Delicious 1 - Taste me | Erotischer Roman

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Ich verabschiedete mich nach einer Weile und rief mir ein Taxi. Ich wollte gerade einsteigen, als ich eine Hand an meiner Hüfte spürte.

»Du spielst also gern. Das kann ich auch.« Hendrik strich mir zärtlich über den Rücken und trat dann einen Schritt zurück. Ich drehte mich noch mal zu ihm um.

»Oh, ich liebe es, zu spielen. Aber für mehr ist bei der Arbeit kein Platz.« Ich trat dicht an ihn heran und umarmte ihn zum Abschied. »Wären wir keine Kollegen, würde ich dich auf der Stelle vernaschen. Hier und jetzt.« Ich gab ihm einen langen Kuss auf seine Lippen und stieg ins Auto. Manchmal hasse ich meine Prinzipien. Das wäre bestimmt spaßig gewesen. Ich hätte noch stundenlang weitermachen können.

***

Das Taxi setzte mich an der S-Bahn-Station ab. Vierzig Minuten später hatte ich es endlich bis nach Hause geschafft. Ich ließ die Haustür ins Schloss fallen und schaltete das Licht ein. Ich starrte das Treppenhaus hinauf und verfluchte wie schon so oft die vielen Stufen. Müde schleppte ich meinen Körper nach oben. Ich war so erschöpft, dass ich mich am Geländer hochziehen musste, um nicht hintenüber zu fallen. Ich wollte gerade aufschließen, als mein Blick auf eine Karte an meiner Tür fiel. Darauf war ein Bild von einer rosafarbenen Schreibmaschine, mit der Aufschrift Plüsch. Die Karte war mit Sternchen und massenhaft Glitzer verziert. Ich nahm sie ab und las mir die Rückseite durch.

Es ist zwar keine echte Schreibmaschine, aber danke für den schönen Abend. Plüsch! Liebe Grüße, Bea.

»Was bitte ist Plüsch?« Ich war zu müde, um in meinem Hirn nach einer Erklärung zu suchen. Ich schloss die Tür hinter mir, ließ meine Tasche auf den Boden fallen, zog mir die Schuhe im Gehen aus und sank samt Klamotten aufs Bett.

***

Ich nahm mir vor, mich Hendrik gegenüber professionell zu verhalten. Ich war nicht sicher, wie ich auf ihn reagieren würde. Beziehungsweise ich wusste es eigentlich schon. Sechsundvierzig Tage ohne Sex. Es fehlte nicht mehr viel und ich würde ihn einfach bespringen. Oder jeden anderen. Heute war mal wieder so ein Tag. Tage wie diese hatte ich in letzter Zeit häufig. An denen man die Wände hochgehen könnte, so juckte es einen zwischen den Beinen. Ich brauchte Sex. Und das ganz dringend.

Ich versuchte, mich abzulenken. Ich übernahm sogar den Spüldienst der Gläser, nur um mich auf andere Gedanken zu bringen. Zu meiner Erleichterung erfuhr ich, dass Hendrik heute nicht da war. Normalerweise hatte ich keinerlei Probleme damit, Exliebhabern oder Ähnlichem über den Weg zu laufen. Aber Hendrik schaffte es irgendwie, mich aus dem Konzept zu bringen. Vor allem wenn ich in diesem Zustand war. Ich war so rattig, dass ich mich kaum konzentrieren konnte. Unaufmerksam, gereizt und unvorsichtig.

In einem unachtsamen Moment drehte ich mich mit einem vollen Tablett Gläser hektisch um und stieß frontal gegen die Tür der Spülküche. Die Gläser fielen klirrend zu Boden. Ich fluchte wie ein Rohrspatz. Dann machte ich mich daran, die Scherben aufzuheben. Marlon öffnete die Tür zur Spülküche und sah mich am Boden knien, während ich die ganze Welt verteufelte.

»Wow, was haben wir für eine gute Laune heute«, bemerkte er und reichte mir Handfeger und Schaufel. »Also, Püppi, was ist los?« Ich starrte ihn skeptisch an. Einen für mich unpassenderen Kosenamen konnte ich mir kaum vorstellen.

»Nun, Püppi hat ein Problem. Ein verflucht großes Problem«, murrte ich und fegte die Scherben zusammen. Marlon schien sich köstlich dabei zu amüsieren.

»Erzähl, was läuft bei dir gerade so apokalyptisch falsch, dass du mit Gläsern schmeißen musst?« Ich schaute in sein lächelndes Gesicht. Normalerweise würde ich jetzt in Gedanken wegdriften und wir würden schmutzigen Sex auf der Anrichte haben. Aber in diesem Moment war ich einfach nur genervt. Ich setzte mich frustriert an die Wand und schlug die Arme über dem Kopf zusammen.

»Ich hatte seit sechsundvierzig Tagen keinen Sex mehr und gehe allmählich vor die Hunde.«

Marlon fing lauthals an zu lachen.

»Das ist nicht witzig. Ich bin so kribbelig, dass ich mich überhaupt nicht mehr konzentrieren kann.« Er blickte mich belustigt an.

»Und es ist so schwer, jemanden zum Vögeln zu finden?«

»Hab keine Zeit. Ich bin ja ständig hier.« Er beugte sich zu mir herunter.

»Tja, dann werde ich dich wohl vögeln müssen. Ganz im Sinne des Allgemeinwohls natürlich.« Ich verdrehte die Augen und raffte mich wieder auf.

»Mann, Marlon, ehrlich jetzt. Wir arbeiten seit drei Jahren zusammen und du hast bisher keinerlei Andeutungen gemacht, dass du mich willst. Also, bitte.«

Ich wollte mich gerade wieder den Scherben widmen, als Marlon seine Hand an meine Taille legte und mich langsam an die Wand neben der Schwingtür drückte. Ich hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, und ließ ihn einfach machen. Er strich mir zärtlich übers Gesicht und schmiegte seinen Körper behutsam an meinen. Dann küsste er mich. Langsam und innig. Seine Lippen waren unsagbar weich und seine Zunge spielte zart mit meiner. Ich legte meine Arme um seinen Nacken und zog ihn noch enger an mich heran. Mit einem Ruck hob er mich auf seine Hüften und presste mich an die Wand. Ich schlang meine Beine um seinen Körper und hörte, wie mein Herz merklich schneller schlug. Mein Atem wurde schwer und ich hatte das starke Bedürfnis, ihm seine Uniform auszuziehen. Meine Hände unter sein Hemd gleiten zu lassen, es aufzuknöpfen und dann langsam von den Schultern zu schieben. Ich war kurz davor, es in die Tat umzusetzen. Lautes Gelächter ertönte aus dem Speisesaal. Abgesehen davon, dass mir wieder in den Sinn kam, nichts mit Kollegen anzufangen, waren wir ja nicht alleine. Draußen saßen Gäste. Und Angestellte liefen da auch noch irgendwo rum. Ich löste mich widerwillig von seinen Lippen.

»Hör auf«, hauchte ich kaum hörbar.

»Sicher?« Ich nickte.

»Du bist mein Boss, mein Kollege. Nein, ich ficke nicht mit Kollegen.« Ich löste mich aus seinen Armen und ordnete hitzig meine Kleidung. »Ich habe klare Regeln. Das weißt du. Arbeit und Vergnügen halten wir getrennt. Du siehst das doch genauso«, erinnerte ich ihn.

Ein ähnliches Gespräch hatten wir schon vor gut zwei Jahren geführt. Damals war Marlon noch Barmann gewesen. Unsere Vorgesetzte hatte was mit einem Praktikanten gehabt, das war ziemlich böse ausgegangen. Die Affäre der beiden hatte für viel Wirbel und Unruhe im Team gesorgt. Letztlich hatte sie gekündigt, weil sie nicht mehr gegen die Chefetage angekommen war. So war Marlon zu seiner Beförderung gekommen und wir hatten festgestellt, dass wir unsere Karriere niemals für so etwas Banales wie einen Flirt aufs Spiel setzten würden.

»Ich kenne die Regeln, ich habe sie selbst aufgestellt. Ich wollte dir nur einen Gefallen tun. Nicht mehr und nicht weniger.« Ich starrte wieder auf den Scherbenhaufen.

»Danke, aber ich brauche keinen Mitleidssex.« Mehr sagte ich nicht. Ob er noch etwas erwiderte, weiß ich nicht. Wenn, dann habe ich es nicht mehr zugehört.

Den restlichen Tag verbrachte ich jetzt nicht nur rattig, sondern auch frustriert. Ich hatte meine Prinzipien schon zum zweiten Mal gebrochen. Und was hatte ich jetzt davon? Ich wollte mehr. Von beiden Männern. Scheiße, ich bin doch ein Flittchen.

***

In dieser Nacht schlief ich sehr schlecht. Eigentlich gar nicht. Ich konnte nicht aufhören, an Marlon zu denken. Und jedes Mal, wenn ich es geschafft hatte, mich irgendwie abzulenken, schlich sich Hendrik in meinen Kopf hinein. So ging es immer hin und her. Von einer heißen Fantasie in die nächste. So konnte ich unmöglich arbeiten gehen, weil ich beiden über den Weg lief. Ich kam auf keinen klaren Gedanken und rief meinen Bruder an. Erst nach dem dritten Freizeichen sah ich, dass es bereits vier Uhr morgens war, und legte abrupt wieder auf. Zwanzig Minuten später klingelte es an der Tür.

»Na, Kleines, was ist los? Kannst du auch nicht schlafen?«

»Nein«, sagte ich knapp und fiel ihm in die Arme. Wir setzten uns auf die Couch und er gab mir eine Zigarette.

»Dieser Fleck da oben macht mich wahnsinnig. Nächste Woche schaffe ich es bestimmt.« Ich zog genüsslich an meiner Kippe. »Also, ich weiß, warum ich nicht schlafen kann ...«

»Weil du mit einer Furie verlobt bist?«, beendete ich seinen Satz. Er schaute mich tadelnd an.

»Warum bist du wach?«, fragte er. Ich war mir nicht sicher, wie ich darauf antworten sollte. Immerhin war er mein Bruder. »Los, ich halte das aus. Du knabberst doch nicht etwa an dem, was Carina zu dir gesagt hat, oder?« Ich schaute ihn mit hochgezogenen Brauen an.

»Wohl kaum. Ich habe eher ein Problem sexueller Natur.« Ich wartete auf eine Reaktion. Es kam keine, also erzählte ich weiter. »Ich habe sozusagen den Notstand ausgerufen. Ich sitze gerade ziemlich auf dem Trockenen.« Er nickte, als wollte er mir deutlich machen, dass ihm diese Phase nicht unbekannt wäre.

»Das renkt sich wieder ein. Ganz bestimmt«, versuchte er, mich zu beschwichtigen. Ich schüttelte den Kopf.

»Das ist noch nicht alles.«

»Mehr?« Er griff nach seinen Zigaretten und steckte sich umgehend eine weitere an. Er schaute zu mir, zögerte kurz und gab mir dann auch noch eine. Wenn ich nervös war, kamen die alten Muster durch.

»Du weißt doch, was ich davon halte, etwas mit Arbeitskollegen anzufangen, oder?« Er nickte. »Nun wir haben einen neuen Mitarbeiter und der ist eigentlich überhaupt nicht mein Typ, aber er ...« Ich suchte nach den passenden Worten.

»Macht dich total feucht?«, sagte André so staubtrocken und nüchtern, dass ich mich fast an meiner eigenen Spucke verschluckte und viel zu viel Rauch in die Lunge bekam. André schlug mir auf den Rücken und ich hustete wie eine alte Dampflok.

 

»Du sagst es«, krächzte ich.

»Na, dann schmeiß deine Prinzipien einmal über Bord, schlaf mit ihm und verschaff dir Erleichterung, wenn es momentan so dringend ist.« Er sah mich an. »Immer noch nicht alles?« Ich schüttelte nahezu beschämt den Kopf. »Großer Gott, was denn noch?«

»Er ist nicht der Einzige, den ich gerade will.«

»Flittchen!«, stieß André aus und für eine kurze Sekunde glaubte ich, er würde es ernst meinen. Aber er grinste und zog einen imaginären Hut vor mir. »Kleines, willkommen in der Königsklasse.« Ich schaute ihn ungläubig an.

»Was weißt du denn schon von der Königsklasse, du spießiger, monogamer Pantoffelheld.« Er verzog gespielt beleidigt das Gesicht.

»Ich war auch mal jünger. Also, solange du nicht vorhast, beide gleichzeitig zu besteigen, würde ich mir an deiner Stelle erst mal nicht allzu viel Gedanken machen. Hast du doch nicht, oder? Für so ein Gespräch mit meiner kleinen Schwester bin ich noch nicht bereit.«

»Nein, hab ich nicht, aber vielen Dank dafür, dass du mir dieses Bild in den Kopf gesetzt hast. Jetzt werde ich definitiv darüber fantasieren.« Ich hatte schon oft an einen Dreier gedacht. Das sagte ich ihm aber nicht. Die Vorstellung, einen mit Marlon und Hendrik in Erwägung zu ziehen, ließ mich beinah wegdriften. André nahm mich liebevoll in den Arm und holte mich in die Realität zurück. Er blickte schon wieder an die Decke.

»Verdammt, ich mach den jetzt sofort weg. Wo hast du die Farbe vom Umzug?« Ich starrte ihn ungläubig an.

»Wenn du meinst, jetzt unbedingt auf eine Trittleiter klettern zu müssen, und das um halb sechs morgens, dann findest du sicher einen Rest Farbe im Keller. Aber ich bezweifle, dass die noch verwendbar ist. Also los, setz dich und erzähl mir lieber, warum du um die Zeit noch wach bist.« Ich ging an den Kühlschrank und hob zwei Flaschen Bier in seine Richtung. Er schüttelte den Kopf. »Kaffee?« Er nickte. Ich machte uns schnell einen und setzte mich wieder zu ihm auf die Couch.

»Ich habe mich von Carina getrennt«, sagte er ernst und sank im gleichen Augenblick, wie ihm die Worte über die Lippen kamen, in sich zusammen.

»Wie, du hast dich getrennt? Ich meine warum? Wann?« Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. So dusselig ich sie auch fand, sie waren immerhin seit fast vier Jahre zusammen. Ich versuchte, meine Freude erst mal zu verbergen und setzte einen verwunderten Gesichtsausdruck auf. Er schwieg, das konnte er besonders gut. Mein Bruder nahm einen Schluck Kaffee und lehnte sich zurück.

»Kann ich ein paar Tage bei dir schlafen?«

»Klar.« Ich stand auf und holte eine Ersatzdecke aus dem Schlafzimmer. André verschwand im Bad. Ich wusste, dass er jetzt nicht mehr mit mir reden würde. Ich bezog ihm die Couch und machte die Gardinen zu. Als André zurückkam, drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange und wünschte ihm eine gute Nacht.

»Brauchst du noch irgendwas?« Er schüttelte den Kopf.

»Ich bin da, wenn was ist. Wenn du reden willst oder so. Du willst mir bestimmt nicht sagen was ...« Er schüttelte den Kopf, noch bevor ich meinen Satz zu Ende bringen konnte. Also nickte ich und verschwand in Schlafzimmer. Ich legte mich ins Bett und starrte wie schon zuvor an die Zimmerdecke. Was für eine Nachricht. Carina ist weg. Ein Anflug von Schadenfreude stieg in mir auf. Doch ich drückte sie ganz schnell wieder beiseite. Dafür war André einfach zu niedergeschlagen. Dann dachte ich über seine Worte nach. Jene, die er mehr als Witz ausgesprochen, jedoch meine Fantasie blitzschnell beflügelt hatten. Ein Dreier mit Marlon und Hendrik. Verdammt, jetzt kann ich erst recht nicht schlafen.

***

Als ich gegen halb acht wieder wach wurde, hörte ich André in der Küche telefonieren. Ich verstand nicht, was er sagte, aber dem Tonfall nach zu urteilen, konnte es nur Carina sein. Ich zog mir meinen Bademantel über und ging erst mal ins Bad. Als ich in die Küche kam, saß André am gedeckten Frühstückstisch.

»Morgen, wie geht es dir?«, fragte ich zögerlich. Ich hatte Carina nie leiden können, aber meinen Bruder so unglücklich zu sehen, tat mir in der Seele weh. Doch er ging nicht auf meine Frage ein. Ihm schien es wichtiger zu sein, meinen aktuellen Notstand zu beheben. Er schlug mir vor, mit einem von beiden zu schlafen und den anderen zu vergessen. Er mutmaßte, dass meine Libido nur aus Mangel an Zuwendung auf Hochkonjunktur lief und mir im Normalzustand einer von beiden durchaus reichen würde.

»Und wen?« Er zuckte mit den Schultern.

»Mach ’ne Probefahrt.«

»Schon geschehen.« Er schaute mich erstaunt an.

»Flittchen.«

»Hey!« Ich setzte mich mit einer Tasse Kaffee an den Tisch und berichtete von den mehr als heißen Begegnungen mit beiden Männern.

»Du solltest mit einer weiblichen Person darüber sprechen. Ich glaube, bei diesen Details kann ich dir keine sonderlich große Hilfe sein.« Er hatte recht. Aber ich wusste nicht, welche Frau ich fragen sollte.

»Christian!«, fuhr ich dann aus, nachdem ich kurz darüber nachgedacht hatte.

»Wer ist das nun wieder? So langsam machst du mir Angst.« Ich biss von meinem Brötchen ab und schüttelte den Kopf.

»Er ist auch ein Arbeitskollege und schwul. Wenn mir einer helfen kann, dann er.« Ich schaute auf die Küchenuhr.

»Du musst los, oder?«

»Noch nicht, aber ich muss mich jetzt fertig machen.« André nickte. Ich biss noch einmal in mein Brötchen und stand auf. In dem Moment klingelte es an der Tür. Mein Bruder starrte mich fragend an. Aber ich erwartete niemanden. Ich schlurfte in den Flur und öffnete.

»Bea, guten Morgen.«

»Hi, Alex. Hast du Zeit für ’nen Kaffee?«

»Eigentlich muss ich gleich los. Aber komm kurz rein.« Ich hielt ihr die Tür auf und deutete zur Küche.

»Bediene dich ruhig, Kaffee steht auf dem Tisch.« Ich ging ins Schlafzimmer und riss hektisch die Schranktüren auf.

»Ach ja, der nette Mann am andern Ende der Tischplatte ist mein Bruder. André, das ist Bea, meine neue Nachbarin. Sei nett«, rief ich ihnen zu, während ich mich hastig anzog. Die Wäsche türmte sich mal wieder in allen Ecken. Das machte es mir eigentlich unmöglich, hier noch etwas zu finden. Aber dennoch sah ich keinen Grund, an dem Umstand etwas zu ändern. Ich wasche grundsätzlich erst dann, wenn absolut nichts mehr Sauberes da ist. Mit dem Geschirr halte ich es übrigens genauso. Erst wenn der letzte Becher aus dem Schrank gekramt und benutzt ist, wird abgewaschen.

Ich hörte, wie André versuchte, Konversation zu betreiben. Aber Bea schien mir jemand zu sein, der wortgewandt genug war, um jemanden wie meinen Bruder ohne Scheu zum Reden zu bringen. Wie ich mitbekam, fragte sie ihn gerade nach seinem Beruf. André war technischer Zeichner. Was er im Einzelnen machte, wusste ich gar nicht. Von Technik verstand ich nicht sonderlich viel. André hingegen hatte ein Händchen dafür. In seinem Job konnte er seine penible Genauigkeit auf jeden Fall ausleben. Soweit ich wusste, fertigte er Zeichnungen am Computer auf der Grundlage von Vorstellungen der Architekten an. Irgendwann meinte er, würde er auch noch mal Architektur studieren und selbst Gebäude entwerfen wollen.

Bea lachte laut. Hatte André gerade einen Witz gemacht? Unwahrscheinlich. Mein Bruder war nicht witzig. Es war witzig, ihm dabei zuzuschauen, wie unbeholfen er dabei wirkte, wenn er versuchte, witzig zu sein. Ich zog mir ein dunkles Langarmshirt mit einem ironischen Spruch und einer fetten, hässlichen Katze vorne drauf an. Kraul mich, dann schnurre ich stand über der Katze. Ich fand es irgendwie witzig, wegen der Zweideutigkeit. Im untersten Fach des Schrankes kramte ich nach einer Hose, fand dann auch eine schon längst vergessene Jeans in der hintersten Ecke. Natürlich total zerknautscht. Aber zum Bügeln war keine Zeit, zumal ich nicht mal ein Bügeleisen hatte. Glaube ich. Habe ich ein Bügeleisen? Keine Ahnung, ich bügle nicht. Ein Bügelbrett besitze ich definitiv nicht. Das wäre mir hier in der kleinen Wohnung schon längst aufgefallen. Ich schüttelte die Hose aus. Vergebens. Ich ging in die Küche und schmiss sie in den Trockner, in der Hoffnung, dass er das Schlimmste abmildern würde.

»Schickes Höschen, Schwesterlein, aber um ehrlich zu sein, hätte ich dir etwas mehr Style zugetraut.« Bea lachte schon wieder. Versuchte mein Bruder, sie zu beeindrucken? Ich schaute an mir hinunter. Ich verstand. Bei diesem Schlüpfer, konnte selbst André Witze reißen. Ich trug meinen Ich-hab-nichts-anderes-mehr-im-Schrank-und-normalerweise-würde-ich-das-Ding-niemals-jemandem-zeigen-Slip. Eine ehemals giftgrüne Hotpants mit einer verwaschenen, mittlerweile nur noch dreibeinigen Kuh vorne drauf. Ich lehnte mich an den Kühlschrank und verschränkte die Arme.

»Also, dann doch lieber die Blanko-Ansicht, die hat mir besser gefallen«, witzelte Bea und griente mich an. André machte wieder sein Schlauchgesicht. Seine Augen sagten ganz eindeutig Ich stehe auf dem Schlauch und kapiere den Witz nicht. Bea klärte ihn über unsere erste Begegnung und meinen Bademantel auf. Ich hingegen trollte mich ins Schlafzimmer und suchte nach einem andern Slip. Ich fand doch noch ein ansehnliches schwarzes Teil und tauschte sie aus, bevor ich wieder in die Küche ging.

»Alex, du musst los«, rief André mir zu.

»Ich weiß, hetz mich nicht in meiner eigenen Wohnung.« Ich hechtete zum Trockner und zwängte mich in die Hose, die jetzt nicht sonderlich besser aussah, aber zumindest warm war.

»Ich geh jetzt. André, fühl dich wie zu Hause. Bea, wir sehen uns und dann musst du mir das mit dem Plüsch erklären.« Sie grinste. Ich zog mir meine ehemals weißen Turnschuhe an, griff meine Tasche, mein Telefon sowie den Schlüssel und hechtete los.

Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig und ließ mich keuchend auf den Sitz in der S-Bahn fallen. Ich schloss erleichtert die Augen und versuchte, noch ein wenig abzuschalten. Mach ’ne Probefahrt, hatte André gesagt. Na, mal sehen, was der Tag so bringt. Solange ich die Beine nicht gleich auf dem Tresen breitmache, ist alles gut. Zumindest nicht vor Ladenschluss. Cool bleiben, Alex.

»Du hast alles unter Kontrolle.« Das wollte ich mir offensichtlich weismachen. Mit wenig Erfolg.

***

Im Restaurant angekommen, fühlte ich mich wie ein Teenager. Ich hatte Herzrasen und feuchte Hände. Unbekanntes Terrain. Ich war nicht der Typ, der nervös wurde. Ich war die, die ihren Gegenüber nervös machte. Auf der anderen Seite zu stehen, war ungewohnt. Beängstigend. Aber auf eine gewisse Weise auch sehr erregend. Normalerweise gebe ich den Ton an und sage, wie es läuft. Ich überlasse wenig dem Zufall. Jetzt vollkommen im Ungewissen zu sein, hatte einen gewissen Reiz.

Im Arbeitsbereich verhielten sich sowohl Hendrik als auch Marlon konzentriert und professionell. Ich versuchte, es ihnen gleichzutun, aber sobald mir einer von beiden vor die Augen kam, schaltete sich automatisch mein Kopfkino an. In Zeitlupe liefen lauter heiße Bildchen vor meinem inneren Auge ab. Als ich Hendrik gerade erneut halb nackt servieren sah, ließ ich alles stehen und liegen, griff nach Christians Arm und zerrte ihn in den Innenhof. Collin warf mir einen wütenden Blick zu. Doch ich ignorierte ihn einfach. Ihm konnte ich es ohnehin nie recht machen. Das war schon vom ersten Tag unserer Zusammenarbeit so gewesen. Er war mir nicht unsympathisch. Aber ich war jedes Mal aufs Neue erleichtert, wenn wir in unterschiedlichen Schichten arbeiteten. Er war einfach anstrengend und sein durchbohrender Blick auch leicht unheimlich. Irgendwie seltsam der Kerl.

Ich ließ Christian los und lief unruhig im Innenhof auf und ab. Viel Platz dafür hatte ich nicht. Das Küchenpersonal verbrachte hier meist ihre Pausen und nutzte die Fläche, um die leeren Gemüsekisten zu lagern. Dementsprechend vollgestellt sah es hier aus.

»Ich habe ein Problem und brauche ganz dringend deinen Rat.«

»Klingt spannend. Schieß los.« Wir setzten uns an einen kleinen Klapptisch, der lieblos in der Ecke stand und schon Moos angesetzt hatte. Die Gartenstühle waren in einem ähnlich vernachlässigten Zustand. Obwohl sie häufig im Gebrauch waren, nach den überquellenden Aschenbechern zu urteilen, schien sich niemand die Mühe zu machen, sie sauber zu halten.

»Na schön. Du kennst ja meine Einstellung zum Thema Sex am Arbeitsplatz.« Ich fuhr mir angespannt mit den Fingern über die Lippen. Ich dachte an den Kuss mit Marlon, seine Berührungen. Ich schüttelte den Gedanken ab. »Jetzt kommt das Aber.«

»Gott sei Dank«, entfuhr es Christian mit einer unüberhörbaren Erleichterung in der Stimme. Als hätte er befürchtet, sich einem moralisch anständigen Gespräch widmen zu müssen.

 

»Ich bin gerade so chronisch untervögelt, dass ich kaum die Beine zusammenhalten kann. Und ausgerechnet jetzt will ich Sex mit einem Arbeitskollegen haben. Genau genommen ...«, begann ich. Christian starrte mich mit freudiger Erwartung an. »Eigentlich sind es sogar zwei. Und ich habe auch schon von beiden einen Vorgeschmack erhalten. Jetzt hänge ich fest. Ich will sie beide. Scheiße.« Jetzt war es raus. Christian grinste bis über beide Ohren und klatschte wie ein kleines Mädchen aufgeregt in die Hände.

»Oh, ist das spannend. Nun, so ganz spontan, ohne zu wissen, um wen es sich handelt. Oh Gott, ist es Marlon? Ja, es ist Marlon, geiler Arsch. Egal. Ich würde sagen, scheiß auf deine Prinzipien. Es ist doch nur Sex.« Ich starrte ihn vorwurfsvoll an.

»Hallo? Du sitzt hier mit Fräulein Unromantisch. Ich bin mir der Vorzüge von einfach nur Sex durchaus bewusst. Ich lebe nach dem Motto einfach nur Sex. Klar? Nur nicht am Arbeitsplatz. Ich habe kein Interesse an Dramen.« Er strich sich nachdenklich übers Kinn.

»Wenn es nur Sex ist und jeder Beteiligte das weiß, sehe ich keine Gefahr, dass es sich zu einem solchen entwickelt.« Ich nickte. Es klang logisch. Er fragte, was nun mein wirkliches Problem wäre.

»Nun, wenn ich lediglich ein Bedürfnis befriedigen wollen würde, sollte ich mich schon entscheiden können, mit wem, oder nicht?« Er dachte nach.

»Also, wenn es danach geht, solltest du denjenigen wählen, der dich mehr anmacht. Sag schon, wer sind die beiden?«

»Marlon und Hendrik.« Er schwieg.

»Hm. Schwere Wahl, die könnten kaum unterschiedlicher sein. Wie küssen sie?« Ich berichtete ausführlich von den beiden Erlebnissen und merkte, wie ich schon wieder auf Hochtouren lief.

»Was spricht dagegen, sie beide zu ficken? Du scheinst mir nicht der Typ zu sein, der fein säuberlich der Reihe nach geht.« Ich schaute ihn an und dachte nach. Ich nickte.

»Danke, Christian.« Ich stand auf und ging zielstrebig ins Restaurant.

»Aber doch nicht sofort«, rief er mir hinterher. Ich war regelrecht ferngesteuert und hielt nach ihnen Ausschau. Tausend Gedanken durchströmten mich. Christian hatte recht. Es ging nur ums Ficken. Nicht mehr, aber vor allem auch nicht weniger. Warum sollte ich mich also diesmal so verrückt machen und mich von einem Mann, oder in diesem Falle von zweien, aus dem Konzept bringen lassen? Arbeitskollegen hin oder her. Dann will ich sie halt beide. Ich will Sex, ich brauche Sex und offensichtlich ist mir momentan einer nicht genug. Ich begehre zwei Männer zur selben Zeit. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Und ich will sie beide.

***

Hendrik war nirgends zu entdecken. Ich marschierte strammen Schrittes über den Hof Richtung Büro und sah, wie Marlon gerade darin verschwand. Ohne weiter darüber nachzudenken, folgte ich ihm. Ich schloss hinter mir die Tür und drehte den Schlüssel um. Ohne etwas zu sagen, trat ich auf ihn zu und küsste ihn.

»Was soll das denn jetzt werden?«, fragte er und schaute mich skeptisch an. Marlon lehnte sich an die Kante seines Schreibtischs und verschränkte die Arme. Wirklich viel hatte Marlon nicht in seinem Büro stehen. Ein Regal mit Akten, eine Stehlampe und eine verkümmerte Topfpflanze, die noch von seiner Vorgängerin war. Zu meiner Verwunderung lebte sie immer noch. Wobei man eher vegetieren sagen müsste. Das Einzige, was einem wirklich ins Auge sprang, war der grüne Schreibtisch. Ich kenne niemanden, der sich ein grünes Möbelstück aufstellen würde, geschweige denn, ob es überhaupt noch weitere grüne Möbelstücke auf der Welt gab. Ich fand, es sah einfach falsch aus. Aber in diesem Moment hätte er auch orange-pink-gepunktet sein können. Mir war alles egal. Ich wollte nur Marlon. Auf mir, in mir und das sofort.

»Wonach sieht es denn aus?«, sagte ich und küsste ihn noch mal. Er erwiderte meinen Kuss zwar, drückte mich aber erneut von sich weg.

»Alex, du hast mir gerade erst unmissverständlich klargemacht, dass unser Job Vorrang hat. Abgesehen davon hast du sicher zu tun.« Hatte ich sicher. Eigentlich müsste ich jetzt mit Collin das Kuchenbüfett aufbauen. Aber daran verschwendete ich jetzt keine weiteren Gedanken.

Ich zog meine Schürze langsam aus und presste ihn gegen die Schreibtischkante. Unbeirrt knöpfte ich meine Bluse auf und sagte mit ruhiger Stimme: »Scheiß auf die Regeln und fick mich.« Ich küsste ihn erneut, langsam, behutsam. Er stellte keine Fragen mehr. Marlon legte seine Arme vorsichtig um meinen Oberkörper und strich mir zärtlich über den Rücken. Jede seiner Berührungen durchzog mich am ganzen Körper.

Ganz langsam öffnete ich sein Hemd. Einen Knopf nach dem andern. Mit den Fingerspitzen strich ich zärtlich über seine Brust. Seine Haut war unglaublich weich. So oft hatte ich es mir vorgestellt. So oft hatte ich davon fantasiert, ihm so nah zu kommen. Ich wollte jeden Zentimeter seines Körpers erforschen, jeden Millimeter berühren. Als auch der letzte Knopf kein Hindernis mehr war, wanderte ich mit meinen zittrigen Händen seine Brust hinauf, unter sein Hemd und ließ es von seinen Schultern gleiten. Ich hielt einen Augenblick inne. Spürte die Wärme seiner Haut an meinen Handflächen.

Dann schaute ich zu ihm auf. Seine Augen funkelten mich lüstern an. Ich grinste neckisch und fuhr mit meinem Zeigefinger seine Brust entlang. Erst über die eine, dann über die andere Seite, hinunter und über seinen Bauch. Kurz vor der Gürtelschnalle machte ich Halt. Sein Blick sagte Mach weiter, gib mir mehr. Ich schmunzelte und nahm meine Hand wieder weg. Er grinste, legte seine an meinen Rücken, presste mich an sich und küsste mich. Inniger, fordernder. Dann, ohne Vorwarnung, griff er mir unter den Hintern und hob mich hoch. Von zärtlich hin zu stürmisch und das binnen Sekunden. Das gefiel mir ungemein.

Er drehte sich zum Schreibtisch um und setzte mich darauf ab. Alles, was störte, schmiss er einfach hinunter. Das Telefon knallte zu Boden und irgendetwas zerbrach, aber das beachtete ich nicht weiter. Ich umschlang seine Hüften mit meinen Schenkeln und presste ihn fest an meinen Schritt. Ich spürte seine Erektion. Mein Atem wurde schneller, während er mir hektisch die Bluse auszog. Er küsste mich am Hals, am Dekolleté und fuhr langsam mit seiner Zunge an meinem Oberkörper hinunter. Mit einem Griff öffnete er meinen BH und legte meine Brüste frei. Während er mir mit einer Hand die Innenseite meines Oberschenkels hinaufstrich, liebkoste er meine Brustwarzen. Ich seufzte leicht auf, als sich seine Finger unter meinen Rock schoben. Dann küsste er mich wieder. Stürmisch, voller Begehren. Ich wanderte mit meinen Händen seine Brust entlang, hinunter zu seinem Gürtel.

Zügig öffnete ich seine Hose und fasste behutsam hinein. Ich konnte in seinen Augen sehen, wie sehr es ihm gefiel. Dieses begierige Glitzern, die aufsteigende Lust, das wachsende Verlangen. Verlangen nach mir. Hektisch presste er meinen Oberkörper auf die Tischplatte und küsste mich noch mal. Seine Bewegungen waren weich und fordernd zugleich. Ich umschlang seinen Rücken und krallte mich an ihm fest. Mit seinen warmen Händen streichelte Marlon meine Oberschenkel hinauf. Quälend langsam. Ich konnte seine Berührung kaum noch erwarten. Zentimeter für Zentimeter wanderten sie meine Beine hinauf. Ich stöhnte auf vor Erregung, voller Ungeduld. Ganz vorsichtig schob er seine Finger unter meinen Slip, als es an der Tür klopfte. Ich hielt den Atem an. Marlon bedeutete mir, leise zu sein. Es klopfte erneut.

»Marlon, der Chef will dich sprechen, scheint wichtig zu sein. Er sieht scheiß wütend aus. Also, was auch immer du gerade da drin treibst, beende es und geh rüber ins Hotel.« Kai verschwand. Marlon und ich starrten uns an. Sekunden vergingen, ehe wir unausgesprochen entschieden, voneinander abzulassen. Wir richteten uns widerwillig auf und suchten nach unseren Klamotten.