daran, die Zigaretten zu suchen. Ich betete, dass tatsächlich welche da waren. Ich beobachtete sie aus den Augenwinkeln, wie sie neugierig meine Wanddekoration musterte.

»Das ist meine Kaffeekränzchen-Runde«, sagte ich und deutete auf das selbst gemachte Poster. Sie schaute mich fragend an.

»Wenn ich jeden einladen könnte, den ich wollte, wären es die drei.« Sie nickte.

»Verstehe, ein Ständchen von Ina Müller ...« Ich war überrascht, dass sie sie erkannt hatte. Das ließ mich für einen Moment vergessen, dass ich unterm Mantel vollkommen nackt war. »... Showprogramm von Olivia Jones und Essen von Steffen Henssler.« Ich nickte beeindruckt. Neu war sie in Hamburg sicher nicht.

»Sehr gut«, bemerkte ich anerkennend. »Aber eigentlich würde ich ihn nur flachlegen wollen, das Essen ist zweitrangig.«

Ich stehe total auf ihn. Tue ich wirklich. Er ist grundsätzlich in meinen Fantasie bereit, wenn gerade niemand Bestimmtes greifbar ist oder ich vorhabe, jemanden zu suchen. Mann, wie viele einsame Nächte ich schon in Gedanken mit ihm verbracht habe. Damit könnte man ganze Bücher füllen. Ja, über einen Mangel an Vorstellungskraft kann ich mich nicht beklagen. Und wenn man niemanden hat: Selbst ist die Frau. Das habe ich schon mit dreizehn erkannt und mittlerweile bin ich Vollprofi in Sachen Selbstbefriedigung. Hatte ja auch genug Zeit zum Üben.

»Kann ich nachvollziehen«, entgegnete sie nickend. Ich schaute sie eindringlich an, während ihr Blick auf mein DVD-Regal fiel. Ich hatte irgendwie den Eindruck, sie zu kennen. Schwarze Kleidung, Nietengürtel. Moment mal. Rote Haare?

»Das warst du«, fuhr ich aus. Sie drehte sich zu mir um und sah mich fragend an. »Ja, du. Vor ein paar Wochen. Du hast mich fast umgerannt mit deinem Kontrabass und anstatt dich zu entschuldigen, hast du nur gesagt Augen auf im Straßenverkehr.« Sie verschränkte lässig die Arme.

»Cello.«

»Was?«

»Ein Cello, kein Kontrabass. Und wenn ich das richtig im Kopf habe, warst du in dein Telefon vertieft und hast mich umgerannt. Nicht umgekehrt.«

Mist, sie hatte recht. Da war ja was gewesen.

»Richtig«, bemerkte ich verlegen und ließ die Arme sinken.

»Nette Aussicht. Ich hätte mich zwar zuerst vorgestellt, aber so geht’s auch«, meinte sie schmunzelnd. Ich verstand nicht gleich, was sie meinte, und schaute sie nur fragend an. Sie deutete auf meinen Mantel.

»Oh, Scheiße. Ich war gerade in der Badewanne. Sorry.«

»Ist deine Wohnung. Aber wenn du gerade in der Wanne bist, wieso machst du dann auf?« Jetzt verschränkte ich die Arme.

»Nun, weil da jemand wie ein Irrer an der Tür geklingelt hat und keine Anstalten gemacht hat, wieder wegzugehen.«

»Autsch«, sagte sie und lächelte. Wir gingen aufeinander zu und gaben uns die Hand.

»Alexandra. Aber Alex reicht.«

»Bea, eigentlich Beatrix. Aber dann kommen die Leute immer auf die Idee, mich Trixi zu nennen.« Ich nickte.

»Nur-Bea, freut mich. Kaffee oder Bier?«

»Oh, du hast Bier da? Na, Gott sei Dank. Ich wusste, ich hab an der richtigen Tür geklingelt. Wir haben heute den ganzen Tag gekramt und geschleppt, sodass ich völlig vergessen habe, einzukaufen.« Ich holte zwei Flaschen, stellte sie auf dem Wohnzimmertisch ab und ging in mein Schlafzimmer, um mir schnell etwas überzuziehen.

»Soll das heißen, du hast keine Lebensmittel zu Hause?«

»Doch. Ich hab Kaffee und Dosen-Ravioli.« Ich trocknete mir im Gehen die Haare und kam zurück ins Wohnzimmer. Bea hatte es sich mit dem Bier auf dem Sofa gemütlich gemacht und schaute sich immer noch fasziniert um. Als wäre sie in einem Museum. »Ich bin ganz hin und weg.«

»Danke«, sagte ich schlicht und setzte mich zu ihr. »Ich hab leider auch nicht viel da, ich esse meistens auf der Arbeit. Aber ich könnte dir ’ne Tiefkühlpizza anbieten.«

Gesagt, getan. Eine halbe Stunde später fand die dampfende Pizza ihren Weg zum Elefantentisch.

»Cello also. Das musst du mir erklären. Ich meine, ich kenne dich zwar nicht, aber allein von der Optik her ...«

»Ich weiß. Aber wenn ich spiele, sehe ich anders aus. Du glaubst gar nicht, was ein paar Haarnadeln, ’ne halbe Flasche Haarspray und ein kleines Schwarzes alles ausrichten können.« Ich nickte. War mir schon klar, dass sie nicht mit löchriger Jeans auf die Bühne trat.

»Du hast also auch Auftritte?« Ich konnte mir immer noch nichts Konkretes darunter vorstellen.

 

»Ich bin Konzert-Cellistin. Also ja, hin und wieder spiele ich auch vor Publikum«, sagte sie grinsend. Ich war baff. Normalerweise beurteilte ich Menschen nicht allzu schnell nach ihrer Kleidung und ihrem Aussehen. Aber Bea hatte ich binnen Sekunden einen Stempel aufgesetzt. Wie sich herausstellte, den falschen. Sie erzählte mir, dass sie derzeit Musik studierte und schon seit ein paar Jahren hauptberuflich Musikerin war.

»Es ist nicht so, dass ich nur auf klassische Musik stehe. Ich höre eigentlich recht unterschiedliche Richtungen. Auch aktuelle Stücke eignen sich hervorragend, um sie mit dem Cello zu interpretieren.« Ich hatte mir über klassische Musikinstrumente nie viele Gedanken gemacht, geschweige denn über die Menschen, die dafür Begeisterung aufbrachten. Jetzt wohnte einer davon direkt gegenüber. Schön. Hoffentlich war dieses Ding nicht laut.

Ich erzählte ihr, was ich beruflich machte. Dass ich mich in meiner Freizeit, wenn ich denn mal welche hatte, mit meinem Bruder traf oder auf Flohmärkten nach neuen Schätzen Ausschau hielt.

»Funktionieren die alle noch?«, fragte sie und deutete auf meine Sammlung nostalgischer Schreibmaschinen, die ich aus Platzmangel einfach an die Wand geschraubt hatte. Bis auf eine Underwood-Maschine aus dem Jahre 1909, die ich für sage und schreibe siebzehn Euro ergattert hatte, funktionieren noch alle. Insgesamt konnte ich mittlerweile neun teils antike Schreibmaschinen mein Eigen nennen.

»Beeindruckend. Ich sammle Wählscheibentelefone«, meinte Bea.

»Echt? Gibt’s ja nicht. Das ist witzig. Warte mal.« Ich stellte meine Bierflasche ab und steuerte das kleine Seitenfenster an. Ich wohnte hier schon seit fast vier Jahren und trotzdem standen unterm Fenster immer noch Kartons herum. Sie fungierten mittlerweile als Fundsachenkisten für nicht sortierbare Sachen. Ich zog eine davon aus der Ecke und kramte einen Augenblick darin herum. Nach einem kurzen Moment des Wühlens holte ich ein etwas verstaubtes orangefarbenes Wählscheibentelefon heraus. Ich hatte es mal vom Flohmarkt mitgebracht und dann aber feststellen müssen, dass ich orange doch nicht so gut leiden konnte.

»Hier.« Ich reichte ihr das Telefon.

»Das ist ja supercool.« Ich setzte mich wieder und nahm einen Schluck von meinem Bier.

»Kannst du behalten. Sieh es als ein Willkommensgeschenk an. Anstelle von Muffins. Im Backen bin ich scheiße.« Bea fiel mir um den Hals. Ihre wilde rote Mähne kitzelte mich im Gesicht. Sie hatte wirklich unglaublich viel Haar. Aber ich musste sagen, dieses Signalrot hatte schon irgendwie was. Und es passte zu ihr. Ihre blasse, zarte Erscheinung bekam dadurch etwas mehr Pepp. Sie trug einen kleinen Stecker in der Nase und hatte ein Tattoo im Nacken, das ich aber noch nicht so richtig hatte erkennen können. Doch da ich mich heute bereits entblößt hatte, jedenfalls teilweise, fand ich, dass es genügend nackte Haut für einen Abend war, und ließ es mir auch nicht mehr zeigen. Wir verabschiedeten uns gegen ein Uhr morgens und ich legte mich zügig hin.

3

»Hendrik, hi.« Er kam gerade aus der Umkleide und stand mir im Weg. Ich blieb äußerlich cool, innerlich hüpfte ich auf und ab. Dreiundvierzig Tage ohne Sex. Ich versuchte, mich an ihm vorbeizuschlängeln. Dabei berührten sich unsere Körper und ich spürte, wie es mir eiskalt den Rücken runterlief.

»Ich könnte dich jetzt einfach küssen, weil ich weiß, wie sehr es dir gefallen würde«, sagte er und grinste mich selbstgefällig an.

»Du bist ganz schön vorlaut. Bist du dir deiner Sache so sicher? Vielleicht küsst du ja ganz furchtbar. Kann doch sein.« Ich drückte mich an ihm vorbei, was er mir absichtlich schwermachte.

»Es gibt nur einen Weg, das herauszufinden«, bemerkte er grinsend, während er mir wieder unverhohlen auf den Busen starrte.

»Augen nach oben«, mahnte ich ihn und ging zurück ins Restaurant. Auch wenn ich wenig Verständnis für den Zickenalarm hatte, den meine Exkolleginnen veranstaltet hatten, so konnte ich doch mittlerweile ihre Intention nachvollziehen. Sex am Arbeitsplatz hatte doch einen gewissen Reiz. Ich hatte noch nie etwas mit einem Kollegen gehabt. Hatte aber schon ein paarmal davon fantasiert. Aber so richtig gewollt, hatte ich es bisher nicht. Das war jetzt anders. Ich begehrte ihn. Ich wollte spielen und würde es tun.

»Na, was macht die Hand? Hab gesehen, dass ich Sonntag freihabe. Vielen Dank dafür.« Marlon lief mit diversen Akten in der Hand an mir vorbei und sah mal wieder ziemlich gestresst aus. Er und Herr Krause, ein Mitarbeiter vom Hotelmanagement, saßen schon seit Tagen an der Planung der Veranstaltungen in diesem Frühjahr. Er pendelte fast täglich zwischen Hotel, Büro und Restaurant hin und her, was ihm wohl tierisch auf die Nerven ging.

»Nicht jetzt. Hab zu tun.« Ich nickte. »Und gern geschehen«, rief er mir hinterher, bevor er regelrecht davonrauschte.

Das Mittagsgeschäft war fast durch. Nur noch zwei Tische waren belegt, aber nicht in meinem Bereich. Unser Speisesaal hatte, wie ich fand, seinen ganz eigenen Charme. Überall im Raum zog sich das Pferdemotto durch. Alte Kutschenräder an den Wänden, Kunstwerke aus dem Pferdesport, Hufeisen über jeder Tür und Gestecke aus Korn. Im Roten Festsaal stand sogar eine ganze Kutsche. Bei den meisten Anlässen wurde sie als Ablage für die Geschenke genutzt.

Ich ging an einen meiner Tische, räumte das restliche Geschirr ab und deckte ihn neu ein. Als ich mit der Arbeit fertig war, gönnte ich mir eine kleine Pause und gesellte mich zu Christian nach draußen. Ich zog den Reißverschluss meiner Jacke hoch und vergrub mein Gesicht weitestgehend im Kragen.

»Ruhiger Tag bisher?« Ich nickte. Heute hatte ich noch nicht viel zu tun gehabt. In den Letzten anderthalb Stunden waren meine Tische nur mäßig belegt gewesen.

»Wir feiern nächsten Monat Oles Geburtstag, schreib dir das Wochenende schon mal auf, damit du dir rechtzeitig freinehmen kannst.« Ich nickte dankend.

»Habt ihr euch schon an die neuen Umstände gewöhnt?« Ich schaute in sein hageres Gesicht. Er hatte leicht eingefallene Wangen, sah aber nicht kränklich aus, eher markant. Seine Augenfarbe war undefinierbar, je nachdem, von wo das Licht kam. Keine Ahnung, braun war es nicht.

»Wir kommen zurecht. Der Arbeitsweg ist etwas länger und die Verbindungen hierher sind echt scheiße. Aber im Großen und Ganzen kann ich mich nicht beschweren. Hast du was geplant fürs Wochenende? Hab gehört, du hast dir unverhohlen den Sonntag ergaunert. Eigentlich hatte ich frei, du Miststück.« Er schaute mich tadelnd an. Grinste dann aber. »Schon gut, Marlon sagte mir, er schulde dir was. Und Schulden sollte man begleichen.« Ich lächelte.

»Gott, danke, dass du ein Kerl bist.« Ich klopfte ihm auf die Schulter. Christian war so unkompliziert. So einfach. Ich war in diesem Moment einmal mehr froh, nur männliche Kollegen zu haben.

»Um ehrlich zu sein, kann ich Marlon einfach nicht widersprechen. Jedes Mal, wenn er den Mund aufmacht, ziehe ich ihm in Gedanken das Hemd aus.« Christians Blick schweifte ins Leere, während er sich über die Lippen leckte.

»Und du nennst mich Miststück? Du Luder.« Ich schubste ihn halb von seinem Stuhl und grinste schelmisch.

»Was? Gucken ist erlaubt«, betonte er mit Unschuldsmiene.

»Ach, wenn du wüsstest, wie oft wir es schon in Gedanken getrieben haben, von daher ...«, entgegnete ich gleichermaßen unschuldig. Wir lachten. Offenbar hatte Christian ein ebenso funktionstüchtiges Kopfkino wie ich.

»Wieso hattet ihr noch nie Sex? Schwul ist er nicht, da besteht kein Zweifel. Das hätte ich gemerkt.«

»Ich ficke keine Arbeitskollegen. Erst recht nicht mit meinem Boss«, sagte ich bestimmt. Er drückte seine Zigarette aus und schaute auf die Uhr.

»Zu dumm, na ja, musst du selbst wissen. Wollen wir?« Er reichte mir die Hand und zog mich vom Stuhl hoch.

»Wann kommt die Gesellschaft morgen?«

»Sehr früh ...«

***

Samstagabend. Im Roten Festsaal dröhnte die Musik durch die Lautsprecher. Es war kurz vor Mitternacht. In der Küche bereiteten Frank und Gabi gerade die Eistorte vor. Frank, unser Küchenchef, tupfte sich die Stirn ab. Er war schon Anfang sechzig und auch wenn er jeden fast erschlug, der ihn auf sein rüstiges Alter ansprach, konnte man sehen, wie sehr er sich den Ruhestand herbeisehnte. Gabi wünschte sich das ebenfalls. Sie war schon seit Jahren scharf auf die Küchenleitung. Jedes Mal, wenn Frank freihatte, führte sie ihr straffes Regiment. Mit militärischer Disziplin und akribischer Genauigkeit. Auch sie war Gastronomin aus Leidenschaft und ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Als Frau müsste man grundsätzlich noch einen oben draufsetzen, um sich Respekt zu verdienen. Ich teilte ihre Ansicht zwar nicht, aber ich respektierte ihre Hartnäckigkeit.

»Kann raus«, schrie Frank aus der Küche. Christian holte die Wunderkerzen aus der Schublade unter der Kasse und verschwand hinter der Schwingtür am Pass. Sekunden später kam er wieder heraus und schob den großen Metallwagen samt Torte vor sich her. Ich hielt ihm die Türe zum Roten Saal auf und wieder dröhnte mir die Musik entgegen. Genervt schloss ich sie hinter ihm. Der DJ war grauenhaft. Lauter Müll aus den Neunzigern. Ich bevorzugte Classic Rock der Siebziger und Achtziger. Aber nun ja, wenn es der Braut gefiel, sollte sie es haben. Christian kam mit dem leeren Wagen zurück und brachte ihn wieder an seinen Platz.

»Na, was meinst du, wie lang geht der Spaß heute noch?« Ich setzte mich an den Tresen und strich mir die Waden hinunter. Ich war schon seit Stunden am Rennen und allmählich taten mir die Beine weh.

»Schwer zu sagen. Schaut Ole noch vorbei?« Er nickte.

»Ist schon unterwegs.« Hendrik stieß mit vollem Tablett die Saaltür auf und steuerte die Spülküche an.

»Sag bloß, du kannst nicht mehr?« Bevor ich antworten konnte, verschwand er um die Ecke und ich hörte das Tablett klirren, als er es scheinbar abstellte. Gleich darauf stand er schon hinter der Theke und drückte auf die Kaffeemaschine.

»Noch jemand?« Christian schüttelte den Kopf. Sein Telefon klingelte.

»Ja? Was soll das heißen, du kommst nicht rein? Sekunde, ich gehe raus.« Er richtete das Wort an uns. »Irgendein Penner hat die Einfahrt blockiert. Ich geh mal eben Ole retten.« Christian war kaum zur Tür raus, schon stand Hendrik direkt neben mir und starrte mich wieder unverhohlen an.

»Also, Alex, was machen wir heute Abend noch?« Er stützte sich lässig auf die Theke und zog seine Kaffeetasse zu sich heran. Ich versuchte, ihn nicht anzustarren. Mit wenig Erfolg. Ich blieb immer und immer wieder an seinem Schritt hängen und stellte mir vor, was sich unter dem Stoff verbarg. Egal, wie sehr ich mich bemühte, wegzuschauen.

Vierundvierzig Tage ohne Sex.

»Und? Gefällt dir, was du siehst?«, fragte er mich und grinste, als er meinem Blick zu seinem Schritt gefolgt war. Ich schaute ihm ins Gesicht und versuchte, lässig zu wirken. Ich gucke nun mal gerne. Dass ich dieses Mal so intensiv wegen meiner Entzugserscheinungen starrte, wollte ich mir nicht anmerken lassen.

»Durchaus. Sehr ansehnlich.«

»Na, so was. Hast du gerade etwas Nettes zu mir gesagt, ohne mir gleichzeitig einen Korb zu geben? Alex, du lässt nach.« Er hatte recht. Ich wollte ins Bett. Eigentlich wollte ich in sein Bett und offenbar hatte er das bemerkt. Er beugte sich zu mir hinab und flüsterte mir ins Ohr: »Ich glaube, ich nehme dich heute mit zu mir nach Hause.«

Seine Stimme kitzelte mich und verschaffte mir Gänsehaut am ganzen Körper. Für einen kurzen Moment schloss ich die Augen und stellte mir seinen nackten Oberkörper auf meinem vor. Wie es sich anfühlen würde, seine warme Haut auf meiner zu spüren. Widerwillig riss ich mich von der Tagträumerei los und richtete mich mühevoll auf. Mein Kopf war gerade so vernebelt, dass mir als Antwort nichts Besseres einfiel als ein plattes: »Das werden wir noch sehen.« Dahin war meine Schlagfertigkeit. Schon wieder.

»Hey, Alex. Na, alles klar?« Ole und Christian kamen im richtigen Augenblick durch die Tür. Hendrik begrüßte kurz Ole und machte sich dann wieder an die Arbeit. Im Vorbeigehen strich er mir mit seinem Finger zärtlich über die Wange und zwinkerte mir zu, bevor er im Roten Saal verschwand. Es knisterte. Ich bemühte mich, mir meine Erregung nicht anmerken zu lassen, und verkrümelte mich hinter die Bar, um etwas Ordnung zu schaffen.

Es war fast drei Uhr morgens, als Marlon uns ein Zeichen gab, Schluss zu machen. Ein kleiner Teil der Gesellschaft war noch immer am Feiern. Freddy und Kai hatten Getränkeausschank an der mobilen Bar im Festsaal. Der Rest konnte endlich durchatmen. Wir setzten uns gemeinsam auf die Terrasse, sanken erschöpft auf die Liegestühle und begossen den wohlverdienten Feierabend. Ich ließ meine Blicke erschöpft durch den Rosengarten streifen. Von unserer Position aus hatte man einen direkten Blick auf den Teich, auf dem gerade die Wasserspiele aufleuchteten.

 

»Was für ein Abend. Eine wirklich gruselige Gesellschaft.« Ich nickte und trank meinen Drink in einem Zug aus.

»Sag mal, Ole, du brauchst nicht rein zufällig einen Job?« Marlon rutschte mit seinem Stuhl dicht an die beiden heran. Da Hendrik eigentlich nur als Aushilfe eingestellt war, brauchten wir bald einen festen Mitarbeiter im Team. Marlon dachte offensichtlich an Ole.

»Auf keinen Fall. Wir haben mal zusammen gearbeitet, das hätte uns fast auseinandergebracht«, meinte Christian und bekam ein zustimmendes Kopfnicken von seinem Partner.

»Arbeit und Privates sind Dinge, die man schwer unter einen Hut bekommt. Wenn man sich jeden Tag permanent sieht, ist das nicht gesund.«

»Außerdem bin ich viel zu gern Barmann, als dass ich noch mal zurück in den Service wollen würde«, beteuerte Ole und Marlon nickte verstehend. Hendrik stand vom Tisch auf und fragte, ob er jemandem etwas zu trinken mitbringen sollte. Ich hatte meine Flasche Martini noch auf dem Tisch stehen, da ich keine Lust hatte, ständig rein zu rennen. Ich schenkte mir noch einen ein und leerte das Glas ebenso schnell wie das davor. Hendrik ging in Richtung Küche. Marlon saß mittlerweile zwischen Ole und Christian. Sie unterhielten sich angeregt über die Vorzüge des Barkeeperjobs. Sie waren beschäftigt und sahen vermutlich nicht, wie Hendrik mir zunickte, bevor er in der Tür verschwand. Ich empfand das als Einladung und stand auf. Ich brauchte keine Ausrede zu erfinden, wohin ich gehen würde. Die drei waren so vertieft, dass sie Hendriks Verschwinden offenbar schon nicht mehr mitbekommen hatten.

Die Lichter im Restaurant waren allesamt erloschen. Nur die Bar war schwach beleuchtet. Aus Richtung des Festsaals hörte ich leises Gemurmel. Hendrik stand hinter der Theke und mixte sich einen neuen Drink. Irgendeinen von diesen bunten Cocktails, bei denen man es am nächsten Tag bitter bereute, dass man ihn getrunken hatte. Nach den Zutaten zu urteilen, tippte ich auf einen Swimmingpool.

»Willst du auch einen?«, fragte er und fixierte mich schon wieder unnötig lang mit seinem Blick.

»Hab genug für heute. Wenn ich noch mehr trinke, hab ich mich nicht mehr unter Kontrolle«, log ich und lehnte mich an die Schrankwand direkt neben ihm. Ich beobachtete, wie er mit gekonnten Griffen die Zutaten zusammenschüttete, ohne seine Aufmerksamkeit von mir abzuwenden.

»Klingt aufregend. Was passiert denn, wenn du außer Kontrolle gerätst?« Ich beugte mich zu ihm rüber und hauchte ihm ins Ohr.

»Willst du das wirklich wissen?« Er nickte. »Ich werde triebgesteuert. Wenn ich einen gewissen Pegel erreicht habe, will ich Sex. Schmutzigen, heißen Sex und zwar jede Menge.« Mann, dieses Lächeln. So niedlich und doch so attraktiv. So, das reicht, ich will spielen. Jetzt!

Er machte den Drink fertig und schob ihn zu mir rüber.

»Du solltest noch etwas trinken«, sagte er auffordernd und grinste wie die Unschuld vom Lande. Ich griff nach dem Glas und nahm ein paar kräftige Schlucke. Immer noch klebrig süß wie in meiner Erinnerung.

»Und? Tut sich schon was?« Hendrik beobachtete mich mit Argusaugen. Ich stellte das Glas beiseite und reckte mich auffällig.

»Also, Hendrik, irgendwie ist mir gerade sterbenslangweilig. Was fangen wir jetzt bloß mit unserer Zeit an?«

Vierundvierzig Tage ohne Sex. Ach, verdammt!

Hendrik kam langsam auf mich zu und presste sein Becken gegen meins. Mein Puls begann zu rasen. Er fuhr mit seiner Nasenspitze meinen Hals hinauf zum Ohr und flüsterte hinein. »Nun, für den Anfang könnte ich dich jetzt einfach bespringen.«

Seine Hände glitten meine Taille entlang, über meinen Hintern und wieder nach vorn. Mein ganzer Körper vibrierte. Ich öffnete den obersten Knopf seiner Hose. Ganz langsam und genüsslich, während ich seinem heißen Atem an meinem Ohr lauschte. Ich ließ mir Zeit, zögerte jede meiner Berührungen hinaus, obwohl ich so ungeduldig war, wie man nur sein konnte. Das wollte ich mir natürlich nicht anmerken lassen. Ich öffnete den nächsten Knopf, um mit meinen Händen ganz langsam von hinten in seine Hose hineinzugleiten. Er trug tatsächlich keine Unterwäsche. Gott, war das heiß. Ich grub meine Fingernägel zärtlich in seinen Hintern und zog ihn noch dichter an meinen Körper heran.

»Und? Hast du dir das so vorgestellt?«, hauchte ich und glitt mit meiner Zunge seinen Hals entlang. Ich spürte, wie erregt er war. Und wie sehr es mich anmachte, seine Erektion durch seine Hose zu spüren. Genüsslich zog ich meine Hände aus seiner Hose und strich ihm die Brust hinauf. Um seinen Schambereich machte ich einen großen Bogen. Auch wenn ich es kaum erwarten konnte, ihn dort zu berühren. Und er vermutlich auch nicht. Doch schien er deutlich ungeduldiger als ich zu sein. Mit einem Mal nahm er meine Hände über dem Kopf zusammen, presste mich gegen den Schrank und küsste mich. So stürmisch, dass ich kaum Gelegenheit hatte, zu reagieren. Doch ich ließ ihn. Dieser eine Kuss weckte so viel Vorfreude, so viel Lust auf mehr. Ich hätte mich auf der Stelle ausziehen können.

»Gefällt dir das?«, fragte er mich, während er meinen Hals liebkoste. Und wie es das tat. Gefallen war gar kein Ausdruck.

»Oh ja, sehr«, flüsterte ich und drückte ihn ruckartig von mir weg. Es gefiel mir mehr als gut. Aber das war genug gespielt für einen Abend. Wenn wir fortfuhren, hätte ich nicht mehr aufhören können. Er hatte ja damit angefangen. Also musste er jetzt dafür büßen. »Und genau da liegt das Problem.«

Ich ging wieder auf ihn zu, drückte meine Hand in seinen Schritt und packte fest zu. Er hielt die Luft an. Ich lehnte mich an ihn und sprach direkt in sein Ohr. »Ich ficke keine Kollegen, sagte ich doch.« Ich nahm meine Finger von ihm und ging wieder vor die Theke. Er sah mich an und ich konnte erkennen, wie es in seinem Hirn gerade ratterte. Er stützte sich ab und strich sich über die Haare. Seine Miene war nicht zu deuten. Eine Mischung aus Verwirrung und Enttäuschung.

»Aber danke, das war echt heiß.« Ich lächelte ihn neckisch an und öffnete die Tür. Das war es wirklich. Ich wollte unbedingt mehr. Aber mehr war, ohne meine Regeln vollkommen außer Kraft zu setzen, nun mal nicht drin.

»Kommst du?«, fragte ich im Gehen. Ich drehte mich noch mal zu Hendrik um, der immer noch wie ein begossener Pudel dastand und scheinbar rätselte, was da gerade passiert war.

Ich setzte mich wieder an den Tisch und hörte, wie Marlon gerade von einem Gästepaar erzählte, das hier im letzten Jahr ihr unzüchtiges Unwesen getrieben hatte.

Hendrik folgte einige Minuten später und ließ sich in den Stuhl mir gegenüber fallen. Ich schaute ihn nicht an. Nicht, weil ich mich schämte. Er reizte mich einfach zu sehr. In den ersten Tagen war es nur unmerklich gewesen. Eher wie etwas, was einem im Vorbeigehen auffiel. In den Wochen darauf war es deutlicher geworden. Ich hatte Herzklopfen in seiner Nähe bekommen. Beinah jedes Mal. Aber kein verliebtes Teenager-Herzklopfen, sondern eher ein Reiß-mir-sofort-die-Kleider-runter-Herzklopfen.

Blond, schmal gebaut und vom Aussehen eher jugendlich als männlich. Und doch konnte ich mich kaum von ihm losreißen. Aber ich hatte nun mal meine Regeln. Ficke niemals da, wo du arbeitest, erst recht nicht, mit wem du arbeitest. Das verkompliziert nur alles. Und das nervt.